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Die schwarzen Urnen mit Verzierungen aus Punktlinien.
Im mittleren und westlichen Theile des Großherzogthums Mecklenburg=Schwerin sind in großen Begräbnißplätzen unter der ebenen Erdoberfläche oft große, weit geöffnete, schalenförmige Urnen mit zerbrannten Menschengebeinen gefunden, die in der Regel gleichmäßig (durch Ruß) kohlschwarz gefärbt und mit mäander= oder hammerförmigen Verzierungen geschmückt sind, welche aus Punktlinien bestehen.
Als Repräsentant dieser Gattung von Urnen ist hier ein Exemplar aus dem großen Begräbnißplatze von Camin bei Wittenburg abgebildet, welches eine durchschnittliche Ansicht zu geben vermag. Andere Exemplare sind abgebildet im Friderico-Francisceum Tat. XXXIV und in Jahrbüchern, Jahrgang XII, S. 432 flgd.
Diese Urnen unterscheiden sich von allen andern nicht allein durch ihre Gestalt und Farbe, sondern vorzüglich durch die Beschaffenheit der Verzierungslinien, die aus regelmäßigen, kleinen, viereckigen Punkten bestehen, welche offensichtlich nicht einzeln, sondern durch ein gezahntes (metal=
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lenes) Stempelwerkzeug oder laufendes Rad eingedrückt sind. Zur Veranschaulichung ist ein Theil der Verzierung des Bodens einer kleinen Urne aus demselben Begräbnißplatze von Camin auf der vorhergehenden Seite abgebildet.
Ich habe diese Urnen, da sie sehr in die Augen fallen, seit 35 Jahren in Meklenburg und in den Nachbarländern unablässig verfolgt und eine ausreichende Ansicht über dieselben zu gewinnen gesucht. Sie gehören ohne allen Zweifel der Eisenzeit an, in welcher im nordöstlichen Deutschland alle Leichen ohne Ausnahme verbrannt wurden. Früher schrieb ich sie der jüngsten, also in Meklenburg der wendischen Eisenzeit zu, weil offenbar eine gesteigerte Bildung an ihnen erkennbar ist und sich neben vielem Eisen häufig Silber und Glas in ihnen findet, indem diese jüngern Producte vielleicht auf eine jüngere Zeit schließen ließen. Etwas später konnte ich die Bemerkung machen, daß diese Urnen nicht ausschließlich einen bestimmten Begräbnißplatz beherrschen, sondern auch neben andern von gewöhnlichem Charakter stehen, welche offenbar einheimisches Fabrikat sind. Später machte ich die Erfahrung, daß sie auch da erscheinen, wo sich zugleich unzweifelhafte Spuren römischen Kunstfleißes zeigen, wie z. B. in den Begräbnißplätzen von Wotenitz (vgl. oben und Jahrb. XXV, S. 352) und Börzow (vgl. oben S. 227 und 230). Endlich kam ich (1860) zu der Ueberzeugung, daß die Eisenzeit viel weiter zurückreicht, als früher angenommen ward, und daß namentlich die Eisenzeit, welcher die schwarzen Urnen angehören, die ältere Eisenzeit, wenigstens bis in das 2. und 3. Jahrhundert n. Chr. zurückreicht (vgl. Jahrb. XXVI, S. 161 flgd.). Die Entdeckung der Römergräber zu Häven und an andern Stellen im Norden scheint diese Beobachtungen zu bestätigen.
Diese Urnen, viele kleine Funde und Bruchstücke nicht gerechnet, sind in größern Lagern in Meklenburg an folgenden Stellen entdeckt: zu Kothendorf (Friderico-Francisceum, S. 91), zu Gägelow (Friderico-Francisceum, S. 96), zu Camin (Jahrb. II, B, S. 53), zu Börzow (Jahrb. VIII, B, S. 91), zu Wotenitz (Jahrb. XXV, S. 352), zu Neu=Stieten (Jahrb. XXXIII, S. 139), zu Döbbersen (Jahrb. VIII, B, S. 27), zu Raguth (Jahrb. IV, B, S. 51), zu Dreveskirchen (Jahrb. XVII, S. 369). Alle diese Orte liegen im mittlern und westlichen Meklenburg=Schwerin.
Im östlichen Meklenburg=Schwerin und in Meklenburg=Strelitz sind sie noch nicht beobachtet (Jahrb. V, B S. 81).
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Ich habe mich aber nicht allein bemüht, ihr Vorkommen in Meklenburg zu beobachten und zu retten, sondern auch ihr weiteres Vorkommen in den Nachbarländern und weiter hinaus zu verfolgen (Jahrb. XI, S. 395). Diese Urnen kommen vor: im mittlern und westlichen Meklenburg=Schwerin, in Holstein nur in dem südöstlichen holsteinschen Lande Wagrien, in Sachsen=Lauenburg bis an die Elbe (vgl. Jahrb. XXX, S. 155), im Herzogthume Lüneburg (vgl. Jahrb. XVII, S. 361), in der nordwestlichen Prignitz, in der Altmark sehr zahlreich, z. B. in den Danneilschen Sammlungen im Museum zu Berlin, vereinzelt noch im Halberstädtischen und von hier und dem Lüneburgischen bis gegen den Harz.
Betrachtet man diese Länderstrecke, so ergiebt sich eine fast überall gleich breite, von Südwest nach Nordost streichende Zone vom Nordfuße des Harzes bis an die Ostsee, oder vom Leine=Thal bis an die jetzigen Häfen von Lübek und Wismar. In dieser Zone liegen auch uralte Elbübergänge (Fähren), z. B. bei Scheßla, Neuhaus gegenüber, und bei Broda (= Fähre) bei Dömitz. Der Herr Staats=Minister Freiherr v. Hammerstein hat in Jahrb. XXXVI, S. 108 flgd. zur Genüge nachgewiesen, daß seit uralter Zeit ein Elbübergang mit einer "Wagenfähre" an der Schetzel oder dem Schetzelbach bei der Darchauer Fähre bestand, und wünscht weitere Nachforschungen. Gleichzeitig und unabhängig davon hat der Herr Dr. Hostmann zu Celle in der zweiten Hälfte des Jahres 1871 und später am linken Elbufer in den Aemtern Danneberg und Blekede, der Darchauer Fähre gegenüber, zahlreiche, große Begräbnißplätze aus dem "ersten Eisenalter" 1 ), welche ganz denen im gegenüber liegenden Meklenburg gleichen, entdeckt, welche ohne Zweifel zu überraschenden Ergebnissen führen werden. Herr Dr. Hostmann theilt im Septbr. 1871 brieflich mit: "Mit der Fuhrt bei der Darchauer Fähre hat es seine volle Richtigkeit. Die Stelle war auch z. B. in diesem Sommer außerordentlich seicht, und man theilte mir mit, daß dieselbe, bevor die Deiche gebauet waren, beständig eine bequeme Durchfahrt
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habe bieten müssen." Diese Fähre liegt auf der Straße von Lüneburg nach Neuhaus, welche in gerader Richtung weiter nach Hagenow und der Schweriner "Fähre" geht.
Außerhalb dieser Zone habe ich in Deutschland auf meinen langjährigen und vielfachen Forschungsreisen diese Urnen nirgends bemerkt. Auch andere Forscher haben dieselbe Beobachtung gemacht, z. B. der schwedische Alterthumsforscher Hans Hildebrand, Adjunct am Staats=Museum zu Stockholm, welcher auf seiner langen Forschungsreise im Sommer 1870 diese Urnen mit Aufmerksamkeit als etwas ihm Neues betrachtete und es sich auch zum Ziele setzte, nach denselben zu forschen; derselbe hat denn auch schon vor seinem Uebergange über die Alpen im November 1870 berichtet, daß er in ganz Deutschland, Oesterreich, Ungarn und Siebenbürgen diese Urnen nirgends anders getroffen habe, als in der beschriebenen Zone in der Mitte Norddeutschlands, die letzten Spuren in der Sammlung des Professors Dr. Wiggert zu Magdeburg, dessen Forschungen bis in die Ebenen am nordöstlichen Harz reichen.
Diese Zone mit diesen eigenthümlichen Urnen ist nun aber gleich mit der Zone, in welcher vorherrschend die römischen Alterthümer aus Bronze, Glas, Silber u. s. w. und Römergräber gefunden werden.
Daher liegt es nicht ferne, daran zu denken, daß diese Urnen, welche so manche classische Anklänge geben, unter dem Einflusse römischer Cultur entstanden sind, d. h. durch Arbeiter aus den Ländern des römischen Kaiserreichs, wenn es auch nicht gerade Römer waren.
Ueberdies giebt die Bearbeitungsweise dieser Urnen manches zu bedenken. Diese Urnen sind zwar noch nach deutsch=heidnischer Weise angefertigt, d. h. aus Thon mit (jedoch feinem) Sande durchknetet und nicht im Töpferofen gebrannt, sondern am offenen Feuer gedörrt. Aber sie sind viel dünner, feiner und regelmäßiger geformt und kunstreicher verziert, als die Urnen, welche sicher norddeutschen Ursprunges sind. Es scheint fast, als wenn die Grundform auf der Töpferscheibe gedreht und darauf die Außenseite mit geschlemmtem Thon, wie in Norddeutschland Sitte war, überzogen sei. Eingeführte römische Fabrikate werden diese Urnen nicht sein; denn die Wege waren wohl zu weit und schwierig, die Gefäße zu groß und zerbrechlich. Auch hatten, wie weltbekannt ist, die Römer bis an die äußerste Grenze ihres Gebiets die Kunst der Ziegelei und Töpferei bis zu dem höchsten Grad der Vollkommenheit gebracht, und eingeführte
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römische Töpferwaare würde ein ganz anderes Ansehen haben. Und dennoch scheint es, daß Römer hier zu Lande ihren Einfluß auf die Töpferei geltend gemacht oder daß sie gar diese Urnen selbst hier gemacht haben. Römisches Töpfergeschirr konnten sie hier freilich nicht fabriciren, da ihnen hier die Ziegel= und Töpfer=Brennöfen und die Materialien, auch vielleicht die Arbeiter zur Erbauung der Oefen fehlten. Aber die Römer können sich den Sitten und Bedürfnissen der norddeutschen Germanen angeschmiegt und nach deren Weise Töpferei, jedoch viel kunstreicher getrieben haben.
Diese Ansichten und Erfahrungen sollen nur Andeutungen sein, um eine wichtige Sache weiter zu verfolgen. Die Ausgangspunkte liegen vielleicht in Italien oder andern Provinzen des römischen Kaiserreiches.
Ich selbst habe nur eine Andeutung außerhalb der angegebenen Zone finden können, nämlich eine aus Hetrurien stammende, gleich gearbeitete, gefärbte und verzierte große Urne, mit dem Hakenkreuz, in den "vereinigten Sammlungen" zu München, deren Entdeckung und Beschreibung ich in den Jahrbüchern XXVI, S. 177 geliefert habe.
Eine andere Beobachtung scheint die Annahme des römischen Einflusses zu bestärken. Im Großherzogthume Luxemburg sind in neueren Zeiten viele Gräber entdeckt, welche vollständig alle Eigenthümlichkeiten der hier zur Sprache gebrachten meklenburgischen Gräber der ersten Eisenzeit haben und an denen vieles, namentlich an den Urnen, auf beiden Seiten vollkommen gleich ist. Die Ausstattung dieser Gräber wird denselben Einflüssen wie die der meklenburgischen Gräber unterworfen gewesen sein, beide jedoch nicht von einander abhangen, da von der Lüneburger Haide bis an die Maas noch kein Mittelglied gefunden ist. Ueber die Luxemburger Gräber vgl. man Jahrbücher XIX, S. 321. Die Luxemburgischen Forscher halten diese Grabstätte für "gallisch=fränkische" Gräber und setzen sie in die Zeit vom 5. bis 10. Jahrhundert n. Chr., und ich habe, hiedurch verleitet, die mit ihnen übereinstimmenden Gräber in Meklenburg noch für "wendische" gehalten.
Wenn die hier ausgesprochenen Ansichten und Vermuthungen sich mit der Zeit bewähren sollten, dann dürfte es noch ernstlich zur Frage kommen, ob auf dem angedeuteten Wege nicht auch alle oder doch die ersten eisernen Geräthe der ersten Eisenzeit von den Römern in den Norden eingeführt sind. Es läßt sich nicht leugnen, daß sich in heimischen alten Gräbern dieser Zeit genau dieselben eisernen Sachen
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finden, wie in hiesigen römischen Funden, z. B. der sehr große eiserne Ring in dem heimischen Begräbnißplatze von Neu=Stieten und dem großen römischen Funde von Hagenow; vgl. Jahrbücher XXXIII, S. 139. Von der andern Seite finden sich auch in römischen Funden, z. B. in dem Funde von Hagenow, eiserne Geräthe, welche von den einheimischen verschieden und sicher aus der Fremde eingeführt sind. Gewisse Geräthe deuten auf südlichen Ursprung, z. B. die Scheren. Fast in jedem großen römischen Funde ist die bronzene Schere von römischer Arbeit, welche eine neue römische Erfindung zu sein scheint. Nun aber finden sich in den einheimischen Brandgräbern der ersten Eisenzeit auch oft eiserne Scheren von allen Größen. Vorher ist nie eine Schere beobachtet worden. Doch ist diese weitreichende Frage noch lange nicht spruchreif.
Das aber ist unzweifelhaft, daß wir alle Kräfte aufbieten müssen, um gerade die bis auf die neueren Zeiten und bis zur Entdeckung der römischen Alterthümer im Norden ganz vernachlässigten Alterthümer der Eisenzeit sorgsam zu retten und zu bewahren. Gerade aus ihnen können sich ganz neue und unerhörte Ansichten über die Bildungsgeschichte Deutschlands entwickeln.