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VII.

Zur Geschichte der meklenburgischen Volkshymne.

Von
Dr. W. Voß.
~~~~~~~~

W er ist der Verfasser der Hymne "Gott segne Friedrich Franz", und wann ist sie entstanden? Eine von interessirter Seite jüngst so gestellte Frage brachte einmal allgemein zum Bewußtsein, daß der Ursprung unserer Volkshymne, die Zeit ihrer Entstehung und der Name des Autors in weitesten Kreisen vollständig unbekannt war. Ja, es scheint, man hatte sich kaum je die Frage nach dem Ursprung ernstlich gestellt, obwohl das Lied Jahr für Jahr an Großherzogs Geburtstag gesungen wurde und seine Weise und sein Inhalt jedem Kind bekannt und vertraut war. Etwas Ueberraschendes und Außergewöhnliches hat dieses gänzliche Vergessenwerden an sich ja nicht. Die Volkstümlichkeit eines Liedes, einer Weise ist ihrem Verfasser von je her gefährlich geworden: je weiter ein Lied verbreitet ward, je allgemeiner es aufgenommen, gesagt und gesungen wurde, um so mehr eigene Persönlichkeit gewissermaßen gewann es, die sich mit dem Namen des Autors nicht mehr zu decken brauchte, die vielmehr in sich selber Gültigkeit und Werth hatte. Und fragte man einmal nach der Herkunft des göttlichen, vaterlos gewordenen Liedes, so schien es, als habe das ganze Volk seinen Theil daran gehabt, als sei es aus dem Volk entstanden, aus der gemeinsamen fröhlichen Schaffenskraft vieler, als habe nur wieder das Volk auch ein Recht dazu, es zu modeln und zu bilden, wie es ihm gefalle. Es war Allgemeingut geworden und darüber vergaß man, daß es schließlich doch das Werk eines einzelnen war, und den Namen dieses Einzelnen. So auch unser Lied "Gott segne

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Friedrich Franz". Auch in ihm steckt ein gut Stück von dem Allgemeincharakter der Volkspoesie und fast gleichgültig möchte es scheinen, ob man versuchen solle oder nicht, den Schleier zu lüften, der über seinem Ursprung liegt. Man könnte zufrieden sein, es als das zu nehmen, was es ist, als den Ausdruck der Liebe und Verehrung eines Volkes für ein Fürstenhaus, das es lange und glücklich regiert hat. Denn was kann der Name des Autors uns groß sagen? Lied und Dichter sind einander fremd geworden; es ist der Berührung mit ihm entwachsen und heute doch mehr als der Ausdruck persönlichen Empfindens dessen, der es verfaßte. Aber da die Frage einmal aufgeworfen war, machte sich der Zauber, den alles Unbekannte auf den menschlichen Forschungstrieb ausübt, auch hier geltend; es reizte, das Dunkel zu lichten, den Ursprung des Liedes aufzudecken und forschend den Weg nachzugehen, den es ging, um zu werden, was es geworden ist. Was es an kundigen Leuten in Meklenburg gab, ward zur Beihülfe aufgerufen: an die Erinnerung alter Herren ward appellirt, der Vorrath alter Zeitungen, Gedichte und Festlieder durchstöbert, und was als Ergebniß dieser Durchforschung mündlicher und schriftlicher Aufzeichnung gewonnen ward, mögen die folgenden Zeilen dem Leser verrathen.

Von vornherein schien es nicht zweifelhaft, daß der Ursprung des Liedes sich bis in die Zeit Friedrich Franz I. werde zurückverfolgen lassen, und da wieder lag es am nächsten, als Ausgangspunkte der Untersuchung sich einmal erst die beiden wichtigsten Ereignisse seiner Regierung, die, wie man wußte, unter allgemeiner großer Betheiligung gefeiert waren, herauszugreifen und in den dabei veranstalteten Festlichkeiten nach Spuren unseres Liedes zu suchen. Wenn bei einer Gelegenheit, so schien es, mußte es bei einer von diesen gesungen sein. Es waren das die Rückkehr des Herzogs nach seiner Vertreibung durch die Franzosen im Jahre 1807 und die 50jährige Regierungsjubelfeier 1835. Für 1807 war das Suchen umsonst; es fand sich nichts. Dagegen ließ sich das Lied genau in der Fassung, wie wir es heute noch kennen, 1835 nachweisen; es wurde bei der am 27. April im Gymnasium Fridericianum zu Schwerin gehaltenen Schulfeier gesungen und steht abgedruckt in der Einladungsschrift des Direktors Wex 1 ) zu dem Festakt als letzte


1) Quod Bonum Faustum Felixque Sit Principi Nostro . . . Sacra Semisaecularia Imperii . . . In Gymnasio Frider. Die XXVII Mens. April. Hora XI Pie Celebranda Indicit Fr[idericus] Carolus Wex. Suerini 1835. 4°.
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Nummer (Nr. E) der für die Feier gewählten Gesänge. Damit war ein fester Punkt bestimmt. Aber ich stand da zugleich auch vor einer neuen Frage: war unser Lied der besonderen Jubelstimmung des Jahres 1835 entsprungen, hatte ich also hier sein erstes Auftreten entdeckt? oder aber lag sein Ursprung weiter zurück und kam es hier nur wieder zum Vortrag, weil es sich schon eine Position errungen? Ein Blick in die voraufgehende Zeit mußte das entscheiden; man mußte sich da überzeugen können, ob und wie weit sich etwa noch ein früheres Vorkommen nachweisen lasse. An Material, um das klar zu stellen, konnte es nicht fehlen. Man feierte schon damals bei uns Großherzogs Geburtstag, und in den Nachrichten über diese Feier durfte man sicher sein, die eine oder andere Notiz zu finden. Aber damit nicht genug. Noch ein anderer Tag spielte im Leben Friedrich Franz I. eine Rolle, der 10. August, der Tag seiner ersten Wiederkehr nach dem geliebten Doberan im Jahre 1807. Jahr für Jahr feierte man am Damm das Erscheinen dieses glücklichen Tages, und bei den Toasten und Festaufführungen, war zu vermuthen, mangelte es nicht an Gedichten, die vorgetragen, an Liedern, die gesungen wurden. Schritt für Schritt rückwärts schreitend, war ich auch bald so glücklich, weitere Spuren zu finden und diese führten mich schließlich hinauf bis 1818. Wieder war es eine Schweriner Schulfeier des 10. Dezember, verbunden mit der Einweihung eines neuen großen Hörsaales, bei der ich unser "Gott segne Friedrich Franz" nachweisen konnte. Aber noch mehr: in dem Bericht über diese Feier, den das Freimüthige Abendblatt brachte, fand ich auch den Namen des Verfassers genannt. Am Schluß seiner Festrede, heißt es darin, rief der Direktor der Anstalt, damals Görenz, "das Publikum auf zur Begleitung des passenden Arresto'schen Gesanges "Gott segne Friedrich Franz" - welchen dasselbe voll herzlicher Theilnahme nach besonders gedruckten Exemplaren mitsang". Der hier genannte Arresto aber, das ist mir ganz zweifellos, kann nur der als Schauspieler und Lustspieldichter bekannt gewordene Christlieb Georg Heinrich Arresto sein, der geboren zu Schwerin 1768 als Sohn des Geh. Kanzlisten Carl Rudolf Arresto am 22. Juli 1817 als meklenburgischer Hofschauspieldirektor zu Doberan starb. 1 )


1) Freimütig. Abendbl. 1. Jahrg. (1818) Sp. 415. Erwähnt ist Arresto als Verfasser dann auch noch: Freim. Abdbl. 3. Jahrg. (1820) Sp. 94 und 19. Jahrg. (1837) Sp. 763. Eine kurze Notiz über den Fund brachte schon die Meckl. Zeitung (1900, Nr. 558), in der auch die Anfrage früher erschienen war.
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Mit der Auffindung des Namens des Verfassers war der eine Theil der gestellten Frage gelöst, und der andere, die zeitliche Festlegung der Entstehung unseres Liedes, doch der Lösung bedeutend näher geführt. Auch mit dem Jahre 1818 hatte ich den äußersten Punkt nicht erreicht. Wenn Arresto 1817 starb, konnte das Lied nicht gut später gedichtet sein, und die Grenzen, innerhalb deren sein Ursprung gesucht werden mußte, waren die Grenzen dieses Menschenlebens. Aber der Kreis ließ sich noch enger ziehen. Arresto brachte einen großen Theil seines Lebens außerhalb Meklenburgs zu. 1 ) Er laßt sich hier nachweisen bis 1779, dann von 1786-1789, Januar-März 1801 und schließlich noch von Februar 1813 bis zu seinem Ende. In den Zwischenzeiten, namentlich von 179I-1801, wo er in Holland desertirte und, anfangs gar noch unter falschem Namen, in Süddeutschland und Hannover als Schauspieler thätig war, ferner während seines Aufenthalts in Hamburg 1801-1804 und in Rußland 1804-1811, konnte er, meiner Ansicht nach, wenig Neigung und Anregung gefunden haben, zu Ehren seines angestammten Fürsten ein Nationallied zu schreiben. Ich glaubte die Grenzen großer Wahrscheinlichkeit nicht zu überschreiten, wenn ich dem Verfasser die Möglichkeit, "Gott segne Friedrich Franz" zu dichten, auf die Zeit einschränkte, wo er in Meklenburg sich aufhielt. Davon schied wieder die Jugend, also die erste Periode bis 1779, aus, und es blieben die Jahre 1786 bis 1789, 1801, 1813-1817, die demnach allein noch in Frage kommen konnten. Unter diesen aber schien mir die Wahl auf die Zeit seines längeren letzten Weilens im Lande fallen zu müssen. Es sprachen dafür eine Reihe von Gründen, die, jeder für sich betrachtet, vielleicht von wenig entscheidender Bedeutung waren, denen ich in ihrer Gesammtheit und Gesammtwirkung aber doch ein nicht zu unterschätzendes Gewicht beilegen durfte.

Zunächst hatte ich den Eindruck, als ob das Lied, als es 1818 in Schwerin auftauchte, neu und noch nicht lange bekannt gewesen sei. Es wurde in der Versammlung in besonders gedruckten Exemplaren vertheilt, gewiß doch ein Zeichen, daß man annahm, der Wortlaut sei nicht Jedermann genügend geläufig. Und wieder konnte es damals nicht allzu alt sein, da man darauf hinwies, als auf ein etwas, das noch in Jedermanns Erinnerung sei. Es war, ließe sich denken, unlängst einmal bei irgend einer Festlichkeit gesungen worden und hatte Anklang ge=


1) Näheres über sein Leben in Anhang I.
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funden, und jetzt, da man bei der besonderen Feier der Einweihung des neuen Hörsaals, verbunden mit der des fürstlichen Geburtstages, sich nach einem passenden Liede umsah, nahm man es wieder auf. Ja, die Schweriner Schulfeier von 1818 mag nicht nur die erste gewesen sein, in der es erwähnt, sondern auch die erste, in der es wieder gesungen worden. Es ist das, wie gesagt, nur der Eindruck, den ich hatte, dessen Wahrheit nicht sicher zu beweisen ist; aber ich denke, man wird ihn nicht als ganz bedeutungslos ablehnen dürfen. Wir sind ja leider in der üblen Lage, hier häufiger auf Vermuthungen zurückgreifen zu müssen. Die Lückenhaftigkeit des Quellenmaterials vor 1818 nöthigt uns dazu. Die Schulprogramme, aus denen man in erster Linie schöpfen möchte, sind noch von einer Dürftigkeit, daß sie für unsern Zweck nahezu ganz ausfallen, und die Zeitungen - - nun, man weiß, wie es mit ihnen bestellt ist. Der Zustand der laufenden Berichterstattung über meklenburgische Verhältnisse ist bis zum Erscheinen des Freimüthigen Abendblattes (1818) der traurigste, den man sich denken kann. Ausschließlich die Ereignisse der hohen Politik finden Berücksichtigung in den heimischen Zeitungen. Was in Konstantinopel, Madrid, Paris, London, Berlin sich ereignet, bringen sie treulich, sucht man aber nach Nachrichten über das, was im engern Vaterlande geschah, nach einer Kunde über das Leben und Treiben unseres Volkes, so durchblättert man sie umsonst. Da mag noch manches geschehen sein, von dem wir nichts mehr wissen.

Für meine Annahme dürfte sodann sprechen, daß "Gott segne Friedrich Franz" 1807 bei der Rückkehr des Herzogs in sein Land noch nicht bekannt gewesen zu sein scheint. Wir sind gerade über dieses Ereigniß einmal ganz ausnahmsweise gut unterrichtet. Wir besitzen den Text einer großen Anzahl von Ansprachen gereimten und ungereimten Inhalts, die an verschiedenen Orten zur Bewillkommnung des fürstlichen Paars gehalten, von Gedichten, die überreicht wurden, und wir besitzen eine genaue Beschreibung der Feierlichkeiten, die man bei dem Einzug in Schwerin veranstaltete. 1 ) Das Außergewöhnlichste in Poesie und Prosa wurde bei dieser Gelegenheit geleistet, um der Freude über das Wiedersehen des Landesherrn Ausdruck zu


1) Ausführliche Beschreibung aller bei Gelegenheit der frohen Wiederkehr unserer Durchl. Landesherrschaft in Schwerin vorgenommenen Feierlichkeiten und sonstigen Merkwürdigkeiten, nebst allen gehaltenen Reden und überreichten Gedichten. Schwerin 1807. 8°.
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geben; aber auch hier, wo die leicht singbare Melodie und der einfach volkstümliche, für den Fall wie geschaffene Text des Liedes sich geradezu dazu hätte aufdrängen müssen, gesungen zu werden, findet man keine Spur davon. Das beweist an sich nichts, gewiß. Es ist leichtfertig, aus dem Nichtwissen von einer Sache auf deren Nichtsein zu schließen. Ich bin weit davon entfernt, das zu thun. Aber wo es sich darum handelte, das Material zu sammeln, das meine oben dargelegte Ansicht stützen könnte, durfte dieser Punkt nicht fehlen.

Endlich mag hier eine allgemeine Betrachtung Platz finden, die, wenn sie mich auch nicht zu meiner Ansicht führte, mich doch wesentlich in ihr bestärkte. 1806 veröffentlichte der bekannte Georg Gabriel Friedrich Küffner, der später Pastor in Gnoyen ward, unter dem Pseudonym Philopatros im Mecklenburgischen Journal ein "Vaterlandslied der Mecklenburger für die hohen Feste des Volkes, besonders den 10. Dec. und 10. Oct.", zu singen nach der Melodie "Freut Euch des Lebens". 1 ) Er wollte damit augenscheinlich einem Bedürfniß entgegenkommen, das sich fühlbar zu machen begann und das, seiner Meinung nach, bisher eine genügende Befriedigung nicht gefunden hatte. Er vermißte ein Lied im Volkston, das bei feierlichen Gelegenheiten als Ausdruck vaterländischer Gesinnung und Empfindung hätte gesungen werden können, und da er den Beruf in sich spürte, Meklenburgs Volksdichter zu werden, schuf er ihm eine Hymne. Nun hat ja dieses Lied insofern seinen besonderen Charakter gegenüber "Gott segne Friedrich Franz", als es für beide Meklenburg, Schwerin und Strelitz, bestimmt war. Man könnte also denken, daß Küffner gerade das Fehlen dieser gemeinsamen Beziehung als Mangel der vorhandenen patriotischen Lyrik seines Vaterlandes empfunden und darum auch unser Lied, dessen Dasein vorausgesetzt, nicht als vollwerthig angesehen habe. Aber

Alle: Heil, Land der Freiheit!
Heil, Mecklenburger Dir!
Wo ist auf Erden
Ein Volk wie Wir?
Einer: Zwar strahlt in Deutschlands Fürstenrath
Durch Heeresmacht nicht unser Staat;
Doch ist des Kaisers Unterthan
Nicht glücklicher als Wir.

1) Mecklenburg. Journal, Bd. II (1806). S. 1 ff. Der 10. Dec. und 10. Oct. sind die Geburtstage der beiden damals regierenden meklenburgischen Herzöge. Das Gedicht hat 22 Strophen, deren 1. lautet:
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ich glaube das nicht. Ich glaube vielmehr, daß er damals noch ganz freies Feld vor sich hatte, daß es eine Konkurrenz irgend welcher Art überhaupt für ihn noch nicht gab, daß thatsächlich das Bedürfniß nach einem Vaterlandsliede vorhanden und noch zu befriedigen war. Und das will ich ein wenig eingehender begründen.

Das, was wir ein patriotisches Volkslied nennen, gab es bis zum Ende des 18. Jahrhunderts bei uns nicht. Die dichterischen Erzeugnisse jener Zeit, die zu Ehr und Preis des Fürstenhauses bei Thronbesteigungen, Geburtstagen und ähnlichen Gelegenheiten entstanden, gedruckt und gewidmet wurden, hatten doch einen wesentlich anderen Charakter. Diese Art Festpoesie, mit Vorliebe im höhern Ton der Ode gehalten und häufig antikem Versmaß angepaßt, sollte nach der Absicht der Verfasser gar nicht volkstümlich sein, und in ihrer getragenen, schwerfällig=feierlichen Ausdrucksweise, ihrem mit Anspielungen und Beziehungen auf den griechisch=römischen Olymp oft reich gespicktem Inhalt mußte sie der großen Masse auch immer unverständlich bleiben. War aber einmal ein Dichter, der einfach und derb im Volkston zu seinem Fürsten sprechen wollte, er kam doch über eine gekünstelte Anlehnung an das Volksthümliche nicht hinaus, und der poetische Gehalt litt nun erst gar; es sind grausam nüchterne und trockene Produkte, die aus solchem Bestreben hervorgewachsen sind. Und was die Hauptsache, der Liedcharakter fehlte der ganzen Gattung. Wohl kannte man Cantaten, die kunstvoll aufgebaut, in kunstvolle Musik gekleidet, an festlichen Tagen zur Aufführung kamen. Das Volk aber will Lieder, die es singen kann, will einen einfachen Text, den es versteht und leicht fließende, ansprechende Melodie. Nun sang das Volk gewiß auch im 18. Jahrhundert; es hatte seine Weisen, die es liebte und an denen es im fröhlichen Kreise sich ergötzte. Man hatte Wein=, Trink=, gesellige Lieder. Aber das Vaterlandslied fehlte uns, wie an der Wende des Jahrhunderts dem ganzen übrigen Deutschland.

Erst in den 90er Jahren und dann auch vereinzelt noch, erschienen in der Monatsschrift für Meklenburg dichterische Versuche, die ein frischeres nationales Leben athmeten, die, von einem bemerkenswerthen Selbstgefühl getragen, das Keimen eines kräftigen Volksbewußtseins verriethen. Wir standen im Beginn der französischen Revolution. Die mächtige Volksbewegung, die Frankreich zur Revolution geführt, fing auch in Deutschland an,

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Regungen der Volksseele zu wecken. Es gährte und zuckte allüberall; es ging durch das Land wie ein Schwirren und Klingen, vergleichbar dem leisen Zittern des Lebens, mit dem der Morgen nach der Nacht den Tag heraufführt. Eine wunderbare Stimmung, die wir noch ahnen können aus den Aufzeichnungen der Männer, die sie selber mit durchlebten und in späteren ruhigen Tagen, da Urtheil und Gefühl geklärt, noch einmal durch Sinn und Seele gehen ließen! Das Volk erwachte. Aber doch wie anders der Charakter dieser Bewegung bei uns als in Frankreich. Wohl sympathisirte man im Anfang mit den Revolutionsmännern in Paris, die die Bahn freigemacht hatten für die neue Zeit; als dann aber Blutnachricht auf Blutnachricht von jenseits des Rheins eintraf, trat eine Ernüchterung ein, die von dieser Art von Beglückung nichts mehr wissen wollte. Man hatte die Predigt von den hohen unveräußerlichen Gütern der Menschheit begeistert aufgenommen; aber man besann, sich rechtzeitig auf den Gegensatz von deutscher und romanischer Eigenart, um sich noch vor der Verwässerung in kosmopolitischen Idealismus retten zu können. Dazu kam, daß ein stark monarchisches Gefühl uns noch nicht erlaubte, die Liebe zu Freiheit und Vaterland von der Liebe zum Fürstenhause zu trennen, und beide verknüpften sich zu einem Nationalgefühl, das in ganz anderen Klängen sich aussprechen mußte, als es die Marseillaise that. Allerdings, wie die Bewegung bei uns ruhiger und gemessener, man könnte sagen, loyaler verlief, fehlte ihren Liedern auch wieder der Dichter, der ihnen den berauschenden hinreißenden Schwung hätte verleihen können wie Rouget de Lisle.

Von Liedern aber, die dem erwachenden Nationalgefühl Ausdruck verleihen sollten, erwuchs bei uns in Deutschland eine reiche Saat. Ihr Charakter war Anfangs ein allgemein deutscher. Der Gegensatz, der sich geltend gemacht, war ein Gegensatz von Volk zu Volk gewesen; nicht als Bürger der engern kleinen Landschaft, als Angehöriger des großen weiten Vaterlandes stand man in Protest gegen Frankreich und fremden Volkes Art. Auch die Zeitlyrik der 90er Jahre in Meklenburg legt Zeugniß davon ab, und ich will als Beispiel dafür einige der Gedichte anführen, auf die ich oben hinwies. So veröffentlichte 1791 ein Th. Bühring ein Gedicht "Das Vaterland", von dem ich die drei letzten Strophen hier folgen lasse. Sie können eine Idee von dem Charakter und der Tendenz dieser Poesie geben; es sind das Dinge, die sich mehr durch Lesen empfinden, als durch Beschreiben mittheilen lassen. Es heißt darin:

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   Vaterland! Vaterland!
Wars der geschmeid'ge Franzmann nicht,
den Du erwektest, jedem Volk,
vom Joch der Tirannei zerquetscht,
zu sein ein Beispiel für und für!

   Vaterland! Vaterland!
Wohl mir, daß ich ein Deutscher bin,
Gott und Gesetz nur unterthan,
frei wie der Adler in der Luft,
frei wie der Fisch im Ozean. -

   Vaterland! Vaterland!
Dem stolzen Britten weich' ich nicht,
dem edlen, kühnen Schweitzer nicht,
denn Deutschland ist mein Vaterland; -
Thuiskons, Hermanns Sohn bin ich!!

Man lese dazu noch "Empfindungen eines Podagristen am Geburtstage seines Fürsten, 10. Dec. 1792" von dem Stadt= und Kreisphysikus Ebeling in Parchim, "Freiheit und Gleichheit im eigentlichen Verstande" von P. (1793), das "Trinklied für freie Deutsche" von Fr. Simonis (1793), das Gedicht von Fr. Hempel:

"Die Zeiten Brüder sind nicht mehr,
Wo Jacobiner täuschten." (1795.)

und "Lied im Frühjahr 1799 gesungen" (nach der Melodie: "Bekränzt mit Laub etc. .") von J. G. Lorentz. 1 ) Man wird hier bestätigt finden, was ich sagte: ein Patriotismus, der sich als ein stetig steigendes Abweisen der französischen Beglückungspraxis äußerte, ein Betonen des Deutschthums gegenüber französischer Art und jedes andern Volkes Art. Das alles in einer Sprache gesagt, wie man sie bisher nicht kannte, und schon gesellte sich dem Wort die Melodie.


1) Monatsschrift von und für Mecklenburg. 1791, Sp. 593. 1793, Sp. 1, und die Heftumschläge zu Stück 2 und 10. 1795, Umschlag zu Stück 1. 1800, Umschlag zum 1. Supplement. - Theodor Hans Heinrich Bühring, 1808 Pastor zu Rühn, 1828 zu Gr.=Upahl, † 9. Juni 1838. Sein Gedicht "Vaterland" ist wesentlich verändert wieder abgedruckt in der Sammlung seiner "Gedichte" (1801) S. 121. - Joh. Dietr. Philipp Christian Ebeling, † Parchim, 12. Januar 1795. - Joh. Friedr. Simonis, 1800 Pastor in Ruchow, † 29. Aug. 1839. - Joh. Christian Friedrich Hempel, 1805 Pastor in Röcknitz, † 29. Aug. 1809.
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Aus dieser hohen Stimmung befruchtete sich dann bald auch der Stammespatriotismus. Sang man Lieder zu Ehr und Preis des großen Vaterlandes, warum sollte nicht die engere Heimath ihren Antheil daran haben? Es ist immer so gewesen: sobald wir uns einmal mit gewaltigem Ansturm in einer großen deutschen Sache begeistert hatten, wir kehrten, ein jeder in seine Landschaft, zurück, um nun erst, was wir von da draußen mitgebracht, in landesübliche Münze umzuprägen. Die Stimmung wurde reif für das Entstehen von Landeshymnen. Den Anfang damit machte bekanntlich Schleswig, damals dänische Provinz, oder vielmehr deutsches Land unter dänischem Oberherrn, der als Herzog von Schleswig=Holstein deutscher Reichsfürst war. Am 27. Januar 1790 erschien im Flensburger Wochenblatt, von dem Herausgeber der Zeitung, cand. theol. Harries, verfaßt, ein "Lied für den dänischen Unterthan an seines Königs Geburtstag zu singen", gesetzt nach der Melodie des bekannten englischen Volkssangs "God save the king". Das Lied ist interessant als das erste Auftreten der Landeshymne auf deutschem Boden. Aber interessanter ist es vielleicht noch dadurch, daß es, wenige Jahre nach seinem erscheinen, Vorbild für eine andere Hymne geworden, die weitaus größere Bedeutung gewonnen hat. "Das Lied für den dänischen Unterthan" wurde 1793 nach Berlin importirt und tauchte hier, um zwei Strophen verkürzt und im Uebrigen ganz unwesentlich verändert, als "Berliner Volksgesang" wieder auf. Es ist das "Heil Dir im Siegerkranz", das preußische Nationallied.

In unserm engern Vaterlande zeigten sich die ersten Spuren einer ähnlichen Bildung schon in den "Empfindungen eines Podagristen" (1792). 1806 dann folgte Küffner's Vaterlandslied, 1812 (in Doberan am 10. August gesungen) ein "Heil unserm Friedrich Franz", das in bemerkenswerthem Grade den Einfluß von "Heil Dir im Siegerkranz" verräth, ja eigentlich nur eine den meklenburgischen Verhältnissen angepaßte Umdichtung davon ist, und in die Jahre darauf wird man den Ursprung von "Gott segne Friedrich Franz" setzen müssen.

Ganz außer Berücksichtigung habe ich bisher in dieser Betrachtung die Frage nach Art und Wahl der Melodie gelassen. Sie kann aber auch noch ein gewichtiges Wort in der Sache mitsprechen. Die Melodie unseres Lieder ist, gleich der des "Heil Dir im Siegerkranz" dem englischen "God save the king" entnommen. Text und Weise dieses Liedes aber sind nach der glaubwürdigsten Annahme Werk des Henry Carey; es ist

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wahrscheinlich um 1740 entstanden und 1745 im Druck erschienen. Als Volkssang wurde es schnell beliebt und früh gesungen und wird von England bald seinen Weg auch nach Hannover, das damals mit England in Personalunion stand, gefunden haben. Von hier aus war sein Eindringen in Deutschland nicht schwierig. Wir können seine Melodie zuerst in einem Studentenliede des Jahres 1781 wieder nachweisen, dem "Landesvater" des Kieler August Niemann, dem ein sechsstrophiger Passus "Heil, Kaiser Joseph, Heil", Mel.: "God save great George the king" eingefügt war. Diese ihre Verwendung im "Landesvater" blieb längere Zeit noch vereinzelt, und wenn man nach einer Erklärung dafür suchen will, so liegt sie nicht so fern: in die Eigenart studentischen Kommersgesanges gezwängt, mußte sie weitern Kreisen mehr oder weniger fremd bleiben. 1790 folgte das "Lied für den dänischen Unterthan", und damit erst, daß dieses Lied 1793 nach Berlin übernommen und preußische Volkshymne wurde, ward die Melodie in Deutschland populär. Das bahnte ihr den Weg und gab der Nachahmung Antrieb, sie immer wieder aufzunehmen. 1 )

In Meklenburg finde ich sie zuerst 1812 in dem oben erwähnten, in Doberan gesungenen Liede, und ich glaube nicht, daß bei uns früher von ihr Gebrauch gemacht ist. Allerdings, ein Schluß ex silentio will auch hier wenig beweisen, und aus dem Vorkommen anderer Melodien in unsern patriotischen Liedern, wie "Bekränzt mit Laub" (1799, oder wie es auch heißt: "Am Rhein, am Rhein, da wachsen unsere Reben", 1802 und 1809), "Freut Euch des Lebens (1806) u. s. w. schließen zu wollen, daß nur diese bekannt gewesen, wäre thöricht; aber wenn man weiß, wie jene Melodie "God save the king" seit ihrem Auftauchen 1812 lange Zeit bei uns geradezu vorherrschend geworden ist für alle Versuche gereimter nationaler Begeisterung, wie alle anderen daneben weit zurücktraten und nur ganz vereinzelt zur Verwendung kamen, als habe man auf sie, als die einzig mögliche und singbare Volkshymnenmelodie, gewartet, dann mag man doch


1) Böhme, Volksthümliche Lieder der Deutschen (1895) S. 11 ff., 411, 537. Hoffmann von Fallersleben, Unsere volkstümlichen Lieder, 4. Aufl. (1900), S. 114/115. Zu der Ansicht, die den Ursprung des Liedes nach Frankreich verlegt, vergl. auch noch: Malortie, Beiträge zur Geschichte des Braunschweig=Lüneburgischen Hauses und Hofes. Heft 7 (1884), S. 157 ff., und die, übrigens apokryphen, Souvenirs de la Marquise de Créquy. Vol. I. (Paris 1834), S. 147, wo auch eine Strophe des französischen Textes abgedruckt steht.
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nachdenklich werden. Dieser Stimmung kam die Bekanntschaft Arresto's mit der Melodie, die er nach Meklenburg schon mitbrachte, entgegen. Er war 1798 und 1799 in Hannover engagirt gewesen und hatte das "God save the king" dort genügend kennen gelernt, es oft und zuweilen wohl mehr, als ihm lieb war, fingen hören. 1 ) Die Weise klang ihm in den Ohren fort, als der musikalische Ausdruck eines starken, wenn auch vielfach sportsmäßig überreizten nationalen Gefühls und treu ergebener Loyalität. 1801, als er nur flüchtig, für die Dauer von ein paar Monaten, wieder in der Heimath weilte, hatte er keine Gelegenheit, sie zu verwerthen. Aber als er dann aus Rußland zurückgekehrt war und 1813 auf Neue in Meklenburg erschien, in der Zeit, da die Volksbegeisterung hoch ging, in der Zeit der Freiheitskriege, da wird ihm sein Lied aus der Feder geflossen sein, nach der Melodie, die ihm von alten Tagen her vertraut war, und die jetzt begann, sich ihren Weg durch Deutschland zu bahnen.

Allerdings, eine sichere, einwandfreie Bestätigung meiner Ansicht suchte ich vergebens; ich habe nicht herausfinden können, wann und wo unser Lied zuerst erschienen, noch wann und bei welcher Gelegenheit es zuerst zum Vortrag gekommen. Ich habe die Zeitungen jener Jahre durchstöbert, die Dichtungen Arresto's, so weit sie in Betracht kommen konnten und mir zur Hand waren, eingesehen, und das war eine hübsche Anzahl von Prologen und Festgedichten; alles umsonst. Zuletzt wurde ich durch das Verzeichniß der meklenburgischen Literatur im Staatskalender von 1816 auf ein Schriftchen Arresto's aufmerksam gemacht, das ich noch nicht kannte und das mir durch die Veranlassung, bei der es entstanden, beachtenswerth schien. Es war das ein


1) Welche Zustände damals am Hannoverschen Theater herrschten, mag ein Auszug aus der Hamburgisch= und Altonaischen Theater=Zeitung von 1798 zeigen. Es heißt da (Bd. I, S. 360): "Eben wird ein herrlicher Quartett gesungen - alles ist Ohr! Der Fähndrich von - und der Hr. von - und ihr Attache, Hr. * *, der Lieutenant von -, der Jude * * stürmen ins Parterr! Sinn und Seel berauscht - der Sinnlichkeit Preis gegeben, ruft der Anführer Hr. Fähndrich von * * blank sollen sie stehen, die Hunde! Alle! - vorwärts! Er entblößt sein Haupt und ruft: "God save the king - und die hinter her stolpernden lallen noch save - king. Man glaube nicht, daß das Orchester sich untersteht die Melodie jenes Liedes nicht zu spielen, das dieser, und jener, und der rechtliche Mann, der Gut und Blut für seinen Landesherrn und die vaterländische Verfassung gäbe. sich erdreistet zu dem Ruf Silentium zu rufen!"
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Vorspiel, das er zur Feier der Annahme der Großherzoglichen Würde durch Friedrich Franz I. im Jahre 1815 gedichtet, betitelt "Das Fest der Freude". Aber hier wollte das Unglück, daß trotz aller Nachforschungen und Nachfragen sich nirgends mehr ein Exemplar davon auftreiben ließ. Vielleicht wäre darin etwas zu finden gewesen; eine bessere Gelegenheit hätte der Dichter sich ja nicht wünschen können, sein Festlied anzubringen. Aber das Bedenken bleibt: benützte er die Gelegenheit? Der Vermuthung ist nur zu viel Spielraum gegeben, wo die Beweise fehlen. Wir müssen uns schon damit genügen lassen, die Zeitgrenzen, innerhalb deren unser Lied entstanden sein muß, so eng als möglich gesteckt zu haben; die weitere Lösung mag einem glücklichen Zufall vorbehalten bleiben, an den ich übrigens, aufrichtig gesagt, nicht glaube.

Eine Frage wäre aber noch zu beantworten: ist das Lied, wie Arresto es dichtete, identisch mit dem Liede, wie wir es kennen? Der Eingang "Gott segne Friedrich Franz" ist heute noch der alte, aber damit ist nicht gesagt, daß auch der ganze weitere Wortlaut unverändert geblieben. Die Beispiele sind nicht selten, daß ein Liedtext nach Fall und Gelegenheit umgemodelt ward und der umgemodelte Text vorübergehend oder dauernd an die Stelle des Originals trat. Könnte nicht von Wandlungen, die auch unser Lied durchgemacht, etwas an ihm hängen geblieben sein? Die Lösung dieser Frage ist freilich dadurch erschwert, daß eins der beiden Vergleichsobjekte fehlt. Der älteste uns bekannte, sicher datirte Text stammt von 1825. Er beweist allerdings eine konservative Ueberlieferung für die letzten 75 Jahre; er läßt aber für die Jahre vorher die Frage offen. Doch denke ich auch für diese Zeit den Sachverhalt bis zu einem gewissen Grade der Wahrscheinlichkeit klar stellen zu können.

Wir besitzen in den Sammlungen der Großherzoglichen Regierungsbibliothek zu Schwerin einen Einblattdruck von "Gott segne Friedrich Franz", undatirt, den ich aber nach Druck und Papier noch bis in die Zeit vor 1820 zurückverweisen möchte. Ich will sogar glauben, daß wir in ihm ein Exemplar der Sonderabdrücke vor uns haben, die, wie das Freimüthige Abendblatt zu erzählen weiß, zu der Schulfeier des Schweriner Gymnasium im Jahre 1818 hergestellt wurden. Ist das richtig, so haben wir schließlich doch einen Text, der, wenn er auch nicht das Original ist, uns doch dieses ersetzen kann; er steht zeitlich jenem außerordentlich nahe, und die Bezeichnung "Arresto'sches Lied", die ihm das Freimüthige Abendblatt giebt, muß, so lange

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nicht das Gegentheil festgestellt ist, beweisen, daß er auch den Wortlaut des Originals wiedergiebt. Bis auf ganz geringfügige Abweichungen ist aber der Wortlaut dieses Textes genau derselbe wie der, den wir heute noch kennen.

Ich schließe diese Erörterung mit einigen Bemerkungen über die Vorlage unseres Liedes. Ist "Gott segne Friedrich Franz" selbständige Dichtung, oder hat es eine Vorlage gehabt, und wenn das der Fall, welche? Die Antwort müßte sich aus der Vergleichung mit den bekannteren ähnlichen Texten ergeben, und in Frage dafür konnten zunächst, meiner Ansicht nach, nur "God save the king" und "Heil Dir im Siegerkranz" kommen. Eine eingehende Vergleichung mit diesen beiden aber hatte folgendes Resultat. Einmal die Melodie. Sie ist allen drei gemeinsam, so daß eine Prüfung nach dieser Seite hin ziemlich überflüssig erscheinen mochte; aber unser Einblattdruck hat am Kopf seines Textes einen Melodieenvermerk, und dieser Vermerk "Einstimmiger Gesang nach der Melodie: "God save the king" deutet doch darauf hin, daß unser Autor bei seiner Nachdichtung an das englische .Volkslied gedacht hat. Das tritt noch mehr hervor bei Betrachtung und Vergleichung des Wortlauts. Schon der Eingang "Gott segne Friedrich Franz" klingt an "God save the king" an, und sachlich, z. T. sogar wörtlich übereinstimmend ist dann fast der ganze weitere Inhalt. Ich vermerke als besonders bezeichnend: 1 )

"Long to reign over us." "Bis in die fernste Zeit."
     Str. 1.      Str. 1.
"Thy choicest gifts in store "Ueber Sein Fürstenhaus
On George be pleas'd to pour" Schütte dein Füllhorn aus"
     Str. 2.      Str. 2.
"O grant him long to see "Der Eintracht schönes Band
Friendship and unity". Bleib zwischen Thron und Land
     Str. 4. Stets unverletzt."
     Str. 3.

Anklänge an "Heil Dir im Siegerkranz" finden sich dagegen gar nicht. Somit kann es nicht zweifelhaft sein, daß "Gott segne Friedrich Franz" in bestimmtem und bewußtem Anschluß an "God save the king" entstanden ist, und die weiter oben


1) Ich lege die vierstrophige Fassung des "God save the king" zu Grunde, die Pepin, The Strains of the British Muses (Göttingen 1779), S. 211/12, giebt. Arresto scheint diesen erweiterten Text gekannt zu haben. Aeltere Texte hat Boehme, Volksthümliche Lieder der Deutschen, S. 537 ff., wieder abgedruckt.
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gemachte Bemerkung, daß Arresto die Anregung zu der Ausgestaltung seines Liedes seinem Aufenthalt in Hannover verdanke, erweist sich als gut begründet; nicht nur die Melodie nahm er herüber, sondern auch den Ideengang des Textes mit zum Theil recht enger Anlehnung an das Original.

So viel über den Ursprung von "Gott segne Friedrich Franz". Ich will nun versuchen, es auf seinem Wege vorwärts zu begleiten, von seinem Eintritt in die Welt bis zu dem Zeitpunkt, wo es Gemeingut des ganzen Volkes geworden ist. Und das ist ein weiter Weg. Man würde sich gewaltig irren, wenn man glauben wollte, daß es sogleich, nachdem es gedichtet, nun auch schon seinen Triumphzug durch das Land genommen, überall populär geworden und allüberall gesungen sei, wo festesfreudige Menschen sich zu patriotischer Feier zusammengethan hätten. Nichts von dem. Es hat eine geraume Zeit gedauert, bis es die Stellung sich erzwang, die es heute einnimmt.

Zuerst scheint es in Schwerin rezipirt zu sein für die Schulfeier des Gymnasiums am 10. Dezember; ich finde es außer 1818 noch erwähnt 1820, 1825, 1828, 1829, 1830, 1834. 1 ) Das ist eine stattliche Reihe sicher überlieferter Daten, die an sich schon darthun, daß "Gott segne Friedrich Franz" seit 1818 dort mit einer gewissen Regelmäßigkeit am 10. Dezember gesungen wurde. Man rechne dazu, daß die Berichte über die einzelnen Jahre durchaus nicht alle gleich genau und eingehend sind; häufiger sind Festlieder gar nicht angeführt, und es mag wohl sein, daß unser Lied das eine oder das andere Mal nicht erwähnt, aber doch gesungen ist. Das würde die Reihe noch enger schließen. Ausnahmen giebt es; aber ich kenne deren bis 1835 nur 3. 1827 ward die Feier geschlossen mit einer Arie für 4 Stimmen, komponirt von Pompilius (?), arrangirt von Monich, 2 ) 1831 mit "Heil Dir im Siegerkranz", wenn hier im Bericht Melodie und Text nicht verwechselt ist, 1833 mit einem lateinischen Liede nach der Melodie: "God save the king". Eine Fortwirkung der Gewohnheit des Gymnasiums, am 10. Dezember "Gott segne Friedrich Franz" zu singen, war vielleicht schon, daß es 1823 auch in einer Nachfeier des fürstlichen Geburtstages, die der Schweriner Gesangverein am 13. Dezember veranstaltete, vierstimmig von


1) Freimüth. Abendbl., die betreffenden Jahrgänge in ihren Berichten über die Feier des 10. Dezember.
2) Wahrscheinlich der Lehrer Wilhelm Christoph Monich; vergl. über ihn Wex, Zur Geschichte der Schweriner Gelehrtenschule. Schwerin 1853, S. 62.
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Lührß 1 ) arrangirt, zum Vortrag kam und 1825 am 29. September bei der Grundsteinlegung des neuen Regierungsgebäudes gesungen wurde.

Außerhalb Schwerin, aber später, kann ich es nachweisen in Parchim und auch hier für die Schulfeier des Gymnasiums an Großherzogs Geburtstag, zuerst 1832. Nach mündlicher Mittheilung soll es schon um die Mitte der 20er Jahre, mit Eintritt Zehlicke's in das Direktorat (1827), dort eingeführt und seitdem regelmäßig am 10. Dezember gesungen sein. In den Schulprogrammen begegnet es das erste Mal 1833 und fortan Jahr für Jahr bis zum Schluß der Regierungszeit Friedrich Franz I.

Sonst habe ich das Lied nur noch in einer Ludwigsluster Seminarfeier gefunden, es wurde dort 1831 bei der Einweihung des neuen Seminargebäudes, die man mit der Begehung des fürstlichen Geburtstages am 10. Dezember zusammenfallen ließ, unter andern Liedern mit gesungen. Ich weiß aber nicht, ob es damals zuerst aufgenommen worden, oder ob es in alter Tradition, wie in Schwerin und Parchim, als feststehender Festsang für den 10. Dezember schon eingebürgert war; ebenso fehlt mir auch jede Nachricht über den Usus der nächstfolgenden Jahre, so daß es zweifelhaft bleiben muß, wann es dort endgültig rezipirt ist. Im übrigen Meklenburg ist "Gott segne Friedrich Franz" vor 1835 nicht nachweisbar; durchweg, so weit Berichte vorliegen, sind zur Feier des 10. Dezember und bei sonstigen passenden Gelegenheiten andere Lieder gesungen worden. 2 ) Vorherrschend war aber auch bei diesen die Melodie "God save the king". So entstand in Rostock zur Universitätsjubelfeier am 12. November 1819 ein "Fürstenlied", das nicht nur mit dem Eingang "Heil sei dem Fürsten! Heil!", sondern auch mit dem weitern Inhalt leicht an "Heil Dir im Siegerkranz" anklang. Es fand viel Beifall und wurde im folgenden Jahre, 1820, bei der Geburtstags=Vorfeier in der Societé am 9. Dezember wiederholt. 1822 fanden zur festlichen Begehung des 10. Dezember in Rostock zwei gesellige Vereinigungen statt, die eine in der Societé, die andere im Schleuder'schen Saal. Bei beiden kamen eigens für den Fall gedichtete Festgesänge zum Vortrag; aber wir wissen nur von dem zweiten, daß es nach der Melodie


1) Friedrich Lührß, Schloßorganist, später Musikdirektor in Schwerin, † 1874.
2) Auch für das folgende ist Hauptquelle das "Freimüthige Abendblatt", daneben Archivakten (Tagebücher Friedrich Franz I.).
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"God save the king" verfaßt war und, ähnlich dem "Fürstenliede", den Eingang hatte "Heil unserm Fürsten, Heil!" Der Text ist leider nicht erhalten. 1826 am 10. Dezember morgens zog Militärmusik durch die Straßen und spielte "Godsave the king" und "Freut Euch des Lebens". 1827 im Juni besuchte Friedrich Franz Rostock. Man arrangirte zu Ehren dieses Besuches glänzende Festlichkeiten, und bei einer der hierbei sich bietenden Gelegenheiten, am 13. Juni abends im Theater, in Anwesenheit des Fürsten, ward ein "Mecklenburgisches Volkslied": "Heil unserm Friedrich Franz!" gesungen, eine Auffrischung des alten Doberaner Sangs von 1812 mit theilweise sehr starker Anlehnung an das Original. Der 10. Dezember dieses Jahres brachte ein "Festlied": "Heil sey dem Fürsten! Heil!, als dessen Verfasser der Advokat Crull genannt wird, das aber im wesentlichen, wie schon der Eingang zeigt, eine wenig veränderte Bearbeitung des "Fürstenliedes" von 1819 ist. 1831 gab man am 10. Dezember ein Abendfestkonzert. Als Nr. 7 des Programms führte man die Schneider'sche 1 ) Ouvertüre über "God save the king" auf, und aus voller Brust, schreibt der Berichterstatter, sang die zahlreiche Versammlung das Schlußlied mit: "Heil unserm Fürsten! Heil!" Bedauerlicher Weise kann ich auch hier wieder nicht feststellen, welches Lied gemeint ist; es könnte aber eine Wiederholung des von 1822 gewesen sein. 1832 hören wir, daß die Studenten am 9. Dezember abends einen Fackelzug veranstalteten, vor dem Großherzoglichen Palais 3 Lebehoch ausbrachten und zwei Strophen "des bekannten deutschen nach dem Englischen des "God save the king" gedichteten und komponirten Liedes" sangen. Haben wir auch hier noch "Heil unserm Fürsten! Heil! oder gar "Heil Dir im Siegerkranz"? Die unbestimmte Angabe verbietet uns abermals, mehr als eine Vermuthung auszusprechen. Die Universität begann nach einer längern Pause (seit 1759) erst 1829 wieder, den Geburtstag des Landesfürsten mit einem Festakt zu begehen; soweit ich aber sehen kann, wurde die Feier dort regelmäßig mit "Nun danket


1) Friedrich Schneider, der Komponist des "Weltgericht", geboren 3. Januar 1786, † 23. November 1853. Die Ouvertüre wurde 1818 komponirt und 1819 als Ouvertüre zum Festspiel "Die Königseiche, God save the king" Opus 43 bei C. F. Peters, Leipzig, veröffentlicht; sie wurde im Leipziger Gewandhaus zuerst gespielt am 9. Dezember 1819. (Nach einer gütigen Mittheilung des Herrn Dr. Max Friedländer in Berlin.) Außer 1831 in Rostock finde ich sie in Meklenburg noch 1837 in Malchin gespielt.
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alle Gott" beschlossen. Auch über eine Schulfeier in Rostock ist mir aus älterer Zeit nichts bekannt geworden. In den Programmen findet sich eine solche zuerst 1866 erwähnt, doch deutet hier der Wortlaut, in dem davon gesprochen wird, an, daß damals schon eine Gewohnheit bestand. Wie es scheint, beschränkte sich die Feier auf Freigabe der Schule um 10 Uhr.

Ueber Wismar sind die Berichte spärlich und wenig eingehend. Aus den kurzen Notizen, die wir über festliche Begehungen von Großherzogs Geburtstag dort haben, ersehen wir nur, daß Bankette und Bälle stattfanden, aber nicht, daß dieses oder jenes Festlied dabei zum Vortrag gekommen wäre. Nur zum Jahre 1826 ist auch hier erwähnt, daß Morgens Militärmusik durch die Straßen zog und "God save the king" spielte. Daß eine besondere Schulfeier an diesem Tage veranstaltet worden, darüber finde ich keine Nachricht.

Etwas reicher sind die Nachrichten aus den Landstädten; aber nirgends zeigt sich bis 1835 eine Spur, daß "Gott segne Friedrich Franz" am 10. Dezember oder sonst gesungen wäre. In Güstrow ließ der Rath zu des Fürsten Geburtstag alljährlich vom Rathhause "Nun danket alle Gott" blasen. 1 ) Im Laufe des Tages fanden dann Festessen und Festbälle statt, und einmal bei einer solchen Gelegenheit, 1832, sehe ich, ward "Heil Dir im Siegerkranz" gesungen. Von einer Schulfeier wissen wir auch hier wenig, aber doch etwas mehr als von denen in Rostock und Wismar. 1794 beging man den 10. Dezember durch einen solennen Akt im großen Hörsaal der Domschule; Festreden wurden von den Zöglingen gehalten und die Güstrower musikalische Gesellschaft und der Singchor trugen eine Cantate vor. 2 ) Für 1796 führt Raspe in seinem Verzeichniß der Güstrowschen Schulschriften eine Einladung von Fuchs zum Geburtstage des Herzogs an, die ich nicht kenne. 3 ) Von da aber bis zum Tode Friedrich Franz I. sucht man umsonst nach einer weitern Notiz. In Bützow finde ich 1822 "Heil Dir im


1) Küffner, Kirchliche Weihe der Fürstencrone. Rostock und Greifswald 1826. S. XXII.
2) Am Geburtstage unseres Durchl. . . . Herzog, Herrn Friedrich Franz wurde am 10. Dezember 1794, auf dem großen Hörsaal unserer Domschule zu Güstrow bey einem solennen Actu vor, zwischen und nach den zu haltenden Reden unterer Zöglinge von der Güstrowschen musikalischen Gesellschaft und dem Singechor nachstehende Cantate aufgeführt. Rostock. 4°. 4 Bl.
3) Raspe. Einladung zur Jubelfeier des 300jährigen Bestehens der Domschule zu Güstrow. Güstrow 1853, S. 72.
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Siegerkranz", dasselbe 1824 in Neustadt. In Wittenburg feierte man den 10. Dezember 1824 mit einem großen Ball, der bis zum andern Morgen 4 Uhr dauerte, und eine Stunde darauf, um 5 Uhr, ward in der Hauptstraße der Stadt "das beliebte Volkslied "Heil unserm Fürsten! Heil!" mit Blase=Instrumenten vorgetragen". Leider fehlt wieder der Text, und es bleibt der Vermuthung ein freies Spiel, zu entscheiden, ob unter dem "beliebten Volkslied" das Rostocker "Fürstenlied", das allerdings einen etwas abweichenden Eingang hat, oder das Rostocker Lied von 1822, das auch mit "Heil unserm Fürsten! Heil!" beginnt, oder irgend ein anderes zu verstehen sei. Merkwürdiger Weise ward in demselben Jahre am 10. Dezember in Ludwigslust bei dem Festmahl in der Sozietat ein von der Frau von Montenglaut 1 ) als Impromptu niedergeschriebenes Lied gesungen, das gleichfalls mit "Heil unserm Fürsten! Heil!" anhub; aber ich kann mir nicht denken, daß dieses "Impromptu" schon so bekannt gewesen sei, daß es zu gleicher Zeit in Wittenburg als Volkslied hätte auftreten können. Den Ludwigsluster Text hat das Freimüthige Abendblatt aufbewahrt. Besonders sangeslustig oder besonders mittheilungsfreudig scheint man in Malchin gewesen zu sein; hier werden Festlieder 1830, 1832 und 1833 erwähnt. 1830 sang man "Heil Dir im Siegerkranz", 1832 eine vom Rektor Bülch dort verfertigte Umdichtung des "God save the king", 1833 "Heil Friedrich Franz", vermuthlich eine Wiederholung des Liedes von 1832, dessen Text wir wieder einmal nicht kennen. Für Ribnitz merke ich 1828 an "Laut hall im Jubelklang", das am 10. August desselben Jahrs auch schon in Doberan vorgetragen war, für Boizenburg 1830 ein besonders gedrucktes Lied, das, wie es in dem Berichte heißt, beim Festmahl unter die Versammlung vertheilt und von derselben mit Jubel und Freude abgesungen wurde. Von diesem wie von jenem ist der Wortlaut nicht überliefert. Aus Teterow endlich bringe ich für 1831 ein Lied nach der Melodie "Schier dreißig Jahre" mit dem Eingang: "Schon mehr als vierzig Jahre, Warst unser Vater Du".


1) Artemisie Henriette Marianne von Montenglaut, geb. von Cronstein, geboren den 25. Februar 1768 als Tochter des Dragonerkapitäns von Cronstein, gestorben 5. Dezember 1838. Sie war in 3. Ehe verheirathet mit dem emigrirten Freiherrn Pidoux de Montenglaut († 1810). Man hat von ihr Gedichte und Novellen. (Neuer Nekrolog der Deutschen XVI, S. 1072.) - 1824 war sie auf einer Tournee in Meklenburg, hatte im November deklamatorische Vorträge in Wismar und Schwerin gehalten und war zu gleichem Zweck in Ludwigslust.
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Eine eigene Stellung nahm Doberan ein. Seit der Gründung des Bades 1793 kam Friedrich Franz, der für diese seine Schöpfung ein ganz besonderes, stets reges Interesse zeigte, fast Jahr für Jahr dahin, um die Sommermonate am Strande zu verleben. Eine so regelmäßige Wiederkehr gab dem Ort und dem Badeleben natürlich sein Gepräge. Aber es war das nicht das Gepräge steifer Formen und zeremonieller, abgrenzender Etikette; der Fürst liebte, sich hier als Mensch zu geben, und seine Leutseligkeit, die auch für den gewöhnlichen Sterblichen ein liebenswürdiges Wort hatte, schuf Raum für eine weitgehende Annäherung zwischen der Badegesellschaft und dem Hofe. Blieb der Hof einmal aus, so war es, als fehlte etwas. Man lebte dort das Leben einer großen Familie, deren Mittelpunkt und Haupt der Fürst war. Früh fing man hier an, bei Tafel Lieder zum Preise des Herzogs zu singen. Das früheste, das ich nachweisen kann, stammt aus dem Jahre 1802. Am 11. Juli war's, beim ersten Mahl in dem neuen Saale, da hatte ein Fremder ein Gedicht drucken lassen und unter Zustimmung der Musik wurde es von der ganzen Tischgesellschaft abgesungen. Es war gesetzt nach der Melodie "Am Rhein, am Rhein" und begann:

Heut paart sich froh zum schäumenden Pokale
     Der Tonkunst Harmonie;
Heut würzt Apoll im freudenreichen Saale
     Mit süßer Melodie.

und schloß mit: "Es leb' der Herzog, hoch!!!" Die Rückkehr des Fürsten aus der Verbannung und sein Wiedererscheinen in Doberan am 10. August 1807 ward mit Jubel gefeiert; ich lese aber nichts von besonderen Festliedern. Bedeutungsvoll wurde, daß seitdem der 10. August für Doberan ein Festtag ward, ein Gedenktag, an dem die Badegesellschaft sich zu heiterm Mahl vereinigte und mit Toast und Sang dem geliebten Herrscher ihre Verehrung darbrachte. Doch auch die Doberaner Sänger gingen ihre eigenen Wege; ich finde nicht, daß nur einmal während der Regierungszeit Friedrich Franz I. "Gott segne Friedrich Franz" dort gesungen wäre. Für 1809 hat uns Vogel das Lied überliefert; es war wie das von 1802 nach der Melodie "Am Rhein, am Rhein" gedichtet und begann: "Es rauscht dahin - der rasche Strom der Zeiten!" 1812 gab man eine Festvorstellung; sie wurde mit einem Vorspiel mit Gesang, verfaßt von dem Schauspieler Diestel, eingeleitet, das mit dem "Volkslied nach

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einer bekannten Melodien endete, von dem ich schon oben bemerkte, daß es das erste mir bekannt gewordene, nach der Melodie "God save the king" gedichtete Lied in Meklenburg sei. Diesem Beispiele folgte das Lied von 1817 "Heil Dir im Ehrenkranz", das von 1818 "Heil Dir, dem heut sein Land" und das von 1821 "Singet den Hochgesang". Zum 10. August 1822 lieferte L. Jacobi einen Rundgesang, Melodie "Umkränzt mit Laub", 1823 eine Demoiselle Bauer ein Festgedicht von wenig bekannter Melodie, das darum auch keinen Anklang fand. Zur Abwechselung brachte dann das Jahr 1824 die Melodie "Wir winden Dir den Jungfernkranz" und 1825 einen neuen Rundgesang von Jacobi (Melodie wie 1822: "Umkränzt mit Laub). 1826 sang man Vormittags am Damm nach der alten Weise des "God save the king":

"Hier, wo das blaue Meer
Vor uns so groß und hehr
Hebt Herz und Geist",

und in Doberan bei Tafel "Gegrüßt sey uns im Reihentanz der Horen" (Melodie "Umkränzt mit Laub"). 1827 wurde der 10. August, der Tag der 20. Wiederkehr, besonders weihevoll begangen und an Liedern mehr gedichtet und gesungen, als gewöhnlich. Ich nenne: "Tritt frey aus der Tiefe des Herzens hervor" von Carl von Boddin, "Dich weckt mit jauchzendem Gesange" von Studiosus Mantius, 1 ) ein "Lied der Handwerksleute" vom Schauspieler Julius Cornet und zwei, die größeres Interesse für uns haben, "Heil unserm Fürsten! Heil!" von Wundemann und ein "Mecklenburgisches Volkslied," dasselbe "Heil unserm Friedrich Franz!", das am 13. Juni dieses Jahres schon in Rostock gefallen hatte. 1828 sang man am Damm "Dir ertönt Feierklang", in Doberan "Laut hall im Jubelklang", 1829 "Wonne, schwellt jede Brust", 1831 wiederholt "Laut hall im Jubelklang", 1832:

"Heil sey Dir Friedrich Franz
Vater des Vaterlands,           
Heil Edler, Dir!"

1) Wahrscheinlich das Lied, das nach dem Freimüth. Abendbl. vom Hofmusikus Richter komponirt und von 4 Rostocker Studenten (Ed. Mantius, Albr. Schwartz, Carl Kühn, Ed. Napp) in Doberan vorgetragen wurde.
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1834 endlich klang es "Eilt Mecklenburger! heut zum frohen Feste", Melodie: "Am Rhein, am Rhein". 1 )

Damit schließe ich die Uebersicht. Man sieht, es ist ein ganz hübsches Material gesungener Volks= und Festlieder, das sich für die Zeit von Anfang des Jahrhunderts bis 1835 aus Meklenburg hat zusammentragen lassen. Das Ergebniß aber, das wir für unsere Zwecke aus diesem Material ziehen können, ist das folgende. "Gott segne Friedrich Franz" ist in seinem Gebrauch im Wesentlichen auf die beiden Großherzoglichen Schulen in Schwerin und Parchim und vielleicht noch das Seminar in Ludwigslust beschränkt geblieben. Es scheint wenigstens nicht, daß es bis 1835 auch nur einen Schritt weiter dauernd Boden hat gewinnen können. 2 ) Ich will zugeben, daß hier und da es noch einmal mag gesungen sein, wo es sich nicht mehr nachweisen läßt; Thatsache bleibt jedenfalls, daß es bis 1835 in dem bei Weitem größern Theil Meklenburgs noch nicht recipirt war. Der Bericht über die Parchimsche Schulfeier vom Jahre 1834 meint freilich "daß die Feier mit dem von der ganzen Versammlung mit dem innigsten Enthusiasmus gesungenen "Gott segne Friedrich Franz" beschlossen wird, ist für den Meklenburger keine Neuheit, sondern nur das, was er in allen Gauen des geliebten Vaterlandes selber hat und thut". 3 ) Ich glaube aber, daß der Berichterstatter hier den Mund reichlich voll nimmt; anderweitig habe ich seine Ansicht nicht bestätigt gefunden.

Allerdings kann man ebenso wenig von einem der andern Lieder sagen, daß es mehr als vorübergehend weitere Verbreitung gefunden als unser Lied. Die größte Konkurrenz noch machte ihm "Heil Dir im Siegerkranz"; an nicht weniger als einem halben Dutzend verschiedener Stellen sind wir ihm ja begegnet. Aber, so viel ich sehe, hat auch dieses sich zu dauerndem Gebrauch nirgends eingebürgert. Bedeutender als sein eigenes Auftreten war freilich sein Einfluß auf die Textbildung in der patriotischen


1) Vogel, Annalen des Seebades zu Doberan. 1802, S. 4; 1809, S. 7; 1812, S. 9 ff. Freimüth. Abendblatt, Jahrg. 1823, 1825, 1828. Die Lieder von 1817 ff. zum größten Theil im Großherzogl. Archiv (Tagebücher Fr. Fr. I.) oder in der Regierungsbibliothek, das von 1821 in der Universitätsbibliothek Rostock. Letztere besitzt noch ein undatirtes "Heil sey Dir Friedrich Franz", das wohl der Zeit zwischen 1812 und 1820 angehört; Anklänge an dieses zeigt das Lied von 1832.
2) Gelegentliche Absingung bei offiziellen Feiern, wie bei der Grundsteinlegung des Schweriner Regierungsgebäudes 1825, kann hier nicht mitzählen.
3) Schulschriften. Heft 4. Parchim 1835. S. 73.
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Lyrik jener Tage. Schloß sich "Gott segne Friedrich Franz" bewußt in Melodie und Wortlaut an "God save the king" an, so war für die große Zahl der übrigen Vaterlandslieder "Heil Dir im Siegerkranz" ausgesprochenes Vorbild und Vorlage. Das zeigt schon allgemein der Eingang: kein "Gott segne" mehr, sondern "Heil unserm Friedrich Franz" oder "Heil Dir im Ehrenkranz", "Heil unserm Fürsten! Heil!" und so weiter. Als besonders beliebt sind dann auch einzelne Wendungen und Ausdrücke übernommen: der "Siegerkranz" als "Ehrenkranz" oder "Bürgerkranz", der "Herrscher des Vaterlands" unverändert oder als "Vater des Vaterlands", die "Wonne, Liebling des Volks zu sein" u. a. Mehr oder minder große Anlehnungen dieser Art zeigen namentlich: die Doberaner Lieder von 1812 und 1817, das Rostocker "Fürstenlied" von 1819, das lateinische Schweriner von 1833. Alle diese Nachbildungen hatten ein kurzes Dasein; schon der ausgesprochene Charakter des Gelegenheitsgedichts bedingte das bei der größern Zahl von ihnen. Allein das "Fürstenlied" und das Rostocker "Heil unserm Fürsten! Heil!" hielten sich etwas länger; es schien sogar eine Zeit lang, als sollte das eine oder das andere für Rostock werden, was "Gott segne Friedrich Franz" für Parchim und Schwerin war.

Vorherrschend blieb seit 1812 die Melodie: "God save the king". Sie war es in dem Grade, daß man kaum noch ein Festlied zu dichten wagte, ohne sie zu Grunde zu legen. Ich will dafür ein zeitgenössisches Zeugniß anführen. Der Ratzeburger Justizrath G. C. Sponagel in seinem Buch "Des Vetters Feldzug in die Seebäder von Doberan (Hannover 1826)" läßt seinen Helden auch an der Feier des 10. August in Doberan theilnehmen. Von Ehrgeiz angestachelt, hat der Vetter ein Gedicht zu diesem Tage verfaßt. "Ich hatte", erzählt er, "meinen Pegasus gesättelt und die Empfindungen der fremden Badegäste auch auszusprechen versucht, Namens deren ich es vorzutragen beabsichtigte. Der bekannten Melodie des englischen Volksliedes hatte ich es angepaßt, weil die Weise es auszusprechen bei der Hand war, wenn ich meinen Zweck nicht verfehlen würde." (S. 338/39). Die nach anderer Melodie gedichteten Lieder kamen also schon dadurch in eine ungünstigere Stellung.

Nach Allem war die Position von "Gott segne Friedrich Franz" um 1834 keine schlechte. Es hatte die geläufige Melodie und es hatte, was keiner seiner Konkurrenten sich hatte erwerben können, seinen festen, gleichsam schon ererbten Besitzstand. Wenn auch 1824 noch wieder ein Anonymus Meklenburg mit einem

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"Festgesang für frohe gesellschaftliche Vereine am 10. Dezember I824", Melodie "Bekränzt mit Laub" beglücken zu müssen glaubte, weil er das Bedürfniß nach einer über den lokalen Brauch sich erhebenden, für das ganze Land gültigen Fassung empfand, wenn 1834 ein Korrespondent des Freimüthigen Abendblatts aus dem weltfremden Winkel Leussow, Amt Grabow, für die kommende Jubelfeier des Jahres 1835 Küffners Vaterlandslied von 1806 zu erwecken suchte und neben der "allbekannten und beliebten Volksweise" des "Freut Euch des Lebens" als passend und anwendbar zu solcher Gelegenheit pries: "Gott segne Friedrich Franz" mußte seinen Weg machen und machte ihn. 1 )

1835 am 24. April beging Friedrich Franz I. den Tag seines 50jährigen Regierungsjubiläums. Einem Herrscher ist selten vergönnt, auf ein halbes Jahrhundert wirkender Thätigteit zurückzusehen, und wenn es dem einen oder dem andern einmal gelang, das Ziel zu erreichen, so zeigte der Rückblick die vergangenen Jahre hinab ihm oft noch ein trübes Bild, das ihm selber die Stirn verdüsterte, und er sah sich vereinsamt. Der auserwählten Glücklichen sind wenig. Wer zu solcher Höhe emporgestiegen, mit hellem Auge umschauen kann, dem wird der Tag ein Ehrentag, und das dankbare Volk, das ihn den Weg hinauf begleitet hat, legt ihm die Kränze seiner Freude und seiner Liebe zu Füßen. Meklenburg beging das Fest seines Landesfürsten mit rauschender Begeisterung. In den Städten, auf dem flachen Lande, allüberall wollte man sein Theil haben an der Feier; die Blätter jener Tage sind voll von Berichten, und die reichen Einzelzüge, die sie uns bringen, setzen sich zusammen zu einem vollen schönen Bild der damals herrschenden Festfreude. Hier war es bequem, Umschau zu halten. Die Gelegenheit mußte die Probe darauf geben, wie weit unser Lied bisher gedrungen und bekannt geworden; sein Geltungsbereich mußte sich fixiren lassen. Und das Resultat? Soweit nicht geistliche Lieder vorgezogen wurden, wie "Nun danket alle Gott", "Herr Gott, Dich loben wir" oder ähnliche, z. B. bei der Rostocker


1) Freimüth. Abendblatt 1824, Sp. 847/48; 1834, Sp. 678. Die Korrespondenz aus Leussow (Loissow) ist unterzeichnet B.; es ist das wahrscheinlich der damalige Organist G. W. Bade dort. Er kennt übrigens den Namen des Verfassers, Küffner, nicht mehr und meint, daß das Lied 1803 oder 1804 kurz vor der Besetzung Meklenburgs durch die Franzosen erschienen sei.
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Universitätsfeier, begegnen uns auch in diesem Fall wieder vielfach dem Zweck und Tag angepaßte, "eigends" gedichtete Lieder, deren Text oder Eingang jedoch leider fast nie überliefert ist, so in Goldberg, Doberan, Dargun, Sülze, Penzlin, Malchin, Gnoyen und sonst. In Wismar zog das Militär nach der Parade auf dem großen Markt und nach der Ansprache des Kommandeurs unter den Klängen von "God save the king" zum Gottesdienst in die Nicolaikirche; in Warin sang man "Heil Dir im Siegerkranz, Heil unserm Friedrich Franz", in Wittenburg "Heil Friedrich Franz". "Gott segne Friedrich Franz" ist als geblasen oder gesungen erwähnt in Grevesmühlen, Güstrow, Schwaan, Damshagen, und auch von Dargun heißt es wenigstens, daß dem für die Feier gedichteten Liede die Melodie "Gott segne Friedrich Franz" zu Grunde gelegt worden. In Parchim ward an diesem Tage beim Schulfestakt abweichend eine für die Gelegenheit zurecht gemachte Fassung gesungen; eine ähnlichefügte Bahrdt seinem zur Jubelfeier verfaßten Festspiel ein, das am 26. April in Ludwigslust zur Aufführung kam. Das Schweriner Gymnasium beging seine Feier erst am 27. April, und hier blieb man bei dem alten überlieferten Text. 1 )

Gewiß von einer allgemeinen Verbreitung und Anwendung kann man auch hier noch nicht reden; aber es zeigte sich doch bei dieser Gelegenheit, daß das Lied allgemeiner bekannt geworden war. Der beste Beweis dafür ist, daß es vielfach bereits als Melodievermerk "God save the king" und "Heil Dir im Siegerkranz" ersetzt. In Güstrow z. B. heißt es, wurden vom Pfarrthurm Choräle und das Vaterlandslied "Gott segne Friedrich Franz" geblasen; in Grevesmühlen bliesen es die Jägerhornisten des Schützenkorps, und aus Damshagen lautet der Bericht ähnlich. Ich denke mir, man wird das dem Einfluß der Schulen von Parchim und Schwerin zuschreiben müssen, der sich allmählich bemerkbarer machte. Es gingen von beiden Anstalten Jahr für Jahr eine Anzahl Männer ins Land, von denen man doch annehmen mag, daß sie die empfangenen Eindrücke mitnahmen und bewahrten; es lag für sie nahe, wenn der Anlaß gegeben, in der Richtung dieser Eindrucke thätig zu sein.


1) Freimüth. Abendblatt 1835 passim. Für Parchim wie für Schwerin wurden zur Feier besondere Einladungsprogramme ausgegeben, die auch die zu singenden Texte enthielten. Bahrdt's Festspiel "Der Rune letzter Spruch" in seinen "Erinnerungen". Neustrelitz und Neubrandenburg 1840, S. 160 ff.
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So dürfte in Meklenburg manches "Gott segne Friedrich Franz" gesungen sein, dessen Quelle in Schulerinnerungen lag.

1837 starb Friedrich Franz I. Mit seinem Nachfolger kam ein neuer Name, Paul Friedrich, und diesem Namen mußten nicht nur die neuzudichtenden Lieder angepaßt werden, auch die alte Schwerin=Parchimsche Weise, die auf den Reim "Friedrich Franz" gestellt war, paßte nicht mehr und konnte nur in einer durchgreifenden Ummodelung beibehalten werden. An beiden Schulen unterzog man sich dieser Erneuerungsarbeit, in Schwerin der damalige Direktor des Gymnasiums, Wex, in Parchim ein nicht genannter; aber, da man hier wie dort selbständig vorging, kamen zwei verschiedene Lieder heraus. Beide lehnen sich an das alte Original noch ziemlich eng an, doch nicht so weit, daß die Aenderungen sich nur auf das unumgänglich Notwendige beschränkt hätten; die Redaktoren haben auch sonst Textverbesserungen anzubringen für gut befunden, und gerade an diesen Stellen tritt der Unterschied der zwei Bearbeitungen am Augenscheinlichsten hervor. Merkwürdiger Weise stimmen die ersten vier Zeilen bei beiden vollständig überein. Ein dritter Text, der uns aus Bützow überliefert ist, hält sich, wie es scheint, ganz frei von irgend einer Vorlage; aber er hat auch die Eingangszeile "Heil Dir, Paul Friederich" gleichlautend mit der Schweriner und der Parchimschen Fassung. Aus dieser Uebereinstimmung des Eingangs bei allen drei ergiebt sich die Schwierigkeit, in Fällen, wo man nur den Eingangsvermerk angegeben findet, zu ermitteln, welche der drei Fassungen gemeint ist. Ich glaube, im Zweifelsfalle wird man gut thun, sich immer für die Schweriner zu entscheiden.

"Heil Dir, Paul Friederich" trat in Parchim und Schwerin vollständig an die Stelle von "Gott segne Friedrich Franz"; vom 15. September 1837 angefangen bis 1842 scheint es dort bei der Schulfeier an des Fürsten Geburtstag regelmäßig gesungen zu sein. Eine Ausnahme machte nur Schwerin 1840, wo statt des herkömmlichen das Vaterlandslied aus der Lappe'schen Oper "Die Obotriten", die gerade in diesem Jahre mit großem Erfolg am Hoftheater zuerst über die Bühne gegangen war, als Festlied gewählt war. Sonst kann ich ein "Heil Dir, Paul Friederich", abgesehen von Bützow 1837, nur noch nachweisen in Wismar und Wittenburg. In Wismar ward es am 22. September 1838 beim Stapellauf des "Paul Friedrich", als das Schiff unter dem Donner der Kanonen sich in Bewegung setzte und ins Meer glitt, an Bord gesungen; in Wittenburg spielte es am 15. Sep=

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tember desselben Jahres Mittags die Musik vom Rathhause neben "Nun danket alle Gott".

Die Regierungszeit Paul Friedrichs war kurz, und darum auch hatten alle diese Neudichtungen nur ein kurzes Dasein. 1842 schon folgte Friedrich Franz II. Seitdem ist der Name "Friedrich Franz" stehend geblieben in unserm Herrscherhause bis auf den heutigen Tag, und diese Stetigkeit mußte der Verbreitung eines Liedes günstig sein, das so mit dem Namen verquickt war, wie unser Lied. Empfand man zu Zeiten noch einmal das Bedürfniß, eine über Wechsel und Namen erhabene, allgemein gültige Fassung zu finden, sie schwand stets wieder, da ihre Berechtigung nie zwingende Nothwendigkeit ward. Unter den gegebenen Verhältnissen mag gerade der persönliche Charakter dem Volk die alte Weise lieb und werth gemacht haben. Denn fraglos wird die begeisterungsfreudige Menge immer das Gefühl einer innigem Beziehung zu ihrem Fürsten haben, wenn sie singend seinen Namen nennt. Die innere Anschauung arbeitet reger, die Worte formen sich zum Bild und in die Mitte des Bildes tritt die Person des Genannten, wie uns das Bild eines Freundes vor die Augen tritt, dessen Namen wir aussprechen. Man schätzt die große Masse schlecht ein, wenn man ihr Verständniß für Abstraktionen zutraut; das Volk will mit den Augen sehen, will Bilder und keine Begriffe.

Die Neue Schwerinsche politische Zeitung brachte an der Spitze ihrer Nr. 25, Jahrgang 1843 ein Festgedicht zum 28. Februar, dem Geburtstage des neuen Herrn, von A. J. C. zur Nedden, 1 ) das man eine Variation über die 1. Strophe von "Gott segne Friedrich Franz" nennen könnte. Es beginnt:

     "Gott segne Friedrich Franz"
Dem Mecklenburger wohl bekannte Weise,
Die durch ein Halbjahrhundert froh erklang,
Gesungen einst dem theuren Fürsten=Greise,
Erschalle heute als ein Feiersang!

und der Schluß:

Und laß Ihm einst, wie Seinem Ahn', ertönen
Am Jubelfest:
     "Gott segne Friedrich Franz!"
          u. s. w.


1) August Johann Karl zur Nedden, geb. 1804, 1836 Kanzleiregistrator an der Justizkanzlei in Schwerin, 1863 Sekretär, 1865 Hofrath, gestorben 17. Mai 1881. (Mecklenburg. Zeitung 1881, Nr. 228).
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Das Gedicht ist charakteristisch für die herrschende Stimmung unserm Lied gegenüber; es leitet seine Geschichte in der Zeit der kommenden Regierung ein.

Allerdings ist es nicht ganz zweifellos, ob es, selbst an den alten Stätten, wo es einst gesungen ward, sofort wieder rezipirt wurde. Für Schwerin fehlen uns aus den ersten Jahren, 1843 bis 1845, bedauerlicher Weise alle näheren Berichte. Das Freimüthige Abendblatt schweigt ganz, und die Chronik der Gymnasialprogramme bringt zur Feier des 28. Februar kurz nur das Verzeichniß der gehaltenen Reden und dazu immer wieder die Notiz, daß dem Festakt auch Gesänge des Chors und einzelner Schüler angeschlossen gewesen seien. Für 1846 kann ich dann "Gott segne Friedrich Franz" nachweisen, und der Ausdruck, mit dem jetzt von ihm gesprochen wird, es sei, heißt es, "der den Meklenburgern schon aus älterer Zeit so lieb gewordene Chor", 1 ) läßt fast schließen, daß man es damals zum ersten Mal wieder aufgenommen habe. Aber ich will ein bestimmtes Urteil darüber nicht abgeben. Am Parchimschen Gymnasium wurde, das wissen wir sicher, am 28. Februar 1843 und 1844 eine abweichende Fassung gesungen. Für 1845 fehlt mir die Nachricht, und von 1846-1853 fanden wegen Mangel eines genügend großen Saals in Parchim überhaupt keine Schulfeierlichkeiten, also auch keine Feier des fürstlichen Geburtstages, statt. Aber 1854, als mit der Eröffnung des neuen Hörsaals dieses Interregnum ein Ende nahm, erklang im Festakt am 28. Februar auch sogleich wieder unser "Gott segne Friedrich Franz". 2 )

In den Jahren darauf bis in die Gegenwart wird es immer schwieriger, die Geschichte unseres Liedes zu verfolgen. Ich will mich deshalb damit begnügen, es bis hierher begleitet zu haben. Das Ergebniß der Entwickelung liegt ja klar vor Augen. "Gott segne Friedrich Franz" hat sich eine feste Stellung in unserm Volksleben errungen; es ist die Volkshymne geworden, die gesungen wird, wenn das Volk seines Fürsten gedenken will. Was ihm diesen Rang hat streitig machen wollen, ist zurückgesunken, so vollständig, daß man heute fast vergessen hat, daß es einst Konkurrenten gab. Das gilt nicht allein von den


1) Freimüth. Abendblatt 1846, Sp. 192.
2) Freimüth. Abendblatt 1843, Sp. 198; 1844, Sp. 181. - Parch. Schulschriften N. F. V. (1845) S. 78/79. Schulschriften 3. Folge IV. (1854) S. 36. - Die Fassung des Liedes von 1843 schließt sich ziemlich genau an den Wortlaut der Parchimschen Fassung von "Heil Dir, Paul Friederich" von 1837 an.
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ältern Liedern, auch was in neuerer Zeit an dichterischen Versuchen ähnlicher Art aufgetaucht ist, hat eine Stellung von irgend welcher Bedeutung nicht gewinnen können. Ich nenne da nur das Bahrdt'sche (1838): 1 )

"Ich bin ein Mecklenburger, meine Farben,
Sie wehen mir in Lust und Leid voran!",

das Dehn=Lappe'sche "Vaterlandslied" aus der Oper "Die Obotriten" (1840):

"O Vaterland du theures, sei gepriesen",

Emanuel Geibel's "Trinkspruch" (1870):

"Stoßt an im Saft der besten Reben.
Stoßt an: Land Mecklenburg soll leben",

und das Lied "Mecklenburgs Schönheit" aus Greve's "Heimathskunde" (1873):

"Du herrlich Land, mein Heimathland".

Aber auch die Ueberarbeitungen seines Wortlauts, die Verbesserungen, mit denen man gelegentlich störende Härten seiner Fassung zu mildern gesucht, hatten kein besseres Schicksal. Der alte originale Text erwies sich von einer Lebenskraft, daß er aus all diesen Vermummungen siegreich immer wieder hervorbrach; wir haben ihn heute, wie vor bald 100 Jahren unsere Voreltern ihn hatten und sangen. Was ist das Geheimniß dieses Erfolges? Es ist keine Zauberei dabei; der Erfolg erklärt sich allein daraus, daß unser Lied nicht mehr sein wollte, als das Volk verstehen und begreifen konnte, aus der Singbarkeit seiner Melodie und der anspruchslosen Einfachheit seiner Worte. Man mag den Text trivial nennen. Zugegeben; aber Dichter, die Volksthümlichkeit und echt poetischen Schwung glücklich vereinigen, sind seltene Erscheinungen, und nur besonders günstige Bedingungen geben ihnen das Leben. Wir wollen zufrieden sein, daß wir eine Hymne haben, die sich als lebensfähig erwiesen hat, und daß sie das ist, bekundet uns das Volk jedes Jahr, wenn es an seines Fürsten Geburtstag singt

"Gott segne Friedrich Franz".


1) Bahrdt, Erinnerungen, S. 207. (Das Lied ist Einlage in: "Der Bivouak vor Paris. Ein dramatisches Gemäld"); Geibel, Werke, 2. Aufl., Bd. IV. 252; Greve, Bilder aus der Heimatkunde von Mecklenburg, S. 1.