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VI. Zur Naturkunde.


Rindsskelet von Malchin.

(Zahme Primigenius=Race).

Beim Auslaufe des neuen Kanals bei der Stadt Malchin in den alten Kanal, vor dem Bahnhofe, ward im J. 1863 in einer Tiefe von 15 Fuß im Moor das unversehrte Gerippe eines versunkenen uralten Rindes gefunden und durch die Fürsorge der Herren Baumeister Wachenhusen und Luckow zum großen Theile gerettet und an die Sammlungen zu Schwerin abgegeben. Das Gerippe ist wahrscheinlich vollständig vorhanden gewesen; es haben aber nur folgende Theile herausgebracht werden können: der vollständige Schädel mit Unterkiefern, die Hals= und Rückenwirbel, das Steißbein, die Mehrzahl der Rippen und die Schulterbeine.

Der Schädel ist dem Herrn Professor Rütimeyer zu Basel, auch auf dessen dringenden Wunsch, noch im J. 1863 zur Untersuchung zugesandt. Dieser äußert sich darüber brieflich folgendermaßen: "Der große Schädel von Malchin gehört ohne allen Zweifel einem Bos primigenius, jedoch "einem zahmen Thiere, stellt also eine Primigenius=Race dar, welche aber mit der Stammform überraschend viel Eigenthümliches hat, außer der Richtung der Hörner, welche bei der Stammform vertical aufstehen, hier horizontal liegen. Nichts desto weniger ist kein Zweifel, daß wir hier einen Primigenius=Schädel vor uns haben. Der Schädel hat mir auch wertvollen Anfschluß über einen Schädel gegeben, der mich viel beschäftigt hat und der aus einem englischen Park (Legh Park) von einer noch wilden Heerde stammt. Dieser Schädel stimmt mit dem Schädel von Malchin in der vollkommen horizontalen Richtung der Hörner,

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auch in andern Eigenthümlichkeiten durchaus überein". - In dem Schädel aus dem Pfahlbau von Gägelow (vgl. oben S. 126) erscheint bereits im Steinalter die Frontosus-Race mit Primigenius gekreuzt."

Ueber das Wesen der uralten Rindviehracen spricht der Herr Professor Rütimeyer in seiner gedruckten Fauna der Pfahlbauten der Schweiz also:

Wilde Thiere.
Der Ur. Bos primigenius.

S. 71. "Das Vorkommen und die Gesellschaft des Bos primigenius im Diluvium sind bekannt genug; in der letztern namentlich treten Thierformen auf, die gewiß den Bewohnern der Pfahlbauten vollkommen unbekannt waren; aus der Gesellschaft aller der großen Pachydermen, die heute auf das tropische Afrika und Asien beschränkt sind, sehen wir den Urochs ohne alle Brücke und ohne Sprung in eine durchaus nicht kulturlose menschliche Gesellschaft treten, die auf ihn Jagd macht, allein gleichzeitig directe oder Mischlingsabkömmlinge dieses Zeitgenossen des Nashorns und Flußpferdes im Stalle pflegt und melkt. - Der Ur erscheint "also als ein in der Periode des Steinalters über die "ganze Schweiz verbreitetes und häufiges Wild."

Hausthiere.
Steinalter.
Das Rind.

S. 130. "Das Thier, welches seit dem höchsten Altertum, soviel wir wissen, vom Anfang menschlicher Geschichte an mehr als irgend eine andere Species dazu beigetragen hat, das Loos seines Herrn zu erleichtern und zu verbessern, nicht zwar durch active Annäherung an denselben, wie Hund und Pferd, allein dadurch, daß es ihm mehr als jedes andere Thier im eigentlichsten Sinne des Wortes alles zur Verfügung stellte, was es besaß, ist das Rind."

Primigenius=Race.

S. 140. "Während die Trochoceros=Race, deren Stammform nach den spärlichen bisherigen Quellen auf Italien zurückführt, auf die westliche Schweiz beschränkt erscheint, findet sich eine andere zahme Race von ebenfalls großen Schwankungen in der Körpergröße über alle Pfahlbauten des Steinalters in der Schweiz verbreitet, eine Race welche

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in der Schädel= und Hornbildung mit dem an derselben Stelle so ergiebig in wildem Zustande aufgefundenen Bos "primigenius übereinstimmt."

S. 141. "Der ganze Verlauf des Horns entspricht demjenigen von Bos primigenius und wird noch heute als der schönste Typus beim Rindvieh geschätzt."

S. 142. "Die Größe der Primigenius=Race des Steinalters schwankt innerhalb nicht sehr weiter Schranken. Ihr Mittel entspricht der Größe der mittelgroßen Viehrace von Schwyz. Doch sind auch weit größere Individuen im Steinalter gar nicht selten."

Brachyceros=Race.

S. 143 "ist eine sehr kleine Ochsenart, welche in neuerpliocenen Terrains von England ziemlich häufig mit Elephant und Rhinoceros, in den Torfmooren Irlands mit Megaceros hibernicus, in noch neuern Bildungen mit Edelhirsch und römischen Antiquitäten zusammen gefunden wurden. Owen vermuthet in ihr die Stammart der kleinen kurzhörnigen bis hornlosen Viehracen, welche unter den Namen der Kyloes und Runts in den Hochlanden von Schottland und Wales gehalten werden und nach Owen's Vermuthung die zahmen Viehheerden der Einwohner Britanniens vor der römischen Invasion bildeten."

"Nach Nilsson findet sich dieselbe Species in Skandinavien gleichzeitig mit Bos primigenius, Rennthier und einer ferneren Ochsenart, Bos frontosus, in Menge fossil; Nilsson glaubt, daß sie im wilden Zustand vor der historischen Periode ausgerottet wurde, und führt das kleinhörnige Vieh Finnlands auf sie zurück."

S. 145. "Alle Angaben stimmen durchaus überein mit den Merkmalen, welche die als Torfkuh bezeichnete kleine und kleinhörnige Viehrace des schweizerischen Steinalters charakterisiren, eine Race, welche in den vermutlich ältesten Pfahlbauten dieser Periode fast ausschließlich vorkommt."

S. 145. "Die drei Racen, Trochoceros=, Primigenius= und Brachyceros=Race, sind die einzigen, welche im Steinalter in der Schweiz bisher aufgefunden wurden. Eine vierte Race von eben so guter zoologischer Abgrenzung, welche in der Schweiz heutzutage stark vertreten ist, und weiter unten unter dem Namen der

Frontosus=Race

zur Besprechung kommen wird, hat im Steinalter keine Spuren hinterlassen."

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Gegenwart.
Primigenius=Race.

S. 201. "Die Schädel von Bujadning (Oldenburg), Friesland und Holland entsprechen in jeder Beziehung den "Schädelstücken aus den Pfahlbauten der Schweiz, welche ich unter dem Namen der Primigenius=Race vereinige. Auch an Größe bleibt der friesische Schädel nicht hinter dem riesigen Stammthier zurück."

Brachyceros=Race.

S. 205. "Die Schädel der ungefleckten, in den Abstufungen von Hellgrau bis Schwarzbraun immer einfarbenen und mehr oder weniger thierfarbenen Race von Schwyz, Uri, Wallis, Oberhasle, Graubünden und in vollem Maaß auch der Schädel aus Algier zeichnen sich durch ein gemeinsames Gepräge aus, welches dieselben sowhl von der eben beschriebenen, als von der nachfolgenden Race sofort unterscheidet." (Vgl. unten Rindsschädel von Penzin.)

Frontosus=Race.

S. 207. "In Torfmooren des südlichen Skandinaviens finden sich gleichzeitig mit solchen von Bos primigenius und Bison europaeus Schädel einer Ochsenart, welche, kleiner als der Urochs, doch den Bos brachyceros an Größe bedeutend übertrifft, allein von der in Skandinavien gegenwärtig lebenden Viehrace in vielen Stücken vollständig abweicht. Sie hat durch Nilsson den Namen Bos frontosus erhalten."

S. 208. "Außer Skandinavien hat auch England Schädel dieses fossilen Ochsen geliefert, der nach Nilsson's Ansicht zu der ältesten postpliocenen Fauna dieser Länder gehört und mit Bos brachyceros, mit dem Rennthier, Wildschwein und andern Thieren aus Deutschland nach Skandinavien einwanderte zur Zeit, als diese beiden Gebiete noch vereinigt waren."

"Die Heimath des Bos frontosus sucht Nilsson in Deutschland."

"Unter den Resten vom Rind in den schweizerischen Torfmooren suchte ich bisher ganz vergeblich nach Spuren des Bos frontosus; es war dies um so auffälliger, als ja grade seine Genossen in Schweden, der Urochs und der Wisent, so reichlich auch hier sich vorfanden, und als ich seit

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"langem wußte, daß der von Nilsson in Deutschland ursprünglich einheimisch vermuthete Bos frontosus in der Schweiz durch eine der wichtigsten und berühmtesten heutigen Rindviehracen reichlich vertreten ist; seine ostceologischen Details finden sich bis in alle Einzelheiten wieder bei der großen, meistens roth mit weiß gefleckten Viehrace, welche, in reinster Form in den hintersten Thälern des bernischen Saanenthales zu Haus, sich von da durch das Simmenthal fast über alle ebenen Theile der Schweiz ausgedehnt und daher verschiedene Namen erhalten hat, allein doch im Ganzen wesentlich Simmenthal=Saanen=Race genannt wird. Dieselbe Race findet sich mit schwarzer Farbe oder schwarz und weiß gefleckt im Kanton Freiburg."

"Der Umstand, daß dieselbe Species, in früherer Periode in Schweden fossil, heute in der Schweiz reichlich vertreten, in den Pfahlbauten daselbst gänzlich fehlt, ist also ein evidenter Beleg für die Einwanderung in die Schweiz."

S. 221. "Das allgemeine Resultat dieser freilich noch sehr unvollständigen Uebersicht eines Theils der heutigen Rindviehracen von Mittel=Europa geht dahin, daß dieselben von drei schon theilweise seit längerer Zeit bekannten diluvialen Species: Bos primigenius, Bos brachyceros und Bos frontosus abstammen, von welchen die erste im Diluvium von ganz Europa, die zwei letztern bisher nur in Schweden und England fossil nachgewiesen sind. Fernere Forschungen müssen lehren, ob dieselben nicht auch anderwärts als autochthon zu betrachten sind; für Bos brachyceros wird dies durch sein allgemeines Auftreten in den ältesten Perioden des Pfahlbaues höchst wahrscheinlich; bei Bos frontosus spricht, wenigstens in Bezug auf die Schweiz, sein eben so constantes Fehlen durch alle Perioden der Pfahlbauten eben so entschieden gegen eine solche Annahme.

G. C. F. Lisch.