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d. Alterthümer anderer Europäischer Völker.


Riesenurne von Ladowitz in Böhmen.

Herr Baurath Wachenhusen aus Meklenburg, jetzt zu Chemnitz im Königreich Sachsen, hat den Schweriner Sammlungen im Jahre 1877 einige thönerne Gefäße aus der heidnischem Zeit, darunter eine sogenannte Riesenurne 1 ), geschenkt, welche im Jahre 1876 auf dem Braunkohlenwerke seines Schwiegersohnes auf der Feldmark Ladowitz bei Dux in Böhmen gefunden wurden und durch Geschenk in seinen Besitz kamen.

Die Riesenurne stand etwa 1 Klafter (6 Fuß) tief in einer ungefähr 2 Klafter mächtigen Kiesschicht über der die Braunkohle deckenden Lettenschicht und ward beim Abräumen zur Herstellung eines sogenannten Tagebaues gefunden. Einige kleine Gefäße standen dabei, welche jedoch, mit Ausnahme von 2 Geräthen, bei der Erdarbeit zerschlagen wurden.

Die Riesenurne war auch zerbrochen, ward jedoch auf Anordnung des Vorstandes des Kohlenwerkes zusammengeleimt und mit Drath umwunden, so daß sie vollständig vorhanden ist, und von Herrn Wachenhusen nach Chemnitz gebracht, wo derselbe sie verpacken ließ und nach Schwerin schickte, wo sie auch trotz der Zerbrechlichkeit, des großen Gewichts und des bedeutenden Umfanges glücklich und unversehrt angekommen ist.

1) Die Riesenurne

ist von Thon, nach heidnischer Weise mit Kies gemischt, aufgebaut, cylindrisch von Gestalt, und hellbraun von Farbe. Sie ist 61 Centimeter (2 1/4 Fuß) hoch, hat 2 Meter 10 Centim. (3 3/4 Ellen) Umfang in der größten Bauchweite und eine


1) Ich behalte diese Benennung gegenwärtig bei, weil ich sie in den Jahrbüchern öfter gebraucht habe. G. C. F. Lisch.
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Oeffnung von 41 Centim. im Durchmesser. Am obern Bauchrande unter dem kurzen Halse sind zur Verzierung zwei parallele, schmale und dünne Bänder aus feinem Thon wie eine gedrehte Schnur erhaben modellirt. Unter diesen Bändern umher sind fünf erhabene Kreise mit einer eingedrückten runden Vertiefung in der Mitte, von deren jedem vier eingeritzte, kurze wellenförmige Linien hinablaufen.

Die Wandungen sind nach oben hin 1 Centim. dick, nach unten hin dünner, bis 1/2 Centim.; der Rand ist 2 Centim. breit.

Bei dieser Größe und Stärke hat das Gefäß das außerordentlich große Gewicht von 200 Pfund. Auf dem Eisenbahn=Frachtbriefe ist das Gewicht der Urne mit der Packkiste zu 121 Kilogramm angegeben. Da nun im Handel das Gewicht einer Packkiste ungefähr von der Größe der hier in Frage stehenden zu 40 Pfund als Tara angenommen zu werden pflegt, so werden für die Urne ungefähr 200 Pfund Gewicht übrig bleiben.

In dem Gefäße lagen viele kleine Klumpen schwarzer Erde, ein schwarz gefärbtes, zerschlagenes und gespaltenes Bruchstück von einem Thierknochen, wahrscheinlich Unterschenkelbein vom Rind 1 ), und viele kleine Knochensplitter.

Bei der Riesenurne lagen mehrere kleine Gefäße von gleicher Beschaffenheit, von denen aber der größere Theil zertrümmert, zwei jedoch fast ganz erhalten waren.

2) Ein Tragetopf.

Ein kleines, kugelförmiges Gefäß, 11 1/2 Centim. hoch und 36 Centim. weit im Bauchdurchmesser. Unter dem Rande sind 2 Knoten, welche durchbohrt sind zum Durchziehen einer Schnur oder eines dünnen Seils. Das Gefäß hat also zum Tragen und Heben an einer Schnur gedient und ist ungefähr das, was plattdeutsch "sêlpott", d. i. Seiltopf oder Tragetopf, heißt.

3) Eine Henkelkanne.

Ein schlankes, gehenkeltes Gießgefäß, 12 Centim. hoch und 31 Centim. weit im Bauchdurchmesser. Der Henkel ist abgebrochen, jedoch sind die Ansätze noch vorhanden.

Wahrscheinlich ist es, daß diese Gefäße aus der letzten Bronzezeit oder aus der ersten Eisenzeit stammen.


1) Ein ganz gleicher Knochen, wissenschaftlich als Knochen vom Rind bestimmt, fand sich auch in einer Meklenburgischen Höhlenwohnung aus der Steinzeit zu Pölitz; Vgl. Jahrb. XXXIV, S. 203 flgd.
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Die Fundstelle.

Grabgefäße für verbrannte Leichen sind diese Gefäße, namentlich die Riesenurne, sicher nicht gewesen. Dazu ist die Riesenurne zu unhandlich und roh und stand zu tief. Ich halte die Fundstelle für eine Gruben= oder "Höhlenwohnung" 1 ) mit unterirdischem Feuerherd, die Riesenurne für einen Vorrathstopf und die kleinen Gefäße für Küchengeräth und Hausrats. Der Fußboden der sogenannten "Höhlenwohnungen" 2 ) liegt nach vielfältigen Beobachtungen in Meklenburg, wie in den Jahrbüchern oft dargestellt ist, gewöhnlich 4 bis 5 Fuß unter der Erdoberfläche, und ungefähr eben so tief hat auch die Riesenurne in Böhmen gestanden. Die "Wilden" in Afrika pflegen noch heute ihre Vorräthe an Lebensmitteln in großen Töpfen neben ihren Hütten aufzubewahren. Ueberhaupt dienten in heidnischen Zeiten, beim Mangel modernen Mobiliars, ohne Zweifel Töpfe zur Aufbewahrung von Habseligkeiten aller Art.

Mit diesen Erfahrungen und Beobachtungen über Gruben= oder Höhlenwohnungen stimmen auch alte schriftliche Nachrichten überein. Tacitus sagt in seiner Germania 16: "Die Germanen pflegen sich unterirdische Höhlen zu graben und diese mit viel Mist (oder Rasen?) zu bedecken, zur Zuflucht im Winter und zum sichern Aufbewahrungsort für die Feldfrüchte."

Taciti Germ. cap. 16.

"Solent subterraneos specus aperire eosque multo insuper fimo onerant, suffugium hiemi et receptaculum frugibus, quia rigorem frigorum ejusmodi locis molliunt. Si quando hostis advenit, aperta populantur, abdita autem et defossa ignorantur aut eo ipso fallunt, quod quaerenda sunt."

Vergleichungen in Meklenburg.

In Meklenburg sind früher auch Riesenurnen von derselben Größe und Beschaffenheit und unter gleichen Umständen, jedoch nur selten, gefunden:

1) Zuerst zu Gr.=Medewege nahe bei Schwerin, 2 Fuß im Bauch=Durchmesser; 1847 beim Bau der Eisen=


1) Wahrscheinlich ist diese Höhlenwohnung, nach dem schwarz gefärbten Erdklumpen und Knochenbruchstücken zu urtheilen, durch Brand untergegangen.
2) Ueber Höhlen= und Grubenwohnungen in Meklenburg vgl. Jahrb. XXXIV, S. 203 flgd.
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bahn in einem Durchschnitt tief in der Erde, zerbrochen, aber in einer ganzen Seitenansicht wieder zusammengesetzt. Vgl. Jahrb. XIII, 1848, S. 378.

2) Darnach zu Satow bei Kröpelin, im Acker, ein starkes Randstück, nach dessen Schwingung die Oeffnung 1 1/2 Fuß weit gewesen ist, also ungefähr so weit, als die Oeffnung des böhmischen Gefäßes. Vgl. Jahrb. XVIII, 1853, S. 261.

3) Schon früher bei Wittenburg, 1839 beim Chaussee=Bau, Bruchstücke 3 Fuß tief in der Erde. Vergl. Jahrb. V, 1840, B, S. 64.

G. C. F. Lisch.