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III.

Zur Geschichte

der Rostocker Burschenschaft

Von

Geh . Archivrat Dr. H. Grotefend

Vignette
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A us dem Nachlaß des Pastors Strecker zu Hohenkirchen sind einige Papiere aus den zwanziger Jahren in meinen Besitz gekommen, die sich auf die Rostocker Burschenschaft beziehen, deren Mitglied, und wie wir annehmen können, führendes Mitglied Strecker war. Friedrich Karl Rudolf Strecker wurde am 21. November 1800 zu Vielist als Sohn des Glasmeisters Johann Friedrich Strecker und der Margarete Hedwig Christiane, geb. Fischer, geboren. Am 17. März 1819 wurde er zu Rostock als Stud. jur. immatrikuliert, muß sich aber bald der Theologie zugewendet haben, da er im Wintersemester 1822/3 außer Geschichte der letzten 3 Jahrhunderte Kirchengeschichte und Homiletik belegt hatte. Das letztere Kolleg läßt doch auf ein schon vorgeschrittenes theologisches Studium schließen. Bei dem Auszuge der Rostocker Studenten nach Bützow am 13. Februar 1823 1 ) war er einer der vier Präsiden, er wird in einem aus seinem Nachlaß stammenden Verzeichnis der Ausgezogenen unter den Präsiden an erster Stelle genannt. Dieser hervorragenden Stellung dürfte die Erhaltung der beiden Briefe zuzuschreiben sein, deren Wiedergabe an dieser Stelle in etwas die Lücke auszufüllen geeignet ist, die in der Geschichte der Rostocker Burschenschaft in den Jahren 1820 bis 1822 klafft. Hofmeister sagt in seiner Arbeit über das Rostocker Studentenleben 2 ): "Bei der 400jährigen Jubelfeier der Universität am 11. und 12. November [1819] hatte die Burschenschaft teilgenommen, mit dem 22. Februar 1820 aber brechen die Protokolle [der Vorsteherversammlungen der Burschenschaft] plötzlich ab," und weiter: "Aus den nächsten Jahren bis 1822 ist nichts besonderes zu berichten." Hier mögen die folgenden Blätter einiges, wenn auch nicht sehr bedeutendes Licht


1) Hierüber: Hofmeister, Rostocker Studentenleben, im Archiv für Kulturgeschichte, IV, 344 f.
2) A. a. O. S. 343.
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gewähren. Wenn Hofmeister berichtet, daß die Rostocker Burschenschaft infolge der Karlsbader Beschlüsse vom August 1819 und der darauf ergehenden Mecklenburgischen Verordnung vom 27. Oktober 1819 für aufgelöst erklärt wurde, trotzdem "diese Vereinigung keine politische Tendenz hatte", und daß "jede künftige Vereinbarung ähnlicher Art, sie habe Namen, wie sie wolle", schlechterdings verboten wurde, so sehen wir aus dem ersten der Briefe, dem vom 14. November 3 ) 1820, daß damals in Rostock eine Germania die burschenschaftliche Sache vertrat und daß diese Germania mit der Jenaischen Burschenschaft ein engeres Verhältnis anzuknüpfen geneigt war. Die Warnung der Jenenser, nicht durch den "besonderen Namen", den sie als "notwendiges Übel" bezeichnen, separatistische Tendenzen bei sich aufkommen zu lassen, scheint nicht unangebracht gewesen zu sein. Der zweite Brief vom Oktober 4 ) 1822 zeigt, daß in der Zwischenzeit der Anteil der Rostocker Burschenschaft "an der Sache der allgemeinen teutschen Burschenschaft" sehr erlahmt war, so daß es einer so scharfen Aufrüttelung bedurfte, wie sie der Brief der A. D. B. darsstellt. Der Brief aus Rostock, der zu dem Briefe der Jenenser von 1820 Veranlaszung gab, scheint wirklich der einzige derartige gewesen zu sein. Die Worte des zweiten Briefes: "Ein einziges Mal habt Ihr Euch gegen Jena ausgesprochen, daß Ihr Kunde zu haben wünschtet von uns," können ganz wohl auf den zwei Jahre zurückliegenden Brief bezogen werden. Daß der Rat einer engeren Verbindung mit Kiel nicht auf fruchtbaren Boden gefallen ist, können wir wohl annehmen. Es ist nicht das Geringste über eine derartige Verbindung mit der stets sehr alleinstehenden, damals ja noch unter dänischer Hoheit befindlichen, Kieler Hochschule bekannt.

Mögen die Briefe nunmehr für sich sprechen! Die im zweiten Briefe angekündigten "Berathungen der diesjährigen Versammlung" haben sich nicht erhalten. Eine Niederschrift der "Verfassung der allgemeinen deutschen Burschenschaft" befindet sich allerdings unter den Streckerschen Papieren, aber die Kniffe in dem Papier, die von denen des Briefes von 1822 abweichen, lassen es zweifelhaft erscheinen, ob wir darin die im Briefe erwähnte "erneuerte Verfassungsurkunde" zu erblicken haben. Ihr möge an anderer Stelle Abdruck und Würdigung zuteil werden.


3) Nebelmonat, ist nicht anders zu deuten.
4) Die Leipziger Völkerschlacht, die am 18. Oktober 1818 den Sieg der Konstituierung der Allgemeinen deutschen Burschenschaft wählen ließ, hat auch dem Monat Oktober diesen "teutschen" Namen gegeben.
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1.

Jena am 14ten des Nebelmonds 1820.

Unsern herzlichen Gruß zuvor

Lieben Brüder

Mit inniger Teilnahme haben wir durch Eure Zuschrift vernommen, daß die Sache des Volkes auch im Norden unseres Vaterlandes an Euch treue Pfleger und entschlossene Kämpfer gefunden hat, die vor Allem jetzt Noth thun, wo Viele feindlich, Mehrere noch in ohnmächtiger Gleichgültigkeit und unglückseliger Selbstsucht gegenüber stehen. Euer Antrag beweißt uns zugleich, daß Ihr, dem Geiste der Burschenschaft gemäß, nach Einheit des teutschen Burschenlebens durch gleiche Grundsätze und Ein gemeinsames Ziel strebt, und nicht gesonnen seyd, Euch mit Eurer Verbindung vom Ganzen zu trennen, ohne Rücksicht auf das gemeinsame Band, welches die gleichgesinnten Brüder aller teutschen Hochschulen trotz dem finstern Spiel einer verrosteten Politik und einer feigen Ministerialparthey, welche kein Volk und kein Vaterland kennt, umziehen soll. Mit Freuden nehmen wir die vier, von Euch aufgestellten Punkte als Grundlage eines gegenseitigen freundschaftlichen Verhältnisses der beyden Hochschulen Jena und Rostock an, also, daß wir Freunde und Feinde miteinander gemein haben, die Germania in Rostock als die einzig rechtmäßige Verbindung daselbst anerkennen, die von ihr ausgesprochenen Verrufserklärungen nach vorhergegangener Prüfung und Billigung der Gründe genehmigen und endlich Eure Mitglieder, wenn sie hierher kommen, auf bloße Meldung hin als die unsrigen betrachten. Daß wir Eurer Verbindung im Ganzen, wie Einzelnen unserer dortigen Brüder nach Kräften und Vermögen förderlich seyn werden, bitten wir Euch nie zu bezweifeln.

Zum Schluß noch Einiges über den Stand der Dinge bey uns:

Seit dem Anfange des verflossenen Sommerhalbjahres haben sich hier 2 landsmannschaftliche Verbindungen aufgethan, welche sich Saxonia und Thuringia nennen. Nach einigen Unterhandlungen mit ihnen und in Erwägung ihrer Beschaffenheit im Ganzen wie im Einzelnen ergab sich für uns die Unmöglichkeit, sie von solchem Unsinn abzubringen, sowie auch das Glück, daß sich diese Leute von unseren reinen, vaterländischen Burschenleben in einen besonders für sie passenden Sumpf abgesondert

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hatten. Also kündigten wir ihnen alle Gemeinschaft mit uns auf, zumal, da sie auch unsern Unparteyschen beym Zweikampf nicht anerkannten, und erklärten sie als Feinde des vernünftigen Burschenlebens und volksthümlicher Ausbildung für unfähig zu ehrenhafter Genugthuung. Späterhin taten sie uns in Verruf, welchen wir denn gehörig zu würdigen gewußt haben. - Wir unserer Seits aber überzeugten uns täglich mehr von der Nothwendigkeit wieder als reine Burschenschaft auf unsere alte Verfassungs-Urkunde und als Glied der allgemeinen teutschen Burschenschaft aufzutreten, da mehrere andere Hochschulen und leider auch Viele unserer hiesigen Brüder durch die Germania irre geworden waren. Diese letztern, als sich das Streben zur alten Burschenschaft mehr und mehr zeigte, traten mit ihrer besondern Ansicht zurück. und verließen, da sie dieselbe nicht durchzusetzen vermochten, die Verbindung, worauf wir sogleich unsere alte Verfassungs-Urkunde (ämlich die der alten jenaischen Burschenschaft) wieder angenommen haben. Solches zur Nachricht für Euch aus unserer eignen bittern Erfahrung. Bedürft Ihr eines besondern Namens, so behaltet ihn als nothwendiges Uebel; sehet Euch aber wohl vor, daß Ihr darüber nicht an Euch selbst irre werdet. Nur zu leicht versteckt sich Aristocratismus hinter Form und Namen, die an sich gleichgültig sind; und wo dieser herrscht, wird das freye, rechtliche Gemeinwesen, wie es die Burschenschaft auf allen teutschen Hochschulen bezweckt, nimmer gedeihen; am wenigsten aber die einzelne Verbindung als Theil der allgemeinen teutschen Burschenschaft bestehen mögen, in deren namen schon ihr oberster Grundsatz, Allgemeinheit, liegt.

Versäumt nicht, uns baldigst auf gegenwärtiges Schreiben Bescheid zu thun, auch eine sichere Adresse zu schicken, weil wir Euch noch Vieles von Wichtigkeit mitzutheilen haben, wofür wir aber erst Eure Antwort abwarten müssen. Es ist uns Alles daran gelegen, Eure Ansicht üder die allgemeine teutsche Burschenschaft und den Stand, den Ihr zu derselben nehmen werdet, bestimmt zu erfahren.

Wir bleiben Euch in Bruderliebe zugetan.

G. A. Clemen, Sprecher.
J. F. Gentzen, Schreiber.

N: S: * ) Die Briefe die Ihr an uns schickt addressiert an Clemen stud. philos. eingeschlossen in der Addresse Herrn Buchhändler Frommann junior.


*) Von Gentzens Hand, während der Brief von Clemen geschrieben ist.
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2.
Unsern Brüdern zu Rostock Handschlag u. Gruß zuvor!

Mit Betrübniß haben wir bisher bemerkt, daß Eure Hochschule wie manche andere im Norden, bisher wenigen oder gar keinen Antheil an der Sache der allgemeinen teutschen Burschenschaft genommen hat, da wir keine Nachricht von Eurem Zustande hatten. Indeß haben wir diesmal sichere Kunde von Euch erhalten, daß die Schuld zum Theil wohl in Zeitumständen lag und auch in der weiten Entfernung von andern Hochschulen, daß aber auch Ihr zu nachlässig gewesen seid, Euch mit dem Fortgange der Grundsätze der allg. deutschen Burschenschaft bekannt zu machen. Ihr habt Euch stets Burschenschaft genannt, - obwohl Ihr in manchen Perioden eher einer Landsmannschaft ähnlicher waret als einer Burschenschaft, - und nie ist in Euch der Wunsch zur That geworden, Theil zu nehmen an den Beratungen und Fortschritten des Ganzen, dem Ihr als Theil angehören wolltet. Ein einziges Mal habt Ihr Euch gegen Jena ausgesprochen, daß Ihr Kunde zu haben wünschtet von uns; aber damit war nur die Bahn gebrochen und Ihr durftet da nicht stille stehn. Obgleich wir Jena nicht ganz lossprechen von einer Saumseligkeit und Nachlässsigkeit gegen Euch, so durftet Ihr doch nicht nachlassen, innigen Anteil zu nehmen an unsrer guten Sache. Bedenkt nur die Folgen Eures Verharrens in diesem Zustande.

Auf den übrigen Hochschulen, - die dazu noch mehr von innen und außen angefeindet werden, als wir es von der Eurigen vernahmen, - bildet sich die Sache der Burschenschaft fort und fort in Gesinnung und Wandel, durch wechselseitige Mittheilung und daher entstehenden Wetteifer der einzelnen Burschenschaften hebt sich das Leben und durch dies Ringen wird die Kraft zu einer Höhe gesteigert, der Ihr, wenn Ihr nicht jetzt dazu tretet, unmöglich folgen könnt, Ihr bleibt bei dem einmal Erfaßten stehen, geht also gegen die übrigen Hochschulen zurück und trennt Euch dadurch von der allg. Burschenschaft, deren Ideen Ihr nicht einmal verstehen werdet, und deren Sache dann nicht mehr die Eurige sein kann.

Dies aber, lieben Brüder, wollt Ihr nicht, und könnt Ihr nicht wollen, dem widersprechen auch Nachrichten von Euch, daß Ihr jetzt recht warmen Antheil an unsrer Aller Sache nehmt, und so fordern wir Euch dann auf, diesen Eifer unter Euch nicht verlöschen zu lassen, sondern durch die That zu beweisen, daß Ihr uns angehören wollt, dadurch daß Ihr künftig Abgeordnete von Eurer Hochschule an die Versammlung der allg. deutschen Burschenschaft schickt. sollten Eure Kräfte allein dazu nicht hinreichen, so

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fordern wir Euch auf, daß Ihr versucht, Euch mit der Burschenschaft in Kiel in Verbindung zu setzen, der wir dasselbe vorschlagen, in der Art, daß beide Hochschulen von den Abgeordneten einer derselben allährlich abwechselnd vertreten werden, denen die Lage jeder derselben bekannt sein muß und die die Sache jeder einzeln vorzutragen haben. - In der frohen Hoffnung, daß Ihr von nun an diesen Antheil an der allgemeinen Sache nehmt, haben wir Euch die erneuerte Verfassungsurkunde, damit Ihr Euern Brauch den Grundsätzen derselben anpassen mögt, und die Beratungen der diesjährigen Versammlung zugestellt; fordern Euch zur Prüfung derselben auf und zur Uebersendung der Beschlüsse, die Ihr darüber fassen werdet.

Als Brüder haben wir Euch dies sagen wollen mit liebevollem Herzen, und sehen mit inniger Anteilnahme an dem Schicksale Eurer Hochschule einer Antwort von Euch entgegen.

Gott zum Gruß !

Die Abgeordneten der diesjährigen
Versammlung der allg. deutschen
Burschenschaft.          

Im Siegsmonde des J. 1822.

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