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IV.

Die Decoration

des Innern der Kirche St. Nicolai

zu Wismar.

Von

Dr. F. Crull.


A m Sonnabend vor dem zweiten Advents=Sonntage, am 8. December, 1703 stürzte ein unerhört heftiger Sturm Nachmittags 3 Uhr den hohen Helm des St. Nicolai=Thurms zu Wismar um, welcher derartig niederschlug, daß nicht allein der westliche und der östliche Schildgiebel des Thurmes selbst, sondern auch Dach und Gewölbe des Schiffes (von welchem letzteren nur die fünf innersten Kappen des Chorschluß=Gewölbes erhalten blieben), die Kanzel, das messingene Taufbecken, der kleine oder Frühmessen=Altar vor dem Chore sammt dem großen Crucifixe darüber, fast sämmtliche Stühle, sowie die Glocken zu Grunde gingen. Bei der miserabeln Lage, in welcher die Stadt als schwedische Enklave und durch das Festungswesen derzeit sich befand, dauerte es mehrere Jahre, bis die Schäden nothdürftig ersetzt werden konnten. Das geschah selbstverständlich im Geschmacke der damaligen Zeit, dem es denn auch nicht zu sehr widerstrebte, daß man nicht etwa das Gewölbe wieder herstellte, sondern statt desselben eine Bretterdecke anordnete. Im Jahre 1774 ist dann noch der alte Hochaltar abgebrochen und aus dem Vermächtnisse des russischen und holstein=gottorpschen Ober=Kammerherrn Friedrich Wilhelm von Berckholtz 1 ) ein neuer errichtet worden; im Uebrigen ist die Kirche, wie es scheint, wesentlich


1) Bülau, geh. Gesch. I., S. 5.
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so geblieben, wie die Reparatur von 1703 f. sie hergestellt hatte, bis in die dreißiger Jahre dieses Jahrhunderts, wo man anfing viel gutgemeinte, aber übelangebrachte und =gerathene Verschönerungen zu machen. Vor nicht ganz zwanzig Jahren aber, bei größerer Einsicht in den Organismus der alten Bauwerke und gewachsenem Verständnisse für dieselben, gewahrte die Verwaltung, wie die Strebebogen oder, wie man jetzt in Wismar sagt, Rebogen 1 ) in einem mißlichen Zustande sich befanden, und daß namentlich deren Ansätze am Hochschiffe sich in bedenklicher Weise gelockert Ratten. Die Mauern des letzteren hingen nach Innen über, und es war klar, daß bei dem fortgesetzten schieben der Strebebogen dieser bedrohliche Mißstand sich noch steigern werde, und ebenso, daß nur die Wiederherstellung des Gewölbes den Erfolg anderweitiger Reparaturen bedinge. somit beauftragte der Kirchenvorstand den Baumeister Ruge zu Schwerin mit der Einwölbung des Schiffes, welche von diesem 1867 ausgeführt worden ist.

Die Entdeckungen, welche Krüger und Dr. Lisch bei Gelegenheit der Restauration der Kirche zu Alt=Röbel bezüglich der Haltung des Inneren machten, und die anderweitigen Beobachtungen des Letzteren in derselben Hinsicht haben als im höchsten Grade wahrscheinlich ergeben und weitere Funde zur Gewißheit erhoben, daß im Allgemeinen das Innere unserer Backstein=Kirchen, was die umschließenden Theile anlangt, von Hause aus weder weiß noch sonstwie getüncht war, sondern als Rohbau ohne allen Ueberzug sich dargestellt hat, während alle deckenden Theile geputzt waren 2 ), und es ist weiter ermittelt worden, daß man um rund 1600 begonnen hat Wände und Gewölbe im jeweiligen Stile zu decoriren, und daß nicht lange nach 1700 das Verwandeln unserer Kirchen in Marmortempel vermittelst des Tüncherquastes seinen Anfang nahm. Der bis zur Mitte gegenwärtigen Säculums unangefochtenen Alleinherrschaft des letzteren in unserem Lande machte jene Krüger=Lischsche Entdeckung ein Ende. Man erinnerte sich an Doberan, dessen Münster kein Lebender getüncht gekannt hat, und begann bei den Erneuerungen und Restaurationen der Kirchen mit mehr oder minder Treue, mit größerem oder geringerem Muthe, und je nachdem die vorhandenen Mittel es erlaubten, die


1) In den Kirchenrechnungen des 16. Jahrh. werden sie schlechthin "Bogen" genannt.
2) S. Jahrb. XVI, S. 280. (Berliner) Zeitschrift für Bauwesen 1852 u. f.
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ursprüngliche Decoration des Innern wieder ins Leben zu rufen. So hat man sich auch in Wismar entschlossen, die Gelegenheit, welche die kostspieligen Gerüste zur Einwölbung von St. Nicolai boten, zu benutzen, um die Tünche von den Wänden thunlichst zu entfernen und das gefugte Mauerwerk wiederum, so weit es möglich, zur Erscheinung zu bringen. Auch diese Arbeit sowie die damit verbundenen decorativen Malereien hat Ruge geleitet, dieselben aber nur auf das Hochschiff bis zum Arkadensimse einschließlich ausdehnen können; der untere Theil des Schiffes, die Abseiten mit dem Umgange, die Kapellen und die beiden Hallen behielten ihren weißen Ueberzug. In diesem Zustande blieb die Kirche bis zum Jahre 1880, wo man eine Erneuerung des rümpelhaften Gestühls unternehmen mußte, deren Vorbedingung die Weiterführung und Beendigung jener angefangenen Arbeit war, welche nunmehr unter Leitung des Baumeisters Brunswig zu Wismar von dem Maler Michaelsen ausgeführt ist.

Zunächst mußte die Tünche entfernt werden, was nicht anders als durch Schaben mittelst der Schrape, wie das Geräth bei den Handwerkern heißt, sich ausführen ließ; doch wurden die Mauerleute scharf darauf hingewiesen, mit der Arbeit einzuhalten und zu melden, so bald sie auf geputzte Flächen stießen, oder Spuren von Farbe sich zeigten.

Nach Entfernung der Tünche ergab sich nun Folgendes.

1) Die Pfeiler waren in Rohbau. Fußgesims und zum Theil das Kämpfergesims zeigten sich aus glasirten Ziegeln hergestellt, und mit solchen schloß auch die Profilirung der schrägen Seiten der Pfeiler ab. Unterhalb des Kämpfergesimses war ein geputzter Fries, unterwärts von einem glasirten Stabe begränzt, angeordnet, und auf demselben fanden sich nach dem Schiffe zu abwechselnd Wappenschilde und "Kreuzsteine", von vier Kugeln begleitet, in Roth gemalt, an der Seite nach den Abseiten aber nur letztere angebracht.

Die Kreuzstein=Verzierung, wie sie nach einem vulgären Ausdrucke bezeichnet werden mag, hat die Gestalt der Fig. 1 auf Tafel I.

Ein einziger Pfeiler war bemalt, der zweite an der Südseite vom Thurm her, und zwar unten auf der südwestlichen Schrägen, profilirten Seite. Die Malerei war ohne Putzgrund unmittelbar auf dem Mauerwerke ausgeführt und nahm bei einer Höhe von 14 Fuß Hamb. die ganze Breite der schrägen Seite ein. Sie stellte auf weißem Grunde unter

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Tafel I

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Tafel I

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rothen mit Nasen versehenen Bogen vier Paar Figuren dar, männliche und mit Kronen bedeckt, wie es schien. In der Mitte lief ein Band von rothen und weißen Spitzen hinauf, und ebensolche Bänder schlossen die Malerei seitlich ein. Die Erhaltung war so übel, daß es unmöglich war, die Bedeutung der Figuren zu erkennen, geschweige die Malerei zu restauriren.

2) Das Mauerwerk über und neben den Arkadenbogen (die Spandrillen) war ohne Malerei oder sonstige Decoration.

3) Die Leibungen der Arkadenbogen waren geputzt, aber nicht bemalt.

4) Die dem Schiffe zugewendete Wand des Thurmes, dessen Erdgeschoß mit jenem durch eine 68 Fuß hohe Bogenöffnung so in Verbindung steht, daß neben derselben auf jeder Seite 8 Fuß breit und über ihr 60 Fuß hoch glattes Mauerwerk übrig bleibt, ist bei den Arbeiten von 1867 vom Bogenscheitel oder dem Arkadengesimse an aufwärts als Rohbau bemalt und mit drei Blenden decorirt worden. Wie die Mauerleute dabei verfahren sind, ob sie die Tünche bis auf den Stein abgekratzt oder ob sie sich mit Entfernung der obersten schicht begnügt und dann die rothe, bez. gelbe Farbe und die Blendenmalerei aufgetragen haben, ist gegenwärtig nicht mehr zu ermitteln. Sind sie aber so gründlich vorgegangen, wie es 1862 bei der Erneuerung der Orgel bezüglich des unteren Theiles dieser Wand geschehen ist, so ist allerdings jetzt auch oberwärts von der ursprünglichen Decoration nichts mehr vorhanden; doch ermöglichen Beobachtungen, zur Zeit der gedachten Orgelreparatur gemacht, eine ziemlich genaue Nachricht von derselben zu geben.

Das Mauerwerk war mit einem feingeschlemmten dünnen Kalkauftrage überzogen, der außerordentlich fest auf den Steinen haftete. Auf diesem Grunde waren durch hellgrüne Querbänder mehrere Abtheilungen übereinander gebildet, und befand sich das oberste Band in der Höhe der Gewölbe=Kragsteine, welche 19 Fuß unterhalb des Scheitels der Schildmauer liegen. Diese erste Abtheilung blieb 1862 unaufgedeckt. Das dritte Querband verlief gerade unter einer in der Thurmwand angebrachten Luke, während das zweite in der Mitte zwischen dem ersten und dritten angeordnet war. Das zweite und dritte Band und vermuthlich auch das erste hatten eine Breite von 26 Zollen, das vierte aber, welches, unterhalb des Scheidbogensimses und oberhalb des Pfeiler=

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simses sich befindend, von dem Thurm und Schiff verbindenden Bogen so durchschnitten wurde, daß dasselbe jederseits eine Länge von 10, bez. 8 Fuß hatte, war 34 Zoll breit. Auf die oberen Bänder war Laub=Rankenwerk mit schwarzen Konturen gemalt, das unterste aber, die beiden Halbbänder, in gleicher Weise mit Schrift decorirt. In jeder der so gebildeten Abtheilungen, von der obersten unaufgedeckten abgesehen, waren durch Säulen und Rundbogen fünf Compartimente neben einander gebildet. Die Färbung der etwa 1 Fuß breiten Pfeiler oder Säulen war blaßroth, die der Konturen braunroth. Die Säulen hatten eine mit Knollen besetzte Basis, gingen aber ohne Kapital in die bis hart unter das darüber weglaufende Querband reichenden Bogen über. In die Zwickel zwischen diese waren Dreiblatt=Verzierungen gemalt. Die auswendigen Schenkel der äußeren Bogen waren nicht durch Säulen unterstützt, sondern stießen unmittelbar an die Langhauswand, beziehentlich den dort aufsteigenden, grün gefärbten Dienst. Unmittelbar über den Bändern, ebenso breit wie diese, war der Raum zwischen den Säulen schwarz gefärbt und auf diesen Boden je eine Figur von Ueber=Lebensgröße gestellt. Diese Figuren hatten abwechselnd graue und hellgrüne Nimben, die Fleischtheile, welche durch leichte Strichelung etwas modellirt waren, hellbräunliche Konturen, und die Gewänder waren in Grau, Gelb, Hellgrün und Braunroth ausgeführt. In der zweiten Abtheilung war nur die mittelste Figur bloßgelegt, und ließ sich diese vermittelst ihres Attributes sicher als St. Andreas erkennen. Ebenso sicher stellten die Figuren in der dritten Abtheilung St. Thomas mit der Lanze, St. Jakob d. j. mit dem Wollbogen, St. Philipp mit dem Kreuzstabe und St. Bartholomäus mit dem Messer dar, während die fünfte Figur allerdings nicht zu bestimmen war. In der untersten, der vierten Abtheilung, waren die beiden äußeren vermöge des einschneidenden Bogens nur Dreiviertel=Figuren, die drei mittleren aber Halb=Figuren, welche noch dazu durch die Thürmchen der Orgel nahezu verdeckt waren. Von den beiden äußeren Figuren hielt die auf der rechten Seite ein Schwert, die auf der linken anscheinend ein Buch. Daß mithin wesentlich die zwölf Apostel hier zur Darstellung gekommen waren, kann nicht zweifelhaft sein, und kaum weniger sicher ist es, daß die oberste Abtheilung das Bild Christi als Weltenrichter enthielt, und neben dem h. Andreas rechts St. Petrus und St. Paulus und links St. Jakob d. ä. und Johannes d. E. dargestellt gewesen sind.

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Auf dem Bande unter der letzten Abtheilung las man auf der rechten Seite in schlanker gothischer Minuskel völlig klar: na . godes , was die ganze Länge einnahm. Demnach war links das Wort bort zu erwarten und die Jahreszahl, und zwar diese entweder in arabischen Ziffern oder bloß in den Zehnern, was beides gleich auffallend sein würde, da die Malerei jedenfalls der Mitte des 15. Jahrhunderts angehörte und die Jahreszahl sich entweder auf die Consecration der Kirche, 1459, die Vollendung des großen Orgelwerks, 1463, oder aber die Ausführung der Malerei bezogen haben muß, die zwischen die gedachten beiden Jahre fallen möchte; zur vollständigen Ausführung einer dieser Zahlen in Buchstaben gothischer Minuskel würde neben dem nothwendigen Worte bort kein Platz gewesen sein. Was aber auf dieser zweiten Hälfte gestanden, muß unentschieden bleiben: der Maurer hatte mit Hingebung Alles bereits gründlich gereinigt, als das Vorhandensein von Malereien bekannt wurde.

Von der Höhe des Pfeilersimses ab war auf jeder Seite der Bogenöffnung ein Eselsrücken=Bogen mit durchbrochenen Nasen und mit Krabben und Kreuzblume versehen, in Hellgrün mit schwarzen Konturen gemalt, und über diesem bis zum untersten Bande reichend in Roth und Hellroth eine Galerie von fünf Bogen mit Nasen. Die Malerei unterhalb des linken Bogens war, als die Nachricht von diesen Malereien sich verbreitete, bereits vernichtet, unter dem rechten Bogen aber sah man die Reste einer überlebensgroßen sitzenden Figur, einer stehenden mit langem Haar und eines Kindes, welches jener von dieser gereicht wurde, so daß man annehmen darf, es sei eine Darstellung der h. Anna mit der Gottesmutter gewesen, St. Anna selbdritt. Tafel II giebt eine Vorstellung von der Anordnung.

5) Die Außenwände der Abseiten und der sich an den Umgang schließenden, mit drei Seiten des Sechsecks ausspringenden Kapellen zeigten den Rohbau. An einigen wenigen Stellen, wo Altäre gestanden hatten, fanden sich einige Quadratfuß große Flächen geputzt, auf denen Spuren von Malerei sichtbar waren; doch war nicht allein diese nur noch in einzelnen Farbenresten bemerkbar, sondern auch der Putzgrund bloß lose auf der Wand haftend.

Die Weihkreuze fanden sich allenthalben gut erhalten. Dieselben sind bis auf zwei in der nördlichen Abseite schwarz in einem grünen Kreise auf Weiß und durch Cirkelschläge formirt.

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6) Unterhalb der aus unglasirten Ziegeln hergestellten Fensterbänke 1 ) der Kapellen des Umganges ist ein Fries von zwei Reihen liegender glasirter Dreipässe angeordnet, welcher ziemlich künstlich zusammengesetzt ist. Der Grund des Frieses war nicht geputzt.

7) Von den geputzten Blenden unterhalb des ebengedachten Frieses waren nur zwei bemalt. Die Blende nächst der Sakristei zeigte ein mit Grau, Grün, Schwarz und Roth hergestelltes Blumen=Streumuster und auf der Leibung rothe Ranken, während in der Böttcher=Kapelle, der ersten südwärts neben der mittelsten, die Leibung mit einer rothen schablonirten Blumenranke verziert, und auf die Fläche der Nische, ganz verloren, St. Bartholomäus, vermuthlich Patron des Amtes, gemalt war.

8) Die Kapitäle der Dienste in den Abseiten sind aus grauem Kalkguß modellirt und nicht bemalt. Nur die drei untersten beiderseits in der nördlichen Abseite sind einfach polygonal gehalten. Ob deren Flächen ehemals mit Blattkonturen verziert waren, wie es die gleichförmig gestalteten Kapitäle in der ehemaligen Schwarzen=Kloster=Kirche waren, ließ sich nicht feststellen.

9) Wie die dem Schiffe zugekehrte Wand des Thurmes überkalkt und bemalt war, so fanden sich auch die südliche und die nördliche Wand desselben in gleicher Weise behandelt. Nach Befreiung derselben von Tünche zeigte es sich, daß zwei Weinstöcke, den zwei anstoßenden Gewölben der Abseite entsprechend, mit eingeschalteten Medaillons mit Halbfiguren die Bemalung der südlichen Wand bildeten, von denen der linke, größere die Wurzel Jesse darstellte und mit einer Muttergottes in ganzer Figur abschloß, während der rechte anscheinend die Geschlechtsfolge von Adam bis zu Christus repräsentirte, welcher letztere als Crucifixus zu oberst angebracht war. Die den Halbfiguren beigegebenen Spruchbänder ließen folgende Namen erkennen:


1) Wie überall bei uns in den Backsteinbauten des Mittelalters, wo man nicht Hausteinblöcke genommen, ist die Abschrägung nicht etwa aus gewöhnlichen, mit den Köpfen abwärts gelegten Ziegeln hergestellt, sondern aus eigens dazu gebrannten Formziegeln glepestene von glepe d. i. schräge, schief) die entweder an einer Kopfseite oder an einer Laufseite abgeschrägt sind. so daß sie wie gewöhnliche Ziegel in wagerechten Schichten vermauert werden konnten. Wie viel vorzüglicher dies ist, sowohl in Hinsicht auf Festigkeit, als für das Auge, läßt sich leicht einsehen.
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Namen aus den Spruchbändern

Die Erhaltung der Malerei war je höher hinauf, desto besser, der untere Theil aber durch die Feuchtigkeit des Mauerwerkes so zerstört, daß in der Wurzel Jesse außer diesem selbst gemäß dem 1. Kapitel Matthäus' neun Personen fehlten, denen in dem ersten Baume außer dem Stammvater Adam, von dem jedenfalls der Baum entsprossen sein wird 1 ), sechs Medaillons entsprechen würden. Freilich wäre diese Zahl nicht genügend die Geschlechtsfolge von Adam an, wie dieselbe Gen. 5 und 11 überliefert ist, völlig zur Anschauung zu bringen; aber der Umstand, daß dieselbe in dem Erhaltenen auch nicht vollständig ist, läßt vermuthen, daß jene sechs Medaillons gleichfalls nur bekanntere Personen darstellten.

10) Auf der nördlichen Thurmwand kam St. Christopher zum Vorschein, 36 Fuß hoch, angethan mit einem grünen kurzen Gewande und grauem Mantel, das ebenfalls grün gekleidete Jesuskind durch das mit zwei Fischen und einem Krebse belebte - graue - Wasser tragend; von rechts her leuchtete der Eremit der Wanderung. Neben St. Christopher, links, unter dem äußeren Gewölbe fand sich ein Ecce=homo von gleicher Größe wie jener in einer grünen Umrahmung, welche beiderseits sieben Oeffnungen zeigte. Aus jeder derselben schaute eine Halbfigur, welche mit einer Lanze Christi Leib berührte. Neben der zweiten und fünften Figur rechts stand noch eine andere. Die erste - weibliche - Figur rechts hält eine Zither, die dritte ein Würfelbrett, die vierte


1) D. J. M. Kratz, d. Deckengemälde d. St. Michaelis=Kirche zu Hildesheim. Berlin, 1856.
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einen Becher, die sechste eine Partisane, die beiden obersten links Stäbe, die dritte eine Kugel, die übrigen unkenntliche Gegenstände. Sollen diese Figuren etwa die sieben Todsünden darstellen, an die doch wohl zunächst gedacht werden muß 1 ), so ist die Charakteristik jedenfalls eine solche, die nicht eben allzusehr in die Augen springt.

Der Grund hinter beiden Darstellungen, St. Christophers und des Ecce=homo, die bis zu einer Höhe von 24 Fuß über dem Boden herabreichten, war mit blaugrauen Sternen bestreut.

Die vorstehend beschriebenen Malereien waren aber nicht die alleinigen auf dieser Wand: es fanden sich auch Reste eines Todtentanzes auf derselben, dessen Existenz in der Kirche durch die Erinnerung alter Männer allerdings überliefert war; vermuthlich ist derselbe zur Reformationsfeier im Jahre 1817, welche in den Wismarschen Kirchen überall große Verwüstungen und speciell ein allgemeines Uebertünchen veranlaßt zu haben scheint, gleichfalls übergeweißt worden. Dieser Todtentanz zerfiel in zwei Friese von je 6 Fuß 3 Zoll Breite, von denen der untere bis 15 Fuß vom Boden herabreichte und anscheinend neben den Gestalten des Todes einen Papst, einen Kardinal, einen Bischof und einen Doctor erkennen ließ, außerdem aber anscheinend noch vier Personen enthalten haben mochte, während im oberen nur die zweite Figur als Kaiserin und die fünfte als Ritter mit Sicherheit sich bestimmen ließen. Diese obere Reihe war über die Unterschenkel der beiden Kolossalgestalten dieser Wand hinweg gemalt; es gehörte also dieser Todtentanz nicht der ursprünglichen Ausstattung der Kirche, vielmehr anscheinend dem ersten Viertel des 16. Jahrhunderts an. Aus diesem Grunde und bei der schlechten Erhaltung der jüngeren Malerei, bei der an eine Restauration nicht zu denken war - man hätte zum allergrößten Theile etwas völlig Neues schaffen müssen -, entschied man sich dafür die obere Reihe gänzlich aufzugeben und, da dieselbe nicht störend wirkt, die untere Reihe in dem Zustande zu lassen, in welchem sie zu Tage trat 2 ).


1) Ipse autem vulneratus est propter iniquitates nostras, attritus est propter scelera nostra. Jes. 53.
2) Die in der Jubelschrift für den Geh. Archivrath Dr. Lisch, Nachricht von einem Todtentanze in Wismar, S. 1, erwähnten Verse auf einen Todtentanz zu St. Nicolai scheinen auf den oben besprochenen auch nicht zu passen. Bei dieser Gelegenheit mag ein Schnitzer in jener Schrift berichtigt werden: S. 7, Z. 15 muß es heißen: Ratsherrn statt Bürgermeisters.
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11) Die Rippen der Abseitengewölbe waren derartig abwechselnd grün und roth gefärbt, daß immer eine grüne Rippe mit einer rothen sich kreuzte, und die Gurte halb roth und halb grün, so daß zwei grüne Rippen die rothe Hälfte, zwei rothe die grüne einschlossen, wie das Schema Fig. 2 auf Tafel I ausweist.

Hart und unmittelbar neben das Grün und das Roth war ein 2 Zoll breiter Streifen Schwarz gezogen.

12) Die Ankerbalken der Abseiten waren getüncht und darauf in Zickzack laufende Bänder, deren Breite der Stärke des Holzes entsprach, mit Gelb, Grau und Roth in der Weise gemalt, daß die Bänder der Ansicht nach wechselsweise auf dem einen Balken rechtshin, auf dem nächsten linkshin u. s. w. liefen, und daß auf jedem die Streifen mit der folgenden Farbe begannen. Abgewickelt war die Anordnung diese 1 ):

Anordnung der Bänder

1) Es dürfte vorherrschende Meinung sein, daß diese hölzernen Anker - man trifft statt deren auch eiserne - nur provisorisch angebracht worden seien, und daß es Absicht gewesen, dieselben wieder zu entfernen, wenn das Mauerwerk seine völlige Festigkeit erlangt haben würde. Diese Meinung hat in neueren Zeiten, wo man die Kunst des Mittelalters anfing zu würdigen, hie und da veranlaßt, dieselben als eine die Wirkung der Höhenbewegung und der Wölbung beeinträchtigende Anordnung zu entfernen. Erwägt man aber, daß die Balken theils durch Gliederung, theils durch systematische Bemalung ornamentirt sind, daß sich eine Entfernung derselben bis in den Anfang dieses Jahrhunderts schwerlich irgendwo wird nachweisen lassen, daß die Anker derartig befestigt sind, daß sie ohne die größten Schwierigkeiten entweder überhaupt oder zum Theil nicht zu beseitigen sind, daß zu dieser Betonung der Kämpferlinie die in den Kapellen auf den Schildwänden gezogenen Linien eine Parallele bieten, daß die Sorge für die Sicherheit der Bauwerke zu Anordnungen geführt hat, die bedeutend mehr auffällig und doch zweifellos als bleibende getroffen sind, z. B. das Herüberführen des Daches über die Winkel der Kapellen des Umgangs, wie zu Rostock und Doberan, oder dessen Unterstützung durch Stichbogen, wie zu Schwerin und Wismar, so erscheint die obengedachte Annahme hinfällig, und die Entfernung der Balken vorzüglich auf einem Boden wie dem Wismarschen, der aus Thon besteht, wo man eine fortgesetzte, wenn auch denkbarst unmerkliche Bewegung anerkennen muß, auf das Aeußerste bedenklich. Man hat daher bei unserer Restauration auch keinen Augenblick die Frage gestellt, ob die Ankerbalten zu belassen oder zu entfernen seien, und sicher ist, daß dieselben gegenwärtig nur dem Auge des Vorurtheils beschwerlich fallen.
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13) Die an beiden Seiten der Kirche angeordneten, von vier Kreuzgewölben überspannten Hallen, welche, beiläufig bemerkt, hier wie bei St. Marien vielfach den Irrthum veranlaßt haben, als wären diese Kirchen Kreuzkirchen, und von welchen die südliche, ehemals die noch nicht genügend sicher erklärte, übrigens auch anderer Orten vorkommende Bezeichnung dat likhus führte, während in der nördlichen die kleine Orgel angebracht war, waren nicht als Rohbau belassen, sondern mit jener Tünche von feingeschlemmtem, stark haftendem Kalk durchweg überzogen, von welchem schon oben die Rede war. Malerei fand sich auf den Wänden nicht, und nur eine Nische in der südlichen Halle war mit Rankenwerk in Roth mit Grün und Schwarz decorirt. Wohl aber zeigten sich die in der Mitte stehenden Pfeiler von oben bis unten mit Ornamentmalerei versehen.

Diese Pfeiler sind einfach achteckig und mit Rundstab=Bündeln auf den Ecken besetzt. Letztere waren bei beiden braunroth gestrichen, während der Fuß ungefärbt geblieben, und das Gesims desselben aus glasirten Ziegeln gebildet war. Die Flächen zwischen den Bündeln aber waren auf jedem Pfeiler verschieden bemalt. Auf dem südlichen Pfeiler zog sich auf getünchtem Grunde um einen gelben Stab eine Blattranke hinauf, auf der einen Fläche oben roth und unten grün, auf der nächsten oben grün und unten roth u. s. w.; die Flächen des nördlichen Pfeilers aber waren mit Zickzackbändern, deren Spitzen in einen birnförmigen Knopf ausgingen, derartig bemalt, daß im Wechsel auf vier Flächen weiß = grün = weiß = schwarze Spitzen aufwärts liefen, auf den vier anderen schwarz = weiß = grau = weiße abwärts, wie nachstehend:

Pfeilerbemalung

14) Die Gewölbe der Hallen waren folgendermaßen decorirt. Eine grüne Rippe mit rother Hohlkehle kreuzte sich mit einer rothen Rippe mit grüner Hohlkehle, während der dazwischen befindliche Gurt den beiden ihn einschließenden

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Rippen entgegengesetzt bemalt war. Eine rothe Linie, die mit kohlblatt=ähnlichen Krabben mit Ränkchen wechselnd besetzt war, begleitete die Rippen. Vom Schlußsteine streckte sich je ein Stengel mit Blättern und ebenso solche von den Scheiteln der Schildbogen auf die Kappen, halb roth, halb grün, so nämlich, daß die grüne Hälfte der ersteren und die rothe Hälfte der letzteren gegen eine grüne Rippe gerichtet war; umgekehrt bei den rothen Rippen. S. Tafel I, Fig. 3.

Ganz verloren fand sich auf einer Kappe in der nördlichen Halle die Figur St. Jakobs d. ä., und auf der Leibung des Gurtbogens in der südlichen Halle eine Hausmarke, welche aber bestimmt nicht die des Hermen Münster ist, der die Halle erbaut hat.

15) Die Kapellen an den beiden Längsseiten der Kirche waren durchaus getüncht, und zwar nicht bloß die Wände, sondern auch die Bogen, mittelst welcher sie mit den Abseiten communiciren, bis auf den Boden hinunter, die Dienste und, was sich in den Hallen nicht sicher stellen ließ, sogar die Gewandungen und das Pfostenwerk der Fenster.

In sämmtlichen Kapellen fand sich auf den beiden seitlichen Wänden eine rothbraune Linie von der Breite einer Schicht von dem äußeren Dienstkragstein zum inneren gezogen.

Die Gewölbe sämmtlicher Kapellen waren gleichmäßig ebenso decorirt wie die der Hallen, nur einfacher.

Außerdem fanden sich in einzelnen Kapellen noch besondere Malereien, während solche in anderen nicht vorhanden waren.

Die Kapelle über der Sakristei sowie die beiden anstoßenden an der Nordseite waren gleichmäßig behandelt, indem auf die Leibung des Bogens, durch welchen sie mit der Abseite communiciren, über dem Kämpferpunkte beiderseits je eine Halbfigur mit einem Spruchbande, prophetenähnlich, und über dieser je eine ganze Figur unter einem Baldachine gemalt war, nämlich in dem Bogen über der Sakristei St. Michael und St. Katharina, beide Patrone der Kirche, in der nächsten Kapelle, der des minderen Kalands, früher der Stalköper, Maria und Christus, und in der dritten, St. Katharinen, ein benedicirender Bischof ohne Attribut und St. Barbara.

Die beiden nächsten Kapellen auf der Nordseite, westlich der Halle, diejenigen der Spek und der Vorneholt, hatten keinerlei Malerei, in der dritten aber, der des Leineweber=Amtes, war auf der östlichen Wand in der Höhe eines

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Altarschreins eine Art Teppich mit Ranken in Roth, Grün und Schwarz gemalt, in dem ein Kreuz und beiderseits die Umrisse zweier Figuren ausgespart waren. Vermuthlich ist auf dem Altarschreine ein Crucifix mit Maria und Johannes angebracht gewesen, welche in die Umrisse gepaßt haben.

In der obersten Kapelle auf der Südseite, derjenigen der Loste, fand sich links vom Eingange auf der Leibung des Verbindungsbogens eine geputzte Fläche, 30 1/2 Zoll breit und 8 Fuß 5 Zoll hoch, auf welche acht Scenen aus der Leidensgeschichte auf blauen Grund gemalt waren, gegenüber eine kleinere mit St. Christopher auf rothem Grunde. Außerdem war auf der östlichen Wand auf die Tünche ganz verloren ein thronender Christus in rothbraunen Konturen gemalt, die Hände erhoben, die Füße auf ein Buch mit sieben Siegeln gesetzt, aus dem Munde Lilie und Schwert gehend.

Die zweite Kapelle, die der Vot, enthielt auf der östlichen Schildmauer hoch oben eine Darstellung der Verkündigung und gegenüber auf der östlichen Wand die der Krönung Mariens, beide von einer Umrahmung von Bandornament eingeschlossen. Unten auf der Leibung des Verbindungsbogens war auf einer 69 Zoll hohen Fläche unter einer Bogenverzierung eine weibliche gekrönte Heilige gemalt, die sich zu einem Knaben mit Heiligenschein, welcher ihr ein Gefäß darbietet, herabneigt, vielleicht die heil. Dorothea, welche im Kerker von Engeln gespeist wurde; die Legenden auf den beiden Spruchbändern waren erloschen.

Die dann folgende Kapelle, die der Kaufleute (Schonenfahrer), enthielt ganz oben auf der östlichen Wand eine Darstellung der heiligen Dreifaltigkeit, indem Gott Vater, über dem eine Taube schwebt, den Gekreuzigten vor sich hält, während auf die Leibungen des Verbindungsbogens über dem Kämpferpunkte jederseits ein Schiff, und oberhalb dessen links St. Marcus und darüber St. Olaf, rechts St. Gertrud und darüber St. Nicolaus, durch Beischriften kenntlich gemacht, gemalt waren.

In den drei unteren Kapellen der Südseite, denen der Gärber, der Segler oder Schiffer 1 ) und der Marien=Zeiten,


1) In dieser Kapelle hat sich ein Schmuck erhalten, der äußerst selten geworden ist, nämlich eine mit Blattornament besteckte, runde hölzerne Scheibe unter dem Schlußsteine des Gewölbes, welche mittelst eines eisernen Zapfens, der durch den durchbohrten Schlußstein geht, und eines (  ...  )
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fand sich außer der Bemalung der Gewölbe und den Weihkreuzen ebenso wenig Malerei, wie auf denen der Nordseite gegenüber.


Es vernothwendigt sich hier noch einige Worte über die Restaurirung der in Vorstehendem geschilderten Decoration des Innern von St. Nicolai hinzuzufügen.

Man ging bei derselben von dem Principe aus, daß die vorzunehmenden Arbeiten, so weit es irgend möglich, solchergestalt auszuführen seien, daß die als ursprünglich zu erkennende Decoration, welche die Entfernung der Tünche zu Tage bringen würde, völlig wieder ins Leben trete, ohne etwas fortzulassen, was sich als restaurabel erweise, ohne hinzuzuthun, was nicht angeordnet, ohne Verbesserungen, ohne Verschönerungen. Wie es jedermann ungeheuerlich finden würde, wenn ein Maler den Kopf einer Madonna Memlings oder Dürers, falls er fehlte, durch eine Copie der Sixtinischen ersetzen, oder wenn ein Musikmeister in eine Oper Webers eine Wagnersche Composition einlegen wollte u. s. w., so kann es doch auch nicht in der ersten aller bildenden Künste, der Baukunst, statthaft sein, bei der Restauration eines monumentalen Werkes außer Augen zu setzen, was der Zeit seiner Entstehung, der Eigenart des Landes, der Individualität des Meisters angehört. Wollte man sich für ein gegentheiliges Vorgehen darauf berufen, daß doch auch unsere Vorfahren nicht allein gothische Fassaden mit Barock=Portalen und mittelalterliche Thürme mit Zwiebel=Spitzen versehen hätten, sondern daß auch das Mittelalter selbst sich nichts daraus gemacht die heterogensten Formen zusammenzubringen, dem Güstrower Dom einen gothischen Chor angefügt und im Schweriner den pommerschen Fenster=


(  ...  ) Splints unter dem Gewölbe befestigt ist. Die Blattverzierung umher ist auf dieser Scheibe, auf der ein Schiff dargestellt ist, übrigens nicht die ursprüngliche, welche aus sechs, wahrscheinlich gleich gestalteten Blättern bestand, wie man deutlich erkennt. Sechs Blätter hatten auch die aus dem 14. Jahrhundert stammenden Scheiben in der abgebrochenen Kirche des Schwarzen Klosters, von denen zwei noch erhalten sind, drei andere hinter dem Chore von St. Marien angebracht, jedoch ohne Blätter. Die Blätter waren vergoldet, die Sculptur der Scheiben vergoldet auf farbigem Grunde. Die Scheiben hatten im Durchmesser 28 Zoll; die Blätter sind jedes 34 Zoll lang und an der breitesten Stelle 35 Zoll breit. Man wird annehmen können, daß, wo in unseren Kirchen durchbohrte Schlußsteine an den Gewölben sich finden, ursprünglich auch solche Scheiben vorhanden gewesen sind.
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schluß zugelassen habe: so ist darauf zu erwidern, daß, was jener Zeit erlaubt war, doch für die Gegenwart nicht ferner statthaft ist, welche, während sie eines einheitlichen Stiles entbehrt, das vor den verflossenen Jahrhunderten voraus hat, daß sie nicht allein die verschiedenen Stilarten, welche die Vorzeit entwickelte, sondern auch die zeitlichen, lokalen, ja die individuellen Nuancen derselben begreift und mehr und mehr verstehen lernst. Und wenn dem auch nicht so wäre, so scheint es doch auch eine Forderung zu sein, welche bei der höheren Gesittung, auf welche unsere Zeit Anspruch macht, in keiner Weise unbillig ist, wenn man verlangt, daß der Baumeister von heute die monumentalen Werke von Berufsgenossen, Männern, welche, ohne freilich die wissenschaftliche und umfassende Bildung unserer Architekten zu besitzen, doch in künstlerischer Hinsicht nicht hinter ihnen zurückstanden, nicht behandeln dürfe, als ob es gelte, die Einrichtungen eines Wirtschaftsgebäudes zu verbessern, oder die Ausstattung eines alltäglichen Wohnhauses ansprechender zu gestalten. Endlich dürfte auch darauf hinzuweisen sein, welchem einstimmigen Verdikte bereits Verschönerungen und Verbesserungen, wie man wähnte, erliegen, welche funfzig, vierzig, dreißig und weniger Jahre zurückdatiren, und deren Urheber ebenso in gutem Glauben handelten und ebenso sehr den Stil zu beherrschen vermeinten, wie diejenigen, welche heute die alten Meister meistern zu dürfen glauben. Kurz Logik, Wissenschaft, Pietät und gemeine Klugheit verbieten bei der Restauration eines alten monumentalen Bauwerkes das Einführen von, sei es der Zeit, sei es der Herkunft nach fremden Formen und Anordnungen; und da die farbige Ausstattung etwas Wesentliches ist, so wird auch dasjenige, was von solcher sich vorfindet, was man zur Zeit, als der Bau entstand, in dieser Hinsicht für angemessen hielt, nicht mehr, nicht weniger, nichts Anderes, wieder vor Augen zu führen sein, wenn die Arbeiten den Namen einer Restauration verdienen sollen.

Wenn nun aber trotz alledem gegen das eben ausgesprochene Princip bei der besagten Restauration verschiedentlich verstoßen ist, so ist das geschehen, theils weil der Thatbestand nicht rechtzeitig erkannt wurde, theils weil veränderte Umstände Abweichungen forderten. Um künftighin daraus entstehenden Irrthümern vorzubeugen, ist es erforderlich, diese Abweichungen ausdrücklich anzugeben.

1) Die Färbung des Mauerwerkes ist nicht genau die ursprüngliche, welche namentlich im Chore ein tieferes Roth

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zeigte. Da aber das Hochschiff einen lichteren Ton und zum Theil sogar okergelbe Färbung erhalten hatte, und jenes dunklere Roth sich auch nicht durch die ganze Kirche fand, so mußte eine Farbe gewählt werden, welche die vorhandenen Gegensätze möglichst ausglich.

2) Von den Wappen war nur der geringste Theil noch kenntlich, und die Mehrzahl mußte durch solche, die dem fünfzehnten Jahrhunderte angehören, vielfach mit willkürlicher Färbung, ersetzt werden.

3) Von den Blenden unter den Fenstern der Kapellen des Umganges waren nur die beiden oben angeführten geputzt und bemalt. Da aber nur noch vor einer, der Böttcher=Kapelle, die ursprünglichen Schranken erhalten sind und diese Kapellen nach dem Verluste dieser, ihrer Altäre, Sedilien, Leuchter u. s. w., alle Individualität verloren haben und vielmehr als integrirende Theile des Umganges erscheinen, so fand man es angemessen, alle Blenden gleichmäßig zu putzen und zu bemalen.

4) Das Abkratzen der ersten Gewölbe der Abseiten geschah mit solchem Eifer, daß die Färbung der Rippen und Gurte und die schwarze Linie neben denselben erst später constatirt werden konnten. Man hatte also jene wie gefugt hergestellt und statt dieser knollenförmige rothe Krabben angebracht, da die Rippen ohne alle Begleitung unleidlich schienen. Als man nun hinter den wahren Thatbestand kam, ließen sich die Krabben nicht gut und ohne erhebliche Kosten wieder entfernen und mußten daher statt der schwarzen Linie leider ganz durchgeführt werden.

5) Während die Seiten=Kapellen ursprünglich durchaus getüncht waren, sah man sich genöthigt, nachdem der Hälfte derselben die Schranken und allen die Altäre, das Gestühl und besonders die farbigen Fenster 1 ) fehlten, wegen des her=


1) Vermuthlich haben alle Kapellen, auch die des Umganges, farbige Fenster gehabt. Vor gut dreißig Jahren waren solche noch bis auf die untersten Tafeln vollständig erhalten in der Votschen Kapelle auf der Südseite und der gegenüberliegenden Katharinen=Kapelle, und in dem Fenster über der nordöstlichen Thüre befanden sich noch mindestens zwei wohlerhaltene Tafeln, von denen die eine die Flucht nach Aegypten, die andere das Abendmahl weiß in Blau unter einem Bogen darstellte. In jenen Fenstern waren, wie sichere Spuren ergaben, zu unterst einzelne Heilige dargestellt gewesen, die eine Höhe von drei Tafeln gehabt haben mußten, und über denen sich hohe Baldachine, gelbe auf rothem Grunde in der Votschen, weiße auf blauem in der Katharinen=Kapelle erhoben; (  ...  )
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vortretenden schreienden Gegensatzes gegen Schiff und Abseiten wenigstens die Außenwände und die Dienste im Rohbau erscheinen zu lassen; dasselbe geschah aus eben diesem Grunde in den Hallen, wäre aber freilich besser nicht geschehen.

Vignette

(  ...  ) ein Teppichmuster nahm den obersten Theil ein. Ende der vierziger Jahre fing man an, die Fenster neu zu verglasen, wozu natürlich das durchsichtigste Glas genommen wurde, um die Kirche so "hell und freundlich" zu machen wie möglich. Etwa 1848 kamen die Fenster in der Votschen Kapelle an die Reihe. Die gemalten Tafeln wurden herausgebrochen, das Blei wurde angegeben, und das Glas auf dem Kirchhofe vergraben. Ende der fünfziger Jahre ging es an die Fenster der Katharinen=Kapelle. Hier wurde zwar aufgepaßt und erlangt, daß die gemalten Tafeln in Kisten verpackt und für bessere Zeiten zurückgestellt wurden, doch hat auch das ihren Verlust nicht verhindern können, da sie 1865 unter der Hand um den Werth des Bleies von einem Privatmanne acquirirt wurden, der sie in seinem Hause getheilt wieder anbringen ließ.