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III.

Die Pilgerreisen des Herzogs Balthasar von Meklenburg nach dem heiligen Lande.

Von

Dr. W. Voß.

W ollten wir allen Nachrichten, die uns über Jerusalemfahrten des Herzogs Balthasar von Meklenburg zufließen, Glauben schenken, so müßten wir deren drei annehmen: die erste 1470, die zweite 1479 und die letzte 1492. In den Handbüchern der meklenburgischen Geschichte allerdings finden wir über diesen Punkt nichts oder doch so gut wie nichts; sie gehen entweder ganz mit Stillschweigen darüber hinweg, oder sie bringen uns dürftige unvollständige Notizen gelegentlich und ohne weiter darauf einzugehen. So gedenken Rudloff und Boll kurz einer Pilgerreise des Herzogs von 1492, und Hane weiß außer dieser von einer anderen des Jahres 1470. 1 ) Besser orientirt uns erst Franck in seinem alten und neuen Meklenburg. Wir finden bei ihm alle drei Angaben erwähnt, und, was noch mehr werth ist, auch besprochen: er giebt eine Anzahl näherer Details und versucht schon, sie kritisch zu sichten. Dabei kommt er zu dem Ergebniß, daß Balthasar nur zweimal im heiligen Lande gewesen sei, und zwar in den Jahren 1470 und 1492, daß dagegen eine dritte Reise 1479 unmöglich stattgefunden haben könne. Es lohnt wohl der Mühe, auf seine Darlegung ein wenig einzugehen: wir gewinnen damit eine vortreffliche Basis für die folgende eigene Untersuchung.

Bei Gelegenheit des Todes Balthasars giebt Franck ein Resumé über dessen Leben und Regierung. Er schreibt da (im 3. Kapitel


1) Rudloff, Mecklenburgische Geschichte II, S. 876; Boll, Mecklenburgische Geschichte 1, S. 145, Anm. 2; Hane, Mecklenburgische Geschichte, S. 137.
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seines 9. Buchs): "hierauf starb Ao. 1507, den 7. Mart. 1 ) der Herzog Balthasar zu Wismar. Er hinterließ von seiner Gemahlin Margareta aus Pommern keine Kinder war sonst von schöner Gestalt, ansehnlicher Länge, frommen Gemühts, stillen Lebens, gutthätigen Hertzens, ein Liebhaber der Wissenschaften, des Gottesdienstes und der Reisen nach Heil. Oertern: daher er den besten Theil von Europa gesehen hatte. Zweymahl war er nach Jerusalem gewesen, hatte Rom, St. Jago di Compostella und andere berühmte Wallfahrts=Städte besuchet." Wir hören hier von ausgedehnten Pilgerreisen unseres Fürsten; ja, nach dem Umfange, den die Schilderung gerade dieser Thätigkeit in Balthasars Charakterbilde einnimmt, könnte man versucht sein, zu schließen, daß sie das Bemerkenswertheste an dem ganzen Manne gewesen seien. Man lernt ihre Bedeutung vielleicht verstehen, wenn man sie aus ihrer Isolirtheit heraushebt und sie in dem großen Zusammenhange der herrschenden Zeitrichtung betrachtet. Es ist ja eine bekannte Sache, daß am Ausgange des Mittelalters, im 15. Jahrhundert, eine derartige Zunahme der frommen Stiftungen und Wallfahrten stattfand, daß man unwillkürlich den Eindruck gewinnt, es sei die Menschheit damals von ungewöhnlicher Sorge um ihr Seelenheil bewegt worden. Unter den Pilgerreisen Balthasars aber hebt Franck besonders hervor die zwei, die er nach Jerusalem unternahm, und ihnen allein auch widmet er an anderen Stellen seines Werkes eine eingehendere Besprechung. Ich will kurz anmerken, was er darüber sagt.

1) Im Jahre 1470 läßt er die beiden Brüder Magnus und Balthasar den Herzog Ulrich II. von Stargard auf seiner Fahrt nach dem heiligen Grabe und dem Berge Sinai begleiten. Er folgt darin Latomus' Angabe, und, um diese Angabe mit einem Zeugnisse der Rostocker Universitätsmatrikel in Einklang zu bringen, nach der Balthasar am 27. September desselben Jahres zum Rektor der Universität erwählt ward, läßt er ihn noch im Herbste 1470 wieder nach Hause zurückgekehrt sein.

2) Zum Jahre 1492 theilt er aus einer Leichpredigt auf die Hofräthin Schnobel (1679) einen Brief unseres Herzogs an Moritz Glineke, den Bürgermeister von Neubrandenburg, mit, worin der erstere den letzteren einladet, ihn auf der Reise zum heiligen Lande zu begleiten. Franck schließt daraus ohne Bedenken, daß Balthasar thatsächlich die Reise auch angetreten habe und bis nach Jerusalem gekommen sei.


1) Das Datum ist falsch, es muß heißen: 17. März, s. Jahrbuch für Meklenburgische Geschichte L, S. 200.
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3) Endlich ergeht sich Franck noch gelegentlich über die von anderer Seite vertretene Ansicht, daß der Herzog 1479 in Palästina gewesen sei. Wir lesen darüber bei ihm: "Daß der Herzog Balthasar sogleich nach seiner Abdanckung aus dem Lande und nach Jerusalem gegangen, wie man aus Hederichs Worten schließen will, da er hinzuthut: "Herzog Balthasar habe sich verschrieben, wenn er aus dem gelobten Lande wieder käme, alle Schuld, so er gemacht, zu bezahlen . . .", das ist irrig. Denn wir werden ihn noch immerhin im Lande finden bis Ao. 1492, da er allererst solche, Reise angetreten." Franck will sich hier der Ueberlieferung gegenüber kritischer verhalten; aber indem er so entschieden gegen Andere polemisirt, begeht er selber den Fehler, zu vergessen, daß er schon 1470 Balthasar zum ersten Mal nach Jerusalem hat wallfahrten lassen. So viel ich übrigens sehe, richtet sich seine Absage gegen Behr, der in der That, gerade auf Hederich sich stützend, eine Pilgerreise des Herzogs für 1479 angenommen hatte. 1 ) Wir werden noch Gelegenheit haben, uns mit dieser Controverse eingehender zu beschäftigen.

Seit Franck ist von meklenburgischen Autoren in dieser Frage wenig Neues vorgebracht worden; für Ulrichs Reise 1470 hat man Chemnitzens große Chronik mehr herangezogen und ausgeschrieben, ohne sich dabei jedoch auf kritische Auseinandersetzungen näher einzulassen. Zur Geschichte des Jahres 1492 haben Neubrandenburger Specialforscher das eine und das andere beigetragen. Von einer Pilgerfahrt Balthasars 1479 aber war kaum die Rede mehr; ein Brief des Herzogs aus dem Jahre 1479, der die Absicht einer solchen andeutet, ward 1757 in den Wöchentlichen Rostocker Nachrichten und Anzeigen veröffentlicht, fand aber keine Beachtung weiter. Erst in neuester Zeit hat Röhricht auch diese Reise wieder aufgenommen, und in der fleißigen Zusmmenstellung, die er uns in seinem Buche "Deutsche Pilgerreisen" giebt, erscheinen sie nun alle drei als historisch beglaubigt. Hieran mag sich der folgende Versuch schließen, die ganze Frage noch einmal einer gründlichen Prüfung zu unterwerfen.

Am besten bezeugt ist unbedingt die Reise des Jahres 1479. Es sind aber nicht gerade meklenburgische Quellen, die uns darüber die genaueste Kunde geben. Wohl haben wir zwei Chronisten, die der Zeit so nahe stehen, daß wir von ihnen zuverlässige Nachricht erwarten könnten: Krantz ("Vandalia") und Marschalk Thurius ("Annales Herulorum"), und beide sprechen auch von Pilgerfahrten des Herzogs, erzählen, daß Balthasar in Jerusalem gewesen und dort


1) Behr, Rerum Mecleburgicar. libri VIII. (1741), S. 674-75.
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zum Ritter geschlagen sei. 1 ) Aber der eine so wenig wie der andere giebt uns dazu eine bestimmte Datirung, und wir vermögen aus ihnen nicht zu erkennen, ob die erzählten Ereignisse gerade 1479 stattgefunden haben. Krantz hat nur die vage Angabe, daß Balthasar dem Beispiel seines Bruders Magnus gefolgt sei und einige Jahre nach diesem am heiligen Grabe den Ritterschlag empfangen habe. Marschalk giebt nicht einmal einen solchen Anhalt seine Darstellung ist eine kurze, stark zusammengedrängte Uebersicht des Lebens und der Thaten des Herzogs, ohne weitere Daten als das des Todesjahres. Nahezu ein Jahrhundert später schreibt Latomus, und bei ihm allerdings finden wir eine Pilgerreise Balthasars für das Jahr 1479 angemerkt. Bei näherer Prüfung aber wird man leicht erkennen, daß seine Erzählung nichts ist als eine plumpe Kopie Marschalks, und daß er zu seiner genaueren Datirung nur durch ein Versehen gekommen ist; ich werde dieses Machwerk voll Gedankenlosigkeit und Kritiklosigkeit unten einer besonderen Betrachtung zu unterziehen haben. Als historische Quelle ist das völlig unbrauchbar und nur dem Kritiker interessant als prächtiges Zeugniß dafür, wie unser Chronist gearbeitet hat. 2 ) Beachtenswerther ist ohne Zweifel eine Notiz, die uns, ein anderer Chronist derselben Zeit (Ende des 16. Jahrhunderts), Hederich, giebt, und deren ich oben schon Erwähnung that. In seinem "Verzeichniß der Bischöfe von Schwerin" schreibt er: "Folgends 1479. Jahr tritt er (Balthasar) dem Capittel und der Kirchen wieder abe . . . und verschreibet sich dem Capittel, wenn er aus dem Gelobten Lande wieder käme, alle Schuld, so er gemachet, zu bezahlen und das Stifft wieder frey zu machen und allezeit zu beschützen." 3 ) Allerdings ist auch hier nur von einer Absicht des Herzogs die Rede, und Franck könnte dagegen immer noch Recht behalten mit der Behauptung, daß er zu einer Ausführung der Reise nicht gekommen sei. Mehr als eine Absicht läßt sich auch aus jenem Briefe des Herzogs nicht erweisen, dessen ich gedachte. Aber da kommen uns andere Quellen zu Hülfe: zwei nichtmeklenburgische gleichzeitige Zeugnisse, die erst Röhricht wieder ans Tageslicht gezogen hat, melden uns mit klaren Worten, daß Balthasar thatsächlich 1479 in Jerusalem war, und daß er 1479 dort den Ritterschlag empfing.

Im Jahre 1479 unternahmen zwei Nürnberger, Sebald Rieter junior und Hans Tucher, eine Fahrt nach dem heiligen Lande, und


1) Krantz, Vandalia Lib. XIV, c. 33; Marschalk Thurius, Annalium Herulor. et Vandalor. Libri VII (1521), lib. VII, c. 9.
2) Latomus, Genealochronicon Megap. bei Westphalen IV, S. 406.
3) Gerdes, Nützliche Sammlung, S. 457.
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beide machten darüber Aufzeichnungen, die uns glücklicher Weise erhalten sind. 1 ) Aus ihren Berichten erfahren wir nun, daß von Venedig bis nach Jerusalem Herzog Balthasar ihr Reisegenosse gewesen ist. Mit ihnen zusammen machte er die Seereise; in ihrer Gesellschaft auch blieb er nach der Landung in Jaffa, auf dem Ritte nach Jerusalem, bei der Besichtigung der heiligen Oerter. Wir wissen also nicht nur, daß Balthasar 1479 in Palästina war, wir sind sogar genauer unterrichtet über einen Theil seiner Reise. Die Schicksale der Nürnberger theilte er gemeiniglich auch; ja selbst von dem, was ihn oder seine Diener speciell betraf, lernen wir das eine und das andere kennen. Allerdings alle Details, die zu wissen uns erwünscht gewesen wären, erfahren wir nicht; von des Herzogs meklenburgischen Begleitern z. B. finden wir nur einen genannt, und auch diesen nur, weil er unterwegs das Unglück hatte, zu sterben. Immerhin müssen wir dankbar sein für das, was uns geboten wird, und ich will im Folgenden einen kurzen Auszug aus dem Rieter'schen Reisebuche geben mit Hervorhebung dessen, was uns an dieser Stelle interessiren muß.

Am 12. Juni verließen unsere Pilger Venedig, 64 an der Zahl, "darunter hertzog Walthizar von Meckelburg was mit sampt ettlichen dynern und geverten auß dem land bey Lübeck." Ihr Schiffspatron war Augustin Contarini. Ueber Parenzo und Promontore erreichten sie Zara am 18., Ragusa am 25. Juni; wegen des Sterbens in Venedig durften sie aber hier wie dort nur für kurze Zeit das Land betreten. Am 27. liefen sie Corfu an und kamen am 4. Juli nach Modon. In diesen Theilen des mittelländischen Meeres machten schon Seeräuber die Gewässer unsicher, und sie schlossen sich daher für den ersten Theil der Weiterreise einem großen venetianischen Schiffe, das nach Candia bestimmt war, an. Auf hoher See trennten sie sich von diesem und fuhren direct über Rhodus (14. Juli) und Cypern (18. Juli) auf Jaffa zu. Am 22. sahen sie die Thürme von Jaffa und sangen frohbewegt "Te deum laudamus," "Salve regina" und "ettlich collecten." Vor der Stadt auf dem Meere aber mußten sie noch einige Tage liegen bleiben, bis ihnen Geleit zur Reise bis Jerusalem erwirkt war, und in dieser


1) Reisebuch der Familie Rieter, herausgegeben von K. Röhricht und H. Meißner (Bibliothek des Stuttgarter Pitterarischen Vereins, Bd. 168), 1884. - Der Tucherische Bericht erschien schon im " Reyßbuch des heyl. Landes", Frankfurt 1584 (das von mir benutzte Exemplar aus der Königlichen Bibliothek zu Berlin); er stimmt in dem uns interessirenden Theile wesentlich, zum Theil wörtlich mit Rieter überein. Die erste Balthasar betreffende Notiz des Rieterschen Berichts fehlt bei Tucher; die folgenden finden sich bei ihm in nahezu gleicher Fassung.
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Zeit, am 25. Juli, "do starb ein priester her Arnolt genantt, des hertzogs von Meckelburg capplan, der war bey 8 tagen an der rur kranck gewest, also must man dem haubtman zu Jaffa 5 ducaten geben, das er den totden leichnam auß der gallien an landt ließ furen und da in sant begraben." Am 28. betraten sie Jaffa. Dort gab es eine letzte Kontrole; sie wurden alle mit ihren Namen notirt und dann in "ein öd gewelb" geschlossen, bis der Patron mit den Heiden über den Tribut einig geworden war. Endlich, am 31., konnten sie aufbrechen; man versorgte sie mit Eseln, und die Reise landeinwärts wurde angetreten. Der Guardian des Klosters vom Berge Sion, der ihnen mit zwei Brüdern bis Jaffa entgegengekommen war, gab ihnen des Wegs das Geleit. Am Abend erreichten sie Rama und blieben dort die Nacht über in dem Hause, das Herzog Philipp von Burgund hatte kaufen und zur Pilgerherberge herrichten lassen. Der folgende Tag war ein Sonntag; einer von des Guardians Brüdern las ihnen die Messe und knüpfte daran Ermahnung und Unterweisung, wie sie in Jerusalem sich zu verhalten hätten. Den Rest des Tages ruhten sie; "zu nacht bey 3 oren in dy nacht" bestiegen sie wieder ihre Esel, durch das Gebirge gegen Jerusalem zu reiten, und am 2. August "umb 2 or vor mittags" langten sie an dem ersehnten Ziele, in der heiligen Stadt, an. Ihr erster Gang war in den Tempel des Grabes, und daran schloß sich in den folgenden Tagen der Besuch der anderen Stätten, die durch die Erinnerung an den Erlöser geweiht waren. Am 5. August, erzählt dann Rieter weiter, "obentz ließ man uns zum andern mal in tempel und in der nacht wurd der hertzog von Meckelburg erstlich von bruder Hansen auß Preußen zu ritter in dem heyligen Grab geslagen; der hertzog slug auch fürter 7 (Tucher: 8) auß uns pilgramen da zu rittere. Das geschah alles in grosser geheym und mit verschlossener thüre von der heyden wegen, wann sy gross achtung und nachfrag albeg darümb haben." Am 10. August machte sich die Mehrzahl der Pilger, darunter wohl auch Balthasar, auf die Heimreise zurück zum Meere; Rieter trennte sich von ihnen, um mit Hans Tucher und einigen andern weiter zum Berge Sinai und zum Grabe der heiligen Katharina zu wallfahrten. 1 )


1) Vergl. noch Chroniken der deutschen Städte, Bd. XI (Nürnberg V), S. 472/73; Röhricht, Pilgerreisen (1889), S. 172 ff. (nur irrt er, wenn er Rudloff II. S. 876 auf die Reise von 1479 bezieht; Rudloff spricht von der Reise des Jahres 1492.). - Bruder Hans von Preußen war damals Guardian des Klosters vom Berge Sion und hatte als solcher das Recht, zum Ritter des heiligen Grabes schlagen zu können. Man vergleiche über ihn: Bibliothek des Stuttgarter Litterarischen Vereins, Bd. 198 (Pauli Waltheri Guglingensis Itinerarium ed. M. Sollweck), S. 128, Anm. 1.
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Ueber des Herzogs fernere Schicksale bleiben wir im Dunkel. Keine Ouelle berichtet uns von dem Schlusse seiner Fahrt; wir mögen nur vermuthen, daß er auf der Rückreise noch Rom berührt hat, wo er nach Marschalks Zeugniß doch auch gewesen sein soll; wir wissen nicht, wann er zurückgekehrt ist.

Durch die Berichte der beiden Nürnberger ist die Thatsache, daß Herzog Balthasar 1479 im heiligen Lande war, somit unwiderleglich festgestellt, und jetzt erst, von diesem sicheren Resultat aus, können wir auch die fragmentarischen Angaben unserer meklenburgischen Quellen ordnen und nach ihrem Gehalt, und ihrer Bedeutung würdigen. Wir können nach ihnen einigermaßen verfolgen, wie Balthasar allmählich zu seinem Entschlusse gekommen ist. Nach vergeblichen Bemühungen, sich das Bisthum Hildesheim zu sichern, war er Bischof von Schwerin geworden; aber auch hier des Regierens bald müde, war er nach wenig Jahren, 1479 schon, zurückgetreten. Ein Mann, der sich den Geist nicht gerne durch Sorgen und Geschäfte einengen ließ, ein Freund der freien Bewegung, die Wanderlust, wie sie für das ausgehende Mittelalter wieder so charakteristisch geworden ist, dem frommen Sinne einend, folgte auch er dem großen Zuge, der mehr wie je damals die Leute trieb, ihre Scholle zu verlassen und wallfahrtend in die Fremde zu gehen; er versprach die Verpflichtungen, die er als Bischof eingegangen war, nach seiner Rückkehr zu lösen, und zog hinaus zum gelobten Lande. Er ging nicht allein; Diener und Gefährten begleiteten ihn, und einen von diesen, den Kaplan Arnold, hat uns ja Rieter bereits genannt. Den Namen eines andern, der wenigstens die Absicht hatte, mit ihm zu kommen, giebt uns eine unserer meklenburgischen Quellen, ein Brief des Herzogs, dessen schon mehrfach Erwähnung geschah. Es ist das ein Schreiben Balthasars, datirt vom Dienstag nach Lätare 1479, gerichtet an den Rath der Stadt Rostock, und sein Inhalt ist kurz folgender: Balthasar beklagt sich, daß der Rath den Bürgermeister Berthold Kerckhof abhalte, ein ihm gegebenes Versprechen zu erfüllen. Kerckhof habe ihn auf seiner Reise ins heilige Land begleiten wollen, ziehe aber jetzt seine Zusage zurück, und da er, der Herzog, gehört habe, daß der Rath seine Hand dabei mit im Spiele habe, bitte er "sere andechtigen", daß sie den Bürgermeister mit ihm gehen ließen. Was schließlich aus der Sache geworden ist, wissen wir leider nicht; unmöglich aber wäre es nicht, daß Kerckhof die Fahrt doch noch mitgemacht hätte. 1 ) Angetreten hat der Herzog die Reise wahrscheinlich im April, da er Anfang Juni schon von Venedig ausfuhr.


1) Schreiben Balthasars in den Wöchentlichen Rostocker Nachrichten und Anzeigen 1757, S. 113. Kerckhof war noch am Montag nach Oculi (15. März) (  ...  )
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Weit weniger gut, als über die Pilgerfahrt des Jahres 1479, sind wir über die Reise unterrichtet, die Balthasar 1492 unternommen haben soll. Wir haben als Zeugniß dafür nur den einen Brief des Herzogs an den Bürgermeister von Neu=Brandenburg, Moritz Glineke, worin er diesen auffordert, auf solcher Fahrt sein Begleiter zu sein. 1 ) Darnach wollte er am Montage nach Judica, also am 9. April, abreisen und zwei Tage darauf, am Mittwoch (11. April), in Wilsnack mit Glineke zusammentreffen. Immerhin ist das nur die Kundgebung einer Absicht, und wir können daraus durchaus noch nicht schließen, daß diese auch verwirklicht wurde. Allerdings will man wissen, daß Glineke 1492 nach seiner Rückkehr aus dem gelobten Lande die St. Gertruden=Kapelle in Neubrandenburg gestiftet und darin die Merkwürdigkeiten seiner Reise habe malen lassen, desgleichen, daß er die Entfernungen des Calvarienberges und Golgathas habe abmessen lassen, "er stern mittelst eines zusammengebrachten Hügels gezeichnet und die andere Distanz auf einen der hohen Berge am Wege nach Stargard geleget." 2 ) Daß diese Stiftung stattgefunden hat, ist wohl außer allem Zweifel; aber ob sie gerade 1492 stattfand? Unser Bürgermeister soll drei Mal in Palästina gewesen sein, zuletzt 1492. Wer mag nun sagen, ob die Tradition recht berichtet, wenn sie seine Stiftung an jene letzte Reise knüpfte? Hatte sie bessere Beweise für deren Existenz, als wir sie besitzen, oder fußte auch sie nur auf den überlieferten Brief Balthasars und legte diesem eine Bedeutung bei, die wir ihm nicht beimessen können? Ohne Bedenken ist die Sache jedenfalls nicht. Gewiß, war Bürgermeister Glineke 1492 im heiligen Lande, so wird auch Herzog Balthasar mit ihm gewesen sein. Solange aber die Voraussetzung nicht besser begründet ist, wird man den Schluß nicht daraus ziehen


(  ...  ) 1479 als Vertreter Rostocks auf dem Städtetage zu Lübeck; bei den Verhandlungen zu Münster, im September 1479, waren Rostock wie Wismar nur durch Rathsherren vertreten, Rostock durch Arnd Hasselbeke (Hanserecesse, 3. Abtheilung, Bd. I, S. 128, 156.) - Einen Stammbaum der Familie Kerckhof giebt Sohm in den von Koppmann herausgegebenen Beiträgen zur Geschichte der Stadt Rostock, II (1892), S. 97.
1) Brief Balthasars, Schwerin, Donnerstag vor Oculi 1492, bei Franck VIII, S. 249, und etwas abweichend bei Hacke, Geschichte der Vorderstadt Neubrandenburg I, S. 78.
2) Hacke I, S. 78; E. Boll, Mecklenburgische Geschichte I, S. 145, Anm. 2; Fr. Boll, Chronik der Vorderstadt Neubrandenburg (1875), S.21,42; Ahlers, historisch - topographische Skizzen aus der Vorzeit der Vorderstadt Neubrandenburg, 5S 144/45. - Fr. Boll läßt statt Balthasar dessen Bruder Magnus mit Glineke ziehen. Das ist natürlich ein Versehen. Ihm passirt aber noch ein zweites Versehen: er läßt nicht den Bürgermeister, sondern den Herzog zum dritten Male nach Jerusalem wallfahrten.
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dürfen. Der Tradition allein können wir keine ausschlaggebende, beweisende Bedeutung beimessen; die einzige zuverlässige Quelle, die wir in dieser Frage haben, bleibt der von uns erwähnte Brief, und wollen wir nicht verwegen sein, müssen wir uns bescheiden, zu sagen, daß Balthasar der Absicht zur Reise wahrscheinlich auch die Ausführung habe folgen lassen.

Recht genaue Kunde haben wir wieder über die Pilgerfahrt, die der Herzog Ulrich II. von Meklenburg=Stargard im Jahre 1470 antrat. Namentlich Chemnitz in seiner ungedruckten Meklenburgischen Chronik giebt uns darüber eine Fülle der interessantesten Details, und zwar zum Theil nach einem Briefe, den der Herzog selbst von Jaffa aus nach Hause schrieb. "Im selbigen Jahre (1470)" erzählt er, "hat Hertzog Ulrich aus eigener heiliger andacht und falschen Wahn, gnad und heil dadurch bey Gott zu erlangen, ihm vorgenommen, nach der Statt Jerusalem und dem heiligen Grabe walfahrten zu reisen". Einen besonderen Grund für die Reise giebt Chemnitz nicht an; andere aber wollen wissen, daß Ulrich's Hauptzweck gewesen sei, das Grab der heiligen Katharina am Berge Sinai zu besuchen, dort zu beten und sich einen Sohn und Erben seines Reiches zu erflehen. Nachdem er sein Haus bestellt hatte, machte er sich auf den Weg, stieg in Venedig zu Schiff und hatte dann eine äußerst wechselvolle, an Gefahren reiche Seefahrt zu bestehen. Die Republik Venedig lag gerade damals wieder einmal mit den Türken in Krieg. Die Ungläubigen bedrohten Negroponte, und, um dessen Fall abzuwehren, hatte der venetianische Admiral Befehle gegeben, alle Schiffe, namentlich diejenigen der Pilger, anzuhalten und zum Entsatze von Negroponte zu führen. So hatte der Herzog mit seinen Begleitern allüberall, in Korfu, Modon, Schwierigkeiten auf Schwierigkeiten zu überwinden, daß man ihn nur weiter ließ, und schließlich mußte er in Kandia noch 18 Tage lang liegen bleiben, bis die Nachricht einlief, daß Negroponte doch gefallen sei. Am 8. August, 8 Tage vor Mariä Krautweih (15. August), kam er dann in Jaffa an, ruhte 8 Tage und zog hinauf nach Jerusalem. Dort ließ er seine Gefährten zurück, pilgerte allein zum Berge Sinai und besuchte daselbst das Grab der heiligen Katharina. Zu Anfang des Jahres 1471 war er wieder in der Heimath. 1 )


1) Chemnitz, Mecklenburgische Chronik (Manuscript der Regierungs=Bibliothek in Schwerin), 3. Bd. des III. Theils, Anhang: "Leben und Thaten der Herzoge zu Mecklenburg= Stargard." Kurz spricht er darüber auch im Leben des Herzogs Magnus II. (III. Theil, 2. Bd. der Chronik) und in seiner Genealogia Regum, Dominorum et Ducum Megapolensium (bei Westphalen II, S. 1681).
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Von Ulrichs Begleitern auf der Fahrt nennt uns Chemnitz nur Magnus, den Sohn Herzog Heinrichs des Fetten von Meklenburg; kein anderer Name neben diesem begegnet in der ganzen ausführlichen Schilderung. Auch Marschalk Thurius 1 ) der als Rath Heinrichs, des Sohnes jenes Magnus, wohl einen Einblick in die Verhältnisse haben konnte, erwähnt in den wenigen Zeilen, die er der Jerusalemreise Ulrichs schenkt, nur, daß Magnus mit ihm gewesen sei. Besserer Nachricht will sich dagegen hier wieder Latomus 2 ) freuen, indem er außer Magnus dessen Bruder Balthasar den Herzog nach Palästina begleiten läßt. Franck folgt ihm darum gläubig, und aus Franck schöpft wieder Röhricht. So ward aus einer schwach begründeten Notiz schnell eine historische Thatsache und wir sehen in neuerer Zeit Lorenz daran die kühnsten Combinationen knüpfen. 3 ) Anerkennen mag man, daß die beiden Boll sich skeptisch zurückgehalten haben und über die Angaben von Marschalk Thurius und Chemnitz nicht hinausgegangen sind. 4 )

Nach meiner Meinung begleitete Balthasar den Herzog Ulrich nicht nach Jerusalem. Latomus ist an sich schon wenig zuverlässig. Wir können ihm zudem ziemlich bestimmt nachweisen, daß die Quelle, die er benutzte, auch hier Marschalk Thurius ist, und dieser sagt von einer Betheiligung Balthasar's an Ulrich's Pilgerfahrt kein Wort. Ja, Niemand sonst hat die Nachricht, die uns Latomus giebt, und ihm sollten wir vor allen Anderen Glauben schenken? Ein isolirtes Zeugniß verdient nur dann volles Vertrauen, wenn die Quelle, die es bringt, über allen Zweifel erhaben ist; ist das Latomus? Wir können aber die Bedenken, die wir schon aus dieser Betrachtung gewinnen müssen, durch eine Reihe anderer Erwägungen noch verstärken. Einmal ziehe ich Krantz heran, der vor all den genannten Chronisten den Vorzug hat, dieser Zeit am nächsten zu stehen, und darum wohl als gewichtiger Zeuge gelten darf. In seiner Vandalia (Lib. XIV, c. 33) theilt er eine Leichenrede auf Herzog Magnus II., den Bruder Balthasar's mit, und in dieser heißt es: "Auspicatus foelicia guber=nandi tempora a divina religione, more patrum, peregrinari in terram sanctam non destitit; ut auratum cingulum ad Dominicum mereretur sepulchrum . Sequutus est illum, non multis post


1) Vitae Obetritarum bei Westphalen II, S. 1570, und Annales Herulorum (Rostock 1521), Lib. VII, c. 6.
2) Westphalen IV, S. 399.
3) Lorenz, Der Anteil Mecklenburgs an der deutschen National litteratur (1890), S. 7.
4) Fr. Boll, Geschichte des Landes Stargard II (1847), S. 188 ff.; .Boll, Mecklenburgische Geschichte I, S. 150.
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annis, frater clarissimus (also Balthasar), generi suo respondens; ut in nullo deesset patrum splendori." Zunächst sagt ja diese Stelle, auf die ich mich bereits oben einmal bezog, nur, daß Balthasar mehrere Jahre später, als sein Bruder Magnus in Jerusalem zum Ritter des heiligen Grabes geschlagen wurde, und damit wäre durchaus noch nicht ausgeschlossen, daß Balthasar auch schon 1470 Ulrich und Magnus begleitet habe. Aber wahrscheinlich ist das gerade nicht; man möchte eher geneigt sein, zu schließen, daß, da Balthasar erst 1479 den Ritterschlag empfing, er 1470 noch nicht im heiligen Lande war. Vollends gehoben wird jeder Zweifel durch eine letzte Reihe von Erwägungen. Am 27. September 1470 wurde Balthasar zum Rector der Universität Rostock gewählt, und man wird doch nicht annehmen können, daß das in seiner Abwesenheit geschah. 1 ) Der Herzog mußte also, wenn er in jenem Jahre wirklich in Palästina war, zum Herbste von da bereits wieder nach Hause zurückgekehrt sein, und Franck und Krabbe, die Latomus Aussage ohne Bedenken übernommen haben, haben in der That auf diese Weise beide Angaben zu vereinigen gesucht. Ich kann ihnen aber darin nicht beistimmen; ich meine, man wird bei näherer Ueberlegung ein anderes Resultat gewinnen müssen. Es ist doch wahrscheinlich, daß, wenn Balthasar mit Herzog Ulrich zusammen 1470 die Reise machte, er auch mit diesem zusammen heimkehrte, und von Ulrich wissen wir ja, daß er erst im Anfange des Jahres 1471 wieder zu Hause war. Aber setzen wir selbst den Fall, daß Balthasar sich zeitig von jenem getrennt und früher, sagen wir gleich nach der Ankunft in Jerusalem die Rückreise angetreten habe, er hätte zum 27. September doch nicht schon wieder in Rostock sein können. Ulrich war am 8. August in Jaffa und, wie es scheint, nicht vor dem 20. in Jerusalem. Das ergäbe als verfügbare Zeit bis zum 27. September wenig mehr als 1 Monat. Rechnen wir aber selbst 11/2 Monate und stellen dann die Frage: war es möglich, daß Balthasar aus Palästina zurück bis nach Meklenburg die Reise in 11/2 Monaten machen konnte? Ich glaube das nicht. Im Jahre 1479 nahm schon die Fahrt von Venedig bis Jaffa mehr als 40 Tage in Anspruch, ohne daß man unterwegs besonderen Aufenthalt gemacht hätte; für die umgekehrte Tour dürfte kaum weniger Zeit anzusetzen sein, und rechnen wir dazu noch ungefähr 20-30 Tage für die Weiterreise von Venedig nach Meklenburg, so kommen wir zu einer Gesammtzeit von 60-70 Tagen, die Balthasar gebrauchen mußte, um die Heimath zu erreichen.


1) Hofmeister, Matrikel der Universität Rostock I, S. 167; Krabbe, Universität Rostock I, S. 150.
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Selbst also im günstigsten Falle wäre der Herzog für die Rector=wahl zu spät gekommen. Wir müssen demnach sagen: Latomus Angabe ist falsch; Balthasar ist 1470 nicht im heiligen Lande gewesen. 1 )

Das Resultat unserer Untersuchung aber fassen wir kurz dahin zusammen: Balthasar ist höchstens 2mal in Jerusalem gewesen.Bestimmt war er dort im Jahre 1479; zweifelhaft aber muß es bleiben, ob er auch 1492 seine Absicht, über Meer zu gehen, ausgeführt hat.

Nach 1492 hat Balthasar noch einmal eine größere Wallfahrt unternommen, nach San Jago de Compostella. Diese Reise fand 1498 statt; wir wissen von ihr aber kaum mehr als die Thatsache, daß sie stattgefunden hat. Am 27. April 1498 nämlich schrieb der Rath der Stadt Lübeck an den der Stadt Danzig[h]2): Wy hadden ock an heren Magnus, hertogen to Mekelenborgh etc. in affwesende siner gnaden broders heren Balthazars, de to sunte Jacobe to Compostelle is gereiset, nach juwem begere umme geleide for juwe rades sendebaden geschreven u. s. w. Das ist neben Marschalks kurzer Notiz die einzige Nachricht, die wir über diese Fahrt besitzen.

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1) Die Herausgeber des Reisebuchs der Familie Rieter bemerken in der Einleitung S. 2, Anm. 3: Nach Waldau, vermischte Beyträge zur Geschichte der Stadt Nürnberg IV, S. 269 hatten die Herzöge Magnus und Balthasar von Meklenburg dem Sebald Rieter II. auf der Pilgerreise von 1470 das Prädicat "ehrbar und fest" verliehen und " auf 300 floren manleyn werth, so in ihren landen heimgefallen, versprochen." Das ist ein Irrthum. Waldau spricht all der betreffenden Stelle nicht von der Pilgerfahrt 1470, sondern von dem Nürnberger Reichstage 1487; Magnus und Balthasar empfingen dort vom Kaiser ihre Regalien und machten bei dieser Gelegenheit ihrerseits die erwähnte Verleihung an Sebald und Peter Rieter.
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Anhang

Kritische Excurse.

I. Latomus.

Ich habe oben die Ansicht ausgesprochen, daß Latomus für die Nachrichten, die er über Balthasars Pilgerreise zum Jahre 1479 bringt, als Hauptquelle Marschalk Thurius benutzt hat. Ich lasse zur bessern Klarlegung des Sachverhalts die betreffenden Stellen neben einander folgen:

Marschalk. Latomus.
   Mutata itaque sententia, quum esset corpore praestantissimo, conjugem duxit, Margaretam, Erici, Sidinorum ducis filiam, Sophiae, conjugis fraternae germanam . . . Benignus certe, et pientissimus qui ordinis ecclesiastici viros usque amore summo prosequutus est, nunquam auferens, semper fere afferens. Loca sacra mirum in modum amavit. Id circo Solymas adiit, eques auratus rediens. Novium etiam Galloeciae, ubi divi Jacobi phanum et Romam religione insigni salutavit. Vota quibus se obligavit, dissolvit. Venationis studiosissimus fere, caeterum qui divinorum nihil praetermitteret.    . . .Als hat er so wol das Bischoffthum zu Hildesheim, als das zu Schwerin Gott und andern befohlen, und im folgenden Jahr ihm des Hertzogen von Pommern Erici 2. Tochter, seines Herrn Bruders Hertzog Magnussen Gemahlin Schwester, Frewlein Margaretam lassen zusagen und versprechen, Und am Mittwochen zu Wilsnak der andern dazu verschriebenen von Adel Ankunfft erwartet, ist nach Jerusalem und zu St. Jacob nach Compostel, wie auch gehn Rom gereiset, sonsten hat er auch große Lust zur Jagd gehabt und nebst seinem Bruder der Ausbreitung der Religion und des gedeihlichen Aufnehmens des Landes trewfleißig geruhet. Chytrae. Saxon. Henning. Clempzen p. 3.
(Annales Herulorum lib. VII. c. 3.)
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Die Quellenangabe bei Latomus: Chytrae. Saxon., Henning, Clempzen S. 3 ist irreführend. Chytraeus und Henning sind wohl für die Schilderung des Hildesheimer Streits, die unserer Stelle unmittelbar vorangeht, benutzt worden, und bei Clempzow mag unser Autor sich über die Ehe mit der pommerischen Prinzessin informirt haben; aber Hauptquelle für den von mir herausgehobenen Passus ist unzweifelhaft doch Marschalk. Die Abhängigkeit ist in die Augen springend. Allerdings sclavisch ist die Abhängigkeit nicht. Latomus hat sich eine Reihe Abweichungen, Aenderungen und Erweiterungen erlaubt, die nicht ohne gewisse Bedeutung sind. Es ist das einmal die Zeitangabe für Balthasars Verlobung "und im folgenden Jahr", und sodann der Zusatz "Und am Mittwochen zu Wilsnack der andern dazu verschriebenen von Adel Ankunfft erwarte". Der Charakter der Marschalkschen Darstellung ist dadurch nicht unwesentlich verändert worden. Latomus faßt den zeitlichen Zusammenhang enger, als er von Marschalk gedacht war. Uns aber giebt bie Uebereinstimmung mit der Vorlage sowohl, wie die Abweichung von ihr Gelegenheit, hier einen tiefern Blick in des Chronisten Arbeitsweise zu thun.

Vergegenwärtigen wir uns den Gang, den Latomus' Erzählung nimmt. Er hat kurz über die Ereignisse des Jahres 1478 berichtet und fährt fort "Umb dieselbige Zeit etwa ist Hertzog Balthasar, Bischoff zu Schwerin, willens worden, sich in den weltlichen Stand zu begebe"; er reserirt dann zurückgreifend, wie des Herzogs Versuch, Bischof von Hildesheim zu werden, mißglückt war, und nimmt die unterbrochene Erzählung wieder auf mit den Worten "Als hat er so wohl etc. .". Sein Unglück führte ihn hier auf Marschalk, und er ward durch seine Ouelle verleitet, an Balthasars Verzicht auch auf das Bisthum Schwerin sogleich die Ehe mit der pommerschen Prinzessin, die Fahrten nach Jerusalem, S. Jago de Compostella und Rom, endlich gar ein Stück ganz allgemeiner Charakteristik des Herzogs anzuschließen, genau, wie er es dort vorfand. Was seine Vorlage als Uebersicht der ganzen Regierungszeit Balthasars gab, placirt er auf solche Weise zu einem bestimmten Jahre seiner Chronik. Nachdem er Marschalk erschöpft hat, kommt er zu den weiteren Begebenheiten von 1479; er erzählt, daß in demselben Jahre (1479) am 3. Mai Heinrich, Sohn Magnus II., geboren wurde, u. s. w.

Man sieht, schon die Verwerthung Marschalks entspricht nicht der Kritik, die ein gewissenhafter Schriftsteller zu üben verpflichtet ist; fast schlimmer noch steht es mit den Zusätzen und Erweiterungen, die Latomus gemeint hat einfügen zu müssen. Es sind deren, wie ich schon oben erwähnte, vornehmlich zwei, und beide dienen der

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Tendenz, durch genauere Datirung die erzählten Ereignisse enger an einander zu knüpfen. Latomus erster Fehler, die Darstellung Marschalks geschlossen in das eine Jahr 1479 zu setzen, zog den zweiten nach sich, innerhalb dieses Zeitraums nun das lockere Material noch weiter chronologisch ordnen und abgliedern zu wollen. Es ist interessant zu sehen, wie er dabei zu Werke gegangen ist, und ich will die beiden Zusätze, einen nach dem andern, einer näheren Betrachtung und Prüfung unterziehen. 1. Latomus erzählt uns, daß Balthasar im folgenden Jahre (1479) sich des Herzogen von Pommern Tochter hat lassen zusagen und versprechen. Die Angabe ist falsch; wir können ihm nachweisen, daß Balthasar erst 1484 sich verlobte. 1 ) Sein Irrthum hier ist direct die Folge jener unglücklichen Anschauung, daß der größere Theil dessen, was Marschalk textlich an einander reihte, auch zeitlich innig zusammen gehöre. Marschalk schloß die Erzählung von des Herzogs Verlobung unmittelbar an dessen Verzicht auf das Bisthum Schwerin (1478), und so, wird Latomus argumentirt haben, mag sie auch nicht viel später stattgefunden haben, vielleicht im "folgenden Jahre". 2. Nicht besser steht es mit dem zweiten Zusatze "Und am Mittwochen etc. " Zeit und Ort, wie er sie hier angiebt, stimmen merkwürdig überein mit Zeit und Ort, wie Balthasar sie dem Moritz Glineke in dem bekannten Einladungsschreiben aus dem Jahre 1492 setzt. Latomus kannte ohne Zweifel diesen Brief und benutzte ihn; er schob, was ihm davon brauchbar schien, in Marschalks Erzählung ein, und machte diese dadurch um einen chronologischen Wegweiser reicher. Die Liederlichkeit seiner Arbeit tritt da vollends zu Tage. Er las von einer Pilgerreise des Herzogs hier und von einer Pilgerreise des Herzogs dort; Grund genug für ihn, beide mit einander zu vermengen und die Angaben der einen Stelle für die andere zu verwerthen. Anstatt nun aber, wie es natürlich gewesen wäre, das bestimmte Datum des Briefs, 1492, festzuhalten und Marschalks Angabe darnach auch auf dieses Jahr zu beziehen, machte er es umgekehrt; er ergänzte Marschalk aus dem Briefe und ließ diese Ergänzung der Erzählung Marschalks in das Jahr 1479 seiner Chronologie folgen.

II. Chemnitz.

Schröder in seinem Papistischen Meklenburg S. 2262 will uns eine Charakteristik Balthasars geben. Er greift dafür auf Chemnitz zurück und will statt einer eigenen Darstellung lieber einen Auszug aus dieses Autors Genealogia Regum, Dominorum et Ducum


1) Jahrbuch des Vereins für meklenburgische Geschichte L (1885), S. 200.
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Megapolensium sprechen lassen. Anführungszeichen verrathen, daß dieser Auszug wortgetreu sein soll. Vergleichen wir aber seinen Text mit dem des Chemnitz, wie er bei Westphalen Monumenta II 1617 ff. gedruckt steht, so sehen wir, daß beide in einem wichtigen Punkte von einander abweichen:

Schröder. Westphalen.
   Er wird A. C. 1442 geboren. A. C. 1469 (1467) wird er zu Rostock, woselbst er studiret in RectoremAcademiae,A.C. 1470 zu Coadjutorem des Stiffts Schwerin erwehlet, ziehet eodem anno nach dem gelobten Lande, und als er A. C. 1471 wieder zu Hause kömt, wird er von dem Hildesheimischen Thum=Probst . . . zum Bischoff vociret . . . .    Er wird A. C. 1442 gebohren, A. C. 1464 zu Rostock in Rectorem Academiae, A. C. 1470 zum Coadjutoren des Stiffts Schwerin Und A. C.1471 zum Bischoff zu Hildesheim erwehlet . . . .

Nach Schröder könnte man Chemnitz als Zeuge dafür anrufen, daß Balthasar 1470 im heiligen Lande war, nach Westphalen nicht. Welcher der beiden Texte ist der authentische?

Schröders Text ist der erweiterte, und man könnte versucht =sein, zu schließen, daß der einfache Text Westphalens auch der unverfälschte sei, den Schröder in seiner Wiedergabe durch Zusätze und Erweiterungen entstellt habe. Aber so leicht löst sich die Frage nicht. Stellen wir zunächst uns einmal das Verhältniß der beiden Editoren zu einander klar. Der 2. Band von Westphalen erschien 1740, Schröders Werk 1741; der letztere wird demnach ersteren kaum schon haben benutzen können, 1 ) und wir werden als gewiß ansehen müssen, daß beide unabhängig von einander gearbeitet haben. Da aber gäbe es der Möglichkeiten, ihre Differenz zu erklären, folgende: 1. beide haben sich Abweichungen von ihrer, der authentischen, Vorlage zu Schulden kommen lassen; 2. Westphalen giebt den Wortlaut des Originals treuer wieder als Schröder, und letzterer hat sich willkürliche Interpolationen erlaubt; 3. Schröder hat den besseren Text, und Westphalen hat ihn willkürlich verstümmelt; 4. beiden lagen schon Texte verschiedener Fassung vor, und die Abweichungen des einen vom andern erklären sich als die Abweichungen ihrer Vorlagen. Im letzteren Falle stände dann immer noch die Frage zur Entscheidung, welcher der zwei Texte als der echte, authentische an=


1) Erst in dem I. Anhange zu seinem Papistischen Meklenburg bringt Schröder eine Nachlese aus Westphalens Monumente, Bd. II.
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zusehen sei. Um hierin volle Klarheit zu schaffen, schien es nothwendig, die vorhandenen Handschriften der Chemnitzschen Genealogie einer eingehen deren Untersuchung zu unterwerfen; ich beschränkte mich aber auf die Schweriner Codices, da aus diesen allein schon ein zufriedenstellendes Resultat sich gewinnen ließ. 1 )

Mir standen hierzu zur Verfügung ein Originalconcept des Verfassers selbst, das dem Großherzoglichen Archive zu Schwerin angehört, und 11 Copien der Genealogie, von denen 9 das Archiv, 2 die Regierungsbibliothek zu Schwerin besitzen. Mehrere dieser Copien mögen noch dem Ende des 17. Jahrhunderts zuzuschreiben sein; andere stammen nachweisbar aus dem 18. Jahrhundert.

I. Das Originalconcept Chemnitzens (A.) befindet sich mit einer Anzahl anderer Stücke zusammengebunden in einem Bande in Folio. Es beginnt dort auf Blatt 5a. und umfaßt 63 Blätter. Ihm vorauf geht auf Blatt 1 eine alte Copie von Titel und Vorrede der Genealogie, Blatt 2a. eine kurze Notiz über Chemnitzens Leben und Werke, Blatt 2b. eine zweite Copie der Vorrede, die aber von anderer Hand geschrieben ist als die Copie auf Blatt 1; es folgen zwei leere Blätter (Bl. 3 und 4.) und zwischen Blatt 4 und 5 sind zwei Blätter aus Rehtmeyer's Braunschweigischer Kirchengeschichte Band III eingeklebt, die Nachrichten über Chemnitz enthalten. Von größerem Interesse für uns ist unter diesen Stücken nur die Copie von Titel und Vorrede auf Bl. 1; unsere Originalhandschrift selber ist uns nämlich verstümmelt überkommen und gerade der Titel und ein Theil der Vorrede fehlen ihr. Ich setze darum wenigstens den .Titel hierher, wie ich ihn auf Blatt 1 verzeichnet finde: Genealogia ║ Ducum Megapolensium ║ Ejusq. ║ Brevis Explicatio ║ Ut Et ║ Affinitates Et ║ Cognationes ║ Eorundem ║ Das ist ║ Stambaum der Hertzogen und Fürstlichen ║ Persohnen des Uhralten Fürstlichen ║ Hauses zu Mecklenburg neben ║ deßen Kurtze Erklerung und ║ Anziehung, was sie verrichtet ║ oder sich bei ihren Lebzeiten ║ zugetragen habe, ║ wie auch ║ Kurtze Nachrichtung, an was ║ vor Kayserl. Königl. Fürstl. und ║ Gräfliche Persohnen unterschiedliche ║ Der Fürstl. Meckl. Freulein ║ außgesteuret, was vor Herren ║ von Ihnen entsproßen, auch ║ wie sie hinwiederumb ║ mit andern befreundet und ║ befreiet sein ║ Durch ║ Johan Friedrich von Chemnitzen ║ vorhergedachter I. F. G. Ver ║ ordneten Archivarium und ║ Secretarium verfertiget und ║ zusammen getragen. Unserer Handschrift folgt Blatt 68-79 ein Appendix Genealogiae Sive Affinitates Et Cognationes


1) Andere Codices befinden sich, soweit ich sehe, in Güstrow (Bibliothek der Domschule), Rostock (Landesbibliothek).
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Ducum Megapolensium, ebenfalls von Chemnitz verfaßt und von seiner Hand geschrieben, Blatt 80-84 ein Theil desselben Appendix in Copie und von der gleichen Hand, die Blatt 1 geschrieben hat, Blatt 85-89 eine Genealogia und Stambaum der Graffen zu Schwerin, von Chemnitzens Hand, und zum Schluß noch eine Abschrift unserer Genealogia Ducum Megapolensium.

Was unser Originalconcept nun betrifft, so ermangelt es, wie schon gesagt, des Titels und der ersten Hälfte der Vorrede. Das erhaltene Bruchstück der Vorrede auf Blatt 5a. beginnt mit "maur tappen" und schließt mit " günstig zu verbleiben" ; an zwei Stellen ist es corrigirt, und am Fuße steht die Bemerkung: "Hiernegst soll die genealogia in Kupffer gestochen gesetzet werden" . Blatt 5b beginnt mit einer Ueberschrift, die in ihrer ersten unverkürzten Fassung lautete: Genealogin ║ Ducum Megapolensium ║ Brevis Explicatio ║ Das ist ║ Kurtze Erklerung Des Fürstlichen ║ Meckelnburgischen Stambaums, neben anziehung ║ was die Fürstliche Persohnen verrichtet, ║ oder bei ihren Lebzeiten sich zugetragen; durch Streichung des Schlußsatzes und Einschiebung von ejusq. wurde daraus dann später: Genealogia ║ Ducum Megapolensium ║ ejusq. ║ Brevis Explicatio. Ich will im Gegensatz zu dem oben nach der Copie mitgetheilten Haupttitel diese Ueberschrift als Nebentitel bezeichnen.

Hinter der Ueberschrift beginnt zugleich der Text: " Authirius I. etc." Aber auch dieser Text ist nicht unverändert geblieben: an einer ganzen Reihe von Stellen ist er später verbessert und ergänzt worden. Blatt 13b.-14a. ist eine größere Partie, die die Schicksale Rurichs, Siwars und Truwars, sowie das ihrer nächsten Nachkommen in Rußland ausführlicher behandelte, gestrichen und statt dessen nur die kurze Notiz gesetzt: "Rurich, Siwar und Truwar, Godlaibi Söhne, der Wenden und Obotriter Fürsten werden von den Russischen Stenden in Rußland zu Regenten deßelben Landes beruffen, und bekommt Herr Rurich nach Versterben seiner beiden Brüder die Regierung über gantz Rußland allein" . Eine noch weiter greifende Veränderung erlitt der Schluß unserer Genealogie: die Partie von Christian Ludwig I. an bis zum Ende ist nicht nur gestrichen, sondern gar vollends neu bearbeitet worden. Kleinere Veränderungen endlich findet man fast auf jeder Seite. Alle diese Verbesserungen aber, von den ersten zwei in der Vorrede an bis zu der Umarbeitung des Schlusses, sind, so viel ich sehen kann, noch von Chemnitzens Hand, mit Ausnahme vielleicht einer einzigen auf Blatt 5b. "und muß des Parmenionis Sohn gefangen nehmen , die mir von anderer Hand später eingeschrieben zu sein scheint.

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Von Interesse ist es, aus diesen Textveränderungen die Zeit zu ersehen, in der Chemnitz an seinem Werke gearbeitet hat. Die erste Fassung des mir vorliegenden Conceptes scheint 1648 beendet zu sein. Wir finden nämlich in diesem frühesten Texte zu Adolph Friedrich I. am Schlusse der Darstellung seines Lebens die später gestrichene Notiz: "Und leben I. F. G. biß auff heutigen Tag im 38. Jahr ihrer Regierung und im 60. ihres Alters in ziemlicher guter Gesundheit, Friede und Ruhe" . Da Adolph Friedrich nun 1588 geboren ist, führt einfache Rechnung auf das von uns genannte Jahr. Zudem giebt uns diese erste Fassung nirgends ein späteres Datum als 1648; sie führt die meklenburgische Regentenreihe bis Louisa, Tochter Johann Albrechts II., und bringt uns noch deren Tod, Januar 1648; sie erwähnt noch zu Carl II., Adolph Friedrichs I. Sohn, den Tag Matthiae (24. Februar) 1648 als den Tag, an dem er sich mit stattlicher Begleitung zu der schwedischen Armee begeben habe. So scheint der Text geblieben zu sein, bis ihn Chemnitz nach einer Reihe von Jahren einer erneuten Durchsicht unterzog; er corrigirte, wo er meinte, sich geirrt zu haben, ergänzte, wo er Lücken fand, und führte die Darstellung weiter über 1648 hinaus. Ich glaube annehmen zu dürfen, daß diese zweite Redaction bis 1654 ging. Als letztes Datum, das sie giebt, mag man den Regierungsantritt Gustav Adolphs, 2. Mai 1654, setzen; Gustav Adolphs Vermählung mit Magdalene Sybille, December 1654, dagegen ist noch nicht mitgetheilt. Zu Adolph Friedrich I. ist die oben citirte Schlußbemerkung umgeändert in "I. F. G. leben annoch durch Gottes Gnade" ; von seinen Kindern sind neu aufgenommen und an entsprechender Stelle eingereiht: Adolph Ernst (geb. 1650, gest. 1651), Philipp Ludwig (geb. 1652, "lebet noch" ), Heinrich Wilhelm (geb. 1653, gest. 15. Februar 1654). Bemerkenswerth erscheint mir namentlich, daß Philipp Ludwig, der den 20. October 1655 starb, noch als lebend angeführt ist. Den Text schließt nach wie vor Louise, Tochter Johann Albrecht II. Aeußerlich erkennbar sind die Zusätze dieser zweiten Redaction an der blasseren Tinte. Eine zweite Revision, die Chemnitz dann folgen ließ, führte den Text, immer innerhalb des alten Rahmens "Anthyrius - Louisa" , bis 8. Juli 1675, Tod Johann Georgs, Sohnes Adolph Friedrichs I. Nachgetragen sind Tod (1658) und Begräbniß (1659) Adolph Friedrichs, der Tod seiner zweiten Gemahlin Maria Katharina (1665) und deren Ueberführung in das neue Begräbniß in der Schloßkapelle (1671); das "lebet annoch" bei Carl II. und Anna Marie, Kindern Adolph Friedrichs, ist gestrichen, und dafür sind die betreffenden Todesjahre (1670 resp. 1669) gesetzt u. s. w. Dagegen hat der Autor vergessen,

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den Tod Philipp Ludwigs (1655) nachzutragen; das "lebet noch" ist ungestrichen dort stehen geblieben. Auch der Abschnitt über Gustav Adolph hat keinerlei Ergänzung erfahren. Neu eingefügt wurde Adolph Friedrich II. (geb. 1 658). Mit einer dritten Revision schloß Chemnitz endlich im Wesentlichen sein Werk ab; er strich die ganze Schlußpartie von Christian Ludwig I. an bis Louisa mit allen ihren Correcturen und bearbeitete sie vollständig neu auf drei Blättern (Blatt 63-65). Diese Bearbeitung geht über den alten Rahmen " Anthyrius - Louisa" hinaus; sie behält die frühere Folge bei, fügt dazu aber noch Friedrich Wilhelm und Karl Leopold, Söhne Herzog Friedrichs, und eine ganze Reihe von Kindern Gustav Adolphs. Sie endet mit Augusta, Gustav Adolphs dritter Tochter, geb. 1674, den 26. December. Für den Text selber blieb die alte Redaction die Grundlage; aber Chemnitz erweiterte sie überall, trug vergessene Daten nach, fügte neue hinzu und führte die Darstellung bis 1681 (Christian Ludwig: "lebet annoch in Franckreich." ). Bemerkenswerth ist diese Redaction durch eine Reihe von Lücken, namentlich von Jahreszahlen und Namen, die der Verfasser bei seiner Arbeit zunächst offen ließ und deren Ausfüllung er sich anscheinend vorbehalten wollte. Nachträglich sind dann in der That von ihm die entsprechenden Namen und Daten eingefügt worden; zugleich unterzog er den Text einer letzten Durchsicht. Das Datum 1681 ward jetzt umgeändert in 1683, und damit haben wir den Zeitpunkt gewonnen, an dem Chemnitz sein Werk definitiv abschloß. Zweifelhaft ist mir, welcher Redaction die Streichung der größeren Partie über Rurich und seiner Nachkommen Herrschaft in Rußland zuzuschreiben sei; ich möchte annehmen, daß sie schon der zweiten angehöre.

Den Schluß unserer Genealogie bildet ein Nachwort, endigend mit einem Soli Deo Gloria; dies Nachwort stand schon in der ersten Redaction und ist später beibehalten und nur unwesentlich geändert worden.

Zu erwähnen bleibt mir noch, daß in unser Manuscript zwei Blätter (Blatt 60, 61) eingeheftet sind, die nicht dazu gehören. Sie enthalten den Text eines Theils der Genealogie (Christoph - Adolph Friedrich I.), sind gleichfalls von Chemnitzens Hand geschrieben und vielfach von ihm durchcorrigirt. Vergleicht man ihren Text mit dem entsprechenden unseres Concepts, so findet man, daß die Verbesserungen jenes schon in der ersten Redaction des uns vorliegenden Conceptes mit in den laufenden Text übernommen sind; wir haben es also hier höchst wahrscheinlich mit dem Bruchstücke einer Redaction zu thun, die noch älter ist, als das Concept, das wir besitzen. Im Folgenden ziehe ich diese Bearbeitung nicht mehr in Rücksicht; unter

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erster, zweiter, dritter und vierter Redaction will ich weiterhin immer nur die Redactionen unseres Conceptes verstanden wissen. -

Ich gehe nunmehr einen Schritt weiter und komme speciell zu der Frage: Welchen Wortlaut hat in unserm Concepte die Darstellung des Lebens und der Thaten des Herzogs Balthasar, und wie stellt sich dieser Wortlaut zu der Wiedergabe, die uns Westphalen auf der einen, Schröder auf der andern Seite überliefert haben. Da ergiebt sich denn ein überraschendes Resultat. Chemnitz hat auch hier die erste Fassung nicht unverändert gelassen; er hat auch hier später gestrichen, Ergänzungen angebracht und gebessert. Aber was für uns vornehmlich von Bedeutung ist, gerade diejenige Partie, in der, wie wir oben gesehen haben, Schröder und Westphalen so wesentlich von einander differiren, hat von der ersten zur späteren Redaction die radikalste Umwandlung erfahren. Wahrscheinlich, wie ich weiter unten nachweisen werde, fand diese Aenderung schon in der ersten Revision statt, die Chemnitz um 1654 vornahm. Zur klareren Uebersicht lasse ich beide Fassungen neben einander hier folgen:

I. II.
   Balthasar 2. Henrici 10.Sohn, Hertzog zu Meckelnburg . . . . .Er wird A. C. 1442 gebohren, ziehet A. C. 1470 nach dem gelobten Lande, wird A. C. 1471, als er wieder zu Hauß gekommen, von dem Thumprobst zu Hildesheim zum Bischoffthumb vociret, weil aber theils Capitulares Henningen vom Hause gegen ihn zum Bischoff erwehlen, entstehet Krieg daraus, welcher ins 3.Jahr gewehret. Aber A. C. 1474 stehet Hertzog Balthasar von dem Stifft Hildesheim ab, ziehet in Meckelnburg, und nimpt an den Stifft Schwerin, so ihm angetragen worden.    Balthasar 2. Henrici 10. fünfter Sohn, Hertzog zu Meckelnburg . . . . .Er wird A. C. 1442 gebohren, A. C. 1469 zu Rostock, worselbst hin er vom Herrn Vater, umb seine studia vortzusetzen gesand wahr, in Rectorem Academie, A. C. 1470 zum Coadjutorem des Stiffts Schwerin und A. C. 1471 zum Bischoff zu Hildesheim eligirt, weil aber theils Capitulares Henningen vom Hause gegen ihn zum Bischoff erwehlen, entstehet Krieg daraus, welcher ins 3.Jahr gewehret. Aber A. C. 1474 stehet Hertzog Balthasar von dem Stifft Hildesheim ab, und ziehet wieder in Meckelnburg.

Man sieht, daß Westphalen bis auf den Druckfehler 1464 statt 1469 und die Auslassung von "worselbsthin - wahr" den Text von II. nahezu wörtlich genau wiedergiebt. Schröder dagegen hat einen Text, der aus Stücken von I. und II. combinirt ist. Ich will hier noch unentschieden lassen, ob Schröder schon unsere Hand=

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schrift gesehen und daraus sich seinen Text selber zusammen gebaut habe; erst eine genauere Betrachtung der Copien der Chemnitz'schen Genealogie wird uns der Lösung dieser Frage näher bringen. Soviel aber kann man wohl jetzt bereits sagen, daß der von Chemnitz schließlich gebilligte und endgültig festgestellte Wortlaut eine Pilgerfahrt Balthasar's für das Jahr 1470 verwirft, und daß man sich mit Schröder nicht auf ihn berufen darf, um eine solche zu beweisen.

II. Die 11 Copien unserer Genealogie glaubte ich der bessern Uebersicht halber nach der größern oder geringem Uebereinstimmung, die sie unter einander haben, in 6 Gruppen theilen zu können.

1. Gruppe: 4 Codices (a., b., c. und d.); davon befinden sich a. und b., in 2º ungebunden, im Großherzoglichen Archive, c., in 2º gebunden, in der Regierungsbibliothek, d., in 2º mit einer Abschrift von Klein's Fortsetzung der Chemnitz'schen Genealogie zusammengebunden, in einem Bande des Archivs. b. stammt aus dem Nachlaß des Dr. Segnitz und wurde 1789 dem Archive überwiesen; c. ist eine Copie, die der Assessor Dr. juris Hermann Albrecht Schuckmann, 1 ) ein Sohn des Vice=Kanzleidirectors Heinrich Schuckmann, 1722 im Auftrage des Herzogs Christian Ludwigs II. und für diesen hatte anfertigen lassen. Textlich sieht a. wieder näher zu b., c. näher zu d. Der Titel bei a. sieht am Kopfe des 1. Textblattes und lautet: Genealogia ║ Ducum Megapolensium ejusq. brevis ║ Explicatio dass ist ║ Fürstlicher Mecklenburgischer Stambaum ║ undt dessen kurtze erklerung. b. theilt den Titel und bringt auf einem Vorblatte: Genealogia Meclenbur ║ gica, und auf dem ersten Textblatte oberhalb des Textes: Fürstlicher Mecklenburgischer Stam ║ baum und dessen Kurtze Erklärung. Beide schließen sich also in ihrem Wortlaute mehr oder weniger an den Nebentitel unseres Originals an. c. und d. haben Doppeltitel, einen Haupt= und einen Nebentitel. Der Haupttitel sieht bei beiden auf einem Vorblatte und lautet bei d. wörtlich genau so wie bei c.; nur die Schreibung und die Eintheilung ist eine abweichende. Ich gebe ihn im Folgenden wieder, wie ich ihn bei c. finde: Genealogia ║ Seren. Ducum Mecklenburgensium ║ Cum Compendiosa Explicatione Historica ║ Stambaum und historische Beschreibung Von Uhrsprung und Ankunft ║ Der ║ Durchlauchtigsten Hertzoge zu Mecklenburg ║ Vom Könige Anthyrio biß auff den Weyl. ║ Durchlauchtigsten Fürsten und Herrn, Herrn Hertzog ║ Adolphum Fridericum I. zu Mecklenb. ║ Verfertiget von ║ Johann Friederich Chemnitz ║ Vormahligen Fürst. Mecklenb.


1) Man vergleiche über ihn I. v. Schuckmann, Nachrichten über die Familie von Schuckmann (Berlin 1888), S. 16.
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Archivario ║ und nachmahligen Protonotario bey dem Fürst. ║ Mecklenb. Land= und Hoffgerichte. Er ist also wesentlich verschieden von dem Haupttitel unseres Originals, den ich oben nach der uns erhaltenen Copie wiedergeben konnte, und ich habe den Verdacht, daß er gar nicht von Chemnitz selber herstammt, sondern von einem späteren Bearbeiter (Schuckmann?) redigirt ist. Der Nebentitel lautet bei c. und d. wie der von a. und steht bei beiden am Kopfe des ersten Textblattes. Die Vorrede des Originals, die wir in ihrer vollständigen Gestalt ja auch nur aus einer Copie kennen, fehlt bei allen 4 Handschriften; anstatt dessen bringt c. eine Widmung an den Herzog Christian Ludwig II. und eine umfangreiche Einleitung, die den Werth des Chemnitz'schen Werkes kritisch zu würdigen sucht, unterzeichnet "II. A. Schuckmann" und datirt "Bützau d. 24. April 1722" . Diese Unterschrift nebst dem Haupttitel und der Widmung scheinen übrigens von Schuckmann eigenhändig geschrieben zu sein, während sich in der Schrift des übrigen Theils offenkundig die Hand eines Kanzleibeamten verräth. Die drei andern Codices a., b., d. beginnen nach dem Titel sogleich mit dem eigentlichen Texte: "Anthyrius etc." Was nun den Text selber betrifft, so gehen alle vier Copien a. - d. auf die Redaction von 1654 zurück; sie reproduciren Chemnitzens Genealogie in dem Umfange und der Gestalt, die Sie um jene Zeit gewonnen hatte. Ganz genau allerdings ist die Wiedergabe nicht; Flüchtigkeiten, Auslassungen und Versehen anderer Art kommen vielfach vor; bald folgen a. und b., bald c. und d. treuer dem Originale. Die zahlreichen Veränderungen und Ergänzungen sind fast durchweg aus dem Concepte mit übernommen; nur für die Geschichte Rurichs und seiner Nachkommen ist an der älteren, ausführlichen Redaction gegenüber der Verkürzung festgehalten worden. Einige der Umstellungen in der Folge der fürstlichen Personen, die Chemnitz bei der Neuredaction seines Werkes durch an den Rand geschriebene Ziffern markirte, sind in unseren Copien thatsächlich ausgeführt; andere dagegen, wie auf Blatt 25 a, 28 b ff., 49 b ff., sind von unseren Handschriften gleichmäßig nicht berücksichtigt. Eine auf Blatt 12 b - 13 a annotirte Umstellung ist bei c. und d. ausgeführt, bei a. und b. nicht. Beachtenswerth ist andererseits, daß unsere Copien eine Reihe gemeinsamer Eigenthümlichkeiten haben, die sie doch auch wieder in einen gewissen Gegensatz zu dein Originale stellen. So fehlen bei ihnen durchweg die wunderlichen Verdeutschungen lateinischer Namensformen, als da sind: Trotzmund zu Trasimundus, Weißmeyer zu Wißmarus u. a., wie Chemnitz sie hat, und auch die bei Chemnitz immer wiederkehrende Bezeichnung "Fräulein" vor den Namen der meklenburgischen Herzoginnen ist gleichmäßig ausgelassen. Hier und

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da hat ferner der Text unserer vier Handschriften einen Wortlaut, der ihnen allen gemeinsam ist und von dem des Originalconceptes, wenn auch unwesentlich, differirt; dies ist namentich der Fall in den späteren Partieen. Endlich sind bei allen 4 Codices dem überlieferten Texte Ergänzungen eingefügt, und diese Ergänzungen, an Zahl beschränkt, stimmen bei allen überein, weichen aber in ihrer Fassung ganz wesentlich ab von ähnlichen, die Chemnitz dann selber später in seinem Concepte eintrug. Es sind das durchweg Notizen, die die Geschichte des fürstlichen Hauses über die Grenze des Jahres 1654 hinausführen. Zunächst ist der Tod Adolph Friedrichs I., 27. Februar 1658, mitgetheilt, und hier ergiebt sich zugleich eine günstige Gelegenheit, die es uns erlaubt, unsern Copisten ein wenig in die Arbeit zu sehen. Chemnitz bot ihnen, wie wir sahen, dieser Stelle die Lesart der zweiten Redaction "leben I. F. G. annoch durch Gottes Gnade." Den Schreibern von a. und b. passirt nun das Malheur, daß sie den Tod des Herzogs melden, zur selben Zeit aber jene Notiz dem Chemnitz entnehmen und sie unmittelbar der Todesnachricht anschließen; c. und d. haben diesen Fehler wieder corrigirt. Sodann ist in allen nachgetragen der Tod der Eleonore Marie, dritten Gemahlin Johann Albrechts II. (15. September 1657), der Tod Philipp Ludwigs (1655), die Vermählung Gustav Adolphs mit Magdalene Sybille (December 1654), und die Geburt seiner zwei ersten Kinder, Johanns (1655) und Eleonorens (1657). Ganz am Ende, hinter dem Schlußworte, bringen a. und b. dann noch ein "N. B. Vorgesetzter Printz Johannes ist gestorben 1 ) A. C. 1659. Maria gebohren A. C. 1659 d. 19. July. Magdalena gebohren A. C. 1660 d. 25. July, Sophia gebohren A. C. 1662 d. 21. Juny." Auch c. und d. haben dieses N. B.; es ist aber bei ihnen schon an der Stelle des Textes, zu der es seinem Inhalte nach gehört, also am Schlusse des Lebens Gustav Adolphs, eingeschoben. Damit schließe ich diese vergleichende Uebersicht. Das daraus gewonnene Gesammtresultat stellt sich, wie folgt, dar: auf der einen Seite genügende Uebereinstimmung unserer Codices mit dem Originaltexte, soweit er nach der Revision von 1654 feststand; auf der andern Seite ihnen allen gemeinsame Abweichungen von diesem Originaltexte. Der Text von a. und b. ist unzweifelhaft älter als der von c. und d. In ihm schon ist das Original freier verarbeitet, und c. und d. haben diesen überarbeiteten Text im Ganzen und Großen übernommen, nur hier und da ihn verbessert. b. ist wenig mehr als ein Abklatsch von a., und d. ist im engsten Anschluß an c. entstanden. Damit


1) Codex a. hat " gebohren" .
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steht im Einklange, daß d. nachweisbar auch zeitlich c. sehr nahe zu setzen ist. Die Klein'sche Fortsetzung, die sich mit d. in demselben Bande befindet und von derselben Hand geschrieben ist, schließt nämlich mit dem Jahre 1721; das Schlußwort des Verfassers trägt das Datum "Gremlien d. 29. August 1721." Zwei Zusätze führen bis Juli 1723, und um diese Zeit mag denn auch wohl der ganze Band geschrieben sein. Die Hand, von der d. geschrieben ist, zeigt überdem eine auffallende Aehnlichkeit mit derjenigen, die c. schrieb. Die uns interessirende Partie aus Balthasars Leben lautet in allen vier Codices gleich; sie stimmt genau überein mit dem Wortlaute bei Westphalen, bringt nur statt der falschen Jahreszahl 1464 die richtige 1469.

2. Gruppe: 1 Codex (e.) in 2 º mit dem Originalconcepte der Genealogie zusammengebunden in einem Bande des Großherzoglichen Archives. Der Haupttitel fehlt. Ein vorgebundenes Blatt trägt von des Archivar I. Schultz Hand die Aufschrift: Succincta ║ historia genealogica ║ Domus Meclenburgicae ║ Joh. Fried. Chemnitii; aber sie kommt für die Textkritik nicht in Betracht, da sie offenbar nur den fehlenden Titel vertreten will. Die Vorrede ist vollständig wiedergegeben. Im Uebrigen ist der Text eine recht genaue Wiedergabe der letzten Redaction des Chemnitz'schen Textes. Kleinere Versehen kommen allerdings vor (z. B. bei Johann XI.); eine auf Blatt 50 b. des Conceptes markirte Umstellung ist nicht ausgeführt worden. Die betreffende Stelle zu Herzog Balthasar. lautet hier, wie ich sie oben nach dem Originale (II.) wiedergegeben habe.

3. Gruppe: 1 Codex (f) in 4 º gebunden, stammt aus dem Rudloff'schen Nachlasse und befindet sich zur Zeit im Großherzoglichen Archive. Der Titel, auf besonderem Vorblatte, lautet: Genealogia ║ Ducum Megapolensium ejusque ║ brevis explicatio ║ das ist ║ fürstlicher Mecklenburgischer ║ Stambaum und dessen kurtze ║ Erklärung, also wie der Nebentitel unseres Conceptes und wie bei a. Die Vorrede fehlt wie bei a. - d.; weggefallen aber ist hier auch noch das Schlußwort. Der Text selbst scheidet sich redactionell in zwei ungleiche Hälften. Die erste größere, bis Adolph Friedrich I., folgt im Wesentlichen dem Wortlaute, wie ihn die Handschriften a. und b. haben; doch finden sich mancherlei kleine Abweichungen, und Flüchtigkeiten und den Sinn störende Auslassungen sind nicht gerade, selten. An zwei Stellen zeigen sich größere Lücken (= Westphalen II. 1686, Zeile 28 - 1688, Zeile 2 und 1711, Zeile 25 - 1712, Zeile 48). Die zweite Hälfte, von Adolph Friedrich I. an, giebt einen mehrfach erweiterten Text. Zu Grunde liegt auch hier der Text von a. und b.; aber an einigen Stellen hat der Abschreiber selbstständig ergänzt und die Erzählung

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fortgesetzt. Solcher Zusätze zähle ich vier: 1. Zu Adolph Friedrich I. ist noch die Geburt seines nachgeborenen Sohnes Adolph Friedr. II. (19. Aug. 1658) und der Tod seiner zweiten Gemahlin Maria Katharina (1665) erwähnt. 2. Die biographischen Notizen über Christian Ludwig I. sind über das Jahr 1658 hinaus weiter geführt bis zum Jahre 1689. Der Bearbeiter schließt mit der Bemerkung, daß I. F. G. nach Holland gereist, "woselbst dieselbe sich noch itzo im Haag aufhalten". 3. Der Tod Herzog Friedrichs 1688 wird angemeldet. 4. Zu Gustav Adolph finden wir zwei Ergänzungen. Es wird der Tod seines Sohnes Johann mit den Worten erwähnt: "stirbt Anno 1659, wird zu Güstrau begraben", und desgleichen der Tod seiner Tochter Eleonore: "stirbt den 24. Februar, An. 1672, Mittags umb 11 Uhr, wird begraben in der Thumb=Kirche zu Güstrau". Ueberall sonst geht Codex f. nicht weiter als a. und b. und wo dort steht "lebet annoch", steht es auch hier. Unser Bearbeiter ist also wenig systematisch zu Werke gegangen; er hat nicht durchweg gleichmäßig ergänzt. Auf das Original scheint er überhaupt nicht zurückgegangen zu sein.

4. Gruppe: 2 Codices, der eine (g.) in 4º gebunden, der andere (h.) in 2º ungebunden, beide im Großherzoglichen Archive. h. ist nicht gleichmäßig von derselben Hand geschrieben. Die erste Hand wird im letzten Drittel des Textes von einer zweiten abgelöst und kurz vor dem Schlusse setzt gar noch eine dritte ein. Beide Codices stimmen im Wortlaute nahezu überein; der ältere von ihnen scheint mir aber h. zu sein. Der Titel steht bei g. auf besonderem Vorblatte, bei h. am Kopfe des Textblattes oberhalb des Textes; ich gebe ihn im folgenden wieder, wie h. ihn hat: Genealogia ║ Ducum Megapolensium ║ ejusq. brevisExplicatio, aus de= ║ nen, in Mecklenburgischen Archivis be= ║ findlichen Annalibus, Verträgen, aus ║ gegebenen Privilegiis, Königl., Chur= ║ und Fürstl. Heyraths=Beredungen, Lehn= ║ Brieffen, Donationibus und andern ║ glaubwürdigen Nachrichtungen, Schrifft= ║ lich zusammen getragen, auff gnädig ║ sten Befehl der Herren Hertzogen 1 ) ║ von Mecklenburg ║ Durch Johann Friedrich von Chemnitz ║ I. I. Durchl. Durchl. Protonotarium. Also wiederum ein Titel, der, bis auf den Anfang, von den bekannten, uns an anderer Stelle überlieferten gänzlich abweicht; eine sichere Erklärung für diese Differenz bin ich leider auch hier nicht im Stande zu geben. Verhält es sich mit ihm, wie mit dem Titel von c. (d.)? Vorrede und Schlußwort fehlen bei g. wie bei h. Beide beginnen, wie die übrigen, mit Anthyrius, Schließen aber mit Gustav Adolph,


1) Codex g. "Hertzogin."
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der hier mit Louisa den Platz gewechselt hat. Bis Adolph Friedrich I. ist der Text wesentlich übereinstimmend mit dem von a. und b; doch zeigt er schon hier eine Reihe kleiner Abweichungen, die ihm ganz allein eigenthümlich sind und ihn von den bisher besprochenen Copien und dem Originalconcepte in gleicher Weise scheiden. 1 ) Zu Adolph Friedrich bringt er dann mehrere selbstständige Erweiterungen: die Geburt Adolph Friedrichs II. posthumi und die Ueberführung der Leiche Adolph Friedrichs I. nach Doberan 1692. Von Christian Ludwig I. an haben wir gar eine ganz neue Fassung, die mit den uns bis jetzt bekannten Texten nahezu nichts mehr gemein hat. Nur die Folge der fürstlichen Personen ist im wesentlichen die alte geblieben: die Textredaction steht vollkommen selbstständig da neben den vier Redactionen unseres Conceptes und den Texten der bisher besprochenen Bearbeitungen. Die biographischen Notizen sind zum Theil reicher, zum Theil wieder kürzer, ja beschränken sich mehrfach nur auf die Angabe von Geburt und Tod. Ganz besonders charakteristisch sind eine Anzahl von Versehen und Irrthümern, die dem Bearbeiter mit untergelaufen sind: so soll Herzogin Juliane Sybille, Tochter Adolph Friedrichs I., Aebtissin von Gandersheim gewesen sein, ihre Schwester Christine sich einem Herzoge von Würtemberg vermählt haben, und von der dritten Schwester, Anna Sophie, heißt es: "hält sich annitzo auff im Kloster Rühn". Thatsache ist aber, daß für Christine gilt, was von Juliana Sybille gesagt ist, für Anna Sophie, was von Christine, und für Juliana Sybille, was von Anna Sophie gesagt ist. 2 ) Beachtenswerth ist, daß wir in diesem Theile des Textes einer ähnlichen Erscheinung begegnen, wie wir sie beider 4. Redaction des Originalconceptes besprochen haben; wir finden eine Anzahl von Lücken, die der Bearbeiter, wie es scheint, frei ließ, weil ihm im Augenblicke des Niederschreibens der einzutragende Name nicht gegenwärtig war. Die Lücken hier decken sich aber nur vereinzelt mit jenen unseres Originals; sie sind später auch nicht ausgefüllt worden. Das späteste Datum, das dieser Text bringt, ist der 18. März 1696 (Begräbniß Gustav Adolphs). Ueber Balthasar erfahren wir aus g. und h. nur was wir aus a. und b. schon wissen.

5. Gruppe: 1 Codex (i.) in 4º gebunden, in der Großherzoglichen Regierungsbibliothek. Der Titel lautet wie der des Codex f., also auch wie der Nebentitel unseres Conceptes; er steht am Kopfe des 1. Textblattes. Die Vorrede fehlt; dagegen ist das Schlußwort mit aufgenommen. Dem Texte zu Grunde liegt die Version von


1) Näheres siehe unter Gruppe 6.
2) Jahrbuch für meklenburgische Geschichte L (1885), S. 299.
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a. und b. Aber er folgt ihr getreu nur im Anfange; später zeigt er eine Reihe selbstständiger Zusätze und Erweiterungen, und diese nehmen zu, je mehr sich der Text dem Ende nähert. Zuerst machen sich die Einschiebungen bemerkbar bei Pribislav und Heinrich Burwin III.; sie häufen sich bei Heinrich dem Pilger und Heinrich dem Löwen, und von Christoph, dem Bruder Johann Albrechts I., an verschwindet der ursprüngliche Text oft geradezu unter der Fülle hinzukommenden neuen Materials. Die Quellen, aus denen diese Zusätze entnommen sind, werden in der Regel genannt; es sind das Krantz Vandalia, Kantzow Chronik von Pommern, Reimar Kock Lübische Chronik, Andreas Angelus, Zeiler, Chytraeus u. A. Von Christian Ludwig I. an fließen die Zusätze zum Theil aus der eigenen Beobachtung und der eigenen Kenntniß des Bearbeiters. Interessant ist in dieser Hinsicht eine Stelle, die ich hier einschalte: "A. C. 1680 d. 21. Febr. sind Sie (Christian Ludwig) von Hamburg nach Paris auffgebrochen, A. C. 1688 d. 22. Juny schrieb mein Bruder Bernhard Moritz aus Hamburg, daß Schiffer Roelff Claßen die Bagage zu Roan eingenommen und solte an Fracht haben 650 Rthlr." Zu bemerken ist übrigens, daß die Bearbeitung nicht überall gleichmäßig ergänzt. Vernachlässigt sind namentlich die Fürstlichen Damen: von Juliane Sybille, Marie Elisabeth, Anna Sophie, Töchtern Abolph Friedrichs I., von Sophie Elisabeth, Tochter Johann Albrechts II., erfahren wir hier nicht mehr, als wir aus a. und b. schon wissen. Von Christian Ludwig I. an sind vielfach Lücken, zuweilen von der Länge einer ganzen Seite, für Nachtragungen frei gelassen. Adolph Friedrich II. ist schon mit aufgenommen; Louise, Tochter Johann Albrechts II., geht auch hier, wie bei g. und h., Gustav Adolph vorauf. Der Text endigt mit Friedrich Wilhelm, und zwar mit dem 19. März 1697, dem Wiederabzuge des Herzogs aus Güstrow. Ueber Balthasar bringt i. nichts Neues; es hat genau den Wortlaut wie a. und b.

6. Gruppe: 2 Codices, beide im Großherzoglichen Archive, der eine (k.) in 2º, ungebunden, aus des Candidaten I. C. H. Höfer Msc. Num. 5, der andere (1.), gleichfalls 2º und ungebunden, ex Burmeisterianis secundum Catalogum, N. 64. Der Titel ist bei beiden gleichlautend und steht bei k. wie bei l. auf besonderem Vorblatte; ich gebe ihn hier wieder nach der Fassung bei k.: Genealogia Ducum ║ Megapolensium ejusque brevis Expli ║ catio, ut et Affinitates et Cognati ║ ones eorundem ║ Das ist: ║ Stammbaum der Hertzogen, und al ║ ler Fürstlichen Persohnen des uhralten Fürst ║ lichen Hauses zu Mecklenburg, neben ║ deßen Kurtzen Erklährung und An ║ zeichnung, was sie verrichtet, oder ║ sich bey ihren Zeiten zugetragen ║ habe. Wie auch Kur ║ tze Nachrichtung, an ║ was

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für Kayserl. ║ Königliche, Fürst ║ liche und Gräf ║ liche Perso ║ nen un ║ter ║ schiedliche der Fürstl. ║ Mecklenburgischen ║ Fräulein ausgesteuret, und was ║ vor Herren von Ihnen entsproßen ║ auch wie sie sich hinwiederum miteinander ║befreundet und befreyet ║haben ║ verfertiget ║ durch ║ D. Johann Friedrich Chemnitz. Also endlich ein Titel, der, bis auf unwesentliche Abweichungen, genau dem Haupttitel des Originals entspricht. Codex k. ist durchpaginirt S. 1-125. Auf S. 1 steht der Titel; der Text beginnt mit S 3 und schließt auf S. 123. Durch Versehen ist 112 übersprungen; die Paginirung geht von S 111 gleich auf 113. Auf S. 3 ff. ist der Raum, der den Text aufgenommen hat, durch einfache Linien nach den beiden Seiten und nach unten, durch eine Doppellinie nach oben abgegrenzt (ausgenommen Blatt 15/16, das lose eingelegt ist); nach außen ist der Rand ein breiterer. Zwischen den beiden Linien am Kopfe steht auf S. 3: "α/ω", auf S. 4 ff.: der Haupttitel abgekürzt (Chemnitii Genealog. Duc. Megap.) auf der geraden und die Kapitelüberschrift auf der ungeraden Seite. Der ganze Text bei k. ist eingetheilt in Kapitel mit Ueberschriften. Der Text selber zeigt eine Anzahl von Korrecturen; ich lasse diese aber zunächst außer Acht und betrachte ihn nach seiner ursprünglichen Fassung. Er zerfällt in zwei ungleiche Hälften. In der ersten größeren, bis Adolph Friedrich I., steht er der zweiten Redaction unseres Concepts sehr nahe, näher als, abgesehen von Codex e., irgend eine der bisher von uns besprochenen Copien: er hat die Bezeichnung "Fräulein" vor dem Namen der Herzoginnen;. er bringt alle Umstellungen, die das Original markirt, ohne Ausnahme, also auch die auf Blatt 12b ff., 25a, 28b ff. und 49bff., und Rurichs und seiner Brüder Geschichte ist in der abgekürzten Fassung übernommen. Andererseits aber hat er auch Abweichungen und Eigenthümlichkeiten, und merkwürdiger Weise stimmen diese Abweichungen oft wieder mit ähnlichen oder gar gleichen bei a., b. und den ihnen verwandten Codices überein: er kennt wie jene nicht die albernen Verdeutschungen lateinischer Namensformen, die das Original hat; er folgt wiederholt dem Wortlaute von a. und b., wo dieser von dem der Originalvorlage differirt. Von Adolph Friedrich I. an ist im Wesentlichen die Version der Codices g. und h. zu Grunde gelegt. Die Lücken aber sind alle ausgefüllt, und der Text selber ist erweitert, die Darstellung bis ins 18. Jahrhundert (Marie Elisabeth, gest. 27. April 1713) fortgeführt worden. Hier und da scheinen Bruchstücke aus anderen Handschriften, die wieder einen dem Texte unseres Originals ähnlichen Text hatten, mit hineingearbeitet zu sein, z. B. S. 117 (Hedwig), 117/18 (Gustav Rudolph), 119 (Augusta), 120 (Carl Heinrich); auch schließt hier wieder Louise, Tochter Johann

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Albrechts II., und nicht, wie bei g. und h., Gustav Adolph die Folge der Biographien. An einigen Stellen ist größerer Raum gelassen für Nachtragungen. Wir sehen aus dieser ganzen Darlegung, daß der Text von k. schon in seiner ersten Gestalt weniger noch als irgend einer der vorerwähnten Codices reine Abschrift ist. Der. Bearbeiter begnügte sich nicht mit der Wiedergabe einer Vorlage; er hatte deren eine ganze Zahl, mindestens drei, vor sich und sammelte daraus sich seinen Text zusammen. Interessanter noch wird diese Arbeit durch die Unzahl von Korrecturen und Ergänzungen, die sie fast Seite für Seite begleiten; unser Autor, scheint es, mochte sich nicht damit zufrieden geben, mit dem einmal fertig gestellten Texte seine Redactionsthätigkeit abzuschließen; er verglich weiter, trug Lesarten nach, verbesserte und ergänzte. Zum Theil sind diese Ergänzungen in den Text selbst hineingeschrieben, zum Theil an den Rand gesetzt. Schwierig ist es, ihm hier seine Quellen nachzuweisen. Einzelnes entstammt ohne Zweifel unserm Originale, von dem er nachträglich doch noch Manches aufzunehmen für gut erachtete; so namentlich die bekannten Verdeutschungen der lateinischen Namen im Anfange der Genealogie, und auch dieser und jener textliche Zusatz kann nur diesen Ursprung haben. Die kürzere Fassung der Geschichte Rurichs ist wieder gestrichen und dafür die längere, auf lose eingelegtem Blatte (S. 15/16) geschrieben, eingefügt worden. Eine weitere Reihe von Ergänzungen ist auf den Umstand zurückzuführen, daß der Bearbeiter auch für den ersten Theil seiner Arbeit g. oder doch einen diesem verwandten Text collationirte und hier und da die abweichenden Lesarten seinem Texte einfügte, z. B. S. 5 am Rande "Bulga" zu "Belga," S. 7 "Valentiam" übergeschrieben über "Palentiam," "Narbonische" über "Narbasische," S. 18 "Dennemarck" über "Finnmarck," und ebenda am Rande "Schottland" zu "Gothland." Zuweilen giebt er eine Quelle an; so bezieht er sich z. B. S. 79 auf "H. v. Beers Exemplar". 1 ) und S. 118 auf Herrn "Hübner", den bekannten Genealogen. Die Erwähnung Hübners zeigt schon, daß unser Autor für diese seine Ergänzungen nicht nur verschiedene Codices der Genealogie zu Rathe zog, sondern auch aus anderen Werken schöpfte, die Notizen zur Geschichte des Hauses Meklenburg liefern konnten. Auf diesen Wegen ihm nachzugehen, dürfte aber nicht ganz leicht sein.


1) Es mag das das Exemplar der Chemnitzschen Genealogie sein, das sich gegenwärtig in der Landesbibliothek in Rostock befindet. Interessant ist, daß die Notiz, für die k. sich auf Beer beruft, thatsächlich in der ersten Redaction der Genealogie steht.
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Der Text von 1. ist nichts als eine Abschrift von k. mit Aufnahme der größeren Zahl der Verbesserungen. Der Abschreiber hat versucht, seiner Vorlage sich bis auf die kleinsten Nebensachen getreu anzuschließen. Er imitirte wenigstens auf der ersten Seite genau die Abgrenzung des Textes durch Linien; er übernahm die Kapiteleintheilung und copirte die Schnörkel am Ende der Kapitel. Die Ergänzungen, die k. hat, sind, soweit sie in den Text hineingeschrieben waren, bei l. mit in den laufenden Text gefügt worden; die Randnoten sind auch hier an den Rand gesetzt. Dabei herrscht das ängstliche Bestreben, der Vorlage möglichst Seite für Seite zu folgen, jede Seite mit demselben Worte wie k. zu beginnen, mit demselben sie zu schließen. Der Text erscheint darum oft, namentlich am Ende der Seiten, stark zusammengedrängt. Die drei Seiten 14 - 16 des Codex k. bringt 1. auf zwei, und in Folge dessen entsprechen von S. 17 an den ungeraden Seiten bei k. gerade bei l. Die Seiten 25 und 26 (bei k.) sind bei l. versehentlich ausgelassen worden; S. 56 und 57 sind dann bei l. wieder in drei Seiten auseinandergezogen, und von Seite 58 an entsprechen die geraden Seiten des einen Codex wieder den geraden des andern, die ungeraden den ungeraden. Auch sonst ist es dem Schreiber von 1. nicht immer geglückt, seine Seite genau mit dem Inhalte der betreffenden Seite von k. zu füllen; kleinere Abweichungen kommen mehrfach vor.

Die Biographie Herzog Balthasars ist bei k. (resp. 1.) so wenig unverändert geblieben, wie irgend ein anderer Theil des Textes, und speciell die uns interessirende Partie hat durch starke Interpolationen eine wesentlich neue Gestalt gewonnen. Ich gebe im Folgenden den Wortlaut dieser Stelle wieder, indem ich in Klammer schließe, was als Ergänzung dem ursprünglichen Texte eingefügt wurde: "Er wird A. C. 1442 gebohren, A. C. 1469 in Rostock, woselbst er studiret, in Rectorem Academiae (erwählet, ziehet) A. C. 1470 (nach dem gelobten Lande, wird) zum Coadjutoren des Stiffts Schwerin (erkohren) und (als er) A. C. 1471 (wieder zu Hause kommen, wird er vom Thum - Probst) zum Bischoff zu Hildesheim erwählet, weil aber theils Capitularen Henning vom Hause gegen ihn zum Bischoff eligiren, entstehet Krieg daraus, welcher ins dritte Jahr währet. Aber A. C. (1474) läßt Hertzog Balthasar vom Stifft Hildesheim ab, ziehet wieder in Mecklenburg (und nimmt an das Stifft Schwerin, deßen Coadjutor er, wie oben gedacht, geworden, so ihm angetragen worden.)." Die erste Fassung dieser Stelle entspricht, abgesehen von dem Zusatze "woselbst er studiret," genau dem Wortlaute, den sie in der größeren Zahl unserer Copien hat; unser Original allein hat in seiner zweiten Redaction einen ähnlichen Zusatz, der

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inhaltlich gleich, der Form nach aber doch stark abweichend ist. Die erweiterte Fassung verdankt ihre neuen Bestandtheile der ersten Redaction Chemnitzens. Der Bearbeiter ist aber bei deren Aufnahme in seinen Text nicht ganz geschickt zu Werke gegangen; er hat die neuen Thatsachen den alten eingefügt, ohne auf eine passende und den inneren Zusammenhang wahrende Gruppirung zu sehen. Hier und da beliebt er auch zu ändern und eigene Einschiebungen zu machen.

Vergleichen wir diesen interpolirten Text der Codices k. und l. mit dem Texte Schröders, so müssen wir die Aehnlichkeit auffallend finden. Es wäre ja nicht unmöglich, daß Schröder das Original zur Hand gehabt und aus dessen verschiedenen Bestandtheilen sich selber seinen Text zusammengestellt hätte; aber wahrscheinlich ist das nicht. Das Wahrscheinliche ist, daß er k. oder einen k. verwandten Text vor sich gehabt habe. Der ähnliche Charakter der Compilation, manche kleine Uebereinstimmungen, wie die Uebernahme der Worte: "woselbst er studiret", lassen uns das nahezu als gewiß annehmen. Es ist wahr, Differenzen sind auch vorhanden; aber diese Differenzen sind nach meiner Meinung allein einer ungenauen Wiedergabe durch Schröder, seiner willkürlichen Redaction zuzuschreiben. Er bezweifelte die Richtigkeit der Jahreszahl 1469, weil er hier ein früheres Rectorat Balthasars vom Jahre 1467 meinte annehmen zu müssen, und setzte darum in Klammern dahinter (1467); er verstellte zwei Sätze, um in die Erzählung besseren Zusammenhang zu bringen, und erlaubte sich auch sonst kleinere redactionelle Abweichungen. Darum dürfen wir seine Abhängigkeit von dieser Vorlage doch nicht abweisen. Eine gleiche Abhängigkeit auf der einen und ungenaue Wiedergabe auf der andern Seite zeigt er auch in seinem weitern Abdruck des Lebens Balthasars; er bringt die Ergänzungen, die k. hat, und erlaubt sich doch wieder mancherlei Freiheiten und Abänderungen in deren Reproduction.

Ich ziehe zur Beweisführung noch eine Reihe anderer Stellen heran, wo Schröder Auszüge aus Chemnitz geben will: 1. ein Citat auf S. 163 Anm. a. Der Text folgt unverkennbar dem Wortlaute von k., der hier keine besonderen Erweiterungen zeigt, der aber ein wenig doch von dem Texte des Originals und der andern Codices, den auch Westphalen hat, abweicht. Versehentlich ist bei Schröder ein Passus ausgelassen und dadurch der Sinn gestört. Daß derselbe Passus in Codex f. fehlt, ist wohl nur ein Zufall, da sonst ja, wie gesagt, der Text von f. nicht mit dem von Schröder zusammenstimmt; auch hat f. gerade an dieser Stelle eine weitere Auslassung, die ihm ganz allein eigenthümlich ist.

2. Citat auf Seite 127 Anmerk. 1. Die Fassung bei Schröder ist abweichend von derjenigen, die alle mir bekannten Codices haben.

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Der Inhalt ist derselbe, aber er wird hier in etwas freierer Behandlung wiedergegeben. Die Codices k. und l. haben an dieser Stelle keine Zusätze und stimmen im Wortlaut vollkommen mit den anderen überein. Wir finden diesen Wortlaut gedruckt bei Westphalen.

3. Citat auf Seite 71 Anmerk. b. Das Original und die Mehrzahl der Codices hat hier statt "wüste Oerter" die Version "ihre Städte und Lande". Nur k. hatte ursprünglich, wie Schröder, "wüste Oerter" und erst darüber verbessert "ihre Städte und Lande". In Codex l. ist dann nur diese Verbesserung übernommen worden.

Der Thatbestand scheint mir demnach folgender zu sein: Schröder hatte vor sich einen Codex der einerseits Erweiterungen und Zusätze hatte, wie k. und 1. sie haben, andererseits aber die markante Lesart "wüste Oerter" zeigte, wie k. Es läge die Versuchung nahe, zu glauben, daß k. selber der Codex gewesen sei, den er benutzte; denn man möchte meinen, daß ein so auffallendes Zusammentreffen bemerkenswerther Kennzeichen sich schwerlich ein zweites Mal fände. Leider ist es bei der spärlichen Zahl von Citaten bei Schröder nicht möglich, den Vergleich weiter zu führen.

Zum Schlusse noch eine Bemerkung; sie betrifft das Verhältniß des bei Westphalen gedruckten Textes zu demjenigen unserer Handschriften. Westphalen legte seiner Edition einen Text zu Grunde, der in seinen ersten Theilen zweifellos unserer Gruppe a. b. am nächsten steht; aber dieser ursprüngliche gute Kern ist in der Wiedergabe mit einer solchen Menge von Ergänzungen durchsetzt, daß man von Fall zu Fall gezwungen ist zu prüfen, was Chemnitz zuzuschreiben sei, was seinem Bearbeiter. Ich glaube nicht, daß der Herausgeber dieser Genealogie alle jene Zusätze schon in seiner, mir vielleicht noch unbekannten, Vorlage fand; ich neige vielmehr der Ansicht zu, daß dem Editor ein verhältnißmäßig reiner Text vorgelegen habe und daß alles, was dazu gekommen, von ihm selber hineingearbeitet sei.

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