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Nachtrag zum Jahrbuch 68 (1903)
Mitgeteilt von
Dr. G. Kohfeldt
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D er 68. Band dieser Zeitschrift hat aus der Feder Carl Schröders einen Aufsatz gebracht, der für das Leben und Wirken Fanny Tarnows die Hauptquelle ist und dies jedenfalls auf lange Zeit hinaus bleiben wird. Es ist deshalb wohl berechtigt, an dieser Stelle auch eine kleine autobiographische Skizze die Schröder anscheinend nicht zu Gesicht gekommen ist, die aber in dem Gesamtbild der Dichterin nicht gut fehlen kann, festzuhalten. Es handelt sich um eine briefliche Mitteilung, die Fanny Tarnow dem Rostocker Universitätsbibliothekar Dr. .Koppe für das von ihm geplante, dann allerdings nicht zustande gekommene mecklenburgische Schriftstellerlexikon gemacht hat. Der Brief befindet sich in dem Koppeschen handschristlichen Nachlaß der Universitätsbibliothek. Er lautet:
Hamburg, d. 20sten Mey 1816.
Wohlgeborner,
Hochzuverehrender Herr Doctor!
Erst gestern habe ich den Brief erhalten, mit dem Ew. Wohlgeboren mich beehrt haben, und dies wird die scheinbare Verspätung seiner Beantwortung bei Ihnen rechtfertigend entschuldigen. - Dankbar erkenne ich die gütige Meinung, die Sie von mir darin aussprechen, und bedaure es daher umsomehr, daß ich Ihrer Aufforderung, Ihnen von meinem litterarischen Leben Nachricht zu geben, nur sehr unvollkommen entsprechen kann, da ich mich des etwanigen Talentes, das man mir zutraut, wie einer Naturgabe so unbewußt erfreue, daß ich durchaus nicht darüber zu reflectiren vermag. - Also nur in historischer Hinsicht kann ich Ihnen darüber etwas sagen.
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Ich bin in Güstrow geboren und erzogen. Ein Sturz aus dem Fenster des zweiten Stockwerkes unseres Hauses erschütterte, ohne sichtbare Verletzung, bei meinem zarten Alter - es war in meinem 4ten Jahre - die edleren Lebenstheile so, daß ich aus einem blühend gesunden Kinde ein so kränkliches ward, daß mir jedes Spiel, jede frohe Ergötzlichkeit der Kindheit unbekannt blieb. - So von der Außenwelt abgezogen, richteten sich alle Kräfte meines Gemüths nach innen, und die tiefe Fühlbarkeit, die meine Freunde und das litterarische Publikum als die bezeichnendste Eigenthümlichkeit meines Wesens anerkennen, ward schon früh entwickelt und durch ein sehr trübes äußeres Schicksal gereist. - Das erste, was von mir unter meinem Namen erschien, war (1806) Allwine von Rosen. Die Herausgeber des Journals für deutsche Frauen, Schiller, Rochlitz, Wieland und Seume, nahmen die ihnen unbekannte Verfasserin mit mehr als Güte, mit wahrer Herzlichkeit auf, und diese Kleinigkeit, die ich selbst nur als eine sehr ephemere Erscheinung für die kurze Lebensdauer einer Zeitschrift geeignet glaubte, hatte das Glück, von einem unserer ersten Dichter, der zugleich als der Scharfsinnigste Kritiker unsrer Zeit bekannt war, im Morgenblatt auf eine Art erwähnt zu werden, die mir die Beachtung mehrerer ausgezeichneter Menschen gewann. - Im folgenden Jahr erschien meine Ottilie und dann 1811 Natalie. Jene früheren Dichtungen, Allwine und Ottilie, haben ein Jugendkolorit, das ihnen für mich den Werth der Erinnerung giebt und in seiner Frische ihnen auch wohl den Beifall gewonnen hat, aus den sie sonst durch nichts berechtigt sind Anspruch zu machen. Natalie ist ernster. Recensirt wurde diese letztere in der Hallischen Litteraturzeitung, den Musen von Fouquè, der Leipziger Litteraturzeitung und dem Journal des Luxus und der Moden. Auch ist sie noch in einem österreichischien und einem rheinischen Journal recensirt, die ich aber nicht genauer anzugeben weiß. AUe diesc Recensionen waren günstig - die gründlichste von ihnen ist wohl die Fouquèsche in den Musen - die am mehrsten besprochene die in der Hallischen Litteraturzeitung - theils weil sie Natalie mit Werthers Leiden zusammenstellte und dann, weil sie unzart den Namen eines Mannes nannte, dessen Bild freilich als das eines der bedeutendsten Menschen unsrer Zeit der Geschichte angehört, der aber doch nie, auch wo das Bild erkannt wurde, hätte genannt werden müssen. Na-
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talie erhielt dadurch eine Art von Berühmtheit, die die Verfasserin ihr nie wünschen konnte, wenn sie es gleich dankdar anerkennt, daß sie der Erscheinung dieses Buches viele der reinsten Freuden ihres Lebens verdankt, aus das es in vielfacher Hinsicht erfreuend und tröstend einwirkte.
Im Jahre 1812, während der drückenden Gewitterschwüle, die damals auf Deutschland lastete, erschien in Halle bei Eberhard meine Thekla. Es ist eine sehr auffallende Erscheinung, daß diese die westphälische Zensur unverstümmelt ließ, während in Berlin die Zensur die auf Schill sich beziehenden Stellen in Natalie so strenge wegstrich, daß nur eine Andeutung davon vergönnt blieb. Ich darf selbst kein Urtheil über Thekla haben, allein ich sende Ihnen zu beliebigem Gebrauch 2 Briefe von La Motte Fouquè mit, davon er einen an einen Freund schrieb, der ihm das...mitgetheilt hatte, und den anderen später an mich. Thekla gehört gewissermaßen der Geschichte an, da das Bild des Prinzen Louis Ferdinand so sehr ähnlich gerathen sein soll. - Dies ist wenigstens das Urtheil aller derer, die ihn näher kannten, und auch seiner Schwester, der Fürstin Radzivil. - 1814 erschien bei Dümmler in Berlin ein Band Erzählungen von mir, dann 1815 Augustens Tagebuch und in dieser letzten Ostermesse Thorilde Von Adlerstein - von dieser letzteren sind zwei Recensionen erschienen, wie ich höre - eine im 2ten Heft der Frauenzeitung und eine in der Hallischen Litteraturzeitung.
Recht sehr muß ich aber bitten, diese Uebersicht meiner Dichtungen nicht als von mir selbst erhalten anzugeben. - Auch würde ich Ihnen die baldige Zurücksendung der beiden Fouquèschen Briefe sehr dankbar wissen.
Im Anfang des künftigen Monats denke ich mich einzuschiffen und werde mit ausgezeichnetem Vergnügen die Briefe, die Sie mir zur Besorgung anvertrauen wollen, mitnehmen und gewiß sicher und bald befördern.
Mir fällt eben ein, daß in dem Hamburger Morgenblatt im September oder Oktober des vorigen Jahres ein Aufsatz über deutsche Schriftstellerinnen in Bezug auf das Werk der Frau v. Stael befindlich ist, den ich nicht gelesen habe, von dem man mir aber gesagt hat, daß er eine Charakteristik meines schriftstellerischen Karakters enthalten soll, die
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Ew. Wohlgeboren vielleicht benutzen können. Ich habe ihn noch nicht gelesen und weiß also nicht, inwiefern er für Ihren Zweck brauchbar sein wird.
Hochachtungsvoll empfehle ich mich
Ew. Wohlgeboren
ganz ergebenst
Fanny Tarnow.
Adresse: Jungfernstieg Nr. 7.
In einem zweiten kurzen Brief vom 18. Juni 1816 bittet Fanny Tarnow um die Rücksendung der Fouquèschen Briefe und versichert noch einmal, daß sie gern die ihr von Dr. Koppe anvertrauten Briefe und Aufträge in Petersburg besorgen werde.