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Messingschnitt und Kupferstich des Mittelalters,

von

G. C. F. Lisch.

Im Deutschen Kunstblatt, 1850, Nr. 17, S. 133 und ferner Nr. 26, S. 206 bespricht Kugler wiederholt die kunstreichen "bronzenen Grabplatten des Mittelalters", nachdem er dieselben schon früher in seiner Pommerschen Kunstgeschichte, 1840, (Balt. Stud. VIII, 1, S. 179), und in seinem Handbuch der Kunstgeschichte, in beiden Aufl., S. 592 und 622, auf dieselbe Weise behandelt hat. Es geht aus allen diesen Stellen unbezweifelt hervor, daß Kugler, und mit ihm gewiß viele Kunstfreunde, alle mittelalterlichen, metallenen Grabplatten für Werke einer und derselben Kunstthätigkeit oder Fertigkeit hält: der Beweis liegt schon darin, daß er die im Kunstblatt Nr. 17 von ihm angezeigten, jüngst in Holzschnitt herausgegebenen 140 englischen Monumente für gleiche Arbeit mit den berühmten, auch von ihm besprochenen, norddeutschen Kunstdenkmälern hält, obgleich diese völlig verschieden von jenen sind, und es jetzt scheint, als wenn England kein Denkmal in der bekannten norddeutschen Kunstweise aufzuweisen hat.

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Die Gleichstellung aller mittelalterlichen metallenen Grabplatten ist aber durchaus unrichtig und hat einen höchst schädlichen Einfluß auf die deutsche Kunstgeschichte, indem eine scharfe Scheidung und Beobachtung viel wichtiger ist, als es auf den ersten Blick scheinen mag, ja eine absolute und große Wichtigkeit hat. Man muß die mittelalterlichen metallenen Grabplatten sowohl nach dem Metall, als nach der Art der Arbeit strenge in mehrere Classen scheiden, von denen jede, wie es scheint, einen bedeutenden neuern Kunstzweig hervorgerufen hat.

In den norddeutschen Ländern, so weit der Ziegelbau reicht, fehlt es fast ganz an jenen monumentalen und decorativen Steinbildern, welche in Süddeutschland überall stehen; es giebt nur wenige Beispiele, daß steinerne Statuen zum Schmuck der Architektur benutzt worden wären, in Lübek findet man z.B. einige Beispiele in und an den Kirchen zum Heil. Geist und S. Katharinen; in Meklenburg ist dagegen kein einziges Beispiel bekannt. Eben so verhält es sich mit den Grab=Monumenten mit ganzen Figuren, die nie in Stein, sondern nur in einzelnen Beispielen in Messingguß erscheinen, z.B. im Dome zu Lübek die Statue auf dem Grabe des Bischofs Heinrich von Bokholt († 1341) und in der Dominikaner= oder Schwarzen=Kloster=Kirche zu Wismar die Statue auf dem Grabe der Herzogin Sophie von Meklenburg († 1504); eine andere, die früher auf dem Grabe des Bischofs Gottfried v. Bülow († 1314) im Dome zu Schwerin lag, ist im 14. Jahrh. von dem Grabe genommen und im vorigen Jahrhundert eingeschmolzen. Dagegen ward durchgehends Eichenholz mit Gold= und Farbenschmuck zu Statuen in Altären, Tabernakeln etc. . verwandt.

So glatt nun, wie die Wände der Ziegelbauten, sind auch alle Denksteine. Man nahm in den alten Zeiten große schwedische Kalksteinplatten und grub die für die Denkmäler bestimmten Darstellungen mit Linien in den Stein. Die nördlichen Länder besitzen viele vortreffliche Arbeiten dieser Art, jedoch kein einziges Relief aus alter Zeit, d.h. bis zum Anfange des 16. Jahrhunderts.

Zur Zeit der höchsten Ausbildung des Spitzbogenstyls und aller ihn begleitenden Künste kamen aber im nördlichen Deutschland zur Herstellung von Grabplatten die beiden Künste zur Anwendung und Ausbildung, die ich in der Ueberschrift an die Spitze dieser Zeilen gestellt habe.

Ich muß nämlich gegen Kugler entschieden in Abrede nehmen, daß es in Norddeutschland "bronzene" Grabplatten gebe; ich glaube nicht, daß hier die "Bronze" je zu Grabplatten in Anwendung gekommen ist. Ferner muß entschieden

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verneint werden, daß die großen Grabplatten, welche Kugler meint, "gravirt" seien, in so fern man unter Graviren die Darstellung eines Gegenstandes durch Eingrabung der Umrißlinien in die volle Platte versteht.

Dagegen entstand im 14. Jahrh. in Norddeutschland eine neue Kunst, welcher man keinen andern Namen als Messingschnitt geben kann und der im 15. und 16. Jahrh. auch wohl in Stein nachgeahmt ist. Alle jenen berühmten, großen Grabplatten, welche Kugler bespricht und meint, sind nämlich alle aus Messing, nie aus Bronze, weil Bronze und Kupfer für diese Darstellungsart viel zu weich sind; ferner sind die Darstellungen nicht durch eingravirte Umrißlinien, sondern durch Aussparung der ganzen Bilder zur Anschauung gebracht. Es sind Messingplatten, auf deren polirter Oberfläche die darzustellenden Gegenstände mit starken Umrissen abgegraben wurden und in glatter, gleicher Fläche stehen blieben, der Grund dagegen bis zu einer gewissen Tiefe durch Schaben oder Graben vertieft, das Darzustellende also durch Aussparen zur Anschauung gebracht ward. Man kann diese Arbeit nicht anders als Messingschnitt nennen und sie ist dieselbe, die noch heute bei Wappen etc. . in der Buchdruckerei angewandt wird. Das Verfahren bei dem Messingschnitt ist also wesentlich dem Verfahren bei dem Holzschnitt gleich, und es ist mehr als wahrscheinlich, daß in diesem Messingschnitt die erste Veranlassung zum Holzschnittdruck und zur Erfindung der Buchdruckerkunst liegt.

Diese Ansicht hat schon Sotzmann beiläufig in seiner "Aeltesten Geschichte der Xylographie und der Druckkunst" in v. Raumer's Histor. Taschenbuch, VIII, 1837, S. 490 ff. aufgestellt. Er nennt die Kunst des Messingschnittes, nach Plinius Vorgange, opus interrasile, und beginnt mit derselben folgerecht die Geschichte der Druckkunst, sowohl mit Holzschnitt, als mit Lettern. Ich habe darnach in den Jahrbüchern des Vereins für meklenburg. Geschichte und Alterthumskunde, XII, 1847, S. 479., diesen Gegenstand weiter verfolgt und durch die Scheidung zwischen Messingschnitt und Kupferstich festzustellen gesucht.

Diese ungewöhnlich kunstreichen Grabplatten in Messingschnitt sind bisher nur in Norddeutschland und Dänemark beobachtet und lassen sich zählen. Kugler scheint nur die drei Platten: zu Stralsund, Thorn und eine in Lübek zu kennen. Es sind deren aber viel mehr bekannt. In den verschiedenen Kirchen Lübek's habe ich einmal zwölf gezählt. Die Doppelplatte auf den Gräbern der lübeker Bischöfe Burchard v. Serken († 1317) und Johann v. Mul († 1350) im Dome zu Lübek,

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welche jetzt in Milde's Denkmäler bildender Kunst in Lübek, Heft I, ganz abgebildet und in einzelnen Theilen in Contre=Druck wiedergegeben ist, gehört zu den schönsten Erzeugnissen der Kunst des Mittelalters und des Spitzbogenstyls. Ihnen ganz ähnlich in Styl und Arbeit sind die beiden Doppelplatten (also 4 Platten) auf den Gräbern der schweriner Bischöfe aus dem Hause v. Bülow im Dome zu Schwerin: die eine auf den Gräbern der Bischöfe Ludolf († 1339) und Heinrich († 1347), die andere auf den Gräbern der Bischöfe Gottfried († 1314), welche 1375 nachgesetzt ist, und Friederich († 1375). Die letztere Doppelplatte ist wahrscheinlich die größte und schönste von allen, welche vorhanden sind. In der Kirche zu Ringsted liegt eine Platte auf dem Grabe des Königs Erich Menved und seiner Gemahlin Ingeburg (†† 1319), welche in "Antiqvar. Annaler" Kopenhagen, III, 1820, Tab. I, abgebildet ist. Die beiden bekannten Platten: zu Stralsund auf dem Grabe des Burgemeisters Albert Hövener in der Nicolaikirche und zu Thorn auf dem Grabe des Burgemeisters Johann von Soest in der Johanniskirche sind vortrefflich und den lübeker Platten auf den Gräbern weltlicher Personen ähnlich. Wenn ich nicht irre, liegt auch in Lüneburg eine solche Platte.

Dies dürften die Platten in Messingschnitt sein, welche sich im Norden finden. Es wäre wohl der Mühe werth, sie vergleichend zu untersuchen und zusammenzustellen. Als Quelle scheint Lübek betrachtet werden zu müssen, nachdem man aus Boutell's "Monumental brasses of England" gelernt hat, daß England, wohin man sonst wohl den Ursprung dieser Arbeit verlegen zu müssen geglaubt hat, keine solche Platte besitzt.

Eine ganz andere Arbeit zeigen uns die Grabplatten in Kupferstich, wie wir sie nennen wollen. Dies sind Platten, welche ganz voll geblieben sind; diese Grabplatten sind Nachahmungen der alten Kalksteinplatten. Die darzustellenden Gegenstände sind, wie auf den alten steinernen Grabplatten, nur durch eingegrabene Umrisse, je nach Licht oder Schatten breiter oder tiefer, dargestellt und der ganze Grund, mit Ausnahme dieser Umrisse, ist stehen geblieben. Dieses Verfahren ist also wesentlich das beim Kupferstiche angewandte. Das Metall dieser Grabplatten ist bald Messing, bald Kupfer; jedoch scheint mit dem Fortschritte der Zeit das Kupfer mehr angewandt zu sein. Diese "gravirten" Platten, welche man allein so nennen kann, sind ohne Zweifel die Vorläufer des modernen Kupferstiches und dessen Druckes.

Es liegt also auf der Hand, daß die Scheidung der norddeutschen metallenen Grabplatten in Messingschnitt= und

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Kupferstich=Platten von der allergrößten Bedeutung für die Geschichte der Entwickelung der deutschen Kunst ist.

Von Kupferstich finden sich selten ganze Platten. Gewöhnlich sind einzelne Theile des Grabmonuments, wie die Figuren der Verstorbenen, Schilde, Helme, Inschriftstreifen etc. ., ausgeschnitten, gravirt und dann in Vertiefungen des Leichensteins eingelassen und befestigt. Solche Grabsteine finden sich in den Kirchen zu Stralsund und Lübek viele, wenn auch Kugler sich solcher Arbeiten in Deutschland nicht "entsinnt". In Milde's Denkmälern I ist eine großartig reiche Platte auf den Burgemeister Tidemann Berk und seine Frau vom J. 1521 aus der Marienkirche zu Lübek abgebildet. Auf dieser Platte sind alle Hauptdarstellungen gravirt, der Grund scheint aber in Messingschnitt gearbeitet zu sein, so daß hier beide Kunstzweige vereinigt erscheinen. In den Kirchen zu Wismar finden sich mehrere treffliche Wappen und in der Königskapelle zu Gadebusch findet sich auf dem Leichensteine das ganze Bild der Königin Agnes († 1432) mit Wappen und (jetzt nicht mehr vorhandener) Inschrift. Jedoch sind Arbeiten dieser Art in Norddeutschland so selten nicht und dürften sich allein in deutschen Ostseeländern mehr finden, als in England.

Die jetzt bekannt gemachten 140 englischen Monumente in Boutell's "Monum. brasses" gehören alle der Classe des Kupfer= oder Messingstiches an.

Der Messingschnitt scheint ganz und allein dem 14. Jahrh. anzugehören; der Kupferstich (und Messingstich) beginnt im 14. Jahrh. und erhält seine größte Ausbildung und Verbreitung im 15. Jahrh.

Diese Andeutungen werden genügen, um die große Wichtigkeit der alten Grabsteine in's Licht zu setzen und alle Forscher zu ermuntern, die metallenen Grabtafeln nach Zeit, Metall und Kunst zu untersuchen und bekannt zu machen, damit man einen sichern Grund gewinne, die wichtigen neuern Erfindungen des Holzschnittes (und der Buchdruckerei) und des Kupferstiches aus ihren wahren und ersten Veranlassungen zu entwickeln, abgesehen von dem innern und zeitgemäßen Werthe, welchen alle diese Denkmäler in sich tragen.


Vorstehende Abhandlung habe ich zuerst im Deutschen Kunstblatt, 1851. Nr. 3, abdrucken lassen; ich theile sie, mit Erlaubniß der Redaction, hier noch ein Mal mit, weil unsere Jahrbücher alle Vorverhandlungen dieser nicht unwichtigen Angelegenheit enthalten.

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Kugler, durch dessen Vorarbeiten diese Abhandlung hervorgerufen ist, hat sich aber sogleich in Nr. 4 des Deutschen Kunstblattes in einem Artikel mit der Ueberschrift: "Metallene Grabplatten mit eingegrabener Umrißdarstellung" sehr gereizt gegen meine Auseinandersetzung ausgesprochen, sie persönlich aufgenommen und seine Erwiderung persönlich gegen mich gewandt. Ich will den Streit aus vielen Gründen nicht fortführen; die Zeit wird richten. Um aber kurz den Inhalt der Erwiderung Kugler's anzugeben, so berichte ich, daß er alle von mir besprochenen Arbeitsweisen leugnet, wie schon aus der unklaren Ueberschrift seiner Erwiderung hervorgeht, während er sie früher "gravirte" Platten nannte. Er sagt z.B.: "So weit meine Kenntniß reicht, besteht die Darstellung überall auch hier aus einer Zeichnung, deren Linien, wie im äußern Umriß (?), so namentlich auch im Innern der Darstellung selbst vertieft eingegraben sind, - also überall aus dem diametral Entgegengesetzten der Holzschnitttechnik. Es ist möglich, daß Beispiele vorkommen, bei denen gleichzeitig der gesammte Grund um den äußern Contour herum vertieft ist: bei den mir bekannten Beispielen ist dies aber keinesweges der Fall". Man sieht also, daß Kugler auf die nicht wegzuleugnenden Thatsachen gar nicht eingehen und sie auch nicht glauben will.

Wenn ich ferner sage: "Solche Grabsteine (in Kupferstich) finden sich in den Kirchen zu Stralsund und Lübek viele", so erwidert Kugler dagegen: "Doch kann ich in Betreff eines sehr ansehnlichen Theils dieser Ostseeländer, in Betreff Pommerns - - auf Grund ziemlich genauer örtlicher Untersuchungen die Gegenbemerkung hinzufügen, daß ich dort kein Denkmal der Art vorgefunden habe, auch in Stralsund nicht, wo ich, wie aus meiner pommerschen Kunstgeschichte zu ersehen (!), nur die Prachtplatte des sogenannten Messingschnittes in der Nicolaikirche aufzuführen weiß. Wenn also Hr. Dr. Lisch behauptet, daß in Stralsund (?) deren viele vorhanden seien, so muß ich ihn vorerst um den genauen Nachweis des Einzelnen bitten". - Damit kann ich aufwarten. In der Nicolaikirche zu Stralsund soll, außer der "Prachtplatte" auf dem Grabe des Burgemeisters Albert Hövener († 1357), in einer nördlichen Capelle gegenüber noch eine ganz gleiche auf den Burgemeister Valke gewesen sein, welche jedoch nicht aufzufinden ist. In dem Chore der Nicolaikirche liegt jedoch, halb von Kirchenstühlen bedeckt, auf dem Grabe des stralsunder Oberpfarrers Bernd von Maltzan († ungefähr 1452) ein Leichenstein mit einem eingelassenen metallenen Wappen in (Kupfer= oder) Messingstich. Im Chore, nicht weit von dem Altare, liegen zwei große Leichensteine

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mit eingelegten metallenen Wappen, Inschriftstreifen und Eckverzierungen; aus dem nördlichen Steine ist alles Metall verschwunden; in dem westlichen Steine sitzt noch ein rechts gelehnter Schild mit Helm und Helmdecke und etwa der Hälfte des Inschriftrandes, aus Messing, mit "gravirten" Darstellungen.

Dies mag einstweilen genug sein.

G. C. F. Lisch.     

 

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