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II.

Briefe aus den Kriegsjahren 1812 - 1815.

Mitgeteilt von

Kurt Elsner von Gronow, Kriegsgerichtsrat, Danzig (Langfuhr).


N un liegen sie ein Jahrhundert zurück, die trüben Zeiten, in denen die französische Gewaltherrschaft, wie ein schier unabwälzbares Joch, auf den Staaten Deutschlands lastete, und die doch dazu dienen sollten, den Stolz, den Mut, die Aufopferungsfreudigkeit zu beleben und das Bewußtsein von der Macht der Einigkeit wachzurufen, auf deren Quadern jetzt das Gebäude des Deutschen Reiches ruht. Preußen ward wohl von allen Ländern deutschen Gebietes am meisten heimgesucht, weil es wegen seiner Ausdehnung immerwährend von feindlichen und freundlichen Truppen durchschritten, besetzt und zum Kampfplatz ausersehen wurde; aber auch andere Staaten haben unendlich schwer unter dem Jammer der Kriegszeit zu leiden gehabt, nicht zum wenigsten das durch natürliche Reichtümer gesegnete Mecklenburg.

Es liegt vor mir ein interessantes Material von Briefen, das die Jahre 1812 bis 1815 umfaßt und in großen Zügen die Geschichte der Prüfungen, Enttäuschungen, Hoffnungen und seelischen Erhebungen im Lande der Mecklenburger wiedergibt. Verfasser der Briefe ist in der Hauptsache Franz Christian Lorenz Karsten (geb. 25. April 1751 in Güstrow, gest. 28. Februar 1829 zu Neuenwerder bei Rostock). Er wirkte zunächst als Professor der Nationalökonomie in Bützow und Rostock und gründete im Jahre 1793 das landwirtschaftliche Institut in Neuenwerder. Gerichtet sind die Schreiben des Professors Karsten an meine Großmutter, Julie Elsner, geb. Rosenstiel, Tochter des Kgl. Staatsrates und Direktors der Kgl. Porzellanmanufaktur Philipp Rosenstiel, zur Zeit, als sie noch als Witwe erster Ehe (mit dem Oberbergmeister, d. i. Berghauptmann von Schlesien Pochhammer) im elterlichen Hause zu Berlin lebte. Eine ihrer Schwestern - Adelaide -

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war mit einem Sohne des Briefschreibers, dem Geh. Oberbergrat Karl Johann Bernhard K., dem berühmt gewordenen Begründer der Zinkgewinnung in Schlesien, verheiratet.

Erwähnt werden in den Briefen vielfach zwei Söhne des Professors Karsten: Detlof, der Senator und dann Bürgermeister von Rostock war, und Heinrich, der dem Lützowschen Freikorps zugehörte und zuletzt als Kirchenrat in Vilz (Mecklenburg) wirkte. Von ihm rühren auch einige der nachfolgenden Schreiben her.

Was die mir vorliegenden Briefe für die kriegerische Zeit der Jahre 1812 bis 1815 Interessantes darbieten, will ich nachstehend in der Überzeugung, daß es ein größeres Leserpublikum fesseln und anregen wird, der Öffentlichkeit übergeben.

Ich beginne mit einer Zuschrift von Lorenz Karsten, datiert Neuenwerder, den 5. Dezember 1811. In dieser heißt es:

. . . . . "Ich setze es nemlich voraus, wie wir dies von der Vorsehung erflehen, daß die itzigen Zurüstungen in den politischen Umgebungen nicht auf unruhige Zeiten hin deuten. Daß wir hier nicht bloß im Druck, sondern auch wegen der Dinge, die da kommen können, in großen Sorgen leben, das werden Sie sich leicht denken können. So, wie die Dinge itzt vor Augen liegen, ist es nicht wol abzusehen, was draus werden wird; schwerlich hat Mecklenburg seit dem 30jährigen Kriege so viel gelitten als itzt. Es fehlt nur noch das Morden und Sengen und Brennen, so sind wir in eben der Lage, wie damals. Gott erhalte Ihnen die Ruhe, in der Sie itzt sind. Ich bin vor Kurzem ins Preußische Gebiet gewesen, und fand dort so treffliche Einrichtungen und eine so lobenswürdige Polizey, die auf alle Stände und Gewerbe so wolthätig wirkt, daß ich Ihr Land itzt für das glücklichste halte . . . . . ."

Am 15. Januar 1812 ist die Auffassung über die politischen Dinge schon anders geworden. Ein Brief von diesem Tage läßt sich, wie folgt, aus:

" . . . Wir fürchten hier alles, besonders seitdem unser General Friant 1 ) bey unserem Herzoge um ein Observations=Kommando an der preußischen Grentze nachgesucht hat: "weil es dort so unruhig zu werden schiene, und er nicht gerne wünschte,


1) Friant, Louis, Graf, franz. General, der sich 1812 an der Spitze einer Division bei Smolensk und in der Schlacht an der Moskova hervortat.
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daß man glauben möchte, diese Vorsichtsmaßregel rühre von ihm her." Es sind also sogleich ganz verschiedene Kommandos Meckl. Truppen detaschirt. Im Grunde kann es uns alles einerley seyn, denn die Lage, in der wir itzt sind, ist nicht besser, als wären wir mitten im Kriege! -"

Und bald darauf, am 29. Januar 1812, schreibt L. K.:
"Mit Angst und großer Erwartung beten wir itzt:

"Der hohe Himmel röthet sich,
Ein Wetter Gottes dräut."

Daß die Wolke nicht sich verteilen wird, das ist wol gewiß; aber ob sie sich weiter verbreiten wird, als itzt ihre Direktion zu seyn scheint? Wer kann das wissen? Bald werden Sie dort (Berlin) wol mehr erfahren. Gottes barmhertzige Güte leite alles zum Besten und nehme Sie und uns alle in seinen väterlichen Schutz. . . ."

Weiter heißt es in einem Briefe aus dem Februar 1812: "In diesem Augenblick, da ich dies schreibe (den 8. Februar Abends um 8), erwarten wir mit Sehnsucht die Ankunft des großen Prinzen Eckmühl, 1 ) alle unsre noch hier befindliche Truppen sind, mit Einschluß unsrer siegreichen Mecklenburger, auf einen Fleck konzentriert, und alles gespannt, wie sich dies große Problem auflösen wird. Gott leite alles zum Besten!"

Im Mai und Juni 1812 ist es wieder ruhiger im Mecklenburgischen geworden. Der Briefschreiber läßt sich unter dem 6. Mai dahin verlauten: "In politischer Rücksicht leben wir itzt in tiefer Ruhe und wir würden itzt uns glücklich nennen können, da selbst die permanenten Einquartierungen leidlich und sehr erträglich sind, wenn nur nicht die fortdauernden Kontributionen und Abgaben so manchen muthlos, manchen ganz arm machten; denn es ist dies nichts Temporäres, sondern es ist abzusehen, daß sie, bey jeder, selbst bey einer nicht zu hoffenden, Wendung unsers Schicksals, nicht nur nicht aufhören, sondern wol gar immer mehr anwachsen werden", und unter dem 25. Juni schreibt er: "Wir leben übrigens hier in tiefer Ruhe, lassen uns das, was unsre entfernteren Brüder leiden, - und was vielleicht auch schrecklich noch über uns kommen kann, - nicht anfechten. Seufzet freilich der größere Haufe unter erdrückenden Lasten, so genießt dafür der kleinere glücklichere Theil die Freuden des Lebens, - wenn sie auch gleich durch Begünstigung der Zeitumstände


1) Marschall Davout, der von Napoleon zum Fürsten von Eckmühl ernannt wurde.
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nicht grade durch moralisch gute Hülfsmittel geschafft werden, - desto reichlicher. Unser froh gelaunter Landesherr geht nachahmungswürdig mit gutem Beispiele vor, wie man die Trübsale und Kümmernisse verscheuchen muß. Er hat sich zu seiner bevorstehenden Sommerfreude in Doberan 50000 Thaler erbeten, die auch wol geschafft werden müssen. Es ist doch eine schöne Sache, souveräner Herr zu seyn! - Uebrigens stehen die Getreidepreise hier schlecht; der Landmann wird fortwährend auf alle Art gepeinigt, und die Hoffnung zu unsrer Erndte ist wieder sehr mittelmäßig. Der gute Hausvater dort oben, der nun so viele Jahrtausende gewirtschaftet hat, wird wissen, wie lange dies alles der Menschheit nützlich und gedeihlich ist!"

Unter dem 9. September 1812 findet sich in einem Briefe folgende Stelle: "Es erschallt uns ja hier so ganz plötzlich und auf einmal eine Stimme des Friedens. Ein französischer Oberster soll an seine hiesige Gemahlin geschrieben haben, der Friede mit Rußland sei abgeschlossen. Das werden Sie ja dort besser wissen, als wir. Uebrigens sind gestern die Avant=Garden von einem Armee=Korps von 10, nach anderen 15000 Mann, in Güstrow eingerückt, wo das Hauptquartier des Marschalls Augereau ist. Es heißt aber, dies Korps soll nur 14 Tage hier weilen, sich hier satt essen, und dann weiter. Keine Deutungen auf Frieden!" Nachdem L. K. am 8. Oktober Nachstehendes vermerkt hat: "Sie sind wenigstens doch darum glücklich, daß es bey Ihnen nicht kriegerische Auftritte, nicht Durchmärsche, nicht Einquartierungen giebt. Sie sind also wenigstens in der Hinsicht ruhig. Die Siegesfeste werden übrigens dort ja wol eben so feierlich begangen, als hier! Sind gleich diese Erquickungen für uns nicht so recht genießbar, so muß unser Magen sich auch hieran schon gewöhnen. - Heute kommt hier die Bestätigung eines Gerüchts, das man bisher nicht glauben wollte. Nach einem 36stündigen Bombardement hat Kopenhagen sich der alliirten schwedischen, englischen und russischen Armee ergeben. Was weiter folgen wird, müssen wir abwarten! Unsre Garnison mit aller Artillerie marschiert ab; wir sind uns wieder ganz selbst überlassen. Am 1ten Oktober ist ein Konvoy von mehreren 100 Schiffen bey Kopenhagen signalisirt. Ob sie Kaffe und Zucker oder neue Landungstruppen geladen, das wird sich bald zeigen" -, schließt er den Briefwechsel des Jahres 1812 in einem Schreiben vom 19. Dezember mit der Frage ab: "Wird dies kommende Jahr uns endlich den ersehnten Frieden bringen?".

Die ersten Briefe aus dem Jahre 1813, die sich mit den

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kriegerischen Ereignissen beschäftigen, stammen aus dem Februar und beziehen sich offenbar auf den Anschluß des Sohnes Heinrich (s. oben) an das Lützow'sche Freikorps. Es spricht aus ihnen viel väterliche Sorge und Liebe, tiefer Groll gegen den Bedrücker und Opferfreudigkeit, falls es gelte, der guten Sache zu helfen. Dem Anfange des zweiten Briefes könnte man entnehmen, daß die groß veranlagte Frauennatur meiner Altvorderin den damals schon fast 62jährigen zur Begeisterung für die gemeinsame Sache angefacht hat.

In dem ersten Schreiben heißt es:

"Was sagt denn Heinrich zu dem allen? er ließ mal in einem Briefe entfernt einen Brocken fallen, seitdem haben wir nichts weiter gehört. Junge Leute sind freilich bald enthusiasmirt; hier kommts nur darauf an, ob die Sache wirklich Sache der Menschheit ist. Ein Ritterzug ad modum Oels (Herzog von Braunschweig=Oels), Schill etc., das wäre freilich Torheit; gilts aber Zerbrechung der Tirannenfesseln, Freiheit der lebenden und kommenden Generation, Befreiung von Blutigeln, die uns das Mark aus den Gebeinen zehren, Erlösung vom schimpflichen Sklavenjoche, unter welchem wir verkauft sind, um unsre Söhne, die wir mit Kummer und Thränen groß gezogen, dem Würger hinzugeben, um mit ihrem Blute seine Herrschsucht zu mästen und mit ihren Leichnamen Raubthiere zu füttern, - stände die Sache so, nun! so wird er ja als vernünftiger und nicht ganz ungebildeter Mensch den Rath vernünftigerer Menschen, als er ist, aufsuchen, ihn gewiß finden und dann als vernünftiger Mensch mit Besonnenheit entscheiden! -"

Die zweite Zuschrift aber lautet:

"Unter so manchen widerstrebenden Gefühlen schreibe ich noch diese Zeilen hinzu, meine theuerste, herzliche Julie! die Ihnen die Feder nicht darlegen kann. Aus Ihrem letzten Briefe kenne ich Sie erst ganz in Ihrer edlen, erhabenen Größe. Sie schreiben als Mutter. Was eine Mutter thun kann, die ihr Kind unter ihrem Herzen getragen, die es mit Schmerzen und Todesgefahr zum Daseyn geholfen, das sollte dem Vater doch noch weniger schwer werden. Auch war mein Entschluß im ersten Augenblick bestimmt. Nur um einen enthusiasmirten Jüngling nicht zu sehr zu exaltiren, mußte ich einige Bedenklichkeiten äußern. Gilt es, Vaterland und Zertrümmerung der Sklavenketten, so würde ich, wenn es seyn müßte, mich selbst nicht zurückziehen. Ich kenne meine Söhne und sie denken alle so. So mußte es kommen, wenn Rettung gedenkbar war, dies habe ich längst gepredigt.

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Ohne Schmerz kann eine solche Trennung nicht seyn; aber der Gedanke muß beruhigen: es gilt für eine gute Sache. Wer weiß, was wir hier für Auftritte erleben können, die vielleicht entgegengesetzter Art sind, und dann müßte ich mich glücklich preisen, daß die Vorsehung es so gefügt. - Wird Ihr dortiger Enthusiasmus nur allgemein, so ist das Spiel bald aus. Aber, wehe uns! wenn die übrigen Großen in ihrem Sklavensinn, in ihrer trägen Indolenz fortfahren, Gut und Blut ihrer Völker zu erpressen, um mit einem Theil den Sieger zu besänftigen, damit sie den andern Theil desto sorgloser verprassen können. Die Völker selbst müssen ihre Fürsten witzigen . . . . Also hier sehen Sie in meinen Entschluß. Die Mutter muß sich wol ergeben, sie wird itzt schon vorbereitet. Gern hätte ich es gesehen, wenn mein Schwager Engel die Paar Meilen weiter zu mir gereiset wäre. Der hätte durch Darlegung aller Details viel auf das Mutterherz wirken können. - Heute erwarte ich unseren Wilhelm. Nach seiner sonstigen Gesinnung glaube ich schon seinen Entschluß bestimmen zu können. - Einen Sohn hat Gott mir nun erst vom Rande des Grabes zurückgerissen und wiedergegeben. War diese Erhaltung vielleicht Ersatz für den, der nun der Todesgefahr entgegen geht? - So sey auch dafür sein Name gepriesen! Liebe, theure Julie! geben Sie dem guten, biederen Jungen den letzten Segenskuß, so, als geben Sie ihn im Namen der Mutter. Er betritt eine gefährliche Bahn, auch in sittlicher Rücksicht. Ihr, Ihrer lieben Eltern und aller Geschwister Segen wird das bleibend und dauernd machen, was Vatersegen und Mutterthränen in seinem Herzen Gutes zu erwecken suchten. Komme es nun, wie es wolle, wir müssen auf alles gefaßt seyn.

Wie ungern reiße ich mich von Ihnen los! aber die Zeit ist dahin. Ist denn nun an Ihre Reise nicht zu denken? oder war dies nur ein schöner Traum? Es ist nicht Affektation, wenn ich Ihnen die Versicherung gebe: meine Frau freute sich unaussprechlich . . . . Ihr nächster Brief wird uns Aufschluß geben. Schreiben Sie nur grade zu; dann muß Heinrichs Angelegenheit kein Geheimniß mehr seyn. Leben Sie wol, liebe, mir so innigst theure Julie! Mit der reinsten Vaterliebe drücke ich Sie, meine Tochter! meine liebe Tochter! an dies klopfende Vaterherz. So entlassen Sie auch meinen Heinrich als Bruder, der sich Ihrer Schwesterliebe nicht unwerth gemacht hat; dieser Abschiedskuß wird das Andenken an alle die herrlichen Menschen versiegeln, die ihm Muster der Nachahmung waren; nie wird er diese Umgebungen vergessen und die leiseste Zurückerinnerung wird ihm Festigkeit

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geben, wenn im Taumel ihm bisher ganz fremder Umgebungen, die seiner itzt warten, seine guten Grundsätze wanken wollen. Gottes guter, schützender Engel walte über Sie und über uns alle; Amen!"

Man merkt es diesen Zeilen an, wie hoch das Vaterherz ging, das ein geliebtes Kind einer großen Gefahr entgegen ziehen sah.

Daß man von französischer Seite bemüht war, allerhand Nachrichten in die Welt zu setzen, die dazu dienen sollten, die Gemüter zu erschrecken und gefügig zu machen, beweist ein Brief vom 3. März 1813, in dem es heißt:

". . . Schreckliche Gerüchte von Auftritten, die in Berlin sollten vorgegangen seyn, setzten uns in Angst, bis endlich Ihr lieber Brief kam, der uns beruhigte. Aber heute ströhmen die Erzählungen wieder von allen Orten her, von so viel Schreckensscenen, die am 26sten vorgegangen seyn sollen, daß unsre Unruhe noch zu einem weit höhern Grade gestiegen ist, wie je. Halb Berlin, sagt man, soll in Asche liegen. Sie können also denken, wie uns dabey zu Muthe ist. Gott gebe, daß dies alles ebenso erlogen seyn mag, als tausend andre Gerüchte, die recht dazu ausgesonnen zu seyn scheinen, um uns zu quälen."

Dasselbe Schreiben enthält dann noch folgende interessante Stelle:

"Ein kleines Vorspiel hatten wir in diesen Tagen hier in Rostock. Unsre Garnison mit allen Duanen zogen weg. Alles ging ruhig ab, weil es Sachsen waren. Als aber der französische Kommandant zuletzt auch abfahren wollte, ward er von allen Rostocker Jungens mit Steinwürfen und Gassen=Unrath bedeckt, zum Thore hinausgejagt, und die Bürgerwache hatte Mühe, ernsteren Auftritten zu steuern. Schlimmer soll es in Hamburg und Lübeck hergegangen seyn, wo die Besatzungen zum Thore hinaus geprügelt sind, und endlich sogar nach Hamburg dänische Truppen requirirt werden mußten, um der Wuth der ergrimmten Volksmasse Grenzen zu setzen.

Wir sind hier ganz ruhig; haben keinen Schutz als unsre friedlichen Bürger. Mit Sehnsucht erwarten wir unsre Befreier, denn in den kleinen Städten hier herum liegen noch kleine Haufen, und man fürchtet sehr ihre Rückkunft, um uns für den Jungens Muthwillen zu züchtigen. Sollte dies geschehen, so wären blutige Auftritte nicht zu vermeiden. - Eine Nachricht giebt uns die bestimmte Zusicherung, daß vorgestern 30000 Schweden zu

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Ystadt eingeschifft sind, um die Pommerschen und Meckl. Häfen zu befreien. Da wird es gewiß noch etwas geben, denn in Stralsund ist noch eine ziemliche Garnison."

Im März haben sich die Verhältnisse in Mecklenburg für die Franzosen bereits ungünstiger gestaltet. Ein Brief vom 17. März läßt sich dahin aus:

". . . . Man hat uns hier sehr mit Gerüchten von Berlin geängstigt; itzt scheinen die Nachrichten günstiger; aber alles sind Sagen und Erzählungen, worauf man nicht bauen kann. Wir sind im tiefsten Frieden. Alle unsre Zuchtmeister sind weg. Unsre Schiffer arbeiten vom Morgen früh bis in die Nacht. Schon in dieser Woche wird ein beladenes Schiff auslegen. Den 10. sind 120 Kosacken in Grabow gewesen; die Officiere sind von Meckl. Officieren nach Ludwigslust eingeladen. Von beiden Seiten hat man sich mit Herzlichkeit bewillkommt. Der französische Chargé d'affaires in Schwerin ist nach Lübeck verreiset, hat aber ausdrücklich sein Quartier offen bestellt, weil er nach 3 Monaten wieder kommen will, da die Dinge einen anderen Wandel haben sollen. Der Narr! Wir haben Alexanders Verheißungen, daß keinem Meckl. ein Haar gekrümmt werden soll. Unser Kontingent wird kompletirt, um mit zu gehen. Die 120 Kosacken suchen die 3500 Mann, die 10 Kanonen bey sich haben, auf, die uns vor 8 Tagen verließen. Uebrigens leben wir in der tiefsten Unwissenheit von allem, was um uns vorgeht. Große Ereignisse müssen doch bald eintreten. Die Zeitungen sagen uns nichts . . ."

Im April sind die Schweden im Lande. Ein Brief vom 7. April sagt: "Seit Montag haben wir an den braven Schweden die längst sehnlich erwarteten Gäste. Es sind treffliche Leute; groß und stark wie die Bären, zutraulich und gutmütig wie die Turteltäubchen. Sie scheinen den schlummernden Heroismus in den Herzen aller Mecklenburger angefacht zu haben, denn seit vorgestern ist das Zuströhmen der Freiwilligen gewaltig." - Im weiteren Verlauf dieses Schreibens frägt der Vater nach dem Sohne: "Wo er itzt wol ist? Wo sind Ihre anderen Herrn Brüder? Ist Heinrich mit einem von ihnen zusammen? Eckmühl soll mit 12000 Mann ins Hannöversche gerückt seyn, um Morand zu unterstützen. Dieser ist aber bei Lüneburg aufgerieben, er selbst mit 9 Bajonet= oder Pikenstichen massakrirt. 200 unsrer Meckl. von der Garde sollen sich nach dem Zeugniß des russischen Befehlshabers sehr brav gehalten haben."

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Dieses Schreiben hat noch folgenden Zusatz erhalten:

"Diesen Augenblick kommt hier die Schreckenspost, daß 10000 Franzosen die Elbe forciren, um in Meckl. einzudringen und um jeden Preis die Häfen zu sperren. - Wie wirds uns noch gehen! Nun können unsre Freiwilligen ihr Meisterstück machen. Ob ich meine alten Knochen auch noch werde hin tragen müssen? - Immerhin, wenn es nicht anders seyn kann! - "

So schwankt die Stimmung im Lande Mecklenburg hin und her. Kurz vorher - am 3. April - hatte L. K. geschrieben:

". . . Freilich wird hier der Volksjubel auch zuweilen laut, aber doch nur blos bey uns in Rostock, wo Matrosen und die niedere Volksklasse wegen des nunmehr, mit Ausschluß nach französischen Häfen, gänzlich frey gegebenen Handels, zwischen durch ihre Freude auf ihre Art oft ungestüm äußern. In dem übrigen Theil des Landes ist diese Freude in den höheren und gebildeten Ständen wol so ziemlich allgemein, - mit Ausnahme solcher, die bisher grade durch das Unglück des Gantzen begünstigt wurden!! - Aber in den niedern Klassen herrscht abgestumpfte Indolenz. Es ist uns lieb, daß Russen und Preußen sich so gefällig für uns wollen tod schlagen lassen, aber wir selbst wollen die Hand nicht ausstrecken. Auch die Einwirkung von oben herab ist so, daß man ihr das Abgezwungene wol ansehen kann. Unter den jungen Leuten mittlerer Stände herrscht noch der größte Enthusiasmus. Unsere Studenten nehmen täglich von ein Paar alten gedienten Sergeanten Unterricht in militärischen Uebungen; so auch mehrere Kaufdiener. Manche sind aber schon heimlich, ohne Vorwissen ihrer Eltern, die ihre Zustimmung nicht geben wollten, theils nach Hamburg, theils nach Breslau abgegangen, um dort ihre Dienste anzubieten. Uebrigens leben wir hier wie im vollkommensten Frieden. Wir kennen gar kein Militär mehr, als ein Paar Ueberbleibsel, die in Schwerin noch hausen. Dies erregt denn doch oft einige Bangigkeit, wenn wir unerwarteten Besuch von versprengten feindlichen Korps kriegen sollten, welches von den Besatzungen aus den preußischen Festungen möglich seyn könnte. Dies wäre schlimm, denn auf einen Enthusiasmus, so wie er im Bergschen und Bremischen erwacht ist, dürfen wir nicht rechnen. Wir freuten uns auf den Besuch der Schweden, allein es heißt, die ersten 600 sollen Pommern besetzen, die vor 8 Tagen gelandeten 6000 wären nach Stettin bestimmt, und die Haupt=Armee von 60000 stände in Schweden bereit, um des elenden Dänemarks Erklärung abzuwarten. Sollte die für Frankreich ausfallen, so ists wol um Dänemark

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geschehen; im günstigen Falle hingegen, sollen sie nach Holland bestimmt seyn. So habe ich es von unserm hiesigen schwedischen Agenten vernommen! - Wenn nur Dantzig und Magdeburg erst den französischen Klauen entrissen wären! Dresden ist ja, Gottlob! itzt frey; die übrigen müssen sich dann wol geben, nur freilich sind doch immer die armen Einwohner zu bedauern. - Wenn doch nur Einigkeit und allgemeiner Enthusiasmus für die gute Sache unter den Fürsten und Anführern herrschte! - Was wird Oesterreich thun? noch ist uns hier keine bestimmte Erklärung authentisch bekannt."

Dann folgen eine Anzahl geschichtlich - insbesondere auch für die Geschichte Mecklenburgs - sehr interessante Briefe. Am 12. Mai schreibt L. K.: "Unsre Lage würde sonst sehr ruhig seyn, da wir hier unter dem Schutz unsrer frommen Schweden uns sicher halten können. Sie singen und beten sehr fleißig und essen und trinken ruhig und mit gutem Appetit. Aber die mannigfaltigen Gerüchte, die sich hier durchkreutzen, erwecken uns Besorgnisse. Unsre zur Messe gereißten Kaufleute sind bis dicht vor Leipzig gekommen, welches sie mit Franzosen besetzt fanden, also stehendes Fußes mit aller ihrer Habe wieder umkehrten. Dies erregte hier eine um so größere Bangigkeit, da das Gerücht einer verlohrenen Schlacht und großen Niederlage der Preußen hinten nachkamen. Briefe aus Hamburg beruhigten uns insofern, daß die am 2. gelieferte Schlacht 1 ) für Preußen glücklich ausgefallen wiewol mit einem großen Verlust verbunden gewesen. Ersteres versichern uns ja auch die letzten Zeitungen, letzteres ist denn leider! wol zu glauben, und da läßt sich denn wol die Besorgnis auch um die, die uns so nahe am Herzen liegen, nicht wol unterdrücken! - Mit der letzten Post erhielten wir ein Paar Zeilen von Heinrich aus Leipzig vom 26sten April . . . . . . . Mein Georg hat auch loosen müssen, welches mich doch wundert, da wir hier bei uns dies keinem Fremden zumuthen. Wenn nur etwas Gutes erkämpft würde! - Bey dem üblen Gemeinsinn in Deutschland wird der Kampf schwer werden. Schande genug für uns Deutsche, daß es sogar noch Verräther unter uns giebt. Wenigstens versichern uns Briefe, daß die preußische Besatzung in Merseburg durch einen solchen Auswurf der Menschheit verrathen seyn soll. Sachsen ist noch immer nicht gewonnen. Wegen Oesterreich ist man hier auch noch besorgt. Bayern und Württemberg schwanken noch. Schweden thut gar


1) Die Schlacht bei Großgörschen.
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nichts. Dänemark spielt eine alberne maskirte Rolle. - Da wird also wenigstens auf keinen geschwinden Fortgang zu hoffen seyn. Schreckliche Kämpfe, wo Blut in Strömen vergossen werden wird, stehen uns noch bevor. Wir kämpfen gegen ein lernäisches Ungeheuer.

Schon seit 6 Wochen ist der schwedische Erbprinz hier stündlich erwartet und alles für ihn in Bereitschaft. Die 12000 Schweden, die in Wismar gelandet seyn sollen, sind auf 1200 eingeschrumpft. Diese, und etwa 2000, die in der vorigen Woche von Stralsund ankamen, liegen theils bey uns, theils in den benachbarten kleinen Städten und Dörfern herum. Wenn sie wenigstens doch bis zur Elbe gingen. Wie es dort aussieht, davon wissen wir hier garnichts, nur daß Dömitz und Boitzenburg alle Augenblicke so voll Russen und Preußen sind, daß viele Einwohner ihre Häuser ganz und gar dem Militär räumen und davon gehen müssen. 30, 40 bis 50 Mann liegen in ein eintzelnes solches kleines Nest. In den Gegenden, wo die Franzosen hinkommen, soll die Gräuel nicht zu beschreiben seyn. Warlich! die sind die Glücklichsten, die mitten im Getümmel sind. Bey Gott! liebe Julie! wäre ich nicht durch meine Umgebungen so sehr gefesselt, und wären die Pflichten für die Zurückbleibenden nicht überwiegend, ich wäre längst mitten drunter. Da stirbt man doch in Ehren und nicht unter den Händen der Meuchelmörder. - Doch! vielleicht haben Sie bessere Aussichten und froheren Muth; vergeben Sie, daß meine verstimmte Laune Ihnen einen trüben Augenblick gemacht hat."

Dieser Brief hat noch folgenden Zusatz erhalten:

"Soeben kommt jemand und will aus glaubhaften Berichten versichern, Napol. sey vermißt!!"

Aus einem Schreiben vom 14. Mai ist Folgendes zu entnehmen: "Die wackeren Schweden haben unsern Kriegsmuth angefacht. Es ströhmt von allen Seiten eine Menge Freiwilliger aus allen Ständen herbey. Milde Gaben werden gesammelt, ohne Rücksicht auf Stand, Alter und Geschlecht. Damen und Kinder bilden sich, neben Männern vom Stande in bunte Gruppen und sammeln. Ist eine Deputation fort, so kommt die andre; fast möchte man sagen: es wäre beinahe des Guten zuviel. - Morgen ist der Termin, an dem es sich entscheiden wird, ob die Anzahl der Freiwilligen genügt, oder ob noch mehr herangezogen werden müssen. Alles übrige, sey es, wes Standes es wolle, nur die Prediger ausgenommen, übt sich im exerziren. Da manövriren

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Rathsherrn und Professores; Kaufleute, Schneider, Schuster und Karrenknechte, alles traulich und brüderlich durcheinander. Nur leider! fehlt es uns an Gewehren und Waffen aller Art. Einige, die selbst Gewehre haben, üben sich täglich im Ziel schießen. Mein nur erst halb rekonvalescirter Fritze 1 ) macht treulich alle Manövers mit und ist mit sich selbst unzufrieden, daß er noch nicht so viel Mark in den Knochen hat, diese Spielerey im Ernst treiben zu können. Mein Detloff 2 ) würde seiner Senatoren Würde ohngeachtet, sich unter die Kämpfer in Reih und Glied stellen, wenn er nicht seine Eltern berücksichtigte, die an ihm zu viel verliehren würden. Zum Landsturm ist indessen keiner ausgenommen, bis zum 60sten Jahr. Ich hoffe nicht, daß man die Paar Jahre, die ich schon darüber habe, mir anrechnen wird! - Unsre Waffen bestehen blos in einer 10 Fuß langen Pike von tüchtigem Holze, mit einer scharf zugespitzten verstählten 12 Zoll langen, mit langen herabgehenden eisernen Federn gesicherten eisernen Spitze versehen. Die Landleute behalten ihr Werkzeug, an dem sie gewöhnt sind, die Sense, nur daß sie grade ausgestellt wird, um auf Ziel und Stoß geschickt zu seyn. - Ach, liebe Julie! wie manche widersprechende Gefühle erwachen hier in dem Herzen des Menschen Beobachters. Es ist doch warlich! eine sehr unglückliche Zeit=Periode, in der wir leben, und wie sehr haben wir bey unsern heranwachsenden Kindern zu wachen, daß nicht eine mord= und raubsüchtige Nation, voll Menschenhaß, in ihnen hervorgeht. Es muß dies alles so seyn, aber eben weil es seyn muß, welch ein bleibender, unvertilgbarer Eindruck in die rohen Gemüther derer, denen dies harte Muß nicht aus einem richtigen Gesichtspunkt dargestellt wird. Warlich! von allen Kantzeln, Kathedern und Schulbänken sollte man es sich angelegen seyn lassen, die gegenwärtige Stimmung so zu leiten, daß nicht üppige Auswüchse entstehen, die einst dem Mutterstamm schaden können. - Doch, wo gerathe ich hin? Vergeben Sie mir diese Abschweifung, liebe Julie!

Vorgestern wurden wir durch eine plötzliche Nachricht allarmirt, daß zu Röbel - 2 kleine Meilen von der preußischen Grentze, - ein starkes Korps Franzosen angekommen wäre, die sich in der gantzen Gegend, bis disseits Güstrow herauf,


1) Friedrich Franz Karsten, geb. 8. Febr. 1796 in Neuenwerder, Dr. jur., Rechtsanwalt in Berlin.
2) Geb. 17. Dezember 1767 in Bützow, 1811 Senator in Rostock, später Bürgermeister dieser Stadt. Vgl. S. 72.
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in kleinere Detachements verbreiteten. In vielen Dörfern, bis nahe an Rostock heran, wurden Sturm=Glocken geläutet und bey uns entstand allgemeine Verwirrung. Gestern kam die Beruhigung, daß es französische Gefangene wären, die sich selbst ranzionirt hätten, und es ward in den hier umliegenden Gebüschen und Hölzungen von den Landleuten eine allgemeine Franzosen=Jagd angestellt. Ob und was? eingefangen worden, das ist wol nicht zur Kunde gekommen. - Freilich, wenn das alles wahr ist, was man uns hier berichtet, daß in Lüneburg die Lübeckschen Greuel=Scenen, womöglich in noch größerm Maße erneuet worden sind, so wäre die Wuth, auch wehrlose Menschen wie tolle Hunde tod zu schlagen, vielleicht zu entschuldigen; aber die Menschheit empört sich doch, und es bestätigt sich, was ich eben gesagt habe.

Eine sehr große Besorgniß macht uns dies, daß wir von der Elbe, die uns doch so nahe ist, gar keine Nachricht haben, und diese ist dadurch vergrößert, daß am letzten Posttage die Berliner Zeitung ausgeblieben, und die andern uns nichts sagen. Daß in Dömitz Preußen und Russen sind, daß gegen Eckmühl etwas vorgefallen seyn soll, daß aber das Eckmühl'sche Korps zu stark gewesen und also die Alliirten sich zurückziehen müssen, das alles erzählt man uns, aber etwas Bestimmtes weiß Niemand. - Vorgestern langten 1200 Schweden bey uns an, die 3 Kanonen mit sich führten. Die sind gestern wieder, auf der Landstraße nach Wismar, also vermuthlich nach Boitzenburg oder sonst wo nach der Elbe hinauf, abmarschirt. Man versichert uns, ein preußisches Korps hätte sich zwischen Magdeburg und dem Eckmühl'schen Korps geworfen. Wäre dies, so möchten die an der Elbe stehenden Truppen durch den Succurs der Schweden vielleicht stark genug zum Angriff seyn. Wahrscheinlich werden wir bald davon hören.

Daß das Lützow'sche Korps bereits in Sachsen ist, haben wir aus den Zeitungen gesehen. Vor der Hand werden wir also wol von den Unsrigen nichts hören. - Ganz unerwartet erhalten wir von Heinrich einen Brief aus Breslau vom 3ten April. Er hat als Kranker zurück bleiben müssen, doch wird er itzt wol schon fort seyn. - Eben kommt ein Reisender aus Hannover bey mir; bey seiner Abreise haben die Franzosen sich eilig zum Abmarsch gerüstet. Die deutschen Truppen sollen viel, mit Wehr und Waffen, zu den unsrigen übergehen, doch sollen in Lüneburg die Sachsen am ärgsten gehauset haben. Disseits der Elbe, zu Boitzenburg und Dömitz, soll es gepfropft

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voll Russen und Preußen liegen, von welchen täglich welche über die Elbe gehen und täglich wieder neue ankommen. Dieser Mann ist von den Generalen Benekendorff und Dörenberg scharf examinirt worden. Im Hannöverschen und Braunschweigschen schmachtet das Volk nach ihren Befreiern; alles ist zum Aufstand bereit. Vielleicht bringen uns die heutigen Zeitungen etwas. Wir erfahren nichts von dem, was in unsrer Nähe vorgeht. -"

Der nächste Brief ist vom 15. Mai datiert. Aus ihm sei nachstehendes wiedergegeben:

" . . . Daß Hamburg, obgleich die Kohorten mit unseren Meckl. vereinigt, abermal einen sehr ehrenvollen Kampf bestanden haben sollen, schrecklich bedroht wird, ist gewiß, daß auch die sehr bestimmte Erklärung von den Hamburgern dem fr. Parlamentär gegeben ist: sie würden lieber den Auftritt von Moscau erneuern, als sich ergeben, das ist auch gewiß. Eine trostreiche Nachricht war doch die gestrige: - (unser engere Ausschuß der Ritter und Landschaft hat einen Mann nach Hamburg geschickt, der, bey jedem neuen Vorgang von 6 Stunden zu 6 Stunden eine Staffette schicken muß) - daß bei der letzten Affäre 1000 Dänen hülfreiche Hand geleistet; so wären wir also doch in Absicht Dänemarks sicher. Ferner ist auch das authentisch: daß vor 4 Tagen das hier liegende Jagd Schiff unsers Herzogs nach Doberan beordert; daß bey Hofe alle Kostbarkeiten und Effekten eingepackt worden, daß der Herzog und Erbprinz sich dort einschiffen und die fürstl. Kinder weggeschickt werden sollen. Aber nach der vorgestern erfolgten retour unsers Gesandten von Paris, des Barons v. Lützow, ist alles abbestellt. Wir sind also itzt unendlich mehr für Berlin und Hamburg als für uns selbst besorgt. Gott gebe! daß Sie in Hinsicht Ihrer, uns beruhigende Nachrichten mittheilen können. Unsre Schweden sind noch immer unthätig, zum größten Verdruß der Officiere, die laut darüber murren, und sich selbst der Vorwürfe schämen, die sie laut genug hören müssen. Der Kron Prinz ist noch diese Stunde nicht auf deutschem Boden, und ehe der hier ist, soll kein Schwede vom Fleck gehen. Dies ist doch bedenklich!

Hätten wir 10000 Mann Landsturm organisirt, - für uns sicher etwas leichtes! - so würden wir so leicht nicht Ursache haben uns zu fürchten; die Franzosen müssen dann wol die Nase von der Elbe zurück halten. Itzt haben wir dort nur 500 Mann von unsern freiwilligen Fußjägern, die dem Feind schon Schaden genug thun und täglich ihm Leute tod schießen, sogar Gefangene

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herüber holen. Aber den größten coup haben sie dadurch gemacht, daß sie einen Spion bey den Ohren genommen und dadurch ganz Meckl. von unabsehbarem Unglück gerettet haben. Dies Vieh, - denn menschliche Natur kann in solchem Scheusal unmöglich wohnen, - ein Kerl, der 200000 Thaler und darüber im Vermögen hat, hat mit den Franzosen einen Holzhandel zu so viel Flössen, als zum Ueberflössen des gantzen Korps nötig sind, abgeschlossen. Man nennt ihn noch nicht, weil er in großen Verbindungen steht, aber er wird eben ins russische Hauptquartier abgeführt. -"

In demselben Briefe heißt es an einer anderen Stelle:

"Warscheinlich werden Sie dort die Proklamation des edlen Herzogs von Strelitz gelesen haben, wodurch der Land Sturm organisirt. Wie weit stehen wir hinter diesem kleinen Ländchen zurück! Welche Ordnung, welche Energie herrscht dort, da wir hingegen eigentlich selbst noch nicht recht wissen, wie wir dran sind! - Ach! es ließe sich vieles hierüber sagen!. . . . . . . Wenn doch nur dieser Kampf auf Blut und Tod uns vom Sklaven Joch frey machte! Ich sage immer: die sind die Glücklichsten, die mitten drunter sind!"

Am 22. Mai schreibt L. K.: "Haben Sie noch keine Nachrichten von allen den Unsrigen? Wie wird bey solchen Fragen uns doch so bange ums Herz! Man sehnt sich nach Antwort und man scheut sie zugleich! Gott gebe, daß Sie auch so erfreut werden, als wir gestern unverhofft durch Heinrichs anliegenden Brief erfreut wurden. Daß ich Ihnen nur eine Kopie, doch aber eine diplomatisch getreue Kopie schicke, liebe Julie! das werden Sie mir nicht verargen. Ich möchte mich so ungern von den Originalen trennen, da sie ohnehin gewiß nicht alle zur Stelle kommen. Den Brief aus Dessau haben wir nicht erhalten, und so wird es wol mit vielen gehen. - Noch leben wir in unsern Umgebungen in tiefen Frieden, nur daß es unruhiger wird, denn seitdem der Kron Prinz von Schweden, der nunmehr den deutschen Boden betreten hat, und den wir hier täglich erwarten, marschiren unsre Schweden fleißig vorwärts. Gestern marschirten unsre alten Gäste, mit allen, die in den umliegenden Orten sind, ab, die Landstraße nach Wismar, also warscheinlich nach der Elbe, und vorgestern rückten andre, etwa 600 Mann, wieder ein. - Heute erwartet man Kavallerie. Daß Hamburg von Russen und Preußen ganz leer, dagegen von lauter Dänen besetzt ist, das wissen Sie dort ja wol so gut,

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wie wir. Es sind in diesen Tagen der Parlamentäre zwischen den Dänen in Hamburg und den Franzosen viele gewechselt; itzt soll von Seiten der Dänen eine FinalErklärung ergangen seyn; wie sie lautet, weiß man nicht. Man erzählt uns hier so vieles, und so viel Widersprechendes, daß man nachgrade des Anhörens satt hat. Wir sind übrigens hier noch immer in tiefer Ruhe. Gott erhalte sie uns! Ein Theil unsres Freikorps steht an der Elbe. Fußjäger; alles sehr brave Leute, fast insgesamt gelernte Jäger, die dem Feinde vielen Schaden thun. Unsre Kavallerie wird noch immer exerzirt. Fast ists eine Ironie auf die Kavallerie. Ich glaube nicht, daß die Franzosen mehr als einen Pistolenschuß dran wenden dürfen, so brechen sie alle Arm und Bein und den Hals dazu! - Von unserm Land Sturm ist nichts zu hören. Man läßt uns ruhig unsre Pfeife rauchen und den lieben Gott walten. - Bey Dömitz und Boitzenburg leiden die armen Menschen desto mehr. Die Einquartierungen sind hart. 30 bis 40 in einem Hause und dabey alle Scheuern und Ställe voll. Alle Lebensmittel sind weggezehrt; jenseits der Elbe alles verwüstet. Es gehen also aus dem Lande starke Lieferungen von Getreide, Futter und Provisionen dort hin. Unsre Freiwilligen haben seit mehreren Wochen nichts als kleine Provisionen Kartoffeln, die sie sich selbst bereiten müssen. Sie haben auf ihrem Hinmarsch in Absicht des Satt Essens pränumerirt; sie wurden traktirt im goldnen Saal von unserm Gnädigsten Landesherrn und aufgewartet und unterhalten von der Durchl. ErbPrinzessin. Da können sie es nun freilich wol eine Zeitlang aushalten! -"

Der eingelegte Brief des Lützowers, Heinrich K., ist datiert "Perleberg den 16ten May 13" und lautet:

"Ich glaube mein letzter Brief an Sie, beste Eltern, war aus Dessau und da haben Sie denn freylich lange genug nichts von mir gehört. Mir werden Sie auch gewiß deshalb keine Schuld beymessen; ich wollte aus Havelberg an Sie schreiben, allein eben als ich mich dazu anschickte, ward ich zur Wache commandirt und da muß denn alles übrige zurückstehen. Seit jenem Briefe nun haben wir uns an mancherley Orten umhergetrieben, ich bin jetzt zum 2ten Male in Perleberg, habe den Boden meines Vaterlandes wieder betreten und bin Ihnen überhaupt so nahe gewesen, daß es mich sehr traurig gemacht hat, nicht zu Ihnen kommen zu können. Wir sind von Dessau immer disseits der Elbe heruntergegangen bis Dömitz; dort traf

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ich eine Kompagnie der Mecklenb. Jäger, worunter ich G. Engel 1 ) und mehrere alte Bekannte aus Rostock fand; die Freude hatte ich lange nicht gehabt! Sie gingen über die Elbe, wir folgten ihnen den anderen Tag, gingen aber weiter wie sie bis ohngefähr 3 Meilen hinter Danneberg; dort bivouaquirten wir die Nacht in einem Walde bey einem Dorfe Göhrde. Am Morgen rückten wir frühe aus dem Walde, gegen unsre Tirailleur=Linie um denselben und begannen die Kosacken mit Pistolenschüssen das Gefecht mit den Franzosen. Anfangs hielten sich diese in einem Walde verborgen und wollten nicht recht hervorkommen; endlich aber kamen sie; nun wurden sie von unsrer Artillerie empfangen, aber auch die ersten Schüsse hielten sie nicht aus; in der größten Unordnung flohen sie, so daß unsre Kavallerie Mühe hatte, sie beym Verfolgen einzuholen. Ich habe nie geglaubt, daß die Franzosen so fliehen würden; einige 70 Mann blieben von ihnen todt auf dem Platze und einige 40 wurden gefangen nebst mehreren Wagen voll Effekten aller Art erbeutet; auf unsrer Seite ist nur 1 Kosack und 2 Pferde geblieben, sonst kein Mann auch nur verwundet. Wenn dies nun jemand in den Zeitungen liest, so hält er es für eine, den Franzosen abgelernte Uebertreibung, wofür ich es selbst halten würde, wenn ich nicht dabey gewesen wäre. Die Franzosen waren auf diesem Punkte, der Aussage der Gefangenen nach, ohngefähr 3000 Mann stark; wir waren stärker, allein es sind von uns auch nur die Artillerie aus 3 Kanonen und 1 Haubitze bestehend und die Kavallerie beym Verfolgen ins Gefecht gekommen, die Infanterie hat nicht nöthig gehabt, einen Schuß zu thun. Die Franzosen müssen aber wohl im Hinterhalte sehr stark gewesen seyn, denn wir erhielten sogleich Befehl zum Rückzuge und am andern Tage mußten alle Truppen über die Elbe zurückgehn. Wir gingen von Dömitz nach Eldena; hier war ich nur 5 Meilen von Schwerin; ich suchte Urlaub dorthin zu bekommen, allein er war mir abgeschlagen; das war mir sehr schmerzhaft, in solcher Nähe war ich so lange nicht bey den Meinigen gewesen und doch durfte ich nicht zu ihnen! Das ist nun einmal Soldatenloos! Ueberdies hatte ich so lange von Ihnen sowohl als von Berlin keine Nachricht und gewiß habe ich von beiden Orten Briefe unterwegs, wahrscheinlich sind aber die Briefe an unser 2tes Bataillon abgegangen und das hat sich nach Schlesien zurückziehen müssen.


1) Ein Vetter. Die Frau des Vaters, L. K., war eine geborene Engel, Pfarrerstochter aus Qualitz. Vgl. S. 76.
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An Rosenstiels heute zu schreiben habe ich nicht mehr Zeit, ich muß noch an den Onkel Engel schreiben, von dem ich gestern einen Brief und Geld bekommen habe. Sie, bester Vater, geben ihnen daher wohl einige Nachricht von mir und melden zugleich der Julie, daß Briefe an unser Corps am sichersten an die Postaemter zu Lenzen, Perleberg oder Havelberg geschickt werden; wollten Sie, lieber Vater, etwa geradezu an mich schreiben, so bemerken Sie doch auf der Adresse, daß ich bey der 5ten Komp. des 1ten Bataills. stehe.

Wohin wir nun von hier gehen, mag Gott wissen; das kommt wohl vorzüglich auf die Ereignisse in Sachsen an; heute haben wir wieder die schöne Nachricht, daß Wittgenstein den ViceKönig geschlagen habe, wollte Gott sie bestätigte sich! . . . ."

Auf der Kopie fügt L. K. noch an:

"Am 17ten May sind 180 französische Gefangene mit schwedischer Eskorte in Schwerin eingebracht. Dies wäre doch der Anfang der Feindseligkeiten, wenn nur die Sage, daß der schwedische General, der mit so vieler Bravheit Hamburg gerettet, arretirt worden, unsre Freude nicht so sehr stöhrte. Die schon fertige französische SchiffBrücke ist von der schwedischen Artillerie total ruinirt, so, daß auch nicht ein eintziger Kahn ganz geblieben. - Mit diesen französischen Gefangenen ist zugleich ein stark gebundener Mensch in Schwerin eingebracht, den man für einen Spion hält. - Verrätherey ist allenthalben gar stark im Spiele; es giebt der geheimen Franzosen noch viel!!! -" und schreibt dann unter dem 24. Mai weiter: "Der KronPrinz ist noch immer in Stralsund. Man setzt nachgrade Mißtrauen in die Schweden, da man sich die Zögerungen nicht zu erklären weiß. - Die bangen Erwartungen sind würklich marternd. Wir hofften, diese große Sache sollte so bald geendigt seyn, aber scheint wol nicht so. Es wird Blut in Strömen fließen müssen, und wenn dann nur der Menschheit Ruhe erkauft würde. - Wenn Oesterreich es doch nur treu meint."

Im Juli kann der bangende Vater seinen Sohn, den Lützower, wieder in seine Arme schließen. Er berichtet darüber:

"Am 4ten Juli, grade als wir bey Tische saßen, ward uns die schreckliche Nachricht des schändlichen Verraths des Lützowschen Korps gebracht und mit so vielen NebenDetails erweitert, daß wir nicht anders glauben konnten, das gantze Korps sey aufgerieben. Wir aßen unser Brod im strengsten Sinne des Worts mit Kummer. Nach dem Essen suchte jeder seinen Winkel um

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seinen bangen Besorgnissen nachzuhängen. Da erschien auf einmal eine militärische Figur in der Thüre, die, da sie für eine vermehrte Einquartierung angesehen ward, nicht gar willkommen war. Doch der Irrtum löste sich bald, als wir unsern guten, lieben Heinrich in unsern Armen hatten. Er weilte 7 Tage bey uns, da geleitete ich ihn nach Schwerin, von wannen er wieder in sein KantonnirungsQuartier nach Hamburg abging. Was nun weiter aus ihm werden wird, das hängt von den großen Weltbegebenheiten ab, deren Ausgang wir hoffen und fürchten!" Weiter heißt es in demselben Schreiben: "Die in diesen Tagen hier eingegangene Nachricht von der gänzlichen Reinigung Spaniens durch den großen Wellington erweckt hier die Hoffnung zu einem günstigen Frieden. Ob er für Deutschland ehrenvoll und von Dauer seyn wird, das wird wol dann von Oesterreich abhängen, das zur Stunde noch seinen Entschluß zu verheimlichen scheint. Unsre Schweden, die sehr zahlreich uns umgeben, - in und um Rostock sind an 7000 Mann; an der Elbe, in Pommern u. s. f. wol über 12000 und noch so viele erwartet man, - würden uns große Hoffnungen einflößen, wenn sie vorwärts gingen. Es sind ohne Unterschied herrliche Truppen, besonders die Artillerie, deren Gewandtheit und Schnelligkeit alles zu übertreffen scheint. (Der Kron Prinz hielt vor seiner Abreise ein großes Manöver nahe in meiner Nachbarschaft, das die Bewunderung der Sachkundigen erregte.) Seit der Rückkehr des Kron Prinzen, - er soll in Stralsund seyn, - ist hier alles sehr unruhig. Die Truppen marschiren, exerziren und manövriren täglich; auf ernstes Andringen des Kron Prinzen ist unser Landsturm völlig organisirt. Alles, ohne Unterschied des Alters und Standes, vom 18ten bis 60sten Jahr muß heran, alles exerzirt und manövrirt; Herr und Knecht, Bürger und Bauer, Edelmann und Tagelöhner. Etwas Schöppenstädtisch geht es freilich dabei her. So ist z. B. mein Detloff, der als ehrenvester Rathsherr selbst Fahnenherr und Kommandeur von 3 BürgerDivisionen ist, itzt Gemeiner in der Kompagnie eines Brauers, der vormals mein Garten=Nachbar war. Mein Fritze war dagegen zum Korporal erhoben, bekleidete aber diesen Posten nur 8 Tage, weil unsre Academici, - zu welchen sich itzt mehrere andre gesellen, eine gute Intrade für unsern Rektor, - ein eigenes Korps formiren wollen. Mein Christian ist Hauptmann über 19 Dorfschaften; der Anblick seiner Feldmark würde an den Exerzirtagen, - 2 mal in der Woche, - höchst imposant seyn, wenn nicht so manches Lächerliche dabey vorfiele.

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Ein Hogarth oder Gillray 1 ) würde hier ein reiches Studium finden!

Ein andres dunkles Gerücht, das sich seit einigen Tagen hier unter der Hand verbreitet, hat uns betrübt und besorgt gemacht. Sie werden dort von der Warheit desselben besser unterrichtet seyn, als wir. Man nennt zwei große und berühmte russische Generäle, die nach Sibirien transportirt seyn sollen, weil sie Unterhandlungen mit N. gehabt haben. Wehe uns, wenn solche Männer sich so etwas zu Schulden kommen lassen! -

Vor einigen Wochen lag hier eine beträchtliche Flotte, bey welcher ein engl. und ein schwedisches Admiralsschiff befindlich war. Heinrich hatte noch das Glück, das erste in Augenschein zu nehmen. Die Transportschiffe waren alle leer und segelten, als sie etwa 8 Tage hier zugebracht hatten, wieder ab. Nur das engl. Admiralsschiff liegt hier unbeweglich. Ab und zu kommt ein Kriegsschiff, das von diesem Signale empfängt, und dann wieder absegelt. Was das bedeuten soll, darüber konjekturirt man viel. Zuweilen besucht uns der Herr Admiral hier in der Stadt. Von den Dänen hört man nichts. Meine Lisette pflegte uns sonst noch mit Nachrichten aus Schleswig zu versorgen, aber seit Hamburgs Fall hört alle Kommunikation dahin auf. Ich habe seit einem Monat Hamburger Flüchtlinge bey mir, die unter der Hand von dort Nachrichten erhalten. Das Elend soll unaussprechlich sein. Neulich ist dort eine Revolte gewesen, bey welcher über 300 Hamburger Bürger und viele Franzosen geblieben. Letztere bivouakiren auf den Gassen und vor den Thüren, weil sie in den Häusern sich nicht sicher halten."

Im August seufzt Mecklenburg unter der Last der Einquartierungen und Requisitionen. "Die Requisitionen aller Art", so heißt es in einem Brief vom 11. August, "sind für den Landmann besonders in dieser Jahreszeit, da ihm Pferde und Menschen so unentbehrlich sind, erdrückend. Wir schmachten nach dem Augenblick, da die Feindseligkeiten wieder beginnen sollen und sehen die Verlängerung des Waffenstillstandes als das größte Unglück an, das uns treffen könnte. Politische Pläne werden uns genug mitgetheilt, aber alle sind widersprechend genug. Die größte Erwartung erregt itzt der aus dem fernen Amerika herbey geeilte Held." 2 )


1) Englische Karrikaturenzeichner.
2) Moreau.
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Es folgt ein Schreiben vom 25. August, aus dem nachstehendes hervorgehoben zu werden verdient: "Wir, - d. i. wir in Rostock - sind ganz uns selbst überlassen. Hier ist gar nichts von Militär, als etwa 100 Mann Hanseaten, die vor 3 Tagen von Güstrow her bey uns einzogen. Unser Landsturm ist so wenig organisirt und exerzirt, daß wir, so oft nachtheilige Gerüchte kommen, unsre Piken und Gewehre sorgfältig verstecken. Wie es an unsrer Grenze aussieht, das werden Sie aus der Anlage von Schwerin ohngefähr ersehen. Es muß seitdem dort schlimmer geworden seyn. Man hat bei Boitzenburg mehrere Feuer gesehen; es sollen einige Höfe abgebrannt seyn, auch sollen die Feinde das dort befindliche schwedische Magazin verbrannt haben. Doch ist dies noch nicht durch nähere Nachrichten bestätigt.

Daß der Feind in diesen Gegenden unsern Freunden sehr überlegen seyn muß, und wir also nicht ohne sehr große Besorgnisse sind, ist daraus abzunehmen, daß nicht nur eintzelne Privatpersonen ihre Effekten fortschicken, vergraben etc. und in Person davon flüchten, sondern auch die hohen LandesKollegien, Regierung und Kammer gänzlich aufgelöst sind, deren Mitglieder sich seit gestern samt und sonders in unsern Mauern befinden. Es ist also des Getümmels und Treibens hier sehr viel; fast stündlich kommen Flüchtlinge mit HiobsPosten und zwischen durch mit Siegesnachrichten beladen. Mehrere Schiffe sind, mit den Effekten unsrer reichsten Kaufleute und andrer Personen befrachtet und auf den ersten Wink segelfertig. So erwarten wir in jedem Augenblick unsre ungebetenen Gäste. . . . . . . . . Das Korps (das Lützow'sche) soll schrecklichen Mangel an allen, besonders den nothwendigsten Bedürfnissen leiden. Ich hatte hier eine Kollekte veranstaltet, die gut anfing; aber die SchreckensPosten, die sich seit Sontag verbreitet haben, machten einen Stillstand.

Haben Sie denn noch keine Nachrichten von Gustav? wo ist Wilhelm? 1 ) - Doch! eigentlich sollte man dergleichen Gedanken mehr zu ersticken als zu erwecken suchen. Ich behaupte immer: Der ist der Glücklichste, der mitten drunter ist.

In diesem Augenblick kommt ein Bote aus Schwerin. - Die Franzosen sind da und man erwartet sie hier in jedem Augenblick. - Eine schwedische Batterie von 6 Kanonen und


1) Wilhelm und Gustav Rosenstiel sind die beiden Brüder meiner Großmutter, die mit an den Befreiungskriegen teilnahmen. Gustav und ein anderer Bruder Ernst fielen der blutigen Schlacht bei Großgörschen zum Opfer.
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2 Haubitzen kommt eben an. 3000 Engl. sollen gleichfalls von Stralsund unterwegs seyn. Die Spannung, die Verwirrung, das Getümmel der ankommenden Flüchtlinge ist hier groß. Vielleicht mit nächster Post mehr. Gott weiß, was uns bevorsteht.

. . . . . . . in größter Eile. Noch in der Geschwindigkeit dies: - Vegesack, der schwedische General ist mit 10000 Mann Schweden und etwa 1000 Meckl. auf Schwerin gestern gegangen. Wallmoden kommt von Boitzenb. mit etwa 13000; der Preuß. General Bülow soll ebenfalls gestern im Anmarsch gewesen seyn. In der Gegend von Wittenburg - 4 Meilen von Schwerin - steht Eckmühl mit 45000. Höchst warscheinl. ist es gestern zum blutigen Kampf gekommen, ein Kampf, der es entscheiden wird, ob wir wieder Rhein Verbündete Sklaven oder freie Deutsche werden."

Beigefügt ist wieder ein Brief des Sohnes Heinrich, der also lautet:

Im Lager bey Büchen, 2 Meilen von Lauenburg,
d. 17. August 1813.

Nur ein paar Zeilen heute, beste Eltern, um Ihnen nur etwas Nachricht von mir zu geben; denn daß sowohl die Gelegenheit zum Schreiben, als das Schreiben selbst hier etwas sehr schwieriges ist, ersehen Sie wohl schon aus dem Orte, wo es geschehen muß. Wir haben uns hier ein Lager errichtet, und liegen darin seit 2 Tagen, wie lange es noch währen wird, mag Gott wissen. Gestern ist der Waffenstillstand abgelaufen, ob nun die Feindseligkeiten wieder anfangen werden oder nicht, wissen wir nicht d. h. wir kleinen, unbedeutenden Wesen. Es kommt mir aber gar nicht so vor, als würde dem so seyn, denn es finden ja durchaus keine Truppenbewegungen statt; wir und einige wenige Kosacken sind die einzigen, die nahe vor dem Feinde stehen, der stark genug ist, uns sogleich hier verdrängen zu können. Wir haben unsre Position hier an der Stecknitz mit 6 Komp. und unsrer Kavallerie, der übrige Theil des Korps hält Lauenburg und Boitzenburg besetzt. Die Franzosen haben Lübeck freywillig verlassen, was das wohl bedeuten soll? Wenn nur keine Verlängerung des Waffenstillstandes stattfindet, das wäre das Tollste von allem Tollen. Gestern war der General Tettenborn bey uns, unter dessen Befehl wir jetzt zunächst stehen; wo er geblieben ist, weiß ich nicht. Uebrigens geht es uns noch recht gut; wir haben noch keinen Hunger gelitten, wenn uns auch freilich die Speisen nur kärglich zugemessen werden, und wenn auch das Wetter jetzt nicht ganz freundlich ist, so ist's doch noch immer Sommer. Das

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schlimmste ist, daß unsre Leute so sehr Mangel leiden an Bekleidung aller Art, denn das Corps besteht ja nur durch patriotische Beyträge und die hören jetzt sehr auf; an Löhnung ist nun schon seit einigen Löhnungstagen vollends gar nicht mehr zu denken gewesen. Ich habe daher eine sehr große Bitte an Sie, bester Vater, die Sie mir auch gewiß nicht abschlagen werden. Sie haben sehr viel Connectionen und Bekannte in Rostock und im ganzen Lande, könnten Sie wohl nicht für das 3te Bataillon unsres Corps etwas sammeln? Nicht Geld, denn ich weiß wohl, daß das die Leute am ungernsten geben, wenn sie es auch haben; sondern Effekten aller Art, Leinewand, Schuhe, Tuch von allen Farben, am liebsten graues oder schwarzes, Hemden, alte Mäntel, kurz alles, was auf irgend eine Weise benutzt werden kann; Schuhe und Hemden oder Leinewand dazu ist uns das allernothwendigste. Ich habe gesagt für das 3te Bataillon, welches Jahn führt; ich thue das aus dem Grunde, weil fast alle Mecklenburger bey demselben stehen und es also die Pflicht der Menschlichkeit abgerechnet, schon beynahe Pflicht für Mecklenburgs Bewohner ist, für diese etwas zu sorgen; sie gehen nicht für sich in den Krieg, sondern für die gute Sache, also auch für Mecklenburg. Gustchen Tiedemann hat mir versprochen, mir bald einige hundert Hemden zu schaffen, ich hoffe sie wird Wort halten. Sollten Sie etwas bekommen; so schicken Sie es nur an mich; wo das Corps steht, werden Sie ja leicht erfahren; es muß natürlich mit der Post spedirt werden, und wenn Sie bemerken: Sachen des Königl. Preuß. Freycorps, so wird es ja auch wohl postfrey seyn.

Daß ich in Schwerin das ganze Nest ausgeflogen fand, war mir natürlich sehr unangenehm; obgleich ich es fast vorher vermuthete. Wie gerne wäre ich mit Ihnen in Rostock einige Tage vergnügt gewesen, aber darauf muß der Soldat nun schon Verzicht leisten. - Man hat mich übrigens jetzt zum Lieutenant gemacht und ich stehe nun bei der 3ten Kompagnie 1ten Bataillons; was mir eben nicht angenehm ist; ich wäre so gerne bey meiner Komp. geblieben, und was ist denn so ein Second Lieutenant? noch dazu ein unbestätigter beim Corps? - Ich wollte noch einige Zeilen nach Berlin schreiben, was ich seit vor Pfingsten schon nicht mehr gethan habe; das drückt mich schwer, aber eben deshalb weiß ich noch gar nicht, ob ich jetzt dazu kommen werde. - Leben Sie wohl, Gott erhalte Sie alle in seinem heiligen Schutz! Ewig Ihr Sie innig liebender Sohn

H. K.               

Wenn Sie an mich schreiben oder mir sonst etwas schicken

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wollen; so senden Sie alles nur an das Postamt zu Neustadt in Mecklenburg. Dort ist das Depot unsers Korps.

Ende August wird es lebendig in Mecklenburg und tagebuchartig berichtet L. K.:

Den 26sten Aug.

Gestern war uns ein Tag angstvoller Erwartung. Am 24sten Nachmittags kam schwedische Artillerie, 8 Kanonen und 2 Haubitzen von Stralsund. Mitten in der Stadt wandte sie rechts um, fuhr am Strande herunter und blieb dort bis gestern morgen. Gestern um 10 fuhr sie zum Thore hinaus, wo sie in meiner Nachbarschaft aufgefahren ward. Alle Stadt Thöre wurden gesperrt; Fuhrwerke konnten hinein aber nicht hinaus. Uebrigens war alles ruhig; nur eintzelne Detachements unsrer Jäger und Stafetten kamen häufig. Es hieß: die Franzosen wären in der Nähe bey Sternberg. Um Mittag kam das schwedische Lazareth von Wismar auf mehr als 40 Wagen, ohne Eskorte. Widersprechende Gerüchte von Schwerins Brandschatzung durch die Dänen, von verlohrenen und gewonnenen Affairen vermehrte die Unruhe. Nachmittags um 5 kam eine große Menge BagageWagen. Um 8 marschirte ein Regiment schwedischer Infanterie von Wismar her mit fliegenden Fahnen und klingendem Spiel ein. Es hieß: sie wären zurück gedrängt und die Franzosen und Dänen verfolgten. Nachts um 12 ein Regiment schwedischer Kavallerie, das bis morgens um 6 aufmarschirt unbeweglich nahe an der Batterie stehen blieb. Alles dicht vor meiner Wohnung. Um 6 ritt es in die Stadt. Das Einpassiren eintzelner Reuter, Fußgänger, Bagage=Transporte dauerte bis Mittag fort. Die Straßen waren lebendig voll Militär und voll Einwohner, die, theils zu Fuß theils zu Wasser mit ihren Habseligkeiten flüchteten. Ein dumpfes Murmeln verbreitete sich von Mund zu Mund: Unsre Leute sind geschlagen und die Franzosen verfolgen sie. Diesem widersprach dagegen der Frohsinn des gesammten Militärs. Alle, Deutsche und Schweden, versicherten, keinen Franzosen oder Dänen gesehen zu haben. Nachmittags um 5 kamen unsre Meckl. Fußjäger. Die Kavallerie derselben ward zurückgeschickt, um die Dörfer bis gegen Güstrow und so in die Runde herum zu besetzen. Eben so 500 Schillsche Husaren und die schwedische Kavallerie, die heute morgen einpassirt war. Das Einmarschiren der übrigen Truppen: 2000 Meckl. und mehr Regimenter schwedischer Infanterie mit mehreren Artillerie Stücken von größerem und kleinerem Kaliber, dauerte

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fort, bis um 8. Sehr wenige wurden einquartirt. Alles übrige bivouakirte auf den Wällen; die Artillerie blieb vor der Stadt; insgesamt in meiner Nähe. In der Stadt verbreitete sich das Gerücht von einem angekommenen Kurier aus dem HauptQuartier des KronPrintzen. Der Herzog, der seit gestern samt Kabinet und Regierung hier war, bezeigte sich immer sehr thätig, die Menschen zu beruhigen, indem er versicherte, er hätte vom General Vegesack - zu dessen Division alle diese Truppen gehörten, - die beruhigendsten Nachrichten. Abends ward von ihm, unter dem HurraRufen der sich andrängenden MenschenMenge die Nachricht vom Siege des KronPrintzen öffentlich verkündigt; die Schlacht soll aber noch nicht geendigt seyn und man erwartet morgen einen zweiten Kurier. - Vegesack wird diese Nacht hier erwartet.

Den 27sten.

Vegesack ist angekommen. Der Herzog, mit allen seinen Räthen ist, nachdem durch öffentlichen Tagsbefehl die Regierung aufgelöset, nach Greifswald abgegangen. 1 ) Ein engl. Kurier an Admiral Moore, der hier auf der Rhede liegt, bringt die Nachricht eines neuen Sieges in Spanien und Bestätigung des glückl. Erfolgs der Schlacht bey Trebbin. Der Rostocker Magistrat schickt eine Deputation an Vegesack um ihm seinen Entschluß mitzutheilen. V. Antwort ist:

Da der KronPrinz einen gläntzenden Sieg erfochten, und da die Franzosen und Dänen bereits ihre Vorposten bis Bukow und Kröpelin poußirt, so werde ich mich hier vertheidigen.

Der Magistrat befiehlt nun den Einwohnern: Alle Piken und Gewehre zu verbergen. Alles Militär bivouakirt fortwährend auf den Wällen. Die Kavallerie und Jäger halten die Gegend besetzt. Einige Kanonen werden auf den Wällen gebracht, andere am entgegen gesetzten Ende der Stadt, ein Theil bleibt in seiner ersten Position. Rekognoscirende Kavalleristen, Husaren und Jäger, jagen eintzeln ab und zu. Alle Pferde werden requirirt, um auf den ersten Wink parat zu seyn. Alles erwartet Sturm und Plünderung. Abends um 6 erhalten die Meckl. Order zum Ausmarsch; diese Nacht auf Güstrow. Die Schweden, die LandStraße nach Wismar. Franz. und Dänen sollen sich zurückgezogen haben. Die Reserve der Meckl. Fußjäger marschirt ab; abends 9 Uhr.


1) Nach Stralsund. Vgl. Jahrb. 65, S. 298.
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Den 28sten.

Die Nacht war ruhig. Zwey Spione sind eingebracht. Die Papiere des einen sollen die Position der Dänen, die in einer benachbarten Waldung stehen sollen, anzeigen. Früh um 6 reitet das schwedische DragonerRegiment hier heraus, nach der Gegend von Wismar. Einige tausend Schritte von hier marschirt es auf. Eintzelne Detachements Jäger und Husaren reiten eben dahin, aber immer vorwärts. Um 10 hört man den GeneralMarsch in der Stadt. Alles marschirt aus. Infanterie, Artillerie, Bagage. Der Zug dauert 3/4 Stunden mein Fenster vorbey. Alles auf der Landstraße nach Wismar. Unsre Erwartung ist aufs höchste gespannt, da der Feind nahe seyn soll. - Mittags. - Ein Reisender von Kröpelin bringt die Nachricht: Dänen und Franzosen haben die vorige Nacht in dortiger Gegend bivouakirt; Viktualien und Schlachtvieh requirirt, doch keine Excessen begangen. Eben wird wieder ein Spion eingebracht; ein Einwohner Kröpelins, ein Jude. - Ein vormaliger Meckl. ArtillerieMajor, ein Franzose von Geburt, ward schon gestern eingebracht und nach Stralsund transportirt.

Den 29sten.

Nachrichten eintzelner Einwohner, die auf Rekognoscirung ausgeritten waren, sagen: Gestern Nachmittag etwa um 4 Uhr haben die unsrigen den Feind angegriffen. Sie engagirten sich zuerst 11/4 Meile von hier, gleich hinter Konow. Die Dänen lagen im Gehölz, 2 Bat., die von 500 von unsern Fußjägern vertrieben wurden. Diese Jäger sollen sich sehr ausgezeichnet haben. Wagen mit Verwundeten, von welchen einige unterwegs gestorben, kamen eintzeln, von 6 Uhr und die Nacht hindurch an. Die mehrsten Schweden und Meckl. Fußjäger; in allem mögen es einige 20 seyn. - Sonderbar, daß man so wenig Kanonen als PelotonFeuer hören konnte! Der Wind wehte aber stark aus Norden. - Von Zeit zu Zeit kommt die Nachricht: der Feind retirirt. Die Schlacht blieb unentschieden.

Heute früh um 6 kommt die Nachricht: Der Feind ist hinter Kröpelin gegen Bukow 31/2 Meilen zurück gedrängt. Beide Armeen sind die Nacht ruhig in ihren Positionen gewesen. Man sagt: beide Theile haben Verstärkung erhalten. Der Erfolg wirds lehren! - Es ist diese Nacht von hier aus viel Proviant und Erquickung zum Schlachtfelde geschickt. Noch bis itzt, - 8 Uhr Morgens, - ist kein Wagen zurück. Auch mein Gespann ist darunter.

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Um Mittag kommen die Wagens zurück. Alles ist ruhig. Von Verstärkung, die hier durch Rostock kommen sollte, höhrt und sieht man nichts.

Den 30sten.

Morgens um 8 kommt blinder Lärm: 2 Compagnien unsrer Fuß= und eben so viel reitender Jäger sind diese Nacht im Gehölz bey AltenCarin detaschirt, aber von Dänen aufgehoben. Man fürchtet, die Dänen kommen den Schweden bey Konow wieder im Rücken und sind vielleicht diesen Mittag bey uns. Panischer Schrecken in der gantzen Stadt! -

Es ist 4 Uhr Nachmittag; noch ist hier Gottlob nicht Däne oder Franzose. Es heißt: die unsrigen haben die fatalen Defileen und Sümpfe hinter Kröpelin sicher besetzt und erwarten immer Verstärkung. Der Feind soll gegen NeuBurg - 11/2 Meilen disseits Wismar - stehen. Unsre Jäger sind nicht gefangen, nur in der Finsterniß durch dänisches KartätschenFeuer auseinander gesprengt. Alles hat sich am Morgen wieder zusammengefunden; keiner ist verlohren; nicht tod, nicht gefangen, nicht bleßirt.

Den 31sten.

Nach den, gestern Abend eingelaufenen, Berichten stehen beide Korps noch fest in ihren Positionen. Man spricht immer viel von Verstärkung der Unsrigen, die bald vom Bülowschen, bald vom Wallmodenschen Korps, bald von Stralsund kommen soll; aber man sieht nichts; höhrt auch keine Nachrichten von dort. Eckmühl soll Schwerin verlassen haben und nach Wismar gezogen seyn. Die Stärke des feindlichen Heers kennt man nicht. Man giebt sie sehr groß an und fürchtet für die Unsrigen, die in allem 7000 Mann stark seyn mögen. - Die unsrigen sind gestern Abend weiter vorgedrungen und, ohne einen Mann zu verliehren, in Wismar einmarschirt. Wallmoden steht bei Pinnow, - 1 Meile von Schwerin -. In Wismar sollen doch die beiden entgegen gesetzten Stadtthöre und ein Haus in der Vorstadt abgebrannt seyn.

Den 1sten September 13.

Ich habe es versucht, herzensliebe Julie! Ihnen in der Anlage einige Nachricht von den Bedrängnissen mitzutheilen, in welchen wir die vorige Woche hindurch hier gelebt haben. Die Unruhen waren zu groß, als daß ich etwas Zusammenhängendes zu Papier bringen könnte. Jeden Augenblick kamen Rüstungen und vom Morgen bis zum Abend war es so voll bey mir, wie

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im Jahrmarkt, denn ich hatte alles aus der ersten Hand. Seit gestern nur wird es etwas ruhiger, da Freunde und Feinde nun schon 9 Meilen von uns entfernt sind. Nehmen Sie daher mit diesem Geschreibsel vorlieb. Wenigstens enthält es sichere Nachrichten und ich habe bey der Gelegenheit es wohl gelernt, wie schwer es hält, sichere Nachrichten zu erhalten. Da wir doch dem Schauplatz so nahe waren und doch so oft durch widersprechende Berichte irre geführt sind, wie kann man denn aus der Ferne authentische Nachrichten erhalten. Haben Sie nun eine Karte von Meckl. zur Hand, so werden Sie die Positionen, wie die Korps in diesem Augenblick stehen, leicht übersehen. Aber warscheinlich ists morgen schon anders, da es zu erwarten ist, daß der einarmigte la Grange sich vielleicht noch heute mit Eckmühl, der bey Mecklenburg - 2 Meilen von Wismar - stehen soll, vereinigen und dann, wie zu vermuthen ist, seinen Marsch über Grevismühlen nach Lübeck hinauf ziehen wird, wenn nämlich unsre Alliirten zu schwach sind, ihn daran zu hindern. Daß der Feind uns an Zahl überlegen ist, das ist gewiß. Aber wie stark er ist, hab ich nicht erfahren können und es weiß es hier auch Niemand. Diese Rückbewegung und das ängstliche Vermeiden einer Schlacht, so oft sie auch von Vegesack angeboten ist, scheint übrigens die glorreichen Nachrichten zu bestätigen, die wir hier von großen Siegen des Kronprintzen hören, wovon uns aber die Zeitungen noch nichts gesagt haben. Desto sehnlicher erwarten wir sie.

So wäre denn der neue Herzog von Meckl. für diesmal schimpflich zurückgejagt; denn man behauptet hier, daß Eckmühl sich in Schwerin feierlich zum Herzog von Meckl. proklamiren lassen. Nachstehendes von ihm ist authentisch (vgl. Jahrb. 65, 300):

Er hat den Herzog samt seiner Regierung zur Rückkehr und demütigen Unterwerfung unter Napoleons Scepter eingeladen, mit der Drohung, im Weigerungsfalle würde er einem Husaren das Regiment übergeben, der so regieren sollte, daß die Nachkommen nach hundert Jahren noch davon erzählen sollten. . . . . . . Den 25sten ist Heinrich ein Paar Stunden in Malchow, gewesen. Sein Korps stand in Plau. Wo itzt? weiß Gott! -"

Nachdem die aufregenden Tage für Rostocks Bewohner verronnen sind, schreibt L. K. am 15. September 1813:

"Empfangen Sie, liebe, vortreffliche Julie! unser aller herzlichsten Dank für die interessanten Nachrichten, die Sie uns mitgetheilt haben, zugleich auch insonderheit für die Beruhigung, die Sie mir dadurch verschafft haben, daß ich nun meinen Brief, der

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mich so besorgt machte, doch in Ihren Händen weiß. Die vielen höchst erfreulichen SiegesNachrichten scheinen sich doch auch bey uns immer mehr zu bestätigen, aber leider! auch die unglückliche Nachricht von dem Tode des edlen Moreau. 1 ) Es muß doch wohl nur ein seltener Fall seyn, daß Wunden der Art wieder geheilt werden können, denn mehrere von unsern schwedischen Kanoniers, die zum Theil nur einen, zum Theil beide Beine verlohren hatten, sind alle nach Verlauf von einigen Tagen gestorben. Einem unserer Meckl. Jäger hatte eine matte 3pfündige Kugel in der Lende getroffen, wo sie fest saß. Sie ward glücklich herausgeschnitten, aber am 5ten Tage erfolgte der Tod. Itzt sind wir, in Hinsicht eigentlich kriegerischer Auftritte Gottlob! hier ruhig; die verschiedenen Korps haben noch immer ihre genommenen Positionen, außer daß die Dänen sich der schändlichen Mordbrennung schuldig gemacht, das Städtchen Schöneberg bei Lübeck um nichts und wieder nichts anzuzünden, welches sie auch dem armen Lübeck gedroht haben, wenn sie von den BundesTruppen daraus vertrieben werden sollten. - Unser LandSturm ist in zwey großen HeerHaufen, der eine nach Schwerin, der andre nach Wismar abgegangen. Gott verhüte! daß Eckmühl nicht siegreich wieder zu uns zurück kehrt. So human und schonend er bey seiner letzten Anwesenheit in Schwerin war, so gewiß müßten wir fürchten, daß er seine Drohung: falls er bewaffnete Landwehr vorfinden würde, alles dem Erdboden gleich zu machen, in Erfüllung bringen würde. Dieses gewaltsame Zusammentreiben der Landwehr, - da alles, von 18 bis 30 Jahren fort muß, - versetzt das Land in große Noth. Es fehlt aller Orten so sehr an Menschen, daß in einigen Gegenden der Rest der Erndte noch draußen ist und man kaum absehen kann, wie die Saat beschickt werden soll. - Doch, bey dieser Gelegenheit eine Bitte, liebe Julie! aus meinem letzten Briefe hatte sich wol etwas in die dortige Zeitung verirrt. Dies hat hier eine so große Sensation gemacht, daß nach Berlin geschrieben werden soll, um sich nach dem Berichterstatter zu erkundigen. Verhüten Sie es daher in der Folge, daß so etwas nicht publici juris wird, sondern blos im Kreise unsrer Freunde bleibt. Man ist hier bey Verbreitung solcher Nachrichten gewaltig furchtsam. -


1) Der französische General Jean Victor Moreau (geb. 11. Aug. 1761 zu Morlaix) wurde während der Schlacht bei Dresden (27. August 1813) schwer verwundet. Eine Kanonenkugel zerschmetterte ihm beide Beine. Er starb an den Folgen der notwendig gewordenen Amputation am 2. September 1813 in Laun (Böhmen).
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. . . . Heinrich stand vor 8 Tagen bey Lübtheen; - 4 Meilen von Schwerin; Poststation von dort nach Berlin. Weiter haben wir von ihm nichts, in Schwerin ist er nicht gewesen.

Unser Landesherr, unsre Regierung und Kabinet, haben sich vor der Hand bey uns häuslich niedergelassen - um, im Fall der Noth, wo Gott für sey, näher an der Grentze zu seyn.

Vegesacks herrliche Proklamation finde ich in den Berliner Zeitungen nicht; vielleicht hat Sie Interesse für Sie."

Die Proklamation, wie sie der eingelegte Zeitungsausschnitt wiedergibt, hat folgenden Wortlaut:

Nachstehendes Schreiben des Königl. Schwedischen General Lieutenants, Baron von Vegesack an den commandirenden General in Lübeck wird auf Verlangen bekannt gemacht:

Herr General!

Es sind nach den, von dem commandirenden Officier meiner Vorposten mir gemachten Rapporten, von den vereintgewesenen Französischen und Dänischen Truppen bey ihrem Rückzuge durch die Stadt Schönberg am 4ten dieses Monats in dieser Stadt 20 Wohnhäuser angesteckt und durch deren Verbrennung gegen 50 Familien unglücklich gemacht worden.

Die französischen Kriegsvölker haben sich bisher dergleichen Handlungen gegen friedliche Einwohner nicht erlaubt; man muß daher vermuthen, daß diese Scene von einem Militair verübt worden, welches mit den unter civilisirten Völkern allgemein eingeführten Kriegsgebräuchen noch nicht ganz erfahren gewesen ist.

Sind die Königl. Dänischen Truppen gewilligt, einen Krieg, der von den verbündeten Europäischen Nationen gegen den Kayser der Franzosen, nicht, um zu verheeren, sondern für das höchste Interesse der Menschheit, die Freyheit und Unabhängigkeit unternommen ist, auf eine barbarische Art zu führen, um das Eigenthum schuldloser Einwohner den Flammen Preis zu geben, so wird es nur eines Befehls des Generalissimus der combinirten Norddeutschen Armeen, meines gnädigsten Herrn Sr. Königlichen Hoheit des Kronprinzen von Schweden bedürfen, um völlige Repressalien eintreten zu lassen.

Ich erwarte daher von Ihnen mein Herr General darüber eine bestimmte Anzeige: aus welcher Ursache, - auf wessen Befehl - und durch welche Truppen jenes Opfer in Schönberg gebracht worden, ein Opfer das zur Deckung eines nicht abgeschnitten ge=

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wesenen Rückzuges, durchaus nicht erforderlich seyn konnte, um darnach meine weiteren Maaßregeln zu nehmen.

Mein Hauptquartier Wismar, den 8. Sept. 1813.

von Vegesack.          

Hören wir weiter den eifrigen Berichterstatter. Unter dem 25. September 1813 schreibt er:

"Diesmal wird Ihnen, theuerste Julie! unser Brief wol eben so überraschend sein als uns die Erscheinung des schwartzen Heinrichs war. Die Veranlassung zu diesem unerwarteten Besuch wird er wol selbst darlegen; - vielleicht mag er Ihnen in Berlin bald selbst Rapport abstatten. Ich kann zu allen seinen Entwürfen nichts sagen; er will der großen Angelegenheit sich so lange widmen, bis die Sache der Menschheit entschieden ist. Aber wie? und auf welchem Wege? Das ist die Aufgabe, die gelöset werden muß! -

Wir leben in unserm kleinen Winkel itzt sehr ruhig; haben in mehreren Wochen gar kein Militär mehr um uns gehabt, bis gestern, - damit wir doch mit allen Nationen bekannt werden - 600 NationalEngländer sich von Stralsund her bey uns einfanden. Vortreffliche Leute und herrlich . . . . (Wort nicht zu lesen). Es heißt: es sollen noch mehr, auch BergSchotten nachkommen. Uebrigens sind wir für einen neuen Besuch von unsern Feinden, wenn er auch nur kurz seyn könnte, nicht sicher. Am 18ten oder 19ten ist das mehr als einmal stärkere feindliche Korps durch unsere Vorposten beym Schallsee gedrungen, hat sie zurückgeschlagen und wieder bis Wittenburg zurückgedrängt. In Schwerin ist wenigstens am letzten Sontage alles voll Angst und Schrecken gewesen, indem man jeden Augenblick den Einmarsch der Franzosen und Dänen vermuthet hat. Diesmal sind wir mit dem bloßen Schreck davon gekommen. Auch ist unsre Landwehr nunmehr in völlig aktiven Dienst; die wird schon alle Sorgen von uns abwenden.

. . . . . . Wir glaubten und hofften, es würde sich alles so bald wenden, aber - das Ende entfernt sich ja immer weiter und alles läßt sich zur traurigen, Menschen und Thiere tödtenden WinterKampagne an.

Wie sieht es in Ihren Gegenden mit der diesjährigen Erndte aus? Unsre war geseegnet, aber an vielen Orten steht zur Stunde noch Getreide, das nicht gemähet ist, die Anspannung nahmen die Krieger und die Menschen die Landwehr weg. Mit der Saatbestellung sieht es eben so übel aus, da das fortwährende Regen=

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wetter noch hinzu kommt. Wir müssen dem großen Hausvater, der schon Jahrtausende seine Wirtschaft ohne Tadel betrieben, allein vertrauen, der wird auch itzt, wenn es Zeit seyn wird, unsre Noth zu kehren wissen! -"

Eins der schönsten Schreiben ist das vom 13. Oktober. In ihm offenbart sich eine große, von erhabenen Gedanken erfüllte Seele, ein tief gläubiges Herz, das in jenen schweren Tagen als ein unschätzbares Gut erscheinen mußte. Ich will es deshalb bis auf einige - lediglich persönliche Angelegenheiten betreffende Stellen - vollständig wiedergeben.

"NW (Neuenwerder), den 13ten Okt. 13.        

Wenn Sie, meine theuerste, so innigst geliebte Julie! das alles so sehen, - doch nicht blos sehen, sondern alles so mitfühlen könnten, - was ich beständig um mich habe, so würde Ihr liebevolles Herz es mir gewiß nicht als eine Verschuldung anrechnen, daß ich so oft mit meinen Antworten in Ihrer Schuld bleibe. Ich habe freilich nur einen eng umgegrenzten Würkungskreis, mit dem anscheinend eine sehr gemächliche Ruhe verbunden seyn müßte, aber das ist warlich! nicht so. Das die immer fort dauernden Zeitereignisse, von welchen noch das Ende nicht abzusehen ist, einen großen Antheil daran haben, das ist sehr natürlich. Tragen Sie also mit mit Ihrer gewohnten schonenden Nachsicht, das, was ich selbst so gern anders haben möchte.

Ihr letzter Brief hat mich besonders in solche Gefühle versetzt, denen ich keinen Namen zu geben weiß. Es ist eine Art Schwermuth, die sich so gern zu höheren Ansichten empor heben möchte, die sich aber, gleichsam bestürmt durch die täglichen Begebenheiten dieses ErdenLebens, die fast jedes lebende Individuum so gewaltsam ergreifen, mächtig herab gezogen fühlt. Es ist würklich nicht so ganz wahr, daß wir in den Leiden anderer für unsre eigenen Widerwärtigkeiten Linderung finden. So lange wir blos das Allgemeine im Gesicht behalten, kann es wahr seyn; sehen wir aber auf die, mit welchen wir uns so eng verbunden wissen, so ists als ob das, was ihnen widerfährt, mit doppelter Kraft auf uns zurück würkt. Wenigstens habe ich bey mir diese Erfahrung schon gar zu oft gemacht. Ich will daher diesen Theil Ihres Briefes nur leise berühren; ich möchte zu leicht in solche Erinnerungen hineinkommen, wodurch auch Ihnen zu wehmütige Empfindungen wieder erweckt würden. Nur einen Gedanken kann ich nicht unterdrücken, der mir itzt lebendiger wird, wie je. Alles was der Menschheit ohne ihr Zuthun wiederfährt, ist ausdrückliche

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Anordnung einer höheren Vorsehung, die, es mag für Eintzelne oder fürs Gantze so beugend oder so schrecklich seyn, wie es will, doch immer Plan einer überschwenglich erhabenen Weisheit seyn muß, die, sey es auf welche Art es wolle, gewiß zu etwas Gutem führen muß. Wenn die, die wir liebten, und die nach unsrer Ueberzeugung noch so nützlich, ja! für die Hinterbliebenen unentbehrlich waren, nach dem Laufe der Natur, wenn gleich für unsre Ansichten zu früh, uns von der Seite gerissen werden, so müssen wir schweigen und anbeten. Es ist Plan einer väterlich waltenden Vorsehung, es muß gut seyn. Wenn fürchterliche Naturbegebenheiten gantze Länder verwüsten, so ist dies Plan des WeltenRegierers, es muß gut seyn. Wenn aber diese herrliche, schöne Erde, die im kleinsten Wurm, im Grase, das wir mit Füßen treten, die Allmacht und die Liebe des erhabenen, alles, vom Menschen bis zum Infusionsthierchen herab, erhaltenden und versorgenden Schöpfers ausspricht, wenn dieser hehre, heilige Tempel der Natur, den der Mensch zum paradiesischen Aufenthalt seiner Bewohner schaffen kann und soll, durch eben diesen Menschen, der das Bild der schaffenden, erhaltenden und all liebenden Gottheit trägt, in eine Mördergrube verwandelt wird, - da möchte doch fast der Glaube an eine Vorsehung wanken! -

Wir genießen freilich itzt hier in unserm kleinen Winkel einer vollkommenen Ruhe, aber nur wenige Meilen von uns, ist es nicht mehr so. Dort fließt Blut im Kleinen so wie es weiter hinauf in Strömen vergossen wird, und wir sind nicht sicher, ob wir nicht, wer weiß wie bald, wieder mitten drunter sind. Der überlegene Feind ist noch immer an unsrer Grentze und die unsrigen werden oft zurückgedrängt. Man schätzt Eckmühl auf 30000 Mann, die unsrigen sind kaum 20000. Kleine Neckereien fallen täglich vor, wo die unsrigen nicht eben Ursache haben zu triumphieren. Am 4ten ist ein allgemeiner Angriff auf Eckmühl beschlossen. Um seine Stärke zu erfahren, werden 500 von unsern Fußjägern zum Angriff der Avantgarde kommandirt. Diese Menschen stürzen sich, wie immer, wie Rasende ins Feuer, und im Nu sind 120 Mann theils niedergehauen, - 90 an der Zahl, - theils als schwer verwundete gefangen. Mit welcher Erbitterung diese Menschen kämpfen nur ein Beispiel von vielen. Diese 500 treiben in der ersten Wuth 2000 Dänen zurück, sind aber plötzlich in einem französischen Quarré. Einer dieser Jäger kämpft, da er nicht Pardon nehmen will, mit 4 Franzosen. Als er von Arbeit und Wunden ermattet, nichts mehr kann, stößt er sich seinen Säbel ins Herz. Was ließe sich

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mit solchen Leuten ausrichten, wenn sie zweckmäßig angeführt würden! - Diese Seite mag ich garnicht berühren; dies möchte, im Kleinen so wol als im Großen zu weit führen. - Genug! das Resultat dieser Geschichte ist die Entdeckung, daß Eckmühl, mit Einschluß des Holsteinschen LandSturms eine Armee von 100000 Mann Dänen im Rücken hat. - Ich verzage dem ohngeachtet noch nicht für den guten Ausgang des Gantzen, aber ob Mecklenburg nicht darüber zur Einöde wird, und seine Einwohner, grade so wie im dreißigjährigen Kriege, wie Bettler auswandern müssen! - das steht noch dahin! - Die braven Husaren von Schill haben den Rest unsrer Jäger gerettet, sonst wäre kein Mann davon gekommen. - So, wie es mit unsern Jägern geht, so geht es auch mit den Lützowern, welches Carl Engel, der ebenfalls vor einigen Tagen bey uns anlangte, uns ausführlich referirt hat. Acht dieser gefangenen Jäger hat Eckmühl vor sich kommen lassen, ihnen große Lobeserhebungen gemacht und auf ihr Ehrenwort entlassen. Der eine davon ist Peters, der BruderSohn eines meiner vormaligen Kollegen.

Unser Landsturm, etwa 8000 Mann, ohne die Reserve, die stärker ist, steht, den ErbPrintzen an der Spitze, bey Wismar und Schwerin. Sie ist schon zum größten Theil militärisch armirt und wird täglich geübt. Auch mit diesen Menschen, besonders mit den Bauerknechten und vielen aus dem Mittelstande, würde man viel ausrichten können, wenn die Chefs darnach wären. Aber Lakaien, Schüler, Schuflicker, wol gar Jungens, sind zum Theil CompagnieChefs und gebildete Menschen stehen in Reihe und Glied. Obs bey den höheren Stabsoffizieren besser ist? - Davon schweige ich. Einige sind gewiß gut, aber viele!! -

Wir haben uns versündigt, wenn wir bisher über Druck und Leiden klagten. Itzt ist die Zeit der Leiden für uns. Ein großer Theil unsrer schönen Güter, von Rostock nach Wismar, die Schweriner Gegend, und so bis Lübeck hinauf ist kahl weggefressen, wie von HeuschreckenZügen. Bey Wismar und Schwerin herum stehen hie und da noch Reste von ungeerndtetem Getreide, und man kann wol sagen, daß im vierdten Theil Meckl. nicht zu rechter Zeit, und an manchen Orten garnicht, die Wintersaat beschickt werden wird. Dabey täglich neue Lieferungen an Viktualien, Schlachtvieh, Fourage und Pferden. Kontributionen und Abgaben fast mit jedem Tage neue. Niemand erhält Zinsen und die Gehalte, die bisher doch noch theilweise bezahlt wurden, bleiben nun ganz aus. Dauert dies alles zusammen genommen nur noch ein volles Jahr so fort, so ist Meckl. eine Wüste! -"

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Vom 22. Oktober 1813 datiert, liegt mir ein Brief des Sohnes meiner Großmutter aus ihrer ersten Ehe mit dem am 24. März 1804 zu Breslau verstorbenen Ober=Bergmeister Pochhammer, Ernst Friedrich Pochhammer, vor. Dieser, geboren am 21. Juni 1802 zu Tarnowitz, war bei Lorenz Karsten in Neuenwerder als Pensionär untergebracht. In dem Briefe schreibt der Elfjährige an seine Mutter: "Von politischen Angelegenheiten weis ich Dir eben nichts zu schreiben als daß unserer Landsturm am Montag hier wieder eingetroffen ist. Von der Schlacht die am 18ten dieses Monats geliefert seyn soll wirst Du wohl schon nähere Nachrichten haben als wir sie hier haben. Die Dänen sollen ja die Friedenserklärung gegen Schweden gemacht haben, welche auch angenommen seyn soll und man sagt hier das die Dänen sich auch schon gegen Frankreich erklärt haben sollen und mit für die deutsche Freiheit fechten wollen."

Dann enthält erst wieder ein Schreiben von L. K., das er am 1. Dezember 1813 zu Papier gebracht hat, für die weitere Entwickelung der Kriegsereignisse einiges Interessantes. Es heißt darin:

"Neuigkeiten weiß ich Ihnen von hier nicht mitzuteilen, als nur die, daß der langbärtige Schwarz=Heinrich bereits zu seinem Korps abgegangen ist. Bis Schwerin ist er wohlbehalten gekommen. Wo er itzt seyn mag, weiß Gott!

Der KronPrinz soll mit 60000 Mann im Anmarsch seyn und bereits in Boitzenburg sein Hauptquartier haben. So viel ist gewiß, daß die von den Unsrigen bei Dömitz geschlagene Schiffsbrücke über die Elbe, in diesen Tagen nach Boitzenburg transportirt ist. Auch kam am 24sten ein Oesterreichischer Gesandter bey uns in Rostock, der sogleich am folgenden Tage, den 26sten, sich zu Warnemünde einschiffte, um nach Kopenhagen zu gehen, wo er, nach dem Urteil unsrer Schiffer, längst angekommen seyn soll. - Uebrigens haben die Dänen Lübeck besetzt, das von Franzosen verlassen war. Das arme Hamburg wird aber noch von beiderseits Peinigern schrecklich gequält.

Eine Seeschlacht, zwar en miniature, die aber doch den Biedersinn und die Bravheit unsrer Warnemünder stempelt, trug sich vor einigen Tagen auf unsrer Rhede zu. Einem dänischen Kaper, der ganz eiserne und, - um zu imponieren, - 10 hölzerne Kanonen führte, gelüstete es, abermal wieder einen Fang zu machen und ein Schiff von unsrer Rhede wegzuhohlen. Er hatte es schon in seinen Klauen, als plötzlich der Geist des

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Heroismus in die Warnemünder fuhr, die, ohne irgend eine Aufforderung im Nu, mit 200 Leuten in See stachen und dem RaubLümmel richtig seinen Fang wieder abjagten. Wäre er nicht im Seegeln ihnen überlegen gewesen, so hätten sie den dreisten Patron zur Prise gemacht. Aber auch so war dies, für ganz wehrlose Menschen, die nichts als ihre MatrosenMesser hatten, schon genug!

Die Sachen der Unsrigen gehen ja itzt so, daß die Fortschritte fast alle Erwartung übertreffen. Von nun an muß jeder Tag schwanger an großen Begebenheiten seyn. Es ist doch unbegreiflich, daß N. sich unter solchen Umständen noch nach Paris wagen kann! Itzt, dünkt mich, können ja auch dort die wahren, bisher von Lügen entstellten Begebenheiten, wol kein Geheimniß mehr seyn.

Bey uns wird die Last des Drucks mit jedem Tage größer. Sie haben freilich, bey allen den ungeheuren Anstrengungen, auch Lasten genug, aber, glauben Sie es mir, liebe Julie! es ist Nichts gegen dem was wir tragen. Denn bey Ihnen herrscht Ordnung und Energie; bey uns Unordnung und Schlaffheit! - Hier herrscht nur eine eintzige Stimme; ach daß wir Preußisch würden! -"

Weiter berichtet ein Brief vom 14. Dezember:

". . . . Von dem österreich. Gesandten, der letzt hier durch nach Copenhagen ging, hört man nichts. Nach den Zeitungen soll ja der . . . . . DänenKönig nach Kiel gehen, und nach gestrigen Gerüchten, die sich hier verbreiteten, soll Kiel schon erstürmt seyn. Die Zeit wird lehren, wie sich diese Nachrichten vereinigen werden. Es geht in Holstein böse! böse! Ich hätte nicht geglaubt, daß das dortige Volk so verblendet wäre. Aber der Kronprinz handelt mit Energie. Gott gebe nur, daß dieser Winter so anhält, sonst wirds den Unsrigen dort sauer werden. Von Heinrich habe ich nun keine weitere Nachricht, als daß er als Lieutenant bestätigt ist. Und Sie wissen auch noch nichts von dem guten Gustav? 1 ) Wie manche Familie wird itzt mit Kummer belastet! Wenn denn doch nur endlich die Tyrannen unterliegen! erleben auch wir dann die goldene Zeit der Freiheit und Ruhe nicht, so haben wir doch den Trost, daß unsre Kinder sie sich mit ihrem Blute erkämpft haben."


1) Gustav Rosenstiel, Student der Rechte und Freiwilliger im Jägerkorps geriet in der Schlacht bei Groß=Görschen in französische Gefangenschaft.
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Wir kommen nun in das Jahr 1814. Inzwischen ist heftiger Winter eingetreten. L. K. schreibt darüber in einem Brief vom 26. Januar: "Meine Frau ist diesen Winter kümmerlicher wie sonst; besonders hat sie in dieser heftigen Kälte - 16 ° R - der sie sich exponirt, viel auszustehen. Wir sind im Schnee rund umher so tief begraben, daß unsre Wohnung einer Samojeden Hütte gleicht. In vielen Wintern haben wir so tiefen Schnee nicht gehabt. Wenn es bey den Armeen auch so ist, wie werden sie itzt gegen die verdorbenen Wege und nachmals gegen die Ueberschwemmungen ankämpfen müssen! Man sagt uns hier viel vom allgemeinen Frieden. Die hohen Mächte werden ihn ja ehrenvoll zu machen und auf einem sichern Grund zu bauen wissen, damit die Ströme von Menschenblut nicht vergebens geflossen seyn mögen. - Außer den fortdauernden Kontributionen wissen wir hier von keinem Krieg. Militär haben wir garnicht. Um uns gegen unsre eigene Landwehr, die uns ärger plagt, als vormals die Feinde, zu sichern, müssen unsre Bürger=Fahnen aufziehen. . . . . Von Heinrich hatten wir lange keine Nachricht und wir waren schon sehr besorgt. Vor acht Tagen erhielten wir endlich einen Brief vom 8ten Jan. aus der Gegend von Glückstadt. Nach abgeschlossenem Frieden mit Dänemarck meint er, würde es mit seinem Korps wol am Rhein gehen. Warscheinlich ist er itzt also dahin unterwegs. . . . . . . . . .

Ich lege Ihnen ein kleines gedrucktes Blatt bey, wenn Sie es möglich machen könnten, daß es dort in irgend einem viel gelesenen Journal eingerückt werden könnte, damit man doch im Auslande bessere Begriffe von den Leistungen erhält, die Meckl. hat thun müssen. Wir sind zu sehr bey einem großen Feldherrn in den bösen Ruf, daß wir zu wenig geleistet haben, und daher der noch immer fortdauernde Druck, der uns zuletzt alle ohne Unterschied zum Bankrott bringt. Bisher wurden die Gehalte noch nach und nach zur Hälfte bezahlt, itzt kommen sie in Viertel= und AchtelTantiemen, länger als 9 Monate nach der Zahlzeit. Nicht lange wirds dauern, so hören sie ganz auf! - Könnten Sie dies Blatt, wenn es bey Ihnen irgendwo ein Unterkommen gefunden, auch nach Breslau zu gleichem Zweck befördern, so hätten Sie ein Verdienst um Meckl."

Am Schlusse dieses Briefes berichtet L. K. von einer Viehpest in Mecklenburg, der schon über 1200 Häupter zum Opfer gefallen waren.

Das nächste Schreiben von einiger Wichtigkeit für die Kriegsereignisse ist vom 26. Februar datiert. Es heißt darin:

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"Von Heinrich wissen wir seit dem 8ten Jan. nichts; gar nichts! Auch weiß ich nicht, ob ein eintziger unsrer Briefe zu ihm gelangt ist. Ein Theil des Korps ist, nach den Zeitungs=Nachrichten, nun wol in Holland. Vermuthlich ist er, wenn er noch lebt, auch dort. Es scheint überhaupt, daß es in Holland wol schärfer her geht, als in Frankreich selbst. Wann wird endlich dem MenschenMorden ein Ziel gesetzt werden? - So lange das Ungeheuer lebt, gewiß nie. Mußte der gute Ludwig XVI. ein Opfer der Raserey werden, warum könnte denn diesem eingefleischten Teufel nicht der Prozeß gemacht werden? - doch! wer kann es wissen, was im Rath der hohen Mächte alles schon beschlossen ist, und ob die Akten, die Moreau im heiligen Verwahrsam gegeben, nicht nachgerade Spruchreif sind. So gläntzend auch die Fortschritte unsrer Verbündeten sind, so wird es doch gewiß noch einmal einen sehr harten Kampf kosten, ehe das große Tagewerk vollbracht seyn wird.

Wir leben übrigens hier wie im tiefen Frieden. Nur die Escadron terrible unsrer reitenden Jäger, - diesen Namen haben sie sich in der Affaire bey Seestädt erworben, wo sie ohne Nutzen ins Kartätschenfeuer geschickt wurden und von 172 Mann 28 übrig blieben; die Schillschen Husaren und eine Schwedische Eskadron hatten vorher den Angriff vollführt - ist hier bey uns, um sich zu rekrutiren. Alles übrige, was von uns Militär heißt, ist schon fort gegen den Rhein, bis auf die Landwehr. - Mein Sohn, der hier auf der Nähe wohnt, den Sie vielleicht unter den Namen Christian kennen, kommt in diesen Tagen von Hannover und bringt die Bestätigung mit: daß keine Nation so vom deutschen Patrotismus enthusiasmirt wäre, als Preußen und Mecklenburger. In Hannover und ganz Westpfalen soll das gemeine Volk seinen Unwillen oft laut äußern. Sollte man glauben, daß das möglich wäre!! -

Was wird Wilhelm 1 ) uns alles erzählen können, wenn die Vorsehung ihn ferner erhält! Gewiß ein seltenes Glück; Gefährte aller der mörderischen Schlachten gewesen zu seyn, ohne eine Wunde! - Mein Georg schreibt mir auch, daß das Bataillon Preußischen Landsturms, bey welchem er steht, itzt mobil gemacht wird. Welche Kraftanstrengungen! Wie lange werden wir, auch in der ruhigsten Ruhe vollauf zu thun haben, um alle die schmerzenden Nachwehen zu heilen."


1) Bruder meiner Großmutter.
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Das Kriegstheater ist nach dem Westen verlegt. Der Briefschreiber ergeht sich jetzt meist nur in kurzen Betrachtungen über die politischen Begebenheiten. Soweit diese Erörterungen von allgemeinem Interesse sind oder eine besondere Bedeutung für die mecklenburgischen Lande haben, will ich sie hier in der zeitlichen Aufeinanderfolge der Zuschriften wiedergeben.

NW., den 30sten März.        

. . . . . Von Heinrich haben wir noch überall keine Nachrichten; durch Berichte unsrer Jäger, die in Aeben stehen, erfahren wir, daß sein Korps vor Jülich steht. Wir hofften, nach den Zeitungsberichten und nach anderen Nachrichten, die man uns freigebig mittheilte, daß der Friede dem Abschluß nahe oder gar schon abgeschlossen sey, aber itzt lauten die Berichte wieder anders. In jeder Hinsicht ist der Kampf wol schwerer, als wir es geglaubt haben. Der allerärgste und allerunüberwindlichste aller Feinde, der Hunger, soll mehr Elend machen als alle Feuerschlünde und Bajonette. Wenn dieser nur bezwungen wird und es bleibt Einigkeit unter den hohen Alliirten, so können wir doch hoffen, daß die Sachen nach Wunsch gehen werden, wenigstens, daß alles Blut nicht vergeblich geflossen seyn wird. Aber vor einiger Zeit sprach man hier sehr räthselhaft von Oesterreich; wenigstens schrieb man Schwartzenberg die Schuld des Misgeschicks zu, das dem braven Blücher wiederfuhr. - Daß Blücher ein gebohrner Rostocker ist, darauf sind alle Rostocker itzt sehr stolz. - Unser Durchl. ErbPrinz, der als Generalissimus der Meckl. Armee ausmarschirte, kehrt, - auf Anrathen eines größeren Feldherrn, des Kronprintzen von Schweden, weil er der Armee nur lästig wäre, - wieder heim. Er mag nun mit seiner Landwehr, die er zur Geißel des Landes gemacht hat, das Soldatenspiel hier, wo kein Feind zu fürchten ist, fortsetzen. Das arme Hamburg leidet endlos und ist von seinen eigentümlichen Einwohnern schon fast entvölkert. Allenthalben gehen die armen Vertriebenen einher und suchen Brod und Obdach.

. . . . Haben Sie denn auch einen solchen desperaten Winter? Der behauptet dies Jahr das Feld eben so hartnäckig, wie die Franzosen! Bleibt die Witterung noch länger so, so siehts, wenigstens in unsren Gegenden, traurig für die Winterfelder aus . . . . .

NW., den 16sten Juni 14.        

. . . . . Meine Scheune, mein Pferdestall, Holzstall pp., kurz! alles was einem Stalle ähnlich sieht, ist gepfropft voll

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Pferde und im Hause ist noch ein VeterinärArzt mit Bedienten und 4 Artilleristen von der Brigade des berühmten Cardell. So ist seit 8 Tagen Rostock und die umliegende Gegend mit der rückkehrenden Schwedischen Armee angefüllt, die zum Theil hier, zum Theil in Stralsund eingeschifft werden soll. Wie lange dies dauern wird? - Das hängt von den Elementen ab! Indessen wir tragen dies geduldig und gern, weil es uns die frohe Aussicht zur endlichen baldigen Ruhe eröffnet.

. . . . Am 9ten dieses erhielten wir einen Brief von Heinrich aus Audenarde in Flandern, vom 16ten May . . . .

NW., den 14ten September 14.        

. . . . Aber wie mag es wohl kommen, daß er (der Sohn Heinrich, der Lützower) seinen Abschied noch nicht hat? Allerley Gerüchte, mit welchen man sich hier herum trägt, wollen uns fast bedenklich machen. Es heißt: es soll Niemand entlassen werden. Wenn dies wahr wäre, so könnte dies doch nicht auf etwas Gutes deuten; das wird Gott verhüten! - Unsre Freikorps sind alle entlassen.

Mit Norwegen ist auch alles so nicht, als es uns die Zeitungen erzählen. Die Schweden haben tüchtige Schlappen gekriegt, und haben nothgedrungen um Waffenstillstand bitten müssen. Haben die Normänner nur vollauf zu essen, so stehen dort gewiß die Sachen für Schweden schlimm, es wäre dann daß England sie, die Normänner, aushungerte; - und das scheint fast nicht so ! -

Der Rathsherr 1 ) empfiehlt sich Ihrer Gewogenheit und bittet demütig um Entschuldigung, daß er so selten schreibt. Er hat es, als diesjähriger GerichtsPräsident täglich mit Abhörung von Mördern und Dieben und Tollen zu thun. Unter letzteren befindet sich ein König der Juden und ein Emissär Napoleons. . . .

NW., den 2ten November 14.        

. . . . . Das Neuste von politischen Dingen, womit man uns hier unterhält, ist die Sage: daß Meckl. an Preußen oder an Hannover kommt. Tragen Sie nur alles dazu bey, daß das erste geschieht, damit wir doch Landsleute werden. Auch möchte ich dies kleine Ländchen, das, ohngeachtet es so sehr heimgesucht ist, doch noch viele unbenutzte Hülfsquellen hat, Ihrem großen Könige, der hier allgemein eben so, wie von seinen eigenen Untertanen, verehrt wird, doch am liebsten gönnen. . . . .


1) Detlof Karsten s. oben S. 72.
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NW., den 26sten Febr. 15.        

. . . . Aus den großen Adquisitionen, die Preußen für alle seine Anstrengungen macht, wissen wir uns hier nicht so recht zu finden. Uns dünkt es so, als ob sie den Aufopferungen nicht gleich kommen, die Preußen gemacht hat. Indeß auch dies zeugt von dem edlen Karakter Ihres Königes, der lieber Aufopferungen machen, als dem allgemeinen Weltfrieden und der Ruhe der Völker Hindernisse in den Weg legen wollte. Daß Sie, liebe Julie! hier in Rostock Urteile gehört haben, die nicht mit den Wünschen des eigentlichen Kerns der Nation übereinstimmen, das glaube ich gern. Nach dem engherzigen Rostockschen KrämerGeist müssen Sie Meckl. Einwohner nicht beurtheilen. Der bessere Theil wünscht noch in diesem Augenblick eine solche Wendung, daß Meckl. mit Pommern Preußen zufallen möge. . . . .

NW., den 18ten März 15.        

. . . . Aber wie sieht es am politischen Horizont noch immer so wunderbar aus! Der König von Sachsen verzichtet auf sein Königreich zu Gunsten seines Nachfolgers; wer ist der? - Napoleon schleicht sich mit 1200 Garden und 3 Kanonen - erstere hat das Gerücht hier schon zu 40000 Mann vermehrt! - von Elba weg und fängt den Spektakel von neuem wieder an. Was wird daraus? Was hofft? was fürchtet man? bey Ihnen. . . . .

NW., den 8ten April 15.        

. . . . Aber wenden wir uns nun aus dem engen Kreise unsrer häuslichen Umgebungen und versetzen uns auf den Schauplatz der großen Welt, welche plötzliche und schreckliche Veränderungen in diesem eintzigen Jahre! Damals versprach eine schönere Morgenröthe wieder auflebendes Heil für die Menschheit; - itzt thürmen sich aufs neue schwere Gewitterwolken am Horizont herauf, furchtbarer und drohender wie je, und - wenn die Vorsehung nicht auch dies mal mächtig über uns waltet, - schrecklicher in ihren Folgen. Hier ist allgemeines Misvergnügen, da die, von manchen befürchteten Ahndungen nur zu schnell zur Würklichkeit geworden: daß alles vergossene MenschenBlut, alle die bis zur Erschöpfung, gezwungen und freiwillig erpreßten Anstrengungen zu gar nichts geführt haben. Man muß es freilich der Weisheit der höhern Mächte überlassen, daß sie solche Entschlüsse, die auf das Beste der Völker berechnet sind, fassen werden. Aber sollten sie gemißleitet werden, sollten sie nicht auf die VolksStimme, die Gottes Stimme ist,

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achten, so möchte des Schrecklichen nicht Ziel noch Maß seyn, was daraus erfolgen könnte und alle unsere ausgestandenen Leiden wären vielleicht nur ein Vorspiel unendlich schrecklicher Greuel Scenen. Man mag die Lage der Dinge betrachten wie man will, so giebt sie uns eine schauderhafte Aussicht für die Zukunft. Soll der Welterstürmer vernichtet werden? welche Kräfte werden aufgeboten werden müssen! und wo sind die, da wir fast schon bis zur Ermattung erschöpft sind? - Will man ihm durch einen noch unglücklicheren Frieden seine Existenz wieder zugestehen, - wer sichert uns gegen die unendlich schrecklicheren Greuel innerer Empörung!

Bey uns ist in so fern noch alles ruhig, bis auf die Stellung des gesetzmäßigen Kontingents. Ein Frey=Korps soll, wie es heißt, nicht wieder errichtet werden, - weil wir kein Geld haben! Die erste Kontribution, die augenblicklich und gleich baar bezahlt werden soll, ist schon ausgeschrieben, und bald werden mehrere folgen. Die Dienstgehalte stocken ganz.

. . . . Es war uns sehr merkwürdig, daß der liebe Vater Rosenstiel eine Wanderung nach Wien machen müssen. Sollte es in diplomatischen Angelegenheiten seyn, so erfahren wir ja wol, wenn es mittheilbar ist, auch unseren Antheil von Ihrer Liebe. Beträfe sein Ruf andre Gegenstände, - so müßte uns das auch schon in der Hinsicht erfreulich seyn, daß dies ein Beweis der fortdauernden freundschaftl. Verhältnisse zwischen Oesterreich und Preußen wäre, das man uns hier mit der gräßlichen Nachricht trüben will, als wenn ersteres sich wieder zu Napoleon hin neigte. Die englischen Zeitungen sollen dies sagen; diese Schande für Deutschland ist doch wol nicht gedenkbar?! - Gottes Güte mache dies empörende Gerücht zur Lüge, und sein guter Engel leite den lieben Vater Rosenstiel, damit auch diese herrliche Reise eine Veranlassung zur Stärkung seiner Gesundheit seyn möge. . . . .

NW., den 3ten May 15.         

. . . . In Hinsicht der politischen Ereignisse leben wir hier in großen Erwartungen und - Hoffnungen! ein Vorgeläute haben ja die Zeitungen schon angestimmt. Die GroßherzogWürde soll unsern Glanz erhöhen. Uebrigens rüsten wir uns gewaltig, nur freilich, nach unserer angebohrnen Art recht mit Gemächlichkeit, das heißt: daß wir uns völlig Zeit lassen. Es sollen schon ganz ansehnliche Nasen aus Wien an uns gelangt seyn, die so viel bewürkt haben, daß am 1sten Juni der Ausmarsch unsrer Armee, 48000 Mann stark, unsern ErbPrintzen an der Spitze,

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zu ihrer Bestimmung abmarschieren wird. - Freilich ist dies kleine Häuflein nur wie ein Tropfen im Weltmeer, wenn man es mit den furchtbaren Anstrengungen Ihres Königes und der übrigen Mächte vergleicht. Welche schreckliche Opfer werden und müssen fallen! Aber wer vermag den Plan der ewigen Weltregierung zu meistern? wer darf es sich unterwinden zu sagen: warum mußte einem eintzigen bösen Menschen die Macht gegeben werden, daß er die gantze Welt verwirren, tausende zur Schlachtbank führen und die Ruhe und Zufriedenheit so vieler schuldlos leidenden Familien unwiederbringlich stürtzen kann? Es muß, - oder es giebt keine Vorsehung! - es muß aus diesem uns scheinbarem Gewirre eine Ordnung hervorgehen, zum Heil und Segen für die spätsten Nachkommen. Daß grade wir diese Unglücksperiode tragen müssen, auch das muß in den Plan gehören, der schon von alle Ewigkeit für uns, für jedes Individuum unter uns, bereitet war. Wie wollte da der Staub wanwitzig mit dem Schöpfer rechten! -

NW., den 28sten Juni 15.        

. . . . Am letzten Sonntage kam hier, mit der Hamburger Börsenhalle die Nachricht von dem glorreichen Siege, den Wellington und Blücher erfochten haben. Alles war voll Jubel, und vielleicht nur wenige dachten in diesem exaltirten Augenblick der Ströme des Bluts und des theuren Preises, mit welchem diese Siege erkauft werden. Wenn es endlich einmal zur Ruhe und zum Heil der Völker gereichen möchte, so wäre freilich diese nicht zu theuer erkauft; dies wäre dann die Saat einer frölichen Erndte für die Nachkommen. . . . .

NW., den 8ten Juli 15.        

. . . . Die großen Weltbegebenheiten scheinen sich doch nun zum Heil der Menschheit günstig zu entwickeln und wir müssen es von der Barmherzigkeit des erhabenen WeltenRegierers hoffen, daß auch diese abermaligen Ströme von Menschenblut nicht vergeblich werden vergossen seyn. Gestern kam hier eine Stafette von unserm GroßHerzog aus Doberan, der die Nachricht bestätigen sollte, daß das Unthier würklich eingefangen und an Blücher ausgeliefert worden. Gott gebe, daß dies Gerücht, das die Zeitungen uns schon hundertmal aufgetischt haben, endlich sich bestätigen möge. Unser großes ArmeeKorps hat nun auch seinen Marsch bereits bis nach Lentzen zurück gelegt, wo es heute eintrifft. -

Und zum Schluß ein Schreiben vom 30. Dezember 1815,

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in dem L. K. die Errichtung eines Denkmals für den Helden Blücher in seiner Geburtsstätte Rostock ankündigt. "Ihren braven Marschall Vorwärts", sagt Lorenz Karsten, "müssen Sie ja noch nicht von der irdischen Schaubühne abtreten lassen. Er muß noch den frohen Tag erleben, daß das in seiner Vaterstadt ihm errichtete Denkmal in seiner Gegenwart eingeweiht wird. Wie ernstlich wir Mecklenburger es damit meinen, davon wird Ihnen die Anlage 1 ) die Ueberzeugung geben. Wollen Sie sie durch Ihre Zeitungen weiter verbreiten lassen, so würde uns Meckl. dadurch ein großes Kompliment gemacht. Dem alten biederen Kriegsheld würden doch die Gesinnungen seiner Landesleute nicht unwillkommen seyn."

Bezüglich der Dauerhaftigkeit des geschlossenen Friedens hegt das so oft getäuschte Herz des lebendig fühlenden und denkenden Briefschreibers Zweifel. Er fragt: "Was haben Sie dort für Ahndungen in Hinsicht des neuen Friedens?" und fährt dann fort: "Hier ist man so wenig davon erbaut, daß Frankreich nicht noch mehr die Flügel beschnitten sind, daß man mit apodiktischer Gewisheit eine dritte Promenade der Alliirten nach Frankreich prophezeien will. In dieser sicheren Erwartung ist von unsrer, nun wieder in ihrer Heimat eingetroffenen Landwehr kein Mann entlassen. Es heißt: sie soll blos beurlaubt werden, damit auf den ersten Wink gleich alles in Bereitschaft ist."

Aber es blieb beim Frieden und Lorenz Karsten hat ihn noch über 13 Jahre (er starb am 28. Februar 1829) genießen können.

So liegt die ganze schwere, aber auch große Zeit in Briefen - freilich nur in Abrissen - vor uns. In den Schreiben spiegelt sich all das Fühlen, Denken und Hoffen der damals so schwer bedrückten Menschheit wieder. Interessant dürfte es insbesondere auch sein, wie sehr sich der groß veranlagte Geist des Professors Karsten aus den kleineren Verhältnissen des Mecklenburger Staatswesens in dieser Zeit von Deutschlands Tiefstand nach einem Anschluß an Preußen sehnte. Wir blicken mit Trauer auf die Tage zurück, in denen unsre Altvorderen so tief gebangt, so viel gelitten und gezagt haben, aber auch mit Stolz, denn die Zeit der Bedrückung und Zerrissenheit vor hundert Jahren war die große Lehrmeisterin, die uns für alle Zeiten ein unschätzbares Vermächtnis hinterlassen hat:

In unitate robur!

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1) Diese Anlage befindet sich nicht in meinem Besitze.