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3.

Strafe auf Kindesmord und Sodomie
im 18. Jahrhundert.

Von dem Herrn von Berg auf Neuenkirchen sind dem Vereine Actenstücke über zwei bei dem dortigen Patrimonial Gerichte vorgekommene peinliche Rechtsfälle mitgetheilt worden. Dieselben sind, wenn auch aus neuerer Zeit,

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doch ihrem Inhalte nach wohl schon den Rechtsalterthümern beizuzählen.

Der erste Fall betrifft die im J. 1710 wegen. Kindermordes hingerichtete unverehelichte Marie Westphal und deren Verführer Joachim Drewes. Guts= und Gerichtsherr war damals Balthasar Friedrich von Berg; als Justitiar ward der Burgemeister Casimir aus Neubrandenburg zugezogen Der Prozeß ward eilig und ohne viele Umstände betrieben, aber doch dabei ziemlich kostbar für den Gutsherrn.

Unter dem 17. März 1710 stellen nämlich die Chirurgen Johann Dorn und Carl Friedrich Wilpert aus Neubrandenburg ein visum repertum über den Leichnam eines von der Marie Westphal gebornen Kindes dahin aus: "das es über den ganzen Leib blau war, dannenhero (wir) nicht anders praesumiren können, als das es ersticket". Desselben Tages, so wie am 24. März hielt der Justitiar ein Verhör mit der Inquisitin, welche gleich anfangs eingestand, das Kind bald nach der Geburt unter dem Bette erstickt zu haben. Am 26. d. M. wurden die Acten an die Juristen=Facultät zu Greifswald zum Spruch verschickt. Dieser, auf Hinrichtung der Inquisitin mit dem Schwerte lautend, erfolgte binnen wenig Tagen. Schon am 3. April ward das Schlußverhör gehalten und das Urtheil gesprochen. Am 9. d. M. gingen die Acten mit dem Erkenntnis nach Strelitz zur landesherrlichen Bestätigung, die ebenfalls umgehend am 10. April dahin erfolgte, daß man es "bey der - eingeholeten Urtel billig bewenden lasse" und insbesondere die Vollstreckung der dem Verführer zuerkannten Landesverweisung genehmige.

Die Hegung des peinlichen Gerichts und die Vollziehung des Urtheils geschahen am 25. April zu Neuenkirchen. Der Burgemeister und Notar Casimir, als Vorsitzender, stellte hierüber folgendes Protocoll aus:

"Wann ein Zeichen gegeben ist, still zu sein , wird daß Peinliche Halsgericht geheget folgender Massen. Weil eß so viel Tages, das ein öffentliches Peinliches Halsgericht geheget werden kann, so hege dasselbe im Nahmen Gottes, im Nahmen des wolgebohrnen Herrn, Hern Balzar Friederich von Berg, als ordentlicher Obrigkeit zum ersten, andern und dritten Mahl; und weil dieses öffentliches peinliches Halsgericht genugsahm geheget, so wird erlaubet, wer für demselben zu tuhn hat, hervor zu tretten, seine Klage anzubringen, da denn peinlicher Ahrt nach verfahren und was Rechtens, erkannt werden soll."

Hierauf bringt der Scharfrichter vor:

Ob ihm erlaubt sei, seine peinliche Klage vorzubringen?

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Worauf geantwortet wird: Ja, es sei ihm erlaubet. Darauf klaget er an zum ersten, andern und dritten Mahl 1. den Joachim Dreves. 2. die Maria Westfahl. Der Richter schweiget dazu still.

Dann bittet der Scharffrichter, das beiden Uebeltehtern ihre getahnene Bekenntniß moge vorgehalten und dieselben nochmahln darüber vernommen werden.

Hierauf werden vorgelesen:

I. dem Joachim Dreves folgende Artikul.

1. Wahr, das Ihr, Joachim Dreves, die Maria Westfahl geschwängert? Resp. Ja.

2. Wahr, das Ihr, Joachim Dreves, der Maria Westfahl, um die Frucht im Mutterleibe zu vertreiben, das Fett aus der Müllen=Pfanne zu gebrauchen (geben). Resp. Ja.

3. Wahr, das Ihr, Joachim Dreves, der Marien gerahten, das Kind bei der Seite zu bringen? Resp. Ja.

II. der Marien Westfahl folgende Articul:

1. Wahr, das Ihr, Maria Westfahl, ein lebendiges Kind zur Welt gebracht? Resp. Ja.

2. Wahr, das Ihr, Maria Westfahl, solches euer Kind im Bette unter dem Dekbette gebohren. Resp. Ja.

3. Wahr, das Ihr, Maria Westfahl, das Kind nicht so fort, wie eß gebohren, unterm Dekbette hervorgezogen. Resp. Ja.

4. Wahr, das Ihr, Maria Westfahl, das Kind darum nicht so fort unterm Dekbette hervorgezogen, das es erstikken sollte. Resp. Ja.

5. Wahr, das das Kind auch unterm Dekbette daher erstikket. Resp. Ja.

Wann beide Inquisiten über vorgesetzte Articul vernommen und dieselbe zugestanden, bittet der Scharffrichter, das beiden Beklagten ihr Urtel möge offentlich vorgelesen werden.

Hierauf wird die Urteil publicirt:

Auf angestellte und vollführte inquisition wider Johan Dreves und Maria Westfahln, (wegen) beiden Inquisiten begangener Unzucht und Kinder=Mords, spricht der Wolgebohrner Herr, Herr Balzar Friedrich

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v. Berg, Obrigkeitlichen Amts halber, auf eingeholten Raht und Belehrung der Rechtsgelehrten vor Recht:

das beide Inquisiten, wegen ihrer begangenen Missetahten, ihnen zur wollvordienten Straffe und Andern zum Abscheu, als der Johan Dreves offentlich zur Staup zu schlagen und mit erhaltenen consens der hohen Landes=Obrigkeit deß Landes auf ewig zu verweisen, die Maria Westfahln aber mit dem Schwert vom Leben zum Tode hinzurichten sei. Wie denn beide Mißtähter in obangedeutete Straffe hiemit verdamt werden. V. R. W.

Der Scharffrichter fraget nach publicirten Urtheil:
Herr Richter, wer soll die Urtheil exequiren?
Der Richter antwortet: Das sollt Ihr thun.
Der Scharffrichter: Herr Richter, ich bitte umb sicher Geleit.
Der Richter: Das soll Euch gegeben werden.

Publicirt und vollenzogen Neuenkirchen den 25ten Aprilis 1710.

                              In fidern subscripsit

Georg Friedrich Casimir,
Notarius caes. publ. ad hunc actum requisitus.

Die Kosten dieses Prozesses berechnete der Guts= und Gerichtsherr zu 102 Gulden und 20 Schilling, die Fuhren, die Futter= und Speisungskosten nicht mit angeschlagen. Der Justitiar erhielt 29 Gld., der Scharfrichter 32 Gld., der Prediger 4 Gld. Das Urtheil kostete mit dem Botenlohn 11 Gld. Bei der Hinrichtung ward eine halbe Tonne Bier ausgeschenkt. - Der Gerichtsherr schließt die eigenhändig von ihm geführte Rechnung mit den Worten:

"Gott gäbe, das si - die Hingerichtete - sälig worden ist undt beware mir vor mer Ungelück.

B. F. v. Berg."     

Im Allgemeinen war das Laster der Unzucht seit Jahrhunderten unter dem meklenburgischen Landvolke sehr verbreitet. Folgeweise waren auch die Kindermorde häufig, jedoch früher wegen härterer Strafen des Verbrechens der Unzucht häufiger, als jetzt.

Die höheren Stände blieben nicht frei davon. Die mekl. Polizei=Ordnung v. J. 1572, Titel: "Von Todschlag, Ehebruch, unehelicher Beywohnung, Kupplerey und Hurerey,"

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bestimmt für die vielfältige, auch unter dem Adel einreißende Unzucht harte Strafen. Der Art. 43 der Reversalen v. J. 1621 gestattet die "Vermäuerung" (d. h. häusliche Haft) unzüchtiger adelicher Jungfrauen den Angehörigen derselben. (Vgl. Stemwede, praeside Mantzel, Jus criminale Meklenburg. 1743, 4., pag. 40; Simssen in Beilagen zu den wöchentl. Rostocker Anzeigen v. J. 1817, S. 109). Mehrmals kamen auch um diese Zeit in den Landesklöstern solche Vergehen von Seiten der Conventualinnen vor.

Vielfach ist begangene Unzucht in Meklenburg mit Landesverweisung bestraft, welcher oft Staupenschlag und bisweilen Kirchenbuße, auch Ausstellung am Pranger, Haarabschneiden und dergl., namentlich in einzelnen Städten, vorhergingen. In manchen Fällen genügte man sich mit einer der geringern Strafen in Verbindung mit Geldbußen. Einige Landesherren, wie die Herzoge Ulrich und Gustav Adolph zu Meklenburg=Güstrow, hielten sehr strenge auf Vollziehung der Unzuchtsstrafen. Letzterer schärfte die bisher bestehenden durch ein Edict v. J. 1659. Kindesmörderinnen wurden früher gewöhnlich mit dem Schwerte hingerichtet. Es kommen sogar Andeutungen vor, wie in einem parchimschen Bruchregister beim J. 1572, daß einzelne lebendig begraben worden sind, indem die Bambergensis, die Mutter der Carolina, in Art. 156 bestimmt, daß vorsätzliche Kindesmörderinnen lebendig begraben und gepfählt werden sollen. Die Carolina setzt in Art. 131 das Ertränken an dessen Stelle und gestattet Lebendigbegraben nur dann, wenn das Uebel oft geschieht.

Zur Zeit des oben erzählten Falles, um das J. 1710, war das Verbrechen des Kindermordes häufig in Meklenburg. So kommen z. B. in den im J. 1717 zu Schwerin und Leipzig erschienenen: "Consultationes juris oder rechtliche Belehrungen" von D. J. Scharf in Consult. 36, 58-62 und 79 mancherlei Fälle vor. (Vgl. Stemwede, praeside Mantzel, jus crim. Meklenb. pag. 47.). Doch waren damals in andern deutschen Ostseeländern Unzucht und Kindermord noch viel häufiger, als in Meklenburg. So kamen in Livland in den 15 Jahren v. J. 1695-1709 nicht weniger als 242 Fälle - es war das häufigste Verbrechen! - vor, und 155 schuldige Mütter wurden zum Tode verurtheilt; dort, wie auch in Meklenburg, trat dies hauptsächlich als Folge der Durchzüge der " Soldatesca" und der zu strengen Unzuchtsstrafen hervor. (Vgl. Mittheilungen aus dem Gebiete der Geschichte Liv=, Ehst= und Kurlands. Bd. II, S. 60.)

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Der zweite Fall betrifft das Verbrechen der Sodomie und ereignete sich im Frühling des J. 1748 zu Neuenkirchen.

Der dortige Kuhhirte Michael Kruse, ein schwacher, kurzsichtiger, sehr einfältiger Mensch, hatte sich wiederholt mit einer dreijährigen Starke und einer Kuh fleischlich vermischt, wie zwei Dienstmägde des Hofes als Augenzeugen eidlich aussagen, auch vom Inquisiten selbst schon beim ersten Verhör gerichtlich eingestanden wird. Die erfolgte inmissio seminis ward sicher ermittelt. Nachdem am 20. Mai d. J. das Verhör der Zeuginnen sowohl, wie des Inquisiten in Gegenwart des Gerichtsherrn Ernst August von Berg, des Beisitzers Hauptmanns von Ahrenstorf (auf Sadelkow), des Advocaten Fischer aus Neubrandenburg als Justitiars und des Notars Natorp stattgefunden hatte, ward dem Beklagten in der Person des Advocaten und Senators Klinge zu Neubrandenburg ein Vertheidiger bestellt. Dieser sandte am 4. Junius seine Defensions=Schrift ein, welche wegen freiwilligen Geständnisses und großer Unwissenheit des jedenfalls der Todesstrafe schuldigen Beklagten eine Milderung seiner Strafe dahin nachsuchte, daß er statt des Feuertodes "mit dem Schwerte begnadiget" werden möge, zumal dem Inquisiten "die drohende Feuers=Strafe als sehr schmerzlich und erschrecklich vor Augen schwebe, wodurch er gar leicht in Verzweifelung und folglich die Seele in Gefahr gerathen könne".

Hierauf reichte der Gerichtsherr die Acten bei der Justiz=Canzlei zu Neustrelitz ein. Diese erkannte nach wenig Tagen, am 7. Junius, für Recht:

daß Inquisit nach Inhalt Kaiser Carl's V. Peinl. Halsgerichts=Ordnung seiner unnatürlichen Thaten wegen, ihm selbst zur wohlverdienten Strafe und Andern zum abschreckenden Beispiel mit Feuer vom Leben zum Tode gebracht, die beiden Häupter Vieh aber todtgeschlagen und verbrannt werden sollten.

In den "rationes decidendi" ward darauf hingewiesen, daß der Inquisit das Unnatürliche seiner That von selbst hätte erkennen müssen, das Verbrechen wiederholt habe, sein Bekenntniß Folge der Haft sei, durch strenge Beispiele abgeschreckt werden müsse und über die Strafe eines Falles, wie der vorliegende, die Rechtslehrer einig seien, mit denen auch der Landesgebrauch übereinstimme.

Jedoch ward gleichzeitig in einem zweiten Erlasse des Gerichts eine Milderung der Strafe dahin verfügt:

"daß Inquisitus auf dem Scheiterhaufen zuforderst zu stranguliren und das Feuer nicht eher anzuzünden, bis der arme Sünder ersticket".

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Am 21. Jun. 1748 ward das peinliche Halsgericht in Gegenwart der vorher Genannten zu Neuenkirchen öffentlich, jedoch ohne Anwendung der 30 Jahre früher noch üblichen, aber schon damals verstümmelten alten Formen, gehegt. Der Inquisit ward, seiner Banden entledigt vorgeführt, nochmals über die entworfenen Untersuchungs=Puncte befragt und nach deren durchgängiger Bejahung dem Scharfrichter übergeben. Die Hinrichtung ward gleich darauf vollzogen.

Der Scharfrichter J. C. Mühlhausen stellte hierüber folgende Rechnung aus:

Rechnung

Der Seiler Ch. Winkler in Neubrandenburg stellte eine Rechnung über 16 ßl. für die gelieferte "Dempfleine" aus, mit welcher vermuthlich der Verurtheilte erdrosselt ward.

Aehnliche Fälle des Verbrechens der Sodomie kommen im 17. und 18. Jahrh. unter dem meklenburgischen Landvolke nicht ganz selten vor, so auch Blutschande, selbst zwischen Eltern und Kindern. Denjenigen, welche den damaligen elenden Zustand des meklenburgischen Landvolkes und überhaupt die Sittengeschichte dieser Zeiten aus Acten kennen, wird dies nicht besonders auffallend erscheinen.

Mehrere Fälle von Sodomie obiger Art hat D. J. Scharf, consultationes juris oder rechtliche Belehrungen, consult. 8-10.

Zu bemerken ist, daß Sodomie zwischen Personen desselben Geschlechts, sodomia ratione sexus, in Meklenburg früher fast nur von Ausländern nachzuweisen ist; namentlich gegen Italiäner, Franzosen, Böhmen etc., welche als Musiker, Lehrer der ritterlichen Künste, Barbiere oder dergl. während der drei letzten Jahrhunderte in herzoglichen Diensten

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standen, kommen wiederholt actenmäßige Anschuldigungen wegen Ausübung dieses Verbrechens vor.

Auch in andern Ostsee=Ländern, z. B. in Livland, finden sich um d. J. 1700 fast nur Beispiele des Vergehens mit Thieren, vom Landvolke ausgeübt. Das Verbrechen ward dort statt mit dem Feuertode durch Enthauptung und gemeinsames Verbrennen mit dem zuvor getödteten Thiere bestraft. (Vgl. die angef. Mittheilungen, Bd. II, S. 75.)

A. F. W. Glöckler.