zurück zur Metadatenansicht auf dem Dokumentenserver
zurück
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 21 zur nächsten Seite zur letzen Seite
Dokument dauerhaft verlinken Dokument im gesamten Band öffnen Metadaten auf dem Dokumentenserver anzeigen

2.

Die Runen auf der Meklenburger Aschenurne,

von

Ignaz J. Hanus.

Im Jahre 1852 wurde eine auf dem Köbelicher Felde * ) bei Stargard in Meklenburg=Strelitz ausgegrabene Aschenurne von Thon zum Behufe einer controlirenden Lesung ihrer Runen an Schafarik nach Prag gesendet. Da die Urne unter amtlicher Aufsicht ausgegraben und unter amtlicher Obhut aufbewahrt wurde, so ist sie vielleicht das einzige ächte Denkmal, das man bis jetzt mit Runenaufschrift in ehemals slavischen Ländern Deutschlands auffand. Man las schon in Meklenburg deren Runen, als belbog kleal kaja, was mir bis auf "belbog" weiß Gott unverständlich ist. Wolanski las aber sogar: "Nana kochamcie", Nana ich liebe dich, was besonders deshalb interessant ist, weil man dadurch erfährt, daß die alten heidnischen Polaber schon die neuere Orthographie der Polen gekannt hatten.

In Prag hatte nur der Conservator Wocel den Muth zu lesen, und zwar Anfangs: knesa sona, Frau des Fürsten, dann aber: eva gamna ksansoa, dies das Grab des Fürsten (Sitzungsber. der k. böhm. Gesellsch. der Wissensch. zu Prag vom 14. Febr. 1853, VIII. Bd., S. 34, 35 und "Ueber die Runen der Köbelicher Urne" in den "Mémoires de la société royale des antiquaires du nord. 1845 - 49. Copenhague 1852", S. 353 - 357, sammt einer Abbildung).

Es verhielt sich aber mit der Lesung dieser Runen eigent=


*) Dieser Aufsatz ist gedruckt im Archiv für Kunde österreichischer Geschichtsquellen, herausgegeben von der kaiserl. Akademie der Wissenschaften, Band XVIII, 1, Wien, 1857, S. 21 - 23, unter dem Titel der Abhandlung: Zur slavischen Runen - Frage mit besonderer Rücksicht auf die obotritischen Runen - Alterthümer, von Dr. Ignaz J. Hanuš, Bibliothekar der k. böhm, Gesellschaft der Wissenschaften in Prag. - D. Red.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 22 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

lich so: Als Schafarik die Urne nach Prag bekam, benachrichtigte er davon einige Archäologen. Diese zeichneten sich so sorgfältig als möglich, und zwar jeder, ohne seine Zeichnung mit der des andern zu conferiren, die Runenbilder für sich ab. Als aber der Tag gemeinsamer Zusammenkunft und Deutung herankam, staunten Alle, als sie sahen, daß ihre Zeichnungen nicht ganz harmonirten. Der Grund davon lag in dem Chaos der Züge der gebrechlichen Urnenscherben, worin schwer zu entscheiden war, welche Vertiefungen und Ritzen die Natur und der Zufall, und welche die menschliche Hand gethan. Bei so bewandten Umständen standen alle von einer Deutung ab, nur Archäolog Wocel ging an das nicht leichte Geschäft des Lesens, welches besonders dadurch erschwert wurde, daß der Wirrwarr der Züge und Ritzen fast lauter gebundene Runen giebt, sohin es meist dem Belieben des Lesers überläßt, die einzelnen Runen auszuwählen, wie es auch die verschiedenen Leseversuche bewiesen, die, wenn sie so, wie hier, bedeutend auseinandergehen, immer ein mißliches Zeichen sind. Aber auch abgesehen davon, will es mich bedünken, daß innere Gründe die Wahrscheinlichkeit der letzten Leseart Professor Wocel's untergraben, da man wohl eine solche Aufschrift: "Dies (ist) das Grab des Fürsten", nicht hinein ins Grab und nicht auf eine so winzige Urne gesetzt hätte. Wollte man Inschriften innen ins Grab geben, so wählte man dazu Steintafeln, die über die Todten=Urnen gelegt wurden (Wiener Jahrbücher, 43. B., S. 31, W. Grimm, über die Runen).

Auch ist die Schreibweise "gamna" für jamna (und dies für jamina) ein wenig glaubwürdiger Anachronimus, da man sich bei einer heidnischen Urne wohl nicht, wie Wocel that, auf "Analogien, welche altpolnische und altböhmische Schriftdenkmale in großer Menge darbieten", berufen kann, abgesehen davon, daß das Stammwort jama eigentlich nur eine leere Grube fovea, nicht Grab bedeutet (Mikl. rad. 110). Die uns erhaltenen polabischen Wörterbücher unterscheiden diese Begriffe scharf, obschon Genauigkeit sonst nicht ihre Tugend zu sein pflegt. So sagt Henning ausdrücklich: "Grab, worin ein Körper liegt, migkola, das noch ledig ist, gómo, Accus. Gomung". Das Wort migkola ist das bekannte altslavische mogyla, f. tumulus, für ursprünglicheres magulà, wobei also die Elbeslaven nach ihren Lautgesetzen das o in i wandelten und das u der Urform ebenso zu o abschwächten, wie es selbst im altslavischen schon zu y abgeschwächt ist. Die alten Elbeslaven behielten aber noch das o in mogyla, so kömmt in alten Urkunden Anno 1173 wiederholt mogela

Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 23 zur ersten Seite zur vorherigen Seite

vor, wobei e den eigenthümlichen y - Ton andeutet, wie er noch heut zu Tage in Polen und hie und da in Mähren gehört wird (Lisch, S. 9, 10), "gómo" des Henning ist jáma, wobei die Schreibart g statt j nicht etwa alterthümlich ist, sondern nur von Henning ungeschickt den Böhmen abgemerkt ist, wie er auch z. B. inconsequent den angedeuteten Accusativ von jama, d. i. jama in g auslauten läßt, das hier seinen Gutturalton behält; Henning konnte nämlich den Rhinismus ą oder un, d. i. Rune , nicht anders geben, als durch ung, der selbst für ursprüngliches am steht (vergl. skr. vidhavâm, lat. viduam, altslav. vdovąa statt vdovan, vdovam). Den Graben unterscheiden noch die Wörterbücher von migola und jomo als gróvo, grobo, und zwar Henning, Pfeffinger und Domeier. Grobo ist altslavisch ГРОБЪ, grobu sepulchrum ursprünglich grabas, das sich, aber in der Bedeutung Sarg, rein im Litauischen grabas erhielt. Das Wort grobъ ist den alten Elbeslaven auch als Ortsname sattsam bekannt, wie z. B. Hasselbach's Codex (I, 55) "uilla groben", "in grobe", welche Formen als Schwächungen des ursprünglichen Auslautes as in den Naselauten en, ç, е, ъ linguistisches Interesse bieten. - Ueber den altslavischen Namen knęz, wie er bei den Polabern lautete, wird noch weiter unten eigens gesprochen werden.


Zusatz *** )

Wie sehr man sich hüten müsse, selbst sonderbare Urnenverzierungen, die scheinbar Lettern gleichen, schlechthin schon für Lettern zu nehmen, zeigen Seidel's Beiträge, Bd. XV. des Archivs für österreichische Geschichtsquellen, 2. Heft, S. 327, und Estorff's heidnische Alterthümer, Hannover 1846, Taf. XIV - XVI, S. 107.


Vignette

***) Dieser Zusatz ist gedruckt a. a. O. S. 112. - D. Red.