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IV.

Kleine Funde in Meklenburg

aus

wendischer und vorwendischer Zeit.

Von

wailand W. Freiherrn von Hammerstein ),

großherzoglich Meklenburg=Strelitzischem Staatsminister.

Mit einer Steindrucktafel.

W ie schwer es bei dem Mangel aller Aufzeichnungen ist, in die wendische Zeit und nun gar in die vorwendische zurückzublicken, das hat niemand gewiß mehr erfahren, als der bekannte Altvater Meklenburgischer Alterthumswissenschaft, der doch darunter so manches zu Tage gefördert hat. Um so mehr ist es Pflicht, die einzelnen Einblicke, die bei einer


†) Am 1. September 1872 schied der hoch verehrte und verdiente Verfasser, seit dem Jahre 1858 warmes und thätiges correspondirendes Mitglied unsers Vereins und eifriger, wirksamer Förderer jedes geschichtlichen Strebens, unerwartet aus seinem reichen Leben. Im Jahre 1871 hatte er an den Verein die folgenden Abhandlungen nebst andern eingesandt, von denen die Abhandlungen in den Jahrb. XXXVII, 1872, S. 172 bis 182, welche er noch abgedruckt gesehen hat, wegen des Zusammenhanges mit ähnlichen Arbeiten unter seiner Zustimmung zuerst zum Abdruck kamen. Die hier folgenden Abhandlungen erbat er sich im Julii 1872 auf einige Zeit zur Revision. Am 25. August 1872, also acht Tage vor seinem Tode, sandte er dieselbe "revidirt und augmentirt" zurück. Er starb, als gerade die Vorbereitungen zum Druck begannen. Mögen die folgenden Zeilen, welche wohl seine letzten wissenschaftlichen Arbeiten sind, ein theures Andenken an den Verewigten bleiben.
G. C. F. Lisch
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Umschau in die Quellen sich darboten, nicht verschwiegen zu halten; trägt sich doch zuletzt aus den einzelnen Körnlein, die hie und da gefunden werden, das Bild jener fernen Zeit mit einiger Wahrheit zusammen. Deshalb die nachfolgenden Mittheilungen, welche nach Zeit und Gelegenheit fortgesetzt werden sollen.


I. Aus vorwendischer Zeit.

Baalsdienst.

Einer der für die Ermittelung des Volks, welches vor den Wenden in Meklenburg wohnte, wichtigsten Funde ist der von Lisch vorzüglich im 24. und 25. Jahrgange der Jahrbücher besprochene Fund eines bronzenen Kesselwagens bei Peccatel, welcher dem bei Ystadt in Schonen gefundenen Kesselwagen merkwürdig ähnelt. Neuerlich hat Nilsson in seinem interessanten Werke: Die Ureinwohner des Skandinavischen Nordens, Bd. I. S. 26 und flgd. und S. 137, eine genaue Vergleichung zwischen beiden Kesselwagen und dazu verschiedene auffallende Bemerkungen geliefert, welche auch hier bekannt zu werden verdienen. Auch er vergleicht, wie Lisch, die beiden Wagen mit den Schalenwagen im Tempel des Salomon, und macht darauf aufmerksam, daß der Künstler, welcher die letzteren für den Tempel anfertigte, ein aus Tyrus gebürtiger Phönicier war. Er nimmt an, daß eben solche Wagen für den Baalsdienst der Phönicier in Tyrus angefertigt wurden, und da nach den von Nilsson gemachten Entdeckungen überhaupt der Baalsdienst durch die an den gesammten westlichen Küsten Europas mit ihrem Handel verkehrenden Phönicier nach Schonen verpflanzt wurde, wo sich noch mehrfache Spuren desselben finden, so schließt er weiter, daß die Phönicier auch mit ihrem Cultus ihre Opfer und die zum Cultus gehörenden Opfergefäße nach Schonen verbreiteten und auf ganz gleichem Wege nach Meklenburg 1 ).


1) Mit dem Baals=Cultus bringt er es in Verbindung, daß auf den Kegelgräbern in Schweden, was ja auch in Meklenburg der Fall ist, vielfach der Hagedorn noch jetzt gefunden wird und daß in Schweden die in keltischen Ländern so sehr als heilig hervortretende Mistel ebenfalls vom Landvolke besonders gepflegt und wirksam gehalten wurde.
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Nilsson erklärt zugleich den auffallenden Umstand, daß bei Peccatel Opferaltar, Opfergefäße, Kesselwagen, das Skelet (vermuthlich dasjenige eines Geopferten) nebst verschiedenen, wahrscheinlich zum Tempeldienst gehörigen Waffen, Geräthen und Schmucksachen aus Bronze und Gold etc. . mit einem steinernen Gewölbe bedeckt waren und darüber ein Erdhügel aufgeworfen war, in folgender sinnreicher Weise. Er sagt: Da, wo eine neue Religion in ein Land eindrang und sich geltend machte, mußten die Priester der alten Religion ihre Tempel und Opferstätten verlassen; aber bevor sie gingen, wollten sie ihre heiligen Tempelgeräthe vor Entweihung schützen, welches sie am besten dadurch bewerkstelligten, daß sie einen großen Erdhaufen darüber herwarfen. An andern Orten senkten sie dieselben ins Wasser, worin sich Torferde bildete, deshalb ähnliche Funde anderwärts in Torfmooren, so bei Ystadt in Schonen.

Diese Auslegung scheint besonders in Meklenburg eine zutreffende. Sie stimmt mit der sonst auffallenden Hindeutung auf den Kesseldienst, welche wir in den Namen einer Reihe von Meklenburgischen Orten finden. Ist es nicht bezeichnend, wenn gerade der Ort, wo der Kesselwagen gefunden wurde, den Namen Peccatel führt? Dieser Name, der im Mittelalter bald Pikkotel bald Pekkotel in Urkunden geschrieben wird, schließt nämlich wohl zweifellos das wendische Wort Kotol: Kessel, in sich. (Ob die Vorsylbe Pek auf Peklo, Hölle, oder auf Pec, Ofen, oder Pic, Trinken, oder Pica, Speise, zu deuten ist, steht dahin.) Daß aber das Wort Katel oder Kotel in Meklenburgischen Ortsnamen eine Beziehung zum Kesseldienst hat, möchte bei dem Orte Katelbogen bei Bützow ziemlich klar hervortreten; dieser Ort schreibt sich im Mittelalter Katelbo und Katelbog; die Endsylbe ist daher unzweifelhaft das wendische Bog: Gott, das wir in Belbog (im alten böhmischen Vocabulario ausdrücklich übersetzt mit: baal idolum), Zernebog und manchen andern Namen und namentlich Ortsnamen wiederfinden 1 ); es liegt


1) Hier ist darauf aufmerksam zu machen, daß auch Goldenbow im Mittelalter nicht so, sondern Goldenbo geschrieben wird, was ebensowohl bei den beiden Goldenbow im Schwerinschen, als bei dem nach Urkunden früher Goldenbow genannten Strelitzschen Goldenbaum ebenfalls auf Abstammung von bog schließen läßt, wohin auch andere in bow endigende Ortsnamen, als Stribbow etc. ., bei näherer Untersuchung zeigen können. Ein weiterer Belag, daß sich das bow in den Ortsnamen und namentlich in Goldenbow auf bog, Gott, zurückführt, ist darin zu finden, daß im Jahre 1500 ein Knappe "Goldenbogen, Knecht", unter den Edelleuten bei Rostock vorkommt, (  ...  )
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daher nahe, daß Katelbog einen Ort bedeutet, wo der Kesselgott verehrt, der Kesseldienst gepflegt wurde, und es verstärkt diese Vermuthung sehr auffällig der Umstand, daß grade Katelbogen das großartigste Denkmal in Meklenburg, eines der bedeutendsten Steingräber Deutschlands, hat (siehe Lisch Jahrbücher, 12. Jahrgang, S. 403). Sollte nicht das Zusammentreffen eines so bedeutenden Denkmals mit dem von einem Gotte hergenommenen Ortsnamen hier ein Heiligthum erwarten lassen? Möge das vom Verein her durch vollständige Aufdeckung des Denkmals untersucht werden, vielleicht findet sich auch hier noch ein Kesselwagen. Das Erscheinen des heiligen Geräths einer vorwendischen Zeit in den wendischen Ortsnamen hat nichts Auffälliges. Es scheint vielmehr, daß an Orten, wo die Wenden den Kesseldienst und dessen Spuren vorfanden, sie den Ort mit Rücksicht daraus benannten. Wie Katelbogen und die beiden Peccatel, das bei Schwerin und das bei Penzlin, sich daraus erklären, so wohl auch Kotelow bei Friedland, der Kätelberg, ein Begräbnißhügel bei Malchin (Jahrbücher B, VI, 30), und - wenn hier nicht etwa Abstammung von den Ketelhot zum Grunde liegt - Groß= und Klein=Köthel, das als Kotellde vorkommt, weniger wohl Katerbow in der Lieze, das im Mittelalter als Gaterbo erscheint. (Jahrbücher A, XVI, 226.)

Welches Volk aber war der Vorgänger der Wenden, welcher diese Spuren seines Gottesdienstes zurückließ? Strabo L. VII sagt von den Cimbern: Vates canae tödteten die gefangenen Feinde über einem Kessel, und weissagten aus dem herabtropfenden Blute. Von der Ostsee kamen die Cimbern nach dem Süden; sollten sie etwa auch in Meklenburg und zugleich ein Zweig derselben in Schonen gesessen haben? Oder waren es Gothen, auf welche jene merkwürdigen Geräthe hinweisen? Sie waren (siehe auch die neuesten Werke von Nilsson und Worsaae) zweifellos in Schonen; und an der Südküste der Ostsee, in Westpreußen, will man sie in den Witten erkannt haben. Es ist in der That nicht unwahrscheinlich, daß sie auch hier die Küste der Ostsee vor ihrer großen Wanderung inne


(  ...  ) der, sich von dem nahen Goldenbow schreibend, sicher dahin weiset, daß auch der Ort ursprünglich Goldenbog hieß. (Behrsche Geschlechts=Geschichte IV, S. 1.) Sollte auch etwa Boldebuck (bog) hierher gehören? Man untersuche die älteste Form dieses Namens; wer weiß, ob sie nicht ein Baltebog und damit die directe Hinweisung auf den Baalsdienst zeigt, der aus den Kesselwagen sich zu ergeben scheint.
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Stierbilder
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hatten; ist doch in ihrer Sprache, wie sie uns durch Ulphilas überliefert ist, ein starker niederdeutscher Anklang (dag, statt des hochdeutschen: tag u. s. w.) und giebt es doch auch in Meklenburg Ortsnamen, welche weder wendischen noch sächsischen Ursprungs zu sein scheinen. Wir stellen dabei oben an das alte Mikilenborg, das ja anerkannt dem gothischen Mikile: groß, entsprossen sein soll; dann aber Gamehl, vielleicht auch Gamelin und Gamelow, in welchem man das gothische gameljan: schreiben oder malen, erkennen möchte. Es genügt hier, die Aufmerksamkeit der Forscher auf diesen Umstand zu lenken; vielleicht finden sich noch fernere Anklänge 1 ).


II. Aus wendischer Zeit.

A. Stierdienst.

Auf einem anscheinend wendischen Götzendienst scheinen die Stierbilder hinzuweisen, welche, so viel wir wissen, bisher nur in Meklenburg=Strelitz gefunden sind. Das Strelitzer Antiquarium besitzt davon drei einander sehr ähnliche Exemplare, alle etwa 2 Zoll lang und 1 Zoll hoch. Alle drei sind von alter Bronze gegossen und zum Theil mit edlem Rost überzogen. Eins derselben, Nr. 1 der beigegebenen Abbildungen 2 ), ist nach Nachricht, die Professor Lewetzow in Neustrelitz ermittelt hatte, in Warbende beim Pflügen gefunden. Der Fundort der andern ist nicht bekannt. Aber Nr. 2 findet sich im Catalog der beim bekannten Goldschmied Sponholz zu Neubrandenburg vorhanden gewesenen Alterthümer, und ist auch in Potocki Voyage dans quelques parties de la Basse-Saxe unter andern Sponholzschen Antiquitäten in Fig. 94 abgebildet, wie denn auch der Alterthumssucher Boje bei v. Hagenows Runensteinen S. 13 bezeugt, daß solche Bilder bei Nachgrabungen gefunden seien. Ueber Nr. 3 ist gar keine Nachricht vorhanden; da aber Boje von Stierbildern spricht, so wird es vermuthlich


1) Nach Beendigung dieses Aufsatzes kam uns der interessante Aufsatz Virchows: Ueber Gesichts=Urnen, zu; auch dieser, S. 15, hält in Rücksicht auf die von Nilsson gemachten Entdeckungen und speciell auf die Bronzewagen Verbindungen von beiden Seiten der Ostsee wahrscheinlich, und weiset auf die Gothen hin.
2) Hiezu eine Steindrucktafel.
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auch aus dem Sponholzschen Antiquitäten=Cabinet herrühren, das in das Antiquarium zu Neustrelitz bekanntlich überging. Ein viertes, ganz ähnliches, aber nicht mehr vorhandenes Stierbild war zu Rödlin, nahe bei Warbende, beim Pflügen unter vielen kleinen Knöchelchen gefunden; ein Drath, der bei demselben die Hörner bildete, war in einem Loche beweglich. Jedenfalls sind diese Bilder für die Ermittelung des Götzendienstes der wendischen Zeit höchst beachtenswerth. Nilsson in: Ureinwohner des skandinavischen Nordens I. S. 57, fand in Schweden Spuren des phönicischen Kuhdienstes. Sollte mit dem Baalsdienst auch dieser Kuhdienst hier gewaltet haben, oder sind diese Bilder jüngeren Datums, und gehören sie nicht vielmehr der wendischen Zeit an? Da die Bilder mehr das Ansehen des Stiers haben, und da sie nicht in Steinkisten, sondern wenigstens theilweise beim Pflügen unter kleinen Knöchelchen (also vermuthlich an Orten, wo Wendengräber waren) gefunden sind, so spricht dafür die Vermuthung. Bekanntlich wird auch Radegast, der zweifellos der Gott der Redarier war, in deren Land sowohl Warbende als Rödlin lagen, abgebildet das Haupt eines Stiers auf der Brust tragend, und der Kopf des Stiers oder Auerochsen ist das älteste Meklenburgische Zeichen. Auch ist noch jetzt die Sage vom schwarzen Stier, der über Hecken und Zäune springt, im Redarierlande im Munde des Volkes 1 ). Aber man braucht nicht erst auf den Radegast zurückzugreifen, viel näher liegt die wendische Verehrung des Tur (Kriegsgottes), der durch den Auerochsen repräsentirt wird. Nach Klöden, die Götter des Wendenlandes, in den Märkischen Forschungen Bd. III. S. 214, wurde auf dem im Mai gefeierten Feste Turize oder Turzyce sein Bild in Gestalt eines Stiers umher getragen; man verzierte Wohnungen, Häuser und Straßen mit grünen Maien, begoß sich scherzend mit Wasser, färbte Eier durch Kochen mit Farbeholz roth und warf die Schalen in den Fluß. Auffallend ist im Anschluß an diese Nachricht über die Turfeste im Mai, daß auf der Feldmark Warbende es einen jetzt eingegangenen Ort gab, welcher im Mittelalter Meigengreven (Maigreven) hieß (Märk. Forsch. Bd. VII, Geschichte des Klosters Himmelpfort); es scheint das wendische Maifest des Tur in das Maigrevenfest, das auch in christlicher Zeit noch an vielen Orten Norddeutschlands und namentlich


1) Siehe namentlich auch die Sage vom Stier auf der Quassower Brücke bei Strelitz, in Niederhöffer Mecklenb. Volkssagen, Theil 4, S. 49.
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auch im Sachsenlande (Lüneburg) gefeiert wurde, nach der sächsischen Eroberung übergangen zu sein. Damit erklärt sich auch vielleicht das Maigrevenfest, das in der von Rödlin und Warbende nicht fernen ukermärkischen Stadt Prenzlau, wo urkundlich ein wendisches Fanum war, nach in der Illustrierten Zeitung enthaltenen Mittheilungen noch bis auf die neue Zeit gefeiert wurde. Ebenso mag daher die Maigrefschaft und die Maigrevenfahrt der Pasewalker Schule rühren, welche 1563 im Kirchenvisitations=Receß als alte Gewohnheit aufgeführt wird; und endlich mag selbst das Maifest daher sich schreiben, das Marschalk von den Wenden in der Jabelhaide mit den Worten bezeugt:

Ihr Priester ist der erste in Reihen,
Er tritt ihnen vor den Tanz in Maien,
Wendische Sitt' ist ihm bekannt,
Jetzo wird er Sclavesco genannt.

Die Angehörigkeit der in Warbende und Rödlin gefundenen Stierbilder an diesen Tursdienst wird immer wahrscheinlicher, wenn man beachtet, daß die Feldmark Rödlin von der Feldmark des Dorfes Turow und dem Turow=See begrenzt wird, einem offenbar nach dem Tur genannten Orte, wie denn auch das Land Turne mit einem andern Turow=See, dem es den Namen verdankt, - wenn es nicht gar die Orte Turow und Rödlin mit umfaßte, in nächster Nachbarschaft gelegen ist 1 ).

Zum Beweise für die Verehrung des Tur bei den Redariern (Luticiern) wollen wir übrigens nicht einmal den Odericus Vitalis citiren, der bei dem Anlaß lutizischer Hülfstruppen für die Angeln im Jahre 1069 bezeugt, daß die natio Leuticiorum Guodenen et Thurum Freamque aliosque falsas deos, immo daemones. verehrt habe (Wigger, Meklenburg. Annalen, S. 81), wenn es auch immerhin zweifelhaft bleibt, ob nicht dieser Schriftsteller hier (statt der sonst ihm angemutheten Citirung deutscher Götter für Wenden) wirklich den wendischen Gott Tur und daneben vielleicht den wendischen Goderac, der sich auch in den nicht fernen Orten Godebant (jetzt Gädebehn) und Godenswege wiederspiegeln könnte, nennen wollte. Ein Rest des einstigen Stierdienstes in wendischen Gegenden zeigt sich wohl auch in dem Namen,


1) In Pommern ist Thura das große Thur=Bruch zwischen Zirchow und Retzow; turza gora ist der Auerochsenberg bei Wilna; in Böhmen ist turany: wilde Wiese, turata: Haide, Viehweide; turi trawa: wildes Gras, Rohrgras. (Cod. Pomer, I, S. 585.)
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den die Wenden (in der Lausitz, ob auch in Meklenburg?) einem großen Ochsen geben: Bezman, von dem alten Worte Boz: Gott, Götzen (siehe Pfuhl, Wend. Wörterbuch, S. 16).

Der bekannte Untersucher alter Bronzen, Herr v. Bibra zu Nürnberg, hat die drei obgedachten Stierbilder chemisch untersucht; seine Analyse ergab = 80,62 Kupfer, 4,49 Zinn, 12,85 Zink, 1,33 Blei, 0,41 Eisen, 0,30 Antimon. Er erklärte sie zugleich auf Grundlage der Vergleichung mit andern Analysen für echte Bronze des Alterthums.

Bei der Seltenheit echter Götzenbilder aus den wendischen Gegenden verdienen diese kleinen Bilder jedenfalls eine besondere Aufmerksamkeit.


B. Zum Götzendienste des Perun oder Prove.

Archivrath Beyer hat in seinem interessanten Aufsatze im 37. Jahrgange der Jahrbücher: Die Hauptgottheiten der westwendischen Völkerschaften, S. 156 und 166, auch des wendischen Donnergottes Perun gedacht, welcher in Wagrien unter dem Namen Prowe verehrt wurde. Wir können noch einige Indicien dafür mittheilen, daß dieser wendische Gott auch bei den lutizischen Wenden und ebenso bei den lüneburgischen Wenden, den Drawehnern, verehrt wurde.

Durch Helmold wissen wir, daß derselbe keinen Tempel hatte, aber unter heiligen Eichen verehrt wurde, wo sein Altar von einem Gatter umgeben war. Wir können daher wohl annehmen, daß, wo sich eine "heilige Eiche" in das Mittelalter hinübergerettet hat, der Platz zu finden ist, an dem einst der Perun verehrt wurde. Nun finden wir im Visitirbuch der Kirchen des Amts Broda von 1574 (Original im Schweriner Archiv, Copie im Archiv des Consistorii zu Neustrelitz), und zwar bei Beschreibung des Ackers des Gotteshauses zu Nyen=Resen (Neu=Reese) bei Neubrandenburg die Worte:

"Im lütken Felde belegen im Ende von einem Scheffel Jnsadt bey der heiligen Eiche."

Die jetzige Zeit kennt weder die heilige Eiche bei Neu=Reese, noch mit Gewißheit den Platz, wo sie gestanden, und wird nur ein Platz auf einer Karte von Neu=Reese von 1701 der Eichberg genannt, und vom Papenacker umgeben, mahnt er wohl noch an die heilige Eiche; aber immer weiset doch jene Angabe schon deutlich auf die einstige Peruns=Verehrung.

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Unter ein Paar uralten Eichen auf der Feldmark des Voßischen Guts Arnsberg bei Strelitz unfern der sogen. Schwanen=Havel, fand der Besitzer bei Fällung der Eichen, welche, da neben dieser Stelle noch jetzt etwa 20 alte Eichen stehen, einem zusammenhangenden Eichenort angehört haben werden, eine Reihe von Urnen, welche er noch bewahrt, unter den Eichen also eine vermuthlich wendische Begräbnißstätte.

Auch gab es bei Prillwitz an dem Tollense=See einen Fleck, der nach den ältesten Flur=Registern Browis=Camp genannt wurde, wohl auch einst eine Stelle, wo der Prowe verehrt wurde.

Aber auch bei den lüneburgischen Wenden im sogen. Drawehn gab es selbst nach Ausgang des Mittelalters noch Eichenstämme, an welchen die Heiligkeit der wendischen Peruns=Verehrung bis dahin trotz allen Christenthums haften geblieben war. In Henning's im 17. Jahrhundert erfolgten Aufzeichnungen über drawehnische Sprache heißt es nämlich:

"Creutzbaum Krautzo, ist ein gewisser sogenannter Baum bei ihren Bauerstuben, welches ein allgemeines Gebäude mitten im Dorfe, da sie pflegen ihre Versammlung und Sauffeste zu haben; oben ist der Baum mit einem Wetterhahn geziert; der Baum selbst aber besteht aus Eichenholz. Bei demselben hat man aber viel Aberglauben getrieben, und hätte sich Niemand um aller Welt Wunder nicht an ihm vergriffen, so heilig ward er gehalten. Noch weniger erkühnte sich Jemand, das Geld wegzunehmen, welches die im Dorfe heirathenden Bräute pflegten hineinzustecken. Ein Dragoner, der in einem Dorfe dieses Orts im Quartier lag, unterstund sichs, zog ein Stück des Geldes nach dem andern heraus, ungeachtet die Weiber im Dorfe zusammenliefen und ihn für Unglück warnten. Er verrauchte es in Taback, und wie er glaubte, so geschahe ihm. Ich will sagen, es bekam ihm ganz wohl. Seit der Zeit hat man kein Geld mehr hineinstecken wollen; es sind auch die Bäume in den meisten Orten umgefallen und weggekommen."

Es liegt nahe, daß diese Eichenstämme, in welche geopfert wurde, ein Ueberbleibsel des Perunsdienstes waren; fand doch auch der heilige Otto von Bamberg in der Nähe von Stettin von den Wenden heilig gehaltene Eichen, unter denen eine Quelle war, und zeugt doch auch sein Biograph

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von einem hohlen Baum, in welchen die Opfermünzen geworfen wurden; und waren doch auch in den Continen von Stettin, neben denen die heilige Eiche war, Tische und Sitze eingerichtet, um zu trinken und zu spielen, gerade wie bei den drawehnischen Bauerstuben.

Damit erklärt sich auch die von Mussäus (Ueber die niedern Stände in Meklenburg, Jahrbücher II, S. 134) bezeugte, in Meklenburg beim Volke allgemeine Ansicht: "eine Doppeleiche ist von geheimer Kraft, nicht minder eine hohle, in die man hauchen muß".

Vielleicht sind noch unter mancher uralter Eiche Meklenburgs Spuren zu finden, daß unter ihr einst der Perun verehrt wurde; es ist nicht zu vergessen, daß die Silva Jovis (nach dem Zeugnisse des alten böhmischen Vocabularii, p. 20) quercum significat: dubrana, d. h. Eichenwald, wovon auch Doberan zweifellos, alle anderen Auslegungen als weniger natürlich beseitigend, den Namen trägt.


C. Der wendische Gott Zmok.

Es ist noch wenig klar, welche wendische Götter außer dem Radegast, dem Proven und der Siwa von den in Meklenburg wohnenden Wenden, den Obotriten und Lutiziern, verehrt wurden. Eine Untersuchung über die Götter dieser wendischen Völker hat mir Spuren gegeben, welche bestimmt vermuthen lassen, daß der bisher nur als Gott der böhmischen Wenden, der Slovaken und der litthauischen Wenden bekannte Gott Zmok oder Zmek auch bei den Obotriten und Lutiziern verehrt wurde. Es finden sich nämlich in Meklenburg eine Reihe von Bergen, welche den Namen Smokberg oder Smökberg führen, so ein Smökberg nahe bei Prillwitz im Lande der Redarier, ein besonders hoher Smökberg unfern Schlieffensberg, von dem eine Menge Radien des trigonometrischen Netzes ausgehen, eine Smökensdorfer Höhe im westlichen Meklenburg, die ebenfalls zur trigonometrischen Station dient. Das Smok in diesem Namen ist kaum auf etwas Anderes, als auf den Gott Zmok oder Zmek zurückzuführen, zumal das wendische Z bekanntlich überall in S sich verwandelt hat.

Der Zmok scheint zu den bösen Göttern gehört zu haben; denn eines der ältesten slavischen Wörterbücher "Klen Kozkochany" übersetzt ihn mit BeIiaI. Jungmann (Slowa V, p. 711) bezeichnet ihn als Cernoboh, den schwarzen oder bösen Gott,

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welchen Helmold auch gerade für die Obotriten dem Belbog oder weißen und guten Gott gegenüberstellt.

Hanusch (Wissenschaft des slavischen Mythus, S. 300) macht ihn zunächst zu einem Wassergott, der bald als Wasserdrache, bald als durchnäßter Vogel erscheint. Er bringt ihn aber auch als Zemek (von Zem: Erde) in Verbindung mit den Erdgeistern, und macht darauf aufmerksam, daß bei den lüneburgischen Wenden (den Drawehnen) ein tzorne Zimenik, schwarzer Erdgeist, vorkommt. Vielleicht galt er wie bei dem Nachbarstamm unweit der Elbe, so auch bei den Obotriten und Lutiziern als Erdgeist; denn sonst würde er wohl nicht auf den Höhen verehrt worden sein, welche jetzt offenbar, weil sie mit ihm in Beziehung standen, seinen Namen noch führen.

Bei den Lausitzischen Wenden ist Zmij und Zmjk noch jetzt der Drache, der Geld bringen soll. (Pfuhl, wendisches Wörterbuch, S. 1022.)

Es wäre zu wünschen, daß auch die gewiß noch vorhandenen mehreren Smokberge in Meklenburg, welche sich bislang der Bemerkung entzogen haben, in den Jahrbüchern zur Anzeige gelangen, und daß auch bekannt werde, ob und welche Sagen sich an dieselben knüpfen, und ob etwa auf den betreffenden Holten sich noch Spuren einer einstigen Gottesverehrung finden.

Zu übersehen ist bei der Prüfung, ob die einzelnen Hügel, welche den Namen Smokberg führen, wirklich auf den wendischen Zmok zurückzuführen sind, indessen nicht, daß in Meklenburg im 17. Jahrhundert eine Menge sogenannter Hexen verbrannt sind, und daß man das "schmöken" nannte (Pentz, Geschichte Meklenburgs, Thl. 2, S. 50), wornach denn manche dazu benutzte Höhe den Namen erst von der Hexenverbrennung erhalten haben kann.


D. Die wendische Sitte des Reiserwerfens auf die Gräber Erschlagener.

Im westlichen Meklenburg, wenigstens durchweg im Herzogthume Strelitz, dem Lande Stargard, ist es noch heute Sitte, daß, wo in Wald oder Feld eine Stätte sich findet, an der Jemand erschlagen oder doch gewaltsam ums Leben gekommen und begraben ist, jeder Vorüberkommende einen Ast, Knittel oder Holzreis auf die Stätte wirft und erst dann seinen Weg fortsetzt. Diese Sitte wird so treulich

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beobachtet, daß solche Stätten oft mit einem mehr als mannshohen Haufen Reisern und Knüppelhölzern belegt sind. (Eine solche findet sich unter Andern im herrschaftlichen Wildpark bei Strelitz am Wege nach Goldenbaum.)

Woher kommt diese auffallende Sitte? Wir haben dafür den Schlüssel in den Geboten gefunden, welche der erste christliche Apostel in dem nahen Pommern, der Bischof Otto von Bamberg, bei seiner Abreise von da im Jahre 1125 den bekehrten Wenden hinterließ. Darunter (siehe Chron. Ursperg., mitgetheilt in Giesebrechts Wend. Geschichten, Thl. 2, S. 287) war auch das Gebot, daß die Christen sich nicht mehr unter den Heiden in Wäldern oder auf dem Felde, sondern nach christlicher Sitte auf Kirchhöfen begraben lassen und "daß auf ihre Gräber keine Knittel gelegt werden sollen". "Ne sepeliant mortuos Christianos inter paganos in silvis ant campis, sed in cimiteriis, sicut mos est omnium Christianorum; ne fustes ad sepulcra eorum ponant" (Andr. vita Ottonis II, 12). Hiernach war es offenbar derzeit bei den Wenden der allgemeine Gebrauch, ihre in den Wäldern und auf dem Felde zerstreuten Gräber mit Knitteln zu belegen, ein Gebrauch, welcher von der Verbrennung der Todten herkommen mochte. Es scheint, daß die Wenden, als sie sich dem Gebote ihres Reformators, des heiligen Otto, fügten und ihre Todten auf den neu eingerichteten christlichen Kirchhöfen begruben, doch insoweit die wendische Sitte beibehielten, daß sie, wenn der Zufall nun dennoch im Walde oder Felde eine vereinsamte Grabstätte gab, sich verpflichtet hielten, dem Todten noch die letzte Ehre zu erzeigen, welche vorher für alle in Wald und Feld Begrabenen üblich war; und was die ersten wendischen Christen in dieser Beziehung thaten, das haben die späteren Generationen vermöge der zähen Festhaltung religiöser Gebräuche, welche trotz Christenthum und Reformation sich noch lange in und neben dem Christenthum auch sonst noch vielfach erhalten haben, trotz der starken Mischung mit sächsischer Einwanderung hier vom Vater auf den Sohn bis auf den heutigen Tag vererbt. Die Sitte ist heute noch so fest im Volke, daß, wo die hie und da zum ganzen Fuder gesammelten Reiserhaufen vom Gutsherrn weggeschafft wurden, die Belegung sofort wieder begann und in nicht langer Zeit wieder ein gleicher Haufen erstand.

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