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von
Staatsarchivrat Dr. W.Strecker.
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Einleitung | 116 | |
Reedelage und Reedegrenze | 119 | |
A. |
Die alte nautische Reede
Beweise für die Reedelage im Archivgutachten von 1925, S. 119 bis 121. Ergänzungen, S 122 f. Eignung der inneren Bucht für Reedezwecke, S. 123 ff. Andere Ostseereeden, S. 126 - 128. Die Seekarten Waghenaers, S. 128 ff. Außentrave?, S. 133 f. "Trave van Femeren", S. 134 - 136. Geddas Karte, S. 137 bis 139. Die Fälle aus der Seekriegsgeschichte, S. 139 - 141. Seebuch von Månsson, S. 141 - 143. Kartenskizze von 1773, S. 143 - 148. Strandungen am Priwall, S. 148 - 150. - Geologische Veränderungen der Travemünder Bucht, S. 150 - 152. - Die Reede im Mittelalter, S. 153 f. |
119 |
B. |
Die Reede im 19. Jahrhundert
Kartenskizze von 1803, S. 155. Französische Seekarte, S. 156 bis 159. Bericht des Lotsenkommandeurs Harmsen von 1828, S. 160 - 163. Quellen aus dem Fischereistreit von 1823, S. 163 bis 169. Neueste Zeit, S. 169 - 172. |
155 |
C. |
Die Peillieniengrenze
Peillinie nur moderne nautische Linie, S. 173 f. Der "Major", S. 174 f. Seine Weglassung auf der französischen Karte, S. 175 ff. Der Punkt A auf der Sahnschen Karte von 1823, S. 178 f. - Landgrenzpunkte und Lotgrenze, S. 179 - 181. Schluß, S. 181 f. |
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Nachwort | 182 | |
6 Beilagen (1-4, 5a, 5b). |
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Als der Streit um das Hoheitsrecht in der Travemünder Bucht zwischen Mecklenburg-Schwerin und Lübeck im März 1925 vor dem Staatsgerichtshofe für das Deutsche Reich anhängig wurde, waren wir noch mit der Anfertigung unseres vorigen Gutachtens beschäftigt, das erst mehrere Monate später (29. August 1925) abgeschlossen werden konnte 1 ). Das Ministerium entschloß sich daher, dem Staatsgerichtshofe zunächst die fertigen Abschnitte des Gutachtens, nämlich die Kapitel A und B des ersten Teiles nebst Anlagen, einzureichen. Zugleich legte es ein Rechtsgutachten des Staatsministers D Dr. Langfeld vom 5. Februar 1925 vor. Gegen dieses und den Torso unseres Gutachtens wendete sich Professor Dr. Rörig mit einer Gegenäußerung vom 6. Juli 1925. Exzellenz Langfeld erwiderte darauf mit einem zweiten Rechtsgutachten vom 15. August 1925. Wir indessen konnten die neue Rörigsche Schrift vorderhand auf sich beruhen lassen, weil vorauszusehen war, daß Rörig nach dem Abschlusse unserer Arbeit noch einmal das Wort ergreifen würde, und wir dann zusammenfassend erwidern wollten. Unterdessen aber erschien das vom Mecklenburg-Schwerinschen Ministerium eingeholte Rechtsgutachten des Universitäts-Professors Dr. J. v. Gierke in Göttingen vom 3. Oktober 1925. Es gelangt zu denselben Ergebnissen wie wir. v. Gierke berücksichtigt auch bereits die erwähnte Gegenäußerung Rörigs und bringt alles Wesentliche vor, was dagegen zu sagen ist. Wir haben dem kaum etwas hinzuzufügen.
Am 10. Oktober 1925 erließ der Staatsgerichtshof für das Deutsche Reich bis zur Entscheidung in der Hauptsache die bekannte einstweilige Verfügung.
Seitdem sind zwei größere Arbeiten über die Streitfrage herausgekommen. Der Professor des öffentlichen Rechts an der
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Universität Rostock Dr. M. Wenzel ließ in der "Mecklenburgischen Zeitschrift für Rechtspflege, Rechtswissenschaft, Verwaltung" 2 ) eine Abhandlung: Die Hoheitsrechte in der Lübecker Bucht, Ein Beitrag zum Meeresvölkerrecht, erscheinen, die auch als Sonderdruck herausgegeben ist 3 ). Wenzel stimmt unseren rechtsgeschichtlichen Ergebnissen ebenfalls zu. Ferner hat Rörig ein neues Gutachten vorgelegt: Nochmals mecklenburgisches Küstengewässer und Travemünder Reede, I. - III. Teil 4 ), im ersten Teile findet sich seine schon genannte Gegenäußerung vom Juli 1925 abgedruckt, im zweiten die einstweilige Verfügung des Staatsgerichtshofes mit den Gründen 5 ), im dritten erwidert Rörig auf das zweite Langfeldsche und das v. Gierkesche Gutachten sowie auf unser Archivgutachten von 1925, auch setzt er sich darin mit der Abhandlung Wenzels auseinander, soweit sie ihm bekannt geworden war.
Mit diesem dritten Teilte der Schrift werden wir uns in unseren folgenden Ausführungen beschäftigen. Wir schicken voraus, daß wir uns auf alles, was die Anwendung völkerrechtlicher Normen im vorliegenden Streitfalle betrifft, über die sich Rörig in der Vorbemerkung 6 ) verbreitet, durchaus nicht einzulassen beabsichtigen, weil wir uns als Historiker nicht für. hierzu befugt halten. Diese Fragen sind von berufener Seite, von Langfeld, v. Gierke und Wenzel, ausführlich besprochen worden. Weiter werden wir den ersten Abschnitt des neuen Gutachtens 7 ) zunächst übergehen. Rörig sucht darin wiederum die Ergebnisse zu erschüttern, die wir für die landesherrlichen Rechte am Küstengewässer seit dem Mittelalter gewonnen haben und die durch die Untersuchungen v. Gierkes noch wesentlich ergänzt sind. Ebenso sucht er unseren Nachweis zu bekämpfen, daß dem Barbarossaprivileg von 1188 für den vorliegenden Streitfall keine Bedeutung beizumessen sei 8 ). Wir sind der Meinung, daß diese Ausführungen Rörigs bei allen, die sich mit dem bisherigen Gang der Untersuchung und den vorgebrachten Quellen bekannt gemacht haben, auf jeder Seite Widerspruch erwecken müssen. Wir behalten uns
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vor, auf einiges davon zurückzukommen, wollen aber fürs erste eingehen auf den Abschnitt B bei Rörig: die Travemünder Reede und ihre Grenzen (S. 76 - 142). Dabei handelt es sich ganz vorwiegend um zweierlei, um die Lage der alten nautischen Reede und um die Linie Gömnitzer Berg - Pohnsdorfer Mühle, d. h. es handelt sich um einfache Feststellungen, weniger um eine rechtsgeschichtliche Untersuchung, Während Rörig in dem betreffenden Abschnitte zunächst die neuere Zeit behandelt, wollen wir den umgekehrten Weg gehen.
Wir zitieren das neue Rörigsche Gutachten als Rörig III, die beiden früheren von 1922 (gedruckt 1923) und 1924 9 ) als Rörig I und Rörig II. Unser Archivgutachten von 1925 werden wir, wie es Brauch geworden ist, als Archiv II zitieren 10 ).
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In seiner neuen Schrift hat Rörig zum ersten Male Untersuchungen über die Örtlichkeit der Lübecker nautischen Reede angestellt und kommt zu dem Schlusse, daß darunter von jeher die Wasserfläche vor Rosenhagen zu verstehen sei. Wir dagegen haben in unserem vorigen Gutachten die alte Reede in die innere Bucht, dicht vor die Travemündung, nach dem Brodtener Ufer zu verlegt 11 ).
Warum kam es auf die Örtlichkeit der Reede an? Weil Rörig angenommen hat, daß hier schon seit dem Mittelalter eine Lübecker Gebietshoheit entstanden sei, ferner weil Lübeck beim Fischreusenstreit von 1616 vorgab, daß die bei der Harkenbeck ausgesetzte Reuse auf seiner Reede stehe, schließlich weil die Nachrichten über die Buchtfischerei des Harkenseer Gutsfischers Jochim Schröder von 1600, in denen Rörig einen Beweis für die Lübecker Fischereihoheit sieht, erst nach Feststellung der Lage der alten Reede richtig verstanden werden können 12 ).
Zurückweisen müssen wir Rörigs Behauptung 13 ), wir hätten bei unserer Feststellung über die Reedelage den Bericht des Lotsenkommandeurs Harmsen von 1828 zur Hauptgrundlage unserer Beweisführung gemacht "unter völliger Ausschaltung aller anderen Quellenzeugnisse". Wir sind im Gegenteil die ersten gewesen, die überhaupt Zeugnisse für die Lage der alten Reede vorgebracht haben, und zwar vier Quellen aus dem 16., 17. und 18. Jahr-
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ändert 14 ). Auf diese wichtigen Quellen geht aber Rörig so gut wie gar nicht ein. Er kommt (III, S. 104, 121) nur zurück auf die Aussage des Zöllners Tydemann von 1547 nicht aber auf das, worauf dabei aller Wert zu legen ist 15 ). Den Bericht des Lotsenkommandeurs haben wir bei unserer Untersuchung zunächst gar nicht benutzt. Sondern erst später bei der Behandlung der Reedegrenzen zur Bestätigung der von uns gefundenen Lage der alten Reede verwertet 16 ).
Die alte Reede allein haben wir untersucht. Die moderne ist gleichgültig. Denn, abgesehen von der jüngsten Vergangenheit, hat Lübeck nur zur Zeit der alten Reede, bei den Fischreusen-Streitigkeiten des 17. Jahrhunderts, nachweisbar einen Anspruch auf das mecklenburgische Küstengewässer der Travemünder Bucht erhoben. Im 19. Jahrhundert dagegen hat es sich auf den völkerrechtlichen Standpunkt gestellt, wie seine amtlichen Erklärungen und Handlungen in den siebziger Jahren beweisen 17 ). Und seine später angenommene und bis 1923 festgehaltene Hoheitsgrenze Harkenbeck-Haffkruger Feld führte mitten durch das Gewässer gegenüber der Harkenbeck, das man als Reede bezeichnete, "so daß Lübeck auf einem großen Teile dieser Reede gar keine Hoheit beansprucht hat, also der Ansicht war, daß eine Reede nicht notwendig unter der Gebietshoheit stehen müsse" 18 ).
Nach den erwähnten Quellen befand sich die alte Reede in der inneren Bucht, nach der Westküste zu (1547), beim Blockhause
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(1616), beim Leuchtenfeld (1670), womit immer dieselbe Örtlichkeit gemeint ist. Das Blockhaus wird wiedergegeben auf einer Karten- Skizze des bekannten Kartographen Tilemann Stella von Siegen, der in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts Im Dienste des Herzogs Johann Albrecht von Mecklenburg tätig war (Beilage 1) 19 ) Nach der vierten Nachricht endlich lag ein Schiff, das im Mai 1792 auf der Reede gekentert war, laut der Auslage des mecklenburgischen Strandreiters "unter den auf der Rheede liegenden Schiffen wohl 400 Schritte vom Lande", Und zwar lag es gegenüber dem Priwall und so, daß man zwischen dem Schiff und dem Ufer eine Tonne sehen konnte, die gewiß nicht vor Rosenhagen, wo Rörig die alte Reede Sucht, verankert war. Nun mag der Strandreiter die Entfernung unterschätzt haben, in jedem Falle aber handelt es sich um die innere Bucht, immer noch um die Gegend vorm Blockhause, und hier lagen 1792 mehrere Schiffe auf der Reede 20 ).
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Dazu kommt folgende Nachricht. In dem Strandungsfalle von 1516 21 ), in dem der Travemünder Vogt zwei Schuten, eine am Priwall, die andere bei Rosenhagen geborgen haben sollte, beschwerten sich alsbald die mecklenburgischen Herzöge über diesen Eingriff in ihre Hoheitsrechte. Lübeck erwiderte, daß das eine Schiff hart am Bollwerk und am Priwall Schiffbruch erlitten habe, das andere auf der Reede, wobei der Ort Rosenhagen durchaus nicht genannt wurde. Aus der Entgegnung der Herzöge, die Rörig bei seiner Besprechung dieses Falles (III, S. 119 f.) nicht berücksichtigt, geht hervor, daß man in Mecklenburg die Lübecker Auskunft dahin verstand, daß beide Schiffe am Priwall gescheitert sein sollten 22 ). Man suchte also die Reede, den angeblichen Strandungsort des zweiten Schiffes, gegenüber dem Priwall in der inneren Bucht und nicht vor Rosenhagen.
Zu allen diesen Quellen paßt es, daß während des Fischreusenstreites, bei dem Zeugenverhör in Harkensee 1616, verschiedene Strandungsfälle vorgebracht wurden, in denen Schiffe "uf der Reide zu Travemünde" oder "zu Travemunde uf der Reide" gesunken oder vom Anker gerissen seien 23 ). Das sind Ortsbestimmungen, die nicht auf eine Reede vor Rosenhagen schließen lassen, sondern offenbar für das Gewässer nahe vor Travemünde gelten sollten. Es erklärten denn auch die
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mecklenburgischen Kommissare in ihrem Bericht, daß die Schiffe weitab von der Wasserfläche am Ausflusse der Harkenbeck, wo die Reuse gestanden habe, in der tiefen See "ihren gewönlichen Curs und Gang hielten", d. h. die Schiffe fuhren an der Harkenbeck vorüber, aber sie lagen in dieser Gegend nicht auf der Reede.
Schon jene vier in unserem vorigen Gutachten angeführten Quellen genügten zur Feststellung der alten Reede. Weitere Beweise brauchten wir nicht zu bringen 24 ). Nun aber ist die Frage, ob unsere gewiß sicher begründeten Ergebnisse trotzdem durch das neue von Rörig herangezogene Material, insbesondere das Kartenmaterial, erschüttert werden können. Wir antworten hierauf mit einem entschiedenen Nein. Denn Rörig verfährt bei seinen Untersuchungen gar nicht kritisch, ferner berechnet er die Lage der Reede nach den Wassertiefen, die in seinen Quellen angegeben werden, legt aber eine ganz irrige Fadenlänge von 2 m zugrunde und kommt infolgedessen zu irrigen Tiefen, also auch zu einer verkehrten Örtlichkeit, schließlich ist ihm eine Seekarte aus dem 17. Jahrhundert, worauf die alte Lübecker Reede deutlich verzeichnet ist, nicht bekannt geworden. Sie findet sich in dem Ostsee-Kartenwerk, das der schwedische Seemann Peter Gedda 1695 herausgegeben hat. Wir werden auf dieses Werk mehrfach zurückkommen.
Bevor wir uns aber dem Kartenmaterial zuwenden, wollen wir untersuchen, was es denn mit der so lebhaft verfochtenen Meinung Rörigs auf sich hat, daß die Wasserfläche, die wir für die alte Reede in Anspruch nehmen, für einen Ankerplatz nicht geeignet gewesen sei.
Ganz unverständlich ist uns seine Behauptung 25 ), wir hätten die Reede "ausgerechnet auf die Plate" versetzt. Denn die Plate liegt unmittelbar vor der Travemündung, wo sie auch auf der Sonderkarte der Traveeinfahrt, die sich am Fuße der großen französischen Seekarte der Lübecker Bucht von Beautemps-Beaupré findet, als Barre de la Trave angegeben ist. Und während das Wasser auf der Plate nach Rörigs eigenen Mitteilungen 1789 2 1/2 m 1831 8 - 13 3/4 Fuß (= 2,30 - 3,95 m) tief war 26 ), verzeichnet die Sonderkarte der Einfahrt nach Travemünde, die einen Teil der neuesten deutschen Admiralitätskarte der Lübecker Bucht
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(Nr. 37) bildet, dort, wo wir auf der Kartenskizze unseres vorigen Gutachtens die alte Reede eingetragen haben - also innerhalb der vom Gömnitzer Turm (Major) am Brodtener Ufer vorbeigezogenen Linie - Wassertiefen bis zu 8,4 m 27 ). Auf der älteren Admiralitätskarte von 1873 (Nr. 37) steht in derselben Gegend auf der Majorlinie selbst, die sich leicht ziehen läßt, die Tiefenzahl 8,5 m. Das sind schon fast fünf Lübecker Faden (8,63 m).
Die Majorlinie, die erst im 19. Jahrhundert auftaucht, wird zwar im 17. Jahrhundert und früher keine Bedeutung gehabt haben, doch wollen wir sie bei unseren Untersuchungen als Bestimmungslinie verwenden. Der Ankergrund in der inneren Bucht ist gut. Die deutsche Admiralitätskarte von 1873 gibt innerhalb der Majorlinie, die sich leicht ziehen läßt, die Buchstaben Sk (Schlick). Auch Tanggrund wird vorhanden sein; wenn man auf der erwähnten französischen Seekarte, die 1811 aufgenommen ist, die Majorlinie konstruiert, so findet man zwischen der Linie und der Travemündung vermerkt: S Al (Sable, Algue), außerdem S (Sable) 28 ). Reiner Sandgrund ist aber für eine Reede völlig ausreichend.
Und hier auf der Wasserfläche, wo die alte Reede zu suchen ist, konnten vormals alle Schiffe liegen, auch die beiden großen Kriegsschiffe, deren Tiefgang Rörig (III, S. 114) aus der Arbeit von G. Kloth über Lübecks Seekriegswesen in der Zeit des nordischen Siebenjährigen Krieges (1563 - 1570) 29 ) entnommen hat. Wir begreifen nicht, warum Rörig aus den Angaben dieser Arbeit folgern will, daß die Reede durchaus vor Rosenhagen gelegen haben müsse. Denn das größte damalige Lübecker Kriegsschiff, der "Adler", soll einen Tiefgang von 9 lübischen Ellen gehabt haben; das sind 18 lübische Fuß = 3 Faden (5,17 m) 30 ). Der "Adler"
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hätte also noch nicht 6 m gebraucht 31 ). Überdies ist hinter den Angaben, die sich über dieses Schiff erhalten haben, ein Fragezeichen zu machen 32 ). In der Überlieferung ist es zu einer Art von Märchenschiff geworden, und es war in jedem Falle so überragend groß, daß es als allgemeines Beispiel gar nicht dienen kann. Es gehörte zu dem Typ der damals in der Ostsee noch seltenem Schlachtschiffe 33 ), die eigens für den Krieg gebaut waren und deren Ausmaße für die Bestimmung der alten Lübecker Reede keineswegs entscheidend sind, ganz davon abgesehen, daß auch diese Fahrzeuge in der inneren Bucht reichlich ankern konnten.
Der "Adler" soll 800 Last gehalten haben 34 ) Von den drei übrigen Lübecker Linienschiffen in jenem Kriege war eines halb so groß (400 Last), der Rest noch kleiner 35 ). Früher waren die Schlachtflotten nur aus bewaffneten Kauffahrern zusammengestellt worden, und diese bildeten auch noch im nordischen Siebenjährigen Kriege die Mehrzahl der Schiffe in allen beteiligten Flotten 36 ).
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Von den bewaffneten Handelsschiffen der damaligen Lübecker Flotte aber war nur eines 280 Last groß, die übrigen 200 Last und darunter. Das waren schon große Kauffahrteischiffe 37 ). Auch in dem einen schwedischen Schiffe von 1532, das Rörig anführt, sieht Kloth 38 ) "ein erstaunlich großes Schiff", "das die Fahrzeuge seiner Zeit weit übertraf und jedenfalls für den Kriegszweck gebaut war". Dabei hätte dieses Schiff, das 11 Fuß tief ging, die Plate bei hohem Wasserstande noch überfahren können.
Nach einer Erklärung des Wismarer Rates von 1621 bot eine Tiefe von acht Ellen (= 16 Fuß oder 4,60 m) Raum für große Schiffe zum Ankern und Segeln 39 ). Damit sollte aber nicht gesagt werden, daß die Schiffe eine solche Tiefe brauchten. Vor dem Dorfe Hoben, im Innenwinkel der Wismarer Bucht, wo gegen Ende des 16. Jahrhunderts die Reede für große Schiffe festzustellen ist 40 ) und wo noch eine dänische Seekarte der westlichen Ostsee von 1818 41 ) einen Anker zeigt, sind auf der deutschen Admiralitätskarte von 1873 nur in der ausgebaggerten Fahrrinne 42 ) Wassertiefen von 5 - 5 1/2 m angegeben, zwischen Hoben und der Rinne finden sich Tiefen bis zu 4 m. Ältere Seekarten, die des Schweden Peter Gedda von 1695 und die etwa gleichzeitige des dänischen Seekartendirektors Jens Sörensen 43 ) verzeichnen an dieser Stelle 2 1/2 Faden (15 Fuß) 44 ).
In derselben Tiefe konnten große Schiffe natürlich auch in der Travemünder Bucht ankern. Ja, noch um die Mitte des
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19. Jahrhunderts hätten binnen der Majorlinie die größten Dampfer liegen können, die es damals in der Welt gab, die aber für die Lübecker Fahrt gar nicht in Frage kamen 45 ). Ebenso hätte dieses Gewässer noch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts für manche Kriegsschiffe genügt, z. B. für die gedeckten preußischen Korvetten (auch Fregatten genannt) aus der Zeit von 1860 - 1870, die 2600 t und 6 m Tiefgang hatten.
Viele andere Reeden waren nicht tiefer. Man darf durchaus nicht, wie Rörig (III, Anm., 89) es tut, zur Vergleichung auf die Reede von Hela hinweisen, die nach den Angaben in Waghenaers "Spiegel der Seefahrt" bei 25 Faden Tiefe lag 46 ). Denn die Helaer Reede ist ja außergewöhnlich tief, natürlich nicht, weil die Schiffe solcher Tiefe bedürfen, sondern weil der Grund hier steil abfällt. Das sagt Waghenaer ausdrücklich in seinem jüngeren Werk: Thresoor oft Cabinet van der Zeevaert (1592). Er gibt darin diese Reede auf 16 und 20 Faden an und rät, dicht am Lande zu ankern, da man sonst keinen Grund mehr habe 47 ).
Auch Waghenaer hat ungezählte Reeden bei viel geringeren Tiefen. Wir entnehmen aus dem Seekartenwerk von Wilhelm Janß Blaeu, De groote Zeespiegel (Amsterdam 1658) folgende Angaben über Ostseereeden, und zwar aus dem Text des Werkes, der öfter noch genauer ist als die Karten:
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Solche Reeden finden sich auch auf der Nordsee. Natürlich gab es auch tiefere. Das richtete sich nach den geographischen Verhältnissen, dem Ankergrunde, der nicht felsig sein darf, und der Möglichkeit, vorm Winde Schutz zu haben.
Das Kartenwerk Peter Geddas von 1695 gibt auf einer Sonderkarte die Kopenhagener Häfen wieder. Da führt eine Fahrrinne in das Gewässer vor der Stadt zwischen den Inseln Seeland und Amager, und hier liegt der Kriegshafen (de haven voor de Vloot ofte Orloogsscheepen) bei 19 Fuß Tiefe, der Handelshafen (voor de Copvardiescheepen) bei 18 Fuß (3 Faden) 49 ). Solche Tiefe genügte völlig, wie auch die Wismarer Reede beweist, die überhaupt nur 2 1/2 Faden hatte. Die früheste Seekarte, die Rörig zum Beweise dessen, daß die Lübecker Reede vor Rosenhagen gelegen habe, heranzieht, findet sich in dem schon erwähnten "Spiegel der Seefahrt", dem Kartenwerk des holländischen Seemannes Lucas Janß Waghenaer von Enkhuizen aus der zweiten Hälfte des 16, Jahrhunderts. Es behandelt die Gewässer an einem großen Teile der europäischen Küsten. Die Karte, von der Rörig einen Ausschnitt wiedergibt 50 ), zeigt die Lübecker Bucht nebst dem Teile der Ostsee, der östlich von Fehmarn zwischen den dänischen Inseln und der
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deutschen Küste bis jenseits Rügens liegt 51 ). Richtig hebt Rörig (III, S. 107 f.) hervor, daß in dem von ihm mitgeteilten Ausschnitte scheinbar nur die große Lübecker Bucht wiedergegeben wird, tatsächlich aber mit dem Gewässer vor der Trave die Travemünder Bucht gemeint ist.
Da findet sich vor dem Traveausflusse eine Sandbank, die Plate, die nach Rörig "so wesentlich ist, daß sie auf einer Karte so großen Maßstabes angegeben wurde". Das sei "der beste Beweis, was für eine Rolle diese Sandbank für die nordeuropäische Schiffahrt spielte". Auffallend ist es dann allerdings, daß die Fahrrinne, die über die Plate führt, von Waghenaer im Text 52 ) als ein "gutt Tief" von 6 Ellen (= 2 Faden, wie auf der Karte steht) und ausdrücklich als ein Tief "für grosse Schiffe" bezeichnet wird. Zwar bezweifelt Rörig diese Tiefenangabe, aber die Fadenzahlen Waghenaers gelten, wie er ausdrücklich sagt, für die mittlere Fluthöhe 53 ), und wenn es hier auf der Bank, auf die es gerade ankam, nicht stimmen sollte, so ist auf die übrigen Tiefenzahlen Waghenaers noch weniger Wert zu legen 54 ). Im übrigen finden sich Sandbänke überall auf den Waghenaerschen Karten, und sie sind, ebenso wie die Plate, wahrscheinlich auch nicht alle richtig gezeichnet.
Vor der Plate stehen quer über die Bucht zweimal die Zahlen 4 (4 Faden), dann folgen seewärts in einer Linie 6, 12, 12, Zahlen, die die Richtung des Fahrwassers angeben sollen, das dann östlich in die "Trave van Femeren" (wir kommen auf diesen Ausdruck
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zurück) mündet, im Nordwesten aber an der holsteinischen Küste entlang führt. Zwischen den Zahlen 4 und 6 liegt ein Anker Also, folgert Rörig, liege die Reede zwischen 4 und 6 Faden. Darunter versteht er Tiefen von 8 - 12 m; mithin sei die Reede vor Rosenhagen zu suchen.
Nun kommt man aber bei 12 m Tiefe noch gar nicht auf die Höhe von Rosenhagen, womit immer die Gebäude gemeint sind, sondern kaum bis auf die Pötenitz-Rosenhäger Grenze 55 ). Überdies ist die von Rörig angenommene Fadenlänge von 2 m für die frühere Zeit ganz unzulässig. Sie ist überhaupt nicht genau und nur ein Ungefähr aus der Zeit des Überganges zum Metermaß in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Der Faden betrug, wie noch jeder Seemann weiß, 6 Fuß 56 ); es ist der Klafter, die Strecke, die ein Mann mit ausgebreiteten Armen messen kann. Das Fußmaß war überall verschieden, wenn auch die Unterschiede meistens nicht bedeutend waren. Diese Unterschiede übertragen sich natürlich auf den Klafter. Nun werden aber Tiefenzahlen in der Travemünder Bucht auf Lübecker Angaben zurückzuführen sein, und es kann hier gar kein anderes Maß als der Lübecker Fuß und der Lübecker Klafter (Faden) zugrunde gelegt werden 57 ). Der Lübecker Fuß ist aber gleich dem Rostocker, er beträgt 127,5 Pariser Linien = 0,28762 m 58 ).
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Mithin ist ein Lübecker Faden (6 Fuß) = 1,72572 m 59 ). Es sind also
Die Tiefenzahlen, zwischen denen der Anker auf der Waghenaerschen Karte liegt, betragen demnach 6,90 und 10,35 m. Vor allen Dingen aber erhebt sich die Frage, ob Waghenaer die Absicht hatte, ausdrücklich diese Tiefen als Reedegebiet zu bezeichnen, wovon er im Texte kein Wort sagt, oder ob er den Anker willkürlich in die Bucht gesetzt hat, zum Zeichen dessen, daß hier eine Reede war, die ja schließlich jeder finden konnte, der ankam, Daraufhin muß sein Werk, Text wie Karten, im ganzen geprüft werden, und wenn man das tut, so stellt sich heraus, daß die Anker häufig ganz ungenau liegen 60 ). Deswegen läßt sich für die Örtlichkeit der Reede nichts daraus schließen.
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Wichtiger als die Karte bei Waghenaer ist der Text, den Rörig ja auch anführt und bespricht 61 ) Da heißt es, daß vor Lübeck eine große Inwiek und ein guter Hafen sei, wo man vor allen Winden, außer einem Nordost oder Nordnordost sicher liegen möge. Mit dieser großen Bucht und dem großen Hafen wäre nach Rörig "zweifellos die Reede bei Rosenhagen gemeint"; das ergebe sich aus der Warnung vor Nordost und Nordnordost. Als wenn diese Winde nicht in der inneren Bucht genau so gefährlich seien. Geschützt aber lag man nach Waghenaer gegen alle anderen Winde, also auch gegen Nordwest. Zwar wird in der Lübecker Bucht die schwerste See bei nordöstlichen Stürmen aufkommen, weil die Bucht gegen Nordost offen liegt. Soviel aber schirmt die von der mecklenburgischen Küste über acht Seemeilen entfernte holsteinische nicht, daß die Schiffe vor Rosenhagen gegen Sturm aus Nordwest sicher wären; das gilt zumal für die Schiffe der früheren Zeit, die eben der flachen Häfen wegen so rank gebaut waren und infolgedessen leicht kenterten. Wohl aber hatten sie Schutz gegen Nordwest in der inneren Bucht, weil hier das Brodtener Ufer den Sturm abfing. Auch mit dem Schutz gegen Nordwind muß es zu Waghenaers Zeiten in der inneren Bucht besser bestellt gewesen sein als heute. Die Ursache hierfür liegt in geologischen Veränderungen, auf die wir zurückkommen werden. In jedem Falle weisen die Angaben, die Waghenaer im Text macht, auf eine Reede dicht vor der Travemündung hin.
Nun aber hat ja Waghenaer 1592 noch einen zweiten Seeatlas herausgegeben, den - in kleinerem Format erschienen - Thresoor oft Cabinet van der Zeevaert, der manche Verbesserungen bringt und den auch Rörig anführt. Hier findet sich die Lübecker Bucht auf einer Karte, die das westliche Kattegat, die Belte und das Gewässer bis hinter Wismar wiedergibt. Einen Ausschnitt daraus geben wir in der Beilage 2 62 ). Diese Darstellung der Lübecker
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Bucht ist jünger, für das holsteinische Ufer auch genauer als die im Spiegel der Seefahrt, die ihr gegenüber nicht mehr in Betracht kommt. Und auf der jüngeren Karte liegt der Anker vor Travemünde innerhalb der 5-Faden-Tiefen, die sich heute zuerst dicht hinter dem nordwestlichen Teile der Majorlinie finden. Eine Tiefe von 6 Faden wird gar nicht verzeichnet. Wir lassen es zunächst dahingestellt sein, ob man auf diese Lage des Ankers mehr Wert legen darf als auf die im Spiegel der Seefahrt. Der Text im Thresoor bietet nichts. Wichtig aber in den Waghenaerschen Werken ist für uns, außerdem Text im Spiegel, der Umstand, daß der Anker auf beiden Karten nach dem westlichen Ufer zu liegt, worunter, wie ja die Karten aufzufassen sind, das Brodtener Ufer zu verstehen ist. Dieses wird auf der jüngeren Karte übrigens schon ein wenig angedeutet. Es ist gar kein Zweifel, daß die Angaben Waghenaers sich auf eine Reede in der inneren Bucht, fern von Rosenhagen, beziehen.
Noch in anderer Hinsicht hat Rörig die Waghenaerschen Karten nicht richtig aufgefaßt. Auf dem von ihm bekannt gemachten Ausschnitte stehen nämlich vor der Travemündung die Worte: de Trave, Wer dies liest, wird es einfach für den Flußnamen halten. Warum soll er denn nicht vor der Mündung stehen? Ähnliches findet sich doch noch heute oft auf Karten. Der Name steht so weit draußen, weil er sonst die Plate und die Tiefenzahlen dahinter verdecken würde. Auf solche reine Äußerlichkeiten der Karte ist gar nichts zu geben. Rörig aber zieht den Schluß, daß die Travemünder Bucht von der Plate aus weiter seewärts den Namen "de Trave" geführt habe, eine Bezeichnung, die aufs schlagendste beweise, wie richtig .und den Zeitanschauungen entsprechend es sei, wenn er in seinen früheren Gutachten auf die Einheit von Trave und Reede hingewiesen habe. So sagt er denn, "der Sprache (!) Waghenaers folgend": "Die Außentrave seewärts der Plate ist die Travemünder Reede" 63 ). Ferner sieht er in der Karte einen Beweis für seine Auslegung des Barbarossaprivilegs von 1188; denn Waghenaer habe ja 1586 eine Trave "usque in mare" gekannt 64 ). Und zu unserer Feststellung, daß man niemals das Gewässer vor Rosenhagen oder die ganze Bucht "Trave" genannt habe, bemerkt er, daß ein Blick auf seine Kartenbeilage genüge, um sich vom Gegenteil zu überzeugen 65 ).
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Wir wissen aber gar nicht, wie solche Behauptungen erhoben werden können. Gleich auf derselben Karte steht der Name des Fahrwassers, das bei Dornbusch (Hiddensö) vorüber nach Stralsund führt, "de Yelle" gleichfalls vor dem Einlaufe. Und man braucht nur die vorhergehende Karte aufzuschlagen, so findet man, daß es bei allen pommerschen Flüssen ebenso ist. Auch sonst ist es der Fall, z, B. bei der Düna. Wir geben die Karte der pommerschen Küste in der Beilage 4 verkleinert, im Original sind die Buchstaben der Flußnamen genau so groß wie bei der Trave. In Waghenaers Tresoor der Seefahrt aber stehen die pommerschen Flußnamen neben den Flußläufen, und der Name der Trave ist ganz verschwunden 66 ).
Wenn ferner im nordischen Siebenjährigen Kriege die Meldung kam, daß die schwedische Flotte "auf die Trave" gelaufen sein solle, so wird doch damit nicht bewiesen, daß die Reede "Trave" genannt wurde 67 ). Es ist hier ja nur die Richtung der Fahrt gemeint. Im selben Sinne kann man noch heute sagen: auf die Trave, auf die Elbe oder auf die Warnow laufen. Daß man nicht die ganze Travemünder Bucht Trave nannte, ergibt sich klar aus dem Lübecker Fischereivergleich von 1610 68 ). Und in der Fischereiordnung von 1585 wird das Gewässer außerhalb der Flußmündung niemals Trave, sondern "in der See" genannt. Im übrigen kommt es auf den Namen nicht an, denn es wäre gar nicht einzusehen, warum Mecklenburg an einer solchen "Trave" nicht hätte teilhaben sollen.
Schließlich weist Rörig 69 ) darauf hin, daß im Spiegel der Seefahrt "die gesamten Gewässer" zwischen den dänischen Inseln und der mecklenburgischen Küste als "De Trave van Femeren" bezeichnet würden. Das sei "ein sehr interessanter Beleg für die Tatsache, daß die ganzen südwestlichen Gewässer der Ostsee ihr Gepräge von der Bedeutung der auf Lübeck zielenden Schiff-
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fahrt erhielten". Ebenso finde sich die " Trave van Femeren" auf der Karte im Tresoor der Seefahrt, wo außerdem "das gesamte Gewässer der Lübecker Bucht bis nach Fehmarn hinauf" die Bezeichnung "De Trave van Lübeck" führe 70 ). Das ist unrichtig. Es sind nicht die gesamten Gewässer, die so genannt wurden, sondern es handelt sich um ein Mißverständnis Rörigs, der offenbar glaubt, daß "Trave" hier mit dem Flußnamen im Zusammenhange stehe. So ist es aber nicht. Trave (verwandt wahrscheinlich mit le travers, transversum, traversum, die Durchquerung) heißt hier einfach: Fahrwasser. Das ergibt sich schon deutlich aus Waghenaers Beschreibung der Tiefen an der französischen Küste im Spiegel der Seefahrt 71 ); "Zwischen Heissant und Obreueracq 72 ) in der trauen oder farweg ist es tief 60 vadem". Und "Trave" im Sinne von Fahrwasser haben wir auch sonst bei den Beschreibungen französischer und englischer Gewässer 73 ) sowie in der Ostsee gefunden. In der Ostsee kennt Waghenaer eine "Trave van Langhelandt" 74 ); es ist der Langelands-Belt. Und er spricht von der Trave zwischen den kleinen Inseln Sprogö und Romsö, die im Großen Belt liegen 75 ) Auf einer Karte im Tresoor der Seefahrt, die in der Hauptsache die Küste von Rostock bis Danzig darstellt, finden sich zwischen Möen und Rügen in der Richtung auf die Lübecker Bucht die Worte: de Trave nae Lubeck. Diese Bezeichnung wird ebenso wie die "Trave von Fehmarn" ganz unverständlich, wenn man sie mit dem Travefluß in Verbindung bringt. Fehmarn liegt ja noch ganz am westlichen Ende der Ostsee, und wenn man von hier aus nach Osten zu, zwischen den dänischen Inseln und der deutschen Küste in die Tiefe des großen Meerbusens hineinfährt, so sieht man Fehmarn, so lange der Blick reicht, im Westen liegen. Deshalb hieß diese Fahrstraße: de Trave
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van Femeren, Das ist sehr sinnvoll, hat jedoch mit dem Travefluß und der Lübecker Schiffahrt nichts zu tun. Die "Trave van Lubeck" aber ist das Fahrwasser der Lübecker Bucht 76 ).
Damit verlassen wir die Waghenaerschen Karten. Es gibt dann noch eine ganze Reihe älterer Atlanten, die auch Rörig in seinem Exkurs (III, S. 148) meistens erwähnt, aus denen sich aber nichts über die Travemünder Reede entnehmen läßt, weil sich weder ein Anker noch sonst etwas findet, woraus auf die Örtlichkeit der Reede zu schließen wäre 77 ). Zwar hat Rörig versucht, einen Teil dieser Karten zur Stützung seiner These von einer Reede bei Rosenhagen zu verwerten, aber dies erledigt sich bei Betrachtung der Karten von selber 78 ).
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Wichtig ist dagegen die Rörig nicht bekannt gewordene Karte des Kapitäns und Kommandeurs der königlich schwedischen Steuerleute und Lotsen Peter Gedda. Dieser war dem schwedischen Vizeadmiral von Rosenfeldt, der sich schon lange mit der Verbesserung der bisherigen fehlerhaften Ostseekarten beschäftigt hatte, beigeordnet worden, um neue Karten aufzunehmen. Rosenfeldt und Gedda haben dann fünfzehn Jahre hindurch die ganze Ostsee befahren. Gleich darauf hat Gedda aus den von ihnen angefertigten großen Originalkarten ein Kartenwerk über die Ostsee und das Skagerrak zusammengestellt und 1695 in Amsterdam erscheinen lassen 79 ). Wir geben in der Beilage 3 einen Ausschnitt daraus,
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auf dem die Lübecker Bucht mit der Travemünder Reede dargestellt ist 80 ). Die Küsten sind noch recht mangelhaft gezeichnet. Eigene Landmessungen haben Rosenfeldt und Gedda hier zweifellos nicht vorgenommen 81 ). Man sieht auf dem Ausschnitt vor der Travemündung eine Barre, die Plate, durch die ein Tief führt. Westlich davon, zwischen der Flußmündung und Neustadt, findet sich ein Küstenvorsprung und davor ein Riff. Es ist das Brodtener Höved mit dem Steinriff, denn einen anderen Küstenvorsprung und ein anderes Riff gibt es zwischen der Travemündung und Neustadt nicht. Wahrscheinlich soll aber nicht das ganze Steinriff, sondern nur der in der Nähe des Ufers gelegene Teil dargestellt sein. Ungefähr dort, wo das Riff im Süden endet, ist der Möwenstein zu suchen. Ferner zeigt die Karte drei Anker, einen auf der Traue selbst zur Bezeichnung der Flußreede, die es also gab. Die beiden anderen Anker liegen in der Bucht binnen den 5-Faden-Tiefen, einer dicht vor der Flußmündung, der zweite nach dem Brodtener Ufer zu, zwischen 5 und 3 Faden. Weil Gedda mit Ankern keineswegs verschwenderisch ist, so hat dieser zweite Anker sicher seine besondere Bedeutung. Die Reede zog sich also von der Travemündung nach Westen hin in der Richtung auf den Möwenstein.
Nun vergleiche man mit dieser Karte jene vier Quellen, aus denen wir die Lage der alten Reede erschlossen haben (oben S. 120 f.). Sie stimmen völlig damit überein. Und auch die Karte in Waghenaers Tresoor der Seefahrt (Beilage 2) steht mit der Geddaschen durchaus im Einklange. Genau da, wo wir auf der Kartenskizze unseres vorigen Gutachtens
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die alte Reede eingetragen haben, lag sie nach Peter Gedda, dem Spezialisten der Ostseefahrt, 1695, fast achtzig Jahre nach dem Fischreusenstreit. Dieses Ergebnis ist überhaupt nicht mehr zu erschüttern. Und es versteht sich eigentlich von selbst. Denn es wäre ja der helle Widersinn gewesen, die Schiffe bei Rosenhagen ankern zu lassen, wo sie lange nicht so geschützt gelegen hätten und von wo das Leichtern, der größeren Entfernung wegen, viel mehr Zeit beansprucht haben würde. Es ist klar, daß man die Schiffe in die innere Bucht und nahe an die Barre heranbrachte. Wir hatten durchaus recht, in unserem vorigen Gutachten bei der Behandlung des Fischreusenstreites zu erklären, daß niemand etwas von einer Reede bei Rosenhagen gewußt habe.
Dem widerspricht auch durchaus nicht das, was Rörig (III, S. 112 ff.) aus der Seekriegsgeschichte anführt. Die Lübecker Kriegsschiffe, die im nordischen Siebenjährigen Kriege auf der Reede lagen oder wieder auf die Reede kamen, hielten sich natürlich in der inneren Bucht auf, soweit sie nicht über die Plate gesteuert wurden 82 ) Auch die schwedische Flotte, die 1565 ein lübisches Kriegsschiff auf der Reede überraschen wollte, muß - wenigstens zum Teil - in die innere Bucht eingedrungen sein, wo das Fahrzeug, auf das es abgesehen war, zweifellos lag. Die Schweden kamen damals in den Bereich der Geschütze des Blockhauses 83 ). Ebenso die dänische Flotte, die im Jahre 1612 lübische
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Schiffe auf der Reede wegnehmen wollte. An Bord dieser bedrohten Fahrzeuge war "nicht ein einziger Schiffer" (nautischer Führer), und das "wenige Volk", das darauf war, erwiderte zwar das Feuer der Dänen, wußte aber im übrigen keinen Rat, als die Anker zu kappen und die Schiffe "an den Strand und Plate" treiben zu lassen 84 ). Der Wind wehte aus Südosten 85 ). Hätten aber die manövrierunfähigen Lübecker Schiffe bei Rosenhagen gelegen, so wäre gar nicht zu begreifen, wie sie bei der herrschenden Windrichtung auf den Travemünder Strand oder gar auf die Plate hätten treiben können. Sie müssen durchaus ganz in der inneren Bucht geankert haben. Als dann "das übrige Volk" an Bord kam und auch "vom Blockhause und Lande" mit großen Stücken geschossen wurde, brachen die Dänen das Gefecht ab "und legten sich wohl eine halbe Meile zurück auf die Rhede". Gemeint
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ist eine halbe deutsche Meile. Und dieser Ankerplatz wäre nach Rörig immer noch die Lübecker Reede gewesen. Wenn man aber das Ende dieser Reede bei der Harkenbeck annimmt, wie Rörig es tut, so muß man auch den Schluß ziehen, daß die dänische Flotte bis dicht vor die Travemündung gekommen sei, denn von der Plate bis zur Harkenbeck waren es weniger als 4500 m, und etwa eine halbe Meile gingen ja die Dänen zurück. Hatten diese sich dagegen bei dem Feuergefecht in größerer Entfernung von den lübischen Schiffen gehalten, so muß der hernach aufgesuchte Ankerplatz weit jenseits der Harkenbeck gewesen sein. Im übrigen heißt "sich auf die Reede legen" einfach: vor Anker gehen; das kann man an einer Stelle tun, die für gewöhnlich nicht als Ankerplatz dient. Reede ist kein gebietsrechtlicher Begriff, sondern bedeutet ein räumlich unbestimmtes Gewässer vor einem Hafen oder vor einer Küste. Aber wo das Wort "Reede" vorkommt, da ist es für Rörig immer gleichbedeutend mit Hoheitsgebiet.
Rörig hat ferner das Seebuch über die Ostsee herangezogen, das Johann Månsson, vormals Altersteuermann und Kapitän der schwedischen Marine, 1677 herausgegeben hat 86 ). Månsson war ein Vorgänger Peter Geddas, der ihn im Vorworte zu seinem Kartenwerk lobend erwähnt, freilich nicht ohne zu bemerken, daß Månsson keine gehörige Kenntnis von der Meßkunst gehabt habe, so daß er nicht mit der erforderlichen Genauigkeit habe arbeiten können. Die Stelle in dem Seebuche, auf die es ankommt und die Rörig bei Schulze, Segelanweisung für die Lübecker Bucht 87 ), gefunden hat, lautet: "Wil man sättia på Lybeske Redden", so kann man das tun auf 5, 7 oder 8 Faden. Das "sättia" hat Schulze mit: Kurs zusetzen (auf die Lübecker Reede) wiedergegeben, nach Rörig aber hieße es: Anker setzen. Allein aller Wahrscheinlichkeit nach hat Schulze recht, zumal da kurz vorher das "sättia" in dem Seebuche noch einmal vorkommt und bestimmt: Kurs setzen heißt 88 ). Im
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übrigen ist diese Stelle des Seebuches nicht von Belang. Wenn nämlich Månsson hätte sagen wollen: Anker werfen, so wäre seine Anweisung falsch. Das ergibt sich ja daraus, daß in der von Rörig 89 ) angeführten, 1735 erschienenen deutschen Übersetzung des
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Seebuches, worin das "sättia" = Anker werfen aufgefaßt wird, eine offenbare Änderung der Tiefenangabe vorgenommen ist, indem 5 und 6 Faden genannt würden. Diese Ankertiefen von 5 bis 6 Faden werden für die Travemünder Reede auch in der holländischen Seekartenbeschreibung von 1749 90 ) sowie im Text des Seeatlasses angegeben, den der Holländer Voogt etwa 1771 hat erscheinen lassen.
Damit sind wir aber bereits im 18. Jahrhundert. Eine wichtige Quelle ist für diese Zeit die handgezeichnete Kartenskizze der Reede von 1773, die Rörig (III, S. 111 f.) bespricht und von der wir dem Lübecker Staatsarchiv ein Lichtbild verdanken 91 ). Ganz richtig hebt Rörig hervor, daß mit der grotesken Küstenzeichnung der Karte nichts anzufangen ist und daß die Lage der Reede nur durch die eingetragenen Wassertiefen bestimmt wird. Aber eben diese Wassertiefen hätten ihn davon abhalten müssen, die Reede auf die Höhe von Rosenhagen zu verlegen. Er beschreibt selber, daß die Karte Tiefen von 4, 5 und 6 Faden durch entsprechende Zahlenreihen vermerke, die sich quer übers Wasser hinziehen. Die Reihen liegen dicht hinter der Plate 92 ). Zwischen den beiden Linien von 4 und 5 Faden stehen die Worte: Reede vor Travemünde oder Lübeck. Wo aber finden sich solche quer über die Bucht liegende Tiefen von 4 bis 6 Faden? Vor Rosenhagen doch nicht! Zwar gibt es hier diese Tiefen auch, aber, wie überall vor der offenen Küste, längs dem Ufer, ungefähr parallel zu diesem. Fährt man dagegen von Rosenhagen aus quer über die Bucht, so kommt man auf immer tieferes Wasser, bis zu 17 m, und erst auf dem Steinriff wird es wieder flacher. Wohl aber sind jene querliegenden Tiefen viel weiter buchteinwärts vorhanden, in der Mitte des Wassers. Und hier ist die Reede gewesen.
Die Kartenskizze von 1773 lehrt aber auch, daß jene Angaben der Seebücher, wonach die Reede sich bei 5 bis 6 Faden befand, nicht genau sind. Denn die Bezeichnung "Reede vor Travemünde
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oder Lübeck" steht, wie erwähnt, auf der Karte zwischen den Tiefenlinien von 4 und 5 Faden. Und wenn man jene Nachricht von 1792 (oben S. 121) in Betracht zieht, wonach ein gekentertes Schiff 93 ) unter mehreren anderen etwa 400 Schritte vom Lande auf der Reede lag, so müßte man fast das Doppelte dieser allerdings wohl unterschätzten Entfernung rechnen, ehe man überhaupt auf 4 Faden Tiefe kommt. Dann wäre das Schiff ungefähr mitten vor der Uferstrecke Travemünde-Möwenstein zu suchen 94 ). Das ist aber unwahrscheinlich, weil ursprünglich angenommen wurde, daß es am Priwall gestrandet sei. Es wird also nach der Kenterung näher am Priwall gelegen haben, etwa bei 3 Faden (5,17 m) 95 ). Sein Abstand von der Küste hatte dann noch nicht 600 Schritt betragen, und in dieser Gegend könnte auch recht wohl die Fahrwassertonne verankert gewesen sein, die man vor dem Schiffe sah. In jedem Falle muß die Entfernung vom Travemünder Ufer aus berechnet gewesen sein, weil sie vom Priwall aus wegen des dort flacheren Wassers immer zu groß werden würde 96 ). Und weil das Fahrzeug "unter den auf der Rheede liegenden Schiffen" lag, so müssen diese nicht weit von ihm geankert haben. Mag man nun das verunglückte Schiff bei 3 oder 4 Faden suchen, so besteht doch gar keine andere Möglichkeit, als daß alle diese Schiffe im westlichen Teile der inneren Bucht lagen.
Eine Ankertiefe von 6 Faden jenseits der Majorlinie ist jedenfalls auch im 18. Jahrhundert nicht mehr das Gewöhnliche gewesen. Dafür spricht letzten Endes auch die Nachricht, die Rörig (III, S. 116) über ein Schiff bringt, das 1746 beim Salutschießen auf der Reede in Brand geriet. Zunächst allerdings war dies die einzige Nachricht des Gutachtens, die uns stutzig machte. Denn wenn das Schiff wirklich, wie Rörig angibt, auf 8 Faden geankert hätte, so wäre es ja weit draußen, bei etwa 14 m Tiefe gewesen. Aber
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es handelt sich um einen Irrtum, denn Rörig hat seine Quelle verlesen. Wie uns das Lübecker Staatsarchiv auf eine Anfrage erwidert hat, muß es statt 8 Faden heißen: "5 Faden Tiefe" Also lag auch dieses Schiff - ebenso, natürlich, das in der Nähe ankernde russische - in der inneren Bucht, weitab von Rosenhagen. Es lag auf der 5-Faden-Tiefe der Kartenskizze von 1773.
Die quer über einen Teil der Bucht führende 6-Faden-Linie dieser Skizze ist ungefähr die 10-m-Tiefenlinie, die ja dort, wo sie nach der Trave zu endet, quer über das Wasser läuft (Beilage 5 b).6 Faden aber (10,35 m) waren nach den mitgeteilten Nachrichten die äußerste Ankertiefe seewärts. Mithin steht fest, daß die Reede noch in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts da zu Ende war, wo sie auf Rörigs Kartenskizze 2, die seinem ersten Gutachten von 1923 beigegeben ist, überhaupt erst anfängt.
Überdies wissen wir aus dem, was im Vorstehenden angeführt ist, daß die Reede sich von der Mitte der inneren Bucht in nordwestlicher Richtung hinzog. So ist sie auch auf der von Rörig erwähnten Karte von 1803 eingetragen 97 ). Es erklärt sich diese Lage der Reede leicht daraus, daß die Schiffe hier am besten den Schutz des hohen Brodtener Ufers genossen. Eine Tiefe von 5 Faden findet sich denn auch zuerst im nordwestlichen Teile der Bucht, gleich hinter der Majorlinie 98 ). Die 4-Faden-Linie liegt weiter buchteinwärts nach der Trave zu. Und wenn ein Schiff auf 6 Faden ankerte, so wird es hinter den übrigen, ebenfalls im westlichen Buchtteile gelegen haben. Hierzu stimmt genau die Kartenskizze von 1773. Auf ihr liegen die Zahlenreihen, die die Tiefen von 4 bis 6 Faden bezeichnen, in der Richtung der Majorlinie, das läßt sich feststellen, weil sich eine Windrose auf der Skizze findet, und es lehrt auch schon der Augenschein. Von den einzelnen Tiefenlinien laufen noch einige Fadenzahlen auf die mecklenburgische Küste zu, die auf der Karte weiter keine Bedeutung haben, als daß sie bezeichnen sollen, wie die Wassertiefe von der Reede aus allmählich abnimmt. Sie sind aber für die
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Bestimmung der Reedelage wertvoll. Von der 6-Faden-Linie, die ja ungefähr die 10-m-Tiefenlinie ist, gehen nämlich ab die Zahlen 5 und 4 1/2. Wenn man jetzt unsere Kartenbeilage 5 b, worauf die Tiefenzahlen der Admiralitätskarte zum Teil angegeben sind, zur Hand nimmt, so sieht man, daß die 10-m-Tiefenlinie in einen Schlauch ausläuft, Dieser muß unberücksichtigt bleiben, er ist auf der Admiralitätskarte von 1873 noch nicht angegeben und gehört wahrscheinlich zum seither ausgebaggerten Fahrwasser 99 ), Nun muß der Ankergrund von 6 Faden auf der Skizze von 1773 dort gewesen sein, wo die 10-m-Linie sich nordwestlich von der Schlauchöffnung hinzieht. Wenn man nämlich von diesem Teile der Linie aus die Richtung auf das mecklenburgische Ufer nimmt, und zwar parallel zur Majorlinie, in deren Richtung ja die Reede verlief, so finden sich Tiefen von 8,9 und 8,8 m 100 ). Auf der Admiralitätskarte folgt dann in genau derselben Richtung die Tiefenzahl 7,5, und dann kommt bald die 6-m-Wassergrenze. Diese Tiefen entsprechen aber den Fadenzahlen, die auf der Skizze von 1773 von der 6-Faden-Linie abgehen. Denn 5 und 4 1/2 Lübecker Faden sind = 8,63 und 7,76 m 101 ). Würde man nun aber den 6-Faden-Ankerplatz auch noch auf dem zurückspringenden südöstlichen Teile der 10-m-Tiefenlinie suchen, so stimmt es schlecht, denn hier nimmt das Wasser zunächst kaum ab, es findet sich auf der Admiralitätskarte die Tiefenzahl 9,9, dann - etwas südöstlich - die Zahl 9,6 (Beilage 5 b) und schon 200 m weiter nach der Küste zu folgt die 6-m-Wassergrenze. In dieser Gegend können Tiefen von 5 und 4 1/2 Faden höchstens auf ganz winzigen Strecken oder Punkten vorhanden sein, die zu bezeichnen für die Reede wenig Zweck gehabt hätte.
Dieselbe Untersuchung kann man über die Fadenzahlen anstellen, die auf der Kartenskizze von 1773 von den beiden übrigen Tiefenlinien ablaufen. Es stimmt auch hier 102 ). Zu beachten aber
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ist besonders folgendes: Die 4-Faden-Tiefen reichen auf der Skizze nach dem mecklenburgischen Ufer zu weiter als die beiden anderen Tiefenreihen 103 ). Das würde durchaus nicht zutreffen, wenn man für den Ankergrund bei 6 Faden die ganze Breite der 10-m-Tiefenlinie in Anspruch nehmen würde. Denn dann hätte die Reihe der 4-Faden-Zahlen hier am kürzesten sein müssen. Es gehen nämlich die 4-Faden-Tiefen nach der Admiralitätskarte (Sonderkarte der Traveeinfahrt) südöstlich nur wenig über den Schlauch hinaus, der von der 10-m-Tiefenlinie abführt 104 ).
Die Reede lag also im nordwestlichen Buchtteil in der Richtung der Majorlinie: 6 Faden ungefähr auf dem nordwestlichen Teile der 10-m-Tiefenlinie, davor die 5-Faden-Tiefen, endlich, noch weiter nach der Trave zu, 4 Faden. Zwischen den einzelnen Linien sind natürlich noch mittlere Tiefen vorhanden, weil das Wasser nicht genau von 6 Faden auf 5 und 4 Faden abnimmt. Die Breite des auf der Kartenskizze bezeichneten Reedegewässers betrug etwa 600 m, die Länge (von dem Gebiet kurz hinter der 10-m-Tiefenlinie an nach der Trave zu) ungefähr 1 km das ergibt eine Fläche von etwa 3/5 qkm. Der mecklenburgische Buchtanteil aber, der ja erst gegenüber der Staatsgrenze am Priwall be-
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ginnt 105 ), wurde von dieser Reede gar nicht berührt.
Es ist ein völliges Unding, die Reede auf Grund der Kartenskizze von 1773 vor Rosenhagen zu suchen. Ganz unrichtig ist auch Rörigs Behauptung, daß die Zahl der Strandungsfälle bei Rosenhagen "beachtenswert groß" sei 106 ). Wahrscheinlich ist sie nicht einmal größer als an anderen Küstengegenden. In unserem vorigen Gutachten haben wir alles mitgeteilt, was aus unseren Akten über Strandungsfälle bei Rosenhagen hervorgeht 107 ). Es ist wenig im Verhältnisse zu den Strandungen am Priwall 108 ). Gerade der Umstand, daß die Reede dem Priwall gegenüberlag, wird wesentlich dazu beigetragen haben, daß Lübeck seinen Anspruch auf die Halbinsel, die sonst von geringem Werte ist und nur als Weide diente, die Jahrhunderte hindurch so tatkräftig verfochten hat. übrigens betrifft die Zusammenstellung bei Rörig III, S. 120 (Anm. 110) zum großen Teile überhaupt keine Strandungen bei Rosenhagen 109 ). Und warum
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sollen denn die beiden 1516 gescheiterten Schuten "Leichterboote
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und Prähme" oder "Ballastboote" gewesen sein? 110 ) Schuten waren zunächst einfach kleine Schiffe 111 ). So ist die 1660 am Priwall gestrandete Lübecker Schute, deren Kapitän Hans Lampe hieß und die Waren nach Dänemark bringen sollte, keineswegs ein Ballastboot gewesen. Ebensowenig die anderen am Priwall aufgelaufenen Schuten aus Wismar, Dänemark und Schweden 112 ).
Soweit wir in den bisherigen Untersuchungen die Lage der Reede nach den Wassertiefen bestimmt haben, die in den Quellen angegeben werden, haben wir dabei die Messungen der neuesten Seekarte zugrunde gelegt, weil diese am genauesten ist. Einige ältere Seekarten aus dem 19. Jahrhundert, die schon Anspruch auf Genauigkeit machen können, widersprechen unseren Berechnungen durchaus nicht 113 ). Die Tiefen der Travemünder Bucht können sich aber im Laufe der Jahrhunderte nicht ganz gleich geblieben sein. Es hängt das zunächst zusammen mit den Veränderungen des hohen Brodtener Ufers, an dessen Zurückdrängung das Meer seit undenklichen Zeiten gearbeitet hat. Mit der fortschreitenden Zerstörung dieses Landvorsprunges ist nach den Angaben des Lübecker Geologen P. Friedrich 114 ) dreierlei verbunden: die Entstehung des Steinriffes, die "allmähliche Verflachung der Lübecker Bucht und "das Emporwachsen einer Sandbarre in der Mündung der Trave, nämlich der Priwallhalbinsel und des Untergrundes von Travemünde". Friedrich berechnet, daß das Brodtener
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Ufer zur Zeit der Gründung Lübecks (1143) noch 800 bis 900 m weiter in die See hineinragte als 1911 115 ). Die gewaltigen, nach und nach abgespülten Sandmassen sind teils in die Niendorfer Wiek, teils in die Travemünder Bucht geschwemmt worden, wo sie sich hauptsächlich am Ufer der inneren Bucht vor der Travemündung abgelagert haben 116 ). Aber sie trugen auch zur Verflachung des Gewässers weiter seewärts bei, woran außerdem der Abbruchssand der mecklenburgischen Küste mitwirkte, der von der Strömung am Ufer entlang geführt wird 117 ). "Die Versandung der ganzen zwischen dem Brodtener Ufer und der mecklenburgischen Landseite einspringenden Travemünder Bucht", so schrieb der Lübecker Wasserbaudirektor Rehder 1898, schreitet "langsam aber stetig fort, sie ist zur Zeit dem Auge weniger erkennbar, weil sie vorwiegend auf den Uferhängen unter Wasser stattfindet . ." 118 ).
Freilich vollzieht sich die Verflachung des Buchtgewässers in weiterer Entfernung von den Küsten nur sehr allmählich 119 ).
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Immerhin wird man für die Zeit vor mehreren Jahrhunderten mit etwas größeren Tiefen gerade in der inneren Bucht rechnen dürfen. Es ist klar, daß dies für das Ergebnis unserer Untersuchungen nur günstig sein kann. Damals, als die Seekarten Waghenaers entstanden, reichte das Brodtener Ufer noch etwa 400 m weiter in die See hinein 120 ), während andererseits die Sandanschwemmungen vor dem etwas zurückspringenden Travemünder Ufer südlich vom Möwenstein noch nicht so stark waren. Mithin bot die Reede in jener Zeit den Schiffen nicht nur gegen Nordwest und Nordnordwest, sondern, wenn sie nahe vor der westlichen Buchtküste ankerten, auch noch gegen reinen Nordwind Schutz. Das muß man ja auch aus den Angaben Waghenaers schließen 121 ). Die Schiffe hatten dann nach den heutigen Tiefenverhältnissen immer noch 4 bis annähernd 6 m Wasser, mehr als auf der Wismarer Reede, die noch nicht 4 1/2 m tief war 122 ). Je weiter dann das Brodtener Ufer zurückgewaschen wurde, desto mehr verminderte sich der Schutz gegen Nord.
Auch in der neueren Zeit haben natürlich nur die größeren Schiffe auf der Reede leichtern müssen. Es gibt zu denken, daß noch Waghenaer das Fahrwasser der Plate als ein "gutes Tief für große Schiffe" bezeichnet, also für Schiffe, die man damals noch zu den großen zählte; freilich nicht zu den größten, die besonders der westlichen Seefahrt gedient haben werden.
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Wie aber war es im Mittelalter? Auf dem Lüneburger Hansetage vom 10. April 1412 wurde über ein Gesetz beraten, wonach kein Schiff gebaut werden sollte, das mehr als 100 Last Heringe fassen könne, und kein beladenes Schiff tiefer gehen sollte als sechs lübische Ellen (3,45 m) 123 ). Das wäre gerade die Tiefe, die Waghenaer 170 Jahre später für das über die Plate führende Fahrwasser angab 124 ), eine Tiefe, die also für Schiffe, wie sie 1412 äußersten Falles zugelassen werden sollten, nicht mehr ausgereicht haben würde. Nun aber bezeichnete man in Lübeck im Jahre 1407, also um die Zeit jenes Hansetages, schon Schiffe von über 24 Last als "große" 125 ). 1428, während des Krieges um Schleswig, sprachen die vor Kopenhagen liegenden hansischen Schiffshauptleute die Erwartung aus, daß die im Fahrwasser versenkten Fahrzeuge den Feind verhindern würden, mit "großen Schiffen", die über vier Ellen tief gingen, aus dem Hafen herauszukommen 126 ). 4 1/2 - 6 Ellen (9 - 12 Fuß) Wasser genügten aber schon für Schiffe von 70 - 80 Last 127 ). So groß sind die für die Ostseefahrt gebrauchten Fahrzeuge noch bis tief ins 19. Jahrhundert hinein in der Regel nicht gewesen 128 ).
Fest steht, daß während des Mittelalters im Lübecker Verkehr die kleinen Schiffe vorgeherrscht haben 129 ), die zweifellos
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die Plate überwinden konnten. Erst seit der Mitte des 15, Jahrhunderts wäre hier nach Kloth eine Steigerung der Schiffsgrößen anzunehmen 130 ). 1455 hören wir zum ersten Male von einer Reede vor dem Lübecker Hafen, womit nur die Seereede gemeint sein kann 131 ). Elf Jahre später, 1466, klagte der Lübecker Rat darüber, daß der Hafen flacher geworden sei und die nach Lübeck bestimmten Schiffe nicht ohne zu leichtern einlaufen könnten, woraus sich merklicher Schaden ergeben habe und den Kaufleuten Kosten entständen 132 ). Durch Stromverbesserungen suchte man Abhilfe zu schaffen, sicher also handelte es sich hier um einen Übelstand, der sich noch nicht lange fühlbar gemacht hatte. Vor dem 15. Jahrhundert kann die Lübecker Seereede keine irgendwie wesentliche Rolle gespielt haben. Und sie nun gar schon für die Zeit des Barbarossaprivilegs von 1188 anzunehmen, ist ganz unmöglich.
Da die alte nautische Reede nicht im mecklenburgischen Buchtanteil lag, so hat sie für die obwaltende Streitfrage keinerlei Bedeutung, überhaupt beweist der Umstand, daß sich in der Bucht ein Ankerplatz befand, noch gar nichts für die Lübecker Ansprüche; denn das Ankern von Schiffen ist keine Lübecker Hoheitshandlung, Indem die Wismarer 1455 ein ihnen feindliches Schiff auf der Travemünder Reede wegnahmen, begingen sie eine Tat, die nur unter der Voraussetzung zu denken ist, daß mit einer Lübecker Gebietshoheit auf der Reede gar nicht gerechnet wurde 133 ). Auch die von Rörig angezogene Prahmordnung von 1580 134 ) lehrt nur die Existenz einer Seereede, aber weiter nichts. Denn Vorschriften über den Prahmbetrieb, der ja auch nicht nur auf der See vor sich ging, konnte der Lübecker Rat ohnehin erlassen. Die ankommenden Schiffer aber waren genötigt, sich den Vorschriften zu unterwerfen, weil sie sonst keine Prähme erhielten und nicht löschen konnten.
Nach Wenzel 135 ) liegt die Lösung der ganzen Streitfrage darin, daß Lübeck im 19. Jahrhundert seine Staatspraxis in Hinsicht auf die Travemünder Bucht den völkerrechtlichen Regeln
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angepaßt hat. Die früheren Rechtsverhältnisse seien dieser Tatsache gegenüber belanglos, so daß eine historische Untersuchung darüber überhaupt nicht nötig gewesen sei. In jedem Falle ist es klar, daß die Örtlichkeit der Reede im 19. Jahrhundert nicht von Wichtigkeit ist 136 ). Da aber die Ausführungen, die Rörig darüber macht, wesentliche Irrtümer enthalten, so entgegnen wir folgendes:
Die erste Quelle für diese Zeit ist die von Rörig (III, S. 96) angeführte Kartenskizze von 1803, von der uns das Lübecker Staatsarchiv freundlicher Weise ein Lichtbild besorgt hat. Auf der Skizze wird die Reede durch zwei Anker bezeichnet, die dicht beieinander liegen und, wie auch Rörig erwähnt, etwa in der Richtung der Majorlinie eingetragen sind 137 ). Sie liegen ungefähr nördlich von dem Grenzpfahl, den die Skizze an der Staatsgrenze am Priwall vermerkt, der eine Anker in der Mitte des Wassers, der andere nordwestlich davon. Im übrigen liegen sie fast in einer Linie mit dem Möwenstein, der angegeben ist und buchteinwärts von der Brodtener Rifftonne mit der roten Fahne (später Rote Wete genannt), die ebenfalls angegeben ist und sich auch auf der französischen Seekarte (Kartenbeilage 2 a bei Rörig III) vor dem Brodtener Ufer als Pavillon rouge verzeichnet findet. Zieht man von dieser Tonne aus eine Linie in genau südlicher Richtung auf das mecklenburgische Ufer, so liegen die beiden Anker buchteinwärts von dieser Linie. Hinter den beiden Ankern steht in kleinen Buchstaben das Wort: Rhede. Die Buchstaben sind genau so groß oder klein, wie sie auf der Skizze für die Ortsnamen am Lande, für den Möwenstein, die Harkenbeck usw. verwendet sind. Und das Wort "Rhede" soll natürlich nur angeben, was die Anker bedeuten; daß es hinter diesen steht, worauf Rörig mit Unrecht Wert legt, ist völlig belanglos. Auch bei der Harkenbeck, dem Möwenstein und verschiedenen Ortschaften stehen die Namen rechts dahinter. Mithin lag die Reede 1803 noch ebenso wie auf der Kartenskizze von 1773, und zwar, wie beide Karten schließen lassen, im wesentlichen dicht bei der Majorlinie und noch vor dieser nach der Trave zu. Wäre die Reede 1803 vor Rosenhagen gewesen, das auf der Skizze ange-
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geben ist, so würden die beiden Anker natürlich in der Höhe des Dorfes eingetragen sein.
Keine Quelle ist die französische Seekarte von Beautemps-Beaupré; denn aus ihr geht die Lage der Reede nicht hervor. Was Rörig (III, S. 87) aus der Karte schließen will, ist unrichtig, zum Teil ebenso an den Haaren herbeigezerrt wie die vermeintliche Außentrave bei Waghenaer. Wenn man den Ausschnitt aus der Karte betrachtet, den Rörig (III, Beilage 2 a) abgebildet hat, so sieht man in der Travemünder Bucht einen Punkt a. Mit ihm wäre nach Rörig "auf der Reede eine Stelle vermerkt", von wo sich "für den auf der Reede ankernden Schiffer" eine Ansicht von Travemünde biete, die am Kopfe der Seekarte wiedergegeben ist 138 ). Aber der Punkt a liegt ja nördlich von der Priwallgrenze, und die Reede soll doch nach Rörig bei Rosenhagen gewesen sein! Auch liegt der Punkt nicht "selbstverständlich" jenseits der Majorlinie 139 ), sondern beinahe darauf; die linke Klammer um den Punkt würde unten von der Linie noch geschnitten werden, und die neben dem Punkt stehende Tiefenzahl von 22 französischen Fuß (7,33 m) gehört noch zum Gebiet innerhalb der Majorlinie. Es ist aber wohl nur ein Zufall, daß der Punkt dicht hinter dieser Linie liegt, zumal da die Karte den "Major" nicht verzeichnet. Wahrscheinlich liegt der Punkt auf der damaligen Ansegelungslinie der Traveeinfahrt, und für Seeleute, die über die Plate fahren wollten, erfüllte in dem schwierigen Gewässer die Ansicht von Travemünde ja auch am besten ihren Zweck 140 ). Daß man die Lage der Reede nicht nach dem Punkte a bestimmen kann, lehrt ein ähnlicher Punkt auf der Seekarte. Diese zeigt nämlich auch die Neustädter Reede, wiederum ohne daß ein Anker eingetragen wäre, und hier ist ein Punkt b vermerkt, von wo man eine Ansicht von Neustadt hatte, die gleichfalls am Kopfe der Karte abgebildet ist (Prise en rade au point b). Dieser Punkt b liegt aber zwischen Tiefenzahlen von
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vier, fünf und acht französischen Fuß, und es wird ja niemand annehmen, daß auf diesen Tiefen der Ankerplatz zu suchen sei 141 ).
Ferner stehen auf der Bucht und darüber hinaus die Worte: Rade de Travemünde. Wie Rörig aus der Art, wie diese Worte eingetragen sind, einen Schluß auf die Reedelage ziehen kann, ist unverständlich. Denn es ist ja klar, daß sie in der inneren Bucht wegen der sich dort häufenden Tiefenzahlen keinen Platz fanden. Ohnehin sind die Buchstaben zum Teil auseinandergerückt, um den Tiefenzahlen Raum zu schaffen 142 ). Dasselbe ist der Fall bei der Bezeichnung "Rade de Neustadt" auf der gleichen Karte. Auch hier finden sich die Worte weit draußen bei Tiefenzahlen von 54 -57 Fuß (18 - 19 m), wo der Ankerplatz nicht war. Die deutsche Admiralitätskarte von 1873 zeigt den Anker vor Neustadt neben der 6-m-Tiefenlinie. Auf der Travemünder Bucht hat diese Karte einen Anker binnen der Majorlinie, gleich hinter Tiefenzahlen von 7 und 7,5 m. Im übrigen gelten die Bezeichnungen Rade de Travemünde und Rade de Neustadt nicht bloß für den Ankerplatz, sondern ohne Zweifel für die gesamten Gewässer der beiden Buchten, Wir haben schon in unserem vorigen Gutachten gezeigt, daß der Ausdruck "Reede" für die Travemünder Bucht gebraucht wurde 143 ), und Rörig hat es jetzt bestätigt 144 ). Es ist ja nur zu verständlich, daß man ein solches Gewässer, in dem Schiffe verkehrten und ein Ankerplatz lag, in seinem ganzen Umfange "Reede" nannte, daß also diese Bezeichnung vom eigentlichen Ankerplatze auf die ganze Bucht übertragen wurde. Reede in diesem Sinne ist aber lediglich ein geographischer Begriff. Dagegen heißt die Niendorfer Wiek, die für die Schiffahrt nicht in Betracht kommt, auf der französischen Seekarte: Anse de Niendorf.
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Schließlich finden sich auf der Karte die von Rörig nicht besprochenen Worte: Vase couverte de sable fin bonne tenue. Sie stehen hinter und zwischen den Tiefen von 30 Fuß. Daß sie sich gerade hier finden, hat seinen Grund nur darin, daß an dieser Stelle keine Tiefenzahlen vermerkt sind, also Raum für die Worte frei war. Denn den Schlick (vase) gibt es nicht nur hier, sondern auch weiter seewärts, ebenso weiter buchteinwärts binnen der Majorlinie 145 ), d. h. fast überall in der Bucht. Gerade aber vor einem Teile der Rosenhäger Küste, und zwar dem westlichen Teile, eignet sich der Grund weniger zum Ankern 146 ). Die genannten Worte der Karte gelten also gewiß nicht für den Meeresboden vor Rosenhagen, wo sie ja auch nicht stehen, sondern sie sollen offenbar die vorherrschende Beschaffenheit des ganzen Buchtgrundes und seine Brauchbarkeit fürs Ankern überhaupt angeben. Genauere Vermerke über den Grund sind ja daneben noch vielfach in Abkürzungen oder Anfangsbuchstaben auf der Karte eingetragen 147 ). Z. B. liest man weiter draußen verschiedentlich: Vase argileuse, tonhaltiger Schlick, der zum Ankern sehr geeignet ist, wie denn die Beschaffenheit des Meeresbodens überall vor der Küste kenntlich
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gemacht wird, auch da, wo keine Reeden waren 148 ). Ganz ähnlich jenem allgemeinen Vermerk über den Buchtgrund stehen auf der Karte hinter der Bezeichnung "Stein-Riff" in Klammern die Worte: Fond dangereux pour le mouillage, also eine Warnung vor dem Ankern, obwohl kaum jemand auf den Gedanken kommen konnte, hier vor Anker zu gehen. Außerdem finden sich aber auch auf dem Steinriff genauere Angaben über den Grund dutzendfach.
Rörig vergleicht die französische Seekarte mit der Karte des Travemünder Hafens im Jahre 1848 149 ). Hier entspreche der Eintragung "Rade de Travemünde" genau die Bezeichnung "Guter Ankergrund". Ganz richtig ist das nicht; denn auf der jüngeren Karte beginnen die Worte weiter buchteinwärts, fast bei 4 Faden Tiefe, und ziehen sich von hier in großen Buchstaben ebenfalls bis jenseit der Harkenbeck hin. Daraus aber, daß der Boden einer ganzen Bucht als guter Ankergrund bezeichnet wurde 150 ) - was ja auch zutraf, denn schließlich konnte man hier überall ankern -, läßt sich der übliche Ankerplatz nicht ermitteln. Überdies stehen dieselben Worte auf der Karte noch einmal, aber kilometerweit nördlich, zu beiden Seiten des letzten Steinriffauslaufes, wo das Wasser 80 Lübecker Fuß (23 m) tief ist und selbstverständlich keine Reede war. Dieser zweite Vermerk lehrt gerade, daß "guter Ankergrund" nichts weiter bedeuten soll als: reiner Grund, während das Steinriff, das sich auf der Karte mit seiner äußersten Spitze zwischen die beiden Worte einschiebt, als "Stein- und Kiesgrund" bezeichnet wird 151 ).
Wo zur Entstehungszeit der französischen Seekarte die Reede lag, ergibt sich aus der erwähnten Skizze von 1803, die gar keinen Zweifel darüber aufkommen läßt. Es ist in diesem Zusammen-
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hange einzugehen auf den Bericht des Lotsenkommandeurs Harmsen aus dem Jahre 1828 152 ), den wir nach Rörigs Meinung so ganz falsch verstanden haben sollen. Rörig 153 ) sucht zunächst gewissermaßen den Zeugenwert des Kommandeurs zu erschüttern, indem er auf dessen Schulden und auf die Zuchtlosigkeit zu sprechen kommt, die Harmsen unter den Lotsen einreißen ließ. Das alles aber hat mit der Kenntnis von der Reede, die man dem Kommandeur allerdings zutrauen muß, nichts zu tun. Und wenn der Bericht ohne Aufforderung erstattet wurde und "ganz isoliert bei den Akten liegt, so kann man doch ein derartiges Stück sehr wohl benutzen, wenn es eine klare Auskunft gibt. Dies tut der Bericht zunächst insofern, als die darin als Reedegrenze bezeichnete, vom "Major" ausgehende Linie nicht die Peillinie Gömnitzer Berg - Pohnsdorfer Mühle sein kann, die Rörig als Reedegrenze aufgestellt hat und für die gerade dieser Bericht als einziger Beweis angeführt worden war. Rörig hat seinen Irrtum ja auch zugegeben. Ferner ist klar, daß Harmsen gar keine andere Linie gemeint haben kann als die oft genannte, am Brodtener Ufer vorüberlaufende Majorlinie. Dies ist auch die einzige vom "Major" abgehende Linie, die in jener Zeit überhaupt erscheint.
Dem Kommandeur kam es darauf an, die Fischerei seiner Lotsen, denen die Berechtigung zum Fischfang abgestritten wurde, in Schutz zu nehmen. Nach Rörig (III, S. 78) wollte er sagen, daß das Gebiet am Brodtener Ufer, wo die Lotsen fischten, nicht zur nautischen Reede im Sinne des Vergleiches von 1610 gehöre, die den Travemündern verboten war. Dann aber besteht doch keine andere Möglichkeit, als daß Harmsen eine Grenzlinie für eben diese nautische Reede im Auge hatte. So ist es ja in der Tat gewesen. Rörig dagegen glaubt jetzt zwar auch, daß es sich um die Majorlinie handele, aber nur, soweit sie über das Steinriff führe, wenn nämlich die Lotsen auf dem Steinriff von dem Punkte am Brodtener Ufer aus, "wo zuerst der Gömnitzer Berg sichtbar wird", "ungefähr parallel zum Fahrwasser vor Travemünde Netze aussetzten, so blieben sie ja in der Tat außerhalb der Reede im nautischen Sinne" 154 ). Indessen ist gar nicht zu begreifen, was dann eigentlich die Majorlinie als Grenze für einen Zweck gehabt haben sollte. Ein Blick auf die Karte lehrt, daß sie für die Steinriff-Fischerei gar nicht paßt, für die ja nur eine Grenze am Platze
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gewesen wäre, die "ungefähr parallel zum Fahrwasser" verlief. Es wäre ganz sinnlos gewesen, ausgerechnet auf dem Steinriff eine noch dazu dicht am Ufer vorüberlaufende Reedegrenze anzunehmen.
All dieses Herumdeuteln an Harmsens Bericht ist vergeblich und kann nichts an der Tatsache ändern, daß der Kommandeur die Majorlinie als eine Grenze zwischen der nautischen Reede und der "offenen See" betrachtete, und zwar selbstverständlich als eine Grenze innerhalb der Travemünder Bucht, wo ja die Reede lag. Ebenso selbstverständlich ist es, daß unter "offener See" nur das Gebiet östlich von dieser Grenze begriffen werden kann, für die Reede also nur die Wasserfläche westlich von der Majorlinie, nach der Trave zu, übrig bleibt. Fraglich könnte nur sein, ob Harmsen etwa eine Reedegrenze im Auge hatte, die aus älterer Zeit stammte und für den Schiffsverkehr damals bereits überholt war, als Fischereigrenze aber nach der Ansicht des Kommandeurs noch Gültigkeit hatte. Dies ist zu untersuchen.
Wir haben in unserem vorigen Gutachten noch angenommen, daß die Majorlinie als Reedegrenze lediglich für Fischereizwecke festgesetzt worden sei, während wir eine Reedegrenze für rein nautische Zwecke als unwahrscheinlich ablehnten 155 ). Jetzt aber ist von Rörig die wichtige Nachricht beigebracht worden, daß die Majorlinie eine nautische Linie gewesen ist. Nach der Angabe des Lotsenherrn sagte 1849 der damalige Lotsenkommandeur aus: der Gömnitzer Turm (der ja die Stelle des "Majors" vertrat) diene den Lotsen "noch besonders, da er, in gerade Linie mit dem Brodtener Ufer gebracht, die Ankerplätze auf der Reede angäbe" 156 ). Das kann nur heißen, daß die Schiffe von den Lotsen auf der Linie selbst oder doch in deren Nähe verankert wurden. So ist es gewiß schon zu Harmsens Zeit gewesen. Daher auch der Wunsch, nach dem Umsturz des als "Major" bezeichneten Baumes ein neues Seezeichen als Ersatz zu erhalten. Um 1820 verlief die Majorlinie noch über 100 m weiter östlich 157 ); man hatte auf ihr 5 Faden Wasser 158 ), mehr als für die größten Schiffe nötig war. In keiner Weise ist erwiesen oder auch nur wahrscheinlich, daß, wie Rörig meint, die Majorlinie als "äußerste Linie in der Richtung nach Travemünde zu diente, wo überhaupt
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noch Schiffe verankert wurden" 159 ). Sondern es liegt nicht die geringste Veranlassung zu der Annahme vor, daß sich die Lage der Reede seit dem 18. Jahrhundert verändert habe. Freilich rechnet jene Kartenskizze von 1773 noch die 6-Faden-Tiefen mit zum Reedegebiet. Aber es ist schwerlich ein Zufall, daß die Bezeichnung "Reede vor Travemünde oder Lübeck" auf der Skizze zwischen den Tiefen von 4 und 5 Faden eingefügt ist, nicht zwischen den Tiefen von 5 und 6 Faden 160 ); denn in den beiden Fällen von 1746 und 1792, in denen wir den Ankerplatz von Schiffen auf der Reede genauer ermitteln können, lagen die Schiffe bei 5 Faden Tiefe (1746), also noch innerhalb der damaligen Majorlinie, oder noch weiter buchteinwärts (1792) 161 ).
Wo Schiffe, die etwa des Nachts und ohne Lotsenhilfe ankamen, vorläufig vor Anker gingen, ist ganz gleichgültig. Für die Lotsen aber galt die Majorlinie zweifellos nicht als äußerste Reedegrenze nach der Trave zu, sondern umgekehrt nach der See zu. Der Grund hierfür wird wiederum darin liegen, daß seewärts hinter der Majorlinie der Schutz gegen Nordwest aufhörte, den das hohe Brodtener Ufer bot. Deswegen war nach Harmsen die Reede an der Majorlinie zu Ende. Anders kann seine Eingabe von 1828 überhaupt nicht aufgefaßt werden. Das Gewässer jenseit der Majorlinie aber rechnete er bereits zur offenen See. Er hätte statt dessen auch wohl sagen können: Außenreede, eine Bezeichnung, die 1823 einmal erscheint und auf die wir sogleich zurückkommen werden; doch paßte es ihm augenscheinlich besser, den Ausdruck "See" zu gebrauchen, wo "jeder gleiches Recht" habe, also auch die Lotsen seiner Meinung nach fischen durften.
Dem widerspricht auch nicht die von Rörig angezogene kleine Abhandlung Harmsens im Schweriner Freimütigen Abendblatt vom 4. August 1826, worin er für die Errichtung eines Leuchtturmes an der mecklenburgischen Küste bei Buckhöft nordöstlich von Wismar eintrat 162 ). Denn wenn er bei dieser Gelegenheit erwähnte, daß bei Nacht kein einigermaßen großes Schiff in den Travemünder Hafen einlaufe, sondern entweder bis zum Tagesanbruche vor Anker gehe oder auf der Reede kreuze, so ist "Reede" hier etwas ganz Unbestimmtes und einfach das Gewässer
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vor dem Hafen 163 ), worunter man getrost noch einen Teil der offenen See verstehen konnte. Mit Gebietshoheit hat das gar nichts zu tun. Einen Lotsen hatten diese Schiffe nicht an Bord; ausdrücklich sagt Harmsen in seiner Abhandlung, daß Lotsen bei Nachtzeit gewöhnlich nicht herauskämen, wenn nicht Notschüsse die größte Gefahr andeuteten. Fahrzeuge, die draußen, jenseit der Majorlinie, kreuzten oder ankerten, waren noch nicht auf der eigentlichen nautischen Reede.
Wie aber verhält sich Harmsens Bericht zu den Angaben, die Rörig aus den Akten über den Fischereistreit macht, der 1823 zwischen den Schlutuper und den Travemünder Fischern ausbrach 164 )? Die Ursache des Streites lag darin, daß die Schlutuper im Gewässer vor Rosenhagen ihre Waden über die dort ausgesetzten Stellnetze der Travemünder hinweggezogen hatten. Sie bestritten den Travemündern die Berechtigung, hier zu fischen, obwohl diesen in dem Fischereivergleich von 1610 nur untersagt war, Stellnetze auf der Trave und der nautischen Reede zu verwenden. In erster Instanz wurde dieser Streit von der Lübecker Wette entschieden. Da ist es denn von Wichtigkeit, daß die Auffassung der Wette über das, was man unter der eigentlichen Reede zu verstehen hatte, mit der Meinung des Lotsenkommandeurs offenbar in Einklang zu bringen ist. Die Wette wollte nämlich die etwa "beim Möwenstein anfangende und sich von dort noch weit in die See erstreckende Außenreede" nicht mehr als Reede im Sinne des Vergleiches von 1610 auffassen 165 ). Danach war die eigentliche nautische Reede ungefähr beim Möwenstein zu Ende. Fast also könnte man glauben, daß die Wette diese Reede auf ein noch kleineres Gebiet beschränkt habe als der Lotsenkommandeur; indessen ist der Möwenstein hier nur als ungenauer Bestimmungspunkt zu werten. Das Gewässer weiter seewärts, richtiger gesagt jenseit der Majorlinie, galt als Außenreede.
Über das, was Rörig neuerdings aus den Akten über diesen Fischereistreit vorbringt, ist schwer Klarheit zu gewinnen. Eine Schwierigkeit liegt schon darin, daß das Wort "Reede" sowohl im Sinne von "nautischer Reede" als im Sinne von "Travemünder Bucht" gebraucht wurde, und nicht jedesmal ohne weiteres deutlich ist, wie man es aufzufassen hat. Wenn der Tatort vor Rosenhagen als "zwischen der Reede und Rosenhagen" gelegen bezeichnet wurde
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(einmal heißt es auch: zwischen Rosenhagen und dem Blockhause) 166 ), so ergibt sich allerdings, daß eine längs der Küste sich hinziehende Wasserfläche gemeint ist, die südlich an das Ufer und nördlich an die Reede grenzte 167 ), Mithin ist das ganze tiefe Gewässer der Bucht als Reede bezeichnet worden. Das beweist aber nicht, daß es überall als Ankerplatz diente, In keinem Falle kann angenommen werden - alle sonstigen Quellen über die Reede schließen es aus - , daß die ankernden Schiffe sich nach Belieben auf der ganzen Mitte der Bucht bis zur Harkenbeck hin verteilten. Sondern zu dieser Reede gehörte auch das Fahrwasser und die Außenreede, die jenseit der Majorlinie begann. Man kannte eben keine Reedegrenze im gebietsrechtlichen Sinne, sondern nur eine praktische Grenze, die Majorlinie. Unzulässig ist es ferner, aus der Art, wie man in diesem Streit den Fischereivergleich von 1610 auszulegen sich bemühte, Rückschlüsse auf die Verhältnisse zu machen, die zur Entstehungszeit des Vergleiches obwalteten. Denn die Akten lehren ja, daß man über den Sinn des Vergleiches sehr verschiedener Meinung war. Für die Zeit um 1610 wissen wir, abgesehen von der Lage der nautischen Reede, nur das eine, daß Lübeck bei Gelegenheit des Fischreusenstreites von 1616 die ganze Bucht Reede nannte, und zwar auch das flache Gewässer vor Rosenhagen, das für Reedezwecke unbrauchbar war.
Nun aber kann man sich eine Vorstellung davon machen, bis wieweit ans Ufer man in dem 1823 ausgebrochenen Prozesse das damals als Reede bezeichnete mittlere Buchtgewässer ungefähr rechnete 168 ). Die Schlutuper Fischer wollten nämlich den Vergleich von 1610 so auslegen, als ob die Travemünder dort, wo die Waden gezogen wurden, überhaupt nicht fischen dürften, sondern nur in der Mitte der Bucht. Diese Auslegung war unzutreffend und wurde auch hernach vom Oberappellationsgericht abgelehnt. Das Lübecker Obergericht aber, das in zweiter Instanz zu entscheiden hatte, machte sie sich zu eigen. Es sei die zwischen dem Ufer und der Reede gelegene Fischereistrecke Blockhaus - Harkenbeck in zwei Längsteile zu zerlegen, von denen der ans Ufer grenzende Teil seewärts bis dahin reichen sollte, wo die Wadenzüge anfingen, die
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ja aufs Ufer zuführten, dieser Teil sollte den Schlutupern freistehen, der andere, an die Reede grenzende Längsteil den Travemündern. Darauf aber erklärten die Travemünder, daß die Waden "an der Gränze des Fischgrundes, bis zu 4 oder 5 Faden Tiefe", ausgeworfen würden. In dem dahinter liegenden Bezirke, der ihnen zugewiesen sei, fänden sich keine Fische mehr, die nur bis zu 5 Faden Tiefe anzutreffen seien. Auch sei dieser Bezirk entweder der Travestrom außerhalb des Blockhauses (also das Fahrwasser) oder die Reede, wo sie nach dem Vergleich von 1610 gerade nicht fischen dürften 169 ). Indessen war diese Erklärung unrichtig. Daß der Fischgrund weiter seewärts reichte, ergibt sich schon aus einer Bestimmung des Vergleiches von 1826, der den ganzen Streit abschloß 170 ). Mit Recht entgegneten denn auch die Schlutuper, daß die Waden nicht an der Grenze des Fischgrundes ausgeworfen würden, sondern daß sich noch hinter der von den Waden durchzogenen Strecke Fische aufhielten. Es muß auch angenommen werden, daß das Obergericht sich über die Auswirkung seiner Entscheidung und über das, was man unter der Reede zu verstehen hatte, klar war. Da aber die Wadenzüge bei einer Tiefe von 4 bis 5 Faden (6,90 - 8,63 m) begannen, so ergibt sich für die Schlutuper eine Fischereistrecke, die sich in einer Breite von etwa 800 m an der mecklenburgischen Küste entlang zog, also bis nahe an die 10-m-Wasserlinie reichte (vgl. Beilage 5 b) 171 ). Dahinter, seewärts, sollte aber erst das Revier der Travemünder kommen und dann die Reede. Mithin kann das, was man hier Reede oder Außenreede nannte, nicht mehr weit in den mecklen-
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burgischen Buchtanteil übergegriffen haben. Es ist einfach die Verlängerung der eigentlichen nautischen Reede, wie wir sie oben festgestellt haben, nach der See zu. Eine Lübecker Gebietshoheit auf diesem Gewässer wird aber durch die bloße Bezeichnung Reede in keiner Weise dargetan.
Beiläufig sei noch aus den Akten über den Fischereistreit erwähnt, daß der Oberappellationsgerichtsrat Hach, der früher Lübecker Wetteherr gewesen war, zu Anfang seiner Relation den Tatort bezeichnete, indem er sagte, daß die Travemünder ihre Netze "ausserhalb der Trave zwischen der Rhede und dem Mecklenb. Ufer" ausgestellt hätten. Auch hieraus geht hervor, daß man die Travemünder Bucht nicht "Trave" nannte, wie Rörig es behauptet. "Außerhalb der Trave" bedeutet hier: in der See.
Zu besprechen bleiben noch zwei von Rörig benutzte Quellen, die in den Zusammenhang dieses Fischereistreites gehören, nämlich die Eingabe der Schlutuper Fischer vom November 1825 und die Bemerkungen des Navigationslehrers Sahn zu der Karte, die er 1823 über das strittige Fischereigebiet angefertigt hatte 172 ).
In der Eingabe von 1825 heißt es, daß man es für nötig halte, genau zu bestimmen, wo die sogenannte Wendseite (der größere Teil der strittigen Fischereistrecke) beginne. Schon ein Besichtigungsprotokoll vom 26. August 173 ) teile die ganze Strecke vom Blockhause bis zur Harkenbeck in zwei Teile, "wofür die Rhede den Abschnitt macht, von ihr an nämlich bis Harkenbeck, und wieder von ihr an bis zum Blockhause". Nun lasse sich aber nicht genau bestimmen, wo die Reede angehe. Die einzige vorhandene Bestimmung hierfür sei diese: Wenn man aus Travemünde ausfahre, so gewahre man bald zur linken Hand einen hohen Baum auf dem Süseler Felde, den "Major". Sobald dieser "auf die bezeichnete Art hinter das hohe Brodtener Ufer zu stehen kömmt, so ist man, nach der allgemeinen Annahme, auf der Rhede" Dieser Umstand bestimme denn auch den Anfangspunkt für die Wendseite, die von hier bis zur Harkenbeck reiche.
Wie ist dies zu verstehen? Nach Rörig so, daß die nautische Reede an der Majorlinie begonnen habe. Diese Deutung aber kann nicht zutreffen. Denn man hätte ja dann eine haarscharfe Grenze gehabt, also auch genau gewußt, von wo an die Reede zu rechnen sei. Und das wußte man gerade nicht: es wird ja ausdrücklich gesagt, daß sich der Anfang der Reede nicht genau bestimmen lasse.
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Dies aber kann nur so gemeint sein, daß schon ein Teil der Wasserfläche westlich von der Majorlinie, nach der Trave zu, zur Reede gehörte. Ferner steht Rörigs Auffassung in vollem Widerspruche zu dem Harmsenschen Bericht von 1828, den er durch eine unhaltbare Interpretation ausgeschaltet hat. Unmöglich konnte der Lotsenkommandeur die Reede da enden lassen, wo sie nach der allgemeinen Ansicht erst anfing. Da nun aber in der Eingabe der Schlutuper Fischer sich das Wort "Reede" offenbar auf die Außenreede mit bezieht, für diese gesamte Wasserfläche (Reede und Außenreede) aber keine Grenzen vorhanden waren, so nahm man als Fischereischeide die einzige bekannte und leicht feststellbare Reedelinie an, eben die Majorlinie, auf und vor der die Schiffe von den Lotsen verankert wurden. Befand man sich, von Travemünde kommend, auf dieser Linie, so war man bereits "auf der Rhede" und hatte schon eine Strecke der Reede hinter sich. An unseren Ermittelungen über den Ankerplatz wird durch die Eingabe der Fischer nichts geändert.
Sodann die Sahnsche Karte von 1823. Diese Karte ist verloren gegangen, doch hat sich der Begleittext dazu erhalten, den Rörig (III, Anl. 3) veröffentlicht Auf der Karte waren zwei Punkte, A und B, vermerkt, und Rörig (III, S. 84) stellt Erwägungen darüber an, wo der Punkt B gelegen habe, den Sahn als "Mitte der Rhede" bezeichnete. Nun aber sind in dem Begleittexte alle Bestimmungswinkel für die beiden Punkte angegeben, so daß man diese leicht auffinden kann. Unsere Beilagen 5 a und 5 b zeigen die Lage der Punkte auf der französischen Seekarte und der jüngsten Admiralitätskarte 174 ). Es ergibt sich daraus, daß der Punkt B nicht da liegt, wo Rörig ihn vermutet hat, nicht vor Rosenhagen und auch nicht weiter seewärts, sondern gerade weiter nach der Trave zu. Das hat aber gar nichts zu bedeuten. Denn "Mitte der Reede" kann hier nicht das heißen, was Rörig darunter versteht, nämlich: Mitte der nautischen Reede. Und zwar schon deswegen nicht, weil - wie Rörig für den Fall, daß der Punkt nach Travemünde zu gelegen habe, richtig gesehen zu haben scheint - ein solcher in der Mitte der nautischen Reede gelegener Punkt als Grenzpunkt keinen Zweck gehabt hätte. Es kommt nirgends ein Fischereibezirk bei Rörig vor, der bis zum Punkte B gereicht hätte, ganz abgesehen davon, daß dieser Punkt nicht auf
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der Fischereistrecke Blockhaus - Harkenbeck (Punkt A), sondern nördlich davon liegt. Zwar gelangt man, wenn man die Strecke Majorlinie - Punkt B um sich selbst verlängert, auf die Höhe von Rosenhagen. Aber nirgends wiederum wird gesagt, daß die Reede oder die Außenreede durch die Majorlinie und Rosenhagen begrenzt gewesen sei. Wie Rörig mitteilt, empfahl noch 1855 die vom Lübecker Lotsendepartement herausgegebene "Nachricht für Seefahrer" sogar den nachts eintreffenden Schiffen, auf 5 bis 6 Faden zu ankern 175 ), also weit vor dem Punkte B buchteinwärts. Die Mitte dieser Reede, die wir zum Teil schon als Außenreede ansehen, würde also viel näher bei Travemünde liegen als der Punkt B. Die Außenreede aber ging sicherlich ohne Grenze in die See über. Und es dürfte sich überhaupt ein Mittelpunkt weder für die Reede noch für die Außenreede noch für beide zusammen genau haben feststellen lassen.
"Mitte der Rhede" muß sowohl in dem Sahnschen Kartentext wie in dem Wetteprotokoll vom 26. August 1825 176 ), das sich auf die Karte bezieht, bedeuten: Mitte der Travemünder Bucht. Es wird in dem Wetteprotokoll, dessen Auszüge bei Rörig im übrigen teilweise unklar sind, gesagt, daß die strittige Wasserstrecke bis zur Harkenbeck gehe und von da in der Mitte der Reede nach Travemünde (d. h. nach dem Blockhause) zurückführe. Ferner bemerkt das Protokoll, daß in der Mitte der Reede sich keine Fische aufhielten. Beide Male kann mit "Reede" nur die Bucht gemeint sein. Es war verständlich, daß man nach Abfischung der Strecke bis zur Harkenbeck mitten durch die Bucht zurückkehrte, weil hier nicht gefischt wurde, man also niemand beim Fange in die Quere kommen konnte. Dagegen ist gar nicht einzusehen, warum man gerade durch die Mitte der nautischen Reede hätte zurückfahren sollen, die als Fischereigebiet noch in Betracht kam.
Die Richtung der Rückfahrt durch die Mitte der Bucht hat nun Sahn durch den Punkt B ausdrücken wollen, den man sich mit dem Blockhause verbunden denken muß. Festzustellen ist, daß Sahn die französische Seekarte zugrunde gelegt hat 177 ). Auf ihr liegt der Punkt B anders als auf der Admiralitätskarte, weil Rosenhagen,
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durch das der Punkt mit bestimmt wird, auf der französischen Karte unrichtig eingetragen ist. Das hat Sahn aber nicht bemerkt 178 ). Um zu ermitteln, wie er den Punkt B gefunden hat, muß man also unsere Beilage 5 a zur Hand nehmen, die den Punkt auf der französischen Karte wiedergibt. Da lehrt schon fast der Augenschein, daß der Punkt auf der Mittellinie der Bucht liegt. sieht man nämlich die Harkenbeckmündung als Ende der Bucht an, wie es ja in Lübeck geschah, und legt von der Mündung aus eine Tangente ans Brodtener Höved, so wird durch diese das Buchtgebiet nach der See zu abgeschlossen. Wenn man dann zu der Tangente unendlich viele Parallelen quer über die Bucht von Ufer zu Ufer zieht und die Mittelpunkte der Parallelen miteinander verbindet, so ist diese Verbindungslinie, die keine gerade Linie sein würde, die Mittellinie der Travemünder Bucht. Nun aber ist der Punkt B auf der Beilage 5 a fast haargenau der Mittelpunkt einer Parallele zur Tangente Harkenbeckmündung - Brodtener Höved, Linien, die man ja auf der Beilage konstruieren kann. Die winzige, kaum wahrnehmbare Abweichung hat gar nichts zu bedeuten und erklärt sich auch leicht 179 ). Der Punkt B hat auf der Sahnschen Karte zweifellos auf der Mittellinie liegen sollen. Warum nun Sahn gerade diesen Punkt der Mittellinie angenommen hat, wird sich kaum feststellen lassen, es kommt auch nicht darauf an. Mit der nautischen Reede kann der Punkt nichts zu tun haben. Viel interessanter ist der Punkt A, den wir noch besprechen werden. -
Was erfahren wir nun aus der späteren Zeit über die nautische Reede?
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Wie wir bereits erwähnt haben, wurde in der von Rörig angezogenen "Nachricht für Seefahrer" von 1855 den Schiffen, die nachts nicht eingebracht werden könnten, empfohlen, in 5 bis 6 Faden Wasser zu ankern. Selbst wenn die Kapitäne sich damals nach dem großen preußisch-dänischen oder dem englischen Faden richteten, so hatten sie bei 6 Faden 11,30 oder 10,97 m Tiefe. Damit kommt man immer noch nicht auf die Höhe von Rosenhagen, wo ja auch - laut dem Segelhandbuche von 1878 - der Ankergrund weniger gut ist 180 ). In § 4 der Lübeckischen Hafen- und Revier-Ordnungen von 1893 und 1904 181 ) heißt es, daß Schiffe bei heftigem Sturm, wenn ein gewisses Zeichen an der Signalstange der Windbake gegeben werde, nicht auf den Travemünder Hafen zusteuern dürften, sondern "auf der Rhede in 10 bis 12 Meter (5 bis 6 Faden) Wassertiefe ankern oder in See halten" müßten. Hier findet sich also zuerst der Faden auf 2 m berechnet, eine Abrundung, die aus der Zeit des Überganges zum Metermaße herrührt und dem großen preußisch-dänischen Faden (1,883 m) einigermaßen nahe kommt 182 ). Im übrigen aber handelt es sich hier ja nur um ein vorläufiges Ankern, und die Angabe der Ankertiefe von 5 bis 6 Faden bedeutet, ebenso wie in der "Nachricht" von 1855, nur einen Ratschlag, läßt aber keinen Schluß auf eine Gebietshoheit über die betreffende Wasserfläche zu. Sonst müßte man ja auch aus der Anweisung: "oder in See halten" denselben Schluß in Hinsicht auf das offene Meer ziehen dürfen. Reeden finden sich vor den Häfen vieler Städte, ohne daß diese je das Eigentum an dem Reedegewässer hätten beanspruchen können.
In dem Segelhandbuche für die Ostsee von 1878 wird gesagt, daß der gute Ankergrund (Schlick und Ton), der sich vor Travemünde bei 17 m Tiefe finde, in der Nähe der Ansegelungstonnen bei 10 und 12 m Tiefe wieder vorherrschend werde. Hier sei die Reede für Schiffe, die leichtern wollten 183 ). Allerdings lagen damals die Ansegelungstonnen von den 10 - 12-m-Tiefen noch weit ab; die Admiralitätskarte von 1873 verzeichnet die äußersten
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Tonnen seewärts, die auch in dem Segelhandbuche erwähnt werden, gar nicht weit hinter der 6-m-Tiefenlinie. Auch findet sich Schlick und Ton noch in der inneren Bucht 184 ). Bedenkt man weiter, daß auf der Karte von 1873 ein Anker noch binnen der Majorlinie (unmittelbar davor) liegt, der offenbar die Reede für Kauffahrer bezeichnet, so kann man die Stelle in dem Handbuche nicht dahin verstehen, daß mit der Wiederkehr des guten Ankergrundes zugleich die eigentliche Handelsreede beginnen sollte, deren Örtlichkeit vielmehr nicht genauer angegeben wird. Diese Reede, wohin die Schiffe von den Lotsen gesteuert wurden und wo man leichterte, muß nach der Admiralitätskarte immer noch da gelegen haben, wo sie zur Zeit des Lotsenkommandeurs Harmsen gewesen war. Unseres Wissens wird noch heute von den Travemünder Fischern die Wasserfläche zwischen dem Flußauslaufe und den letzten Fahrwassertonnen als ein Gebiet "binnen de Reide" bezeichnet. Diese Tonnen sind etwa 200 m vor der 10-m-Wasserlinie verankert und haben sich früher noch weiter buchteinwärts befunden 185 ).
Die Reede für große Kriegsschiffe übrigens, die bei 17 m Tiefe gegenüber der Harkenbeck liegt, kann ganz unberücksichtigt bleiben 186 ). Auf der neuesten Admiralitätskarte findet sich der Anker, der diese Reede angibt, noch jenseit der Peillinie Gömnitzer Turm - Pohnsdorfer Mühle 187 ). Auch Rörig (III, S. 99) bemerkt, daß die Reede für große Schiffe außerhalb der Linie liege.
Mißverständlich ist es, wenn Rörig (III, S. 129) sagt, daß nach § 3 der Hafenordnung von 1904 auf der Reede "die Verpflichtung zur Benutzung eines im Staatsdienste angestellten Lotsen" bestehe. Denn diese Verpflichtung, die viele Ausnahmen gelten läßt, besteht "für die Einfahrt von See in den Trave-
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münder Hafen und für die Ausfahrt seewärts aus ihm sowie für die Flußfahrt zwischen Travemünde und Lübeck". Das ist selbstverständlich ein Unterschied. Schließlich erwähnt Rörig (III, S. 130), daß das Lübecker Gesetz betreffend das Lotsenwesen von 1909 dem Lotsenkommandeur die Aufsicht über alle staatlichen Anlagen 188 ) auch auf der Reede (außerdem in Travemünde und auf einem Teile der Trave) übertrage. Wir müssen fragen, was für Anlagen hier denn gemeint sind. Es kann sich doch nur um die Betonnung handeln. Die Tonnen aber liegen nicht im mecklenburgischen Buchtgewässer, abgesehen von der neuerdings von Lübeck zur Bezeichnung seiner neuen Grenze ausgelegten Fischereitonne vor der Harkenbeck.
Ganz irrtümlich würde die Vorstellung sein, daß Mecklenburg, indem es auf seinen Buchtanteil nicht verzichten will, gewissermaßen an den Lebensnerv der Lübecker Schiffahrt rühre. Wer hat denn die Travemünder Lotsen mitsamt ihrer Dienstflagge gehindert zu einer Zeit, in der Lübeck selber die völkerrechtlichen Regeln als maßgebend für die Bestimmung des Hoheitsrechtes in der Bucht anerkannte? Keinesfalls kann denn auch das Lotsenwesen als Beweis für Gebietshoheit über einen Teil der See ins Feld geführt werden; es hat einen ganz anderen rechtlichen Ausgangspunkt. Sonst müßte z. B. auch die Stadt Rostock bis vor kurzem einen Teil des Meeres besessen haben, überdies spielt sich die Tätigkeit der Travemünder Lotsen im Fahrwasser ab, das von Mecklenburg gar nicht beansprucht wird. Auch möchten wir glauben, daß das Lübecker Lotsenwesen nebst dem Fahrwasser früher oder später vom Reiche übernommen werden wird, wie es bei anderen deutschen Hafenstädten heute schon der Fall ist.
Eine Reede im vormaligen Sinne gibt es auf der Travemünder Bucht nicht mehr. Das Leichtern gehört der Vergangenheit an, seit moderne Dampfbagger dafür gesorgt haben, daß große Schiffe bis Lübeck fahren können. Würde man die Trave, Plate und innere Bucht wieder versanden lassen, so wäre es mit der Lübecker Schiffahrt ohnehin vorbei. Wenn heute ein Schiff ausnahmsweise und aus besonderen Gründen bei 10 bis 12 m Tiefe vor Anker geht, so ist damit nicht gesagt, daß es sich im mecklenburgischen Gewässer aufhält, denn diese Tiefen finden sich ja auch im Lübecker Buchtanteil. Sucht es sich aber das mecklenburgische Gebiet aus, von dem hier nur eine kleine Ecke in Betracht käme, so hindert niemand es daran, und niemand stört es hier.
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Der einzige angebliche Beweis, den Rörig für die angebliche Seegrenze der Reede, die Peillinie Gömnitzer Berg - Rohnsdorfer Mühle in seinem früheren Gutachten angeführt hatte, ist weggefallen. Rörig (III, 77) zieht ihn selber zurück. Damit ist eigentlich die ganze Frage erledigt. Was Rörig neuerdings vorbringt, zeigt nur, daß die Peillinie eine moderne nautische Linie ist. Dies aber wird von niemand bestritten. Sind denn nautische Linien gleichbedeutend mit Grenzen? Mit demselben Rechte kann man jede beliebige andere Linie auch für eine Gebietsscheide ausgeben.
Eine festgelegte "lineare Grenze", sagt Rörig, habe man nicht gehabt, es sei aber neuerdings der Übergang dazu "notwendig geworden" 189 ). Und da habe er denn "als Grundlage der seewärtigen Abgrenzung des Fischereibezirkes III" den Umfang der Reede so vorgeschlagen, "wie er durch die Jahrhunderte konstant gewesen" sei. Wir erwidern, daß sich diese Beständigkeit durch Jahrhunderte selbst dann keineswegs behaupten ließe, wenn der Bericht von 1828 als Quelle nicht ausgeschieden wäre.
Für die Lotsen und Seefahrer, meint Rörig, hätten Peillinie und Steinrifftonne genügt, um das Ende der Reede zu erkennen. Aber 1828 war die Reede für die Lotsen an der Majorlinie zu Ende. Auch ist ja die Steinrifftonne erst 1915 im Verlauf der Peillinie verankert worden, während sie vorher viel weiter buchteinwärts lag, ungefähr 1 km diesseit der Peillinie, zwischen dieser und dem Brodtener Höved 190 ). Und wenn die Peillinie auf 8,5 m Tiefe "frei vom Steinriff führt" 191 ), so hat das ja mit der Reede gar nichts zu tun, sondern gilt für die Fahrt über das Riff, wohl auch erst seit einer Zeit, in der man mit sehr tiefgehenden Schiffen rechnete. Ganz irreführend ist es übrigens, daß Rörig sagt, das Segelhandbuch von 1878 bringe "mit großem Fettdruck den Gömnitzer Berg als Überschrift eines besonderen Abschnitts", denn den Fettdruck findet man in dem ganzen Werke überall, oft ein paarmal auf der Seite, zur besseren Übersicht, wenn eine Reede, ein Riff, ein Leuchtturm usw. besprochen wird. Dabei ist die Peillinie auch heute nicht einmal eine Reedegrenze im rein nautischen Sinne. Für große Schiffe liegt ja der Ankergrund nach Rörig noch weiter seewärts, und es "gilt ein
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Schiff nach dem Sprachgebrauch der Lotsen jetzt bereits als auf der Reede befindlich, wenn es von der Steinrifftonne aus gerechnet hinter dem 54. Breitengrad liegt" 192 ). Danach können sich Schiffe 3 km jenseit der Harkenbeck befinden und dennoch auf der Reede sein. Reedelinien sind eben keine Hoheitsgrenzen. Für Rörig aber ist überall da, wo ein Travemünder Lotse steuert, Lübecker Gebiet. Seine Bemerkungen auf S. 99 f. lassen beinahe darauf schließen, daß er am liebsten den 54. Breitengrad als Reedegrenze annehmen würde.
Wie wir in unserem vorigen Gutachten nachgewiesen haben, ist die Peillinie Gömnitzer Berg - Pohnsdorfer Mühle nicht "uralt", denn die Mühle war 1778 "neuerbaut" 193 ). Damit ist auch einer bloßen Vermutung, daß diese Linie eine Grenze gewesen sein könne, aller Boden entzogen. Aber Rörig weiß sich zu helfen. Er ersetzt die Mühle einfach durch deren "Erhöhung" 194 ). Willkürlicher kann man gar nicht verfahren. Die Peillinie treffe die mecklenburgische Küste "ungefähr" bei der Harkenbeck. So sei es "nach den Angaben der Quelle über die seewärtige Ausdehnung der Reede bereits im 16. Jahrhundert" gewesen 195 ). Wir bitten, uns diese wichtige, bisher völlig unbekannte Quelle zu nennen.
Der "Major" auf dem Gömnitzer Berge kann für sich allein, ohne die durch die Mühle bestimmte Richtung, schon gar keine Rolle mehr spielen. Denn man kann unmöglich behaupten, daß er auf die Harkenbeckmündung zugeführt habe; mit jedem anderen Punkt hätte er sich genau so gut verbinden lassen.
Nach Rörigs Erachten würde der Gömnitzer Berg "zweifellos" schon auf Waghenaers Karte im Spiegel der Seefahrt "als Profil aufgezeichnet" sein, "wenn es nicht ein unglücklicher Zufall wollte", daß die holsteinische Küste von Travemünde an nur angedeutet sei 196 ). Aber in Waghenaers "Thresoor der Seefahrt" ist ja diese Küste nicht bloß angedeutet, wie unsere Beilage 2 ergibt. Außer-
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dem enthält dieses Werk sogar Küstenprofile der Lübecker Bucht (Beilage 2 am Kopf), und hier sieht man die mecklenburgische Küste von Wismar an, die holsteinische vom "Oosthoeck" 197 ) an, der Gömnitzer Berg aber und der Major sind nicht vermerkt.
Ohne den "Major" die alte Eiche oder Buche, die ja die eigentliche Landmarke war, hätte die Schiffahrt von dem Gömnitzer Berge schwerlich Nutzen haben können. Das zeigt sich auch darin, daß Lübeck nach dem Umsturz des Baumes ein anderes Zeichen errichtet wissen wollte. Wir haben aber weder den Berg noch den Major auf einer älteren Seekarte gefunden.
Auch die französische Seekarte gibt ihn ja nicht an. Nach Rörig (III, S.86) deswegen nicht, weil er 1815 schon umgefallen und der neue Turm noch nicht erbaut gewesen sei. Aber die Karte ist eigentlich gar nicht von 1815. Sie ist 1811 angefertigt worden, dann hat man sie mit nach Frankreich genommen und 1815 veröffentlicht 198 ). Nun rechnet Rörig mit der Möglichkeit, daß "auf dem Entwurf von 1811 der damals vielleicht noch stehende ,Major' eingetragen, 1815 aber, wo er sicher nicht mehr stand, beseitigt worden" sei 199 ). Warum jedoch soll es sich um einen bloßen Entwurf von 1811 handeln? Sicher ist überdies, daß der "Major" nicht nur 1811 noch Stand, sondern auch noch 1815; denn in diesem Jahre ist er erst umgefallen 200 ).
Ganz unmöglich ist Rörigs weitere Erwägung, daß man nun zwar wenigstens den Gömnitzer Berg auf der Karte habe anmerken können, daß aber dessen Weglassung "vielleicht einen rein äußer-
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lichen Grund" habe, weil er "ganz an den Rand der Karte gerückt" worden wäre. Um sich vom Gegenteile zu überzeugen, genügt schon ein Blick auf die Admiralitätskarte, die in nicht viel größerem Maßstabe angefertigt ist. Außerdem kann man den Berg auf der französischen Karte mit Leichtigkeit bestimmen, und es ist auch an sich schon ganz unwahrscheinlich, daß man ein wichtiges Seezeichen aus äußerlichem Grunde hätte weglassen sollen.
Durchaus irrtümlich ist ferner Rörigs Meinung, daß der Berg "indirekt aufgenommen" sei, "insofern als der auf der Karte von 1815 stehenden Pohnsdorfer Mühle eine selbständige Bedeutung als Landmarke nicht zukommt, sondern nur in Verbindung mit dem Berge". Denn auf der Seekarte der Neustädter (Lübecker) Bucht, die der dänische Marineleutnant Schultz 1860 vermessen hat, findet sich eine auf die Mühle gerichtete Peillinie: Rohnsd. M. in einer Linie mit der Mitte von "Gule Klint" (gelbes Steilufer). Und diese Linie wird auch am Rande der Admiralitätskarte von 1873 durch ein Küstenprofil bezeichnet ("Die Pohnsdorfer Mühle über dem gelben Uferabhang"). Mit dem Gömnitzer Turme hat das gar nichts zu tun. Die Linie verläuft in vollkommen anderer Richtung und gilt anscheinend für die Fahrt nach Neustadt von Osten her. Also hatte die Pohnsdorfer Mühle als Seezeichen durchaus ihre "selbständige Bedeutung". Auf einer dänischen Seekarte, "Kaart over Belterne og Sundet", von 1799 201 ) wird sie noch nicht angegeben, während die gleichnamige Karte im dänischen Seeatlas (1818) sie bereits zeigt 202 ). Die Peillinie Gömnitzer Berg - Pohnsdorfer Mühle aber ist zweifellos erst aufgekommen, seit sich der Turm auf dem Berge erhob.
An sich bestände ja der Schimmer einer Möglichkeit, daß der "Major" 1815 umfiel, bevor die ersten Abzüge von der französischen Karte gemacht wurden. Daß aber das französische Marineamt sich vor der Veröffentlichung der Karte überhaupt noch einmal mit Lübeck in Verbindung gesetzt hat, halten wir schon im Hinblick auf die ganzen Zeitverhältnisse für völlig ausgeschlossen. Unsere Ansicht jedenfalls, daß der "Major" nie auf der Karte verzeichnet gewesen ist, wird dadurch bestärkt, daß er sich auch auf den früheren Seekarten nicht findet, überdies hätte zunächst schwerlich ein Grund bestanden, ihn wieder zu löschen. Denn es
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muß noch über zehn Jahre später als 1815 etwas von dem Baume vorhanden gewesen sein, wonach man sich richten konnte. 1825 (November) erwähnten die Schlutuper Fischer ihn noch, und zwar in einer Weise, die gar keinen Zweifel darüber aufkommen läßt, das er als Merkzeichen gebraucht wurde 203 ). Ebenso wird in dem Fischereivergleich vom 7, Februar 1826 gesagt: "Die Strecke vom Blockhause an so weit hinaus, bis der Major (ein Baum auf dem Berg zu Gömnitz in Holstein) vor das Brodtener Ufer kommt" 204 ). Ein Baum, der "umstürzt", verschwindet ja noch nicht, vielleicht war nur die Krone oder ein Teil davon heruntergebrochen. Spätestens im März 1827 aber war von dem "Major" nichts mehr übrig 205 ). Wahrscheinlich hat der Hufner Mirau, zu dessen Besitztum der Gömnitzer Berg gehörte, 1826 die Reste des Baumes beseitigt. Dies wird das Jahr sein, in dem der Lübecker Senat für die Errichtung des Turmes eintrat 206 ), den dann der Herzog von Oldenburg 1828 bauen ließ.
Nach allem, was wir angeführt haben, können wir den "Major" nicht für ein altes Seezeichen von allgemeiner Bedeutung halten. Sein Zweck als Landmarke wird sich auf die Lübecker Reede beschränkt haben, weil ja die Majorlinie vor dem Brodtener Ufer eine Reedelinie war. In der von Rörig angeführten Eingabe der Lotsenherren an den Senat, worin die Erbauung eines Turmes als Ersatz für den "Major" verlangt wurde, dürften die Farben zu dick aufgetragen sein. Dies hat sich dann auch in dem Schreiben ausgewirkt, das der Konsul von Schlözer auf Ersuchen der "mit dem Lotsenwesen beauftragten" Senatoren an den Herzog von Oldenburg richtete. Doch heißt es hier, daß es sich um einen Gegenstand handele, "der für die Sicherheit der
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Rhede von großer Wichtigkeit" sei, Lübeck erbot sich sogar, erforderlichen Falles die Kosten des Turmes zu bestreiten 207 ).
Aber auch für die Lübecker Reede ist der Major gewiß kein "uraltes" Merkmal gewesen. In Waghenaers Tagen, als das Brodtener Ufer noch etwa 400 m weiter nach Osten vorragte, konnte man den Baum von der nautischen Reede aus gar nichts sehen. Im übrigen hat die Frage, seit wann der "Major" als Landmarke diente, für den vorliegenden Streit längst alle Bedeutung verloren. Es kommt ja nicht darauf an, das Alter dieser Landmarke zu bestimmen, sondern Rörig soll feststellen, daß sie in Verbindung mit der Harkenbeckmündung eine Grenze gewesen sei. Hierfür hat er nicht das Geringste vorgebracht.
Wohl aber läßt sich nachweisen, daß es eine solche Grenze überhaupt nicht gegeben haben kann. Auf der Karte des Navigationslehrers Sahn von 1823 nämlich war die Fischereistrecke bis zur Harkenbeck vermerkt 208 ). Der Punkt A auf der Karte bezeichnete das Ende dieser Strecke nach der See zu. Wenn nun die Lübecker Buchtfischerei, wie Rörig annimmt, auf Gebietshoheit beruht hätte und die Grenze dieser Hoheit durch die Peillinie Gömnitzer Berg - Pohnsdorfer Mühle oder wenigstens durch
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eine Linie Gömnitzer Berg - Harkenbeckmündung bestimmt worden wäre, so müßte der Punkt A selbstverständlich auf einer dieser Linien gelegen haben. Er lag aber, wie unsere Beilage 5 b ergibt, Hunderte von Metern hinter beiden 209 ). Sahn hat ihn einfach gegenüber der Harkenbeckmündung angenommen. Unsere Beilage beweist, daß der Punkt in gänzlich anderer Richtung zur Bachmündung liegt als die beiden genannten Linien. Und wenn man die Strecke Harkenbeckmündung - Punkt A seewärts verlängert, so berührt sie - auf der Admiralitätskarte sowohl wie auf der französischen - die holsteinische Küste in der Nähe des Pelzerhakens, ungefähr 4 1/2 km von der Stelle, wo die Peillinie Gömnitzer Turm - Pohnsdorfer Mühle die holsteinische Küste trifft 210 ). Diese Entfernung ist etwa so groß wie die Strecke von der Travemündung bis zur Harkenbeck.
Damit ist unumstößlich nachgewiesen, daß es weder die Peilliniengrenze noch die Grenze Harkenbeckmündung - Gömnitzer Berg gegeben hat.
Über die übrigen Grenzen, die Rörig für seine "Reede im weiteren Sinne" annimmt, hat er neues Material nicht vorgebracht 211 ). Daß der eine Landgrenzpunkt, die Harkenbeckmündung, nur eine rein praktische Nutzungsgrenze für die Lübecker Buchtfischerei gewesen ist, haben wir in unserem
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vorigen Gutachten dargelegt 212 ). Es wird dies bestärkt durch die Angabe in dem Lübecker Wetteprotokoll von 1825, daß in der See "über die Harkenbeck hinaus es Wind und Wetter selten zuließen, ohne Lebensgefahr Netze zu setzen" 213 ).
Als zweiten Landgrenzpunkt sieht Rörig die Brodten-Niendorfer Scheide an. Wir haben nachgewiesen, daß dies unhaltbar ist 214 ). Eine Bestätigung unserer Ausführungen hierüber von 1925 liegt in folgendem: In seiner oben erwähnten Schrift über das Brodtener Ufer setzt P. Friedrich auseinander, daß die abbrechende Küste einen natürlichen Schutz dadurch verloren habe, daß die Lübecker von jeher die vorgelagerten Steine wegholten, die aus den früher abgespülten Massen stammten. Er erwähnt bei dieser Gelegenheit eine Stelle aus dem Bretlingsprotokoll Nr. 47 vom Jahre 1744, worin es heißt:
"Steine, nach die Bollwerke außer Travemünde zu fahren, weilen so wie es von vorigen Zeiten bis hero mit den Steinfuhren nach dem Bollwerke gehalten worden, der Rammeister mit ein oder zwei Kähnen oder Waadschiffen außerhalb der Reede vom Strande holen lassen . . ."
Nun ist es klar, daß mit der "Reyde" hier nicht die nautische Reede gemeint sein kann. Sie wäre als Grenzbestimmung ganz sinnlos gewesen, weil es sich von selbst verstand, daß Steine nur außerhalb dieser Reede geholt werden konnten, auf der es natürlich überhaupt keine Steine gab. Es handelt sich also in dem Protokolle um die "Reede im weiteren Sinne", die freilich etwas anderes ist, als Rörig glaubt. Denn weil die Steine "außerhalb der Reede" und dennoch vom Brodtener Strande geholt werden sollten, so kann ein Teil dieses Strandes nicht an der Reede gelegen haben. Dieser Teil ist natürlich die Nordseite bis zur Niendorfer Scheide. Die "Reede im weiteren Sinne" aber ist eben die Travemünder Bucht 215 ). Zu dem Wetteprotokoll Stimmen die von Rörig (I, S. 32) angeführten Travemünder Aussagen von 1775, wonach "seit Jahrzehnten am Brodtener Ufer und weiter bis kurz vor Niendorf im Auftrage des Lübecker Bauhofs Steine gesammelt und fortgeholt" waren.
Natürlich fällt mit dem Landgrenzpunkt an der Niendorfer Scheide und mit der Peillinie auch die Seegrenze im Nordwesten,
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das Lot vom Grenzpfahl auf die Peillinie, weg. Dieses Lot ist überhaupt ganz willkürlich und, wie Rörig jetzt mitteilt (III, S. 140), auf Anraten des Lotsenkommandeurs gezogen worden, der in dem katholischen Kinderheim ein passendes Merkzeichen für den Landgrenzpunkt erblickte. Auf diese Weise läßt sich eine historische Grenze nicht gut begründen. Das Kinderheim ist übrigens auf der berichtigten Seekarte bereits verzeichnet. -
Zurückzuweisen ist noch eine Behauptung in dem jüngsten Schriftsatze des Lübecker Senates an den Staatsgerichtshof für das Deutsche Reich vom 29. Juni 1926 Der Senat sucht nämlich den Umstand, daß die Grenze der Lübecker Reede nach Nordwesten so weit seewärts verlaufe, damit zu erklären, daß das Brodtener Ufer in früheren Jahrhunderten sehr viel weiter in das Meer vorgeragt habe. Es seien auch gelegentlich auf dem Steinriff weit draußen Dachziegel alter Form mit den Fischnetzen heraufgezogen worden. Wahrscheinlich wird angenommen, daß dort, wohin diese Dachziegel sich durch irgendeinen Zufall, z. B. infolge der Kenterung eines mit Ziegeln beladenen Schiffes, verirrt haben, vormals Häuser standen. so etwas kann doch gar nicht ernsthaft vorgebracht werden. Denn einmal hat das Brodtener Ufer Lübeck vor 1804 überhaupt nicht gehört, und sodann sind seit der Zeit, in der dieses Ufer bis dahin reichte, wo heute die Linie Gömnitzer Turm-Pohnsdorfer Mühle daran vorüberläuft, mindestens zweitausend Jahre verflossen.
Wir schließen unsere Ausführungen über Reedelage und Reedegrenze mit folgender Feststellung:
Die alte nautische Reede, wie sie zur Zeit des Fischreusenstreites bestand, hat nahe bei der Travemündung gelegen, dort, wo wir sie auf der Kartenskizze unseres vorigen Gutachtens eingezeichnet haben. Und noch im 19. Jahrhundert hat die eigentliche Reede, soweit die Lotsen sie rechneten, an der Majorlinie geendet. Wenn außerdem in neuerer Zeit Schiffe des Nachts oder während eines die Einfahrt in die Trave verhindernden Sturmes ohne Lotsenhilfe vorläufig auf 5 bis 6 Faden oder 10 bis 12 m Wasser Anker warfen oder werfen, so ist das völlig nebensächlich, berührt auch höchstens einen verschwindenden Teil des mecklenburgischen Buchtgewässers, der aber deswegen nicht lübeckisch geworden ist.
Reedegrenzen im Rörigschen Sinne hat man nie gekannt. Es werden denn auch in den Lübecker Hafen- und Revier-Ordnungen von 1893 und 1904, § 1, zwar die Grenzen der Häfen von Trave-
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münde und Lübeck sowie der dazwischen gelegenen Flußstrecke, des Reviers, genannt, aber keine Reedegrenzen. Nach Rörig hätte es nun schon dreierlei Reeden gegeben: die nautische Reede, die "Reede im weiteren Sinne" und die Reede im Sinne von Travemünder Bucht 215a ). An dieses Dreierlei kann niemand glauben. Sondern es gab eine nautische Reede, und von ihr ging der Name als geographische Bezeichnung auf die Bucht über.
Den weiteren Inhalt des neuen Rörigschen Gutachtens können wir vorläufig nicht mehr berücksichtigen. Auf eines aber ist noch einzugehen. Wir haben im März 1925 vom Lübecker Staatsarchiv Material über den Schiffsunfall bei Rosenhagen im Jahre 1660 erhalten, den Rörig (II, S. 266f.) behandelt hatte. Eine Bearbeitung dieses Materials vermißte Rörig in dem Torso unseres vorigen Gutachtens 216 ), der ihm im Frühling 1925 zugänglich wurde. Er behauptete daraufhin in seiner Entgegnung vom 6. Juli 1925, wir hätten diesen Fall "einfach unterdrückt". Jedoch gehört der Fall nicht in den allgemeinen Teil unseres Archivgutachtens, der Rörig vorlag, sondern sollte in dem damals noch unfertigen zweiten Teile, der von der Travemünder Bucht im besonderen handelt, dargestellt werden. Das hätte Rörig schon aus unserer Anmerkung 68 in Archiv II schließen können 217 ). Inzwischen hat er nun das ganze Gutachten erhalten, worin wir den Fall von 1660 auf dreieinhalb
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Seiten (Archiv II, S. 108 - 111) besprochen und gezeigt haben, daß Rörig seine Quelle mißverstanden hat. Auch ist er durch v. Gierke (Anm. 230) auf die Hinfälligkeit seines Vorwurfes aufmerksam gemacht worden. Trotzdem hat er jetzt seine 1925 erhobene Behauptung ohne ein Wort der Berichtigung abdrucken lassen (III, S. 22).
Überhaupt ist Rörigs Diskussionsweise in dem neuen Gutachten sehr sonderbar, so auch die Art, wie er v. Gierkes Nachweis bekämpft, daß Rörig die Worte "bis ins Meer" in dem Reichsgerichtsurteil von 1890 ganz verkehrt ausgelegt hat. Man braucht nur v. Gierkes Ausführungen hierüber (S. 44) und die Entgegnung bei Rörig III, S, 65 f., Anm. 20, hintereinander zu lesen, um sich über den Wert einer solchen Diskussion, wie Rörig sie hier übt, klar zu werden, übrigens wirft Rörig uns auch diesmal Tendenz vor (III, S, 88), Es genügt dem gegenüber, darauf hinzuweisen, daß gerade seine eigene Quellenforschung über die Streitfrage sich in wichtigen Punkten als ungenau und irreführend herausgestellt hat.
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