zurück zur Metadatenansicht auf dem Dokumentenserver
zurück
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen [ Seite 1 ] zur nächsten Seite zur letzen Seite
Dokument dauerhaft verlinken Dokument im gesamten Band öffnen Metadaten auf dem Dokumentenserver anzeigen

I.

Ueberblick

über die

Geschichte Wismars.


Vortrag bei der Jahresversammlung des Vereins für meklenburgische Geschichte und Alterthumskunde zu Wismar. 1890, Juli 11.

Von
Dr. F. Techen.

~~~~~~~~~~~~~

Sehr geehrte Herren.

Hätte es sich darum gehandelt, das Thema für einen Vortrag in der heutigen Festversammlung nach meiner Bequemlichkeit auszuwählen, so würde ich Sie vielleicht über eines Heinrich Kracht Rechtshandel oder über die Schreibung des Namens Meklenburg zu unterhalten vorgezogen haben. Da es sich aber fragte, wie der Verein für meklenburgische Geschichte und seine Freunde auf einem Tage zu Wismar am geeignetsten zu begrüßen seien, so war für mich keine schönere Aufgabe zu finden als Ihnen in großen Zügen die Geschichte der Stadt vorzuführen, welche Sie mit Ihrer Gegenwart beehren, und dafür bitte ich Sie mir geneigtest Gehör schenken zu wollen.

So sehr Niklot und seine Söhne sich gegen die Herrschaft Heinrichs des Löwen gesträubt hatten, so eifrige Pflege fand die Colonisation unseres Landes durch Heinrich Burwy und seine Söhne und Enkel. Eine deutsche Stadt erhob sich nach der andern — ich nenne Rostock, Parchim, Güstrow, Plau, Malchow, Malchin —,

Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 2 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

ein Kloster erstand nach dem andern — ich erinnere an Doberan, Neukloster, Dobbertin, Rehna — , alle freigebig mit Landereien und Freiheiten ausgestattet.

Eine der glücklichsten Schöpfungen dieser thätigen Zeit war Wismar. Seine Gründung fällt in die letzten lahre Burwys: denn ist auch kein Pergament über die Stiftung erhalten, vielleicht auch nicht ertheilt, so ist es doch durch mancherlei Combinationen sehr wahrscheinlich gemacht, daß sie im Jahre 1226 erfolgt ist.

Es kann auch kein Zweifel sein, daß die Stadt von Anfang an nach einem wohlbedachten Plane erbaut ist und ihr geordnetes Straßennetz nicht dem Spiele des Zufalls und der Willkür einzelner dankt. Sie schloß aber ursprünglich bei der Heiligen Geistkirche nach Westen ab. Doch genügte schon nach wenigen Jahren der zuerst abgesteckte Raum den Bedürfnissen nicht mehr, und es mußte, vermuthlich 1238, das Gebiet des dritten Kirchspiels S. Jürgen der Altstadt hinzugefügt werden. Das ist die Neustadt, ein Name, welcher zuerst 1387, ständig seit 1401 der früher Heiligen Geist=Grube benannten Straße beigelegt wird. Dagegen vernothwendigte sich am entgegengesetzten Ende der Stadt während der Vormundschaftsstreitigkeiten, durch die in Abwesenheit des Herrn Heinrichs des Pilgers das Land beunruhigt ward, wohl 1276, eine Beschränkung.

Seit 1257 hatte Heinrichs Vater Johann seine Residenz von Meklenburg in die neuerbaute Burg aus dem Weberkampe verlegt. Und diese Burg stand offenbar mit der Stadt in engem Zusammenhange. Als nun in der Vormundschaftsfehde der Markgraf von Brandenburg und die Grafen von Holstein und Schwerin plündernd in das Meklenburgische einfielen, trennte der Rath, der bei dem buntesten Wechsel der Parteiungen ringsum stets treu auf Seite der nächsten Agnaten und der Fürstin Anastasia blieb, durch eine Mauer die Burg von der Stadt ab, indem er sich wegen der Anlage der Befestigung aus eine Vollmacht des abwesenden Herrn berief, und gab damit dem Umfange der Stadt die Begrenzung, die fast sechshundert Jahre hindurch nicht überschritten ist.

Jener Mauerbau aber, der damals entschieden im Interesse des Fürsten lag, ward in späteren Jahren, als es sich herausstellte, daß die Stadt dadurch ungemein an Selbständigkeit gewonnen hatte, ihr als ein Uebergriff zum Nachtheile ihrer Herren ausgedeutet und vorgeworfen.

Freilich hatte man in das Stadtgebiet, worin schon Theile vom Krukowschen Felde, Vinekendorp (Hasseld), Theile von Dammhusen und Cessin (Vlöte) ausgegangen waren, zwar mit Genehmigung

Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 3 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

der Vormundschaft, aber doch gegen den eigentlichen Wunsch des Fürsten auch Dorsteen und Dargetzowe (beide vor dem Altwismarthore) hineingezogen und zu Weichbildsrecht gelegt. Dazu waren die Juden, die unter der Fürsten Schutz standen, vertrieben und der Vogt vergewaltigt. Endlich hatte die Stadt sich geweigert eine fürstliche Hochzeit — die des jungen Heinrich 1292? — in ihren Mauern feiern zu lassen.

So konnte man es dem nach langen Jahren aus dem Morgenlande unverhofft zurückgekehrten älteren Heinrich nicht wohl verdenken, wenn er über die Ausschließung seiner Burg aus der Stadt seinen Unwillen kundgab.

Diese Mißstimmung ward jedoch im Jahre 1300 gütlich dadurch verglichen, daß die Fürsten ihre Burg vor der Stadt abbrachen und den Platz an Wismar verkauften, wogegen die Stadt ihnen zu einer Residenz, die sie hier nicht entbehren konnten, den Raum des Fürstenhofes zwischen S. Marien und S. Jürgen zugestand. Ausdrücklich ward dabei ausbedungen, daß das neue Schloß nie befestigt werden und vom Lübischen Rechte nur für die Besitzer und ihre Diener ausgenommen sein sollte.

Streitigkeiten der Diener mit andern sollten dagegen Lübischem Rechte unterilegen; Schuldner, die in den Hof kämen, sollten vor dem Fürsten zu Rechte stehn, im Weigerungsfalle Lübischem Rechte unterworfen werden; Wismarsche Bürger sollten unter keinen Umständen dem Lübischen Rechte entzogen werden; Brandstifter, Diebe, Todtschläger, Räuber sollten keinen Schutz finden.

Der Rath machte also auch seinen Herren gegenüber schon damals das Princip geltend, nach dem in der Folge Orden und Klöster und Fremde behandelt wurden, wenn sie in der Stadt Grundbesitz erwerben wollten. Es mußten sich nämlich die Höfe von Doberan, Cismar, Neukloster und der des deutschen Ordens unter das Lübische Recht geben mit der einzigen Vergünstigung sich gegen eine feste jährliche Abgabe von Schoß und Nachtwache befreit zu sehen. Verkauft durften die Höfe nur an Bürger werden, und es sollten keinerlei Verdächtige, Herren und Ritter auf ihnen geherbergt werden. Auch Helmold von Plessen, Johann Mule und Alheid von Satem gingen die Bedingung ein, nur an Bürger zu verkaufen. Dem Ratzeburger Bischofe aber, seinem Diöcesan, verweigerte der Rath überhaupt eine Wohnung in der Stadt und sicherte sich durch die Bürgersprache und eine besondere Willküre. Der Rath wollte eben allein Herr in der Stadt sein.

Das mit den Fürsten wegen ihres Hofes hergestellte Einvernehmen hatte aber keine Dauer. Schon 1311 kam es zu offenem

Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 4 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Kriege, nach den Chronisten weil wiederum Wismar sich geweigert hatte, zu einem Hochzeitsfeste den fürstlichen Gästen seine Thore zu öffnen. Die Hochzeit ward anderswo gefeiert. Dann aber schloß der mit dem dänischen Könige verbündete Fürst Heinrich Wismar ein, und trotz der Hülfe Rostocks erlag die Stadt. Sie mußte ihre Widersetzlichkeit mit bedeutenden Opfern an Geld und Freiheiten bezahlen. Unter anderem mußten der jüngst erworbene Zoll und Vogtei, die erst von 1373 auf die Dauer wieder an die Stadt kamen, zurückgestellt werden. Und ein Preis dieses Sieges wird es auch gewesen sein, daß der Fürst beim Meklenburger Thore innerhalb der Stadt neuerdings ein Schloß mit Thurm und Bergfrit erbauen konnte. Wenigstens trat zur Zeit der folgenden vormundschaftlichen Regierung 1329 Albrecht, der Sohn Heinrichs, ein solches ab, wogegen ihm wieder der Hof bei S. Jürgen zu Lübischem Rechte übergeben ward.

Albrecht scheint sich aber, wenn er auch zu Anfang seiner Regierung (bis 1336) vorzugsweise in Wismar war, doch in diesem Hofe mitten in der Stadt nicht recht heimisch gefühlt zu haben und hat schwerlich vergessen, wie er zur Veräußerung seines ererbten Schtosses — noch 1339 klagte er darüber — genöthigt worden war. Daher verlegte er, nachdem er, seit 1348 Herzog und Reichsfürst, die Grafschaft Schwerin erworben hatte, seinen Sitz nach der minder mächtigen und minder privilegirten Grafenstadt, und Wismar hörte auf Residenz zu sein.

Ist die Vermuthung, nach welcher wir Wismar im Jahre 1226 gegründet sein ließen, keine verfehlte, so würde Lübeck an der Gründung der neuen Stadt einen großen Antheil gehabt haben.

Lübischem Rechte gemäß lebte sie. Lübisches Recht hatten aber auch Rostock, Stralsund, Greifswald.

Diese Rechtsgemeinsamkeit erleichterte, um nicht zu sagen veranlaßte, gemeinsame Beschlüsse in bestimmten Angelegenheiten je nach Erforderniß der Zeiten. Und je öfter solche Beschlüsse sich wiederholten und je mehr Sachen sie in ihren Kreis zogen, um so fester ward das Band, das die Städte zusammenhielt.

1259 also vereinigten sich, nachdem ein paar Jahre vorher unter Beihülfe Wismars Lübeck und Rostock sich um gegenseitige Streitigkeiten verglichen hatten, Lübeck, Rostock und Wismar gegen die Seeräuber. Sie legen dieselben überall in Kirchen, auf Kirchhöfen, zu Wasser und zu Lande friedlos und sprechen gleiche Friedlosigkeit über alle Heger derselben aus.

Im Anfange der sechziger Jahre werden schon umfassendere Beschlüsse zum Besten aller Kaufleute gefaßt, die nach Lübischem Rechte leben.

Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 5 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

1281 vereinigen sich in Rostock zuerst die fünf wendischen Städte an der Ostsee und beschließen 1283 mit andern Genossen und mit den Fürsten der Nachbarschaft einen umfassenden Landfrieden.

Im folgenden Jahre erprobte sich dieser Bund in Beschlüssen und dann auch im Kriege gegen Norwegen.

Fortan erneuerten die fünf Städte ihr Verbündniß regelmäßiger und setzten durch, daß an Stelle Wisbys Lübeck als Oberhof von Nowgorod anerkannt wurde.

Aber 1311 erlagen die Städte, welche sich vor kurzem ohne Lübeck, das unter dänischen Schutz getreten war, zu großen Dingen verbunden hatten, im Kampfe gegen ihre Landesherren.

Und wenn auch in dem Friedensschlusse dem gedemüthigten Wismar ausdrücklich das Recht zugestanden ward, zu Wasser mit einem Koggen und einer Snicke und sonst innerhalb der Mauern den Bundesgenossen Hülfe zu leisten, so verging doch manches Jahr, ehe der Bund sich erneuerte. Aber aus Beliebungen wegen des Böttcheramts 1321 folgten 1338, 1339, 1341, 1344 Land= und Seebefriedigungsbündnisse.

Daraus wurde der deutsche Kaufmann den Beschlüssen ber Städteversammlungen unterworfen, und im Jahre 1358 ist zuerst von Städten der deutschen Hanse * ) die Rede.

In diesem selben Jahre wurden nach der Inschrift in der Schwarzen Klosterkirche am 2. Juli vor Wismar die Dänen besiegt und ihr Anführer Peter Dene von den Wismarschen gefangen eingebracht, ein Sieg, zu dessen Andenken alljährlich an diesem Tage den Pfarrherren der drei Kirchen wie den beiden Klöstern je ein Stübchen (gut 3 1/2 Liter) Rheinwein aus dem Rathsweinkeller verabreicht ward.

Weniger glücklich als in diesem Kriege, an dem es als meklenburgische Stadt Theil genommen hatte, war Wismar und waren seine hansischen Bundesgenossen in dem Kriege, welchen sie wegen des Ueberfalles von Wisby 1361 mit König Waldemar begannen. Denn obgleich die Hanse große Aufwendungen machte — Wismar allein stellte zwei Koggen und zwei Snicken und berechnete 1364 über 14000 Mk. Kosten — dennoch mußte nach der in Schonen hauptsächlich durch der Könige Magnus und Hakon Schuld erlittenen Niederlage ein unrühmlicher Friede geschlossen werden.

Um so ruhmvoller verlief der zweite auf Waldemars weitere Gewaltthätigkeiten ihm erklärte hansische Krieg (1368-1370).


*) Vergl. hierzu Koppmann: Rostocks Stellung in der Hanse, Jahrb. LII, 189-206.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 6 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Und die Hanse ward durch den Friedensschluß von Stralsund als die erste Macht des Nordens anerkannt, indem die dänische Königswahl künftig nur unter Beirath der Städte sollte vorgenommen werden.

Diese Stellung hat die Hanse allerdings nicht zu behaupten vermocht. Aber der Ruhm ist geblieben, und es wird auch kein Zufall sein, daß in jenen hellen Tagen Karl der Vierte, der einzige deutsche König, der seinen Fuß in unsere Gegenden gesetzt hat, den Norden bereiste. Außer Lübeck besuchte er auch Wismar, und die Wismarschen rühmten sich, von ihm noch mehr Dank sich verdient zu haben als selbst die Lübecker.

Gestatten Sie mir, daß ich den Bericht des Rathsschreibers Heinrich von Balse hierüber wiedergebe. Derselbe schreibt:

Im Jahre des Herrn 1375 am Tage vor Aller=Heiligen — October 31 — war in unserer Stadt Wismar der ruhmreiche und unüberwindliche Herr Herr Karl der Vierte, der Römer Kaiser, mit seiner Gemahlin und mehreren andern Fürsten. Meine Herren die Rathmannen holten ihn mit Ehrerbietung und großem Gepränge ein und bezeigten ihm in allem, was er brauchte, große Dienstbeflissenheit, indem sie ihn in allem und jedem freihielten und alles bezahlten. Dafür sagte er auch, wie verlautete, meinen Herren mehr Dank als den Herren Rathmannen von Lübeck, wo er vorher gewesen war. Und am andern Tage gaben ihm wieder meine Herren aus eine große Strecke das Geleit, wodurch sie sich nicht geringen Dank verdienten.

Doch der Rückschlag blieb nicht aus, indem Wismar wie Rostock als landsässige Städte durch das Unglück König Albrechts in Schweden mit getroffen wurden und genöthigt waren, zu seiner Befreiung sich an einem langen kostenreichen Kriege geringes Erfolges zu betheiligen. Und wenn sie auch zuerst von den Vitalienbrüdern, denen sie ihre Häfen öffneten, Nutzen zogen so überwogen doch die Handelsschädigungen und die schlimmen Folgen, des an die Vitalienbruderschaft und die Kaperei sich anschließenden Raubwesens * ), der Kriegskosten nicht zu gedenken, solchen Nutzen bei weitem.

Wir würden nun in das funfzehnte lahrhundert, die Zeit der bürgerlichen Unruhen, einzutreten haben. Es würde zu zeigen sein, daß diese Unruhen mit den Kosten der letzten Unternehmungen


*) Beiläufig: Klaus Störtebeker und Gödeke Michel, die zu den schlimmsten Raugesellen gehörten, sind vielleicht aus Wismar gebürtig gewesen; jedenfalls hatten sie eine Zeit lang hier ihren Aufenthalt.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 7 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

in ursächlichem Zusammenhange stehn. Es würde aber auch zu dem Verständnisse der Unruhen die Verfassung der Stadt darzulegen sein.

Wollte ich aber so vorgehn, so möchte ich mit meiner Uebersicht kaum zum Ziele kommen. Deshalb werde ich, da die Verfassung der Stadt schlechterdings nicht übergangen werden kann und keine zu starke Kürzung verträgt, die aufs engste zusammengezogene Geschichte der Unruhen in eine Geschichte der Verfassung ausgehn lassen, diese aber bis zur Gegenwart verfolgen. * )

In den Städten Lübischen Rechtes war der Rathsstuhl der Regel nach mit vierundzwanzig Rathmannen besetzt, unter denen vier Bürgermeister zu sein pflegten. In jährlichem Wechsel, der hier zu Himmelfahrt stattfand — daher noch die Rathspredigt zu Rogate —, trat je ein Drittel von den Geschäften zurück, eins blieb und eins trat ein, so daß der geschäftsführende Rath immer aus sechzehn Personen bestand, und jeder Rathmann, nachdem er zwei lahre hindurch seine Zeit den öffentlichen Angelegenheiten dargebracht hatte, ein Jahr mehr oder minder Ruhe genießen konnte.

Wieweit diese Ruhe sich erstreckte und wozu auch die zurückgetretenen Herren ihre Ruhe opfern mußten, das sind zu schwierige Fragen, als daß sie hier ihre Erledigung finden könnten, soweit sie es überall können, und tempora nmtantur: 1350 ist nicht 1400 und 1500 nicht gleich 1600.

Zu Himmelfahrt wurden bei dem Wechsel von den Bürgermeistern, welche von sehr früher Zeit an ihr Amt aus Lebenszeit übernahmen, auch die Rathsämter aufs neue vertheilt. Die Kämmerherren hatten vor allem die Verwaltung der Kämmerei, des Stadtvermögens, dazu die Aussicht über Archiv und Rüstzeug, die Weinherren die Verwaltung des Weinkellers, dessen Ueberschüsse unter dem Rathe zur Austheilung kamen, die Richteherren, ursprünglich Beisitzer des Vogtes, nach Erwerbung der Vogtei seine Stelle einnehmend, waren die Vorsitzer und Leiter des Gerichts, die Ziegelherren und Bauherren hatten die Aussicht über den Ziegelhof und die Leitung der städtischen Bauten. Den Weddeherren lag es ursprünglich ob, die erkannten Bußen einzuziehen, allmählich bekamen sie aber eine richterliche Competenz in Handwerkssachen, Dienstbotenangelegenheiten und Sachen des Verkehrs — das Gewette —; die Steinherren verwalteten den zum Nutzen des ganzen Rathes betriebenen Handel mit Mühlsteinen. Die Namen Münzherren und Acciseherren erklären sich selbst.


*) Das Folgende in engem Anschluß an Crulls Einleitung zu der Rathslinie, Hansische Geschichtsquellen II.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 8 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Die genannten Aemter sind die bis zum 15. Jahrhundert nachzuweisenden. Nachher mehren die Namen sich so, daß nur an eine Auszählung hier nicht gedacht werden kann.

Jedes Amt war von zwei Rathsherren besetzt, und dabei im allgemeinen Grundsatz, daß jährlich einer neu eintreten, ein anderer abtreten sollte, so daß der eine immer die Amtserfahrung eines Jahres voraus hatte.

Eine Besoldung gab es nicht, und es hatten die Rathsherren außer dem beim Weinkeller und den Mühlsteinen Erübrigten und unregelmäßigen Sporteln nur den Ertrag aus Wiesen und Ackerstücken, die unter sie verloost wurden: den Herrenlötten. Erst 1682 ward ein Ärarium gebildet, dessen Grundstock der Erlös aus dem verkauften Rathssilber hergab.

Auf keinen Fall standen diese Hebungen in einem Verhältniß zu der für den Dienst der Stadt aufgewendeten Mühe und den Gefahren, welche die fortwährenden Reisen, namentlich der Bürgermeister und angesehensten Rathsmitglieder, mit sich brachten. Beispielshalber mußte der Bürgermeister Johann Bantzkow 1417 nach Constanz, 1427 aber nach Marienburg reisen, in Lübeck treffen wir ihn wohl zehnmal, mehrfach in Stralsund, Rostock, Hamburg, Schleswig und sonst noch hier und da. Und solche Reisen zu Schiffe oder zu Pferde waren gewiß keine Erholung, zumal für bejahrte Männer. Es durfte sich ihnen aber bei hoher Pön niemand entziehen.

Die Wahl übte bis 1830 allein der Rath, und da nur Vater und Sohn und, außer in der ältesten Zeit, auch Bruder und Bruder nicht zusammen im Rathe sein durften, Verschwägerung aber die größte Empfehlung war, so ist es leicht einzusehen, daß thatsächlich sich ein Kreis bestimmter Familien gebildet haben wird, aus dem herkömmtich der Rath sich ergänzte. Nur war dieser Kreis nie ein absolut geschlossener.

Daß bei der Wahl nur wohlhabende Männer in Betracht kommen konnten, ergiebt sich aus dem vorher Gesagten. Nicht wählbar waren, wenn wir von den frühesten Zeiten absehen, die Handwerker. Gelehrte waren bis zum siebzehnten Jahrhunderte selten im Rathe.

Es ist begreiflich, daß in schweren Zeiten, da der Rath der Regel nach eignem Ermessen gemäß und ohne Rücksprache mit der Bürgerschaft und den Handwerkerämtern regierte — daß nach Verlusten und beim Wachsen der Auflagen, die der Rath zu bestimmen hatte, leicht Mißstimmung entstehn konnte. In Folge einer solchen und Aufreizung von Lübeck aus ward 1411 der alte Rath gestürzt

Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 9 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

und ein neuer, an dem auch die Aemter Theil hatten, von Aemtern und Bürgerschaft gewählt. Doch mußte dieser 1416 wieder dem rechtmäßigen Rathe Rlatz machen: für elf Jahre. Denn 1427 stürzten nach dem Unglück im Oeresunde — die hansische Flotte hatte, nachdem die Hamburger eine Schlappe erlitten, sich vorzeitig aus dem Sunde zurückgezogen und dadurch war dem Könige von Dänemark eine reiche Handelsflotte in die Hände gefallen —: nach diesem Verluste stürzten die Aemter zum zweiten Male den alten Rath, und es kam zur Hinrichtung des Bürgermeisters Johann Bantzkow und des Rathmanns Heinrich von Haren. Der Führer der Aemter war wie bei der vorausgehenden Revolution der Wollenweber Klaus Jesup. Auch diese Umwälzung hatte keinen Bestand und 1430 räumten die Aemter wieder den Rathsstuhl und der Ausschuß der sechzig Bürger (1410 bis 1416 waren es hundert gewesen) mußte zurücktreten. In dem Friedensinstrumente ward bestimmt, daß in ewigen Zeiten ein solcher Ausschuß nicht wieder dem Rathe an die Seite treten sollte.

Die Händel des Bürgermeisters Peter Langejohann * ), welche, nachdem lange unangenehme Streitigkeiten mit dem Herzoge Heinrich vorausgegangen waren, von 1463 bis 1467 dte Stadt in Athem hielten, waren persönlichen Ursprungs und hatten für die Verfassung nur die Folge, daß seitdem das Wort unter den Bürgermeistern abwechselt.

Ebensowenig waren die 1522 wegen Aufkaufens von Korn in der Stadt entstandenen Unruhen, die fast zu Blutvergießen geführt hätten, eigentlich politischer Natur.

Dagegen wurden 1524 ff. wegen Unordnungen im Rechnungswesen wieder Ausschüsse von Sechzig und Vierzig erwählt, die aber 1537 sich auflösten.

1560 hatte Wismar sich verstehn müssen, zur Abtragung der fürstlichen Schulden 50000 Mk. zu übernehmen. Als nun die deswegen eingeführte Accise beibehalten und bei neuen Anforderungen im Laufe der Jahre gar erhöht ward, da entstand eine Erregung in der Stadt, und gleichwie damals in Stralsund und Rostock den Bürgerschaften Zugeständnisse gemacht wurden, so mußte auch hier endlich der Rath 1583 darin willigen, daß ein Ausschuß von vierzig Personen, zwanzig aus den Bürgern und zwanzig aus den Aemtern, erwählt ward, und demselben Theilnahme an Gesetzgebung und Aufsicht über die Kassen gewähren. Dieser Ausschuß ward im Bürgervertrage von 1600, März 19, erneuert und seine


*) Vgl. darüber Crulls Abhandlung Jahrb. XXXVI, S. 55-106.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 10 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Aufsichtsrechte über das Stadtvermögen, die Einnahmen und Ausgaben erweitert.

Von da an hat er ungestört fortbestanden, und wenn seine Versuche, noch mehr Rechte an sich zu reißen, durch eine Declaration Herzog Ulrichs 1602 und ein Rescript Herzog Karls 1604 auch zunächst zurückgewiesen wurden, so hat er doch in den dreihundert Jahren seines Bestehens seine Befugnisse stetig wachsen sehen.

Seine Ergänzung fand früher unter Mitwirkung des Rathes in der Weise statt, daß dieser aus den für jede freie Stelle vom Ausschusse vorgeschlagenen drei Personen den neuen Vertreter auswählte. Dies Wahlrecht des Rathes fiel 1830 bei Einführung der neuen Stadtverfassung fort: gewissermaßen durch einen Tausch, indem von da an der seit dem siebzehnten lahrhunderte immer enger gewordene Rath seine eignen Mitglieder nach den Vorschlägen des Ausschusses so wählt wie früher die Ausschußbürger, und während bis dahin der Rath sich durch freie Wahl ergänzte, nunmehr der Bürgerschaft die freie Wahl ihres Ausschusses verliehen ward. Gewählt wurde anfänglich dem ausdrücklichen Wunsche der Bürgerschaft gemäß nach Ständen, doch ist seither der Wahlmodus mehrfach abgeändert und nach modernen Theorien umgestaltet. Erst vor wenigen Tagen ist die Zahl der Wählenden und der Wählbaren durch die Erweiterung des Bürgerrechts wohl verzehnfacht.

Doch versetzen wir uns in das funfzehnte Jahrhundert zurück und denken Sie sich die Unruhen dieser Zeit wären ihrer Wichtigkeit entsprechend zu Worte gekommen. Denn waren die materiellen Verluste, welche sie direct herbeigeführt haben, schon nicht gering, so muß der Schade, welcher der Stadt aus diesen Kämpfen durch Einmischung, sei es der Landesherren, sei es fremder Fürsten und durch die gegenseitige Vergällung der Bürger erwachsen ist, noch viel höher angeschlagen werden. Und gewiß haben diese Unruhen ihr gut Theil dazu beigetragen, daß in der Entwickelung der Stadt ein Stillstand eintrat.

Dieser Stillstand wird im folgenden, dem sechzehnten Jahrhundert zum offenbaren Rückgange. Und es konnte nur ein Schwacher Trost sein, daß die verbündeten Städte kein besseres Loos hatten.

Die Ursachen der Abnahme des Wohlstandes lagen hauptsächlich darin, daß die Länder, deren Handel die Hanse bis dahin allein vermittelt hatte, sich der Bevormundung entschlugen, und daß die Hansestädte nicht den Muth, vor allem aber nicht die Kraft hatten, ihre Privilegien aufrecht zu erhalten. so erlitten durch Concurrenz und Besteuerung Umfang und Gewinn des Handels Einbuße.

Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 11 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Für Wismar war besonders die Besteuerung seiner Bierausfuhr fühlbar. Denn hatte das Wismarsche Bier auch nicht den Ruf des Hamburgischen, so kam es doch gleich nach demselben. Daß das Bier unserer Vorfahren aber wirklich nicht schlecht gewesen, davon konnte man sich vor ein paar Jahren überzeugen, als einmal nach altem Recepte gebraut war.

Wullenwever machte nun zwar einen Versuch, die alte Stellung in Dänemark zurück zu gewinnen. Aber das kühne Unternehmen scheiterte und brachte für Wismar, welches schon 1511 in eiuem zwischen der Hanse und Dänemark wegen Schwedens ausgebrochenen Kriege durch Ueberfall schwer gelitten hatte, um so schmerzlichere Verluste, weil es so wenig wie Rostock der Betheiligung Herzog Albrechts wegen rechtzeitig seinen Frieden machen konnte, sondern bis zur völligen Niederlage ausharren mußte.

In der Noth dieses Krieges — bekanntlich heißt es in einem gleichzeitigen Spottgedichte: die von der Wismar haben kein Geld — griff man 1535 das Kirchensilber an und entnahm aus den Schätzen der Gotteshäuser über zweihundert Pfund Silber: bescheiden genug, indem man über die Hälfte des Vorhandenen noch zurückließ, und sehr weise, da man so nach vierzig Sahren die Möglichkeit hatte, noch einmal gut zweihundert Pfund Silbers an sich zu nehmen.

Die Kirchen konnten freilich ihr Silber entbehren, da die Reformation bereits mit ihrem einfacheren Gottesdienste ihren Einzug auch in unser Wismar gehalten hatte. Doch auf dies Thema einzugehn muß ich mir versagen und kann es um so eher, als Crains Aufsatz allgemein bekannt und leicht zugänglich sein wird.

Dem Wismarschen Handel aufzuhelfen ward im sechzehnten Jahrhunderte noch ein anderer friedlicher Versuch gemacht: die Anlegung des Schiffgrabens für die Viechel'sche Fahrt, bekannter unter dem Namen des Wallenstein=Canals.

Es ward aber unter Herzog Albrecht, der sich zu diesem Werke mit dem Wismarschen Rathe verbunden hatte, nur das Stück vom Schweriner bis zum Lostener See fertig gestellt. Seine Söhne, die Herzoge Johann Albrecht und Ulrich förderten das andere Ende des Canals und verbanden Eldena und Dömitz. Wegen des Wismarschen Endes sind auch später noch mancherlei Verhandlungen gepflogen (1575, 1577, 1580), und 1582 ist wirklich die Schiffahrt zwischen Viecheln und Wismar eröffnet und der Graben mit zwölf Schleusen für flache und schmale Fahrzeuge schiffbar befunden. Aber die Sache hatte kein Gedeihen, und ebenso wenig als sie trotz mehrfacher späterer Anläufe von Seiten der

Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 12 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Stadt und der Herzoge gefördert ward, ebenso wenig richtete Waldstein aus, da auch er über Berechnungen nicht hinauskam. Die Kosten wurden aber 1628 von Alexander Borri aus 500 000 Rthr. damaligen guten Geldes berechnet. Wenn es nun Waldstein von niemand verdacht werden kann, daß er bei der Unsicherheit seiner Lage dem Gutachten der Kammer, es sei allzu bedenklich, viele Tonnen Goldes an ein bloßes Abenteuer zu wagen, Gehör gab und nicht zur Ausführung der Pläne seines Baumeisters schritt, so ist es doch eine Ironie des Schicksals, daß der Schiffgraben im Munde der Leute seinen Namen trägt, während die wirklichen Verdienste der Herzoge im Publikum vergessen sind.

Daß übrigens nicht reine Liebe zu ihrer Stadt Wismar und nicht das reine Streben, deren Handel und Wohlstand zu fördern, die Beweggründe der Herzoge beim Planen des Canals gewesen sind, sondern die Lust zu eignem Handel und die Lockung direkten eignen Gewinns die Triebfedern werden gewesen sein: das geht aus ihren gleichzeitigen Bemühungen um die Klipphäfen hervor, aus denen sie unter fortwährender Einsprache und Hinderung durch Rostock und Wismar das Korn ihrer Domänen zu verfrachten versuchten, da ihre Seestädte nicht gestatteten, daß sie als ihre eignen Kaufleute aus ihren Häfen Schiffe auslaufen ließen.

Bei allem Niedergange des Handels, Kriegsunglück und Aufbürdung landesherrlicher Schulden führte Wismar aber im sechzehnten Jahrhunderte noch ein Wert von Wichtigkeit aus, die Wasserleitung von Metelstorf her, welche 1570 fertig ward.

Immer trüber werden die Zeiten für Wismar.

Dadurch, daß der bei Lutter besiegte Dänenkönig sich trotz der Bitten der Herzoge in Meklenburg bei der Elbe festsetzte, war der große Krieg in unser Land gezogen.

Am 6. October 1627 erschien der Oberst Arnim vor Wismar und forderte Quartier für seine Truppen. Nun wollte der Rath dem Herzoge Adolf Friedrich, der sich auf seine Festung auf Poel zurückgezogen hatte, die Leitung der Vertheidigung übergeben. Aber trotz des Eifers der Bürgerschaft ward der Gedanke, sich zu wehren, bald fallen gelassen und am 10. October capitulirt und es wurden tausend Mann Besatzung eingenommen.

Selbstverständlich war Wismar auch bis dahin kein offener Platz gewesen, sondern Wall und Graben und Mauer hatten einer Bürgerschaft in Waffen die Möglichkeit gegeben, sich gegen Angriffe zu wehren. Jetzt ward die Stadt eine Festung in eines andern Hand. Die Werke wurden von Alexander Borri verstärkt und erweitert, eine Citadelle mindestens geplant: wenigstens drang

Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 13 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Waldstein in seinen Briefen unaufhörlich auf den Bau einer solchen. Die Bürgerschaft aber wurde entwaffnet. Die Selbständigkeit war dahin. Um dieselbe Zeit unterblieb bei zunehmender Verarmung das Besenden der Hansetage.

Die Befehlshaber aber zogen aus der Stadt, was sie nur ziehen konnten, und noch im Jahre 1627 mußte das Marienkirchspiel rund 21 000 Rthlr., S. Nicolai 23 000 Rthlr., S. Jürgen 25 000 Rthlr. ausbringen.

Bei dieser Gelegenheit wurden die Lottäcker verkauft, die seit uralten Zeiten gegen eine geringe Abgabe, den Lottgulden, alle sieben Jahre so verloost waren, daß auf jedes Haus (nicht aber auch auf die Buden) ein Ackerstück kam, wahrend den Rathsherren vermöge ihres Amtes noch ein zweites zugewiesen ward.

Die.Stadt aber ward so ausgesogen, daß Waldstein 1628, Sept. 2, schrieb: die von Wismar sind ruiniret. Und als 1632 im Januar der kaiserliche Oberst Gramb abzog, standen von 379 Häusern nur noch 291, von 445 Buden 288, von 42 Wohnkellern noch 30.

Es folgt die Schwedenzeit. Denn der sogenannte Befreier Gustav Adolf war kein platonischer Liebhaber unb ließ sich daher sogleich durch den Frankfurter Vertrag 1632, Febr. 29, Wismar, Warnemünde und Poel einräumen. Und Wismar wenigstens und Poel hielten die Befreier fest.

Mochte unsere Stadt durch ihre ständige Besatzung vor den schrecklichsten Leiden des Kriegs bewahrt bleiben, so klagt doch 1636 der deutsche Brutus: Wismar liegt im Steinhaufen, und 1638 im Januar mußte es doch eine Blokade durch Gallas über sich ergehn lassen.

Immer noch hoffte der Herzog bei einstigem Frieden seine zweite Seestadt wieder zu erhalten und versicherte noch 1646, Februar 25, dem Bürgermeister Eggebrecht und dem Syndicus daß er die Stadt den Schweden nicht abtreten werde. Aber was bedeutete bei der großen Abrechnung der Wille des Herzogs, was der Wunsch der Stadt? Am Ende konnte der Herzog froh sein, daß ihm zur Entschädigung für Wismar, Poel und Neukloster die beiden Bisthümer Schwerin und Ratzeburg zugesprochen wurden.

Das Kanzelgebet für den Herzog ward in Wismar 1649 im Januar vom Grafen Oxenstierna untersagt.

In den ersten Zeiten nach dem Friedenschlusse und nach der Abtretung an Schweden mochte man aus der neueu Verbindung einen frischen Muth fassen, da nicht nur die alten Privilegien bereitwillig bestätigt, sondern auch neue Handelsfreiheiten dazu

Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 14 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

erworben wurden. Außerdem ward Wismar der Sitz des höchsten Gerichtes für die deutschen Besitzungen Schwedens.

Darin findet eine lebhaftere Bauthätigkeit als seit langem ihre Erklärung. Eine neue Blüthe entwickelte sich aber nicht, konnte sich auch nicht entwickeln, da Schweden selbst hinsiechte und die fortwährenden Kriege, die seiue Großmachtstellung oder auch die Leidenschaft seiner Könige ihm auferlegte, vorzüglich in seinen deutschen Gebieten empfunden wurden und das Elend der folgenden Kraftlosigkeit auch kein Gedeihen hervorrufen konnte. Dazu ward der Handel mit dem Hinterlande durch Zölle auf das empfindlichste getroffen und den letzten Rest des Handels mit England vernichtete Cromwells Act of Navigation.

Der schwedisch=polnisch=dänische Krieg, an dem gegen Schweden zuletzt auch der Kaiser und Brandenburg sich betheiligten, hatte die feindlichen Truppen 1657-60 nur wiederholt in die Nähe Wismars geführt. Dagegen brachte der Krieg, in den Schweden 1675 sich durch sein Bündniß mit Frankreich hineinziehen ließ, nach der Schlacht bei Fehrbellin zuerst die Brandenburger und in Ablösung dieser die Dänen vor Wismar. Und nach vierteljährlicher Belagerung mit starker Beschießung mußte die Stadt, deren Befestigungen seit Waldstein noch bedeutend verstärkt waren, am 23. December übergeben werden. Am 26. December hielt der danische König seinen Einzug.

Nun stand Wismar einige Jahre unter dänischer Herrschaft, bis es in Folge der Verträge zu Fontainebleau und Lunden, nachdem es erst noch ein Jahr als Pfand in dänischen Händen geblieben war, 1680 an Schweden zurückgegeben ward.

Sogleich begannen die Schweden die Befestigungen mit dem größten Eifer zu erweitern und zu verbessern und erbauten, indem sie viele lahre hindurch täglich mehr als tausend Mann daran arbeiten ließen, achtzehn Hauptwälle mit neun Ravelins und zwei Citadellen. Ein Fort auf dem Aderholme (Walfisch) sollte den Hafen decken.

Leider ward die Stärke dieser Werke mehr als zu früh erprobt. Denn als nach rascher Niederwerfung Dänemarks Karl der Zwölfte sich sieghaft nach Polen und Rußland wandte, genoß Wismar wohl vorerst einige Jahre Frieden. Dann aber ermuthigte das Unglück des Königs die Dänen den Travendahler Frieden zu brechen, und durch den Starrsinn, mit dem Karl gegen den Neutralitätsvertrag protestirte, ward Norddeutschtand der Schauplatz des letztes Actes des nordischen Krieges.

Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 15 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Schon 1710 war Wismar zur See so gut wie abgesperrt. 1711 erfolgte eine Einschließung und Beschießung durch die Dänen, die nach vorüberrgehendem Abzuge sich 1712 erneuerte. Der schwedische General Steenbock brachte zwar Entsatz und schlug die Dänen bei Gadebusch, aber nach zwei Jahren verhältnißmäßiger Ruhe ward Wismar 1715 zum dritten Male eingeschlossen, und nach neunmonatlicher Belagerung mußte die ausgehungerte Stadt an die Dänen, Preußen und Hannoveraner 1716 übergeben werden.

Die Geldnoth war, nachdem schon bei der früheren Belagerung die Stadt große Summen, wogegen ihr Poel versetzt war, hatte herleihen müssen, so hoch gestiegen, daß der Rath sich gezwungen sah, erst Einschillingsstücke zu Zweischillingsstücken stempeln zu lassen, dann eine Nothmünze in quadratischen Stücken aus Bronze zu prägen. Auf Speciesgeld wurden 14-16 ßl. Ausgeld gegeben.

Auch die Moscowiter hatten auf Wismar speculirt. Sie waren aber zu spät herangekommen und Zar Peter mußte sich daher begnügen, die Stadt und Festungswerke zu besehen, woran er sich "sonderlich vergnügt" haben soll.

Im September des folgenden Jahres begannen darauf Preußen und Dänen vom Hafen her die Wälle niederzulegen, und zwar arbeiteten die Preußen dem Lübschen Thore zu, die Dänen nach dem Poeler Thore hin. Die Bürgerschaft ward gezwungen zu helfen, und als die Preußen abgezogen waren, das von diesen noch nicht bewältigte Stück auf sich zu nehmen. Der Thurm aus dem Aderholme ward im Februar gesprengt.

Durch den Frieden mit Dänemark vom 3. luli 1720, dem Verträge mit England und Preußen vorausgegangen waren, kam Wismar wieder an Schweden, doch unter der Bedingung, daß es eine offene Stadt bleiben sollte.

Als symbolisch aber für die Geschichte der Stadt als Festung kann es angesehen werden, daß 1661 der Marienthurm seinen Dachreiter verlor und 1703 durch einen Sturmwind die Pyramide des Nicolaithurmes heruntergestürzt ward, wie es jedesfalls kennzeichnend für die damalige Nothlage ist, daß an Wiederaufbauen nicht gedacht werden konnte.

Eine Explosion der drei Pulverthürme an der jetzigen Ulmenstraße nahm 1699 den angrenzenden Stadtheil arg mit und zerstörte das Lübsche Thor.

Nach 1720 erfreute sich Wismar fast vierzig lahre hindurch des Friedens.

Während dieser Zeit herbergte es sechs Jahre lang (1735 bis 1741), obgleich oder vielmehr weil es Schwedisch war, den

Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 16 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

meklenburgischen Herzog, den vor der kaiserlichen Administration geflohenen Karl Leopold, gerade wie früher hervorragende Mitglieder der Ritterschaft hier Schutz gegen seine Gewaltstreiche gefunden hatten.

Auch den Vorzug hatte es vor dem übrigen Meklenburg, daß seine Bewohner die preußischen Werber weniger zu fürchten brauchten, welche seit 1718 häufiger und häufiger das junge Volk gewaltsam für ihres Königs Regimenter preßten.

Was aber etwa in den Friedensjahren gewonnen war, zehrten die Drangsale des siebenjährigen Krieges wieder auf. Und die großen Schulden, welche der armen Stadt von 1758 bis 1762 aufgebürdet wurden, waren noch nicht abgetragen, als die Napoleonischen Kriege neue Last brachten.

So ist es wohl erklärlich, daß die Stadt 1794 auf den Grafen Potocki den Eindruck eines herabgekommenen Fleckens machte. Alle andern Angaben aber über die Armseligkeit, die im städtischen Wesen eingerissen war, erspart ein zu Anfang des neuen Jahrhunderts zwischen zwei Nachbarsleuten vorgefallenes Gespräch:

"Ja, Nahwer, dat helpt nich, in dit Jor möt ik mi ne nie Dackrönn maken laten" klagt ein unglücklicher Hausbesitzer, und nicht gerade trostvoll antwortet sein erfahrener Freund: "den warstu up'n Zeddel * ) verhögt."

Wo solche Anschaunngen Platz greifen konnten, da mußte wahrhaftig tiefer Verfall eingetreten sein.

Sechstausend Einwohner soll denn Wismar auch nur noch gehabt hoben, als am 26. Juni 1803 durch den Malmöer Vertrag der Herzog Friedrich Franz es sammt Poel und Neukloster um 1,250 000 Thaler Hamb. Banco als Pfandbesitz für Meklenburg zurück erwarb.

Am 19. August ging die Ablieferung an Meklenburg vor sich; am 29. August hielt der Herzog vom Altwismarthor her seinen Einzug.

Die Erstarkung der Stadt seit der von ihr freudig begrüßten Wiedervereinigung mit Meklenburg ist nicht zu verkennen. Wismar hat an dem allgemeinen wirthschaftlichen Aufschwunge nach den Kriegen zu Anfang des Jahrhunderts durchaus theilgenommen und der Wohlstand seiner Einwohner sich gehoben. Das hätte allerdings in noch höherem Maße der Fall sein können, wenn die 1837 erstrebte Eisenbahnverbindung über Boizenburg nach Hannover zur Ausführung gekommen und nicht spätere Bahnen dem Interesse der


*) Abgabenzettel.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 17 zur ersten Seite zur vorherigen Seite

Stadt entgegen gebaut wären. Das Scheitern jenes Planes aber, welches hier allgemeine und nachhaltige Verstimmung erzeugte, schrieb man zum großen Theile dem unglücklichen Umstande zu, daß Wismar auf dem Landtage nicht vertreten war.

Leider ist auch gegenwärtig für absehbare Zeiten noch keine Aussicht auf Wiedererlangung der Landstandschaft, da Wismar mit einer einfachen Stimme nicht zufrieden ist, sondern, wie es vor der Trennung Rostock gleich gestellt war — es sei an die Theilnahme beider Städte an den Vormundschaften 1329 und 1424 und am Schiedsgerichte zwischen den Herzogen Heinrich und Albrecht 1519 erinnert —, so auch jetzt gleiche Rechte mit Rostock verlangt, dieser berechtigte Anspruch aber, in dieselbe Stellung einzutreten, die es bis 1648 inne hatte, sich kaum mit den Einrichtungen vereinigen läßt, welche der landesgrundgesetzliche Erbvergleich von 1755 geschaffen hat.

Daß unter solchen Umständen die Agitation für eine constitutionelle Verfassung hier besonders günstigen Boden gefunden hat, ist erklärlich, wie es andererseits von sehr gesundem Sinne zeugt daß die Stadt 1848 ihre mit einer solchen Constitution sich kaum vertragenden wirklichen Freiheiten nicht hat aufgeben wollen.

Darf ich schließlich einen kurzen Vergleich zwischen dem Wismar der Gegenwart und dem Wismar des Mittelalters anstellen, so wird unbedingt die Menschenzahl jetzt die größere und es wird auch mehr Geld in der Stadt sein; daß das Leben gegenwärtig gemächlicher, bequemer und sicherer verläuft, ist zweifellos: ebenso gewiß aber auch, daß die Bedeutung der Stadt für das ganze Land im Mittelalter eine unendlich größere, daß der Handel viel bedeutender, wahrscheinlich, daß der Wohtstand ein mehr gleichmäßiger war, und nicht zu bezweifeln, daß der Einzelne bei größerer Selbständigkeit auch mehr Kraft entfaltete.

Vignette