zurück zur Metadatenansicht auf dem Dokumentenserver
zurück
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 253 zur nächsten Seite zur letzen Seite
Dokument dauerhaft verlinken Dokument im gesamten Band öffnen Metadaten auf dem Dokumentenserver anzeigen

II. Zur Naturkunde.

Menschenschädel von Dömitz.

Von

G. C. F. Lisch und R. Virchow .


Mit einer Steindrucktafel.


Im Jahre 1871 ward bei Dömitz an der Elbe bei Gelegenheit des Brunnensenkens Behufs der Fundamentirung eines Fluthpfeilers für die Eisenbahnbrücke über die Elbe in der Tiefe ein merkwürdigem Menschenschädel gefunden, welcher auf Anordnung des Herrn Geheimen Regierungsraths und Bau=Directors Neuhaus zu Berlin durch den Herrn Abtheilungs=Baumeister Stuertz an die großherzoglichen Sammlungen eingesandt und von diesem mit dem erforderlichen Fundbericht begleitet ist. "Der Pfeiler steht in der Nähe eines alten verlassenen Stromarmes, der nur bei höherm Wasserstande noch Wasser führt. Einige Fuß unter der Oberfläche fand sich eine nicht mächtige Kleischicht, welche offenbar vom Elbeschlick herrührt. Unter dieser Schlammschicht liegt Sand, welcher von kleinen Stückchen Kohle und, nach der Ansicht der Herren Ingenieure, mit Schichten von "Torf" durchzogen ist. In diesem Sande ist der Schädel gefunden; er ist 28 Fuß rheinl. unter der Oberfläche und ungefähr 20 Fuß rheinl. unter dem niedrigsten bei Dömitz beobachteten Wasserstande der Elbe ausgebaggert. Es ist freilich bei Baggerarbeiten die Tiefe, in der ein kleiner rundlicher Gegenstand seine

Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 254 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Lagerstelle hatte, nicht sicher anzugeben, da der Boden im Baggerbeutel hervorgeholt wird, es also wohl möglich ist, daß ein derartiger Gegenstand oft lange Zeit vom Bagger bei Seite geschoben wird und später oder nach und nach beim Baggern tiefer sinkt und so recht wohl viele Fuß tiefer aufgefunden werden kann, als er vor Beginn der Baggerarbeit gelagert war." Jedoch wird der Schädel immer in großer Tiefe gelagert gewesen sein.

Von Bedeutung für die Beurtheilung des Schädels ist die Erkenntniß des Erdreichs, aus welchem die Lagerstelle besteht. Auf meinen Wunsch hat der Herr Baumeister Stuertz die Güte gehabt, Proben einzusenden.

Der Sand ist Kieselsand von der Art des Sandes des Meeresufers. In demselben finden sich ganz kleine Stückchen "Kohle", d.h. Braunkohle, "welche sich jedoch während des Baggerns in der Tiefe leicht unter den Sand mischen konnten." Das ganze Sandlager ist ohne Zweifel ein Diluvial=Gebilde und kein Alluvial=Gebilde durch die Elbe.

Der Sogenannte "Torf" liegt tief und fest in Schichten gesondert. Ich mußte von vorne herein daran zweifeln, daß so tief im Diluvial=Gebilde Schichten von comprimirtem "Torf" liegen sollten. Auf meine Bitten sandte Herr Baumeister Stuertz hinreichend viele und große stücke dieser braunen, festen Masse bis zu 6 Zoll lang und gegen 3 Zoll dick. Bei näherer Untersuchung ergab sich, daß diese schichten nicht Torf, sondern Braunkohle sind, welche leicht mit dem 1 Meile von Dömitz entfernten großen Braunkohlenlager zu Mallitz (oder Bockup) in Verbindung stehen können.

Um nun in der Forschung sicher vorgehen zu können, sandte ich ausreichende Probe und Nachricht an den Herrn Landbaumeister Koch zu Güstrow, welcher als kundiger Forscher und erfahrener Geologe den melkenburgischen Boden kennt und zu beurtheilen weiß 1 ). Derselbe schreibt Folgendes. "Das stück ist wahre Braunkohle und stammt sicher von dem Braunkohlengebirge zu Bockup, wird aber nicht da, wo es gefunden ist, als anstehend zu betrachten sein. solche Lager sind größere schollen und kleinere Trümmer, welche bei der Diluvialkatastrophe von dem Hauptlager abgerissen und verschwemmt worden sind. Ich habe in meiner kleinen schrift über die anstehenden Lager


1) "Herr Beyrich bestätigt die Zuverlässigkeit des Herrn Koch in der Bestimmung der geologischen Funde." Verhandl. der Berliner Gesellsch. f. Anthropol., 1872, s. 72.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 255 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

in der Gegend von Dömitz (Zeitschrift der Deutschen Geol. Gesellsch., 1856) auf solche Zerstörung der Ablagerungen zwischen Bockup und Karenz mehrfach hingewiesen und habe das gleiche Verhältniß bei allen anstehenden Lagern Meklenburgs, die ich untersucht habe, wieder gefunden, und zwar bestimmt nachweisbar. In diesen Umständen liegt auch der Grund für die so unendlich viel in Meklenburg (namentlich beim Brunnengraben) sich findenden, oft ziemlich großen Braunkohlenstücke im Diluvialsande. Den Sand, in dem diese Braunkohlenschollen im Elbthale liegen, habe ich im Sommer 1871 in Dömitz selbst gesehen: "es ist der reinste, klarste See= (Meer=)sand und nach meiner Ueberzeugung auch wirklicher alter Meeresgrund; dieser Sand und die eingelagerten Braunkohlen sind diluvialer Natur, mit dem darüber liegenden Schlick und Klei beginnt das Alluvium."

Es ist sehr zu bedauern, daß mit voller Genauigkeit und Sicherheit nicht zu ermitteln ist, wie tief und in welcher Schicht der Schädel ursprünglich gelegen hat. Es ist jedoch nicht zu bezweifeln, daß der vorstehende Fundbericht annähernd gewiß glaubwürdig und annehmbar ist. Dafür wird auch der Schädel selbst so viel als möglich reden.

Nach meinen Beobachtungen hat der Schädel eine tief dunkelbraune oder schwärzliche Farbe, welche tief 1 ) eingedrungen ist, der Farbe der Braunkohle gleich, welche ihn ohne Zweifel gefärbt und "versteinert" hat. Er ist sehr hart und fest, auf der Oberfläche glänzend und porcellanartig, fast wie versteinert, wie man zu sagen pflegt, dabei außerordentlich gut erhalten und wohl schwer zu beschädigen. Die Schädelknochen sind ungewöhnlich dick und der ganze Schädel außerordentlich schwer; der ganze Schädel hat ein Gewicht von 2 Pfund 2 Loth Zollgewicht und hat an diesem Gewicht in einem halben Jahre nichts verloren, obgleich er immer in einem warmen Zimmer gelegen hat, also vollständig ausgetrocknet sein muß; andere ausgewachsene Schädel aus mittelalterlichen und römischen Gräbern sind nur 1 Pfund 2 bis 6 Loth schwer. Die Schädelnäthe liegen noch klar und sind nicht verwachsen, die Backenknochen sind stark. Nach der Form ist der Schädel stark brachycephal oder vielmehr ein Rundkopf bei im Verhältniß regelmäßiger Ausbildung. Die Stirn ist stark hintenüber geneigt. Die


1) Die dunkelbraune Farbe des Schädels geht tiefer als die ähnliche dunkle Farbe der Knochen aus den Moor=Pfahlbauten der Steinzeit.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 256 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Augenbrauenbogen sind sehr stark hervorragend und stoßen über der Nasenwurzel wie in einem starken Wulst hoch zusammen. Alle einzelnen Gliederungen sind stark ausgebildet.

Dieser Schädel ist nicht nur nach seiner Fundstelle, sondern auch nach seiner Bildung höchst merkwürdig und dürfte bei seinem unzweifelhaft sehr hohen Alter das Urbild eines norddeutschen Urmenschen repräsentiren.

Um in der Beurtheilung möglichst sicher zu gehen, sandte ich den Schädel an den Herrn Professor Dr. Virchow zu Berlin, welcher denselben genau untersucht hat. Derselbe sprach schon in der Sitzung der Berliner Anthropologischen Gesellschaft vom 9. Dec. 1871 im Allgemeinen die Ansicht aus, daß der Schädel ein "entschiedener Rundkopf" sei (vgl. Correspondenzblatt der Deutschen Gesellschaft für Anthropologie, 1872, März, Nr. 3, S. 2). Später hat Virchow in der Sitzung der Berliner Gesellschaft vom 10. Febr. 1872 den Schädel einer genauen Untersuchung unterworfen, welche in den Verhandlungen der Anthropologischen Gesellschaft zu Berlin, 1872, S. 71 flgd. und mit Virchow's Erlaubniß unter Mittheilung einer Tafel 1 ) mit Abbildungen dieses Schädels hier wieder gedruckt ist.

Nach Mittheilung des von mir hier in der Einleitung gegebenen Fundberichtes "legt Virchow der Gesellschaft den übersandten Schädel vor und knüpft daran folgende Bemerkungen."

"Der in allen Teilen mit Ausnahme des linken Oberkieferrandes und der inneren Theile der Orbitae vortrefflich erhaltene Schädel, dem leider der Unterkiefer fehlt, kann als ein Muster eines uralten Torf= oder, wie man hier vielleicht sagen könnte, Braunkohlenschädels gelten. Er hat jene dunkelgraubraune, fast schwarzbraune Farbe, jenes dichte, glänzende Aussehen, jene Festigkeit und Schwere, welche einen nahezu fossilen Zustand anzeigen. Die starke Abschleifung der Zähne, wie die mächtige Entwickelung aller Knochenabschnitte bezeichnen einen älteren Mann. Die starken und ausgedehnten Muskelinsertionen deuten zugleich auf große Stärke und Wildheit hin. Am Hinter=


1) Hierbei eine Steindrucktafel. - Virchow hat seinem in der gedachten Berliner Zeitschrift für Ethnologie a. a. O. gedruckten Vortrage eine Tafel (Taf. VII.) mit Abbildungen dieses Dömitzer Schädels in 5 Ansichten beigegeben und unserem Vereine gestattet, einen Abdruck derselben für die Jahrbücher zu erwerben, welcher der gegenwärtigen Abhandlung angefügt ist.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 257 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

haupt ist die in der letzten Zeit von Herrn Merkel beschriebene Linea nuchae superior stark abgesetzt und die ganze Fläche der Schuppe unterhalb durch zahlreiche längliche Gruben uneben. Die Lineae semicirculares temporales reichen bis über die Tubera parietalia hinauf und nähern sich dicht hinter der Sutura coronaria bis auf 118 Millim.; die Jochbogen sind, obwohl nur mäßig ausgelegt und auf der Fläche stark gebogen, abstehend; die Alae temporales des Keilbeins am obersten Theil sehr breit, rechts 34,6, links 32,6 Millim. im Querdurchmesser, auf der Fläche von oben nach unten stark eingebogen; die Schuppen der Schläfenbeine steil und platt, verhältnißmäßig schmal, im Durchschnitt etwa 68 bis 69 Millim. lang (von vorn nach hinten); die obere Schläfengegend sehr ausgelegt und deswegen der Schädel trotz der Vorragung der Jochbogen kryptozyg. Die Processus mastoides sehr kräftig und die Incisur an ihrer Basis tief und gerade. Der Charakter der Wildheit wird sehr verstärkt durch einen leichten Prognathismus der oberen Alveolarfortsätze, durch einen kolossalen hyperostotischen Wulst über der Nasenwurzel und durch eine stark zurückgelegte, fast ganz flache Stirn, deren Glabella gegen die Horizontallinie fast einen Winkel von 45° macht. Der Gesichtswinkel (äußerer Gehörgang, Spina nasalis inferior, Nasenwurzel) beträgt 75°. Die Augenhöhlen sind breit und groß, die Supraorbitalränder dick und stark überragend, die Incisur fast ganz verstrichen. Die Nasenwurzel von mäßiger Breite, etwas tief liegend, der Nasenrücken schmal, die ganze Nase auffällig niedrig (kurz)."

"Mit diesen Charakteren harmonirt die verhältnißmäßig geringe Capacität des Schädelraumes von 1380 Cubik=Centim., welche einigermaßen überraschend ist gegenüber dem Eindruck der Größe, welchen der Schädel macht. Es erklärt sich dieser Mangel wohl hauptsächlich durch die Depression der Stirn, da fast alle Maaße verhältnißmäßig große sind. Die allgemeine Schädelform ist die eines mäßigen Brachycephalus, der, wie schon Lisch mit Recht bemerkt hat, sich der von mir als trochocephalisch bezeichneten Varietät anschließt. Der Breiten=Index (Länge : Breite) beträgt 79,8, der Höhen=Index (Länge : Höhe) 76,5, der Höhen=Breiten=Index 95,8."

"Was die einzelnen Theile der Schädeloberfläche betrifft, so ist das Stirnbein groß, jedoch mit sehr flacher Wölbung, dagegen seitlich, auch unterhalb der Linea semicircularis, fast kugelig hervorgetrieben. Der Temporal=Durchmesser

Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 258 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

erreicht daher die ungewöhnliche Größe von 129,5 Millim. Die Tubera frontalia sind sehr flach; dafür findet sich, wie erwähnt, über der Nasenwurzel ein mächtiger Wulst; hier zeigt sich in einer Erstreckung von etwa 10 Millim. ein stark zackiger Rest der Sutura frontalis; von da aufwärts läßt sich eine schwache Erhöhung (crista frontans verfolgen. Die Tubera parietalia sind kaum erkennbar, die Emissaria zu beiden Seiten der Pfeilnaht dicht aneinander gereiht. Die Oberfläche zwischen den Lineae semicirculares an beiden Scheitelbeinen mit zahlreichen kleinen, flachen Knochenauswüchsen bedeckt, in der Breite wenig, in der Länge ziemlich gleichmäßig gewölbt. Die Sutura coronaria sehr stark, die Sagittans mäßig, die Sutura lambdoides wenig gezackt. An der Spitze der letzteren ein kleiner Schaltknochen. Der obere Theil der Squama occipitalis in regelmäßiger Fortsetzung der parietalen Curve gleichmäßig gekrümmt."

"Die Eigene des Foramen occip. magnum fällt nahezu mit der des harten Gaumens zusammen; der vordere Rand desselben springt bei rein vertikaler Stellung des Schädels bedeutend nach unten hervor. Die Gelenkfortsätze liegen an der vorderen Hälfte des Umfanges, treten sehr hervor und zeigen stark nach außen gerichtete Gelenkflächen. Die untere Hälfte der Apophysis basilaris nähert sich der horizontalen. Das Palatum ist kurz und breit; es mißt 40 Millim. in der größten Breite, 43 in der Länge, davon gehören 15 dem Os palatinum an, dessen hinterer Theil durch starke Muskeleindrücke uneben ist. Die Flügelfortsätze sind verhältnißmäßig wenig ausgedehnt und die Fossa pterygoidea im Ganzen schmal."

"Die Maaße im Einzelnen find folgende:

Größter Horizontalumfang 531.
Größte Höhe 140.
Entfernung des For. occip. von der vorderen Fontanelle 138.
Entfernung des For. occip. von der hinteren Fontanelle 119.
Größte Länge 183.
Sagittalumfang des Stirnbeins 130.
Länge der Sutura sagittalis 370 <    115.
Sagittalumfang der Squama occip 125.
Entfernung des Gehörganges von der Nasenwurzel. 109.
Entfernung des Gehörganges von dem Nasenstachel. 105,5.
Entfernung des For. occip. von der Nasenwurzel. 106.
Entfernung des For. occip. von dem Nasenstachel. 93.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 259 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite
Entfernung des Eor. occip. (hinterer Rand) von der Wölbung des Hinterhauptes 58
Länge des Foramen occipitale 35.
Breite des Foramen occipitale 30.
Größte Breite 146.
Oberer Frontal=Durchmesser (Tub. front.) 68
Unterer Frontal=Durchmesser (Proc. zygomat.) 100,5.
Temporal=Durchmesser 129,5.
Parietal=Durchmesser (Tub. pariet.) 130.
Mastoideal=Durchmesser 125.
Jugal=Durchmesser 138.
Maxillar=Durchmesser 62.
Querumfang von einem Gehörgange zum andern über die vordere Fontanelle 372.
Breite der Nasenwurzel 27.
Breite der Nasenöffnung 25,6.
Höhe der Nase 46.
Breite der Orbita 38,5.
Höhe der Orbita 31.

Virchow.     

Dieser stark brachycephalische oder trochocephalische Schädel ist also nach Bildung, Beschaffenheit und Fundort ohne Zweifel sehr alt und dürfte die Urracedes norddeutschen Menschen bezeichnen.


In Meklenburg sind unter besonderen Umständen schon mehr Spuren ähnlicher Schädel gefunden, für welche auch ein hohes Alter spricht. Am meisten nähert sich der Dömitzer Schädel dem Schädel von Plau aus einem Sandgrabe, in welchem sich eine sitzende Leiche fand. Diese hatte noch gar kein Geräth aus Mineral, sondern nur Streitaxt aus Hirschhorn, Halsband aus durchbohrten Schneidezähnen und Diadem (?) von Eberhauern bei sich, wird also wohl über die Steinperiode hinausreichen. Dieser Plauer Schädel ist untersucht und mit Abbildungen beschrieben vom Professor Dr. Schaffhausen in Joh. Müller's Archiv für Anatomie etc. ., Jahrg. 1858, Heft 5, S. 453 flgd. und in den Meklenburg. Jahrbüchern, Jahrg. XXIV, 1859, S. 183, flgd. (vgl. Jahrb. XII, 1847, S. 400).

Virchow sagt an einer anderen Stelle a. a. O. S. 77 über beide Schädel Folgendes:

"Es ist von besonderem Interesse, den eben geschilderten brachycephalen Schädel von Dömitz zu sehen, der ein in

Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 260 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

jeder Beziehung merkwürdiges Spesen darstellt. Man konnte grade von einem solchen Schädel, welcher in so großer Tiefe gefunden wurde und der den ganzen Habitus des eigentlichen Torfschädels oder, wenn man will, Braunkohlenschädels an sich trägt, glauben, er stelle den Typus der eigentlichen Urbewohner der norddeutschen Ebene dar und er möchte einem alten Tschuden der finnischen oder esthnischen Race angehört haben."

"Bevor ich diese Frage weiter verfolge, will ich noch einige Funde erwähnen. Lisch (Jahrb. Xll, 1847, S. 400) hat schon früher den Schädel eines bei Plau in hockender Stellung mit Horn= und Knochengeräth beigesetzten Skelets beschrieben, von dem Schaffhausen (Müller's Archiv, 1858, S. 472) eine genauere Schilderung geliefert hat. Leider ist die größte Breite nicht angegeben; - - - nichts destoweniger nähert sich der Schädel von Plau, den ich aus eigener Anschauung kenne, dem Schädel von Dömitz bis zu einem gewissen Grade."

Virchow.     


Bruchstücke von zerbrochenen ähnliche Schädeln, namentlich Stirnen, haben sich auch sonst in Meklenburg gefunden, z. B. bei Schwaan unter einer Leiche der Bronzezeit. Nach allen diesen Beobachtungen kann ich mich der Ansicht nicht erwehren, daß diese Kurz= oder Rundschädel mit den starken Augenbrauenbogen den Urmenschen des nördlichen Deutschlands repräsentiren, der vielleicht in die Diluvialzeit hineinreicht. Freilich sagt Virchow (a. a. O. S. 77), daß nach seinen Erfahrungen im nordöstlichen Deutschland nur wenige alte Schädel brachycephale Formen darbieten und ausgesprochene Brachycephalen sehr selten seien. Wenn ich aber im mittleren Norddeutschland die Menschen darauf ansehe, so kann ich, soweit es einem gelehrten Laien möglich ist, nur erkennen, daß hier bei Eingeborenen noch die brachycephale Form des Schädels vorherrschend ausgesprochen ist. Damit stimmt auch die Beobachtung Friedel's (im Corresp.=Bl. der deutsch. Gesellsch. f. Anthropologie, 1872, Nr. 4, S. 26) überein, nach denen sich in den Köpfen "der lebenden Holländer zwei scharf getrennte Typen unterscheiden lassen. Der nördliche, ein Rundkopf, mit starken Backenknochen und schlichtem, gelbem Haar, ist entschieden friesisch=germanischen Stammes. Im vollsten Gegensatz zu diesem steht der Südholländer mit ausgesprochen dolichocephaler Schädelbildung."


Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 261 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Von Werth für die Beurteilung des Dömitzer Menschenschädels ist die Betrachtung dessen, was in der Nähe desselben beim Brückenbau unter dem Elbbette gefunden und auch von dem Herrn Baumeister Stuertz eingesandt ist.

Am 7. Nov. 1871 ward tief im Brunnen zu dem Pfeiler Nr. VIII. ein sehr großer Fischschädel gefunden. Nach genauen Vergleichungen ist dies der Schädel von einem Wels von ungewöhnlicher Größe. Er ist gut erhalten, ebenfalls steinhart, schwarzbraun, ja fast ganz schwarz von Farbe und glänzend. Es ist beim Baggern nur der Hinterkopf oder das Nackenbein abgebrochen. Das jetzt noch erhaltene Stück ist 28 Centim. (gegen 12 Zoll) lang, 9 Centim. (gegen 4 Zoll) breit in der Mitte und 13 Centim. (5 1/2 Zoll) breit in der Maulbreite. Das Thier hatte also eine nicht gewöhnliche Größe. Gefunden ist dieser Welsschädel in derselben Erdbildung, in welcher der Menschenschädel gefunden ist. Es giebt aus früheren Zeiten Nachrichten über den Fang sehr großer Welse. In den allerneuesten Zeiten sind in Meklenburg in der Ober=Warnow bei Rostock wieder mehrere Welse gefangen. Nachdem im Anfang Mai 1872 5 kleinere Thiere von 3-4 Fuß Länge ins Netz gegangen waren, ward ein großes Thier gefangen, welches 6-7 Fuß lang und 80 Pfund schwer war. Einige Tage später ward daselbst wieder ein Wels gefangen, welcher 8 Fuß lang und 110 Pfund schwer war; den Kopf, welcher 40 Pfund schwer war, erwarb das zoologische Museum der Universität Rostock. Bald darauf wurden ebendaselbst wieder mehrere Welse mittlerer Größe gefangen, von denen ich einen Kopf erhandelte, dessen Schädel 17 Centim. (7 Zoll), also ungefähr halb so lang ist, als der Dömitzer Schädel.

Außerdem sind beim Brückenbau bei Dömitz an thierischen Ueberresten noch gefunden: ein Ende von einem Hirschhorn mit der Krone, ein durchschlagener und gespaltener Beinknochen von einer Kuh und ein Hundeschädel von alter Race. Alle diese Knochen sind dunkelbraun, wie Pfahlbauknochen, noch lange nicht schwarz, und scheinen viel jünger zu sein, können also keinen Einfluß auf die Beurtheilung des Menschenschädels haben.

Von größerer Bedeutung ist dagegen ein anderer Fund, welcher am linken Ufer der Elbe, Dömitz gegenüber, gemacht ist. Die Braunkohlen=Diluvialbildung setzt sich in der Gegend von Dömitz unter dem Bette der Elbe fort und kommt oft, wahrscheinlich nicht anstehend, sondern nur in Schollen, am linken Ufer des Stromes bis zur Göhrde

Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 262 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

wieder zum Vorschein. Aus dieser Gegend brachten im Anfange des Jahres 1872 die Zeitungen folgende merkwürdige Nachricht.

"Das Alluvium der Elbufer bei Hitzacker besteht hauptsächlich aus Sand und Kies=Hügeln, welche an der Elbe schroff abfallen. In diesem Sandboden finden sich auch einzelne Anhäufungen von Trümmern anderer Gesteine, wie Lehm und Kalk, welche in ihrer Mischung einen vorzüglichen Mergel geben. In solchen Mergelgruben sind gelegentlich merkwürdige paläontologische Gegenstände gefunden. Nachdem vor längerer Zeit in Drethem an der Elbe (bei Hitzacker) Hirschgeweihe gefunden waren, welche sich im Besitze des Oberamtmanns Ungewitter in Groß=Kühren (bei Neuhaus) befinden, sind vor kurzem Ueberreste von dem Kohlen=Rhinoceros (rhinoceros anthracius) bei Harlingen (bei Dannenberg) aufgefunden. In einer Schicht von schwarzem Mergel lagen die sehr gut erhaltenen Backenzähne mit sehr scharfen Schmelzleisten und ein Theil des Hinterschenkels. Dieselben sind im Besitze des Forstmeisters v. d. Bussche in Dötzingen (bei Hitzacker). Ebenso finden sich in dieser Gegend vereinzelt Braunkohlen und Bernstein. Von ersteren wurde in Werchau vor der Göhrde ein dem Anscheine nach größeres Lager gefunden." (Auch in Meklenb. Zeitung, 1872, No. 52, 2. März, Beilage, nach Hamburger Nachrichten, 1872, No. 51, 29. Febr.)

Nach diesen Nachrichten wandte ich mich in Veranlassung des Dömitzer Fundes an den Herrn Forstmeister v. d. Bussche zu Dötzingen, welcher brieflich folgende Auskunft ertheilt hat. "In Bezug auf die Anfrage, ob die im schwarzen Mergel gefundenen Ueberreste von Rhinoceros anthracius von dunkelbrauner oder schwärzlicher Farbe sind, erwiedere ich, daß ein sehr starker Knochen, sowie auch mehrere Zähne eine ganz schwärzliche Farbe haben und stark von Kohlenstoff durchdrungen sind. Leider sind mehrere Knochen und etwa 12 Zähne unbeachtet geblieben und von Findern fortgetragen; ich hoffe aber, daß im Laufe des Sommers bei niedrigerem Wasserstande noch mehr Theile in der Tiefe der Grube gefunden werden. Die Ueberreste habe ich vorläufig in Verwahrung."

Es scheint also unzweifelhaft, daß der Menschenschädel von Dömitz, sowie der Welsschädel) und das Rhinoceros von Harlingen einer und derselben Zeit, also dem Dilvium, angehören.

Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 263 zur ersten Seite zur vorherigen Seite

Fast zu gleicher Zeit ist auch in Böhmen ein ähnlicher Fund gemacht, dessen Beschreibung zur Vergleichung und weiteren Verfolgung hier eine Stelle finden möge.

"Im Jahre 1871 ward bei Brüx in Böhmen 3 Fuß über der Braunkohle ein sehr schön gearbeiteter Steinhammer und Theile eines menschlichen Skelets gefunden. Die Ackerkrume beträgt daselbst 2 Fuß, dann kommt der Sand, und auf 1/2 Fuß Tiefe ward in diesem Sande (nach der geologischen Karte zu urtheilen, Diluvialsand) die Streitaxt gefunden, und 2 Fuß darunter das Gerippe mit dem Kopf in der angegebenen Tiefe, mit den Füßen noch tiefer. Der Fund ist an die geologische Reichsanstalt zu Wien eingesandt. Das Fragment des Schädels mit dem Stirnbein und dem obern Theil der Augenhöhlen erinnert, wie Hofrath Rokitansky auf den ersten Blick erkannte, durch die außerordentlich flache und niedere Stirn ganz und gar an den berühmten Neanderthalschädel." (Auch in Meklenb. Zeitung, 1872, No. 13, 16. Januar.)

G. C. F. Lisch.