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Drei Denksteine aus der Umgegend von Wismar

So wie es noch heute im südlichen Deutschland Sitte ist, durch plötzlichen oder gewaltsamen Tod auf der freien Straße Umgekommenen an der Stelle des Unglücks Kreuze zu errichten, so wird es auch im Mittelalter überall gewesen sein. Da aber hölzerne Monumente, welche ohne Zweifel die Mehrzahl gebildet haben, im Laufe der Zeit zerstört sind, so haben nur die steinernen übrig bleiben können, von denen aber gewiß auch eine Menge untergegangen sind. Meines Wissens sind von dieser Art in Meklenburg bisher bekannt geworden: das Denkmal eines Grafen von Schwerin bei Wittenburg (A. X, 197), der Bernstorff'sche Stein von 1351 (B. II, 167 mit Abbildung), der Stein von Eversdorf für Lüdeke Moselenborg von 1391 (A. XI, 483. XX, 300.), der von Selow für Herman Lammeshovet von 1399 (A. X, 371), das Denkmal für Gottschalk von Köln zwischen Barnsdorf und Biestow bei Rostock von 1409 (Schröders P. M. S. 1753), und endlich der Denkstein für den Domprobst Thomas Rode in Rostock aus dem Ende des 15. Jahrhunderts (Francks A. u. N. M. B. VIII, S. 242). Der wittenburger Stein ist von Granit, alle übrigen noch vorhandenen aber von Kalkstein, der aus dem Norden eingeführt, auch das Material zu Leichensteinen, Altarplatten, Fünten, Weihbecken, Säulenschäften, Kapitälern, Basen u. s. w. abgab. Er ist nicht überall von gleichen Güte; während derjenige der älteren Denkmäler von großer Härte ist, so daß man ihn leicht für Granit halten kann, ist der in jüngerer Zeit oft blätterig 1 )


1) Ein vortreffliches Mittel, um im Freien befindliche, schwer zu entziffernde, stehende Inschriften zu lesen, ist, dieselben mit einem Lederballen, der mit Kreidepulver berieben ist, zu überfahren. Obschon nicht ganz ungeübt im Lesen mittelalterlicher Schrift, habe ich doch erst mit Hülfe dieser Methode die folgenden Inschriften so weit entziffern können, was ich hier bemerke, da ich dieses Mittel noch nirgends angegeben gefunden habe.      C. D. W.
Bei liegenden Leichensteinen in Kirchen und im Freien bin ich immer am besten gefahren, wenn ich die Inschriften, ohne den Staub (  ...  )
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und von schlechter Farbe. In älterer Zeit verwandte man ausschließlich die weiße Art, im fünfzehnten Jahrhundert wählte man wenigstens zu Grabsteinen auch rothes und blaues Gestein. Mit Ausnahme des wittenburger Steins und des Denkmals für Gottschalk von Köln haben alle die Denksteine eine gleiche Form. Es sind Tafeln von 4-6 Zoll Stärke, 1 1/2 - 2 Fuß Breite und 6 - 8 Fuß Höhe, die mit einem abgerundeten Kopfe versehen sind, wie die Abbildung des bernstorffschen Steines zeigt. Franck a. a. O. nennt den Denkstein für den Domprobst Thomas Rode eine "Docke", im Mittelalter nannte man sie "Kreuze", wie man unten sehen wird. Die drei in folgendem beschriebenen "Kreuze" stehen in der Nähe von Wismar.

1. Denkstein von Wendorf.

Neben der Chaussee nach Grevismühlen auf dem wendorfer Felde, jetzt weiter als vordem, dicht an die gögelower Scheide gerückt, steht ein durch Wetter und Menschenhand arg mitgenommener Denkstein; der Kopf desselben fehlt bereits. Auf der vorderen Fläche ist ein Crucifix eingerissen, die hintere ist glatt. Die Inschrift ist auf den schmalen Seiten angebracht. Sie hat oben auf dem Kopfe begonnen und läuft die eine Seite hinunter, während die zweite Hälfte wieder auf der Spitze des Kopfes begann; wenn man diese liest, steht man dem Crucifixe gegenüber, so daß vielleicht die Seite, auf welcher dasselbe dargestellt ist, als die hintere angesehen werden muß. Was von der Inschrift noch übrig ist, lautet folgendermaaßen:

Inschrift

d. i. [Anno domini] mccclxiiii in die pentheco[stes] [obiit . . . . . . . ] Leddeg[he]. Orate deum pro eo.
= Im Jahre des Herrn 1364 am Pfingsttage (12. Mai) starb . . . . . . . Leddeghe. Bittet Gott für ihn.

Da die beiden letzten Buchstaben des Namens ausgesprungen sind, so ist derselbe nicht ganz sicher Leddeghe zu lesen. Höchst wahrscheinlich ist diese Lesart aber richtig. Die letzten


(  ...  ) aus den Vertiefungen zu fegen, so lange mit der Schuhsohle gerieben habe, bis die Inschrift weißlich geworden ist.      G. C. F. Lisch.
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Reste der beiden abgesprungenen Buchstaben passen nicht wohl anders als zu einem h und einem e , und der Name kommt, Leedeghe, Ledeghe, Leddeghe geschrieben, in und bei Wismar im 14. Jahrhundert mehrfach vor. So kaufte Otto im Jahre 1324 von dem fürstlichen Notar Hinrik Vrouwenberg ein Haus in Wismar, tritt 1344 zuerst als Rathmann daselbst auf und wird 1357 zuletzt genannt. Sein Sohn hieß Hinrik, 1349; Hinrik Ledeghe kommt auch 1329 und 1337 vor. Auch gab es einen Priester Otto Leddege, vielleicht Sohn des Rathmannes (vgl. Schröder P. M. S. 2079). Endlich verkaufen die Gebrüder Albert, Marquard und Nicolaus Ledeghe 1344 mit fürstlichem Consense dem Rathmann Johann von Kröpelin zu Wismar eine Rente aus anderthalb Hufen zu Wustrow; diese führen im Siegel einen queer getheilten Schild. Freilich geben diese Daten keinen Anhalt zur Ermittelung desjenigen, dem unser Stein errichtet worden ist.

2. Denkstein von Schimm.

Linker Hand an dem Kirchwege von Schimm nach Jesendorf steht ein sehr großer Denkstein. Auf der vorderen Fläche ist der Grund im Kopfe und die obere Hälfte des Körpers des Steines so vertieft, daß noch ein Rand stehen geblieben ist, dessen Breite der Dicke des Steines etwa gleicht. Auf der vertieften Fläche ist ein Gekreuzigter erhaben dargestellt, zu dessen Füßen ein Betender mit einem rechts gelehnten Wappenschilde vor und einem Spruchbande über sich knieet. Auf dem Spruchbande erkennt man das Wort dei (= dei). Die Inschrift beginnt etwas unterhalb der Vertiefung und läuft rings um dieselbe herum. Sie lautet also:

Inschrift

d. i. Anno domini mccccix in die trinitatis obiit dominus Nicolaus Vinke proconsul ciuitatis Wismaryensis, Orate pro eo. - Im Jahre des Herrn 1409 am Dreifaltigteitstage (2. Junii) starb Herr Nicolaus Vinke, Bürgermeister der Stadt Wismar. Betet für ihn.

Die hintere Fläche des Steines anlangend, so ist der Kopf gleichfalls hier vertieft, aber es erweitert sich die Vertiefung abwärts vom Halse parallel dem Rande, wie es auf der Vorderseite der Fall ist, nicht, sondern sie behält die Breite, welche

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sie an der engsten Stelle des Halses hat, und geht das oberste Drittel abwärts. Ungefähr das zweite Drittel nimmt eine mit einem Stichbogen geschlossene, sonst rechteckige Vertiefung ein. In der oberen ist wieder ein Crucifix ausgespart, in der unteren ein Betender mit seinem Wappen vor sich. Dasselbe besteht (wie vorne) aus einem rechts gelehnten, unten abgerundeten, quer getheilten Schilde, während der Helm ein etwas ausgeschweiftes vierseitiges, mit Federbüscheln auf den drei freien Ecken verziertes und die Schildtheilung wiederholendes Schirmbrett zeigt.

Es ist also hier der Sterbeplatz des wismarschen Bürgermeisters Nicolaus Vinke, mithin der Stein von den bis jetzt bekannten nächst dem wittenburger und dem für den Domprobst Thomas Rode der historisch merkwürdigste. Dazu kommt, daß sich auch die Art seines Todes angeben läßt, nämlich Mord, und die Namen der Thäter aufbewahrt sind, denn es findet sich in dem wismarschen Liber proscriptorum S. 65 unter dem Jahre 1409 folgende Eintragung:

Clawes Surowe heft vorvested her Otte Vereggen, her Hinrik Reuentlowen, ryddere, her Hinrik Witten, borgermestere to Rostke, Henneke Moltken to deme Strytuelde, Henneke Moltken to Zůwan, Woldemer Moltken, Otte Vereggen, Euerd Moltken, Jurges Moltken, Hartich Reschynkel, Henneke Reuentlowe, knapen, vnde alle ere medehulpere, de se bevragen konen vmme den mord vnde vmme den rof, den se hebben daen in her Vynke vnde in synen vrunden; de he myt sic hadde vp deme velde, dar se vmme synt vorwunnen myt alme Lubeschen rechte.

Nicolaus Vinke wurde (Schröders K. B. S. 37) im Jahre 1399 in den Rath erwählt und wurde 1407 Bürgermeister, als welcher er sich 1408 auf einer Tagefahrt zu Lübeck als Vertreter der Stadt befand. Da der Name in älterer Zeit in Wismar nicht vorkommt, so wird die Familie erst im 14. Jahrhundert eingewandert sein, vielleicht von Poel, wo es Bauern dieses Namens gab und von wo mehrere bedeutende wismarsche Geschlechter stammen. 1361 wird ein Nicolaus Vinke genannt, der möglicher Weise der Vater des Bürgermeisters war. Daß dieser kein unbedeutender Mann gewesen, darf man wohl daraus schließen, daß er, nachdem er erst acht Jahre im Rathsstuhle gesessen, zum Bürgermeister erwählt wurde, und selbst die Umstände seines Todes dürften diese Vermuthung unterstützen. Denn daß hier kein gemeiner

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Raubmord durch Stegreifritter stattgefunden, scheint auf der Hand zu liegen, da die Motivirung der Verfestung durch Raub offenbar nur zur Verstärkung derselben dient, während der Mord das Hauptmoment abgegeben haben wird; sicherlich ist der Raub auch nur von denen geübt, die man noch erst "erfragen" wollte, von den Knechten der Edelleute. Es spricht ferner gegen einen gemeinen Raubmord der Umstand, daß zwei Ritter sich unter den Verfesteten befinden, die, so weit meine Erfahrung reicht, sich mit Wegelagern in der Regel nicht abgaben und dies den Knappen überließen. Der Hauptgrund für die Annahme besonderer Motive zu dieser That liegt aber darin, daß ein Bürgermeister der befreundeten Stadt Rostock, Hinrik Witte, mit unter den verfesteten Thätern aufgeführt wird. Mag hier nun ein Act persönlicher Rache geübt sein, oder mag der Ueberfall dem Bürgermeister gegolten haben, das wismarsche Archiv bietet nichts mehr, was diese Angelegenheit aufklären könnte, und mag hier schließlich noch bemerkt sein, daß dieselbe später beigelegt worden ist, da die Inscription im Liber proscriptorum getilgt ist. Die Errichtung des Denksteines ist ohne Zweifel ein Theil der Sühne gewesen 1 ).

3. Denkstein von Sauensdorf

Nicht weit hinter Beidendorf an der Landstraße von Wismar nach Gadebusch steht links am Wege dem Hofe Sauensdorf gegenüber ein 6 1/2 Fuß hoher Denkstein. Der Kopf ist parallel seinem Rande vertieft, doch ist diese Vertiefung nicht rein kreisförmig, sondern sie erweitert sich in den Hals hinein noch einmal in einem geschweiften Spitzbogen (Eselsrücken), so daß die ganze Vertiefung die Fischblasenform hat. In derselben ist ein Crucifixus erhaben dargestellt; die hintere Seite des Kopfes zeigt dieselbe Verzierung. Die Schrift beginnt am Fuße des Steines und läuft an dessen rechten Rande bis zum Halse hinauf; sie setzt sich fort unter dem Halse in fünf


1) Gerd Hasenkop zahlt für den Todtschlag des Vaters Albrecht Toden 26 Mk. und verpflichtet sich, ihm ein Kreuz vor dem Dorfe Rüting zu setzen. 1480. Bruder Johann Dorow, Hofmeister zu Redentin, zahlt für den Tod Titke Bolsken 30 Mk. (und zwar 10 Mk., wenn die Hand begraben wird, was mit 50 Personen geschehen soll), und soll ein hölzernes Kreuz auf Redentiner Gebiet (domineum) an der gemeinten Straße errichten. 1483. Hans Both, Joachim v. Broke und Jaspar Both zahlen für den Todtschlag Clawes Schröders vom Broke 40 Mk. und verpflichten sich zur Setzung eines Kreuzes für ihn in das Dorf zu Kalkhorst. 1486. Lib. testimon. civ. Wism. ad a.
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wagerechten Zeilen, welche sich bis an den linken Rand desselben erstrecken, und den Rest der Inschrift enthält eine Zeile, die unter der wagerechten beginnend am linken Rande hinunterläuft. Man liest folgendes:

Inschrift

Das ist:

[Anno domini] mccccxxxix feria iij ante festum ascensionis domini obiit Johannes Steenvord ciuis Wysmariensis. Orate pro anima eius. Hanc crucem posuit hic [ . . . ] frater eius.
= Im Jahre des Herrn 1439 am Dienstage vor dem Fest der Himmelfahrt des Herrn (12. Mai) starb Johannes Steenvord, Bürger von Wismar. Betet für seine Seele. Dies Kreuz setzte hier . . . sein Bruder.

Das Datum der Jahreszahl 1439 ist nicht ganz sicher und wäre möglicher Weise auch statt XXXIX zu lesen XXXV, doch scheint jenes richtiger. Der Name des Bruders ist ganz abgesprungen. Unter den wagerechten Zeilen und zwischen den seitlichen sind die Umrisse eines Betenden eingegraben, denen auf der Rückseite ein Schild mit einem Hauszeichen entspricht.

Der Name Stenvord ist nicht selten in Wismar. Um 1300, wahrscheinlich noch vor diesem Jahre, wurde Peter, 1339 Merten von Stenvord als Bürger dort aufgenommen. Johannes Stenvord wird 1360 genannt. Endlich vertragen sich Herman Stenvord und sein Sohn Johannes 1421 wegen des letzteren müttertichen Erbtheils, verdienten Lohns und alles bis dahin gehabten Haders und Unwillens. Vielleicht war es dieser, dem unser Denkmal gesetzt ist.

Zu bemerken ist, daß dieser Stein, diese "Docke" Francks, in der Inschrift crux, Kreuz, genannt wird. Es geht daraus hervor, daß wo im Mittelalter bei uns von steinernen Kreuzen als Denkmälern die Rede ist, Steine dieser Art zu

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verstehen sein werden, welche ihre Benennung wohl von dem auf dem Steine angebrachten Crucifixe tragen. Solche Kreuze sind nicht ganz selten. So wird im wismarschen Stadtbuche um das Jahr 1290 eine crux auf der Stede des von der Stadt 1279 angekauften und zur Stadtfeldmark gelegten Dorfes Dargetzow erwähnt. 1333 wird "Cillinges krutze" genannt, welches, wie ich glaube, vor dem meklenburger Thore stand. In der wismarschen Friedensurkunde von 1430 wird Art. 4 bestimmt, daß man "eyn stenene cruce" auf den Markt setzen solle, wo der Bürgermelster Johann Bantzekow und der Rathmann Hinrik v. Haren enthauptet wurden; Reimar Kock kannte dasselbe als "eine stenen docke" (Grautoffs Lüb. Chron., Bd. II, S. 684). Auch in dem Vertrage zwischen dem Bischofe von Schwerin und der Stadt Rostock wegen der Domhändel wurde festgesetzt, daß die Stadt dem erschlagenen Probste ein steinernes Kreuz errichten sollte, das gegenwärtige Monument nennt Franck aber, wie bereits oben bemerkt, gleichfalls eine Docke.

C. D. W.