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X.

Meklenburgische

Volkssagen und Volksaberglaube,

mitgeteilt vom

Hülfsprediger Günther zu Eldena.

(Vgl. Jahrb. V., S. 101.)


Fru Gauden oder Goden. - Es war einmal eine reiche und vornehme Frau, die hieß "Fru Gauden". Dieselbe war eine so leidenschaftliche Liebhaberin der Jagd, daß sie sich nicht entblödete, das sündliche Wort hierüber auszusprechen: die Jagd sei besser als der Himmel, und wenn sie nur immerfort jagen dürfe, so wolle sie nie zum Himmel ein. Der Apfel fällt gemeiniglich nicht weit vom Stamm, und wie der Baum ist, so ist auch die Birne. Frau "Gauden" hatte vier und zwanzig Töchter, und alle theilten mit der leichtfertigen Mutter den gleichen Sinn und das gleiche Verlangen. Da einmal, als Mutter und Töchter nach gewohnter Weise in wilder Freude durch Wälder und Felder jagten, erreichte ihre Lust den höchsten Gipfel und abermal erscholl das ruchlose Wort von aller Lippen: Die Jagd ist besser als der Himmel, und wenn wir nur immerfort jagen dürfen, so wollen wir nie zum Himmel ein. Und siehe, da plötzlich vor den Augen der Mutter verwandeln sich die köstlichen Kleider der Töchter in zottige Haare, in Beine die Arme, in Thiergestalten die Menschengestalten und - vier und zwanzig Hündinnen umkläffen den Jagdwagen der erschrockenen Mutter. Vier von ihnen übernehmen den Dienst der Rosse, die übrigen umkreisen als Jagdhunde den Wagen und fort geht der wilde Zug zu den Wolkcn hinauf, um dort, zwischen Himmel und Erde streifend, unaufhörlich, wie sie ge=

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wünscht hatten, zu jagen, von einem Tage zum andern, von einem Jahre zum andern. Doch längst schon sind sie des wilden Treibens überdrüssig geworden und schmerzvoll beklagen sie jetzt das Frevelhafte ihres ehemaligen Wunsches. Insonderheit ist es die Mutter, die, wie durch ihr eigenes trauriges Schicksal, so noch mehr durch das ihrer unglücklichen Töchter bekümmert wird. Aber sie alle müssen das selbstverschuldete Unglück tragen, bis die Stunde ihrer Erlösung kömmt. Kommen wird sie einmal, die von allen ersehnte Stunde, doch dasWann? liegt verborgen im Schooße der dunklen Zukunft, und bis dahin ist es ihnen nur vergönnt, ihre Klagen vor den Ohren der Menschenkinder laut werden zu lassen, - das Einzige, worin sie Linderung für ihre Schmerzen suchen und finden. Die Mutter bemüht sich, den Ihrigen diesen Trost zu bereiten, und darum lenkt sie in der Zeit der "Twölven" 1 ) - denn zu andern Zeiten können wir Menschenkinder ihr Treiben nicht wahrnehmen - ihren Jagdzug zu den Wohnungen der Menschen hin. Am liebsten fährt sie in der Christnacht und in der Altjahrsnacht über die Straßen des Dorfes, und wo sie dann die Thür eines Hauses geöffnet findet, da sendet sie eine von ihren Begleiterinnen hinein. Ein kleiner Hund wedelt nun am andern Morgen die Bewohner des Hauses an und fügt Niemandem ein anderes Leid zu, als daß er durch klagendes Gewinsel die Ruhe der Nacht stört. Beschwichtigen läßt er sich nicht, auch nicht verjagen. Tödtet man ihn, so verwandelt er sich am Tage in einen Stein, der, wenn auch weggeworfen,


1) De Twölven. In den "Twölven" oder Zwölfen, d. h. in den zwölf Nächten von Weihnachten bis Heil. drei Könige (vgl. JB. III, 188), sind die bösen Leute (Hexen) und bösen Geister in großer Bewegung, hauptsächlich aber in der ersten Nacht vor den Twölven und in der siebenten in den Twölven. In jener Nacht (vom 24. auf den 25. Dec.) beunruhigt sie die nahe Geburt, in dieser (vom 31. Dec. auf den 1. Jan.) die nahe Verkündigung des gewaltigen Namens Dessen, durch den ihre Macht gebrochen wird, und aus Rache gegen ihn versuchen sie es, uns Christenleuten allerlei Schaden zuzufügen, wovon sie aber am Ende der Twölven ablassen, weil sie da gewahr werden, wie ohnmächtig ihr finsteres Reich gegen die mächtige Herrschaft Dessen ist, vor dem selbst Könige (6. Jan.) erscheinen und ihre Kniee vor ihm beugen. Darum um die Twölven=Zeit müssen Christenleute vor bösen Geistern mehr als sonst auf der Hut sein und vor allen Dingen die Brunnen und Viehställe wohl bewachen. Denn den Brunnen thun die bösen Geister zu dieser Zeit es gerne an, daß das Wasser unrein und schädlich für Menschen und Vieh wird, insonderheit saures Bier und lange Milch zu Wege bringt; den Viehställen aber, daß das Vieh hinkend wird, daß Läuse einziehen, und daß das Futter nicht behülflich ist. Vorsichtige Leute schießen darum in der Christnacht und in der Altjahrsnacht ein Feuergewehr in ihrem Brunnen ab: - denn Feuer ist den bösen Geistern zuwider und macht das Wasser rein von aller angethanenen Unsauberkeit; der Viehstall aber wird hinlänglich schon dadurch geschützt, daß nur der Dung des Viehes während der Twölven=Zeit nicht ausgetragen wird: - denn nur freiliegender "Twölven=Mess" (Mist) giebt den bösen Geistern Gewalt über Vieh, Läuse und Futter.
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durch unsichtbare Gewalt in's Haus zurückkehrt und zur Nachtzeit wieder zum Hunde wird. Der lebendig gewordene Hund aber rächt sich nun, wimmert und winselt zum Entsetzen der Menschen das ganze Jahr hindurch, bringt Krankheit und Sterben über Menschen und Vieh, wie Feuersgefahr über das Haus, und erst mit der Wiederkehr der "Twölven" kehrt die Ruhe des Hauses zurück, wenn es bis dahin vor völligem Untergang bewahrt blieb. Wer nun einen so unheimlichen Gast nicht gerne im Hause beherbergen mag, der achtet mit Fleiß darauf, daß während derAbend= und Nachtzeit in den "Twölven" die große Thür des Hauses wohl verschlossen gehalten werde. Unvorsichtige Leute versäumen das zuweilen und sind dann selbst schuld daran, daß Frau "Gauden" bei ihnen einzieht. So geschah dies auch einmal den Großältern jetziger Hauswirthsleute zu Bresegardt. Die waren noch obenein so thöricht, Frau "Gaudens" Hündlein zu tödten, aber dafür war auch von Stund an kein "Säg und Däg" (Segen und Gedeihen) mehr im Hause, bis zuletzt das Haus sogar in Flammen unterging. Glücklicher aber waren diejenigen daran, die der Frau Gauden einen Dienst erwiesen. Es begegnet ihr zuweilen, daß sie in der Dunkelheit der Nacht des Weges verfehlt und auf einen Kreuzwege geräth. Kreuzwege aber sind der guten Frau ein Stein des Anstoßes, und so oft sie sich auf einen solchen verirrt, zerbricht sie irgend Etwas an ihrem Wagen, das sie selbst nicht wieder herzustellen versteht. In solcher Verlegenheit kam sie auch einmal zu nachtschlafender Zeit, als stattliche Dame gekleidet, einem Knechte zu Boeck vor sein Bett, weckte ihn auf und bat ihn flehentlich um Hülfe in ihrer Noth. Der Knecht ließ sich erbitten, folgte ihr zum Kreuzwege und fand allda, daß das eine Rad von ihrem Wagen abgelaufen war. Er machte das Fuhrwerk wieder gangbar, und zum Dank für seine Mühe befahl sie ihm, die sämmtlichen Häuflein in seine Tasche zu sammeln, die ihre Begleiterinnen beim Verweilen auf dem Kreuzwege zurückgelassen hatten, wir können nicht sagen, ob als Zeichen großer Angst oder guter Verdauung. Der Knecht ward unwillig über solch ein Anmuthen, ließ sich indeß doch einigermaßen beschwichtigen durch die Versicherung, daß das Geschenk so werthlos, wie er wohl meine, für ihn nicht sein werde, und nahm, wenn auch ungläubig, doch neugierig, einige Häuflein mit sich. Und siehe, zu seinem nicht geringen Erstaunen begann das Mitgenommene mit Tagesanbruch zu glänzen wie schönes, blankes Gold, und war auch wirklich Gold. Da war es ihm denn sehr leid, statt einiger Häuflein nicht alle mitgenommen zu haben, denn von

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den zurückgelassenen Kostbarkeiten war am Tage auch nicht die Spur mehr aufzufinden. Ein ander Mal beschenkte Frau Gauden einen Mann zu Conow, der eine neue Deichsel in ihren Wagen setzte, und noch ein ander Mal beschenkte sie eine Frau zu Göhren, die ihr den hölzernen Stecken in die Deichsel schnitt, über welchem die Wage hängt. Beide erhielten für ihre Mühe, daß die sämmtlichen Späne, die von der Deichsel, wie von dem Wagehalter abfielen, sich in schieres, prächtiges Gold verwandelten. Insonderheit liebt Frau Gauden auch kleine Kinder und beschenkt sie zuweilen mit allerlei guten Gaben. Darum singen die Kinder auch, wenn sie "Fru Gauden" spielen: "Fru Gauden hett mi 'n Lämmken geven, dormit sall ick in Freuden leven u. s. w. Frau "Gauden" ist somit gar keine unebene Frau, denn wie sehr sie sich auch während ihres Lebens auf Erden vergangen hat, so hat sie das doch längst bereuet und ist zu unsern Tagen, was ihr Name aussagt, eine gute Frau, die denen gerne dient, welche ihr dienen. Doch dient sie in hiesiger Gegend Niemandem mehr, sondern sie hat sich gänzlich von uns weggewendet, und das hängt so zusammen. Fahrlässige Leute zu Semmerin hatten in einer Sylvesternacht ihre Hausthür sperrweit offen gelassen. Dafür fanden sie am Neujahrsmorgen ein schwarzes Hündlein auf ihrem Feuerheerde liegend, das in nächster Nacht mit unausstehlichem Gewinsel den Leuten die Ohren voll schrie. Da war guter Rath theuer, was anzufangen sei, um den ungebetenen Gast aus dem Hause los zu werden. Und wirklich fand man Rath, bei einer klugen Frau nämlich, die in geheimen Künsten wohl bewandert war. Wie Jederman weiß, so ist ein Teufel immer über dem andern, und wenn auch beide Weiber nicht echte und rechte Teufel waren, so fand hier doch nach gleicher Weise die gute Frau in der klugen Frau ihre Meisterin. Diese gebot nämlich, es solle das sämmtliche Hausbier durch einen "Eierdopp" gebrauet werden. Gesagt, gethan. Eine Eierschale ward in das Zapfloch des Braukübels gesteckt, und kaum, daß das "Wörp" (ungegohrene Bier) hindurch gelaufen war, da erhob sich Frau Gaudens Hündlein und redete mit vernehmlicher und klarer Stimme: "Ick bün so olt, as Böhmen=Gold, äwerst dat heff ick minleder nich truht, wenn man 't Bier dorch 'n Eierdopp bruht" - und als es das gesagt hatte, verschwand es, und seither hat Niemand hier so wenig Frau Gauden als ihre Hündlein gesehen. 1 )


1) Dieselbe Sage findet sich zu Peccatel bei Schwerin von den Unterirdischen; vgl. Jahresbericht IX, Kegelgrab von Peccatel.
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De Hex. - In einem großen, der Elde nahe gelegenen Kirchdorfe des südwestlichen Meklenburgs trieb um die Moskowiter=Zeit eine bitterböse Hexe ihr arges Wesen. Dem Einen wurden die Kinder krank und auch die erfahrensten Frauen des Dorfes wußten weder Ursache noch Namen der Krankheit anzugeben; ein Anderer ward in jeder Nacht vom Alp gedrückt 1 ); dem Dritten ward sein bestes Pferd im stillen Stehen hinkend; dem Vierten fraß die Sau die Ferkel auf; dem Fünften wollte das Brauen und Backen, dem Sechsten der Korn= und Flachs= Bau nicht gerathen: kurz, es geschah so viel und mancherlei Unheil im Dorfe, daß auch ein Blinder sehen konnte, wie hier nicht Alles mit rechten Dingen zugehe. Und, was das Schlimmste war, so wollten auch die besten Mittel hier nicht anschlagen, wodurch man sonst doch die Hexen sich vom Leibe hält. "Schultenmutter" hatte eine Menge "Witten Ohrand" 2 ) zwischen die Milchschalen und in's Butterfaß gelegt; aber dennoch hatte sie lange oder blaue Milch, oder auch schmierige Butter. Der Krüger hatte mitten in der Altjahrsnacht von sieben verschiedenen Holzarten die nöthigen Reiser zum "Hexenbesen" geschnitten und all sein Vieh vom Kopf bis zu Füßen damit abgekehrt; aber trotz dessen blieben ihm Kälber todt und Kind und Rind war von oben bis unten mit Läusen besetzt. Des Küsters Frau hatte ihrem neugebornen Kinde mit einer Erbscheere den "Käkelriemen" geschnitten, auch Teufelsdreck in die Wiege gelegt und des Kindes Nabelschnur, in einen Hemdezipfel gewickelt, zur Kirche tragen lassen; aber dessen ungeachtet wollte der Junge durchaus nicht saugen, und sog auch nicht, sondern hungerte sich schier zu Tode. Natürlich war mehr als das halbe Dorf darnach aus, der unheilbringenden Hexe unter die Kunde zu kommen. Doch wollte das lange Zeit nicht glücken. Zwei Weiber im Dorfe mit lahmen Beinen, buckelichten Leibern und "Leckaugen" waren allerdings verdächtige Weiber. Denn mit denen, welche der liebe Gott gezeichnet hat, pflegt es gewöhnlich nicht ganz richtig zu sein, und vor solchen muß man sich hüten 3 ). Ueberdies war des einen Weibes Kinn und


1) Das "Alp=Drücken" bezeichnet die platte Sprache durch "Mort=Rieden". Nach der Vorstellung des Volks ist "de Mort" ein marderartiges, auf den Hinterbeinen gehendes, schwarzes Thier, das der Teufel den Hexen zu Gebote stellt. Diese lassen es zur Nachtzeit auf Menschen reiten, die wachend im Bette liegen, sie umklammern und die Beängstigten mit solcher Gewalt drücken, daß die Spuren des Drucks sich oft am Morgen noch durch blaue Flecke am Leibe zeigen.
2) Witten Ohrand, eine Feldblume, wahrscheinlich eine Art campanula - ein Hauptmittel gegen alle Behexung.
3) Das Sprichwort sagt: "Hör sick ener vör son' de Gott tekent hett".
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Nase spitz, wie eine Schuster=Ahle, und - "spitz Nähs un spitz Kinn, do sitt de Düwel in". Indeß dieses Mal waren diese Wahrzeichen denn doch nur trügliche Zeichen, wie sich am nächsten Sonntage nach Mainacht ergab. Unterschiedliche Personen waren an diesem Tage zur Kirche gegangen mit Eiern in der Tasche, die in der Walpurgisnacht von schwarzen Hühnern nicht gelegt, sondern die ihnen aus dem Leibe genommen worden waren. Die beiden verdächtigen Weiber waren auch zugegen. Allein unter dem priesterlichen Segensspruche zeigte sich weder Topf, noch Scheffel, noch Butterfaß auf ihrem Kopfe, in welcher Kopftracht sie doch den Eierleuten hätten erscheinen müssen, wenn sie wirklich Hexen gewesen wären. Sie waren aber ehrliche Christenleute, wie anderer eins: das nun wohl wurde hieraus klar; doch über die Dorfhexe blieb man immer noch im Dunkeln stecken, und diese trieb ihr schlimmes Wesen nach wie vor zum großen Schrecken der Dorfleute. Da kam abermals Walpurgisnacht in?s Land, in der die Hexen zum Blocksberge reiten, und ungesäumt ward nun die "Hexenprobe" vorgenommen. In Mitten der Nacht zogen Zwillingsbrüder ein Paar neue Eggen aus Kreuzdornen von einer und derselsben Stätte aus, der Eine rechts, der Andere links, um?s Dorf. Wo beide Brüder zusammentrafen, wurden die Eggen aufrecht gegen einander gestellt, so daß das ganze Dorf umeggt war, den geringen Raum ausgenommen, der zwischen den aufgestellten Eggen lag. Ueber einen Acker, der auf solche Weise geeggt ist, kann keine Hexe und selbst der Teufel nicht hinweg. Folglich mußte auch das mehrbesagte Teufelsweib, wenn es bei ihrer Heimkehr vom Blocksberge in?s Dorf zurück wollte, jedenfalls unter die aufgestellten Eggen durch und mußte von den danebenstehenden Zwillingsbrüdern gesehen werden. Allein sei es nun, daß die Brüder irgend ein Versehen bei ihrer Arbeit begingen, wodurch die Kraft des Mittels geschwächt ward, oder auch, daß diese Allerweltshexe selbst gegen die probatesten Mittel immer noch ein Gegenmittel zur Hand hatte, genug, die Brüder standen bis zum Aufgange der Sonne bei ihren Eggen und sahen keine Hexe hindurch ziehen. Natürlich stieg die Angst vor diesem bösen Weibe immer höher, und als nun selbst ein Schäfer in der Nachbarschaft gewonnen ward, gegen die schlimme Hexe anzuarbeiten - ein Mann, dessen Meisterschaft im "Hexenbannen" weit und breit bekannt war, dessen Kunst und Mühe aber in diesem Falle auch nicht das Geringste fruchten wollte, da ließ es sich mit Händen greifen: man habe es hier nicht mit einer gewöhnlichen Hexe, sondern so zu sagen mit des Teufels eigener Großmutter zu thun. Doch "ken

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Köter löpt negen Joar dull, he löpt all vehl ihrer an" und der Krug geht so lange zu Wasser, bis er bricht.

Der Großknecht eines Bauern im Dorfe schlief mit dem Ochsenjungen in einem und demselben Bette Der Knecht lag hinten im Bette und der Junge mußte vorne liegen, hatte also die Bettseite inne, welche die bösen Geister am liebsten anfechten. Am Maitagsmorgen nun, als beide Schläfer wach wurden, war der Junge wie gebadet im Schweiß und sein Herz klopfte wie ein Lämmerschwanz. Hans, sprach er, nur einigermaßen zu Odem gekommen, mir ist, als sei ich in dieser Nacht ein Pferd gewesen und als habe die Hausfrau sich meiner zum Reiten bedient. Du träumst! fuhr dieser ihn an; du dummer Junge wirst unsere Hausfrau doch nicht zu den bösen Weibern zählen wollen, die in dieser Nacht den Blocksberg bereis'ten? Darum, schweig! sag ich dir, und halt das lose Maul! Der Junge wollte aber nicht; blieb steif und fest dabei, die Nacht über in Hexenhand gewesen zu sein, so daß Hans, wenn auch Stillschweigen ihm auferlegend, das Ding doch für verdächtig hielt und sich's wohlweislich hinter die Ohren schrieb, bis die Mainacht des nächsten Jahres herbeikam. In dieser Nacht nahm er die vordere Seite des Bettes ein und ließ den Jungen hinten schlafen. Der Junge schlief auch bald ein; aber Hans suchte sich wach zu halten, um abzusehen, ob auch in diesem Jahre die Hausfrau einen Ritt zu machen gesonnen sei. Und kaum, daß ein halbes Stündchen verlaufen war, da öffnete sich leise die Kammerthür und auf den Zehen schleichend trat die Hausfrau ein, - einen Zaum in der Rechten und in der Linken eine Peitsche haltend. Hans richtete sich sofort empor und schickte sich an, ihr den unerbetenen Besuch gehörig einzutränken. Allein er hatte die Rechnung ohne den Wirth gemacht und nicht das Sprüchelchen genugsam in Acht genommen: Hin'term Berge wohnen auch Leute. Die Hexe machte nicht viel Federlesens mit ihm; sie packte ihn an, warf im Umsehen den Zaum ihm über die Ohren, und plötzlich sah er sich in einen stattlichen schwarzen Hengst verwandelt. Nun merkte Hans wohl, wie schlimm es sei, sich mit Hexenweibern einzulassen, hätte sich wohl gerne aus der Affaire gezogen, aber da wollte weder Sträuben noch Bäumen, weder Springen noch Schlagen helfen; mit kräftiger Linke hatte die Hexe die Zügel gefaßt, im Nu schwang sie sich auf ihn, regulirte den Widerspenstigen mit scharfen Peitschenhieben und fort gings im sausenden Galopp über Stock und Stein, durch Rusch und Busch zum Blocksberg hin. Der forcirte Ritt hatte die Reisenden ungewöhnlich früh auf des Berges Höhe gebracht. Ringsum herrschte

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noch tiefe Stille und noch war die Geisterstunde nicht angebrochen, als bei einem Holunderstrauche angehalten und des Rosses Zügel festgeschürzt ward. Hier stand nun der dampfende Gaul und fand Muße genug, sich abzukühlen und nebenbei Betrachtung über sein unergötzliches Schicksal anzustellen. Inmittelst aber ward es lebhaft in der Luft. Ein Pfeifen und Sausen ließ sich hören, wie wenn ein Hagelwetter heranstürmt, und mit dem Schlage zwölf Uhr sausten aus allen vier Winden unzählige Hexen herbei, mit losgebundenen Haaren und fliegenden Röcken, auf Besenstielen oder Ofengabeln, Feuerzangen oder Dreschflegeln, Ziegen oder Ziegenböcken reitend 1 ). Mit ihnen kam auch der Teufel angefahren und zwar in seiner natürlichen, unverstellten Gestalt. Ein weiter blutrother Mantel umhüllte die starken Glieder des langen Leibes; ein spitziger, mit Hahnenfedern gezierter Hut bedeckte das grimmige Haupt. Aus dem Hute guckte ein Hörnerpaar, lange Krallen ragten aus den Fingerspitzen, aus dem After ein Kuhschwanz, aus dem bocksledernen Beinkleide ein Krähenfuß und ein Pferdefuß hervor. Des Bösen schwarzes Antlitz mit dessen thierischer Schnautze beschien eine gelblich=grüne Flamme, die seinem aufgesperrten Maule entfuhr, und als der Flamme Schwefelgeruch zu der Nase unsers Hansen drang, da war ihm ganz und gar nicht wohl zu Sinne; er hätte wohl Alles darum gegeben, an der Stelle des guten Ochsenjungen zu sein. Doch nicht lange währte es, da weheten statt der höllischen Schwefeldämpfe die lieblichen Gerüche von kalter Schaale, Reisbrei, Pfannkuchen und Grapenbraten ihn an. Feurige "Draken" schleppten eine solche Menge von diesen köstlichen Speisen herbei, als wohl auf zehn großen Hochzeiten nicht würde verzehrt worden sein. Unserm Hans ward der Mund über die Maßen darnach wässern, aber wie sehr ihn auch gelüstete, er mußte seinen Lecker unbefriedigt lassen und hatte nur das Zusehn davon, wie die Hexen allzumal um ihren saubern Schutzpatron sich schaarten, sich labten und gütlich thaten allermeist. Sie aßen und tranken, spielten unter Lästern und Fluchen auch Karten und Würfel dabei, wohl an die zwei Stunden lang, und als alle nun des Teufels Garküche weidlich zugesprochen, dazu sich vollgesoffen


1) Das Ziegen=Vieh ist Lieblings=Vieh der Hexen. Vormals hielten die Bauern der hiesigen Gegend zwischen dem übrigen Viehe im Stalle immer auch eine Ziege oder lieber noch einen Ziegenbock, als Präservativ gegen die Viehbeherung. Kam dann eine Hexe in den Stall, so erwählte sie ihr Lieblingsthier, die Ziege oder den Bock, ritt darauf und ließ das übrige Vieh ungeschoren. Nach dem Mecklenb. Prakt. Wochenbl. etc. . v. 1841, St. 39, soll dieser Aberglaube noch heutzutage in einzelnen Gegenden Würtembergs gang und gebe sein.
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hatten bis oben auf, da gab der Teufel das Zeichen zum Aufbruche; mit Saus und Braus erhob sich der wilde Schwarm, und Fiedel, Pfeife und Baßgeige ließen jetzt ihre muntern Töne unter dem wirren Getöse hören und spielten zum Tanze. Der Teufel selbst führte den Reigen an und hatte zur Ehrendame die böse Hausfrau aus unserm Dorfe erwählt. Ihm folgten die übrigen Hexen, Paar bei Paar in wilder Hast sich kräuselnd, wie wenn der Wirbelwind mit Federn spielt, und Tänze aufführend der mannigfaltigsten Art: "Lang=Engelsch, Schottsch, Drei= undVier=Türig, Grotvarer=Danz, Klappwalzer, Katt un Mus, Grot Schändör", zuletzt eine große "Rückel=Reih". Als alle nun sich heiß und satt getanzt, auch ein gut Theil der Nacht vorüber war, da trieb der Teufel zu böser Letzt noch ein gar liederlich Kurzweil mit den buhlerischen Hexenweibern, wovon jedoch unser Berichterstatter, weil er züchtiglich in Worten und Werken war, nicht weiter erzählen wollte. Mittlerweile wurde der erste tagverkündende Hahnenschrei gehört und Alles schickte sich nun zur Abfahrt an. Zuerst zog der Teufel von dannen, auffahrend mit großem Geräusch, als flögen Tausende von Gänsen und Enten davon und auswerfend einen dicken und langen Qualm, als habe der Böse schon damals eine Dampffahrt in der Luft betrieben, wie wir sie jetzt auf der Elbe haben. Ihm nach machten auch die Hexen sich auf und zogen ihre Straße heim und mit ihnen auch die Hausfrau auf ihrem stattlichen Hengste. Ihr gleich war keine der Hexen beritten. Sie tummelte ihr prächtiges Roß mit mehr Geschick, als heutzutage mancher junge Rittersmann vor dem Fenster seiner Herzgespielin zeigt. Doch weil allmänniglich bekannt ist, wie Paraderitter mitunter eben so unfreiwillig als unsanft ihres Ritterthums entsetzt zu werden pflegen, so fanden sich hier der warnenden Stimmen mehrere, die allen Ernstes die kühne Reiterin ermahnten, vor Schimpf und Schaden sich zu wahren. Allein ihr kecker Sinn verachtete das und sicher und unbesorgt, als habe sie hinter'm Ofen auf dem Großvaterstuhle Platz genommen, ritt sie wohlgemuthet den Blocksberg hernieder. Der Weg führte durch ein klares, tiefes Wasser, das am Fuße des hohen Berges floß. In diesem Wasser hielten die Hexen an, das sämmtliche Vieh hier zu tränken, Abschied von einander zu nehmen und dann mit doppelter Schnelligkeit der Heimath zuzueilen. Die unvorsichtige Hexe hatte bei dieser Gelegenheit die Zügel gänzlich aus den Händen gelassen. Dies gewahr werdend und mit gewaltiger Kraft einen mächtigen Bockssprung vollführend, war dem Hengst die Sache des Augenblicks, und, plumps!

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da lag die Hexe, so lang sie war, im Wasser. Ein Schütteln des Kopfes ließ auch den bösen Zaum in's Wasser fallen, und siehe mit dem Fall desselben war der Zauber gelöst und statt des Hengstes stand unser Haus da in seiner leibhaftigen Gestalt. Unterdeß hatte die Hexe sich aufgerafft und wollte eben den Zaum ergreifen. Hans aber kam ihr mit flinker Hand zuvor, riß ihn an sich und warf ihn über den Kopf der Hexe. Da stand nun die Frau Lisel vor ihrem Hans, durch ihren eigenen Zauber=Zaum urplötzlich zur prächtigen schwarzen Stute geworden, so verblüfft schier, wie die Kuh vor dem neuen rothen Thore steht. Aber Hans war just der Mann dazu, ein frisches Leben in ihre Glieder zu bringen. Er sah sich unverweilt nach einem schwanken Haselstocke um, schwang dann sich auf ihren breiten Rücken und sprach ihr auf so handgreifliche Weise frischen Muth zu, daß Roß und Reiter vorwärts stürmten, als wollten sie an einem Tage die Welt umjagen. Bei dieser großen Anstrengung konnte es nicht fehlen, sie wurden beide müde und matt. Darum, als schon ein gut Theil des Weges zurückgelegt worden war, sah Hans sich auf's sehnlichste nach einem Krughause um und freute sich nicht wenig, da er ein solches nahe am Wege fand. Er hielt an und erquickte sich hier nach Herzenslust durch ein frisches, süßes, dickes Bier. Schon wollte er fürbaß reiten, als ihm der Einfall kam, weil der Weg nach Hause doch noch ziemlich lang sei, zum bessern Fortkommen sein Pferd beschlagen zu lassen. Der Krüger war zugleich auch Schmied. Man ging also unverweilt an's Werk und vier tüchtige Eisen wurden der Stute angepasst. Beim Aufnageln derselben geberdete sie sich so empfindlich fast, als werde ihr eine türkische Bastonnade applicirt. Doch wohlgebremst und in den Nothstall der Schmiede gezwängt, mußte sie schon stille halten bis sie die Eisen wohlbefestigt unter den Beinen hatte. Hans machte sie nun wiederum auf, ritt, daß die Funken auf den Steinen stoben, und kam ohne Fährlichkeit im Dorfe an, so früh, daß hier noch Alles im guten Schlafe war. Vor der Hand wußte er nichts besseres anzufangen, als die Stute in den Stall zu jagen, sich selbst aber zum Ochsenjungen in's warme Bett zu legen. Am Morgen aber, als Alles wach ward und zu Beinen kam, fehlte es an der Hausfrau. Sie sei krank, hieß es, und hüte das Bett. Noch kranker ward sie am folgenden Tage, so daß die Frauen der Nachbarschaft herzukamen, Berathungen über die Krankheit anstellten und bald darüber einig wurden, hier helfe kein Mittel mehr, die Krankheit sei zum Tode und Zeit sei es, den Geistlichen herbeizurufen, daß er die Kranke

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zum Sterben bereite. Doch als auf diesen Mann Gottes die Rede kam, da regte sich in der bösen Frau ein so böser Geist, daß Allen angst und bange ward. Sie winselte und wand sich und konnte keinen Frieden finden, sie lästerte und fluchte und sprach verwirrte Worte, ihr Haar sträubte zu Berge, ihr Auge rollte wild umher, ihr Gesicht verzerrte sich fürchterlich und unter einem Krachen im Hause, wie wenn das ganze Haus zusammenstürze, fuhr die sündige Seele zum Teufel hin, der vor dem offenen Stubenfenster als schwarze Krähe sich blicken ließ. Nun trat auch Hans herzu und berichtete, weß Geistes Kind die Todte sei, und zur Bestätigung dessen, was Hans erzählte, fand die Todtenkleiderin vier blanke Hufeisen auf Händen und Füßen des Leichnams liegend. Auch war der Körper leicht geworden, wie ein Federsack, zum Zeichen, daß der Teufel, da er die Seele nahm, auch des Leibes Blut gesogen habe.

Von jetzt an war Ruhe und Sicherheit im Dorfe. Diese Geschichte aber erzählte man sich von Kind zu Kindeskind - zum warnenden Exempel für Jung und Alt, daß wer mit Teufelswerken umgeht, der fällt zuletzt mit Leib und Seel dem Teufel als sichere Beute zu.