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c. Zeit der Wendengräber.


Die wendischen Gräber der Eisenperiode,
verglichen
mit den gallisch=fränkischen Gräbern im Luxemburgischen,

vom

Archivar Lisch.

Wir haben seit Anbeginn unserer Forschungen die Gräber der Eisenperiode den wendischen Völkerschaften zugeschrieben und diese Ansicht in den Jahrbüchern zu begründen gestrebt. Wir sind durch eine Menge von Gründen, vorzüglich aber durch das Zusammenfassen aller Einzelnheiten zu einem Gesammteindrucke, welchen wir für wichtiger halten, als einzelne besonders auffallende Erscheinungen, zu dieser Ueberzeugung gelangt. Mögen auch einzelne Stimmen in Hypothesen sich dagegen erhoben haben, wir haben die immer wiederkehrenden Erscheinungen stets mit unsern Erfahrungen übereinstimmend gefunden. Die Stein=Periode liegt hinter aller Geschichte und hat bis jetzt noch keinen geschichtlichen Anknüpfungspunkt gefunden. Die Bronze=Periode in den germanischen Ländern stimmt mit der Cultur der altgriechischen und altitalischen Bronze=Periode so sehr überein, daß sich alle diese Völker derselben Periode nicht trennen lassen.

Die Eisen=Periode bietet im Ganzen und im Einzelnen eine für alte Cultur so moderne Erscheinung, daß sie nothwendig in die letzte Zeit des Heidenthums fallen muß, welche im nordöstlichen Deutschland von den wendischen Slaven belebt ward. Der Charakter dieser Wendengräber ist im Allgemeinen folgender. Die Leichen sind immer verbrannt. Die Aschenurnen sind nicht unter einen auf der Erdoberfläche aufgeschütteten Hügel (tumulus) beigesetzt, sondern in den natürlichen Erdboden vergraben; sie finden sich in der Nähe der noch stehenden Dörfer, welche ehemals wendisch waren, in großer Anzahl, oft zu Hunderten, vergraben, und diese Stellen werden von dem Volke seit 300 Jahren oft "Wendenkirchhöfe" genannt. Im Besondern haben aber diese Wendenkirchhöfe folgende Eigenthümlichkeiten (vgl. Jahrb. XII, S. 421 flgd.). Die Urnen sind schalenförmig, braun oder kohlschwarz, mit Verzierungen geschmückt, welche durch Stempel oder Rollräder in Punktlinien eingedrückt sind. Das Eisen, welches in den frühern Perioden gar nicht beobachtet

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ist, findet allgemeine Anwendung, selbst zu Schmucksachen. Die Bronze erscheint seltener und nur zu Schmucksachen verarbeitet. Silber ist häufig, noch häufiger buntes Glas; sehr selten ist Gold, welches nur in einzelnen Beispielen beobachtet ist.

Dieselben silbernen Schmucksachen, die sich in den Wendengräbern finden, sind mit den "Wendenpfennigen" und den nachgemachten köllnischen und andern Münzen des 10. Jahrhunderts zusammen gefunden.

Diese und viele andere Gründe haben uns zu unserer Ansicht geführt, ohne daß wir Einzelnheiten besonders hervorgehoben und verglichen haben, was wir leicht hätten thun können.

In den neuern Zeiten sind nun viele Entdeckungen gemacht, welche unsere Ansicht nachdrücklich bestärken. Es sind in der Schweiz, im südlichen Deutschland, am Rhein hinab, in Belgien große Todtenlager aufgedeckt, z. B. zu Bel=Air, Nordendorf, Selzen, selbst bei Hallstadt, welche unter einander die größte Aehnlichkeit haben und alle einer bestimmten Periode, ungefähr seit dem Untergange des weströmischen Reiches, angehören. Diese Gräber stimmen im Wesentlichen nicht nur unter einander, sondern auch mit den Gräbern ferne liegender Völkerschaften, z. B. der Angelsachsen und der Wenden, überein, und es ist anzunehmen, daß eine und dieselbe Form der Cultur damals durch ganz Mitteleuropa ging, wie in den ältesten Zeiten der Bronze=Periode. Man darf hier nicht so sehr einzelne Eigenthümlichkeiten, die sonst nicht vorkommen, vergleichen. Das Verbrennen der Todten konnte bei den Wenden Sitte sein, während man zu derselben Zeit am Rhein die Leichen unverbrannt begrub: und doch konnten die Geräthe in beiden Gegenden gleich sein. Die Geräthe konnten an Kunstfertigkeit sehr von einander abweichen und doch in den Grundformen übereinstimmen. So z.B. sind in diesen Zeiten die damals beliebten Hefteln mit einer Spiralfeder, welche in der alten Zeit der Bronze=Periode ganz fehlen, in der Schweiz und den Rheinlanden häufig sehr reich und kunstvoll verziert, während dieselben Hefteln in den Wendenländern ganz einfach, aber von derselben Gestalt sind. Ueberhaupt spielt die kunstvolle und getriebene Arbeit an Heften, Spangen, Schnallen, Buckeln eine große Rolle in den südwestlichen Gegenden, während dieser Zierrath in den nordöstlichen Gegenden ganz fehlt. Es ist von hohem Interesse, daß jetzt ein merkwürdiges Zwischenglied gefunden ist, welches die Gräber der beiden genannten Gegenden in Verbindung bringt.

Im Großherzogthume Luxemburg sind in neuern Zeiten viele Gräber aufgedeckt, welche der gallo=fränkischen Zeit zugeschrieben und in die Zeit vom 5. bis zu m 11. Jahrhun=

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dert gesetzt worden. Diese Funde sind ausführlich beschrieben in den Publications de la société pour la recherche et la conservation des monumens historiques dans le Grand-Duché de Euxembourg, VIII, 1853, in der mit Abbildungen begleiteten Police sur les tombes gallo - frankes du Grand-Duché de Luxembourg, par M. A. Namur, p. 26 sq. Diese Gräber, welche von der einen Seite mit den angedeuteten Gräbern der Rheinlande auffallend übereinstimmen, zeigen von der andern Seite die größte Aehnlichkeit mit den wendischen Gräbern, so daß man sagen kann, die luxemburger Gräber stehen von allen entferntem Gräbern den wendischen am allernächsten. Die oben beschriebenen wendischen Gräber lassen sich bis jetzt von Pommern über Meklenburg und die Mittelmark bis in die Altmark, an die Lüneburger Haide und in Wagrien, also so weit in Norddeutschland Wenden gewohnt haben, verfolgen. Die bisher bekannt gewordenen Gräber, die zunächst hinter diesen Grenzen liegen, z. B. die Gräber in Sachsen und in der Lausitz, sind von den wendischen Gräbern weiter entfernt, als die Gräber im Luxemburgischen. Es muß also eine gewisse Cultur, deren Wurzeln in den letzten Zeiten des römischen Reiches liegen, vom 5. bis 10. Jahrhundert sich über das deutsche Tiefland von Westen gegen Osten (oder zur See) verbreitet haben; die mitteldeutschen Berge und Wälder, vielleicht die Stammesverschiedenheiten selbst in demselben Volke, scheinen mehr abgesperrt zu haben, als die weite Entfernung.

Die Uebereinstimmung zwischen den luxemburgischen und den wendischen Gräbern bestehen in folgenden Eigenthümlichkeiten. Wir bevorworten hier ausdrücklich, daß wir nur andeuten wollen und nicht ausführen, was wir einer umfassenden Alterthumskunde überlassen müssen.

1) Die den Todten mitgegebenen Urnen sind in beiden Ländern gleich. Im Luxemburgischen finden sich grade solche schwärzliche Urnen, wie in den ehemaligen Wendenländern (vgl. a. a. O. p. 39). Sie sind nicht allein in den Formen übereinstimmend, d. h. in der besondern Führung der Linien, sondern auch in den Verzierungen, welche mit viereckigen Stempeln oder viereckig gezahnten Rollrädern eingedrückt sind. Diese Art von Verzierung ist bisher nur in der Eisen=Periode der wendischen Ostseeländer bis in die Altmark hinein beobachtet. Besonders gleichen die bei Mersch (p. 50) und bei Sierck (p. 54) gefundenen und Tab. II. Nr. 1 und 2 abgebildeten Urnen ganz und durchaus mehreren Urnen der meklenburgischen Wendenkirchhöfe (vgl. Jahrb. XII, S. 432 flgd.).

2) Die bunten Glasperlen, welche a. a. O. Tab. II.

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abgebildet sind, entsprechen ganz den in den Wendenkirchhöfen gefundenen, eben so

3) der a. a. O. Tab. III, Nr. 14 dargestellte silberne Ring.

4) Ganz gleich sind aber wieder die a. a. O. auf Tab. IV, Nr. 23 und 24 abgebildeten eisernen Schildbuckel, welche denen in Meklenburg gefundenen völlig gleich sind. Die großen helmförmigen Beschläge aus Eisen, in deren breitem Rande oft noch bronzene Nägel sitzen, erklärt Herr Namur a. a. O. p. 45 mit Recht für Schildbuckel. Wir erinnern uns nicht, dergleichen Beschlägen in irgend einer andern Periode begegnet zu sein.

5) Noch auffallender ist die Gleichheit der Hefteln, welche so construirt sind, daß auf der Rückseite einer kreisrunden bronzenen Platte, deren Oberfläche zum Schmuck mit bunten Glasperlen besetzt ist, die Nadel mit einer Spiralwindung angeheftet ist. Solche ganz eigenthümlich geformte Hefteln, freilich noch mit Goldplatten belegt, wurden im Luxemburgischen wiederholt gefunden; vgl. a. a O. p. 49 und 53, vgl. Tab. III, Nr. 1 und 2. Eben so gestaltete und verzierte (jedoch nicht mit Gold belegte) Hefteln wurden auch in dem Wendenkirchhofe von Pritzier häufig gefunden (vgl. Jahrb. VIII, S. 71 und 63). Die Form der Urnen in dem Wendenkirchhofe von Pritzier stimmt oft mit den Formen der luxemburgischen Urnen völlig überein.

Das häufigere Vorkommen von Gold in den luxemburgischen Gräbern deutet auf merovingischen Einfluß; das öftere Vorkommen von Silber in den wendischen Gräbern spricht schon für kufische Handelsverbindungen, welche sich in den frühesten Zeiten weit gegen Nordwest erstreckten.

Diese Uebereinstimmung ist zu genau und auffallend, als daß man nicht einen genauem Zusammenhang und Gleichzeitigkeit zwischen den luxemburgischen und wendischen Gräbern annehmen sollte; überdies besitzen wir ja Nachrichten, daß im 9. Jahrh. die wendischen Fürsten mit den westlichen Ländern im fränkichen Reiche in kriegerischer Verbindung standen (Vgl. Rudloff Mekl. Gesch. I, S. 19, 23 flgd.). Die lausitzishen, sächsischen und thüringischen Alterthümer haben dagegen schon einen ganz andern Charakter.

Die Aehnlichkeit geht aber noch weiter. Alle die eisernen Schwerter, Dolche, Lanzen, Pfeile, - ja selbst die vielen Schnallen und Haken, welche freilich in den westlichen Ländern von Bronze und reich verziert, in den wendischen Ostseeländern aber von Eisen, jedoch gut gearbeitet sind, sind dort, wie hier. Jedoch wollen wir hierauf kein großes Gewicht legen,

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da sich diese Eigenthümlichkeiten viel weiter in Raum und Zeit verbreiten. Auch von der "Francisca" und "Framea" wollen wir nicht reden, da dies noch sehr bestrittene Benennungen sind.

Das steht jedoch fest, daß sich in der Eisen=Periode nirgends eine größere Gleichheit zwischen Grabalterthümern findet, als zwischen den Gräbern Luxemburgs und Meklenburgs. In den dazwischen liegenden Ländern Hannover und Westphalen herrscht über den Gräbern der Eisen=Periode noch tiefes Dunkel, so daß sie jetzt wohl schwerlich zur Vergleichung gezogen werden können. Das aber scheint sicher zu sein, daß zu einer gewissen Zeit der Eisen=Periode, etwa vom 5. bis zum 10. Jahrhundert, derselbe Kunstgeschmack im mittleren Europa herrschte und daß es jetzt vorzüglich darauf ankommt, besondere Eigenthümlichkeiten aufzufinden, welche den einzelnen Völkerschaften zukommen. Die kunstvollem Bronze=Arbeiten in Hefteln, Buckeln, Schnallen, Spangen scheinen die niederrheinischen Völkerschaften mit den mittelrheinischen Völkerschaften gemein zu haben; dagegen fehlen dieselben in den deutschen Küstenländern ganz, wenn auch die Formen der Geräthe gleich sind.

Ich wollte nur anregen, da es mir zu einer durchgeführten Bearbeitung des Stoffes an Zeit fehlt und verweise auf die bekannten Schriften über die oberdeutschen Gräberfunde, auf die luxemburgischen und meklenburgischen Jahrbücher.

Schwerin.

G. C. F. Lisch.