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Leichensteine.

Der Herr Director Dr. Wiggert zu Magdeburg hat den in leoninischen Hexametern geschriebenen doberaner Grabschriften seine besondere und wiederholte Aufmerksamkeit zugewandt und mir seine Bedenken und Vorschläge mitgetheilt, in Folge deren ich die Inschriften an Ort und Stelle wiederholt geprüft habe.

l) Die Inschrift auf dem Grabe des Fürsten Heinrich des Löwen von Meklenburg,

welche in Jahrb. IX, S. 429 mitgetheilt ist, muß folgendermaßen lauten, nämlich so wie man die Verse lesen muß:

1. Anno milleno tricen. vicenque noueno,
2. natus vt est ille, quem predixere Sibille
3. dicta, die magne proch Hin. defungitur Agne,
4. Mychilburgh princeps, quem tristis obisse dolet plebs,
5. Huic genitrix Cristi succurrat, ne nece tristi
6. demonis artetur, sed iustis congratuletur. Amen.

So las auch Nic. Marschalk, welcher eine mit Gold gemalte Abschrift auf einer Tafel an einem Pfeiler hat aufhängen lassen.

Im 1. Verse las Nic. Marschalk so, wie hier steht, "tricen. vicenque". Da der Fürst Heinrich der Löwe am Tage der H. Agnes 1329 gestorben ist, so kann auch gar nicht anders gelesen werden; es muß dann, wie in leoninischen Hexametern öfter vorkommt, nicht mehr gelesen werden, als wirklich geschrieben steht, eben so wie im 3. Verse nicht mehr als "Hin.", statt Hinricus, gelesen werden darf. Bei der Aufräumung des Grabes fand ich in der Tiefe einen wohl erhaltenen, alten Stein mit - │ tenoqz Blumenvignette vice │ ; diese Sylben würden mit den vorhandenen tricen tenoque Blumenvignette vice │ no noueno zwar eine orthographisch vollständigere Lesung gewähren, aber den Hexameter nicht geben. Es muß also die Inschrift entweder zuerst anders gelautet haben und schon im Mittelalter mit andern Wendungen restaurirt sein, oder es muß dieser neu aufgefundene Stein zu einer andern Inschrift gehören, wie sich noch zwei andere Steine mit nunc postulet und nunc quiuis fanden, welche ebenfalls nicht in den Sinn der Inschrift passen. So wie die Inschrift jetzt steht, kann nicht anders als "tricen. vicenque" gelesen werden.

Im 3. Verse ist nach dicta das Komma zu setzen, so daß zusammengehört: " , quem predixere Sibyllae dicta,"

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(d. i. vaticinia) und Sibyllae der von dicta abhängige Genitiv ist. Man vgl. den Vers: Dies irae, dies illa solvet saeclum in favilla, teste David cum Sibylla.

Im 3. Verse muß "Hin." gelesen werden, statt Hinricus, also nicht mehr, als geschrieben steht.

Im 3. und im 5. Verse sind Herrn Director Wiggert die Wörter "proch" (für proh!) und "nece" verdächtig; aber sie stehen wirklich so da und können durchaus nicht anders gelesen werden. Auch Marschalk liest nece und proh.

Im 6. Verse muß ohne Zweifel artetur (= arctetur) gelesen werden, wie auch Marschalk hat. Im Original des Ziegels steht aber sicher arcetur, vielleicht aus Versehen des Formschneiders.

Im 6. Verse waren Herrn Wiggert die Worte: "justus congratuletur" verdächtig. Er zweifelt zuerst an der Lesung justus und vermuthet justis, und wirklich steht auch iustis im Originale; die Lesung justus war also ein Versehen von mir. -

Die Lesart "cō n mit Querstrich grātŭlētūr" ist zwar nach der Quantität falsch und nach dem Sinne etwas gezwungen; aber es steht im Originale wirklich 9 gratuletur, d. i. congratuletur. Der Sinn ist also: "daß er die Gerechten begrüße".

2) Die Inschrift auf dem Grabe des Heinrich von der Lühe,

welche in Jahrb. IX, S. 445-446 mitgetheilt und sehr verwittert und sehr schwer zu entziffern ist, las ich folgendermaßen:

1. Post M bis duo CC CC domini semel I superadde
2. Mart[ini m pro]festo Vincencî rem manifesto
3. [vir] bonus Hinricus de Lu [sin]cerus amicus
4. claustri decessit sub petra qui requiescit feliciter in pace. amen.

Obgleich durch diese Lesung die frühere Lesung in den Hauptsachen verbessert ist, so stößt man doch auf manche Bedenken. Der 1. Vers ist so zu lesen, wie er geschrieben ist:

M                CC. CC                 I
Post em bis duo ce domini semel i superadde

d. i. Nach ein tausend zwei mal zwei hundert und ein mal ein des Herrn, d. i. im Jahre des Herrn 1401. Es fehlt eigentlich das Wort anno, als regierendes Wort vor dem Genitive domin; es kann aber aus dem Sinne des ganzen Verses hinzugedacht werden. Das Wort d n mit Querstrich i (domini) steht sicher da.

Im 2. Verse steht, wie Hr. Wiggert vermuthet, im Originale wirklich martiris in festo = martiris in festo Vincencii.

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In demselben Verse müssen die Worte " , rem manifesto, " als Zwischensatz verstanden und interpungirt werden: " ,ich verkünde es,".

Im 3. Verse fehlt jetzt schon der Name de Lu ganz.

In dem Wunsche am Schlüsse war das Wort f'ıııt unverständlich. Im vorigen Jahrhundert las man fiat; ich vermuthete = feliciter, Hr. Wiggert glaubt, daß feriatur da stehen könne. Nach vielfältiger und scharfer Beobachtung steht im Originale f'iat, d. i. feriat; das a ist zwar nicht ganz deutlich mehr, aber doch noch einigermaßen zu erkennen. Hiernach kann man nicht anders lesen als f'iat z (feriatur) und muß annehmen, daß die Abbreviatur für die Endung - ur, welche durch - z bezeichnet wird, ausgesprungen sei, da der Stein ungewöhnlich bröckelig und an unzähligen Stellen ausgesprungen ist. Der Sinn ist: "er feiere in Frieden".

Die Inschrift lautet also jetzt:

Inschrift

d. i.                (=em)                (=ce)                (=i)

Post M bis duo CC domim semel I superadde, martiris in festo Vincencii, rem manifesto, vir bonus Hinricus de Lu, sincerus amicus claustri decessit, sub petra qui requiescit.
               Feriatur cum pace. Amen.

Heinrich von der Lühe, wahrscheinlich von Buschmühlen, starb also am 6. Junii 1401.

3) Leichenstein des Abtes Hermann Bokholt. (1404 - 1423, † 1427.)

In den Jahrb. IX, S. 437 ist die Inschrift von dem Leichensteine des 29. Abtes Hermann Bokholt aus Schröder's Wismar. Erstlingen S. 397 mitgetheilt, da der Leichenstein selbst damals fehlte. Dieser Stein hat sich aber in neuern Zeiten gefunden und daher läßt sich wenigstens das Wichtigste von der

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Inschrift auf diesen Abt, welcher in einer für die Geschichte des Klosters nicht unwichtigen Zeit lebte, nachtragen. Nach der Erzählung mehrerer Arbeiter hatte der Stein unter dem jetzigen Fußboden der Kirche gelegen und war mitten durchgebrochen gewesen; statt ihn wieder in die Fläche des Fußbodens einzulegen, hatte man die beiden Stücke zurückgesetzt und von denselben zu verschiedenen Zeiten unverantwortlicher Weise zu Stufensteinen Stücke abgeschlagen. Im Novbr. 1853 fand ich die beiden größern Stücke in der Bülowen=Kapelle mit der Inschriftseite gegen die Wand gelehnt; zwei abgeschlagene Stücke mittlerer Größe und viele kleine Bruchstücke lagen in der Pforte der Klostermauer, wo ich sie ausbrechen ließ, um sie wieder nach der Kirche zu bringen. Jedoch haben bis jetzt noch nicht alle Bruchstücke zusammengebracht werden können.

Schröder giebt die Inschrift folgendermaßen an:

Anno domini MCCCCXXVII, IV kal. Decemb. obiit venerabilis dominus Hermannus Bockholt abbas, qui per annos XX rexit abbatiam Doberanensem.

Die Inschrift ist von Schröder nicht ganz richtig und vollständig gelesen. Nach sicherer Lesung lautet die Inschrift folgendermaßen; die Stellen mit gothischer Schrift stehen auf den Bruchstücken des Steines, die Stellen mit lateinischer Schrift sind nach Schröder ergänzt:

Inschrift

(Anno domini millesimo CCCCXXVII. VI kal. Decembris obiit venerabilis dommus Hermannus Bokholt XXIX abbas, qui per XX annos rexit abbatiam Dobberanensem.)

Die Jahreszahl ist sicher richtig gelesen; von der Zahl in der Reihenfolge der Aebte ist ıx auch zuverlässig. Der Abt Hermann Bokholt starb also im J. 1427. Da nun sein Nachfolger Bernhard schon im J. 1424 erscheint, so muß Hermann Bokholt einige Jahre vor seinem Tode (1424) resignirt haben. Die Zahl 29 in der Reihenfolge der Aebte stimmt mit den übrigen Angaben überein, da Hermann Bokholt nach den ausdrücklichen Angaben zwischen den 28. und 30. Abt fällt.

Der Leichenstein ist sehr groß und dick, spaltet aber leicht; die Arbeit ist sehr gut. Bemerkenswerth ist, daß neben dem Bilde des Abtes ein Hund sitzt, der zu ihm hinaufschaut.