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Begräbniß von Börzow.

Im Jahre 1841 ward auf dem Felde des Dorfes Börzow bei Grevesmühlen bei einer Wegebesserung der letzte Rest eines großen Begräbnißplatzes aus der Eisenzeit mit verbrannten Leichen entdeckt und von mir selbst der letzte Rest durchgraben und durchforscht; vgl. Jahrb. VIII, B, S. 91.

Die Entdeckung ward dadurch veranlaßt, daß am Rande dieses Begräbnißplatzes unmittelbar neben den Urnen in

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gleicher Tiefe mit denselben ein altes menschliches Skelet gefunden ward, was die nächste Veranlassung gab, die Erdarbeit einzustellen und eine amtliche Untersuchung einzuleiten; jedoch zeigte eine wissenschaftliche Durchforschung sehr bald, daß die Fundstelle ein sehr alter Begräbnißplatz und daher eine gerichtliche Untersuchung unnöthig war.

Die Auffindung eines unverbrannten Gerippes auf dieser Stelle war sehr auffallend, da die Leichen der Eisenzeit in Meklenburg immer verbrannt sind. Im Jahre 1841 hielt ich noch alle Begräbnißplätze der Eisenzeit für wendisch und suchte das ungewöhnliche Vorkommen eines unverbrannten Gerippes dadurch zu erklären, daß hier in der allerletzten Zeit des Heidenthums (also im 12. Jahrh.) trotz des Verbotes der christlichen Sieger dennoch ein Wende heimlich auf dem heidnischen Begräbnißplätze bei seinen Vorfahren ohne Leichenbrand begraben sei. Den Schädel nahm ich in die großherzogliche Sammlung mit. Von einem zweiten hier begrabenen Gerippe war nichts mehr aufzufinden.

Im Jahre 1859 war der berühmte und gewiegte Schädelforscher v. Baer aus Petersburg in Schwerin, "um eine Ansicht von den Resten der früher dort einheimischen Slavischen Bevölkerung zu erhalten, besonders aber ihre Schädelform wo möglich kennen zu lernen". Ich konnte ihm damals nur den einen Schädel von Börzow zur Untersuchung bieten. Er untersuchte und maß den Schädel während mehrerer Tage Aufenthalts sehr sorgfältig und genau und nahm mehrere verschiedene Photographien mit nach Hause. Im Jahre 1863 legte v. Baer das Ergebniß seiner Untersuchungen über diesen Schädel in einem deutschen Aufsatz nieder: "Ueber einen alten Schädel aus Mecklenburg, der als von einem dortigen Wenden oder Obotriten stammend betrachtet wird, und seine Aehnlichkeit mit Schädeln der nordischen Bronze=Periode, von K. E. v. Baer", in "Mélanges Biologiques "tirés du Bulletin de l'Académie impériale des sciences de St. Petersbourg, Tome IV, 5/17. Juni 1863", p. 335 flgd. Die Abhandlung ist auf einer beigegebenen Tafel von 5 Abbildungen des Börzower Schädels von verschiedenen Seiten (nach den Photographien) begleitet. Baer kommt nur zu der Behauptung: "Die Form des Schädels unterscheidet sich so auffallend von der typischen Kopfform der in dieser Beziehung bekannten Slavischen Völker, daß man bezweifeln darf, daß er einem Slavischen Volke angehört habe. - - - Ich bemerkte schon in Schwerin, daß dieser "Kopf sehr mit der Form übereinstimmte, die ich für die

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wahre keltische halte, nach Formen aus alten Gräbern im mittlern Frankreich u. s. w. - - Ich zweifle nicht mehr, daß diese unverbrannten Leichen nicht zu dem Volke gehörten, dessen Reste in den Urnen liegen. - - -Der zu Börzow ausgegrabene Kopf hat auch viele Aehnlichkeit mit einem viel älteren aus der Bronze=Periode."

Vorläufig ließ sich nichts weiter in der Sache thun. In Folge der Entdeckung der Römergräber zu Häven ward ich aber auf andere seltnere Vorkommenheiten wieder aufmerksam und fing an, die frühern Funde, welche alle sorgfältig aufbewahrt sind, aufs Neue zu durchforschen. Ich hatte auf dem Begräbnißplatze an der Stelle, wo bei der Wegearbeit das Gerippe ausgewühlt war, und zunächst umher, wo Urnen zertrümmert waren, gewissenhaft Alles gesammelt, was irgend den Anschein von Alterthümlichkeit hatte, und hierunter auch mehrere kleine Bruchstücke von Bronze, theils nur zerbrochen, theils geschmolzen (aus den zerschlagenen Urnen). Die nur zerbrochenen, nicht im Feuer gewesenen Bruchstücke von bronzenen Geräthen, welche freilich nur 1 Zoll groß, aber doch noch sehr bezeichnend sind, sind folgende:

1) Ein Stück von einem bronzenen Siebe mit zwei parallelen geraden Reihen feiner eingeschlagener Löcher; in einer dritten geschwungenen Reihe ist das Blech abgebrochen.

Dieses kleine Bruchstück stammt nach der Arbeit offenbar und sicher von einem römischen Siebe.

2) Zwei Stücke von Rändern von zwei Bronzegefäßen, welche in einander gerostet sind. Die Ränder sind nach der Arbeit durchaus charakteristisch für römische Gemäße, indem der Rand verhältnißmäßig sehr stark gegen die dünne Seitenwand und auf der Drehbank abgedreht und polirt ist.

Hier an dieser Stelle hat also offenbar, wie in den meisten römischen Funden des Nordens, eine römische Bronze=Kelle gelegen, in welcher ein Bronze=Sieb gestanden hat. Diese Sachen sind ohne allen Zweifel immer römisch.

Es läßt sich daher nicht bezweifeln, daß hier, wo ein nicht verbranntes Gerippe gefunden ist, römischer Einfluß vorhanden gewesen sei.

Und daraus dürfte zu schließen sein, daß der ungewöhnliche Schädel von Börzow auch ein Römerschädel und das Begräbniß ein Römergrab sei. So viel ein wissenschaftlicher Laie zu beurtheilen vermag, so sind auch die

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römischen Männerschädel von Häven und der Schädel von Varpelev auf Seeland dem Schädel von Börzow gleich.

Der Staatsrath v. Baer giebt die Maaße des Börzower Schädels an, wie folgt:

"Die an dem Schwerinschen Kopfe genommenen Maaße habe ich mir in Engl. Zollen folgendermaßen notirt. Der Englische Zoll ist mit 25,399 oder 25,4 in Millimeter zu verwandeln."

Länge der Schädelhöhle 6, 8
Breite 5, 22
Höhe 5, 28
Breite der Stirn zwischen beiden Sin. semic. 3, 6
Breite am hintern Rande des Stirnbeins 4, 2
Abstand der Parietalhöcker 5, 0
Abstand der Jochbogen 4, 8
Umfang des Schädels 19, 3
Bogen von der sutura nasale bis zum Fr. magnum 14, 3
Von der sut. nasalis bis zum vordem Rande des For. magnum 3, 7
Größte Breite des Hinterhauptes 4, 8

Der Schädel von Börzow wird also ungefähr gleich alt mit den Schädeln von Häven sein. Und dies wirft wieder viel Licht auf die Altersbestimmung gewisser Arten von Urnen. Die Urnen des Börzower Begräbnißplatzes waren schalenförmig weit geöffnet, theils braun, theils kohlschwarz von Farbe, und mitmäanderförmigen Figuren von Punktlinien verziert (vgl. unten S. 236). Ich habe später wiederholt die Ansicht ausgesprochen und auch nachgewiesen, daß diese Urnen der Eisenzeit und deren Inhalt älter sind, als die slavische Bevölkerung in Meklenburg, und sicher wenigstens bis in das erste Jahrhundert nach Chr. zurückreichen (vgl. Jahrb. XXVI, 1861, S. 161 flgd. und XXV, S. 252 flgd.), die Bevölkerung also, von der sie stammen, hier noch eine germanische war. Der Fund von Börzow würde also, wenn sich die Schlüsse richtig verhalten, wieder einen Beweis für das angenommene Alter dieser Urnen liefern, indem sie nach den Forschungen über die Gräber von Häven ungefähr in die Mitte des 3. Jahrh. n. Chr. fallen würden.

Der Herr Lehrer Dr. Mummenthey zu Schwerin hat nun den Schädel von Börzow und die ausgeprägten (römischen) Hauptschädel von Häven nach Virchowscher Weise in den Hauptrichtungen gemessen und auch den Schädel von Varpelev auf Seeland auf Virchowsche Maaße gebracht.

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Das Ergebniß dieser Messungen ist folgendes:

Tabelle I.

Für diese Tabelle gilt das Millimeter als Maaßeinheit.

Schädelmaße

Tabelle II.

In dieser Tabelle werden sämmtliche Brüche auf den Nenner 100 reducirt.

Schädelmaße