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III. Zur Siegel und Wappenkunde.


Spuren der Thiersage auf mittelalterlichen Siegeln.

Im Jahre 1319 wurden sämmtliche Pfarren und auch sonstige geistliche Lehne des Bisthums Ratzeburg unter der Leitung M. Peters, des Pfarrers zu Schönberg, abgeschätzt. Im Geh. und Haupt=Archiv zu Schwerin und im Archiv des Stifts Ratzeburg zu Neustrelitz wird noch eine große Anzahl von jenen kleinen Pergamenten aufbewahrt, auf denen die einzelnen Pfarrer ihre jährlichen Einkünfte beurkundet haben. Manche von diesen Priestern führten selbst ein Siegel, andere ließen ihre "Taxa" durch M. Peter besiegeln, noch andere ersuchten einen benachbarten Amtsbruder, der im Besitz eines Siegels war, um solchen Dienst.

Alle uns erhaltenen Taxen sind nun bereits im sechsten Bande des Meklenburgischen Urkunden=Buches abgedruckt. Aber des anhangenden Siegels wegen wiederholen wir hier die daselbst unter Nr. 4119 zu findende Taxe der bei Klüz gelegenen Pfarre Elmenhorst aus dem Original auf Pergament im Archiv zu Neustrelitz. Sie lautet so:

Ego Gerhardus, rector ecclesie in Helmhorst, recognosco, beneficium meum annuatim residenti valere XVI 1/2 marcas Lubicensis monete de mansis, de altari vero XII marcas slauicalis monete. Sigillo carui, et ob hoc sigillo domini Gotscalci Lupi, rectoris ecclesie de Clutze, sum vsus.

Das Meklenb. Urkunden=Buch giebt hiezu die Bemerkung: "An dem aus dem Pergamente geschnittenen Bande hängt ein parabolisches Siegel, auf dem ein stehender Mann mit einem Krückenstabe (St. Antonius?). Die Umschrift ist nicht zu erkennen."

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Bei dieser Siegelbeschreibung ist aber ein Irrthum untergelaufen.

Siegel

Das (oben verletzte) parabolische Siegel, welches an der Elmenhorster Taxe hängt und nach der Angabe des Elmenhorster Pfarrers Gerhard das Siegel des Klüzer Pfarrers Gottschalk Wulf sein soll, zeigt nicht einen Mann mit einem Krückenstabe, sondern vielmehr, wie man auch aus dem hieneben stehenden Holzschnitt, der nach des Geschichtsmalers Milde zu Lübek vom Original genommener getreuer Zeichnung angefertigt ist, ersehen kann, einen nach menschlicher Weise aufgerichteten Wolf, der an einem in der linken Tatze gehaltenen Krummstab nach links hin schreitet und mit der rechten Tatze einen Vogel am Halse fortträgt. Der Vogel ist nicht mehr genau zu bestimmen; er kann, da man auf dem Kopfe keinen Kamm wahrnimmt, für einen Hahn nicht angesehen werden, wahrscheinlich soll er eine Gans sein.

Von der Umschrift ist es mir so wenig wie Milde gelungen, die ersten 4 oder 5 erhaltenen, aber etwas verschobenen Buchstaben mit Sicherheit zu entziffern; dann aber sieht man klar: Umschrift -. Der nächste Buchstabe ist verstümmelt, wie ihn der Holzschnitt zeigt, man kann ihn als K oder R oder B ergänzen, und die nächsten sind nicht mehr sicher zu lesen.

Für diese Angaben glaube ich um so mehr einstehen zu können, da nicht nur Herrn Milde's geübtes Auge ganz dasselbe gesehen hat wie ich, sondern auch Herr Geh. Archivrath Dr. Lisch und Herr Archivrath Dr. Beyer meiner Auffassung beigetreten sind. Zu bedauern bleibt übrigens, daß ein zweiter Abdruck dieses Siegels, welcher an der von "Gotscalcus dictus Lupus, rector ecclesie parrochyalis in Clutze", ausgestellten Taxe der Pfarre zu Klüz 1 ) gehangen hat, gänzlich abgefallen und verloren gegangen ist. Vielleicht hätte uns dieser zu Anfang der Umschrift noch die Buchstaben Umschrift gegeben und uns der Mühe überhoben, den Schluß durch eine Conjectur zu ergänzen. Wahrscheinlich gehen wir aber nicht fehl, wenn wir die ganze Umschrift so verstehen:

Umschrift

Denn einmal ist uns im Bisthume Ratzeburg kein anderer Ort bekannt, der mit  anhöbe, zum andern aber


1) Abgedruckt im Meklenb. Urkunden=Buch VI, Nr. 4120.
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war Schwarzenbek im Lauenburgischen im 13. und 14. Jahrhundert im Besitze eines ritterbürtigen lauenburgischen Geschlechtes Wulf. Der lauenburgische Ritter Albert Wulf, welcher von 1288-1325 in Urkunden erscheint und am sachsen=lauenburgischen Hofe sehr angesehen war, auch 1308 als herzoglich sächsischer Commissar an der Wahl Heinrichs von Luxemburg zum deutschen König Theil genommen hat 1 ), wird mitunter geradezu auch Albert Wulf von Schwarzenbek oder Wulveke von Schwarzenbek genannt 2 ).

Ein Siegel dieses Ritters habe ich leider nicht beschrieben oder abgebildet gefunden; doch ist anderweitig bekannt, daß das lauenburgische Rittergeschlecht Wulf zu jenen lauenburgischen Familien (Scharpenberg, Züle etc. .) gehörte, die einen Stral im Schilde führten. Das Schildsiegel des Detlev Wulf vom J. 1302, welches bei Milde, Siegel des Mittelalters H. VI. auf Taf. XIII unter Nr. 185 abgebildet ist, enthält einen rechtsgewendeten geschachten Stral, und auf dem Helmsiegel Eckhard Wulfs vom J. 1384 (ebendaselbst unter Nr. 186 dargestellt) sehen wir den Helm mit einem Stral geziert.

Von diesem Wappenbilde weicht nun freilich das Siegelbild des Pfarrers Gottschalk Wulf weit ab; aber aus dieser Verschiedenheit folgt noch keine Berechtigung die Annahme zu verwerfen, daß jener Pfarrer aus der Familie der Wulf von Schwarzenbek stammte, vielleicht auch ursprünglich in Schwarzenbek oder anderswo eine Vicarei verwaltete und sein altes Siegel nicht nöthig fand durch ein neues zu ersetzen, als er die Pfarre zu Klüz erlangte. Denn abgesehen davon, daß Geistliche mitunter sogar eine Wappenfigur führten, die nicht die ihres Geschlechts war 3 ), war es ja ganz gewöhnlich, daß Cleriker in älterer Zeit ihr Wappen gar nicht ins Siegel aufnahmen, sondern dafür ein Heiligenbild, oder etwa einen Kelch, oder ein Rauchfaß, oder ein anderes heiliges Geräth zum Siegelbilde wählten.


1) Lupus de Swartenbeke, miles[Abb]. Siehe Schlesw.=Holst.=Lauenb. Urkunden=Sammlung II, S. 69.
2) Albertus Lupus, miles, 1288 (Schlesw. Holst. Lauenb. Urk.=Samml. I, S. 128; Meklenb. Urk. Buch III, S. 326); Albertus Lupus, 1289 (Meklenb. Urk.=Buch III, S. 342); Wlueke de Swartenbeke, 1291 (Lüb. Urk.=Buch I, 516, 522; Meklenb. Urk. Buch III, S. 408, 420); Albertus Lupus, miles, 1294 (Meklenb. Urk.=Buch III, S. 537); Albertus Wulf, 1296 (das. S. 644); Albertus Lupus de Swartenbeke, 1296 (Schlesw. Holst.=Lauenb. Urk.=Samml. I, 529); Albertus Wolf de Swartzenbeke, miles, 1325 (das. II, S. 56); Wulff de Swartenbeke, miles, 1325 (das. II, S. 63).
3) S. Wigger, Gesch. der Familie von Blücher I, S. 190.
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Immerhin aber bleibt es merkwürdig genug, daß der Priester Gottschalk Wulf gerade darauf verfiel, statt einer Heiligenfigur oder eines ähnlichen Bildes, ein Thierbild, einen Wolf, zu wählen, der an einem Krummstabe einherschreitet und eine Gans davonträgt. Dieses Bild unterscheidet sich selbst noch wesentlich von solchen Siegeln, die uns einfach eine Scene aus dem Thierleben vorführen, etwa einen Fuchs mit einer Gans oder einem Hahn im Maule auf dem Schilde oder auf dem Helme 1 ).

Siegel

Merkwürdiger als letztere erscheint uns allerdings schon das aus dem Meklenb. Urk.=Buch Bd. VIII, S. 470, hieneben wiederum abgebildete Siegel des Burchard Wulf (aus dem östlichen Meklenburg), welches der Knappe Heinrich Wulf statt des seinigen an eine Urkunde gehängt hat, die Heinrich und Segeband Thun am 17. Octbr. 1334 für das Kloster Dargun ausstellten 2 ). Auf diesem Siegel sehen wir hinter dem Wappenthiere, dem steigenden Wolf, im linken oberen Schildwinkel noch einen Mann in langen Kleidern mit einem Stabe in der Rechten. Doch ist diese Figur im Hintergrunde zu undeutlich, als daß sie sich ohne anderweitige Analogien befriedigend erklären ließe.

Der Krummstab in der Tatze des nach menschlicher Weise einherschreitenden Wolfes mit der Gans beweist deutlich genug, daß auf dem Siegel des Priesters Gottschalk nicht Thierleben veranschaulicht, sondern eine Thiersage dargestellt werden sollte.

Wenn man erwägt, daß in der Thiersage des Mittelalters die Geistlichkeit nicht eben respectvoll behandelt wird, mag es immerhin befremden, aber es ist Thatsache, daß die Geistlichkeit die Thiersage liebte; sonst wäre es nicht zu erklären, daß diese so häufig in den Kirchen als Ornament verwendet ist. Um einige Beispiele aus nächster Nähe anzuführen 3 ), war - nach Dr. Crull's Mittheilung - an den Chorschranken zu St. Marien in Wismar noch vor 50 bis 60 Jahren ein Medaillon zu sehen, auf welchem der Fuchs


1) Hildebrand, Herald. Musterbuch, Taf. XIX, Fig. 23, 27, 29.
2) Meklenb. Urk.=Buch VIII, Nr. 5544.
3) Ueber im Straßburger Münster angeblich 1298 "in Stein gehauene Thiergestalten, die offenbar zu der Fabel von Reinhart gehörten", vgl. J. Grimm, Reinhart Fuchs, S. CCXVIII.
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dargestellt war, wie er den Gänsen predigt. In Lübek sind - nach Milde's Angabe - bei den Dominicanern (in der Burgkirche) an den Kragsteinen Scenen aus der Fuchsfabel angebracht, und auf den Schlußsteinen der Bögen unter dem Chor der Katharinenkirche finden sich die drei Darstellungen, wie der Fuchs mit Stab und Kapuze vier Gänsen predigt, wie ihn zwei Gänse am Galgen emporziehen, und wie er mit einer Gans im Maule davonläuft, während eine andere Gans auf dem Rücken am Boden liegt 1 ). Also auch hier wieder der predigende Fuchs! Das merkwürdigste Zeugniß aber für die Beliebtheit und die Verbreitung der Fuchsfabel in unsern Gegenden, lange bevor (1498) das Thierepos Reineke de Vos niederdeutsch zu Lübek herauskam, liefert jedenfalls die von Milde im ersten Bande der Zeitschrift für Lübekische Geschichte und Alterthumskunde abgebildete und erläuterte (nach den Wappen auf den Säumen zu schließen, wohl aus dem Hause der Grafen von Holstein stammende) gestickte Altardecke aus dem Anfange des 14. Jahrhunderts mit einer Reihe von Darstellungen aus der Fuchssage. Hier sehen wir abermals den Fuchs, wie er, bekleidet mit einer Kapuze, den Krückstock in der Linken, dreien Gänsen predigt, und daneben das Bild, wie er mit einer Gans im Maule davon läuft.

Man könnte darum, ohne eine Anschauung unsers Siegels, wohl versucht sein, anzunehmen, daß auch Gottschalk Wulf diese anscheinend sehr beliebte Darstellung gewählt habe; denn in der That sind auf den Siegeln Fuchs und Wolf ja oft sehr schwer zu unterscheiden. Aber, wie der oben abgebildete Holzschnitt zeigt, ist hier der Typus des Wolfes ganz unzweideutig und unverkennbar ausgeprägt, das Thier führt überdies - abweichend von jenen Darstellungen - hier den Krummstab und hält auch die Gans nicht im Rachen; und selbst wenn das Bild auch weniger klar wäre, würde es schon des Namens wegen auf einen Wolf zu deuten sein. Man darf nun aber nicht etwa annehmen, der Pfarrer von Klüz habe einfach das Thier, dessen Namen er trug, dem Fuchs substituirt, vielmehr liegt die Deutung näher, daß er seine eigene Person in humoristischer Weise bildlich als Wolf darstellte, und zwar unter Anleitung der Thiersage, zu deren ältesten Bestandtheilen die Darstellung des Wolfes als Mönch gehörte.


1) Zeitschr. des Vereins f. Lüb. Gesch. I, S. 127.
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Schon in einem lateinischen Gedichte des 10. Jahrhunderts, der Ecbasis cujusdam captivi per tr[o]pologiam 1 ), wird vom "Meister" Wolf erzählt, daß er bereits fast 8 Jahre ein Mönchsleben geführt und seit drei Monaten kein süßes Fleisch gekostet hat, dann aber, wie er seine geistlichen Lieder durch den Wald hin singend ein verirrtes Kalb antrifft, dieses am nächsten Morgen zu verzehren beschließt. Indessen der Stier und seine Genossen belagern ihn, der Fuchs lockt ihn mit List aus seiner Höhle im Wasgau, und der Stier stößt ihn nun nieder. Eine weitere Spur von dem Mönchthum des Wolfes findet sich im Luparius aus der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts 2 ); im Isengrimus (aus dem 12. Jahrh.) nennt (V. 613) der Bock den Wolf spöttisch einen Abt. Im Reinardus läßt sich Isengrim vom Fuchse eine Tonsur scheeren und ins Kloster Blandinium führen, aber wegen seiner üblen Aufführung ertheilen die Mönche ihm spöttisch mit Schlägen und Stößen die Weihe, so daß er entflieht 3 ). Endlich findet sich im Reinaert von Willam die Matoc, einem flandrischen Dichter des 13. Jahrhunderts, die Beichte des Fuchses, und namentlich seine Erzählung, wie er Isengrim im Kloster Elemar zum Mönch gemacht und ihm dann die schlimmsten Abenteuer bereitet hat (V. 1486 f.), schon ebenso, wie wir sie aus der 1498 gedruckten niedersächsischen Bearbeitung, dem Reineke Vos (I. 17), kennen.

Die Geschichten, welche Reineke aus dem Mönchsleben Isengrims mittheilt, eigneten sich natürlich nicht für ein Siegelbild. Ueberhaupt zeigt uns das in Rede stehende Siegel wohl kaum ein einzelnes Abenteuer 4 ), vielmehr stellt der Pfarrer Gottschalk Wulf den Wolf einfach dar, wie er als Mönch vom Einsammeln zurückkehrt; sein Rachen ist schon geöffnet, Isengrim kann kaum die Zeit erwarten, wo er seinen heimgebrachten Fang verzehren mag. -

Auf diese Betrachtungen über ein Siegelbild aus der Thiersage mögen nun noch einige Bemerkungen folgen über die vielleicht gleichfalls aus der deutschen Thiersage zu deutende Wappenfigur eines alten meklenburgischen Adelsgeschlechts, der von Bellin.


1) Grimm und Schmeller, Lat. Gedichte des X. und XI. Jh., S. 243 f.
2) J. Grimm, Reinhart Fuchs, S. CXCI.
3) Daselbst S. LXXIV.
4) Die bei Grimm, Reinhart S. 315, mitgetheilte Fabel (aus dem 13. Jahrhundert): "Der Wolf und die gense", ist anderer Art; hier erscheint auch der Wolf nicht im geistlichen Gewande.
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Dieses Geschlecht ist nicht wappenverwandt und allem Ansehen nach überhaupt nicht verwandt mit den drei brandenburgischen Familien, welche v. Ledebur in seinem Preußischen Adelslexikon (I, S. 45) behandelt hat. Von diesen letzteren führte die eine Familie (welche 1751 erloschen sein soll) "im blauen Felde Kopf und Hals eines Adlers oder Hahns", die zweite (am Ende des 17. Jahrhunderts ausgestorbene) einen "Stamm mit Blättern"; das Siegel der dritten, welche nach v. Ledebur noch in der zweiten Hälfte des 17. Jahrh. zu Fehrbellin saß, woher auch die beiden ersten stammten, war "getheilt, oben drei Schwerter, unten ein Löwe". Von diesen drei brandenburgischen Familien ist die eine dadurch, daß Jakob Heinrich v. Bellin die Erbjungfrau Katharine Barstorf heirathete, 1618 allerdings auf eine Weile auch in Meklenburg (auf Barstorf, Qualzow und Zahren) ansässig geworden; sie geht uns hier aber nicht an. Wenn dann aber v. Ledebur (S. 46) hinzufügt, daß es auch in Meklenburg verschiedene, nunmehr ausgestorbene Familien dieses Namens gegeben habe, von denen die eine drei Rosen, eine andere einen Widderkopf im Schilde führte: so wird die erste dieser beiden Angaben aus einer unzuverlässigen Quelle geflossen sein. Wenigstens ist mir nie ein Siegel der v. Bellin in Meklenburg mit drei Rosen vorgekommen, wohl aber mehrere mit dem Widderkopf.

Die v. Bellin werden bis 1273 in den meklenburgischen Urkunden nie genannt; am 5. Aug. 1273 aber erscheint zu Güstrow in der Umgebung des Fürsten Nicolaus von Werle der Ritter Johannes de Belin, und 1274 auch der Knappe Bernardus de Bellyn, der bald hernach die Ritterwürde erworben haben muß, da am 29. Juni 1277 bei den Fürsten Heinrich und Johann von Werle "milites Johannes et Bernardus fratres de Belin" als Zeugen genannt werden. Beide kommen dann nach Ausweis des Personenregisters zum Mekl. Urk.=Buch IV, B, S. 118 noch oft in werleschen Urkunden vor. Ihre Nachkommen besaßen das Stammgut Bellin (in der Herrschaft Werle, zwischen Güstrow und Krakow) noch mindestens 1424 und allem Ansehen nach bis zum Abgange des Geschlechts um die Mitte des 15. Jahrhunderts.

Das älteste bekannte Siegel dieser Familie v. Bellin ist das hieneben abgebildete

Siegel
Umschrift
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mit dem vorwärts schauenden Widderkopfe. Es hängt an einem (nach dem Original auf der Lübeker Trese im Urkunden=Buche der Stadt Lübek II, 2, S. 616 gedruckten) vom 1. Octbr. 1337 datirten Schuldbriefe des Knappen Nicolaus v. Bülow auf Zibühl, dessen Bürge "Johannes Bellyn" war; und ein zweites Exemplar dieses Siegels hat sich erhalten an einer im Klosterarchiv zu Dobbertin aufbewahrten Urkunde, welche die Fürsten Nicolaus und Bernhard von Werle am 25. Aug. 1342 zu Güstrow ausgestellt haben. Ganz dieselbe Figur führte auch noch "Clawes Bellin, wanaftich to Bellin", auf dem Schilde in seinem runden Siegel, von dem ein Abdruck an einer (im Großh. Geh. Archiv zu Schwerin befindlichen) Urkunde vom 6. Januar 1424 erhalten ist.

Dieses Wappen hat nun schon früh die Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Der um die Genealogie des meklenburgischen Adels hochverdiente v. Hoinckhusen bemerkt in seinem Manuscript (um 1740) von den meklenburgischen v. Bellin, sie hätten "nach Zeugnis derer angetroffenen alten "Siegel einen Widderkopff im Schilde geführet". "Da nun", fährt er fort, "in der vormahligen Landes=Sprache Schaff "Bellin benähmet worden, so bin der Meynung, daß sie annoch Sclavischer Abkunfft".

Ohne Zweifel hat v. Hoinckhusen Recht, wenn er den Ortsnamen Bellin für wendisch ansieht; wir finden ihn nämlich in mehreren ehemals wendischen Gegenden, in Holstein bei Lütjenburg, in der Altmark (Alt= und Neuen= oder Nieder= und Hohen=Bellin), im Brandenburgischen (Fehrbellin), ein anderes Bellin bei Königsberg in der Neumark, ein anderes bei Ukermünde. Aber ein Irrthum ist es freilich, wenn v. Hoinckhusen dem Namen die Bedeutung "Schaf" giebt. Für ein redendes Wappen möchte übrigens auch ich den Widderkopf, den die Herren v. Bellin führen, ansehen, nämlich für das Haupt des Widders in der Thiersage.

An sich ist die deutsche Deutung eines wendischen Ortsnamens gar nicht auffallend; es giebt dafür gar viele Beispiele. Der Name der Stadt Kröpelin ist ohne Zweifel ein wendischer; noch in wendischer Zeit, 1177, besaß das Kloster Doberan "Crupelin", das damals noch ein Dorf war. Die Stadt deutete hernach aber ihren Namen deutsch aus, indem sie einen auf Händen und Füßen kriechenden Krüppel (niedersächsisch kröpel) unter dem Schild mit dem Stierkopfe in ihr ältestes Stadtsiegel aufnahm 1 ). Das älteste Stadtsiegel von


1) S. die Abbildung des Siegels im Mekl. Urk.=Buch V, S. 300.
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"Godebuz" zeigt nur den Stierkopf; nachdem man aber den wendischen Namen Godebuz deutsch in Gadebusch umgedeutet hatte, nahm der Rath der Stadt, um doch auch den Busch im Siegel vertreten zu sehen - denn den Stierkopf legte man später dem Wendengötzen Radegast bei -, neben dem Stierkopf auch noch einen Busch in sein Secretsiegel auf 1 ).

Die v. Grävenitz führen bekanntlich einen Dachs auf dem Helm, weil ihr Name anklingt an das Appellativum greving, wie der Dachs im (älteren) niedersächsischen Dialekt (und namentlich auch im Reineke Vos) heißt. Dies ist also gewissermaßen eine Analogie zu dem Widderkopfe der v. Bellin; doch kann ich nicht sagen, seit wann diese Helmzier auf Siegeln erscheint. Und das mag auf den ersten Blick Bedenken gegen die obige Annahme erregen, daß schon im 13. Jahrhundert in unsern Gegenden der Widder der Thiersage den französischen Namen Belin oder Bellin (von beler=belare) geführt haben soll. Indessen kommt schon im Reinardus neben einem Widder, der den älteren Namen des Widders in der Thiersage, Joseph, führt, auch ein anderer mit dem Namen Belinus vor, im Renart heißt der Widder wiederholt Belin, und ebenso im Reinaert; der Name stand also im 13. Jahrhundert bereits längst in der Thiersage fest und wird mit dieser aus Nord=Frankreich und den Niederlanden über den Rhein nach Niedersachsen verpflanzt sein, wo, wie wir oben sahen, die Thiersage im Anfange des 14. Jahrhunderts bereits ausführlich bekannt war.

Ist unsere Annahme richtig, so enthält also auch das Wappen der Herren von Bellin eine Spur der Thiersage aus dem Mittelalter. Zur Gewißheit läßt sich freilich diese Vermuthung nicht erheben; es würde darauf ankommen, ob sie sich durch analoge Erscheinungen stützen läßt. Der Gegenstand erschien dem Verfasser interessant genug, um die Aufmerksamkeit der Sphragistiker auf denselben zu lenken; weiter bezwecken diese Andeutungen nichts. Mittheilungen über andere Spuren der Thiersage auf Siegeln würden sehr willkommen sein.

Schwerin.

Dr. F. Wigger.     



1) Beide Siegel sind abgebildet im Mekl. Urk.=Buch I, zu Nr. 315.