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II. Zur Baukunde.


Christliches Mittelalter.

Kirchliche Bauwerke.


Ueber den Capitelsaal des Klosters Rehna.

Von

Dr. G. C. F. Lisch.


In den Jahrbüchern XV, S. 287-305 und XX, S. 333 -357, sind die Kirche und das Nonnen =Kloster Rehna ausführlich und gründlich beschrieben und untersucht. Namentlich ist in den Jahrb. XX, S. 350-355 eine frei stehende, noch wohl erhaltene gewölbte Halle beschrieben, welche schließlich dort der "Capitelsaal" genannt wird. Die Halle (ähnlich einer Capelle) hatte nach ihrer ganzen Einrichtung sicher keine kirchliche Bestimmung, sondern diente ohne Zweifel zu Versammlungen des Kloster=Convents oder Kapitels; deshalb habe ich das Gebäude den Capitelsaal genannt.

Das Kloster Rehna hatte schon lange vor der Aufführung dieser Halle ein eigenes "Capitelhaus". Eine Urkunde des ganzen Kloster=Convents und des zuständigen Bischofs Volrad von Ratzeburg vom 9. September 1346 ist datirt vom Kloster Rehna im "Capitelhause" ("Datum

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et actum in claustro Rene in domo capitulari"). Vgl. Meklb. Urk.=Buch X, Nr. 6678, p. 56, wo auch von der Wohnung und dem Hofe des Propstes die Rede ist.

Der Saal steht in gleicher Flucht an dem noch stehenden bis zum Frühling des Jahres 1875 von dem wailand Herrn Oberforstmeister v. Lehsten bewohnten "Amtshause", wahrscheinlich dem alten Verwaltungshause (oder der Propstei) des ehemaligen Klosters und ward von diesem als "Wagenschauer" benutzt.

Mir war dieses Gebäude, da es neben dem modernisirten Hauptgebäude liegt und gewöhnlich verschlossen war, unbekannt geblieben und ich nahm deshalb in Jahrb. XX, S. 350 flgd., eine Beschreibung meines Freundes Masch zu Demern auf, da dieser in der Nähe wohnt, und begleitete diese Beschreibung S. 354 mit einigen urkundlichen Forschungen zur Zeitbestimmung. Am 14. October 1867 hatte ich die große Freude, in Begleitung des Herrn Oberforstmeisters v. Lehsten zu Rehna, des Herrn Archivraths Masch aus Demern, des Herrn Amtmanns von Koppelow aus Gadebusch, als zuständigen Baubeamten, und des Herrn Kirchen=Provisors Neumann zu Rehna den Saal untersuchen zu können und meine hohen Erwartungen in mancher Hinsicht übertroffen zu sehen. Der Saal hat zwar in den Jahrb. XX, S. 350 seine Beschreibung gefunden. Es ist aber zum Verständniß nöthig, die Beschreibung hier gleich nach der Besichtigung im Jahre 1867 kurz zu wiederholen.

Die Halle bildet eine Oblongum von drei Gewölben Länge und zwei Gewölben Breite; sie hat also im Ganzen sechs Gewölbe, an jeder Seite drei, welche innerhalb des Raumes von zwei Monolithen, an den Wänden und in den Ecken aber von zehn Kragsteinen oder Consolen getragen werden. Die Gewölbe sind schlank und sauber, die Rippen fein profilirt.

Was aber den Saal zu einem der ausgezeichnetsten Kunstwerke des Landes macht, ist der bildliche Schmuck, welcher ihn zieret und zu den schönsten Erzeugnissen des Mittelalters in seiner Art gerechnet werden kann. Masch hat ihn zwar andeutend beschrieben, jedoch ist er bis jetzt noch nicht klar erkannt worden, und dies ist doch zur richtigen Würdigung nothwendig.

Der Hauptschmuck liegt in den zehn Kragsteinen, welche weibliche Brustbilder als Büsten darstellen. Dies sind nämlich die fünf klugen und die fünf thörichten Jungfrauen (Ev. Matth. 25, 1 flgd.) in feinen, angemessenen

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Verzierungen und Umgebungen. Am Eingange beginnen die fünf klugen Jungfrauen von links nach rechts herum, darauf folgen die fünf thörichten Jungfrauen, so daß in den beiden schmalern Wänden in der Mitte an einem Ende eine kluge und an dem andern Ende eine thörichte Jungfrau steht. Die Jungfrauen sind alle sehr schön modellirt und tragen Lampen in den Händen, welche wie Glocken gestaltet sind, wie man es auch anderswo wohl sieht. Die klugen Jungfrauen, welche fast alle zum Schmuck Kronen auf dem Haupte haben, halten die Lampen mit der Oeffnung, aus welcher ein Docht hervorragt, gerade nach oben gekehrt. Die thörichten Jungfrauen halten die Lampen umgestürzt und erscheinen alle mit betrübten, weinerlichen Gesichtern und wankenden Kronen; einer z. B. fällt die Krone vom Haupt, andere raufen das Haar. Alle sind aber doch edel, künstlerisch und fein gebildet, ohne irgend eine Uebertreibung oder Verzerrung.

Dieser Schmuck, von dieser Seite betrachtet, ist jedenfalls vor vielen anderen Kunstwerken der höchsten Beachtung würdig.

Einen zweiten Schmuck hat die Kapelle in den sechs Schlußsteinen der Gewölbe, die mit runden Scheiben belegt sind, welche sehr schöne Reliefverzierungen tragen, theils Wappen, theils symbolische Darstellungen. Auch diese Bildwerke sind in den Jahrb. a. a. O. schon zur Sprache gekommen. Die sechs Scheiben oder Schilde tragen nachstehende Darstellungen,

1. Wappen 2. Wappen
der von Bülow der Mölenknecht.
(Priorin.) (Propst.)
3. Wappen 4. Wappen
der vom Lohe. der Dartzow.
5. Segnende  6. Christuskopf.
Hand (Gottes).

Die Wappen geben zugleich die Bauzeit an, welche zwischen 1422-1430 fällt (vgl. Jahrb. XX, S. 355). Die Darstellungen find folgende:

1. Ein Schild mit 14 Kugeln, das bekannte Wappen der v. Bülow. Adelheid v. Bülow war Priorin des Klosters 1430-1439 und wahrscheinlich schon früher, nach 1422 (vgl. Jahrb. XX, S. 356).

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2. Ein gespaltener Schild, rechts mit einem Stern, links mit einem halben Mühlrade, das Wappen der Mölenknecht. Johann Mölenknecht war 1422-1423, vor 1430, Propst des Klosters Rehna (vgl. Jahrb. XX, S. 354).

3. Ein Schild mit einem Rad. Dies ist das Wappen der adeligen Familie vom Lohe oder Loe, welche auf Scharfstorf bei Wismar wohnte und am Ende des 16. Jahrhunderts ausstarb (vgl. Lisch, Gesch. des Geschl. v. Oertzen II, S. 175 und 272). Ob die Familie sich besonders beim Bau auszeichnete, ob eine Jungfrau des Geschlechts vielleicht Unterpriorin des Klosters war, ob ein Priester vom Loe im Kloster lebte, läßt sich nicht ermitteln. Im Jahre 1439 lebte noch ein Priester Eggerd vom Loe, Bruder des Knappen Johann vom Loe auf Scharfstorf, zu Wismar und führte nichts weiter als denselben Schild im Siegel.

4. Ein Schild mit einem geschachten Andreaskreuz mit einem bärtigen Menschenkopf im obern Winkel, das Wappen der lübeker Patricierfamilie von Dartzow oder Dertzow, welche auch zur Wölbung des Schiffes der Kirche seit 1430 beisteuerte und daher ihr Wappen auch auf die Kragsteine der Kirche setzte (vgl. Jahrb. XV, S. 292 flgd.)

5. Im Kreise eine segnende Hand (Gottes, Gott bedeutend), welche auch sonst oft vorkommt.

6. Im Kreise ein Christuskopf in flachem Relief, höchst ausgezeichnet und vielleicht das schönste Werk in dem ganzen Saale, welches hoher Beachtung werth ist.

Durch die also sicher erforschte Bauzeit erhalten die Kunstwerke einen noch größeren Werth.

Außerdem ist die Kapelle auf den Wänden und auch wohl in den Gewölben noch auf weißer Kalktünche bemalt gewesen, jedoch läßt sich dies ohne Entfernung der wohl schwer abzunehmenden Kalktünche nicht beurtheilen. Rankenwerk ist hin wieder bloß gelegt.

Auf meinen konservatorischen Antrag vom 25. Mai 1875 hat die hohe Kammer in den Jahren 1875 und 1876 umfassende und gründliche Veranstaltungen zur Conservirung des Capitelsaales und Restaurirung desselben und des anstoßenden Kreuzganges getroffen, den Capitelsaal dem wirthschaftlichen Gebrauche entzogen und zu einem später sich ergebenden höhern Bedürfnisse zur Verfügung gestellt.