zurück zur Metadatenansicht auf dem Dokumentenserver
zurück
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 294 zur nächsten Seite zur letzen Seite
Dokument dauerhaft verlinken Dokument im gesamten Band öffnen Metadaten auf dem Dokumentenserver anzeigen

Die Kirche zu Ludorf.

Die Kirche zu Ludorf an der Müritz, nahe bei Röbel, ist eine der merkwürdigsten Kirchen in ganz Mecklenburg 2 ). Betrachtet man die Kirche von außen, so sieht man eine seltsam verworrene, niedrige Steinmasse, welche ringsumher verunstaltete und im Aeußern unregelmäßige Anbaue und oben darauf in der Mitte eine plumpe Thurmspitze, natürlich ohne Thurmgebäude, hat. Dazu kommen ungeheure Strebepfeiler und ganze Berge von Ziegeln, welche, namentlich um den Chor, gegen die Mauern gelegt sind, um den Bau zu stützen. Tritt man aber in das Innere, so erblickt man einen ganz regelmäßigen und klaren, wenn auch sehr seltenen Bau.

Die Kirche war stets und ist noch heute eine Mutterkirche, wenn auch die Gemeinde seit Jahrhunderten keinen Pfarrer gehabt, sondern von Röbel versorgt wird.

Den Mittelbau bildet ein regelmäßiges Achteck 3 ); an dieses ist im Osten eine halbkreisförmige Altarnische, im Westen ein viereckiges Thurmgebäude angebauet. An der Süd= und


2) Die Untersuchung dieser Kirche verdanke ich der freundlichen Beförderung des Herrn Kammerherrn von Schulse auf Ludorf.
3) Es giebt in Meklenburg außer dieser Kirche wohl weiter kein anderes achteckiges kirchliches Gebäude, als die Heil. Bluts=Kapelle neben der Kirche zu Doberan.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 295 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Nordseite sind zwei gleiche dreiseitige Abseiten angebauet, welche sich an jeder Seite mit einer vierten halben Seite an den Mitteltheil schließen, so daß jede Abseite im Ganzen vier Seiten hat, von diesen aber nur drei ganz herausstehen, und die vierte zur Hälfte auf jede Seite zum Anschlusse vertheilt ist. Von den acht Seiten des Mittelbaues sind also 4 Seiten zugebauet und 4 Seiten frei, und durch die Fenster dieser vier freien Seiten und durch die Fenster der Altarnische fällt das Licht in die Kirche.

Alle Theile der Kirche sind gewölbt und zwar, mit Ausnahme der Altarnische, in derselben Weise, also zu derselben Zeit. Der Mitteltheil hat Ein großes Gewölbe von acht Gewölbekappen.

Die Frage nach dem Alter der Kirche ist die allerwichtigste bei dieser Untersuchung: sie kann nur durch die Bauconstruction selbst beantwortet werden, da alle Traditionen nicht zutreffend sind. Betritt man zuerst die Kirche, so kann man sich einer Ueberraschung nicht erwehren und man bedarf einiger Zeit, um sich zu der nöthigen Ruhe zu sammeln.

Vor allen Dingen muß entschieden behauptet werden, daß die Gewölbe jüngeren Ursprunges sind, als die Kirche. Die Gewölbe haben den Charakter der jüngern Spitzbogenzeit; die Gewölberippen sind sehr stark und sehr geziert profilirt, die Gewölbekappen gehen über die alten Fenster hinweg und bedecken diese oft zur Hälfte, so daß es mit Händen zu greifen ist, daß die Gewölbe in neuern Zeiten ohne Erkenntniß des Baustyles eingesetzt sind. Wenn nun auch die beiden Abseiten einen scheinbar jüngern Charakter haben, so werden doch die Ringmauern derselben zu dem alten Bau gehören, wenn in denselben nicht die Eigenthümlichkeit des Mittelbaues nachgeahmt ist. - Leider bedeckt eine dicke weiße Kalktünche die Kirche im Innern und im Aeußern, so daß die Bauweise und die Ziegel kein Zeugniß geben können.

Nach diesen Vorbemerkungen kann denn der Bau mit Bestimmtheit dargestellt werden.

Die Altarnische ist im Halbkreise aufgeführt; jedoch geht dieser Kreisbogen etwas über den Halbkreis hinaus, wie die beiden Abseiten etwas über das Dreieck, um den Anschluß leichter bewerkstelligen zu können und bei den kleinen Dimensionen der Kirche mehr Raum zu gewinnen. Diese Altarnische hat jetzt 4 Fenster, von denen 2 in der Mitte nahe bei einander stehen; wahrscheinlich sind wegen der vielen von außen angesetzen Stützpfeiler diese beiden Fenster in jüngern Zeiten eingesetzt, da man für eine halbkreisförmige Absis wohl nur 3 Fenster erwarten kann. Die Fenster sind aber alle sehr verbauet. - Die Altar=

Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 296 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

nische ist kuppelförmig gewölbt, jedoch ist das Gewölbe schon sehr entstellt. - Der Scheidebogen ist rund gewölbt, jedoch nach unten hin ebenfalls sehr entstellt, da die Mauern unten sehr verdickt sind, um die Gewölbe des Mittelbaues ansetzen zu können.

Der Mittelbau hat in jeder freien Seite des Achtecks ein Fenster. Diese 4 Fenster des Mittelbaues sind sehr schmal, schräge eingehend, im Uebergangsstyle leise zugespitzt und stehen in einer rundbogigen Nische. Die 4 Fenster unterscheiden sich paarweise von einander, indem die beiden östlichen und die beiden westlichen je unter sich gleich sind. Die Fenster in den nordöstlichen und südöstlichen Seiten sind im Innern mit einem Wulst eingefaßt, die beiden Fenster gegen Westen hin gehen ohne Schmuck mit glatten Leibungen ein.

In der nordwestlichen Wand ist eine einfache Rundbogenpforte, welche jetzt zugemauert ist. - In den beiden freien Südwänden sind im Innern unten in den Mauern unter den Fenstern rundbogige Nischen.

Das im Westen angebauete Thurmgebäude ist viereckig und gegen die Kirche durch einen Spitzbogen im Uebergangsstyle geöffnet.

Eben so sind die beiden Abseiten durch Spitzbogen im Uebergangsstyle gegen die Kirche geöffnet.

Die beiden Abseiten, von denen die südliche jetzt zum herrschaftlichen Kirchenstuhle, die nördliche zum herrschaftlichen Begräbnisse eingerichtet ist, haben ebenfalls schmale, schräge eingehende Fenster, welche aber durch die Gewölbe so sehr verbauet sind, daß sich gar kein Urtheil über diesen Anbau fällen läßt.

Wahrscheinlich sind nicht allein die Gewölbe, sondern auch die beiden Abseiten, vielleicht auch der Thurm jünger, als der Mittelbau und die Altarnische.

In den ältesten Zeiten stand wahrscheinlich nur der achteckige Mittelbau mit der halbkreisförmigen Altarnische frei. Und diesen Bau müssen wir in die ersten Zeiten der Ausbreitung des Christenthums in diesen Gegenden setzen, wahrscheinlich in die Zeit um das J. 1220, in die ersten Zeiten des Uebergangsstyls.

Die Traditionen über die Bauzeit dieser seltenen, für eine kleine Gemeinde ganz hübschen Kirche, sind alle grundlos.

An der Außenwand der westlichen Pforte im Thurmgebäude ist in einen Ziegel eingeschnitten:

Ziegeleinritzung
(Anno 1177 obiit Claus Riesch).

Dies steht klar da, ist aber in jeder Hinsicht unwahr und eine

Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 297 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

sehr plumpe Nachahmung alten Styls. Die arabischen Ziffern passen für die neueste Zeit; kein Buchstabe hat einen alten Charakter; die Abbreviatur 9 (für us) in CLA 9 (Claus) ist ganz possierlich, da in alter Zeit gewiß NI c OLA 9 oder nicola 9 geschrieben wäre; und was hier die Todesanzeige 0 (obiit: starb) bedeuten soll, ist schwer zu errathen.

Aufklärung giebt eine Holfter auf dem Dache der niedrigen Kirchhofsmauer neben der Pforte; auf derselben steht sehr deutlich in neuerer Frakturschrift:

Anno 1738 Johan Sigmund Risch Ziegel mer in Ludorf.

Wahrscheinlich ist in dem Ziegel an der Thurmpforte einem ältern Zieglermeister Risch, vielleicht dem Vater, der vielleicht im J. 1737 bei der Restauration der Kirche starb, ein Denkmal gesetzt. Der Thurm war im dreißigjährigen Kriege eingestürzt.

Unter keiner Bedingung aber ist hier an ein Denkmal aus dem J. 1177 zu denken. Wahrscheinlich gründet sich die Sage von dem hohen Alter der Kirche auf eine andere Sage: daß ein Ritter von Morin mit dem ersten christlichen Fürsten Pribislav zum Heiligen Grabe gezogen sei und nach seiner Rückkehr diese Kirche gebauet habe.

Eben so wenig ist ein zweites Denkmal ächt. Auf der Thurmfahne steht mit arabischen Ziffern die Jahreszahl 1326; diese Zahl kann aber auch nur jung sein, da arabische Ziffern in dieser Anwendung erst in neuern Zeiten in Gebrauch sind. Von der Gutsherrschaft habe ich gehört, daß bei den Gutspapieren eine Urkunde in Abschrift vorhanden gewesen sei, nach welcher ein Bischof Buppo oder Busso von Havelberg die Kirche im J. 1326 geweihet habe. Nach dieser Sage, welche wohl einigen Grund haben mag, da Ludorf wirklich noch zum Bisthume Havelberg gehörte, indem sich die Bisthümer Havelberg und Schwerin innerhalb der Stadt Röbel zwischen der Altstadt und Neustadt schieden, wäre also die Kirche im J. 1326 gebauet. Dafür ist sie aber zu jung. Verhält sich die Sache also, so ist unter dieser Weihung vom J. 1326 wohl eine zweite Weihung nach einer Restaurirung zu verstehen.

Für das J. 1171 ist die Kirche zu jung, für das J. 1326 zu alt.

Im Innern ist nur eine aus Ziegeln gemauerte Kanzel, auch eine seltene Eigenthümlichkeit, alt.

Man könnte versucht sein, da alles Mauerwerk abscheulich, wenn auch sehr weiß, dick übertüncht ist, die Kirche für einen neuern Bau zu halten, wenn man nicht klar sähe, wie in allen Jahrhunderten des Christenthums in Meklenburg daran geflickt

Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 298 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

ist. Auch berichten die alten Visitations=Protocolle sehr bestimmt. Im J. 1649 heißt es bei der Kirchen=Visitation:

"Die Kirche ist in vier Creutzen vnd 4 Arkenern vnd oben rund gebawet, auf der Italiäner arth , gantz gewelbet, inwendig sehr verwustet, die gräber geöffnet, die Fenster weg. Beim altar ein gemauert predigstuell".

"Der Thurmb ist niedergefallen und sint die glocken daraus wegk, welche der Patronus Henneke Marin dem Bericht nach verkaufft vnd dafür ein pferd gekauft haben soll. Es ist aber dabey glaubwürdig berichtet, daß Henneke Marin mit Verkaufung der glocken weinigs glücks oder segens gehabt, bevorab er bald darauff im elende Ao. 1638 an der roten Ruhr 1 ) zu Röbel gestorben und nicht so viel nachgelassen, daß er ehrlich zur Erden bestattet worden, sondern es hat ihn das gekauffte pferdt auff einer Schlöpe im Sarcke zum grabe trecken müssen, vnd ist also ohne Ceremonien begraben worden, Inmaßen auch erwehntes pferd nicht lange darnach in einen brunnen gefallen und gestorben."

Im Visitations=Protocolle vom J. 1662 heißt es:

"Ludorff eine Mater=Kirche, vaciret anjetzo. Ist nach der Italiäner art in vier Rundehlen gebawet, oben rundt gewelbet, inwendig sehr verwüstet, die Fenster darauß. Beim altar ist ein gemauerter Predigstuel".

Hier ist die Angabe interessant, daß die Visitatoren den Bau mit einem italiänischen vergleichen.

Die Taufkirchen Italiens haben häufig eine achteckige Grundform (vgl. v. Quast die alt=christlichen Bauwerke von Ravenna, Berlin, 1842, S. 4). So hat z.B. das Baptisterium der Ecciesia Ursina zu Ravenna, welches schon im 5. Jahrh. aus dicken Ziegeln erbauet ist, eine achteckige Grundform (vgl. daselbst und Taf. I.), eben so die im 6. Jahrh. erbauete Kirche S. Vitale zu Ravenna (vgl. das. S. 31, und Taf. VIII.).

Ob sich aus der wiederholten Angabe, daß die Kirche "rund gewölbet" sei, schließen läßt, die Kirche sei damals noch mit einer Kuppel gewölbt gewesen und das jetzige Gewölbe erst nach dem J. 1662 eingesetzt, läßt sich nicht mehr ermitteln.

Das Gut Ludorf mit dem Kirchen=Patronat gehörte der alten, jetzt ausgestorbenen meklenburgischen Familie von Marin, welche ihren Stammrittersitz im Lande Röbel zu Leizen hatte. Im J. 1640 verpfändete Henneke v. Marin seiner Tochter Elisabeth, des Eggert Lüdeke Hahn auf Solzow Wittwe, damals zum zweiten Male an den Rittmeister Jacob Ernst Knuth auf


1) Hier wird die furchtbare Pest des J. 1638 die "rothe Ruhr" genannt.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 299 zur ersten Seite zur vorherigen Seite

Leizen und Priborn verheirathet, für ihr Ehegeld und Muttererbe das Gut Ludorf und hiedurch kam das Gut an die Familie von Knuth, eine altadlige Familie des Landes Röbel.

Die Pfarre zu Ludorf war eben so arm, als die Kirche. Schon in den J. 1532 und 1541 hatte sie keinen eigenen Prediger mehr. Eben so unvermögend war die Kirche zu Nätebow bei Röbel, ebenfalls im Bisthume Havelberg belegen. Da schon damals bei beiden Kirchen keine Pfarrhäuser mehr vorhanden waren, so wurden beide Kirchen von einem Pastor, der zu Röbel wohnte, versorgt. Seitdem wurden diese Kirchen immer hin und her geworfen. Im J. 1571 war die Kirche zu Ludorf dem Pastor zu Vipperow, darauf die Kirche zu Nätebow dem Pastor zu Cambs anvertrauet. Im Anfange des 17. Jahrh. ward die Pfarre Ludorf wieder von dem Prediger zu Alt=Röbel versorgt. Vor dem dreißigjährigen Kriege, war Joachim Warneke, der zu Röbel wohnte, Pfarrer für Ludorf und Nätebow; er predigte jeden Sonntag zuerst zu Ludorf und darauf zu Nätebow. Dieser Pastor war 1649 todt und seine Stelle nicht wieder besetzt. Nach dem dreißigjährigen Kriege 1 ) vereinigte man sich aber wieder über die eigene Besetzung der beiden Pfarren. Im J. 1667 ward Christoph Moltmann, Rector zu Röbel, zum Pfarrer der Kirchen zu Ludorf und Nätebow bestellt, mußte aber in der Stadt Röbel zur Miethe wohnen. Nachdem dieser im J. 1678 zum Pfarrer nach Gaarz berufen war, ward Andreas Willebrand, Sohn des Predigers zu Cambs bei Schwan, zum Prediger für beide Kirchen bestellt, mußte aber ebenfalls in der Stadt Röbel wohnen, wo er, wie sein Vorgänger, Stadtlasten tragen mußte. Dieser ward 1687 Pastor zu Dambek und behielt die beiden Pfarren Ludorf und Nätebow bei. Im J. 1710 ward ihm sein Sohn Christian Willebrand für diese drei Pfarren substituirt. Im J. 1732 ward aber die Pfarre Ludorf zu der Pfarre Vipperow gelegt. Gegenwärtig wird Ludorf von dem altstädter, Nätebow von dem neustädter Pfarrer zu Röbel versorgt.

G. C. F. Lisch.     



1) Krieg und Pest hatten im Lande Röbel fürchterlich gehauset. Im J. 1649 wohnte kein einziger Mensch in Nätebow und das Dorf war abgebrannt, in Ludorf wohnte allein Friderich v. Kerberg's Wittwe.