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VI.

Archäologische Methoden
in der mittelalterlichen
Siedlungsforschung.

Neue Wege
zur Erforschung der Ostkolonisation.

von

Franz Engel

 

Vignette
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Nach jahrhundertelanger Slawenherrschaft wurde Mecklenburg im 13. Jahrhundert durch die Ostkolonisation wieder ein deutsches Land. Nicht durch Kriegszüge und gewaltsame Unterwerfung, sondern erst durch die Ansiedlung von Scharen deutscher Bauern konnte die Rückgewinnung des ehemals germanischen Bodens endgültig gesichert werden. Über diese Landnahme der Kolonisten, deren Einstellung zur slawischen Bevölkerung sowie über Alter und Gründungszeit der mecklenburgischen Dörfer Klarheit zu gewinnen, hat die Wissenschaft bisher vergeblich versucht. Infolgedessen konnte der Russe Jegorow die Behauptung aufstellen, die Neubesiedlung des Landes im Mittelalter sei ein Werk slawischer Binnenkolonisation und Mecklenburg noch bis zum Dreißigjährigen Kriege ein slawisches Land gewesen. Wenn auch Witte die Jegorowsche Schrift als tendenziös und unwissenschaftlich brandmarken konnte, so mußte er doch erneut darauf hinweisen, daß die Vorgänge bei der Ansiedlung der deutschen Bauern nach wie vor im Dunkeln lagen.

Aus der großen Zahl der ungelösten Probleme seien hier nur einige angedeutet. Trotz mancher wissenschaftlicher Untersuchungen ist noch völlig ungeklärt, ob die vielen Hunderte von slawisch benannten Orten alte Wendendörfer oder trotz ihres Namens Neugründungen der Kolonisationszeit sind. Auch das Verhältnis der Doppeldörfer (Groß-, Klein- usw.) zueinander ist problematisch, und ebenso harrt die Frage, ob Rundlingsdörfer deutsche, slawische oder gar urgermanische Gründungen sind, noch ihrer Lösung.

Immer mehr mußte man erkennen, daß das bisher verwandte Quellenmaterial, wie Urkunden, Akten, Flurkarten und Rückschlüsse aus späterer Zeit keineswegs zur Erforschung der mittelalterlich-bäuerlichen Geschichte ausreichte. Sollte die Siedlungsforschung der Kolonisationszeit nicht endgültig

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stagnieren, galt es also neue Untersuchungsmethoden zu erarbeiten und ihre Brauchbarkeit zu erweisen.

Aus dieser Notwendigkeit heraus machte ich vor einigen Jahren den Versuch, siedlungshistorische Fragen mit Hilfe archäologischer Arbeitsmethoden zu lösen. Durch Scherbenfunde auf den Feldmarken und in Dörfern und durch Grabungen waren wichtige Erkenntnisse zu erwarten. Aber mangels jeglicher Vorarbeiten mußten in jahrelanger systematischer Kleinarbeit erst die Grundlagen für diese neuen Forschungsmethoden geschaffen und die Grenzen und Möglichkeiten ihrer Anwendbarkeit erprobt werden.

Die größte Schwierigkeit lag zunächst in unserer mangelnden Kenntnis der deutsch-mittelalterlichen Keramik. Während die Archäologie gelernt hatte, in grauer Vorzeit die Stilentwicklung oft von 50 zu 50 Jahren zu verfolgen, war die Entwicklung der bäuerlichen Keramik vom 12. bis zum 16. Jahrhundert fast völlig unbekannt. Durch Ausgrabung von zwei Töpferwerkstätten 1 ) und zahlreiche Einzelbeobachtungen 2 ) konnte ich im Verlauf der letzten Jahre die typologische Entwicklung der mittelalterlichen Keramik in Mecklenburg untersuchen und in ihren Grundzügen festlegen. Erst dadurch war die Gewähr gegeben, zuverlässige Erkenntnisse für die Siedlungsforschung zu erhalten.

Die Geschichte der mecklenburgischen Siedlungen kann nicht allein vom Schreibtisch aus bearbeitet werden. Der Bauer ist eng mit seinem Grund und Boden verbunden, und wir müssen in die Dörfer und Floren gehen, um aus den Siedlungsresten der Vergangenheit die Geschichte der Dörfer und der Bauern ablesen zu können. Aus dieser Arbeit der mecklenburgischen Siedlungsforschung soll der vorliegende Aufsatz einen Ausschnitt geben.

In Mecklenburg wird noch heute von einer großen Anzahl von Stellen im Volksmund behauptet, daß dort ehemals ein Dorf gelegen habe und zu irgendeiner fernen Zeit - meist spricht man vom Dreißigjährigen Krieg - zerstört und unter-


1) Ausgrabungen in Dümmer bei Parum und in Granzin bei Boizenburg.
2) Z. B. Ausgrabungen von Hungerstorf bei Grevesmühlen.
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gegangen sei. Oft nennt man diese Plätze "Dorfstätte", "Oll Dörpstädt", oder sie werden noch mit dem Namen der ehemaligen Siedlung bezeichnet. Die mecklenburgische Flurnamensammlung in Rostock enthält Hunderte solcher Hinweise auf alte Wüstungen, allein im Kreis Hagenow z. B. für 58 verschiedene Plätze.

Diese Wüstungen sind für den Siedlungshistoriker wichtige und aufschlußreiche Ansatzpunkte für seine Forschungen. Denn hier, wo vor vielen Jahrhunderten Gehöfte und Dörfer lagen, bietet sich zur Untersuchung der Siedlungsreste meist ein günstiges Feld. Auch die gründlichste Beackerung des Bodens vermag die Spuren der untergegangenen Dörfer nicht restlos zu zerstören. Schon die Zusammensetzung des Bodens verrät oft dem geübten Auge das Vorhandensein von Brand- oder Bauschutt, und es ist eine oft erprobte Erfahrungstatsache, daß jeder alte Siedlungsplatz des Mittelalters sich mit unbedingter Sicherheit durch Scherbenstreuung auf der Ackeroberfläche erkennen läßt. Daß oftmals die erwähnten Flurbezeichnungen im Laufe der Jahrhunderte an eine andere Stelle gewandert sind und Wald- und Grasbedeckung die Scherbensuche erschweren oder gar unmöglich machen können, sei hier nur kurz erwähnt.

Verschiedene Forfcher haben nachzuweisen versucht, daß das mecklenburgische Dorf bis in die Germanenzeit zurückreiche 3 ). Nach der Völkerwanderung sei eine große Zahl germanischer Dörfer bewohnt geblieben und von den einwandernden Slawen und später von den deutschen Kolonisten übernommen worden. Hierdurch sei die Rundlingsform der slawischen und später deutschen Siedlungen zu erklären. Wenn dieser Gedankengang richtig wäre, müßten bei einer größeren Zahl von Dorfstellen, besonders im Südwesten des Landes, neben slawischen auch germanische Scherben zu finden sein. Denn es ist ja nicht anzunehmen, daß in der Kolonisationszeit oder später nur diejenigen slawischen Dörfer untergegangen sind, die nicht auf germanische Siedlungen zurückgingen.

Was ergeben jedoch die Scherbenfunde? Trotz genauester


3) Mielke in Ztschr. für Ethnologie 52. Jg. - Endler-Folkers: Das mecklenburgische Bauerndorf, S. 7. - Die Rostocker Dissertationen von Stössel, Schulz usw.
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Untersuchung von 49 slawischen Siedlungsplätzen in den verschiedensten Kreisen Mecklenburg-Schwerins konnte mit einer einzigen Annahme bisher nirgends vorslawisches Scherbenmaterial ausfindig gemacht werden. Und auch bei jener einen Ausnahme (Wüstung Devstorf b. Dobbertin) handelt es sich wahrscheinlich um germanische Scherben der älteren Eisenzeit (etwa 800 v. Chr.).

Diese Forschungsergebnisse führen mit Sicherheit zu dem Schluß, daß weder das Slawische, noch erst recht nicht das jetzige mecklenburgische Dorf aus urgermanischer Zeit stammt. Das hindert natürlich nicht, daß in ganz vereinzelten Fällen eine derartige Zurückführung möglich sein kann. Auch scheinen, nach den Scherbenfunden zu urteilen, die Verhältnisse im Kreise Stargard etwas anders zu liegen.

Auf Grund des Scherbenmaterials ergab sich, daß die größte Zahl der untersuchten Dorfstellen bereits in der Wendenzeit besiedelt war. Schwieriger war oft die Feststellung, wann das betreffende Dorf von seinen Bewohnern verlassen wurde, da die Zahl der gefundenen Scherben in einzelnen Fällen zu einer genauen Datierung kaum ausreichte. Mit Sicherheit ließ sich jedoch die Einreihung sämtlicher untersuchter Wüstungen (Gesamtzahl 58) in folgende Hauptgruppen durchführen:
1. Jüngere slawische Zeit bis zur Kolonisationsperiode.
2. Mittelalter bis etwa 1550. 3. Neuzeit.

Natürlich ist Wüstungsforschung ohne archivalisches Quellenstudium nicht möglich, aber erst die Auffindung der Dorfstelle und Sichtung des Scherbenmaterials vermögen wirkliche Klarheit zu schaffen 4 ). Vor allem die für die Erkenntnis siedlungsgeschichtlicher Entwicklung wichtige Lage der Wüstungen zu den späteren Dörfern ist nur durch Geländebegehung zu erschließen. Oft finden sich Dorfstellen aus der jüngsten Slawenzeit in direkter Nachbarschaft heutiger Siedlungen, so daß offenbar ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Untergang des Wendendorfes und der Gründung einer Kolonistensiedlung


4) Die Arbeit von Schildt über die untergegangenen Dörfer Mecklenburg-Schwerins (M. Jb. 56) ist deshalb in vielen Punkten zu berichtigen.
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besteht 5 ). Diese Annahme wird in vielen Orten durch die noch heute erzählten Sagen bestätigt. So heißt es z. B. in Jesendorf, Kr. Wismar, daß das heutige Dorf früher auf der sog. "Dörpstädt" gelegen habe, die sich auf Grund der Scherbenfunde als Wüstung der Kolonisationszeit erweist. Hier wie in Oldenstorf und vielen anderen Orten ist also das heutige Dorf eben zu der Zeit entstanden, als die Wendensiedlung unterging. Vielleicht haben beide Dörfer für kurze Zeit mit den Vorsilben Groß und Klein oder Wendisch und Deutsch nebeneinander bestanden.

Oldenstorf und die slawische Dorfstätte. Gez. Dr. Engel.

Jedenfalls ist durch das zeitliche Nacheinander der slawischen und deutschen Siedlung die Tatsache zu erklären, daß eine so große Zahl reiner Kolonistendörfer noch heute wendische Ortsnamen trägt. Wir erhalten also Einblicke in den Vorgang der deutschen Kolonisation, die auf Grund des schriftlichen Quellenmaterials niemals zu gewinnen wären.

Um diese Zusammenhänge restlos nachprüfen zu können, tauchte der Gedanke auf, das Alter und die Gründungszeit der heute bestehenden Siedlungen durch Scherbensuche im Dorfe selbst zu bestimmen. Dieser Plan wurde zunächst von Fachprähistorikern als völlig undurchführbar abgelehnt. Tatsache war jedoch, daß an wüsten Dorfstellen, die noch bis ins 19.


5) Vgl. die Karte von Oldenstorf und die Ausführungen in meiner Arbeit: Deutsche und slawische Einflüsse in der Dobbertiner Kulturlandschaft, S. 45 f.
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Jahrhundert hinein besiedelt waren, neben Scherben der jüngsten Zeit solche aus dem Mittelalter und der Slawenperiode gefunden wurden, daß also auch jahrhundertelange intensive Bebauung die älteren Siedlungsreste nicht völlig zu verschütten und zu zerstören vermag. Es war demnach zu erwarten, daß in den Gärten und auf den Hofstellen unserer heutigen Dörfer die Scherben der älteren Perioden durch Oberflächensuche zu entdecken seien. Durch eingehende Untersuchungen erwies sich die Richtigkeit dieser Annahme.

In den Dörfern Bobzin, Kr. Hagenow, Dümmerstück und Holthusen, Kr. Schwerin, fand sich die ganze Stufenfolge von Scherben, angefangen mit der Slawenperiode bis hin zur Neuzeit. Die Anwendbarkeit der Methode war also erwiesen. Schwierigkeiten ergaben sich aus der Beschaffenheit des Scherbenmaterials, das durch die intensive Bearbeitung des Gartenbodens meist sehr stark zertrümmert und daher oft nicht leicht einwandfrei zu bestimmen war. Erschwert und auf gewisse Jahreszeiten beschränkt wird die Untersuchung dadurch, daß in den Gärten oft nur wenig freiliegender Boden vorhanden ist. Größere Erdbewegungen an den entscheidenden Stellen des Dorfes können jegliche Scherbensuche völlig vereiteln (z. B. Lankow b. Schwerin durch Anlage des Sanatoriums).

Bei den oben erwähnten drei Bespielen mußten wir auf Grund der Scherbenfunde damit rechnen, daß die Dorfanlage schon aus der Slawenzeit stammte. Wenn nun trotz eingehender Untersuchung sämtlicher Bauerngärten in einer Anzahl anderer Dörfer zwar Scherben aus der deutschen Kolonisationszeit, aber keine einzige slawische gefunden werden konnte, so ergibt sich daraus, daß diese Siedlungen erst in der Kolonisationszeit angelegt sein können.

Der große Wert der geschilderten Arbeitsmethoden für die Siedlungsforschung liegt auf der Hand und sei an drei Beispielen nochmals kurz erläutert.

1. Dicht südlich von Schwerin liegen an dem sog. Siebendörfermoor die Orte Wüstmark und Pampow. Über Gründung und älteste Geschichte dieser Dörfer berichtet keine Urkunde oder andere schriftliche Nachricht. Pampow wird zum ersten

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Male 1285, Wüstmark erst 1356 erwähnt. Bei Wüstmark scheint die Lage (Sackgassendorf auf einem Hügel am Sumpf), bei Pampow der Name auf slawische Gründung hinzuweisen. Die genaue Untersuchung der Scherbenfunde auf den vorhandenen Dorfstellen und in den Dörfern selbet hatte jedoch folgendes Ergebnis: Slawische Siedlungen haben bis zur Kolonisationszeit an je zwei Stellen auf beiden Feldmarken gelegen, von denen drei Stellen noch heute den Flurnamen "Dörpstädt" tragen.

Die Kolonistendörfer Pampow und Wüstmark. (Die Kreuze bezeichnen die slawischen Dorfstellen.) Gez. Dr. Engel.

Die einwandernden Deutschen verschmähten es, ihre Häuser zwischen die wendischen Hütten zu bauen, errichteten vielmehr völlig neue Dörfer (Scherbenfunde der Kolonisationszeit in Pampow und Wüstmark). Die Slawen mögen dann z. T. in diese übergesiedelt sein, aber unter völliger Aufgabe ihrer Eigenart, denn weder in Pampow noch in Wüstmrk fanden sich slawische Scherben. Wir gewinnen also mit diesen Feststellungen Aufschluß über eine Reihe wichtiger siedlungshistorischer Fragen. 1. Ein slawischer Ortsname beweist nicht die Herkunft der Dorfanlage aus der Wendenzeit. 2. Auch die typische Sackgassenform am Rande der Niederung braucht nicht auf slawische Gründung hinzuweisen. 3. Die Kolonisten

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vermeiden den Ausbau der wendischen Dörfer. 4. Wenn - wie es wahrscheinlich ist - Teile der wendischen Bevölkerung in die deutschen Dörfer übernommen wurden, so gaben sie doch völlig ihre Eigenkultur auf. Diese Schlußfolgerungen werden durch Beobachtungen in einer Reihe anderer Dörfer weitgehend gestützt.

2. Viel umstritten ist die Frage nach der deutschen oder slawischen Herkunft der sog. Rundlinge, kleinen geschlossenen Platzdörfern im ostdeutschen Kolonisationsgebiet. Während man früher den Rundling für eine national slawische Siedlungsform hielt, sucht man ihn heute vielfach als urgermanische Gründung oder als rein wirtschaftliche Zweckform zu erklären. Auffällig ist jedenfalls, daß nur im Südweften Mecklenburgs, d. h. in dem Teil des Landes mit langer nachweisbarer slawischer Bevölkerung, wirklich echte Rundlinge zu finden sind.

Von diesen typischen Rundlingen konnten bisher Wöbbelin, Fahrbinde und Lehmkuhlen nach Siedlungsresten der älteren Zeit eingehend untersucht werden. Überraschenderweise ergab sich, daß zwar reichlich Scherben der Kolonisationszeit, aber keine einzige slawische in diesen Dörfern zu finden war. Es handelt sich also trotz der slawischen Namen (Wöbbelin, Fahrbinde = Verbent), trotz der typischen Rundlingsform und der Lage am Sumpf um rein deutsche Anlagen. Um ein endgültiges Urteil über die Entstehungszeit der Rundlinge im mecklenburgischen Südwesten abgeben zu können, ist natürlich die Untersuchung einer größeren Zahl von Dörfern erforderlich, aber es ist doch auffällig, daß alle bisher erforschten sich als rein deutsch erwiesen haben.

3. Die Grundrißformen sehr vieler Dörfer stellen den Siedlungsforscher immer wieder vor unlösbare Fragen, da mangels alter Karten nur schwer Sicherheit über die ursprüngliche Siedlungsform zu gewinnen ist. Es erscheint einleuchtend, daß das Mindestalter jetziger Dorfformen durch Scherbenfunde auf den Hofstellen wenigstens annähernd bestimmt werden kann - oder aber daß die Form des Dorfes sich als Anlage der Neuzeit erweist, wie z. B. in Bobzin bei Wittenburg. Der große dreieckige Anger von Bobzin macht einen durchaus alter-

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tümlichen Eindruck. Jedoch ergab die Untersuchung zahlreiche slawische und mittelalterliche Scherben nur an der südlichen Gehöftszeile, während sich an den beiden anderen Seiten des Platzes ausschließlich neuzeitliches Material fand. Daraus folgt, daß der heutige große Anger erst nach dem Dreißigjährigen Kriege entstanden sein kann und Bobzin im Mittelalter die Form eines von Osten nach Westen verlaufenden schmalen Anger- oder Straßendorfes gehabt haben muß.

Angerdorf Bobzin bei Wittenburg. Gez. Dr. Engel.

Die Anwendung archäologischer Untersuchungsmethoden in der Siedlungsforschung mußte in ihren Einzelheiten entwickelt werden, da sie bisher in keiner deutschen Landschaft systematisch erprobt noch in konsequenter Form zur Durchführung gekommen war. Aber gerade für die mecklenburgische Forschung liegt hier eine große und dankbare Aufgabe, da Mecklenburg einerseits wegen des verhältnismäßig raschen Übergangs von slawischer zu deutscher Kultur besonders günstige Untersuchungsmöglichkeiten bietet, andererseits eine Schlüsselstellung für das Verständnis der gesamten nordostdeutschen Kolonisation einnimmt. Außerdem ist es die Pflicht gerade unserer Zeit, der Großtat der deutschen Landnahme im Mittelalter endlich den Platz zuzuweisen, der ihr in der Geschichte unseres Bauernstandes gebührt.

Wenn man bisher allgemein angenommen hatte, daß die Mehrzahl der mecklenburgischen Dörfer aus slawischen Siedlungen entstanden sei, so scheint sich diese Ansicht auf Grund der geschilderten Untersuchungsmethoden als völlig irrig zu erweisen. Sogar in Sandgebieten, dem bevorzugten Siedlungsboden der Slawen, gingen von 15 bisher untersuchten Dörfern nur 3 auf slawische Siedlungen zurück, und etwa 24

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weitere erwiesen sich durch die erwähnte dicht benachbarte Lage der wendischen Dorfstelle als deutsche Gründungen. Auf Grund eingehender Vergleiche, die ich in einer späteren Veröffentlichung anführen werde, konnte festgestellt werden, daß im Hauptteil Mecklenburgs östlich des Schweriner Sees etwa 1/3 der slawischen Ortsnamen überhaupt nicht bodenständig war, sondern von den Kolonisten aus dem Westen des Landes und aus Holstein übertragen wurde. Auch in diesen Fällen wird also durch den slawischen Namen zu Unrecht eine alte wendische Dorfanlage vorgetäuscht.

Zwar ist die Siedlungsforschung mit Hilfe archäologischer Methoden und die Untersuchung der Ortsnamenübertragung noch längst nicht abgeschlossen. Aber wir können doch schon heute mit ziemlicher Sicherheit die Feststellung treffen, daß - abgesehen von wenigen Ausnahmen - trotz zahlreicher slawischer Ortsnamen und trotz gegenteiliger Behauptung slawischer Forscher das mecklenburgische Dorf das Produkt der deutschen Kolonisation ist.

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