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2) Längsrillen und Rundmarken an meklenburgischen Kirchen.

Von Pastor Dr. Krüger in Lübz.

Die vornehmlich an kirchlichen Gebäuden vorkommenden Längsrillen und Rundmarken, auf welche schon vor zwei Jahrzehnten F. Voigt in Königsberg hingewiesen hat und auch in dem 1879 erschienenen Quartal= und Schlußbericht des Vereins aufmerksam gemacht worden ist, sind seit einigen Jahren der Gegenstand umfassender Nachforschungen geworden. In trefflicher Weise orientirt hierüber die in Prüfer's Archiv für kirchliche Baukunst erschienene Abhandlung: "Längsrillen und Rundmarken an mittelalterlichen Gebäuden", von Staatsarchivar Dr. v. Bülow in Stettin, in welcher Arbeit eine sehr dankenswerthe Uebersicht über das Fundgebiet dieser Zeichen gegeben wird. Nach den bisherigen Beobachtungen ist die Form der Längsrille wesentlich überall dieselbe, ebenso die der Rundmarke. Die Längsrillen sind augenscheinlich mit einem harten, spitzen Instrumente in das Gemäuer der

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Gebäude hineingearbeitet. Die Länge der Rillen beträgt oft nur 2- 3 Zoll; doch finden sich auch Rillen von 2-3 Fuß Länge. Ihre Tiefe variirt wie ihre Breite, zwischen 1/4 bis 2 Zoll. Die anderswo gemachte Wahrnehmung, daß je länger die Rillen sind, desto geringer ihre Tiefe ist, wird durch meine Beobachtungen nicht bestätigt; die von mir aufgefundenen größeren Längsrillen hatten immer auch eine größere Tiefe. Bei manchen der von mir gesehenen Rillen verflachten sich die Enden bei entsprechender Abnahme der Tiefe und der Breite. Häufig sind die Rillen von einer Länge, Breite und Tiefe, daß man grade einen Finger in dieselben hineinlegen kann. Die Richtung der Rillen ist entweder senkrecht, oder schräge, oder wagerecht; indeß habe ich an meklenburgischen Kirchen bis jetzt noch keine wagerecht laufende Längsrille aufgefunden. - Die Rundmarken sind kreisrunde, schalenförmige, die Figur eines Kugelabschnittes darstellende Vertiefungen, deren Durchmesser gewöhnlich nicht 3/4 Zoll ist und selten über 3 Zoll hinausgeht. Ihre Tiefe beträgt 1/2 - 1 Zoll. Wo sie nicht durch den Einfluß der Witterung gelitten haben, da ist die Fläche glatt, und die Ränder sind scharf. Sie machen den Eindruck, als wären sie mit einem Brustbohrer, wie ihn der Stellmacher gebraucht, in die Bausteine hineingebohrt worden. Mitunter findet sich in der Mitte derselben noch eine kleinere, wie von einer Bohrerspitze herrührende Vertiefung; Rundmarken dieser Art finden sich auch an meklenburgischen Kirchen. Hin und wieder kommen Rundmarken von anderer Form vor; so sind z. B. in Oberschlesien Rundmarken gefunden worden, deren Vertiefung der Winkelspitze eines sphärischen Triangels gleicht, und an der Kirche zu Pitschen in Schlesien kommen öfters Rundmarken vor, deren geschweifte Wände eine Karnißlinie bilden. Bis jetzt habe ich Rundmarken von diesen Formen an Kirchen unseres Landes noch nicht aufgefunden. - Längsrillen sowohl wie Rundmarken finden sich fast ausschließlich nur an den Außenseiten der mittelalterlichen Gebäude, und zwar in einer 1- 6 Fuß über der Erde liegenden Zone. In der Mitte dieser Zone sind sie gewöhnlich am zahlreichsten. Nur ein einziges Mal habe ich auch innerhalb eines Kirchthurmes Längsrillen gefunden. Durch alle bisherigen Beobachtungen wird bestätigt, daß sich beide Arten von Zeichen nie in einer größeren Höhe finden, als ein Mann mit seiner Hand zu reichen vermag. Vorzugsweise sind die Süd= und Westseiten der Kirchen die Fundstellen, und hier wiederum sind diese Zeichen am zahlreichsten in der Nähe

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der Eingänge. Die Thürwölbungen, die Rundstäbe und Holzkehlen der Portale sind nicht selten durch die Menge derselben verunstaltet. An den Nordseiten der Kirchen werden die Längsrillen und Rundmarken im Ganzen nur vereinzelt gefunden. An einzelnen Kirchen, z. B. an der Nicolaikirche und an der Marienkirche in Berlin, an der Jacobikirche in Stettin und an der Jacobikirche in Stralsund, kommen nur Rundmarken vor. Nach v. Bülow's Angabe (a. a. O.) waren bis dahin in Schlesien überall noch keine Längsrillen bemerkt worden; Rundmarken dagegen hatte man auch dort an mehreren Kirchen gefunden. Andererseits giebt es auch einzelne Kirchen, an denen man nur Längsrillen wahrgenommen hat, z. B. in Braunschweig und Goslar. Gewöhnlich bilden aber Rundmarken und Längsrillen ein buntes Durcheinander. Im allgemeinen scheinen die Rundmarken in größerer Menge als die Längsrillen vorzukommen; wenigstens möchte ich dies von den meklenburgischen Kirchen behaupten. Das geographische Fundgebiet dieser Zeichen umfaßt nach den Forschungen von Friedel und v. Bülow: Pommern, Posen, die Neumark, einzelne Theile der Mark, die Niederlausitz, Schlesien, die Provinz Sachsen, die Provinz Preußen und die Harzgegend. In dem Correspondenz=Blatt der deutschen Gesellschaft für Anthropologie, 1880, No. 5, findet sich aus der Gegend von Bersenbrück in Hannover folgende Mittheilung: "Auch hier finden sich an vielen Kirchen in den Dörfern solche eingegrabenen Rillen, meistens an den Thürwänden der Süd= und Westportale". Ebendaselbst wird aus Thüringen berichtet, daß an den aus Sandsteinquadern erbauten und der spätgothischen Bauperiode angehörenden Kirchen zu Untermhaus bei Gera und zu Weida schälchenartige Vertiefungen von 2 bis 5 Centim. Durchmesser - also Rundmarken - wahrgenommen worden seien. Unzweifelhaft wird sich das Fundgebiet, zu dem inzwischen noch Meklenburg hinzugetreten ist, bei weiteren Nachforschungen noch beträchtlich erweitern.

Nachdem ich an der Kirche zu Lübz und an einigen Landkirchen der Umgegegend vergeblich nach Längsrillen und Rundmarken gesucht hatte, fand ich diese Zeichen zuerst an der aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrh. stammenden, im gothischen Stile erbauten Georgenkirche zu Parchim, und zwar in überaus großer Menge. Die Rundmarken zu beiden Seiten des Westportals haben durch den Einfluß der Witterung bereits sehr gelitten. Dagegen sind die Längsrillen und Rundmarken, die sich an der Südseite der Kirche an den Portalen, an und zwischen den Pfeilern, selbst in zwei zur

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Aufstellung von Heiligenbildern benutzten Nischen zu beiden Seiten eines vermauerten Portals finden, wohl erhalten. Eine große und schöne Rundmarke von 2 1/2 Zoll Durchmesser an dem Rundstabe eines Portals durchschneidet die Glasur des Backsteins. Manche der großem Längsrillen laufen über drei Backsteine und die Kalkfugen hin. Mehrere der Marken zeigen in der Mitte die obenerwähnte kleinere, anscheinend von einer Bohrerspitze herrührende Vertiefung. Auch am Chor der Kirche finden sich Marken, während die Nordseite keine Marken und nur eine einzige Längsrille hat. Im Innern des Thurmes, ganz in der Nähe des Westeinganges, fand ich auf übertünchten Backsteinen einige senkrechte Längsrillen. - Die 1278 geweihete Marienkirche zu Parchim hat ebenfalls Rundmarken und Längsrillen, aber in weit geringerer Menge als die Georgenkirche. Die an der Ostseite befindlichen Marken und Rillen sind bereits stark verwittert. Die Nordseite hat nur einige wenige Rundmarken, aber keine Längsrillen.

In Güstrow fand ich an der Pfarrkirche zu beiden Seiten des südlichen Einganges etwa 12 Rundmarken von gewöhnlicher Größe. - Der zu Anfang des 13. Jahrhunderts erbaute Dom hat auf der Nordseite zu beiden Seiten des Einganges etwa 25 Rundmarken von mittlerer Größe. Auf einem Backsteine findet sich eine größere Rundmarke, deren Kreislinie von drei kleineren Marken theilweise durchschnitten wird. An der Südseite der Kirche finden sich zerstreut gegen 50 Rundmarken. Die Westseite des Domes hat keine Marken, und auf der Ostseite ist das untere Mauerwerk vor einigen Jahren vollständig erneuert. Längsrillen sind in Güstrow weder an der Pfarrkirche, noch am Dome vorhanden.

An der Kirche zu Malchin dagegen, deren Alter mir nicht bekannt ist, finden sich Längsrillen und Rundmarken durcheinander. Die Nordseite und die Westseite der Kirche haben einige wenige Rundmarken. Die Hauptfundstelle ist der Ostgiebel des südlichen Seitenschiffes und die angrenzende Südseite des Chors. Hier zählte ich gegen 200 wohl erhaltene Rundmarken und etwa 50 sehr schöne Längsrillen, von denen 16 senkrecht, und die übrigen, 5-6 Zoll lang, 1 1/2 Zoll breit und 1 Zoll tief, von oben rechts nach unten links über den Backstein laufen; nur eine einzige Längsrille hat die Richtung von oben links nach unten rechts.

An der Kirche zu Gnoien finden sich auf der Südseite einige senkrechte Rillen und schalenförmige Vertiefungen; es ist jedoch nicht mit Sicherheit zu erkennen, ob dieselben zu den Längsrillen und Rundmarken zu zählen sind.

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Die Kirche zu Neukalen hat östlich vom südlichen Eingange drei Rundmarken, von denen zwei mit Mörtel ausgefüllt sind.

Die Neustädtische Kirche in Röbel hat an der Südseite, an der Ostseite und am Westportale etwa 30-40 Rundmarken, aber keine Längsrillen.

An der Kirche zu Plau fand ich zu beiden Seiten des südlichen Hauptportals, auch an den Rundstäben und in den Hohlkehlen des Portals etwa 30 Rundmarken und ebenso viele Längsrillen.

Am Dome in Schwerin finden sich hin und wieder einige Rundmarken und Längsrillen.

An den Kirchen zu Wismar sind - nach einer Mittheilung des Herrn Dr. Crull daselbst - keine Längsrillen zu finden, und Rundmarken von geringen Dimensionen sind nur an der Südseite der Marienkirche neben dem östlichen der beiden hier befindlichen Eingänge in kleiner Anzahl vorhanden.

In Rostock hat der Herr Staatsarchivar v. Bülow aus Stettin keine Rundmarken an den Kirchen gefunden. Ich selbst habe an den sämmtlichen Kirchen in Lübeck, am Dome zu Ratzeburg, an den Kirchen zu Zarrentin, Wittenburg, Goldberg, Krakow und an der erst im Jahre 1790 erbauten Kirche zu Stavenhagen vergeblich nach Längsrillen und Rundmarken gesucht. Auch die Kirchen zu Teterow, Rehna und Grabow haben diese Zeichen nicht. Ebenso habe ich an Dorfkirchen unseres Landes bis jetzt keins dieser Zeichen gefunden. Die auffallende Erscheinung, daß Rundmarken und Längsrillen in Rostock und Lübeck überall nicht und an den Kirchen in Schwerin und Wismar nur in ganz geringer Anzahl gefunden werden, erklärt sich, wenn man sich vergegenwärtigt, daß schon im 13. Jahrhundert auf den Kirchhöfen vieler, besonders der größeren norddeutschen Städte kleine Gebäude neben den Kirchen errichtet, und in der folgenden Zeit Häuschen und Buden zwischen den Außenpfeilern der Kirchen an die Kirchen angebaut wurden. "So sind allmählich fast alle Kirchen und Kirchhöfe zu Lübeck und Hamburg, Wismar und Rostock, Schwerin und Stralsund und an vielen anderen Orten durch niedrige, dürftige Anbauten entstellt und nicht selten verunehrt worden", bemerkt Glöckler, Jahrb. XIII, S. 469.

Für die nähere Bestimmung der Zeitperiode, in welcher diese Zeichen in die Mauern der Kirchen eingegraben sind, fehlt es bis jetzt an sicheren Anhaltspunkten. Die starke

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Verwitterung, welche diese Zeichen an manchen älteren Kirchen erlitten haben, deutet jedoch auf eine sehr frühe Zeit. Längsrillen und Rundmarken von ersichtlich jüngerem Ursprunge hat man bis jetzt nicht gefunden, wie denn überhaupt diese Zeichen an Kirchen, die erst im vorigen Jahrhundert erbaut sind, schwerlich vorhanden sein dürften. Die Ansicht, daß diese Zeichen den Backsteinen bereits vor ihrer Verwendung eingeprägt seien, wird vollständig durch die Thatsache widerlegt, daß einmal diese Zeichen sich stets nur bis zu einer für einen Mannesarm erreichbaren Höhe finden, und daß sodann die Längsrillen oft über 2 bis 3 Mörtelfugen hinlaufen und einzelne Rundmarken die Glasur der Backsteine durchschneiden, während andere mit ihrem Mittelpunkte in der Mörtelfuge selbst stehen und die Ränder der durch die Mörtelfuge geschiedenen Backsteine schneiden. Außerdem ist wohl zu beachten, daß Rundmarken und Längsrillen sich eben sowohl an den aus Sandstein und anderem Naturgestein, wie an den aus Backstein aufgeführten Kirchen finden.

Im übrigen aber sind Ursprung und Bedeutung dieser Zeichen zur Zeit noch ein ungelöstes Problem der Alterthumskunde. Hier und da fabelt die Volksüberlieferung von Löwen und Wölfen, die mit ihren Krallen die Rillen in die Kirchenmauern hineingekratzt hätten. In dem oben angeführten Bericht aus dem Hannöverschen wird über die Entstehung der Rillen mitgetheilt: ein alter Mann habe gesagt, unsere Vorfahren hätten ihre Wolfsspieße, welche sie zum Schutze auch beim Kirchgang bei sich geführt, an diesen Stellen scharf geschliffen, wodurch dann die Rillen entstanden seien. An den meisten Fundorten dieser Zeichen aber giebt es nicht einmal eine Volksüberlieferung über dieselben, und wo eine solche vorhanden ist, da ist sie augenscheinlich ein Spiel der Phantasie. An Erklärungsversuchen von Seiten wissenschaftlicher Männer fehlt es nicht; aber keiner dieser Versuche hat bis jetzt das Dunkel zu lichten vermocht, das die Bedeutung dieser Zeichen verhüllt.

Unter den Anthropologen herrscht die Meinung vor, daß die Rundmarken in historischem Zusammenhange mit den schalenförmigen Vertiefungen stehen, welche sich auf den sogenannten "Schalensteinen" finden, die in Dänemark häufig vorkommen und deren zwei auch in Meklenburg, nämlich auf dem Hünengrabe bei Naschendorf, gefunden sind (vgl. Jahrb. XLIV, S. 74 ff.). Allerdings ist eine gewisse Aehnlichkeit zwischen den Rundmarken und diesen Vertiefungen der

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Schalensteine, welche letzteren ich nur aus den Abbildungen kenne, die Dr. Henry Petersen in Kopenhagen seinen Schriften über die "Helleristninger" beigegeben hat, nicht zu verkennen; aber mit Recht läßt sich gegen diese Anschauung geltend machen, daß ein historischer Zusammenhang zwischen diesen Eingrabungen auf den uralten, der heidnischen Zeit angehörenden Schalensteinen und den Rundmarken des christlichen Mittelalters höchst unwahrscheinlich ist, und daß bei dieser Annahme für die mit den Rundmarken untermischt vorkommenden Längsrillen sich keine Erklärung findet. - Auch die Ansicht, welche den Ursprung beider Arten von Zeichen auf Volksaberglauben zurückführt, erscheint als unhaltbar. Bei der Zähigkeit, mit welcher der Aberglaube im Volke wurzelt, ist es nicht denkbar, daß ein abergläubischer Gebrauch, der nahezu über ganz Norddeutschland verbreitet gewesen sein müßte, sich in einigen Jahrhunderten überall so vollständig sollte verloren haben, daß nirgends eine Erinnerung an denselben übrig geblieben wäre; es müßten sich vielmehr Spuren desselben noch an manchen Orten finden, - und das ist nicht der Fall. Es bleibt bei einem abergläubischen Gebrauche von so ausgedehnter Verbreitung auch der Umstand ganz unerklärlich, daß von nahe bei einander liegenden gleichalterigen Kirchen die eine mit diesen Zeichen überladen ist, während dieselben an der anderen ganz fehlen. Es ist überhaupt beachtenswerth, daß der Aberglaube die Kirchen fast gar nicht in den Bereich seiner Gebräuche hineinzieht, eine Wahrnehmung, die für Meklenburg durch die von Bartsch herausgegebene Sammlung von Sagen, Märchen und Gebräuchen aus Meklenburg bestätigt wird. Wenn Längsrillen und Rundmarken auf Volksaberglauben zurückzuführen wären, dann würden diese Zeichen nicht auf dem ganzen Fundgebiete eine so große Aehnlichkeit mit einander haben, sondern in einer reichen Mannigfaltigkeit der Formen auftreten; jedenfalls aber würden dieselben dann nicht mit jener Sorgfalt und Geschicklichkeit hergestellt worden sein, die dem Beschauer sofort ins Auge fällt. Hat man an einzelnen Kirchen Längsrillen aufgefunden, die nur oberflächlich und wie mit einem Nagel eingeritzt zu sein scheinen, so möchte doch zur Frage stehen, ob diese Rillen nicht auszuscheiden und als das Werk müssiger Knabenhände anzusehen seien. In Meklenburg habe ich derartige Rillen nicht beobachtet.

Die Längsrillen und weit mehr noch die Rundmarken weisen entschieden auf technisch geübte Hände und, so weit

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ich sehe, überall auf eine und dieselbe Technik hin. Dieser Umstand, der mir von der größten Wichtigkeit zu sein scheint, deutet auf eine ganze andere Spur als die des Volksaberglaubens hin. Nach meiner Ansicht sind die Längsrillen und Rundmarken nichts Anderes als Zeichen, welche die Genossen der großen mittelalterlichen Bauhütten nicht nur während ihrer Beschäftigung in einer zur Ausführung eines größeren Gebäudes errichteten Hütte, sondern auch auf ihren Wanderungen durch die Landstriche in die kirchlichen Gebäude eingegraben haben. Da die Bauhütten sich ursprünglich am Fuße der großen Kirchen erhoben und in dem Kirchenbau ihre edelste und höchste Aufgabe sahen, und die Genossen der Bauhütten durch ihre Satzungen eng mit dem kirchlichen Leben verbunden waren: so liegt die Annahme nahe, daß die Bauhütten=Genossen gerade an den überall vorhandenen und leicht auffindbaren Kirchen ihre Zeichen anbrachten. Damit ist nicht ausgeschlossen, daß sie hin und wieder auch in weltliche Gebäude ihre Zeichen eingruben, wie denn ja auch in Wirklichkeit, wenn auch sehr vereinzelt, Längsrillen und Rundmarken an weltlichen Gebäuden aufgefunden worden sind. Ist diese Annahme richtig, so erklärt sich:

1) Die an allen Fundorten beobachtete Formengleichheit dieser Zeichen, sowie die Technik, insbesondere die Gleichartigkeit der Technik, die denselben eigen ist.

2) Der Umstand, daß diese Zeichen sämmtlich älteren Zeiten entstammen. Nach vorgängigen feindseligen Reichtagsbeschlüssen untersagte nämlich Kaiser Karl VI. im Jahre 1731 alle Gebräuche und Geheimnisse der Steinmetzen aufs Strengste, und von diesem Zeitpunkte an fristeten nur noch die Bauhütten in Frankfurt, Köln, Zürich und Basel einige Jahrzehnte hindurch ein kümmerliches Dasein.

3) Die sehr beachtenswerthe Thatsache, daß im Volke jede Kenntniß des Ursprunges und der Bedeutung dieser Zeichen fehlt.

4) Das bunte Durcheinander von Längsrillen und Rundmarken. Vielleicht hatten die Genossen der einen Haupthütte die Rundmarke, die der anderen die senkrechte Längsrille, die der dritten die schräge Längsrille als ihr gemeinsames Zeichen.

Einen Stützpunkt dieser Erklärung sehe ich auch in der in A. Reichensperger's kleiner Schrift: "die Bauhütten des Mittelalters" enthaltenen Mittheilung: "Die Lehrlinge bekamen am Ende ihrer Lehrzeit ein Steinmetz=Zeichen. Das so verliehene Zeichen hatte jeder Geselle auf seinen Stein

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zu setzen. Diese Zeichen bestanden ursprünglich in lateinischen Buchstaben, an deren Stelle im Verfolge geometrische Figuren traten. Das Lesen dieser Zeichen gehörte zu den untergeordneteren Geheimnissen der Hütten". Hatte jeder Steinmetzgeselle sein besonderes Zeichen, so liegt die Annahme nahe, daß die Genossen der einzelnen großen Bauhütten auch gemeinsame Zeichen führten, und solche Zeichen scheinen mir eben die Längsrillen und Rundmarken gewesen zu sein.

Möge die vorstehende Darlegung zur weiteren Nachforschungen über die in Meklenburg vorhandenen Längsrillen und Rundmarken anregen!