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e. Alterthümer außereuropäischer Völker.

Steinzeit in Aegypten.

Seit mehreren Jahren ist oft von zerschlagenen und gespaltenen Feuersteinen (silex) die Rede gewesen, welche in Aegypten häufig gefunden sind 1 ), namentlich durch französische Reisende und Gelehrte in Ober=Aegypten, und man ist durch diese Funde veranlaßt worden, auf eine "vorhistorische Steinzeit" auch in Aegypten zu schließen. Gegen diese Ansicht erhob sich Lepsius 2 ), "indem er alle diese Funde für zufällige Ergebnisse der Zersplitterung des Gesteins durch solare und atmosphärische Einflüsse erklärte". Diese Ansicht erregte überall großes Aussehen.

Herr Dr. Reil zu Cairo, "der Begründer des frühern Clinicums in der Abbasieh und jetzt des Schwefelbades Hélwan (oder Hélouan) bei Cairo", hat aber bei Hélouan nicht sehr weit von Cairo, eine Menge von feuersteinernen Werkzeugen gefunden, welche die Ueberzeugung aufdrängen, daß wir es "hier nicht mit angeblichen Naturspielen, sondern mit Werkzeugen von menschlicher Thätigkeit zu thun haben". Herr Dr. Reil, welcher die Funde mit Aufmerksamkeit durchforscht hat, hat darauf im Sommer 1873 photographische Abbildungen mit Beschreibungen an die anthropologische Gesellschaft zu Berlin geschickt 3 ), ohne hier jedoch ein bestimmtes Ergebniß zu erzielen.

Jetzt (im Mai 1874) hat Herr Dr. Reil Sr. K. H. dem Großherzoge Friedrich Franz von Meklenburg= Schwerin,


1) Vgl. die übersichtliche Darstellung von Dr. Lauth zu Alexandria im Correspondenz=Blatt der Deutschen Gesellschaft für Anthropologie etc. . 1873, Mai, Nr. 5, S. 30 flgd.
2) Vgl. daselbst.
3) Vgl. Correspondenz=Blatt etc. . 1873, Juni, Nr. 6, S 41, und August, Nr. 8, S. 57.
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welcher im Anfange des Jahres 1872 Aegypten bereiste und im Januar und Februar auch in Cairo war, für die Sammlungen zu Schwerin über 100 Stück Feuersteingeräthe geschenkt, welche er selbst bei Hélouan gesammelt hat und dieselben mit einem Fundberichte begleitet.

Diese Fundgegenstände von Feuerstein sind folgende:

1) "6 sägeförmig bearbeitete Silexsplitter."
Dies sind sehr regelmäßig und geschickt geschlagene Feuersteinspäne oder sogenannte Messer von 1 Centim. Breite und 3 bis 4 Centim. Länge, mit einer glatten Unterseite und drei bis vier Oberseiten, von trapezoidischem Durchschnitt, genau so gearbeitet wie die nordischen Spanmesser; die Zahnung der scharfen Seiten zu Sägen ist äußerst fein, regelmäßig und geschickt.

2) "25 gut charakterisirte Pfeilspitzen."
Dies sind sehr geschickt, sicher und regelrecht geschlagene dreiseitige glatte Spitzen mit einer glatten Unterseite und zwei glatten Oberseiten, meistens 3 Centim. lang, auch etwas länger und kürzer. Diese Pfeilspitzen sind auf den Oberflächen und Schneiden nicht gekröselt oder muschelig gedrückt, wie die bessern nordischen gewöhnlich zu sein pflegen, sondern einfach und sicher geschlagen. An vielen Exemplaren ist die Schlagmarke sehr deutlich ausgeprägt.

3) "28 untaugliche Pfeilspitzen."
Dies sind unvollkommene Exemplare von verschiedener Länge, aber alle geschlagen, theils von dreiseitigem, theils von trapezoidischem Durchschnitt. Einige zeigen auch die Schlagmarke.

4) "20 Kratzer, Schaber, größere unvollkommene Pfeilspitzen",
meistentheils Späne, ähnlich den Sägen, größtentheils von trapezoidischem Durchschnitt, zum Theil auch mit der Schlagmarke, vielleicht theils Messer, theils Pfeilspitzen.

5) "6 größere Schaber oder Messer",
wie die Messer und Sägen, aber stärker, größer und unvollkommener, einige auch mit der Schlagmarke.

6) "18 bei Bearbeitung des "Silex abgefallene Splitter ohne Deutung",
offenbar unregelmäßiger Abfall bei der Arbeit, einige Exemplare auch mit einer Schlagmarke.

7) "6 Kerne (nuclei) von "Silex, an welchen die Arbeit des Abschlagens der Splitter ersichtlich",

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derbe Knollen von ungefähr 3 Centim. Durchschnitt und Länge, mit vielseitiger Oberfläche durch das Abschlagen der Späne gebildet.

8) "4 natürliche Kieselsplitter und abgewetzte Kiesel" (Feuersteinbrocken) "aus einem zwischen zwei Thonschichten vorkommenden Kieselgeschiebe vom Plateau von Hélouan über dem tertiären Kalk."

Alle diese hier aufgeführten Gegenstände haben ihre Form ohne Zweifel durch Menschenhand erhalten.

Herr Dr. Reil giebt zu dieser Sendung und Aufzählung folgende handschriftliche Erläuterung.

"Ueber die in Hélouan bei Cairo (Aegypten) gemachten Funde an Silexinstrumenten.

Locales und Geologisches.

Vier Stunden (26 Kilometer) von Cairo südlich, zwischen den Bergzügen der arabischen Wüste und dem Nil, liegt in einer Ausdehnung von ungefähr 4 Kilometer ein sandiges und felsiges Plateau, das nicht nur 8 lauwarme Schwefelquellen (dem Bad=Etablissement Hélouan dienstbar) enthält, sondern auch sonst wie ein Schwamm mehrere Wasseradern in seinem Boden zwischen thonigen Sandschichten birgt, die dem tertiären Kalk aufgelagert sind. Dieser Umstand reichlicher Wassermenge, wenn auch salzigen Wassers, ist um so auffallender, als das Plateau von Hélouan 40 Meter über dem mittleren Wasserspiegel des Nil und 1-4 Kilometer vom Nil östlich liegt, auch kein nennenswert hoher Gebirgszug vorhanden ist, der als Druckwerk wirken könnte. Es bleibt nur die Annahme, daß dieselben vulkanischen Kräfte, welche die Schwefelquellen aus einer, der Temperatur von 32 ° Cels. nach, nicht unbedeutenden Tiefe heraufbefördern und in Masse von über 1000 Cubikmeter täglich frei abfließen lassen, durch Durchsickerung in die umgebenden Bodenschichten letztere fortwährend durchtränken. - Die Oberfläche des Plateaus von Hélouan besteht theils aus von den Bergen herabgewaschenem Kalksteingeröll, theils aus Sand, thonigem Sande, halbverwittertem Gyps, dünnen Kochsalz= und Magnesia=Lagern und compact gewordenem Sande, einer Art Sandstein jüngster Formation, in welchem große

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Stücke versteinerten Holzes und Kieselknollen an einzelnen Stellen gefunden werden. (Miocen=Bildung.)

Geschichtliches.

Wenngleich es bisher nicht gelungen ist, den geschichtlichen Beweis dafür zu liefern, daß die Schwefelquellen von Hélouan früher als zur ersten arabischen Zeit ausgedehnter Benutzung übergeben wurden, so läßt sich doch bei den bekannten und allen Völkern zu allen Zeiten inwohnenden Vorliebe für Quellen, besonders warme und sonst ausgezeichnete, annehmen, daß auch die Schwefelquellen von Hélouan in frühester Zeit wenigstens bekannt waren und von den damaligen Einwohnern Aegyptens besucht und benutzt wurden. Die älteste historische Quelle findet sich bei dem arabischen Compilator Macrisi, welcher erzählt, daß der ägyptische Herrscher Abdul Assis ibn Maruan beim Ausbruche der Pest 1 ) Fostad (erste Ansiedelung der Araber vor Gründung Cairos) verließ, sich gegen Osten in die Wüste an einen Ort zurückzog, wo er die Quellen fassen, Bäder, Palläste und Moscheen bauen ließ, Datteln und Weinreben pflanzte und lange mit seinem Hofstaat und Soldaten residirte. Fassung und Badebassin der großen Hauptquelle ist auch vom Unterzeichneten wieder aufgefunden worden, sowie auch zahlreiche Trümmerfelder auf dem ganzen Plateau alte arabische Bauten nachweisen lassen. Eine halbe Stunde östlich im Gebirge befindet sich auch ein kegelförmiger Berg, der an seiner Spitze durch einen 4 m. Durchmesser haltenden behauenen Schacht 21 m. tief durchbohrt ist und - aus den Trümmern eines Sarkophags aus schwarzem Granit zu schließen - wahrscheinlich einem alten ägyptischen Könige, vielleicht vor dem Pyramidenbau, zur Grabstätte diente. Inschriften fehlen.

Fundstelle der Silexgeräthe.

Seit December 1871, wo Unterzeichneter die ersten Silexsplitter von Menschenhand geschlagen auffand, hat derselbe gegen 10 Fundstellen entdeckt, die alle das gemeinschaftlich haben, daß sie sich in fast unmittelbarer Nähe der neu aufgefundenen Schwefelquellen und anderer wasserreichen Orte finden. Die Silexsplitter liegen hier lose auf dem Sande, manch=


1) Um 722 n. Chr.
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mal viele zusammen, manchmal über einen großen Raum durch Wind und Regengüsse zerstreut. Nie finden sich in unmittelbarer Nähe der Fundstellen Lager von Silexknollen der Wüste, entgegen den sogenannten Fundstellen von Hamy, Lenormant und Arcelin, die ihre angeblichen Silexwaffen grade inmitten unzählbarer Knollen der Kieselgeschiebe auf den Bergen auflasen.

Material und Bearbeitung.

Das Material, aus welchem die Silexsplitter herausgeschlagen sind, ist so verschiedenartig an Farbe, daß Unterzeichneter der Ueberzeugung ist, nur zum geringen Theile seien die in den Wüsten um Hélouan herum und in der gegenüberliegenden lybischen Wüste vorkommenden Silexknollen benutzt worden, sondern man habe das Material aus anderen Gegenden, zum Theil wenigstens, bezogen. Während nämlich schwarze und braune, auch graue Silexknollen in den beiden Wüsten nahe Hélouan genug vorkommen, fehlt die reine gelbe oder rosenrothe Feuersteinsorte daselbst gänzlich. Unterzeichneter hat letztere aber zahlreich in den Kalkfelsen, z. B. Miniéh gegenüber, gefunden.

Was die Methode der Bearbeitung anbetrifft, so übergeht der Unterzeichnete etwaige hierauf bezügliche Versuche und Hypothesen. Die Merkmale menschlicher Bearbeitung stehen bei den Kennern von Silexwaffen fest. Täuschungen sind bei den in Hélouan gefundenen Gegenständen nicht möglich, wohl aber bei den oberägyptischen Funden der oben angeführten Gelehrten. Einige der beigeschlossenen Sammlung angefügte Stücke (Nr. 8) von Kieselsplittern, die in einer zwischen Thonlagern eingeschlossenen miocenen Schicht Kieselgerölle gefunden wurden, wo ähnliche nach vielen Tausenden aufzulesen wären, mögen als Beispiel dienen, daß lackartiger Ueberzug und ausgebrochene Facetten nicht untrügliche Merkmale von durch Menschenhand hergestellten Silexgeräthen sind. Weit wichtiger ist die immer unwandelbar wiederkehrende Form der Silexsplitter -, hervorgebracht theils durch die Spaltungsgesetze der Silexknollen - muschelig -, theils durch die Intention des Schlagenden, der einen Gegenstand von bestimmter Form zu einem bestimmten Ge=

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brauch herstellen wollte: z. B. Pfeilspitzen, Messer, Schaber und Kratzer in Form von Meißel oder Säge. Letztere Form vor Allem, sowie die beigelegten nuclei, an deren Facetten man die menschliche Bearbeitung am deutlichsten sieht, möchte wohl den hartnäckigsten Zweifler überzeugen, daß dergleichen Formen nicht ein Spiel des Zufalls sein können.

Die Frage, ob die in Hélouan gemachten Funde einer sogenannten prähistorischen Zeit von Aegypten anzupassen sind, wagt Unterzeichneter nicht zu bejahen, da er die Behauptung aufzustellen wagt, man könne in Aegypten vielleicht selbst noch im ersten Zeitraum arabischer Herrschaft Pfeilspitzen aus Silex statt eiserner gebraucht haben, so gut als die jetzigen Beduinen noch Luntenflinten führen, trotzdem daß sie Percussionsgewehre à 2 Rth. in allen Läden Cairos kaufen können. Prähistorisch ist eben ein sehr relativer und elastischer Begriff."

Hélouan bei Cairo, 1873.

Dr. W. Reil."

 

Aus dem Vorgetragenen wird hervorgehen, daß diese bei Hélouan gefundenen Gegenstände ohne Zweifel von Menschenhand absichtlich hergestellt find, gleich denen im nördlichen Europa gearbeiteten, und nicht durch ein Spiel von Naturkräften gebildet sein können; die Bildung durch Menschenhand ist dem Kenner auf den ersten Blick klar. Ob aber diese Geräthe Zeugnisse für eine "prähistorische Cultur", d. h. für eine Steinzeit, in Aegypten sind, das mag noch unentschieden bleiben, bis man dort Gräber aus der Steinzeit (Dolmen) mit gleichen oder ähnlichen Geräthen oder kunstreicher bearbeitete Geräthe aus Feuerstein findet. Lepsius 1 ) glaubt, daß man aus diesen Geräthen nicht auf eine "prähistorische Zeit" schließen könne. Ich möchte es aber doch glauben, da man in allen anderen Gegenden aus solchen Geräthen auf das Vorhandensein einer vorgeschichtlichen Steinzeit schließen kann und zu schließen das Recht hat, und nicht einzusehen ist, warum Aegypten nicht auch eine Steinzeit, welche sicher immer sehr alt ist, gehabt haben sollte. Freilich ist es wohl möglich, daß manche Geräthe aus


1) Vgl. Correspondenz=Blatt a. a. O., 1873, Nr. 8, S. 57.
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dem wohlfeilen und nutzbaren Feuerstein, wie Pfeilspitzen und Messer, aus der prähistorischen in die historische Zeit übergegangen sind. Aber deshalb braucht man die Steinzeit nicht gerade ganz zu leugnen.

Schwerin, im Mai 1874.

Dr. G. C. F. Lisch.