c. Zeit der Kegelgräber.
Ueber die spina des Tacitus.
Durch die Entdeckungen, welche auf dem Gebiete
der Alterthumskunde in neuerer Zeit gemacht
sind, schwindet mehr und mehr das Vorurtheil,
als seien die Germanen zu den Zeiten der
blühenden Römerherrschaft noch so roh und
ungebildet gewesen, daß sie in bloße Thierhäute
sich gehüllt hätten. Die in den Gräbern sich
findenden Waffen, Geräthe und Schmucksachen aus
Bronze zeigen einen schon höhern Grad der Kultur
und ausgebildeteren Kunstsinn. Wenn nun Tacitus
in seiner kleinen Schrift "über die Lage,
Sitten und Völker "Germaniens" eine
ziemlich richtige Kenntniß der Germanen zeigt
und sie keinesweges als rohe Barbaren darstellt,
wenn gleich nicht durch übermäßigen Luxus
verdorben, wie die Römer seiner Zeit, so haben,
so viel ich weiß, doch die Erklärer eine Stelle
im Tacitus (cap. 17: Tegumen omnibus sagum,
fibula aut si desit spina consertum: die
Bedeckung für Alle ist ein Oberkleid mit einer
Spange, oder wenn die fehlt, mit einem Dorn
zusammengefügt) so ausgedeutet, als hätten die
Germanen in Ermangelung der fibula einen
wirklichen Dorn, von einem Dornbusch gebrochen,
zur Befestigung gewählt, und daraus wieder
umgekehrt den Schluß gemacht: die Germanen seien
noch im Naturzustande gewesen.
Wenn Tacitus als das gewöhnliche
Befestigungsmittel die fibula nennt und im
Nothfalle die spina, so wird es Jedem, der eine
germanische fibula gesehen hat, einleuchten, daß
als Ersatzmittel dafür kein hölzerner Dorn
gemeint sein könne. Die fibula ist nämlich eine
Art Broche oder Tuchnadel, deren Verfertigung
sehr künstlich war (abgebildet noch im letzten
Jahrgange der Jahrbücher, Seite 331), eine Nadel
mit einem Bügel, der an beiden Enden in eine
Spiralplatte auslief. Fragen wir nun: welches
Geräth findet sich in Gräbern der Germanen, daß
es statt der fibula gebraucht werden könnte, so
ist es allein die Nadel mit einem Knopfe, theils
grade, theils knieförmig gebogen, wie sie z. B.
in den Kegelgräbern von Ruchow, Wittenburg,
Goldenbow, Gallentin, Borkow, Klink (Jahresber.
II, 40, 43; III, 65; V, 32, 33, 44, 61) und
sonst häufig gefunden sind. Der Abstand zwischen
der fibula und der Nadel mit einem Knopfe ist
noch immer groß genug, aber nicht so
unbegreiflich, wie zwischen der fibula und einem
hölzernen Dorn. Die Heftel (fibula) ist eine
Ausbildung des Dorns (spina), da jene eine
künstliche Vor=
richtung zum Gebrauche dieser ist, da jede fibula
als Hauptgrundbestandtheil einen Dorn (spina)
oder eine Nadel enthält. - Warum aber Tacitus
das Wort spina gebraucht, mag daraus erklärbar
sein, daß diese Nadeln allerdings Aehnlichkeit
mit einem Dorn haben und wir auch ähnliche
metallene (drathförmige) Spitzen Dornen nennen,
vielleicht also die alte deutsche Benennung auch
dem lateinischen Ausdrucke spina entsprach.
Sonst heißt die Nadel bei den Römern acus; aber
die acus hatte wohl eine schärfere Spitze und
war zum Stechen bestimmt. Den Bronzenadeln mit
Köpfen gleichen außerdem die Stacheln der Igel
und Stachelschweine, welche der Römer ebenfalls
mit spina benannte. Wenn nun die bisherigen
Aufgrabungen häufiger die fibula als die
bezeichnete Nadel zu Tage gefördert hat, so
dient auch das zur Bestätigung dessen, was
Tacitus sagt, daß nämlich die fibula das
Gewöhnliche, die spina nur das Aushelfende sei.
Daß die reicheren Gräber die fibula, die ärmeren
dagegen die spina enthalten, liegt in der Sache
selbst; doch beide zusammen können auch in den
reichsten Gräbern gefunden werden.
Vietlübbe 1845.
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J. Ritter.
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