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II.

Das Studium der mecklenburgischen Geschichte an der Landes=Universität.

Von
Universitäts=Bibliothekar Dr. G. Kohfeldt in Rostock.

W enn man bei der Durchsicht der alten Rostocker Lektions=Verzeichnisse findet, daß während des letzten halben Jahrhunderts (1854-1899) keine einzige Vorlesung über mecklenburgische Geschichte angekündigt wird, daß aber im vorhergehenden Halbjahrhundert ziemlich regelmäßig und während des 18. Jahrhunderts doch recht häufig derartige Vorlesungen gehalten werden, so darf man die Gründe dafür wohl schwerlich in zufälligen persönlichen Neigungen der Professoren suchen, vielmehr muß diese Erscheinung, wenn auch solche persönlichen Neigungen gewiß mitspielen, in der Hauptsache aus den staatlichen Verhältnissen, dem Zeitgeist und dem Gesamtcharakter der jeweiligen akademischen Bildungsbestrebungen erklärt werden.

Die verschiedenen Wissenschaften haben sich bekanntlich in den verschiedenen Zeiten nicht des gleichen Interesses und der gleichen Wertschätzung zu erfreuen. Gerade an der Stellung und Bedeutung, die man den einzelnen Hauptdisziplinen in dem Wissenschaftsganzen einräumt, läßt sich das Bildungsideal einer Zeit deutlich erkennen; man hat sich deshalb schon lange daran gewöhnt, von einem philosophischen, naturwissenschaftlichen

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oder historischen Zeitalter zu reden. Besonders charakteristisch ist die Stellung des Geschichtsstudiums in der Entwicklung der Wissenschaft und speziell in der Geschichte des akademischen ehrbetriebs. Das Mittelalter kennt einen eigentlichen Geschichtsunterricht überhaupt noch nicht. 1 ) Das ganze mittelalterliche Wissen ist allerdings ein Wissen von der Vergangenheit und eine Wissenschaft der Vergangenheit. Alle Disziplinen, die die mittelalterlichen Universitäten lehren, gelten nämlich als von den Alten endgültig erforscht und festgelegt, und es ist für die Gelehrten des Mittelalters eine ausgemachte Sache, daß die Universität keine andere Aufgabe haben könne, als das so Erforschte erklärend an die junge Generation weiter zu geben. Darum schließt sich auch der mittelalterliche Universitätslehrer eng an die alten Texte oder zum mindesten an ein Lehrbuch, das wieder ganz von dem Texte abhängig ist, an; er lehrt Mathematik nach Euklid, Medizin nach Galen u. s. f. Für eigentliche zusammenhängende Geschichtsforschung ist also wie für fachliche Forschung überhaupt in diesem Rahmen natürlich kein Platz. Historie im engeren Sinne konnte an den alten Hochschulen nur getrieben werden als Lektüre und Interpretation eines alten Historikers, des Herodot, des Livius oder eines anderen Autors. Auch das Reformationsjahrhundert lebt im wesentlichen noch in der Anschauung, daß alle Wahrheit bereits von den alten Denkern ans Licht gefördert worden sei. Einen starken Umschwung in dieser Denkweise führt erst das spätere 17. Jahrhundert herbei. "Es ist eine tiefgreifende Veränderung", sagt Paulsen 2 ), "welche die Universitäten in dem Jahrhundert, welches auf den westfälischen Frieden folgt, durchgemacht haben: der erste Schritt zum Übergang von der alten schulmäßigen Unselbständigkeit und Gebundenheit zur freien und selbständigen wissenschaftlichen Forschung, zum Übergang vom Mittelalter zur modernen Zeit ist geschehen." Und weiter: "Die Anleitung zu wissenschaftlichem Denken wird als Aufgabe der Universität erkannt, das Lesen über Kompendien beginnt dem freien Vortrag eigner Gedanken zu weichen." Man fängt um diese Zeit an, die Gedanken von den Alten ab und den Objekten selbst zuzuwenden; man sucht neue Grundlagen für die Philosophie, für das Recht (Naturrecht), man erkennt neue physikalische und


1) Vergl. hierzu: G. Kohfeldt. Der akademische Geschichtsunterricht im Reformationszeitalter, mit besonderer Rücksicht auf Dav. Chytraeus in Rostock. (Mitt. d. Ges. f. dtsch. Erziehungs= u. Schulgeschichte. Hrsg. v. K. Kehrbach. Jahrg. 12, 1902, S. 201-228.)
2) Geschichte des gelehrten Unterrichts usw. Lpz. 1885, S. 371.
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astronomische Gesetzmäßigkeiten u. s. f. Im Zusammenhang mit diesen neuen wissenschaftlichen Bestrebungen steht auch das Emporkommen der Historiographie als freier, selbständiger Wissenschaft. Vor allem genügt die alte supranaturalistische Erklärungsweise der historischen Ereignisse nicht mehr; auch die geschichtlichen Tatsachen müssen wie die naturwissenschaftlichen aus ihrer Umgebung heraus erklärt werden; damit wird erst die Bahn frei für eine über die chronikalische Sammeltätigkeit fortschreitende wissenschaftliche Arbeit und Kritik und gleichzeitig für Einreihung der Geschichtswissenschaft in den Rahmen der Universitätswissenschaften. Freilich hatte schon Melanchthon - vielleicht als erster - über Weltgeschichte nach einem neuen Lehrbuch, der von ihm überarbeiteten Carion'schen Chronik, gelesen, und sein Beispiel hatte an vielen Orten Nachahmung gefunden; aber es ist sehr bezeichnend, daß Melanchthon die Geschichte noch nicht als selbständige Wissenschaft anerkannte, sondern sie für einen Zweig der Rhetorik, für eine lose zusammenhängende Masse von musterhaften oder verwerflichen Handlungen und Begebenheiten hielt, und es ist sicher, daß die Dozenten, die die am Ende des Reformationszeitalters an den meisten Universitäten neubegründeten historischen Lehrstühle einnahmen, die Geschichte in ähnlichem Geiste wie Melanchthon behandelten. Auch in den unruhigen Zeiten des 30jährigen Krieges konnte von einer besonderen Weiterentwicklung keine Rede sein. So kam die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts mit ihren neuen Ideen und Zielen. Aber im Vordergrund des Interesses standen auch dann noch zuerst die philosophischen, mathematischen und physikalischen Betrachtungen, und erst allmählich gewann die Geschichte durch das Zusammenwirken verschiedener Umstände an Boden. Sehr begünstigt wurde das Geschichtsstudium, speziell das Studium der Landesgeschichte durch das historische Interesse der immer mehr zu souveräner Stellung emporwachsenden Einzelstaaten und Fürstenhäuser, die ihre Rechte jetzt mehr durch diplomatische Prozesse als durch Schwertkämpfe zu erweitern suchten und die hierbei eine Hauptstütze in den Landesuniversitäten fanden. Auch der größere Zudrang zum Universitätsstudium seitens der Adligen und Vornehmen, denen dadurch einflußreiche Hofämter erschlossen wurden, mußte gerade den geschichtlichen Vorlesungen einen größeren Hörerkreis zuführen; gleichzeitig aber trug dieser Umstand - zusammen mit vielen anderen - dazu bei, das Aussehen und die Bildung des Gelehrten überhaupt zu verändern und an die Stelle des Buch= und Stubengelehrten den weltmännisch geschulten, viel gereisten,

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"galanten" Gelehrten treten zu lassen, der moderne Sprachen kannte, curieuse und gelehrte Zeitungen las, physikalische, mathematische, technologische Kenntnisse hatte, sich für politische und ökonomische Dinge interessierte, historische, namentlich auch genealogische und heraldische Studien trieb u. dgl. Und so ließen sich leicht weitere Züge aus dem neuen Geistesleben anführen, die die rührigere Geschichtsforschung und die lebhaftere Teilnahme an geschichtlichen Studien verständlich machen könnten.

Uns interessiert hier indessen zunächst die Universität Rostock. Allgemeingeschichtliche Vorlesungen führte dort höchstwahrscheinlich David Chytraeus zuerst in den akademischen Studienkreis ein. Seit ca. 1561 las er während seiner langen Lehrtätigkeit wiederholt über Universalgeschichte in Anlehnung an die Carion=Melanchthon'sche Chronik. Im 17. Jahrhundert scheinen aber auch in Rostock die historischen Studien stark in den Hintergrund zu treten, jedenfalls haben sie im Kreis der ordentlichen öffentlichen Vorlesungen keinen festen Platz: nur in einem einzigen von acht Lektionsverzeichnissen der Jahre 1615-1698 findet sich eine allgemeingeschichtliche Vorlesung; sie wird von J. Bacmeister im Jahre 1669 als Chronologia historica angekündigt. Im 18. Jahrhundert sind Vorlesungen über Weltgeschichte, Staatengeschichte, Reichshistorie usw. durchaus an der Tagesordnung - sogar in dem kleinen Bützow -, und von 1789 bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts werden in der Regel von drei oder vier Dozenten größere historische Kollegien angekündigt, während dann in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts die nur durch einen Professor vertretene Geschichtsdisziplin wieder etwas an Umfang zurücktritt. - Einen großen Anteil an der Pflege der historischen Studien hatte bis vor ein paar Menschenaltern noch die juristische Fakultät, besonders wurde die Reichshistorie (Jus publicum) und die Landesgeschichte gern von Juristen behandelt; auch ein Theologie=Professor findet sich wohl hier und da unter den Geschichtsdozenten.

In ähnlicher Weise wie das Interesse für die allgemeinere Geschichte wächst und schwankt auch das für die mecklenburgische Geschichte. Aus dem 17. Jahrhundert ist, abgesehen von einem Kolleg über mecklenburgische Kirchengeschichte (Bacmeister 1664), nach den wenig zahlreichen Lektionskatalogen keine Vorlesung über mecklenburgische Geschichte nachzuweisen. Von 40 mir aus den Jahren 1700-1788 bekannten Vorlesungsverzeichnissen bringen aber schon 15 Ankündigungen über mecklenburgische Geschichte: 1708 werden öffentliche Disputationen des Professors der Gschichte Koepken unter anderem auch über mecklenburgische Geschichte

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erwähnt 1 ), 1727 heißt es von dem Professor des Griechischen, Jac. Chr. Wolff: "Privatim Collegium in Historiam Patriam ad ductum Clariss. Hübneri . . praeleget", 1742, 1753, 1754, 1755, 1756, 1757, 1758, 1760 liest der Jurist E. J. Fr. Mantzel über mecklenburgische in Verbindung mit deutscher oder allgemeiner Geschichte, 1764 und 1777 liest der Lic. jur. Taddel und 1780, 1783, 1788 der Professor jur. Wiese speziell über mecklenburgische Geschichte. Die ziemlich lückenlos erhaltenen Programme der Bützower Universität 1761-89 enthalten in der Mehrzahl Ankündigungen des juristischen Professors Martini betreffs seiner Lektionen über die historia mecklenburgica, welche er "more solito" lehren will. Eine Eigentümlichkeit der Lektionspläne dieses Zeitraums ist es aber, daß sie die Vorlesungen der zahlreichen Privatdozenten und Magister nicht mit aufführen; noch 1788 klagt z. B. Professor Hartmann 2 ) darüber, daß man die "Doctores privatos von den Lektions=Katalogen ausschließe." Es spricht aber vieles dafür, daß gerade von dieser Seite her das Studium der vaterländischen Geschichte Förderung fand. In dem Zeitraum von 1789-1854, wo die Lektionspläne fast lückenlos vorhanden sind, wird im Durchschnitt alle zwei bis drei Semester über mecklenburgische Geschichte gelesen, nicht ganz selten (z. B. 1812, 1819, 1819/20, 1820, 1820/21, 1821, 1847, 1849) kündigen gleichzeitig zwei Dozenten Vorlesungen über diesen Gegenstand an. Dann tritt eine lange Pause ein. Erst 1899 entschließt sich wieder ein Privatdozent (Dr. Schäfer), über die Geschichte des engeren Vaterlandes zu lesen.

In welcher Weise man in früherer Zeit die Territorialgeschichte zu lehren pflegte, können wohl am besten ein paar alte Kolleghefte zeigen, aus denen ich einige Proben mitteilen möchte. Die betreffenden Exemplare sind im Besitz der Universitäts=Bibliothek. Das älteste, in zwei Niederschriften erhaltene, trägt die Aufschrift: "M. Jac. Hieron. Lochneri Praelectiones publicae in Historiam Mecklenburgicam secundum ductum Johannis Hübneri et quidem Tom. Hist. Quaest. VI lib. IV." Jac. Hier. Lochner, 1683 als Sohn des gleichnamigen Rostocker Professors geboren, wurde 1704 Privatdozent und nach größeren Auslandreisen 1710 Professor der Geschichte in Rostock. 1713 ging er nach Bremen, wo er bis zu seinem Tode 1764 als


1) "Disputationes publicas, tum in Theologia, tum in Historia Mecklenburgica."
2) Akten des Univ.=Archivs. H. 79a.
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Konrektor und Rektor tätig war. Er ist auch Verfasser einiger hisiorischer Schriften. Seine Vorlesung über mecklenburgische Geschichte fällt natürlich in die Zeit von 1710-13. Das Jahr 1709 wird bei der Schilderung des Herzogs Adolf Friedrich noch erwähnt. Die zweite Niederschrift, die sonst fast wörtlich mit der ersten übereinstimmt, hat bei der neuesten Geschichte noch ein paar durch Klammern kenntlich gemachte Zusätze, in denen noch das Jahr 1716 berührt wird. Sie trägt auf dem Titelblatt außerdem den Vermerk J. (oder F.) Dörcks und stammt vielleicht von einem am 2. August 1708 als Fredericus (?) Dörcks Gustrowiensis immatrikulierten Studenten her. Die Vorlesung lehnt sich wie die Kollegheftaufschrift sagt, an ein Lehrbuch des außerordentlich fruchtbaren Schriftstellers und Gelehrten Joh. Hübner an. Der ausführliche Titel dieses Buches ist: Johann Hübner, Rect. Gymn. Martisburg. Kurtze Fragen aus der politischen Historia biß auf gegenwärtige Zeit continuiret Und mit einer nützlichen Einleitung vor die Anfänger . . versehen. Theil 1-10. Es erschien 1702 und wurde dann öfters wieder aufgelegt. Hübners Buch ist eine ziemlich trockene Kompilation, erfreute sich aber bei den Zeitgenossen einer großen Beliebtheit. Speziell der Abschnitt über mecklenburgische Geschichte ist recht dürftig, er bringt in der Hauptsache ziemlich unfruchtbare Bemerkungen zur Geschichte des Fürstenhauses. Auch macht Hübner kein Hehl daraus, daß er keine eigenen Quellenforschungen angestellt habe; bei Gelegenheit der alten mecklenburgischen Einwohner erklärt er offen: "so möchte ich wohl lieber einen gelehrten Einwohner dieser Lande an meiner Stelle antworten lassen. So viel ich davon habe finden können, will ich unterdessen zu Marckte bringen, und wie in anderen Capiteln, also auch in diesem mich gerne eines anderen belehren lassen." Da aber zu Lochners Zeit kaum andere gedruckte für die Studenten bequem erreichbare Darstellungen vorhanden waren, ist es begreiflich, daß er sich an diese neueste mecklenburgische Geschichtskompilation anlehnte. Auch die Form der Darstellung - in Fragen und Antworten - mag ihm für Lehrzwecke passend geschienen haben.

Hübner handelt von dem "Wendischen Königreiche" auf 43 kleinen 12° Seiten, über "Mecklenburg insonderheit" auf 60 Seiten. Lochners Vorlesungsbemerkungen, soweit sie aus dem Kollegheft zu erkennen sind, lehnen sich ungefähr in gleichem Umfang an Hübners Text an: das eine Heft umfaßt 32 eng beschriebene Quartseiten, das andere 50 ebenfalls noch ziemlich dicht angefüllte Seiten. Die Art der Kollegerklärungen und =Zusätze mag man

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ungefähr aus den beiden folgenden Beispielen, in denen Hübners (deutscher) und Lochners (lateinischer) Text nebeneinander gestellt ist, erkennen:

I. Was ist von den Sitten dieser Völcker zu merken? 1 )

Was den Götzendienst betraff, so sind alle diese Nationes im Anfange Heiden gewesen.

De Idolis atque Idolatrie majorum nostrorum conferantur exasciatae Disputationes: Aepiniana citata, Ludwichianae Tres de Idolis Slavorum, addatur Bangertus ad Helmoldum pag. 125 sqq. Schedius de Diis Germanis, Masii antiquitates Meckl.

Der vornehmste Götze im Mecklenburgischen war Rhadagaisus oder Rhadegast;

Radegastus Mars hujus gentis fuit, in Rhetra urbe stetit; Juvenili forma erat, capillis avis inhaerebat, quem aquilam fuisse putant, Tauri capite, dextra tegebat pectus, laeva manu bipennem tenens.

in Wagrien ward der Abgott Prowe;

Prowe Agriculturae patrocinium sustinuisse creditur, virili forma in columna stabat, corona caput redimitus, oblongis atque erectis auribus, dextera vomerem gestabat, hastam cum vexillo sinistra manu tenens, ac ocreas pedibus indutus.

und im Ratzeburgischen die Göttin Siva;

Siva vel Ceres fuit vel potius Venus Polaborum, muliebris formae fuit, manu altera uvam cum volio (folio) viridi, pomum aureum altera tenens, caput serto ornata.

in Pommern aber hauptsächlich der Abgott Svantewit verehret.

Suantewit, Ingens simulacrum omnem humani corporis granditatem transcendens (inatuor cubitorum, corrasa barba, crinibus attonsis, in dextera cornu gestans, laeva arcum, tunica ad tibias prominens pingebatur, pedes humo contigui. Haud procul fraenum ac sella simulacro, compluraque divinitatis insignia aberant et denique conspicuae granditatis ensis. Quae omnia solis Idolum fuisse loquuntur.

De Idolatria majorum nostrorum egregie Ludwich Dissert.: de Idolis Slavorum: nemo, ait, sibi persuadeat,


1) Hübner ist hier zitiert nach der Ausgabe Leipzig 1707/9, deren Seitenzahlen nicht mit den Hinweisen Lochners übereinstimmen.
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posteros Noachi eo tempore quo oras has et regiones in coluere, a veri Dei agnitione et cultu descivisse statim et deflexisse. Tangebat enim diu posteros parentum suorum et sacri cultus memoria. At in diversas regiones distracti, bellis et victoriis se delectantes, verum Dei cultum neglexerunt, et regionibus ampliandis studentes Heroes et Duces suos in proelio ereptos, tanquam indigetes Dei et nuncios venerati sunt, in numeroque Deorum tandem illos adscivere. Post a Creatore, et illis qui Deorum loco erant, tanquam numinibus inconspicuis in res obvias magis et cognitas delapsi, solem, lunam, et quae sunt generis ejusdem, in hominem ut putabant benigniores, in Deorum numerum adoptarunt, tandemque verum Deum amiserunt. Eleganter Thomas Aquinas: Accidit istis, sicut alicui ad regiam principis eunti volens videre Principem, quoscumque bene indutos ipsum Principem esse existimat.

Diese Götzen wurden mit Menschenblute versöhnet, und da gieng es gemeiniglich über die Christen her. Die Wenden hatten sonderlich ihre Lust daran, wenn sie den Christen den Bauch aufschnitten, das Eingeweide an einen Pfahl bunden, und hernach die armen Menschen so lange mit Peitschen um den Pfahl herum jagten, biß Lunge und Leber heraus gerissen war.

De Christianorum truci supplicio agunt Helmoldus, Cap. 52 et 53. Lib. 1. Marescalcus Annal. Lib. 1. Cap. 8.

Unter den Tugenden dieser Völcker ist die Gastfreyheit am meisten berühmt. Denn es war unter ihnen ein Gesetze, daß einem Manne das Hauß über dem Koppfe angezündet ward, wenn man beweisen kunte, daß er einen Fremden nicht beherberget hätte. Doch wird auch dieses darbey gemeldet, daß sie die Victualien zur Bewirthung eines solchen Gastes gemeiniglich die Nacht vorhero gestohlen hätten.

De hospitalitate vide: idem Helmoldus L. 1. Cap. 83. Krantzius Vandal. Lib. 4. Cap. 23. Ubi viter alia: Ostentationis, inquit, jactantia multos ex his (Vandalis) ad facta et latrocinia contrudit: Quae utique vitiorum genera apud eos quidem venalia sunt. Excusantur enim hospitalitatis pallatione. Vandalorum enim legibus accidens, Quod noctu furatus fueris, crastina hospitibus disparties.

Dazu noch eine andere Stelle:

XXVII. Was ist bey Henrico zu mercken?

Henricus Suspensor Hertzog zu Mecklenburg stirbt 1382. Seine Gemahlin Ingelburga ist bekannt: Denn sie war eine

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Schwester der dänischen Königin Margaretae, und ihre Nachkommen von der Sophia haben endlich den Dänischen Thron bestiegen. Davon an seinem Orte.

Henricus Suspensor producitur a Marescalco Annal. L. 7. Cap. 2. Krantz. Vand. L. 9. C. 8. Quo loco, tanto, ait insectatum Henricum esse odio publicorum itinerum latrones, ut nulli deferens Nobilitati, quotquot ejus culpae deprehendit affines, nullius usus ministerio, nec expectata ad expugnandam conscientiam opportunitate, ipse suis manibus alligaverit jugulandos.

Es hatte dieser Henricus sonst einen Sohn, welcher Albertus genennet ward, und Hoffnung zur Dänischen Crone hatte: er starb aber A. 1387 ohne Erben.

De Alberti III, Henrici filii in Daniam expeditione sine exoptato successu facta idem Krantzius Vand. L. 9. C. 22 agit. Marescaleus peste absumptum. perisse, scribit; Annal. L. 7. C. 2. Ericus Pomeranus a Margaretha adoptatus, repudiato Alberto, Suecorum ac Danorum sceptra moderatus est. Pater ejus erat Wratislaus VI. Mater Maria Megapolitana. Vid.: Hist. Danica Hüb. Quaest. Tom. 3.

Den Zunahmen Suspensor, das ist der Hencker, bekam Hertzog Henricus daher, weil er die Straßenräuber ohn alle Barmhertzigkeit aufhencken ließ, davor ihm dies Epitaphium, ist gemachet worden: Forte scholis didicit etc. -

Die Hauptaufgabe der Lochnerschen Vorlesungen ist jedefalls die, auf die Quellenschriften und anderweitigen Belege, die Hübner nicht anmerkt, hinzuweisen. Ursprüngliche und abgeleitete Quellen werden dabei ziemlich kritiklos als gleichwertig hingenommen. Häufig begnügt Lochner sich damit, die Quelle nur dem Titel nach anzugeben; bisweilen citiert er etwas ausführlicher daraus. Was ihm sonst bemerkenswert erscheint, besonders allerlei Personalien, wie die Namen der fürstlichen Gemahlinnen und Kinder, auch einiges Anekdotenhafte teilt er mit. Dagegen läßt er sich auf kulturgeschichtliche Dinge fast gar nicht, auf Erklärung vieler der wichtigsten Geschichtsereignisse überhaupt nicht oder nur äußerst kurz ein; Beispiele dafür sind die Kapitel, wo von der Germanisierung Mecklenburgs, von den mittelalterlichen Aufständen in Wismar und Rostock, von der Kirchenreformation, von den Ereignissen unter Johann Albrecht, vom 30 jährigen Krieg die Rede ist; auch bei Gelegenheit des noch in frischer Erinnerung lebenden Güstrower Erbfolgekrieges verweist er nur ganz obenhin auf den "Staat von Mecklenburg." (Vgl. die nächste An=

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merkung.) Ganz selten versucht er da, wo Hübner Bedenken hat, genauere Feststellungen. Wie er sonst über Geschichte und über das Studium der Geschichte denkt, erfahren wir aus der Einleitungsvorlesung, die er vor Beginn der Lektüre an seine Zuhörer richtet: Leider sei vieles dunkel in der mecklenburgischen Geschichte, man könne sie einteilen in drei Perioden, die incerta, die von Anthyrius an die z. T. erdichteten Taten der Heruler und Wandalen aufzähle, die verisimilis, die die Taten der Wenden berichte und die vera, die von der Einwanderung der Sachsen im 12. Jahrhundert beginne. Wie die Kenntnis der allgemeinen Geschichte, sei auch eine solche der vaterländischen besonders nützlich. Denen, die die Notwendigkeit und Annehmlichkeit des Geschichtsstudiums würdigten, wolle er zeigen, welche Methode hierbei mit Nutzen einzuschlagen sei. Zunächst müsse man sich ein Kompendium der mecklenburgischen Historie verschaffen, um die Reihenfolge der Ereignisse kennen zu lernen. Ein solches Kompendium habe der berühmte Hübner geschrieben (Kurze Fragen VI, 4); auch handschriftliche Lehrbücher seien hier und da vorhanden. Dann sei zu raten, des Latomus mecklenburgische Geschichte, wenn man sie bekommen könne, oder eine andere umfangreiche zu lesen. An dritter Stelle seien gewisse edierte und unedierte Autoren, sowie die staatlichen Archive, die Historiker, die die benachbarten Länder beschreiben und solche, die spezielle Themata berühren und ähnliche Hülfsmittel zu benutzen. 1 )


1) Ich kann mir nicht versagen, wenigstens die kurzen Titel der von Lochner für wichtig gehaltenen Schriften hierher zu setzen: Helmold, Chron. Slav. (beste Ausgabe von Bangertus) und seine Fortsetzer Arnoldus Lubecensis und der Presbyter Bremensis. Alb. Krantz, Saxonia etc., fortgesetzt von Dav. Chytraeus. Nicolaus Marescalcus Thurius, Annales etc. ("quo nemo diligentius res patrias pervestigavit"). Casp. Calovius, (Andr. Mylius) Chronicon, Bernh. Hedericus, Chronicon Suerinense 1596 etc. Mich. Cordesius, Chronicon Parchimense 1670. Petr. Lindebebergius, Chronicon Rostochiense 1596. Joh. Bocerus, De origine et reb. gest. Ducum Meckl. 1556 etc. Frid. Thomas, Analecta Gustroviensia 1706. Kayserl. Manifest, warumb d. beyd. Herzöge v. Meckl. ihres Fürstenthums entsetzet, item Fürstl. Meckl. Apologia . . Lübeck 1630 (Sim. Gabr. zur Nedden.) Dazu Disputationen etc. .: Schurtzfleisch, de reb. Slav. et de reb. Meckl. J. A. Engelcken, de hostia Sternbergae a Judaeis confossa . . 1699. Köpken, Dispp. variae de Joachimo Kutzero, de Lossio episc. Suer., de Praesagiis Reformationis etc. Aepinus, De Meckl. a gentilismo ad christianismum conversione und Merita Westfalorum in Acad. Rost. Rollius, De rectoribus mortuis in Acad. Rost. Lilienthal, Merita Quistorpiorum. Habichhorst, Disp. de terra Meckl. und Rostochium litteratum. Christ. et Asar. Sturcius, Oratt. de vita et obitu quorundam Principum Meckl. Sim. Pauli, Or. de Johanne (  ...  )
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Wer mit solchen Hülfsmitteln ausgerüstet sei, könne mit Erfolg studieren, besonders wenn er noch mündlich oder brieflich mit gelehrten Männern verkehre. Sehr zu wünschen sei allerdings, daß bald ein Corpus historicum Mecklenburgicum in der Art der Sammlungen der Meibom, Goldast, Leibnitz etc. . zustande käme, ferner daß jährlich das denkwürdige auf allen Gebieten zusammengestellt werde etc. . -

Die Rostocker Universitätsbibliothek besitzt noch ein zweites, etwas jüngeres Kollegheft über mecklenburgische Geschichte. Es enthält weder Titel noch Datum. Nach dem Handschriftenkatalog der Universitätsbibliothek soll der Autor "wahrscheinlich" Heinr. Friedr. Taddel sein. Das ist aber zweifellos ein Irrtum, denn Taddel ist erst i. J. 1736 geboren, das Kollegheft ist aber bereits 1739 oder 1740 niedergeschrieben worden. Letzteres geht mit Sicherheit aus verschiedenen Stellen des Textes, wo von bekannten Ereignissen als "im vorigen Jahr" oder "vor einigen Jahren" passiert oder von eben erscheinenden Büchern gesprochen wird u. dergl. Auf Grund dieser Zeitbestimmungen war es dann nicht


(  ...  ) Theologe et de urbe Suer. Joh. Caselius, De laudibus Elisabethae Cimbricae. Joh. Posselius, Oratio de Rostochio. Bulla fundationis Acad. Rost. Formula Concordiae inter Duces Meckl. et Senatum Rost. Acta jubilaei Rostoch. Epitaphia Saxoniae inferioris. Scripta in Acad. Rost. publice proposita 1560-1567. Dazu Leichenpredigten und dergl. Ferner: Hect. God. Masius, De diis Obotrit. (Antiquitates Meckl.) Joh. P. Ludovicus, De Idolis Slavorum 1691/2. Melch. Nebel, Discriptio germ. regionis Meckl. "Staat von Mecklenburg". [Halle 1702.] Grapius, Evang. Rostock. - Von Handschriftlichem zu nennen: Chronicon rhythmicum Kirchbergii 1378. Latomus, Chron Joh. Fr. Chemnitius, Chron. Nic. Marscalcus, Wapen Buch. Reimar Kock Chron. (Verschiedenes in den Händen der Schweriner Pastoren Westphal und Sucovius und des Archivars Schultz, des Rostocker Bürgermeisters Redecker, des Rechtskandidaten J. Cas. Brandes, des Bützower Oekonomus Pasch. Zander, des Travemünder Pastors Bacmeister, der Pastorenfamilie Masius.) Aepinus, Vitae proff. Rost. Die Griseschen Schriften, deren Herausgabe Grapius, Evang. Rost. versprochen hat. Bald erscheinen sollen: Pritzbbuer, Vita Gust. Adolphi Gustr. Thomas, Miscell. menstrua Meckl. - Doberaner Epitaphien. - Von Autoren, die über benachbarte Länder und über Deutschland geschrieben haben, sind zu nennen: W. Latzius, De migratione gentium. Eginhardus, vita Caroli M. Annales Francici. Adamus Bremensis, Hist. eccl. Saxo Grammaticus, De reb. Danicis. Pontanus, Hist. Danica. Procopius, De reb. Vandalicis. Polnische, pommersche, Lübeckische, holsteinische u. a. Chroniken. P. Senius, Hist. Chronik. Micraelius und Kantzow (Chron. Pomm.) Liutprand von Cremona, Lib. VI de reb. Europ. Augustinus Encälius, Aulaeum Danaidum 1564 (wo auch von meckl. Fürsten die Rede ist). Imhoffii Notitia Procerum. Speneri et Botsingii Heraldica. Henningii et Reusneri Genealogica.
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schwer, den Autor der Vorlesungen zu ermitteln: Es ist Heinr. Nettelbladt, der Verfasser des "Kurzen Entwurfs einer Mecklenburgischen Historie, zum Gebrauche Seiner akademischen Vorlesungen. Rostock, Adler 1739. 4°," an welchen Entwurf sich eben das Kollegheft in allen Teilen eng anlehnt. Nettelbladt, geb. 1715 als Sohn eines Rostocker Senators, hatte 1730-38 in Rostock, Greifswald, Leipzig studiert und nach seiner Promotion zum Dr. jur. 1738 eine Zeitlang in Rostock doziert, 1 ) 1746 wurde er in den Rat gewählt und mit der Aufsicht des Archivs betraut. Er hat sich, wie Krause sagt, zum besten Kenner der meckl. Geschichte hinaufgearbeitet, außer dem "Entwurf" noch die wertvolle "Succincta Notitia Scriptorum tum editorum tum anecdotorum ducatus Megapolitani . . Rostochii, Warningck 1745. 4°" und Aufsätze im Rostocker Etwas in den Rost. Nachrichten und Anzeigen etc. . geschrieben. Sein Todesjahr ist 1761. Das uns erhaltene Vorlesungsheft stammt zweifellos von Nettelbladts eigner Hand her. Es gibt den genauen Wortlaut der bis ins Einzelne, bis auf die Anredeformeln ausgearbeiteten Vorlesungen. Als Beweis dafür mag hier die in mehrfacher Hinsicht interessante Einleitung dienen, die die Überschrift trägt: Discursiis Praeliminaris de utilitate et necessitate studii Historiae in genere et sigillatim Patriae. Sie lautet:

H[ochl z[u] ehrende] Herren] !

So gewiß und unleuchbahr es ist, daß die Erlernung der Geschichte höchst angenehm, nöhtig und nützlich ist, so viel mehr muß man sich wundern, wann man noch heut zu Tage von vielen die unbedachtsahmen Worte höret: Dergleichen Studien dieneten mehr zur Zierde als daß sie nützlich und nöhtig wären; die Geschichten gehorten nicht zu dem Edict des Praetoris; sie brächten kein Brodt; sie wären einem wahren Juristen hinderlich und schädlich und andere dergleichen noch schlechtere Neben Ursachen. Es wird also mir bey so guter Gelegenheit vergönnt seyn, Jhnen Hochzuehrenden Herren, da Sie mir die Ehre gethan und in dieser Art von Studien meiner wenigen Anführung sich bedienen wollen, wo vor Jhnen ergebensten Dank abstatte, die mit Erlernung der Geschichte verknüpfte Ergötzung, und den aus erlangter Kenntniß entspringenden Nutzen einigermaßen anzupreisen.


1) Daß er tatsächlich meckl. Gesch. vortrug, ist z. B. zu ersehen aus: Eschenbach, Kurze Übersicht der Schicksale der Rostock'schen Akademie 1719-1819. (Wöch. Rost. Nachr. u. Anz. 50. 1819.)
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Alles menschliche Vergnügen hat wie bekandt die Verenderung und Abwechselung zum Grunde, was ist aber veränderlicher als der Schauplatz der Welt? Was ist abwechselnder, als das Schicksahl unzehliger Reiche und Völker, die insgesamt erst aufgekommen, darnach geblühet haben, bald sind geschwächt, gestürtzt und oft auf gantz neue Art wieder hergestellet worden. Die menschliche Neugierigkeit, die sich oft um des Nachbahren Ehe Bette Küche und Keller und gantzes Haushalten ohne Noht erkundiget, müßte gantz ersterben, wenn uns nicht ferner angenehm seyn sollte, große Könige und mächtige Fürsten vermittelst der Historie etwas genauer kennen zu lernen. Zwar verspreche nicht leicht jemand, daß ihn die Erlernung der Geschichte auf den Grad ergötzen werde, als den klugen und gelehrten König in Aragonien Alphonsus, welcher von Lesung des Curtius soll seyn gesund worden. Daß ist aber wohl durch die tägliche Erfahrung ausgemacht, daß wider allerhand verdrießliche Stunden keine bessere Artzney sey, als ein historisches Buch. Allein es entstehet der Preiß der Historie nicht bloß aus der Neubegierigkeit des menschlichen Gemüthes. Die Nutzbarkeit derselben ist in der Sitten= und Staatslehre, in den Rechten und andern Theilen der Gelehrsamkeit eben so groß, als daß Vergnügen so die Menge der unvermuhteten Abwechselungen bey dem Leser erweckt. Jch könte Jhnen wenn es der Endzweck meiner Vorlesungen erlaubte per inductionem zeigen, wie die Geschichte einer jeden Disciplin ein besonderes Licht und Nutzen gebe. Sie können solches weitläufiger erwiesen lesen in des Fanciolotti eines Professors zu Padua Oration de utilitate Historiae, welche der Herr Prof. Kopp zu Leipzig vor einigen Jahren wieder auflegen lassen. Nur einen Nutzen welchen wir von Erlernung der Geschichte täglich in dem gemeinschaftlichen Leben haben anzuführen. So ist bekandt daß die Menschen von Natur gesellige Thiere sind. Der gemeinste Inhalt der in den Gesellschaften zu führenden Gespräche ist der jetzige Lauff der Welt. Die Betrachtung des Gegenwärtigen leitet ordentlicher Weise zu der Erinnerung des vergangenen. Die Geschichten geben alsdann hunderterley Gelegenheit, die zu einem solchen Umgange ausgesetzte Zeit vergnügt und nützlich hinzubringen. Allein, wie schlecht siehet es aus, wenn sich unter dergleichen Persohnen jemand verirret, dem dies alles Böhmische Dörffer, zumahl wenn es eine solche Persohn, die aus anderen Ursachen doch unter die Gelehrten zu zehlen, die aber in ihrer Jugend diese Art von Gelehrsamkeit zu erlangen versäumet hat.

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Wie nun die historische Erkentnüß überhaupt eine besondere Zierde ist, und Nutzen bringt, so ist insonderheit einem jeden die Wissenschaft der Geschichte seines Vaterlandes so gar nöhtig und unentbehrlich. Denn da unser Glück oder Unglück die auswertigen wenig bekümmert, so müssen wir als Landes Kinder vor allen Dingen da hin sehen, wie bey betrübten und unruhigen Zeiten dem übel abgeholffen, der Friede hergestellet und des gantzes Landes Flohr und Wachsthum befördert werde. Dieses alles aber müßen wir aus den Geschichten voriger Zeiten erlernen, denn in menschlichen Dingen vergehen zwar die Zeiten und die Persohnen, aber die Ursachen und die Ausgänge der Sachen pflegen offt einerley zu seyn, da wir dann aus dem vorigen abnehmen können, wie wir uns bei dem gegenwärtigen aufzuführen haben. Überdem findet man bey Untersuchung der Historie seines Vaterlandes viel gutes, das die Fremden in ihren Schriften offt gantz verstellet haben, und muß darüber so viel mehr Vergnügen fühlen, je schöner es an sich selbst ist, das Andenken rühmlicher Thaten zu verewigen und je weniger vormahls die alten Helden sich um das Gedächtniß der Nachwelt bekümmert haben. Doch findet er auch genung Fehler, Gebrechen und übele Anschlege zu bemerken. Beydes dienet den Begriff zu formieren, den ein jeder von seiner Nation haben soll, und je erleuchteter die Liebe fürs Vaterland ist, je nützlicher kann sie seyn. Nechst diesem äußert sich der Nutzen der Meckl. Hisiorie insonderheit im Jure publico unseres Vaterlandes, dessen gantz besondere Verfassung niemand ohne diese Hülfe verstehen kann. Man berufft in selbigen vielmahls auf geschehene Dinge entweder zum Beweiß der angemaßten Befugnisse oder zur Erläuterung desselben, die Historie muß über die Wahrheit des Anführens urtheilen. Man giebt Uhrkunden an, die Historie muß die Kennzeichen, nach welchen sie entweder zu behaupten oder zu verwerfen sind, hergeben. Dergleichen Dinge siehet man nicht in ihrem rechten Lichte, als wenn man sie in ihrem Zusammenhang und nach den Umständen der Zeit, und der übrigen Angelegenheiten betrachten kann. Wer demnach die Geschichte unseres Vaterlandes recht fassen will, muß den Grund der Universalhistorie und von Teutschland insgemein geleget und nechst diesem die zur Historie gehörigen drey neben Wissenschaften, die Geographie, Chronologie und die Genealogie, wohl inne haben, als welche gleichsam angewiesen was sie zum Dienste der Historie beyzutragen haben. Die Zeit Rechnung setzt den Verlauf der Sachen in Richtigkeit; die Geographie giebt Anlaß aus der Lage der Örter von der Gelegenheit die daraus so wohl zu Kriegen,

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als zur Handlung und Freundschaft entstehet zu urtheilen. Die Genealogie erläutert die Folge in einem Lande, und die Umstände der Verwandschafft, nach welchen sich verschiedene Höfe und große Häuser entweder getrennet oder vereiniget, und daher die Ansprüche entstanden. Es sind diese mit der Historie notwendig verknüpften neben Wissenschaften in diesen zum Gebrauch dieser Vorlesung verfertigten Sätzen genau beobachtet worden. Die Chronologie ist sorgfältig bemerckt worden, und das Jahr Christi jederzeit zu Ende eines Satzes angezeiget worden. Die Meckl. Land Taffeln werde Jhnen vorzeigen, und von der Laage und Beschaffenheit derjenigen Oerter, deren in den kurtzen Sätzen gedacht wird weitläuffig handeln. Zu Ende eines jeden Buchs werde eine Stam=Tafel nach den tüchtigsten Scribenten unseres Vaterlandes verfertiget beifügen und selbige erklähren. Was endlich die Methode betrift, welcher mich in diesem Collegio bedienen werde, so muß gestehen, daß anfänglich ein etwaniger Kummer bey mir entstanden, da mir vorgenommen habe, wenn einige Freunde, welche in den Geschichten unseres Vaterlandes sich meiner wenigen Anführung bedienen wollen, finden mogten, selbigen vorzulesen was vor ein Buch ich in diesen Lectionen solle zum Grunde legen. Indem es in der Meckl. Historie uns bißhero noch an einem guten Compendio fehlet. Die etwa vorhanden sind kamen alle in Vorschlag, es gefiel mir aber die Wahrheit zu sagen keines zum Gebrauch eines Collegii. Einige waren mir zu kurtz andere zu groß; an einigen mißfiel die Lehr Art an anderen die eingemischten Fabeln, dem einen fehlte die Zeitrechnung, dem andern die Anziehung tüchtiger Scribenten, dem dritten die neuere Zeit und so ferner; welches mich endlich zu dem Entschluß gebracht selbst zum Gebrauch meiner H. Zuhörer einige Sätze aufzusetzen, und selbige nach meiner Art zu erklären und zu erläutern. Solche kurtze Sätze wie diese haben mir jederzeit zum Gebrauche eines historischen Collegii am schicklichsten geschienen. Die Freyheit, so man beim Vortrage hat, gibt Gelegenheit genauere Nachrichten von den berühmten Persohnen, so in der Historie vorkommen, so wohl als von denen Schriften und Urkunden, darauf sich die Erzehlungen gründen, anzubringen, und die streitigen Fragen, so in dem Meckl. Staats Recht entstanden, zu erörtern. Ich schreite also zur Erläuterung meiner Sätze selbst und erbitte von dem Höchsten, daß er meinen H. z. E. H. und mir Gesundheit und Kräfte verleihen wolle, diese angefangene Arbeit unter seiner Gnade unausgesetzt glücklich zu Enden. 1 )


1) Ein paar Randbemerkungen habe ich bei dieser Einleitung nicht mit zum Abdruck gebracht; einige Schreibfehler sind verbessert etc. .
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Nach dieser 10 Quartseiten umfassenden Einleitung folgen 28 Seiten (und 8 Seiten Nachträge) mit der Überschrift: Ad Prologum. Sie handeln eingehend von der Beschaffenheit und dem Wert der alten Quellenschriften, von den Archiven und der in Betracht kommenden neueren Literatur. Dann wird auf fast 600 Seiten (mit Einschluß von ca. 50 Seiten Nachträgen 1 ) die mecklenburgische Geschichte bis zum Tode Herzog Albrechts I. 1379 dargestellt. Wie man sieht, haben wir es hier also mit einem außerordentlich breit angelegten Kolleg zu tun; ich möchte glauben, daß Nettelbladt allein zur Absolvierung dieses ersten Teils der mecklenburgischen Geschichte eine 3-4stündige Semestervorlesung hat ankündigen müssen. Leider läßt der Raum es hier nicht gut zu, noch an besonderen Beispielen zu zeigen, wie Nettelbladt die Geschichte im einzelnen behandelte. Seine Disposition kann man aus dem gedruckten "Kurzen Entwurf" ersehen, die Vorlesungen entsprechen genau, zumeist auch in den Kapitel= und Abschnittsbezeichnungen dem Schema des Entwurfs. Sie machen überhaupt den Eindruck, als wenn der Verfasser an eine Drucklegung gedacht hätte, und man muß wohl sagen, daß diese Darstellung der mecklenburgischen Geschichte so gut wie manche andere verdient hätte, gedruckt zu werden. Daß Nettelbladts Entwurf sich eines großen Ansehens erfreute, geht daraus hervor, daß z. B. noch 1764 Taddel und 1780 Wiese ihre akademischen Vorlesungen an den Entwurf anlehnten. Nettelbladt verfügt vor allem über eine große Kenntnis der gesammten literarischen Hülfsmittel, er nimmt aber die Angaben seiner Gewährsmänner nicht unbesehens hin, er prüft, wählt das Wahrscheinlichere aus oder erklärt, daß die Sache dunkel sei. Von Marschalk Thurius, den Lochner noch sehr hochstellt, sagt z. B. Nettelbladt, er gebe "mehr einen hochtrabenden Redner als einen glaubwürdigen Historicum" ab. An anderen Stellen muß man sich wieder über Nettelbladts Leichtgläubigkeit und Naivität wundern, am meisten, wenn er den ganzen Wust der etymologischen Spitzfindigkeiten, wie Wismar gleich wis mayr, sapiens vir etc. ., mit ernster Miene aufführt und selbst solche Erklärungsexperimente anstellt. Beachtenswert ist die ziemlich breite Behandlung der Kultur und besonders der Rechtsverhältnisse bei Nettelbladt, beispielsweise umfaßt Kapitel 4 des ersten Buches, das "von dem Zustand und Gebräuchen der alten Einwohner Mecklenburgs, insonder=


1) Diese Nachträge sind zwischen den ursprünglichen Textblättern eingeklebt; sie sind vielleicht bei der Wiederholung der Vorlesung hinzugefügt worden.
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heit der Wenden" handelt, ca. 53 Quartseiten und das folgende 5. Kapitel "von denen Gottheiten und Gottesdienste der alten Wenden" deren 56.

Besonders nach diesen beiden Seiten hin, mit der besseren kritischen Fundamentierung und dem breiteren kulturgeschichtlichen Hintergrund bezeichnet Nettelbladts Darstellung einen bedeutenden Fortschritt über Lochner hinaus. Dazu kommt aber, daß die ganze Darstellung Nettelbladts überhaupt in einem anderen Geist abgefaßt ist. Nettelbladt bemüht sich, die geschichtlichen Vorgänge zu begreifen und sie auch dem Verständnis der Zuhörer nahe zu bringen, während Lochner sich zumeist mit der Aufzählung trockner Daten und Anekdoten begnügt. Nettelbladt beherrscht seinen Stoff bei weitem mehr als Lochner, er steht ihm deshalb auch freier und selbständiger gegenüber, er braucht kein fremdes Lehrbuch, er macht sich selbst seine Disposition. Auch daß er deutsch schreibt und liest, während Lochner sich noch der lateinischen Sprache bedient, ist beachtenswert. Alles in allem hat man den Eindruck, daß das knappe Menschenalter, das zwischen unseren beiden Dozenten liegt, einen erheblichen Umschwung auf dem Gebiet des Geschichtstudiums herbeigeführt haben muß.

Daß die weitere Entwicklung eine ebenso rasche sei, läßt sich allerdings wohl nicht behaupten. Die Benutzung eines Lehrbuchs bleibt bei den Vorlesungen über mecklenburgische Geschichte noch lange in Übung. Zwar liest Martini in Bützow (und später in Rostock) seit 1765 wiederholt "ad propria dictata", "ad meas positiones calamo ab auditoribus excipiendas" auch "ad filum compendii sui quod sub prelo est" (1767), auch Burchard 1790 ff. "secundum propria dictata" oder "duce libro proprio" und Taddel und Wiese bedienen sich wie oben bemerkt des kurzen Nettelbladt'schen Entwurfs, aber noch 1794/95 liest Wiese "ad filum Buchholtzii", 1 ) und sogar 1819 und später verschmäht Diemer wenigstens nicht völlig ein derartiges Hülfsmittel, da er ankündigt, daß er "tum libro classico de Rudloff usque ad 1572 tum schedis suis pro compendio" gebrauchen werde. Jedenfalls ist seit Nettelbladts Zeit das Interesse für mecklenburgische Geschichte sehr im Wachsen begriffen. Dafür spricht die lebhafte literarische Tätigkeit, die Zugänglichmachung der Quellen, besonders durch Westphalens monumentales Werk, die Begründung von eigenen lokalgeschichtlichen Zeitschriften wie das


1) Versuch in der Geschichte des Herzogtums Mecklenburg durch Sam. Buchholtzen, Rostock 1753.
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Rostocker Etwas und von Zeitungen, die mit Vorliebe geschichtliche Themata behandelten. Dafür spricht aber in erster Linie auch der Umstand, daß man die mecklenburgische Geschichte immer mehr als ordnungsmäßigen Gegenstand in den Kreis der Universitätsdisziplinen einführte. Wir haben schon oben gesehen, in welchem Umfange die Lektionsverzeichnisse hiervon Kunde geben, und wir haben darauf aufmerksam gemacht, daß die Vorlesungen der zahlreichen Privatdozenten früher nicht in die Verzeichnisse mit aufgenommen wurden. Daß tatsächlich häufiger, als es die Lektionskataloge erkennen lassen, über mecklenburgische Geschichte gelesen wurde, geht z. B. aus dem Fall Nettelbladt hervor, weiter daraus, daß Nettelbladt in seiner Succ. Notitia script. Meckl. unter den handschriftlichen Hülfsmitteln außer einem Kollegium von Lochner (wohl dem unsrigen) und Jac. Chr. Wolff auch eine Vorlesung über die mecklenburgische Historie von E. J. de Westphal nennt, und daß z. B. Aepinus, der ebenfalls in den von mir benutzten Lektionsplänen fehlt, in der Vorrede zu Buchholtz's Meckl. Gesch. 1753 sagt "Da ich den Vorsatz hege, künftig über die Geschichte meines Vaterlandes auf hiesiger Akademie Vorlesungen anzustellen, so freue ich mich, daß ich nunmehr ein Lehrbuch in Händen habe, dem ich als sichern Leitfaden folgen kann." Auch lassen sich Beispiele dafür finden, daß Professoren häufiger, als es die vorhandenen Programme anzeigen, über Mecklenburgische Historie gelesen haben, z. B. hat Taddel nach Koppes handschr. Materialien (Universitäts=Bibliothek) auch 1768 solche Vorlesungen angekündigt.

Was die eigentlich technische Seite des Unterrichts anlangt, so bin ich leider nicht in der Lage, aus direkten Rostocker Quellen - abgesehen von einigen vorhin erwähnten Andeutungen aus den Lektionsplänen - die Sache erläutern zu können. Man darf aber wohl annehmen, daß die Verhältnisse in Rostock ähnlich so wie an anderen Universitäten gelegen haben, so daß andere universitätsgeschichtliche Untersuchungen auch für uns Gültigkeit haben. Wenn das richtig ist, so wird auch unter den Rostocker Dozenten ebenso wie anderswo 1 ) und wie auch heute noch die Art des Vortrags nicht gleichartig gewesen sein: manche trugen so vor, daß ein ziemlich wörtliches Nachschreiben möglich war, andere diktierten die Hauptsätze in größerem oder geringerem Umfange. Die Vorlesung Nettelbladts entsprach wahrscheinlich bis aufs Wort dem uns


1) z. B. Halle (W. Schrader, Geschichte der Friedrichs=Universität zu Halle, 1894).
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erhaltenen Text; die Studenten, die man sich im Besitz des "Entwurfs" denken muß, notierten wahrscheinlich so viel, wie sie für wichtig hielten oder so schnell sie folgen konnten; Quellenangaben, Titel, chronologische und andere Notizen werden jedenfalls auch von Nettelbladt diktiert worden sein. Bei Lochners Kolleg, das uns wahrscheinlich in Studentennachschriften erhalten ist, möchte ich auf Grund des ersten Exemplars mit seinen zahlreichen Abkürzungen annehmen, daß es sich nicht um ein eigentliches Diktat, sondern um ein freieres Nachschreiben der in unmittelbarer Anknüpfung an den Lehrbuchtext vorgetragenen Erläuterungen handelt; das steifer und mühsamer geschriebene zweite Exemplar wäre dann, wie auch aus sonstigen Anzeichen hervorzugehen scheint, als Abschrift nach dem Heft eines Hörers, wohl nach dem uns erhaltenen, anzusehen.

Die eben berührte und manche anderen Seiten des akademischen Unterrichts lassen sich allerdings nur im Zusammenhang mit anderen Verhältnissen und auf breiterer Grundlage klarstellen.

Wir wollten an dieser Stelle vor allem einige Daten zusammenstellen, um zu zeigen, welchen Schwankungen das Interesse für die mecklenburgische Geschichte während der letzten Jahrhunderte unterworfen gewesen ist; und wir wollten versuchen, mit Hülfe zweier Kolleghefte, von denen das eine in der Hauptsache noch die Lehrart des Mittelalters und der Reformationszeit illustriert, deren anderes aber schon die neuzeitliche Behandlungsweise anbahnt, von dem Studium der mecklenburgischen Geschichte an der Landes=Universität ein Umrißbild zu zeichnen. Es erübrigt noch, ein Wort über das völlige Verschwinden territorialgeschichtlicher Universitäts=Vorlesungen im Verlauf des letzten Halbjahrhunderts hinzuzufügen. Die Erklärung dafür liegt hauptsächlich in der Erweiterung des politischen Interessenkreises, in dem Fortschreiten von territorialer Gebundenheit zu Reichshoffnungen und Einheitsbestrebungen und in der damit zusammenhängenden allmählichen Umgestaltung der Universität in Hinsicht auf Lehrer, Lernende und auch auf manche Lehrgegenstände. Besonders nach der Neubegründung des deutschen Reichs verloren überall die kleinstaatlichen Hochschulen viel von ihrem eng=territorialen Aussehen; sie waren nun nicht mehr fast ausschließlich Bildunganstalten für die Landeskinder, sie wurden, auch die kleineren, Bildungsmittelpunkte, denen aus allen Teilen des Reichs Studenten zuströmten, und die auch bei der Auswahl der Dozenten weniger als früher die Landesgrenzen beachteten. Aber auch die Beschäftigung mit den Verhältnissen des engeren Heimatlandes war

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nicht mehr ein so dringendes Bedürfnis, weit wichtiger waren für den angehenden Juristen, den Geistlichen, den Lehrer die Angelegenheiten des Reichs. Eine eingehende Beschäftigung mit der vaterländischen Geschichte wurde auch für den Juristen mehr und mehr überflüssig. So blieb ein Interesse für dieses Studium nur bei einigen wenigen, die, vielleicht durch Seminarübungen angeregt, ihr Promotionsthema der mecklenburgischen Geschichte entnahmen, oder die sonst gerade Neigung für diese Dinge mitbrachten. Öffentliche Vorlesungen über die Geschichte der engeren Heimat konnten nicht mehr auf einen großen Hörerkreis rechnen und wurden von den Lektionsplänen abgesetzt. Daß das Studium der mecklenburgischen Geschichte trotzdem im ganzen während der letzten beiden Menschenalter nicht zurückgegangen ist, ist bekannt. Eine emsige Detailforschung hat immer neues Material ans Licht gebracht und kritisch bearbeitet. Die verschiedensten Seiten des Lebens sind durch diese Arbeiten aufgehellt worden. Bei weitem die meisten Forscher stehen im Dienste der Kulturgeschichtsschreibung: während noch zu Lochners Zeiten z. B. die politische und dynastische Geschichte ganz im Vordergrund des Interesses stand, ist es in der neueren Zeit das Hauptziel der Geschichtsforschung, ein möglichst konkretes Gesamtbild von dem ganzen Leben und Treiben der Vergangenheit zu gewinnen. Und gerade dies Ziel läßt sich nicht anders erreichen, als durch genaue allseitige Durchforschung eines enger begrenzten Gebiets, also durch lokal= und territorialgeschichtliche Studien.

Als ein derartiger Beitrag zur Herstellung des Gesamtbildes der Vergangenheit möchte auch unsere kleine Betrachtung des früheren Studiums der mecklenburgischen Geschichte angesehen werden.

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