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2. Die Wendengräber von Zehlendorf.

In dem Quartalbericht vom October 1890 ist kurz ein wendisches Skelettgräberfeld bei Zehlendorf besprochen und auf die Bedeutung desselben für unsere heimische Vorgeschichte hingewiesen.

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Im Auftrage der Großherzoglichen Commission zur Erhaltung ber Landesdenkmäler hat der Unterzeichnete an der Stelle am 2. und 3. April d. J. unter thätiger Beihülfe und mit dankenswerthester Unterstützung des Pächters von Zehlendorf, Herrn Burmeister, eine Untersuchung vorgenommen, welche folgenbes ergab.

Die Grabstätte liegt auf der flachen Kuppe eines sandigen Ackers, dessen Höhe seit einigen Jahren als Sandgrube benutzt wird. Beim Sandfahren sind die früheren a. a. O. erwähnten Funde gemacht. Die Ausgrabung begann an dem jetzigen Rande der Grube unb legte zwölf Grabstätten frei. Die Beerdigung war recht verschieden. Die Tiefe der Leichen wechselte zwischen 20 Centimeter und 1 Meter unter der jetzigen Oberfläche, und zwar erklärt sich die Verschiedenheit nicht allein aus der Niveauveränderung des Bodens, der früher gum Theil aus bloßem Flugsand bestanden haben muß, sondern es zeigten neben einander liegende Leichen Tiefendifferenzen bis zu 35 Centimetern. Auch eine durchgehende Orientirung war nicht erkennbar. Auf der einen Seite des Ausgrabungsfeldes lagen fünf Leichen nordsüdlich in derselben Richtung oder parallel neben einander; auf der anderen unmittelbar daranstoßenden sechs in nordwestnord=südostsüdlicher Richtung, eine lag nordost=südwestlich. Auch die Köpfe lagen nicht gleichmäßig; z. B. waren mehrere Leichen nach Norden und mehrere nach Süden blickend nebeneinander bestattet. Der Erhaltungszustand der Gebeine war nach der Bodenbeschaffenheit verschieden; während zwei Skelette vollständig geborgen werden konnten, waren einige so mürbe, daß nur geringe Reste zu retten waren. Die Körper lagen meist gerade ausgestreckt einige mit übereinander gelegten Beinen, die Arme meist zur Seite, aber auch im Schoße oder über der Brust gekreuzt. Einige hatten ein Pflaster von kleinen Steinen unter sich, einige waren auch mit wenigen größeren Steinen bedeckt, über andere war ein Brett gelegt, von dem Reste erkennbar waren. Spuren von Särgen, worauf früher gefundene Nägel schließen ließen, fanden sich nirgends. Dagegen stand in einer Steinsetzung nicht weit vom Kopfe des einzigen südwestlich schauenden Leichnams eine ganz roh gearbeitete große Urne mit verbrannten Gebeinen. Wir haben also hier in handgreiflichster Weise Beerdigung und Leichenbrand neben einander, und damit ist die Ueberlieferung der ältesten Berichterstatter unserer Landesgeschichte, daß die Wenden ihre Todten verbrannt haben, eine Nachricht, an der man Angesichts der sich mehrenden Funde wendischer Skelettgräber irre zu werden anfing, gerettet.

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Unsere Zehlendorfer Wenden auf ihre somatischen Merkmale hin zu classificiren, muß einer berufeneren Hand vorbehalten bleiben. So weit ich sehen kann, ist die Mehrzahl der Schädel brachycephal, das Gesicht lang und schmal (leptoprosop) und entschieden prognath, die Jochbeine sind stark entwickelt und vorstehend, alle Zähne vortrefflich erhalten.

Beigaben hatten sieben der zwölf Leichen; und zwar waren dieses: 1) vier eiserne Messer, an denen die Holzgriffe noch erkennbar sind, zwei hatten lederne Scheiden mit einem Bronzestück als Abschluß, 2) ein kleines Bronzestück aus zwei Parallelen mit Stiften verbundenen Platten, dazwischen Lederreste, wahrscheinlich eine Gürtelschnalle, 3) ein kleiner Schläfenring aus starkem Bronzedrahte, 4) zwei Urnen, auf der Drehscheibe gearbeitet mit schöner rothbrauner Oberfläche, verziert mit Horizontalriefeln.

Das Zehlendorfer Grabfeld ergänzt in höchst erfreulicher Weise das Bild des bekannten von Bartelsdorf. Beide gehören demselben wendischen Stamme, dem der Kessiner an und werden auch derselben Zeit, etwa dem elften Jahrhundert zuzuschreiben sein. Doch ist das Bild des Zehlendorfer ein ungetrübtes, während das des Bartelsdorfer durch den unglücklichen Zufall gelitten hat, daß sich in seiner unmittelbaren Nähe ein Urnenfeld der la Tène-Zeit, aus einer Periode, die reichlich durch ein Jahrtausend von den Skelettgräbern getrennt ist, befand. Die Objecte dieses Urnenfeldes sind, wie es bei dem damaligen (1862) Stande der vorgeschichtlichen Forschung begreiflich ist, mit denen des Gräberfeldes vermischt, was ein heilloses Durcheinander herbeigeführt hat. So ist unser Zehlendorfer Feld das erste exakt erforschte wendische Grabfeld in Meklenburg, welches uns Kunde gegeben hat von der physischen Beschaffenheit, den Geräthen und Bestattungsgebräuchen (Beerdigung neben Leichenbrand) der alten wendischen Bevölkerung. Was für Waffen die Wenden eigentlich gehabt haben, lehrt allerdings unser Feld so wenig wie sonst eines im übrigen Deutschland. Ueberall, und wir haben ganz analoge Grabanlagen bis Oberfranken und Mähren, erscheint derselbe friedliche Charakter. Ein slawisches Schwert ist meines Wissens überhaupt noch nicht gefunden.

In dem Octoberbericht war auch die Vermuthung über einen wendischen Burgwall bei Zehlendorf ausgesprochen. Eine Besichtigung des Ortes, der sog. "Dorf=Stelle", hat wenigstens die Existenz einer wendischen Ansiedelung sichergestellt. Es ist eine flache Erhebung von etwa 50 Ruthen, innerhalb sumpfiger Wiesen;

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unter einer etwa 25 Centimeter starken Humusschicht steht Sand an; die Humusschicht ist ganz durchsetzt mit wendischen "BurgwallsScherben" der bekannten Art, auch ein Spinnwirkel wurde gefunden; dagegen fehlt eine jede Spur von erhöhten Wällen oder Resten einer späteren Besiedelung (Mauersteine u. s. w.). An eine künstliche Aufschichtung der Fläche ist nicht zu denken; die wendische Bevölkerung hat hier eine Stelle, welche ihren Ansprüchen an Vertheidigungs= oder Wohnungszwecke entsprach und die sie sich in den Burgwällen sonst künstlich schuf, benutzt, wie die Natur sie ihnen bot.

Es sei gestattet, in diesem Zusammenhange eine Beobachtung aus dem alten Circipanerlande mitzutheilen, welche auf die für unsere Vorgeschichte so wichtige Frage, ob und wie die Wenden ihre Todten verbrannt und dann bestattet haben, ein Licht zu werfen im Stande ist. Ich verdanke dieselbe der Freundlichkeit des Herrn Gymnasiallehrers Dr. Raase in Rostock. Bei dem Bauerngehöft Rosenthal bei Serrahn (zu Koppelow gehörig) fand sich am Abhange eines Hügels eine Brandschicht von etwa 3 1/2 Meter Durchmesser, in deren Mitte viele schwarzgebrannte Steine, gebrannte Menschenknochen und die charakteristischen wendischen Scherben. Welchem Zwecke die Stelle gedient hat, ist nicht ganz klar, doch ist es wahrscheinlich, daß die Brandschicht die Reste des Scheiterhaufens enthält. Haben die Wenden sich begnügt, in der formlosen Weise, wie wir es hier bei Zehlendorf und Rosenthal sehen, die Reste ihrer verbrannten Angehörigen beizusetzen, so ist es nicht zu verwundern, wenn wendische Brandgräber bisher so gut wie unbekannt geblieben sind, und wir können bei der steigenden Aufmerksamkeit, die sich erfreulicher Weise auch in unserem Lande wieder den Alterthümern zuwendet, auf weitere Belehrung in dieser Richtung hoffen.

Schwerin, d. 8. April 1891.

Dr. R. Beltz.

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