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I.

Die Verfassungsgeschichte
der Stadt Güstrow bis zum
Anfang des 16. Jahrhunderts

von

Karl Krüger.

 

Vignette
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Inhaltsverzeichnis.

Erstes Kapitel. Seite
Entstehung und älteste Verfassung der Stadt Güstrow 5
   I. Die Gründung der Stadt Güstrow 5
  II. Die Stadtverfassung um 1228 12
     a) Das Güstrower Stadtrecht vom 1. November 1228 12
     b) Die Grundzüge der Stadtverfassung um 1228 23
        1. Die Vorherrschaft des Landesherrn 23
        2. Die Befugnisse des Rates 27
        3. Das Amt des magister civium 31
        4. Die Stellung der Bürgerschaft 34
Zweites Kapitel.
Das Verhältnis von Stadt und Landesherrn vom 13. bis zum Ende des 15. Jahrhunderts 36
   I. Erweiterung des Stadtgebietes 36
     a) Die Güstrower Neustadt 36
     b) Veränderungen innerhalb der Stadt 40
     c) Erweiterung der Stadtfeldmark 42
  II. Steuer- und Finanzwesen 50
 III. Zoll- und Münzwesen 53
  IV. Gerichtswesen 55
Drittes Kapitel.
Die Stadtverfassung am Anfang des 16. Jahrhunderts 58
   I. Stadt und Landesherr 58
  II. Der Rat 60
      a) Die soziale Zusammensetzung des Rates 60
      b) Bestellung, Amtsdauer, Zahl und Besoldung der Ratmänner 65
      c) Der Kompetenzbereich des Rates 69
 III. Die Bürgerschaft 77
Ausblick 79
Exkurs: Eine Aufzeichnung des Schweriner Rechts aus dem 16. Jahrhundert 80

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Vorbemerkung.

Die hauptsächlichsten Quellen für die folgende Arbeit bilden für die Jahre 1226 bis 1400 die erhalten gebliebenen Urkunden der Stadt Güstrow, die im Mecklenburgischen Urkundenbuch gesammelt sind. Die benutzten Urkunden aus den Jahren 1400 bis 1500 befinden sich zum größten Teil im Güstrower Ratsarchiv; sie sind nunmehr vollständig in der Regestensammlung des Geheimen und Haupt - Archivs in Schwerin enthalten. Eine weitere Quelle ist das Buch der Güstrower Kaufmannsgilde vom Jahre 1437 ff. Die Urkunden des 16. Jahrhunderts sind in den Anmerkungen einzeln angeführt. Die dürftigen Aufzeichnungen der Stadtbücher beginnen erst im Jahre 1506 bzw. 1536. - Das jüngste Geschichtswerk über die Stadt Güstrow sind die "Beiträge zur Geschichte der Vorderstadt Güstrow" von Joh. Fr. Besser, die in den Jahren 1819/23 erschienen sind. Da diese Darstellung - namentlich in der älteren Zeit - wegen mangelnder Quellenkenntnis teilweise ungenau ist, konnte sie zu der folgenden Arbeit nur vereinzelt herangezogen werden.


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Erstes Kapitel.

Entstehung und älteste Verfassung
der Stadt Güstrow.

I. Die Gründung der Stadt Güstrow.

Die erste urkundliche Erwähnung eines Ortes Güstrow findet man zum Jahre 1226: "In loco, qui Guzstrowe nominatur" gründete der Fürst Heinrich von Rostock am 3. Juni 1226 ein Kollegiatstift 1 ). Zwei Jahre später besaß Güstrow nach einer Urkunde vom 1. November 1228, die von den Söhnen Heinrichs von Rostock ausgestellt ist, das Schweriner Stadtrecht 2 ) Diese beiden Urkunden sind die hauptsächlichsten Quellen für die Darstellung der Gründungsgeschichte der Stadt Güstrow 3 ).

In der Urkunde vom 1. November 1228 erklären die Fürsten Johann, Nikolaus, Heinrich und Pribislav, Söhne Heinrichs von Rostock: ". . . quod nos postulacioni ciuium nostrorum de Guzstrowe grato occurentes assensu ipsis iura Zuerinensis ciuitatis, secundum que eisdem pater noster indulserat, indulgemus." Die vier Fürsten verleihen also den Güstrower Bürgern die Rechte der Stadt Schwerin, so wie sie ihnen ihr Vater Heinrich verliehen hatte. Der Tatbestand war demnach höchstwahrscheinlich folgender: Heinrich von Rostock hatte im Verlauf seiner Regierung (1219-1226) Güstrow durch


1) Mecklenburgisches Urkundenbuch (MUB.) I Nr. 323.
2) MUB. I Nr. 359.
3) Die Gründung der Stadt Güstrow auf siedlungsgeschichtlicher Grundlage behandelt K. Hoffmann in: Die Stadtgründungen Mecklenburg - Schwerins in der Kolonisationszeit vom 12. bis zum 14. Jahrhundert, Rost. gekr. Preisschr. 1928. Jahrb. d. Ver. f. Meckl. Gesch. (MJB.) 94 (1930) S.112 ff.
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Verleihung des Schweriner Rechtes zur Stadt erhoben 4 ), und diese Verleihung wurde von seinen Söhnen als seinen Nachfolgern auf die Bitte der Güstrower Bürger hin bestätigt. Dieses muß um so schärfer hervorgehoben werden, als verschiedentlich 5 ) die Ansicht vertreten wurde, daß der Bestätigungscharakter dieser Urkunde nicht klar genug zum Ausdruck komme und es sich hier deshalb um die förmliche Stadtrechtsbewidmung durch die vier fürstlichen Brüder handele. Diese Annahme läßt sich schon angesichts des Wortlautes der Urkunde nicht halten, wie bereits Hoffmann hervorgehoben hat 6 ) Als Beweis kann aber noch eine andere Urkunde herangezogen werden, die ein Jahr später von zweien der vier Fürsten ausgestellt worden ist und deren Bestätigungscharakter nicht angezweifelt werden kann 7 ). In diesem Bestätigungsbrief heißt es:". . . contulimus, sicut contulerant Kazimarus necnon filius eius Wartizlaus" entsprechend dem ". . . secundum que eisdem pater noster indulserat, indulgemus" in der Güstrower Urkunde vom 1. November 1228. Diese Beweisgründe, die sich nur auf die sprachliche Formulierung der Urkunde stützen, rechtfertigen allein schon die Annahme, daß es sich in dieser Urkunde um die Bestätigung eines verlorengegangenen Stadtrechtsprivilegs Heinrichs von Rostock handelt, das spätestens Anfang Juni 1226 ausgestellt sein muß, da Fürst Heinrich am 4. oder 5. Juni dieses Jahres starb 8 ) Eine inhaltliche Bestimmung eben dieser Urkunde bekräftigt diese Ansicht noch; wie schon Hoffmann 9 ) angeführt hat, weist der Satz: "Concessimus eciam eidem civitati agros, quos nunc possidet" 10 ) daraufhin, daß die Stadt im Jahre 1228 schon eine Feldmark besaß, die ihr also schon früher - wahrscheinlich bei der Stadtgründung - zugewiesen sein mußte.

Weiteren Aufschluß über die Vorgänge bei der Gründung gibt die andere erwähnte Urkunde, die aussagt, daß am 3. Juni 1226 "in loco, qui Guzstrowe nominatur", vom Fürsten Heinrich ein Kollegiatstift gegründet wird 11 ). Vorauszuschicken ist


4) Vgl. Fr. Techen, Wann ist Güstrow mit Stadtrecht bewidmet? MJB. 70 (1905) S.179 ff.
5) Vgl. Hoffmann a. a. O. S. 113.
6) Vgl. Hoffmann a. a. O. S.113.
7) MUB. I Nr. 371, vgl. Nr. 219.
8) MUB. I Nr. 324.
9) A. a. O. S. 113.
10) MUB. I Nr, 359 § 26.
11) MUB. I Nr. 323.
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hier, daß aus der Bezeichnung von Güstrow als "Ort" (locus) in diesem Privileg nicht etwa geschlossen werden darf, daß Güstrow zu dieser Zeit noch keine Stadt war. Hoffmann 12 ) hat mit Recht darauf hingewiesen, daß in einer urkundlichen Erwähnung der Stadt Schwerin im Jahre 1211 (1209) auch der Ausdruck "locus" angewandt wird 13 ), obwohl Schwerin schon im Jahre 1160 zur Stadt erhoben worden war 14 ). Dieselbe Bezeichnung finden wir auch in Güstrow nach 1228 in Bestätigungsurkunden des Kollegiatstiftes 15 ). Die Tatsache ferner, daß 1226 eine Kollegiatkirche in Güstrow gestiftet wurde, hat Hoffmann 16 ) dahin ausgewertet, daß Güstrow schon vor dieser Stiftung als Stadt bestanden haben müsse, da die Gründung eines "Domherrenkollegiums" gewiß nicht an einem unbedeutenden Ort, sondern wie die Einrichtung der beiden anderen mecklenburgischen "Domherrenstifte" (Schwerin und Bützow) im 12. und 13. Jahrhundert in einer Stadt erfolgt wäre. Demgegenüber kann man freilich darauf verweisen, daß noch bis weit ins 13. Jahrhundert hinein der Sitz des Bischofs und Domkapitels in dem Mecklenburg benachbarten Ratzeburg sich in einer Burg befand 17 ). Wenn man außerdem noch in Betracht zieht, daß die Gründung der Bützower Kollegiatkirche zu einer Zeit (1248) 18 ) erfolgte, als die Kolonisation in Mecklenburg schon weit fortgeschritten war, während die Güstrower Kollegiatkirche den Ausgangspunkt für die Kolonisation und Christianisierung des Güstrower Landes bildete 19 ), dann erscheint es ebensogut möglich, daß das neue Stift in Güstrow im Schutze einer fürstlichen Burg gegründet wurde, deren Mannen in seiner Gründungsurkunde zum erstenmal genannt werden 20 ). Die Stiftung der Kollegiatkirche am


12) A.a. O. S. 114.
13) MUB. I Nr. 202 (189).
14) MUB. I Nr. 71.
15) Vom 27. April 1229 (MUB. I Nr. 368), vom 25. Mai 1238 (MUB. I Nr. 485) und vom 5. August 1273 (MUB. II Nr. 1292).
16) A. a. O. S. 114.
17) Vgl. Hoffmann a. a. O. S. 24.
18) MUB. I Nr. 610.
19) Vgl. K. Schmaltz. Die Begründung und Entwicklung der kirchlichen Organisationen Mecklenburgs im Mittelalter. MJB. 72 (1907) S. 37; H. Witte, Mecklenburgische Geschichte Bd. 1, Wismar 1909, S. 128; Hoffmann a. a. O. S. 179.
20) MUB. I Nr. 323 . . . Jordanus, Heinricus Grubo. Baroldus . . .; vgl. Nr. 344, 359, 368, 369, 371.
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3. Juni 1226 ist also kein zwingender Beweis dafür, daß Güstrow in dieser Zeit schon als Stadt bestanden haben muß. Aber die Untersuchung eines anderen Zusammenhanges zwischen der Kollegiatkirche und der Gründung der Stadt kann weitere Aufschlüsse über die Entstehungszeit der Stadt geben.

Während durch die ältere Forschung festgestellt wurde, daß die Verleihung des Stadtrechtes an Güstrow frühestens kurz nach dem Regierungsantritt Heinrichs im Jahre 1219 erfolgt sein kann, wird der Termin der Verleihung nahe an den spätest möglichen (4. oder 5. Juni 1226) herangerückt und so die Zeit der Stadtgründung genauer bestimmt durch folgende Erwägung: Es besteht die Anschauung, daß in Norddeutschland mit der Gründung eines Ortes die Gründung der ersten Kirche Hand in Hand ging und so der Ort als besonderer Pfarrbezirk ins Leben trat 21 ). Für Güstrow ist das Gründungsdatum der Kollegiatkirche (3. Juni 1226) bekannt. Wenn wir nun nachweisen können, daß die Kollegiatkirche die erste Kirche in Güstrow gewesen ist, so wird es berechtigt erscheinen, das Datum der Stadtgründung nahe an den Zeitpunkt der Gründung der Kollegiatkirche heranzurücken. Dieser Nachweis soll im folgenden gebracht werden.

Zunächst erwähnt die Stiftungsurkunde der Kollegiatkirche an keiner Stelle eine in Güstrow bereits vorhandene Kirche oder deren Pfarrer. Diese Tatsache ist auffällig. Denn man kann die Beobachtung machen, daß beider Bewidmung neuer geistlicher Institutionen die schon bestehenden kirchlichen Einrichtungen genannt werden 22 ). Daher ist die Annahme berechtigt, daß auch die Gründungsurkunde des Güstrower Kollegiatstiftes, falls damals schon eine Pfarre in Güstrow


21) A. Werminghoff, Verfassungsgeschichte der deutschen Kirche im Mittelalter, 2. Aufl., Leipzig 1913, S. 99.
22) Im Jahre 1171 z. B. bewidmete Heinrich der Löwe das Bistum Schwerin mit Gütern und Gerechtsamen und übertrug ausdrücklich dem Bistum "parrochiam in Zwerin cum omni iure" (MUB. I Nr. 100). Bei der Gründung des Stiftskapitels in Bützow 1248 wurden die neuen Rechtsverhältnisse festgesetzt: Der Bischof von Schwerin unterstellte dem Kapitel die "ecclesias parrochiales cum banno ipsius ciuitatis" (MUB. I Nr. 610), die beiden Pfarrkirchen der Stadt, die 1233 bei der Gründung des Klosters Rühn dessen Sprengel eingepfarrt worden waren (MUB. I Nr. 420). Im Jahre 1298 siedelte das Nonnenkloster von Röbel nach Malchow über, bekam dort die Rechte über die Kirchen und schloß mit dem Pfarrer Hermann von Malchow einen Vertrag, um ihn für die Abtretung seiner Kirchen zu entschädigen (MUB. IV Nr. 2505).
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bestanden hätte, Bestimmungen über deren Zugehörigkeit getroffen haben würde. Ferner kam die baugeschichtliche Forschung 23 ) zu dem Ergebnis, daß die Anlage der Kollegiatkirche von vornherein für einen Konvent von Thorherren berechnet war, daß also kein schon vorhandener Kirchenbau benutzt wurde. Hierdurch wird die Vermutung bestärkt, daß vor der Gründung des Kollegiatstiftes eine Kirche nicht existiert hat. Schließlich wird in der Zeugenreihe der Stiftungsurkunde der Kollegiatkirche der Pfarrer Gottfried von Lüssow, eines Güstrow benachbarten Dorfes, angeführt. Diese Erwähnung deutet wohl daraufhin, daß die Güstrower Gegend vor der Gründung des Kollegiatstiftes zu dem Lüssower Kirchspiel gehörte und deshalb der Pfarrer von Lüssow als der "zuständige Pfarrer" an dem Gründungsakt der neuen Kirche teilnahm 24 ). Auch in der Bestätigungsurkunde des Kollegiatstiftes vom 10. August 1226 25 ), die der ältere Heinrich Borwin, Herzog von Mecklenburg, ausgestellt hat, testiert Godefridus, sacerdos de Lussowe. Ein Jahr später erscheint dann in Urkunden 26 ), die in Güstrow ausgestellt sind, ein Godefridus als Güstrower Stiftsherr. Man hat wohl mit Recht angenommen 27 ), daß der Lüssower Pfarrer und der Güstrower Stiftsherr identisch sind. Dann aber liegt der Schluß nahe, daß der Lüssower Pfarrer zur Entschädigung für seine abgetretenen Rechte in das Güstrower Kollegiatstift aufgenommen wurde. Güstrow wird also bei der Stiftung der Kollegiatkirche als besonderer Pfarrbezirk von dem Lüssower Kirchspiel abgetrennt worden sein. Aus all diesen Gründen kann man mit Recht folgern, daß die Kollegiatkirche die erste Kirche in Güstrow war und daß sie dann auch höchstwahrscheinlich im Zusammenhang mit der Stadtgründung ins Leben trat. Da der Fürst Heinrich aber schon einen oder zwei Tage nach der Stiftung der Kollegiatkirche starb, hat er die Stadt aller Wahrscheinlichkeit nach kurz vor dem 3. Juni 1226 gegründet.

Die Gründung Güstrows erfolgte wie die Anlage anderer Gründungsstädte mecklenburgs vermutlich neben einem


23) Schmaltz a. a. O. S. 184; Reifferscheid.. Der Kirchenbau in Mecklenburg und Neuvorpommern zur Zeit der deutschen Kolonisation, Pommersche Jahrb., Ergbd. 2 (1910), S. 171 ff.
24) Vgl. Schmaltz a. a. O. S. 249.
25) MUB. I Nr. 331.
26) MUB. I Nr. 344, 359, 368, 369. 371.
27) MUB. IV Personenregister S. 182. Spalte 2.
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Wendendorf, das der Stadt den Namen gab. Diese Siedlung ging später anscheinend in der deutschen Stadt auf; sie wird nur einmal im Jahre 1258 als "Alt - Güstrow" urkundlich erwähnt 28 ). Seit wann neben diesem Dorf eine wendische Burg Güstrow existierte, kann man nicht mehr feststellen 29 ), weil urkundliche Nachrichten über Güstrow erst mit der Gründungsurkunde des Kollegiatstiftes beginnen. Aber hier wird schon eine Besatzung der Burg genannt 30 ).

Der Stadtplan beweist deutlich, daß Güstrow als planmäßige Neugründung angelegt wurde. Auf dem Ende einer Landzunge, im Norden, Osten und Süden von Niederungen umgeben, liegt die fast kreisrunde Baufläche der Stadt. Im Mittelpunkt bildet ein Rechteck den Markt, den Brennpunkt des öffentlichen Lebens im Mittelalter. Von ihm aus laufen die Verkehrswege zu den vier Haupttoren. Verbindungs- und Querstraßen fügen die Bauvierecke zu einem einheitlichen Ganzen.

Die planmäßige Anlage der Stadt deutet auch darauf hin, daß Heinrich von Rostock die Gründung Güstrows wahrscheinlich mit Hilfe eines oder mehrerer Lokatoren vorgenommen hat. Diese Vermutung findet ihre Bestätigung darin, daß in den Stadtrechten der beiden anderen Gründungsstädte dieses Fürsten, nämlich in denen von Parchim und Plau 31 ) 32 ), ausdrücklich Gründungsunternehmer ("cultores") genannt werden 33 ). So werden es wahrscheinlich auch in Güstrow Lokatoren gewesen sein, welche auf dem Grund und Boden des Landesherrn die technische Anlage des neuen Ortes durchführten und Ansiedler herbeizogen.

Diese Lokatoren bildeten nach Ansicht Hoffmanns 34 ) ein "Unternehmerkonsortium". Vielleicht mögen die Güstrower Gründungsunternehmer in irgendeiner Form organisiert gewesen sein; der Ausdruck "Unternehmerkonsortium" aber würde es nahe legen, für die Gründung Güstrows ähnliche Vorgänge anzunehmen, wie sie Rörig bei der Entstehung


28) MUB. II Nr. 826; vgl. S. 37, 40.
29) Vgl. Hoffmann a. a. O. S. 115.
30) Vgl. S. 7.
31) MUB. I Nr. 319.
32) MUB. I Nr. 428.
33) Vgl. Hoffmann a. a. O. S. 95 ff., 102 f.
34) A. a. O. S. 123.
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Lübecks im Jahre 1158 nachweisen zu können glaubt 35 ). Die Initiative zu der Gründung Güstrows läge dann nicht bei dem auf die Förderung seines Landes bedachten Fürsten Heinrich von Rostock, sondern vor allem bei einer bürgerlichen Unternehmergruppe, die vermutlich krafteigenen, vom Landesherrn durch Kauf erworbenen Rechtes, die Stadt auf eigenes Risiko anlegt und dafür als erste bürgerliche Verwaltungsbehörde weitgehende wirtschaftliche und auch obrigkeitliche Rechte erhält. Aber die Stellung des Güstrower Rates, der seit der Gründung der Stadt bestand, war um 1228 nicht so bedeutend, um eine derartige Vermutung zu rechtfertigen. Gewiß besaßen die consules als Verwaltungskörper Vorrechte innerhalb der civitas, aber wesentliche wirtschaftliche Rechte, wie sie Rörig für sein Unternehmerkonsortium annimmt, befanden sich nicht in ihren Händen. An eine freie Verfügung der Güstrower Lokatoren über den Grund und Boden bei der Anlage der Stadt, wie sie vielleicht die Lübecker Gründer besaßen 36 ), ist wohl nicht zu denken; denn ebensowenig wie sich ein Arealzins als grundherrliche Abgabe für den Landesherrn in Güstrow nachweisen läßt 37 ), finden sich Spuren dafür, daß ursprünglich die Güstrower Bürger privatrechtliche Grundzinse an die Familien der Lokatoren gezahlt haben. Vor allem lag die volle Verfügung über das Marktgelände in Güstrow nicht in den Händen der Gründungsunternehmer, sondern in der Hand des Landesherrn; erst im Jahre 1248 erlangte der Rat ein Mitbestimmungsrecht über den Markt 38 ). Auch die Marktgerichtsbarkeit gehörte nicht wie in Lübeck 39 ) zu den ursprünglichen Befugnissen der ersten bürgerlichen Behörde, sondern stand dem Landesherrn allein zu 40 ). Gerade die landesherrliche Verfügung über den Markt läßt trotz des dürftigen Quellenmaterials klar erkennen, daß ein kaufmännisches "Unternehmerkonsortium" nicht das treibende Element bei der Gründung Güstrows gewesen ist 41 ).


35) Vgl. Fr. Rörig, Hansische Beiträge zur deutschen Wirtschaftsgeschichte, Breslau 1928, S. 24, 55, 110 Anm. 39, 113 Anm. 61 a, 128 ff., 246/49, 272 Anm. 60.
36) Rörig a. a. O. S. 55, 129. 247.
37) Vgl. u. S. 24.
38) MUB. I Nr. 607. Vgl. u. S. 24 f., 38 f.
39) Rörig a. a. O. S. 18.
40) Vgl. u. S. 25.
41) Vgl. Rörig a. a. O. S. 262 und S. 277 Anm. 74.
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II. Die Stadtverfassung um 1228.

a) Das Güstrower Stadtrecht vom 1. November 1228 42 ).

Güstrow wurde durch die Verleihung des Schweriner Rechtes von dem Landesherrn Heinrich von Rostock zur Stadt erhoben 43 ). Die Wahl dieses Stadtrechtes ist möglicherweise auf den Einfluß der Lokatoren zurückzuführen 44 ).

Das ursprüngliche Stadtrechtsprivileg ist nicht erhalten geblieben und vielleicht schon im 13. Jahrhundert verloren gegangen. Auffällig ist nämlich, daß die Stadtrechtsurkunde von Röbel 45 ), welches auch mit dem Schweriner Recht bewidmet wurde, im Jahre 1263 nicht nach dem Privileg Heinrichs von: Rostock angefertigt wurde, sondern offenbar nach der Bestätigungsurkunde des Güstrower Stadtrechtes 46 ), welche die vier Söhne Heinrichs von Rostock den Güstrower Bürgern auf ihr Bitten hin am 1. November 1228 ausgestellt haben 47 ). Ferner ließen sich die Güstrower Bürger im Jahre 1305 nicht das Privileg Heinrichs von Rostock bestätigen, sondern die Urkunde vom 1. November 1228 48 ).

Diese Urkunde ist zugleich das älteste Zeugnis des Schweriner Stadtrechtes, da auch die Rechtsbewidmung Hein-


42) Zur folgenden Untersuchung vgl. die bekannte Abhandlung S. Rietschels, Die Städtepolitik Heinrichs des Löwen (Histor. Zeitschr. Bd. 102. 1909) und den Aufsatz H. Reincke - Blochs (H. Bloch) Der Freibrief Friedrichs I. für Lübeck und der Ursprung der Ratsverfassung in Deutschland, Zeitschr. d. Ver. f. Lüb. Gesch. XVI (1914): H. Meyer, Bürgerfreiheit und Herrschergewalt unter Heinrich dem Löwen (Histor. Zeitschr. Bd. 147, 1932).
43) Vgl. o. S. 5 ff.
44) Hoffmann a. a. O. S. 156, 176.
45) MUB. II Nr. 911.
46) Techen a. a. O. S. 182; Hoffmann a. a. O. S. 134.
47) MUB. I Nr. 359.
48) Das Original auch dieser Urkunde ist verloren gegangen und nur in der Urkunde von 1305 erhalten geblieben. Die Annahme Reincke - Blochs (S. 16 Anm. 50), daß diese Urkunde bereits 1226 ausgestellt wurde, ist nicht haltbar. Die falsche Indiktionsangabe - III, die nur zu dem Jahre 1226 stimmt - kann nämlich wie in MUB. I Nr. 331 auf einem Versehen des Schreibers Konrad oder, da die Urkunde nicht mehr im Original vorliegt, auf einem Fehler des Abschreibers beruhen und deswegen die Datierung nicht bestimmen (vgl. auch MUB. X Nachtrag zu MUB. I Nr. 359).
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richs des Löwen an Schwerin verloren gegangen ist 49 ). Das einzige Stadtrecht nämlich, welches in Schwerin selbst erhalten geblieben ist, beruht anscheinend auf der Malchower Ausfertigung des Schwerin - Güstrower Stadtrechtes und darf daher als Quelle für das alte Schweriner Recht nicht benutzt werden 50 ). So ist es nicht möglich, den Wortlaut des ursprünglichen Schweriner Rechts genauer festzustellen.

Die Güstrower Urkunde vom 1. November 1228 enthält nach den einleitenden Worten "Sunt autem hec iura ciuitatis Zwerin" eine Übersicht über das Stadtrecht in 25 Paragraphen, die deutlich in vier Teile gegliedert sind: Strafrecht (§§ 1 - 8), öffentliches Recht (9 - 15), Erbrecht (16 - 21) und Zivilprozeßrecht (§§ 22, 23, 25) 51 ). Diese Rechtssätze enthalten wahrscheinlich nicht das gesamte Stadtrecht, sondern vor allem wohl solche Bestimmungen, die bei der Ausfertigung der Urkunde für besonders wichtig gehalten wurden. Die systematische Einteilung ist am Schluß der Aufzeichnung wie durch Nachträge unterbrochen 52 ): der § 24 gehört in die öffentlich - rechtliche Gruppe und deutet schon durch seine Anfangspartikel "Preterea" den Zusatzcharakter dieses Satzes an.

Zwei kurze markante Sätze: "Pro capite caput, Pro manu manus" 53 ) leiten das Strafrecht des Schwerin - Güstrower Stadtrechtes ein. Gleichsam als Überschrift über die folgenden Bestimmungen verkünden sie den Grundsatz der Wiedervergeltung, der Talion, der in vielen deutschen Stadtrechten galt 54 ) und denselben prägnanten Ausdruck auch in den Dortmunder Statuten hatte, in denen es heißt: "Collum pro collo, manum pro manu" 55 ). Doch wurde der Talionsgedanke eingeschränkt durch den dritten Rechtssatz: "Quod si wlneratur aliquis ad profundidatem vnguuis vel articuli, dampnificatur reus in LX solidis, qui in partem cedent regie potestatis, et satisfaciet pacienti in XXIIII solidis" 56 ). Eine ähnliche Straf-


49) Vgl. MUB. I Nr. 71.
50) Vgl. den Exkurs: Eine Aufzeichnung des Schweriner Rechts aus dem 16. Jahrhundert S. 80 ff.
51) Vgl. Reincke - Bloch a. a. O. S. 17 f.
52) Ebenda Anm. 55.
53) MUB. I Nr. 359 §§ 1, 2.
54) Vgl. W. Draeger. Das alte Lübische Stadtrecht und seine Quellen, Hans. Geschbl. 1913 Bd. XIX S. 9.
55) F. Frensdorff, Dortmunder Statuten und Urteile, Hans. Geschquellen, Bd. III S. 24 § 8.
56) MUB. I Nr. 359 § 3.
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umwandlung findet sich in dem ältesten Stadtrecht des Braunschweiger Hagens von 1227: "Item quicumque aliquem in civitate vulneraverit aut sanguinem eius fuderit et de hoc convictus fuerit, iudici sexaginta ß et leso XXX componet" 57 ). - Auffällig ist an dem Güstrower Artikel, daß die Buße des Täters an die "regia potestas" fiel. Man könnte daraus schließen, daß diese Bestimmung erst im Anfang des 13. Jahrhunderts in das Schweriner Recht hineinkam, als sich Schwerin unter der "königlichen Herrschaft" des Dänenkönigs Waldemar befand 58 ). Aber dieser Ausdruck hat vermutlich eine ganz andere Bedeutung. Denn die Buße von 60 Schillingen war die Strafe des "Königsbannes", und wegen dieses königlichen Ursprunges kann der Name an der mit der Ausübung des Königsbannes belehnten potestas haften geblieben sein 59 ). Im übrigen wird man wohl aus der Bestimmung des Braunschweiger Hagenrechtes schließen können, daß dieser Satz des Schwerin - Güstrower Stadtrechtes bereits auf die Verleihung Heinrichs des Löwen zurückgeht, weil Schwerin ebenso wie Braunschweig sein Stadtrecht aus der Hand dieses Fürsten empfangen hatte 60 ). - Auch der Hausfriedensbruch gehörte zu den "Ungerichten", die an "Hals und Hand" gingen: "Qui domus pacem uiolaverit, capitali sententie subiacebit" 61 ).

Das Recht bestimmt ferner: "De plaga nigra potestas habebit XXIIII solidos et paciens XII; Pro alapa paciens IIII solidos, potestas totidem" 62 ); denn Vergehen, die an "Haut und Haar" gingen, konnten nach mittelalterlichem Strafrecht regelmäßig mit Geld abgelöst werden 63 ). Ein ähnlicher Rechtssatz galt wiederum im Braunschweiger Hagen: "Item siquis alapam alteri dederit, IV ß iudici et leso XII vadiabit..." 64 ).


57) Das Datum des Hagenrechts ist umstritten: ich zitiere nach dem Urkundenbuch der Stadt Braunschweig Bd. I Nr. 1. Bd. II Nr. 73; Abdruck bei Fr. Keutgen. Urkunden zur städtischen Verfassungsgeschichte, Berlin 1901. S. 178 § 5.
58) Vgl. Witte a. a. O. S. 145 ff.
59) Vgl. F. Frensdorff, Die Stadt- und Gerichtsverfassung Lübecks im 12. und 13. Jahrhundert. Lübeck 1861, S. 34 ff.; R. Schröder - E. Frhr. von Künßberg, Lehrbuch der deutschen Rechtsgeschichte, 6. Aufl. 1922, S. 577.
60) Vgl. Hoffmann a. a. O. S. 12 ff.
61) MUB. I Nr. 359 § 6.
62) Ebenda §§ 4. 5.
63) Schröder - v. Künßberg a. a. O. S. 839.
64) Keutgen a. a. O. S. 178 § 6.
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Doch war es nach dem Schwerin - Güstrower Recht gestattet, eine ehrlose Frau in Gegenwart zweier ehrenhafter Männer zu züchtigen: "Si femina inpudica viro probo fuerit conviciata in presencia duorum virorum proborum, potest ei licite dare bonam alapam" 65 ).

Der nächste Rechtssatz bildet den Abschluß der strafrechtlichen Paragraphen und gleichzeitig den Übergang zur öffentlich - rechtlichen Gruppe: "Si quis duplicem habuerit mensuram, magnam videlicet et parvam, magnam recipiat et parvam eroget, damnabitur sentencia capitali" 66 ). Die Gerichtsbarkeit über falsches Maß stand also nach dem Schwerin Güstrower Recht der potestas allein zu, während in Lübeck wie in anderen norddeutschen Städten die civitas wahrscheinlich schon seit ihrer Gründung an der Rechtsprechung über Maß und Gewicht beteiligt war 67 ).

Die öffentlich - rechtlichen Bestimmungen beginnen mit der Festsetzung der Mahlgebühr für den mollendarius: "Mollendarius recipiet mensuram de singulis modiis institutam, que matta wlgariter nominatur" 68 ). Die Stadtmühle befand sich, wie aus späteren Urkunden hervorgeht 69 ), ursprünglich auch in der Hand der potestas; daher schien es den Güstrower Bürgern wohl wichtig zu sein, daß die Mahlgebühr im Stadtrecht festgesetzt wurde. Die Höhe dieser "Matte" läßt sich nicht mehr genau feststellen, da das Güstrower Scheffelmaß nicht überliefert ist. Legt man jedoch die Angabe der ältesten Lübecker Rechtsauszeichnung, des "Lübecker Fragments" zugrunde, daß " apud molendinum VIII matta facient unum modium" 70 ), dann kommt man zwar zu einem Ergebnis, welches der im 16. Jahrhundert in Güstrow geltenden Mahlabgabe von 1/12 Scheffel 71 ) nahekommt, aber im Vergleich zu dem Lübecker Brauch (1/32) 72 ) doch recht hoch war.


65) MUB. I Nr. 359 § 7.
66) Ebenda § 8.
67) Rörig a. a. O. S. 18 Anm. 51.
68) MUB. I Nr. 359 § 9.
69) MUB. III Nr. 1936 und 2169.
70) Diese Aufzeichnung ist vor dem 28. September 1225 entstanden: O. Oppermann. Untersuchungen zur Geschichte des deutschen Bürgertums, Hans. Geschbl. 1911. Bd. XVII. S. 79: Urkundenbuch der Stadt Lübeck (Lüb. UB.) I. Teil Nr. XXXII S.42.
71) Güstrower Ratsarchiv (Gü. A.). Stadtbuch I BI. 5 b.
72) F. Frensdorff. Das Lübische Recht nach seinen ältesten Formen, Leipzig 1872. S. 31 f.
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Die folgenden Paragraphen des Stadtrechtes (10 - 15) handeln von den öffentlich - rechtlichen Befugnissen der Bürgerschaft und des Rates. Zunächst wird festgesetzt, daß derjenige, "Qui ciuitatis statuta infregerit, dabit tres marcas ciuitati" 73 ). Diese Dreimarkbuße auf Bruch städtischer Statuten fand sich auch in Lübeck. Im "Lübecker Fragment" heißt es zwar nur, "Qui infregerit, quod civitas decreverit, consules iudicabunt. De eo, quod inde proueniet, aduocatus terciam partem, civitas duas accipiet" 74 ), aber bereits in einer geistlichen Urkunde von 1212 75 ) kann man lesen, daß der "populus ciuitatis" (nach Rörig 76 ) der Rat) "sub pena trium marcharum argenti" verboten hatte, der Kirche Viktualien darzubringen. In späteren Aufzeichnungen des lübischen Rechtes wurde im vollen Einklang mit dieser Urkunde die Bestimmung getroffen: "Quicumque aliquem in foro leserit, componet secundum id, quod delinquit. Insuper coram consulibus III marc. argenti componet..." 77 ), von denen zwei Drittel an die Stadt, ein Drittel an den stadtherrlichen Richter fallen sollten. Die Dreimarkbuße wurde also in Lübeck von dem Rat sicherlich nicht nur für den Einzelfall von 1212 festgesetzt, sondern wird bereits eine bestehende Befugnis gewesen sein, welche später schriftlich festgelegt wurde 78 ). Die Dreimarkbuße des Schwerin - Güstrower Rechtes war daher wohl keine Teilbuße, sondern eine feste Strafgebühr, deren Ursprung vielleicht in Lübeck oder in einer gemeinsamen Rechtsquelle zu suchen ist. Diese Annahme erfährt ihre Bestätigung in der Malchower Ausfertigung des Schwerin - Güstrower Rechtes vom Jahre 1235. Hier wird nämlich die Dreimarkbuße ebenso wie in Lübeck aufgeteilt: "Qui ciuitatis statuta infregerit, tres marcas denariorum dabit, duas ciuitati, terciam potestati" 79 ). - Im engsten Zusammenhang mit der Bestimmung über die "statuta civitatis" steht der § 24 des Schwerin - Güstrower Stadtrechtes: "Preterea quicquid consules civitatis ad communem usum ordinauerint, ratum ciuitas obseruabit" 80 ).


73) MUB. I Nr. 359 § 10.
74) Lüb. UB. I Nr. XXXII S.41.
75) Urkundenbuch des Bistums Lübeck. I. Teil. Nr. XXVII.
76) Rörig a. a. O. S. 26 ff.
77) I. F. Hach. Das alte Lübische Recht. Lübeck 1839, codex I § LXXXII.
78) Vgl. Rörig a. a. O. S. 26 ff.
79) MUB. I Nr. 433 § 10.
80) MUB. I Nr. 359 § 24.
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Neben das Beschlußrecht der civitas 81 ) trat also das Verordnungsrecht der consules. Dieser Rechtssatz stammt, wie die folgenden Bestimmungen über den Rat, höchstwahrscheinlich nicht aus dem ursprünglichen Schweriner Recht; denn Heinrich der Löwe kann schwerlich schon einen Rat in Schwerin eingesetzt haben, wie Reincke - Bloch 82 ) bereits nachgewiesen hat. Weiter hatte der Rat in Güstrow wie in Lübeck die Vollmacht, den Friedeschilling zu erheben; doch wird festgesetzt, daß "Omnis solidus pacis consulibus deputatur" 83 ), während in Lübeck der Rat 84 ) wie früher die "Bürger" die Gebühren mit dem herzoglichen Richter teilen mußte: "Pro pace alicui confirmanda lucrum, quod inde provenit, medium solvatur civibus, reliquum iudici" 85 ).

Der Rat hatte ferner die Befugnis, die Einsetzung eines Gemeindebeamten, des magister civium, zu beschließen: "Si decreuerint consules super officia ciuitatis magistrum ciuium ordinare et excedant subditi, due partes consulibus, tercia potestati, nil magistro ciuium deputetur" 86 ). Die übrigen Paragraphen über den magister civium lauten: "Ciuium est, eligere magistrum talem. Magister ille pastorem conueniet. Preda campestris pertinet potestati, non magistro" 87 ). Diese Bestimmungen ergeben folgendes Bild: Der Rat hatte das Recht, einen magister civium, den die Bürger wählen durften, über die "Ämter" der Stadt einzusetzen. Neben der Gewerbeaufsicht hatte der magister civium offenbar noch ein Aufsichtsrecht über den Stadthirten. Auffällig ist aber, daß er von den Erträgen seiner Amtsführung nichts erhielt, sondern daß die Bußgelder, die aus der Gewerbeaufsicht flossen 88 ), zum Teil den


81) Vgl. u. S. 35.
82) A. a. O. S.16 ff.
83) MUB. I Nr. 359 § 11.
84) Da das Barbarossaprivileg in der überlieferten Fassung eine Fälschung aus den Jahren 1222-25 ist und der Fälscher den echten Freibrief nur dort überarbeitet hat, wo er den Bedürfnissen seiner Zeit nicht entsprach (Reincke - Bloch a. a. O. S. 10), darf man aus dieser Bestimmung schließen, daß der Verteilungsschlüssel des Friedensschillings noch derselbe war wie 1188, während die Erhebung jetzt der Vertretung der Bürgerschaft, dem Rat. zukam.
85) Lüb. UB. I Nr. VII S. 10; Keutgen a. a. O. S. 184 § 7.
86) MUB. I Nr. 359 § 12.
87) Ebenda §§ 13 - 15.
88) Hoffmann (a. a. O. S. 119) übersetzt "excedant" in § 12 mit "empören" und faßt deshalb diese Stelle so auf der § 12, der das Genehmigungsrecht des Rates zur Einsetzung eines magister civium enthält, glaubt mit der Möglichkeit rechnen zu müssen, daß die Bürger sich gegen dieses Recht empören. und setzt für diesen Fall Strafen fest . . .". Ich übersetze "excedant" mit "Übertretungen begehen", dann lautet die Stelle: "Wenn die Ratmänner beschlossen haben, einen magister (  ...  )
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consules und der potestas (dem Landesherrn), die Jagdbeute auf der Feldmark jedoch dem Landesherrn allein gehörten. Die ausdrückliche Hervorhebung, daß der magister civium keinen Anteil an den Einnahmen seiner Amtstätigkeit haben soll, deutet aber vielleicht daraufhin, daß der magister civium im ursprünglichen Schweriner Recht wahrscheinlich eine andere Stellung innerhalb der Bürgerschaft hatte. Diese Vermutung bestärken die Stadtverfassungen der anderen Gründungen Heinrichs des Löwen, Lübecks und der Braunschweiger Hagenstadt, in denen ursprünglich ähnliche Gemeindebeamten existierten. Während aber aus Lübeck fast nur noch der Name "buremeystere" bekannt ist 89 ), findet man im Braunschweiger Hagenrecht von 1227 folgende Bestimmung: "Item burgenses advocatum unum de suis concivibus eligant, et quicquid ille per iudicia conquisierit, eius tercia pars curie presentabitur, due partes ad usus et necessitates civitatis convertantur" 90 ).

Im "Hagen" bestand also ein Recht der Bürgerschaft, sich einen Beamten mit richterlichen Befugnissen zu wählen, der im Gegensatz zu dem herzoglichen iudex als advocatus bezeichnet wurde. Diese Bestimmung des Hagenrechtes geht sehr wahrscheinlich auf die Gründungsurkunde Heinrichs des Löwen zurück, da der advocatus der Bürgerschaft bereits im Jahre 1196 in einer Hildesheimer Urkunde nachzuweisen ist 91 ). Dieser bürgerliche advocatus hatte noch um 1226 seine selbständige Stellung innerhalb der Bürgerschaft behauptet, während der magister civium nach dem Schwerin - Güstrower Recht von dem Stadtrat abhängig war. Weil nun das Schweriner ebenso wie das Hagenrecht auf eine Bewidmung Heinrichs des Löwen zurückgeht, so darf man wohl annehmen, daß auch der magister civium in Schwerin ursprünglich eine andere selbständigere Stellung als im Schwerin - Güstrower Recht hatte. Vielleicht war er als der Erwählte der ganzen Gemeinde mit


(  ...  ) civium einzusetzen, und die Bürger Übertretungen begehen, dann fallen 2/3 (der Bußgelder) den Ratmännern, 1/3 der potestas, nichts dem magister civium zu."
89) Vgl. Draeger a. a. O. S. 56 ff.
90) Keutgen a. a. O. S. 178 § 4.
91) Urkundenbuch der Stadt Hildesheim (Hild. UB.) I Nr. 49; vgl. Hoffmann a. a. O. S. 121.
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richterlichen Befugnissen ein bedeutungsvoller Faktor der ursprünglichen, vermutlich auf dörfliche Verhältnisse zurückgehenden Verfassung in Schwerin; denn Schwerin hatte höchstwahrscheinlich als Landgemeinde "ius et formam ciuitatis" von Heinrich dem Löwen erhalten 92 ).

In der Güstrower Urkunde als dem ersten Zeugnis des Schweriner Rechtes ist demnach aller Wahrscheinlichkeit nach nicht das ursprüngliche Schweriner Recht aufgezeichnet. Es erhebt sich nun die strittige Frage, ob die Fassung des Schweriner Rechtes in der Güstrower Urkunde vom 1. November 1228 schon in Schwerin in der Zeit seit der Entstehung der Stadt bis zur Gründung Güstrows (1160-1226) sich herausgebildet hatte, oder ob das ursprüngliche Schweriner Recht erst bei der Verleihung an Güstrow aus irgendeinem Grunde zu der uns vorliegenden Fassung abgeändert wurde. Für die erstere Möglichkeit haben sich Reincke - Bloch und Rörig eingesetzt. Reincke - Bloch 93 ) weist daraufhin, daß die einleitenden Worte " Sunt autem hec iura ciuitatis Zverin" darauf hindeuten, daß die folgenden Rechtsbestimmungen das in Schwerin zur Zeit der Gründung Güstrows geltende Recht enthalten.

Auch Rörig 94 ) meint, daß "das Schweriner Recht nicht gerade in dem Augenblick, in dem Güstrow mit ihm bewidmet wurde, diesen Grad der Ausbildung", wie er in der Güstrower Urkunde vorliegt, erlangt haben kann. Dagegen ist Hoffmann 95 ) der Ansicht, daß "wesentliche Bestimmungen des Schwerin - Güstrower Stadtrechtes über die Stadtverfassung erst beider Gründung Güstrows" in das Schweriner Recht aufgenommen wurden. Er begründet diese Ansicht mit der Annahme, daß die Lokatoren von Güstrow, die zur Entschädigung für ihre mühe vom Landesherrn als Rat eingesetzt worden seien 96 ), Rechte erhalten haben, die im ursprünglichen Schweriner Recht dem magister civium oder der Gesamtbürgerschaft zukamen. Es besteht aber auch durchaus die Möglichkeit, daß in den sieben Jahrzehnten seit der Gründung der Stadt in Schwerin eine Machtverschiebung innerhalb der civitas stattfand mit dem Ergebnis, daß der Einfluß der Gesamtbürgerschaft und ihres Exponenten, des magister civium, zugunsten


92) Vgl. Hoffmann a. a. O. S. 18 f.
93) Reincke - Bloch a. a. O. S. 17 f.
94) A. a. O. S. 25.
95) A. a. O. S. 117 ff.
96) Vgl. S. 27 f.
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des Rates zurückgedrängt wurde. Diele Annahme ist um so wahrscheinlicher, als um die Wende des 13. Jahrhunderts in den norddeutschen Kolonisationsstädten die Entwicklung allgemein so verlief, daß die Ratsverfassung sich durchsetzte und so der Rat das umfassende Organ der Stadtverwaltung wurde 97 ).

Das nach Schwerin - Güstrower Recht geltende Erbrecht verzeichnet zunächst den Grundsatz: "Nullus dabit hereditatem suam sine consensu heredum" 98 ). Im Lübischen und anderen Stadtrechten wurde ausdrücklich hervorgehoben, daß Grundbesitz nicht der Kirche zugewendet werden durfte 99 ), (obwohl schon seit dem 9. Jahrhundert ein Gesetz bestand, daß Schenkungen zum Heil der Seele nicht unter das Beispruchsrecht der Erben fallen sollten) 100 ). In dem Schwerin - Güstrower Stadtrecht findet sich eine derartige Verfügung nicht; vielleicht konnte das Güstrower Kapitel, von dem vier Stiftsherren in der Zeugenreihe der Urkunde genannt werden 101 ), die Aufzeichnung einer solchen, auch der Güstrower Kirche schädlichen Bestimmung verhindern.

Der nächste Rechtssatz behandelt das Heimfallsrecht des Landesherrn bei erblosem Gut. "Si moritur quis heredum presencia carens, assument iliam consules causa rei servande usque ad anni terminum, quo reuoluto, si nullus heres uenerit, ad manum transiet potestatis; debet autem hereditas septima manu reddi" 102 ). Derselbe Grundsatz, der auch aus anderen Stadtrechten bekannt ist 103 ), wurde in Lübeck, wie das Wehrgeld von 60 Schillingen im Schwerin - Güstrower Recht, theoretisch noch als ein königliches Recht festgehalten; denn in dem Freibrief Friedrich Barbarossas von 1188 heißt es: "Si vero intra tempus istud nullus proximorum suorum venerit, quecunque hereditavit, regie potestati solvantur" 104 ). Im Braunschweiger Hagen galt die Bestimmung nach der Rechtsaufzeichnung nur, wenn ". . . quicumque exul sive advena in civitate mortuus fuerit . . ." 105 ).


97) Vgl. Rörig a. a. O. S. 20, 25.
98) MUB. I Nr. 359 § 16.
99) Vgl. Draeger a. a. O. S. 54 f.
100) Schröder - v. Künßberg a. a. O. S. 302.
101) MUB. I Nr. 359: "Testes hii sunt: God., Theodoricus, Bertholdus et Johannes, canonici de Guzstrowe, . . ."
102) MUB. I Nr. 359 § 17.
103) Vgl. Draeger a. a. O. S. 26.
104) Lüb. UB. 1 Nr. VII: Keutgen a. a. O. S. 184 § 8. .
105) Keutgen a. a. O. S.178 § 11.
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Ferner ordnet das Schwerin - Güstrower Recht wie das Lübische 106 ) Halbteilung des Vermögens an, wenn nach dem Tode eines Ehegatten erbberechtigte Kinder vorhanden sind. "Si moritur quis et heredes suos reliquerit, mater uolens nubere alteri prius diuidet hereditatem. Si moritur quis heredum illorum. transibit hereditas ad fratrem, omnibus defunctis transibit ad matrem. Si moritur aliqua relinquens heredem et pater, separans ipsum a se, ducit uxorem et generet ex ea paruulos, mortuo patre separatus heres redibit ad hereditatem patris" 107 ). Bei unmündigen Kindern kann auch die Mutter der Vormund sein: "Si mater securitatem prestare poterit, manebit tutrix, similiter et pater" 108 ).

Die Übereinstimmung des Lübischen mit dem Schwerin - Güstrower Stadtrecht zeigt sich auch am Schluß der Güstrower Urkunde, wo einige Sätze aus dem Zivilprozeßrecht verzeichnet sind. Die Anordnung, daß kein Fremder gegen einen Bürger aussagen darf, kleidet das Schwerin - Güstrower Recht in die Form: "Si quis extra ciuitatem manens querimoniam de ciue fecerit, potest se ciuis cum quolibet defendere; alienus vero cum ciue aliquo defendet se" 109 ). Im Lübischen Recht hieß es: "Nen gast ne mach thugen up enen borgere" 110 ).

Der folgende Paragraph verkündet: Stadtluft macht frei. Das Schwerin - Güstrower Recht bringt diesen Grundsatz wie das Lübische und das Braunschweiger Hagenrecht in "prozessualischer Ausprägung". Während aber das Lübische 111 ) im Barbarossaprivileg und das Hagenrecht 112 ) wie viele andere Stadtrechte die Bestimmung getroffen haben, daß der leibeigene oder hörige Einwanderer nach Jahresfrist die persönliche Freiheit erlangt, wenn sein Herr in dieser Zeit keine Ansprüche an ihn gerichtet hat, verkündet das Schwerin - Güstrower Recht: "Quicumque autem homo proprie fuerit condi-


106) Vgl. Draeger a. a. O. S. 48 ff.
107) MUB. I Nr. 359 §§ 18. 19, 21.
108) Ebenda § 20.
109) Ebenda § 22.
110) In dem deutschen Kodex des Lübischen Rechtes bei E. I. de Westphalen, Monumenta inedita rerum ermanicarum, praccipue Cimbricarum et Megalopolensium . . ., tomus III Lipsiae 1743, Nr. XXII, Spalte 654, § 129.
111) Lüb. UB. I Nr. VII; Keutgen a. a. O. S. 185 § 16.
112) Keutgen a. a. O. S. 178 § 9.
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cionis, si intra ciuitatem uenerit, ab inpeticione seruitutis cuiuslibet liber erit" 113 ).

Den Schluß des eigentlichen Stadtrechtes bildet eine Bestimmung aus dem Schuldrecht: "Si quis vero debitor coram iudicio monitus soluere nequiens, domum suam creditori deponet; sed creditor illam tribus uicibus infra sex septimanas coram iudicio presentabit, quam si debitor tunc non redemerit, in suos usus convertet creditor ipsam domum" 114 ).

Am Ende der Urkunde werden noch besondere Vorrechte für die Güstrower Bürger verzeichnet: "Concessimus eciam eidem civitati agros, quos nunc possidet, cum omni utilitate preter decimam episcopalem. Dedimus insuper ei liberam facultatem pellendi porcos super Primere et Cleste adeo remote, ut eodem die redire possint ad ciuitatem; et ibidem ligna secabunt ad comburendum et edificia construenda; a Nebula quoque usque ad disterminacionem agrorum versus Ressin habebunt pascua porcorum et secabunt ligna et habebunt pascua existencia infra terminos recitatos" 115 ).

Das Schweriner Recht zeigt in der Form der Güstrower Urkunde vom 1. November 1228 manche Übereinstimmungen mit dem alten Lübischen und dem Braunschweiger Hagenrecht, da alle drei Städte ihr Recht von Heinrich dem Löwen empfangen haben. Die ursprünglichen Stadtrechtsurkunden sind in den drei Städten verloren gegangen, doch bieten in Lübeck und Braunschweig spätere Rechtsaufzeichnungen die Möglichkeit, den Text der ursprünglichen Bewidmung Heinrichs des Löwen einigermaßen zu rekonstruieren. Für die Stadtrechtsurkunde von Schwerin ist ein solches Verfahren schwer möglich, da in der ältesten Stadtrechtsaufzeichnung, der Güstrower Urkunde, jegliche Bezugnahme auf Heinrich den Löwen fehlt, wie sie für Lübeck in dem Barbarossaprivileg von 1188 (1222 - 25) 116 ) und für die Braunschweiger Hagenstadt in den "Iura lndaginis" von 1227 117 ) vorliegt. Man könnte versuchen, nach der kurzen


113) MUB. I Nr. 359 § 23.
114) Ebenda § 25.
115) Ebenba § 26.
116) Insuper . . . omnia iura, que primus loci fundator Heinricus quondam dux Saxonie eis concessit, . . . nos etiam concessimus. Lüb. UB. I Nr. VII; Keutgen a. a. O. S. 184 § 3.
117) . . . hec sunt iura et libertates indaginis, quas burgenses a prima fundatione ipsius civitatis ab illustri viro Heinrico, duce Saxonie atque Bawarie, obtinuerunt. Keutgen a. a. O. S. 177 Nr. 151.
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vergleichenden Übersicht, die hier gegeben ist, den Inhalt der ursprünglichen Rechtsbewidmung Heinrichs des Löwen für Schwerin zusammenzustellen. Aber die Gefahr von Fehlschlüssen ist doch zu groß, wenn man auch erkennen kann, daß die Bestimmungen über die Ratsverfassung wohl kaum in dem Privileg Heinrichs des Löwen gestanden haben können und der magister civium in einer Schweriner Bewidmungsurkunde sicherlich eine ganz andere Stellung gehabt haben würde als in Güstrow. Ferner ist es auch durchaus möglich, daß die Stadtrechtsurkunde Heinrichs des Löwen für Schwerin noch mehr oder andere Bestimmungen enthalten hat, als die Güstrower Urkunde überliefert; vermutlich hat nämlich zum Beispiel Heinrich der Löwe den Schweriner Bürgern die Zollfreiheit im Herzogtum Sachsen verliehen, welche Kaiser Otto IV. im Jahre 1209 in einer Bestätigungsurkunde für das Schweriner Bistum 118 ) und das Lübecker Fragment 119 ) erwähnt 120 ).

Die Güstrower Urkunde vom 1. November 1228 bietet zwar nicht die Möglichkeit, die ursprünglichen Verhältnisse in Schwerin einigermaßen sicher zu erkennen, vermag aber doch ein Bild zu geben von den Grundzügen der Stadtverfassung in Güstrow um 1228. Besonders die öffentlich - rechtlichen Bestimmungen grenzen den Machtbereich der vier Faktoren in dem Verfassungsleben der Stadt Güstrow ab, nämlich die Vorherrschaft des Landesherrn, die Befugnisse des Rates, das Amt des magister civium und die Stellung der Bürgerschaft.

b) Die Grundzüge der Stadtverfassung um 1228.

1. Die Vorherrschaft des Landesherrn.

Die Stadt Güstrow hatte ihren rechtlichen und tatsächlichen Ursprung in dem schöpferischen Willen des Landesherrn. Ihm gehörte der Grund und Boden, auf dem sie errichtet wurde; er allein konnte kraft seiner Landesherrlichkeit die neue Siedlung zur Stadt erheben. Daher lagen auch doppelte Befugnisse in seiner Hand: private, auf seine Stellung als Grundherr zurückgehende Rechte und öffentliche Rechte, die ihm als Landesherrn zustanden.

Der Landesherr konnte als Grundherr über das Gelände der Stadt frei verfügen und behielt von der Grund-


118) MUB. I Nr. 189 (202).
119) Lüb. UB. I Nr. XXXII S.38; auch MUB. I Nr. 273.
120) Vgl. Hoffmann a. a. O. S.21.
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fläche, die er den Lokatoren zur planmäßigen Anlage der Stadt übergeben hatte, für sich und für die von ihm gestiftete Kollegiatkirche räumlich geschlossene Bezirke zurück, die der städtischen Verwaltung entzogen waren und daher später "Burg- und Domfreiheit" genannt wurden. Die Burgfreiheit umfaßte die Burg und andere fürstliche Gebäude und Höfe von adeligen Herren. Ferner behielt der Landesherr anscheinend auch das Marktgelände in seiner Hand; denn erst im Jahre 1248 versprach er, gegen den Willen des Rates den Markt von seiner bisherigen Stelle nicht verlegen zu wollen 121 ), verzichtete also erst in diesem Jahre auf die alleinige Verfügung über das Marktgelände.

Ein wichtiges grundherrliches Recht war für den Landesherrn die Erhebung des Grundzinses. Diese in der Regel geringfügige Abgabe mußten die Bürger in vielen deutschen Städten jährlich leisten und besaßen dafür ihren Grundbesitz in der Stadt als vererbliches und veräußerliches Eigentum 122 ). Bei der Gründung Güstrows verzichtete der Landesherr vielleicht auf diesen Zins. In dem Güstrower Stadtrecht findet sich nämlich keine Bestimmung über den "census arealis", dessen Art und Höhe oft genug in Stadtrechtsurkunden hervorgehoben wird. In der Stadt Schwerin, deren Recht Güstrow empfing, gab es anscheinend wie in Lübeck und im Braunschweiger Hagen keinen Hausstättenzins 123 ), möglicherweise, weil Heinrich der Löwe einer bereits bestehenden Ansiedlung, in der er kein Grundeigentum besaß, das Stadtrecht übertragen hatte 124 ). Es besteht vielleicht die Möglichkeit, daß auch Güstrow als die Tochterstadt Schwerins gemäß dem dort gültigen Recht zinsfrei angelegt wurde; urkundlich ist jedenfalls auch später ein Arealzins in Güstrow nicht nachzuweisen.

Der Landesherr besaß kraft seiner obrigkeitlichen Stellung zunächst die volle Gerichtsbarkeit in seinem Gebiet. Daher war er auch der Gerichtsherr über die neugegründete Stadt Güstrow. Die Ausübung der hohen und niederen Gerichtsbarkeit hatte er sich und seinen Vertretern, den Vögten, vorbehalten; denn nach den strafrechtlichen Bestimmungen des Güstrower Stadtrechtes vom 1. November 1228 besaß die Stadt noch keinen Anteil an den Bußgeldern, die aus der Gerichts-


121) MUB. I Nr. 607.
122) Schröder - v. Künßberg a. a. O. S. 690 f.
123) Rietschel a. a. O. S. 257 f.
124) Vgl. Hoffmann a. a. O. S. 18 f.
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barkeit flossen 125 ). Das Gericht des Landesherrn war daher zunächst zuständig für alle Strafsachen, die an "Hals und Hand" gingen 126 ), und für Streitigkeiten über Freiheit 127 ) und Eigentum 128 ). Auch Vergehen, die statt einer verwirkten Strafe an "Haut und Haar" mit Geldbußen geahndet wurden 129 ), und bürgerliche Schuldklagen 130 ) kamen vor das landesherrliche Gericht. Doch billigte der Landesherr ausdrücklich dem Rat der Stadt zwei Drittel der Strafgelder zu, die der magister civium aus der Gewerbeaufsicht erhob 131 ). Sogar die Marktgerichtsbarkeit, die wahrscheinlich in Lübeck, auch in Rostock 132 ) und anderen norddeutschen Städten zu den ursprünglichen Befugnissen des Rates gehörte 133 ), wurde in Güstrow nicht dem Rat zugewiesen; in dem Güstrower Stadtrecht wird betont, daß die "sentencia capitalis" über falsches Maß richtet 134 ). Als Gerichtsherr 135 ) besaß der Landesherr auch das Heimfallsrecht über herrenloses Gut, wenn sich nach Jahr und Tag kein Erbe beim Rat, der das Gut in Verwahrung nahm, gemeldet hatte 136 ).

Die andern Hoheitsrechte des Landesherrn waren vornehmlich das Münz-, Zoll-, Mühlen- und das Judenregal und das Wildbannrecht. Alle diese Rechte befanden sich in Güstrow ursprünglich in der Hand des Landesherrn und bildeten neben den Einkünften aus der Gerichtsbarkeit seine wichtigsten Einnahmequellen. In dem Güstrower Stadtrecht vom 1. November 1228 wird außer der Gerichtsbarkeit nur noch das Wildbannrecht des Landesherrn erwähnt. Vermutlich galt bei der Ausfertigung des Stadtrechtes die Anschauung, daß die Rechte des Landesherrn keiner besonderen Feststellung bedürften und vor allem die Rechte der Bürgerschaft hervorgehoben werden müßten. So setzte das Stadtrecht nur die Abgabe, "Matte",


125) MUB. I Nr. 359 §§ 1 - 8; s. o. S. 13 ff.
126) Ebenda §§ 1, 2; s. o. S.13.
127) Ebenda § 23; s. o. S. 21 f.
128) Ebenda § 6: s. o. S. 14.
129) Ebenda §§ 3 - 5; s. o. S. 13 f.
130) Ebenda § 23;s. o. S. 21 f.
131) Ebenda § 12;s. o. S. 17.
132) P. Meyer, Die Rostocker Stadtverfassung bis zur Ausbildung der bürgerlichen Selbstverwaltung. Diss. Rostock 1928, auch MJB. 93 (1929), S. 17.
133) Vgl. S. 15.
134) MUB. I Nr. 359 § 8; s. o. S. 15.
135) Vgl. Schröder v. Künßberg a. a. O. S. 577. 649.
136) MUB. I Nr. 359 § 17; s. o. S. 20.
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für den "mollendarius" fest 137 ), ohne zu erwähnen, daß sich die Stadtmühle ursprünglich im Besitz des Landesherrn befand, wie aus späteren Urkunden hervorgeht 138 ). Nur von der Jagd (preda campestris) wurde ausdrücklich bestimmt, daß sie der potestas und nicht dem magister civium gehörte 139 ), vielleicht weil in Schwerin der magister civium ursprünglich an der Jagd beteiligt war. Ebenso besaß der Landesherr den Zoll bis hoch in das 14. Jahrhundert hinein; erst im Jahre 1359 kam der Durchgangszoll in die Hand der Stadt 140 ). Ferner hatte der Landesherr gewiß auch das Münz- und Judenregal in Besitz, obgleich urkundliche Belege dafür nicht vorhanden sind; denn gerade das Münzrecht war ein wichtiges Hoheitsrecht, welches sogar eine bedeutende Stadt wie Rostock erst im Jahre 1325 erringen konnte 141 ). Auch das Judenregal befand sich in Rostock noch am Ende des 13. Jahrhunderts in der Hand des Landesherrn 142 ).

Die landesherrliche Gewalt wurde in der Stadt durch den Vogt vertreten, der wahrscheinlich seit der Gründung der Stadt seine Tätigkeit ausübte, aber erst 1229 mit der Bezeichnung "advocatus" nachweisbar ist 143 ). Er verwaltete das Land Güstrow und die Stadt als stadtherrlicher Beamter und vereinigte so als persönlicher Vertreter des Landesherrn dessen obrigkeitliche Befugnisse in seiner Hand. Daher war er zunächst der Richter für die Stadt und für die "Burgfreiheit". In der "Domfreiheit", dem Gebiet des Kollegiatstiftes, durfte er die hohe Gerichtsbarkeit ausüben, aber nur dann, wenn er gerufen wurde 144 ); in diesem Falle gehörte der Landesherrschaft zunächst ein Drittel, später aber (seit 1273), da die Vögte "pro tercia parte tardi" waren "in iudiciis exequendis", die Hälfte der Gerichtsgefälle 145 ), Der Ort des Gerichtes stand in der ersten Zeit in Güstrow anscheinend noch nicht fest; denn erst


137) MUB. I Nr. 359 § 9; s. o. S. 15.
138) MUB. III Nr. 1936, 2169.
139) MUB. I Nr. 359 § 15; s. o. S. 17.
140) MUB. XIV Nr. 8691.
141) Meyer a. a. O. S. 34.
142) Meyer a. a. O. S. 36.
143) MUB. I Nr. 369: Baroldus advocatus; er wurde bereits in der Gründungsurkunde des Güstrower Kollegiatstiftes vom 3. Juni 1226 ohne besondere Bezeichnung und von 1227 ab miles oder castellanus de Gustrowe genannt.
144) MUB. I Nr. 323.
145) MUB. II Nr. 1292.
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seit dem Jahre 1270 war der Vogt verpflichtet, das Recht auf dem Markt, "am Orte des Gerichts", zu sprechen 146 ).

Neben seiner richterlichen Tätigkeit hatte der Vogt sicherlich auch in der inneren Stadtverwaltung eine bedeutende Stellung, weil der anfängliche Machtbereich des Rates noch ziemlich gering war. Der Aufgabenkreis des Vogtes erstreckte sich wahrscheinlich auf die Eintreibung aller Einkünfte, die aus der umfangreichen Verwaltung der vorher erwähnten Hoheitsrechte zu erheben waren. Aus diesem Grunde wurde wohl auch ein "minor advocatus" als Unterbeamter eingesetzt, der im Jahre 1229 erwähnt wird 147 ). Über die Tätigkeit dieses stadtherrlichen Beamten ist nur ein einziges Zeugnis aus dem Jahre 1293 erhalten. In diesem Jahre wurde der dritte Teil der Gefälle der hohen und niederen Gerichtsbarkeit an die Stadt verkauft; doch sollte der "advocatus minor" davon immer 4 Schillinge erhalten, "qui ad eum pertinere videntur" 148 ). Er bezog also für seine Tätigkeit Gerichtsgebühren. Da aber die Urkunde weiterhin bestimmt, daß der "advocatus" das Gericht nicht mehr allein leiten soll, kann man annehmen, daß die Tätigkeit dieses "advocatus minor" nur untergeordneter Natur war.

 

2. Die Befugnisse des Rates.

An der Spitze der Bürgerschaft stand um 1228 der Rat. Wie dieser Rat eingesetzt wurde, ist nicht bekannt. Da aber der Landesherr die Stadt Güstrow als Neugründung angelegt und mit dem Schweriner Stadtrecht bewidmet hatte, setzte er auch sicherlich den ersten Stadtrat als bürgerlichen Verwaltungskörper ein. Es liegt nahe, unter diesen Ratmännern zunächst die Lokatoren zu vermuten. Vielleicht wurden diese zur Entschädigung für ihre Mitwirkung an der Stadtgründung als bürgerliche Behörde eingesetzt. Für diese Ansicht sprechen wiederum ähnliche Verhältnisse in den gleichzeitig gegründeten Städten Parchim und Plau, in denen die Gründungsunter-


146) MUB. II Nr. 1182: Si eciam aduocatus seu alius, quicumque esset, aliquem haberet incusare, in foro in loco tribunalis ipsum accusabit et in nullo alio loco nisi in predicto ad hec debite deputato.
147) MUB. I Nr. 369. Neben dem advocatus testiert Johannes minor advocatus.
148) MUB. III Nr. 2200.
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nehmer (cultores) Vorrechte innerhalb der Bürgerschaft erhielten, die der Stellung der Güstrower consules entsprachen 149 ).

Die Zahl der Ratmänner läßt sich in der Frühzeit der Stadt Güstrow nicht mehr feststellen. In der Zeugenreihe der Stadtrechtsurkunde vom 1. November 1228 werden "Bruno, Hinricus Advocatus, Johannes Cocus, Arnoldus Sagittarius, Fre., Daniel Institor, ciues in Guzstrowe" 150 ) genannt. Man könnte daran denken, in diesen sechs Bürgern den ersten Stadtrat zu sehen; denn wahrscheinlich nahmen an einer so wichtigen Rechtshandlung, wie es die Bestätigung des Stadtrechtes war, die berufenen Vertreter der Bürgerschaft teil, besonders da die Ratsverfassung in Güstrow schon seit der Gründung der Stadt (aller Wahrscheinlichkeit nach 1226) bestand. Es ist aber hierüber keine sichere Entscheidung möglich, da die Urkunde nur von "Bürgern" (cives) und nicht von "Ratmännern" (consules) redet. Immerhin darf man aus dieser Benennung nicht den Schluß ziehen, daß diese sechs Bürger keine consules gewesen sein könnten. Auch im Jahre 1248 erscheinen nämlich in der wichtigen Urkunde, die über die Vereinigung von Alt- und Neustadt Güstrow ausgestellt wurde, unter den Zeugen neun Güstrower "Bürger" 151 ). Von diesen werden sechs im Jahre 1264 als consules in einem Privileg genannt, das in der Zeugenreihe die Güstrower Ratmänner zum erstenmal (38 Jahre nach Einführung der Ratverfassung) ausdrücklich als consules anführt 152 ). Ein siebenter testiert im Jahre 1270 als consul 153 ). Wahrscheinlich bildeten also die in der Urkunde von 1248 genannten neun Bürger den Rat. Diesen Beweis kann man infolge der dürftigen Quellen für die sechs "Bürger" der Urkunde vom 1. November 1228 nicht führen. Doch läßt sich auch in Urkunden der Städte Lübeck und Wismar feststellen, daß cives (burgenses) oftmals mit "consules" identisch sind 154 ). Daher ist es wohl möglich, daß die sechs Bürger des Güstrower Stadtrechtes vom 1. November 1228 die ersten Ratmänner waren 155 ).


149) Vgl. S. 10; vgl. Hoffmann a. a. O. S. 122 f.
150) MUB. I Nr. 359.
151) MUB. I Nr. 607.
152) MUB. II Nr. 1015.
153) MUB. II Nr. 1182.
154) Vgl. Rörig a. a. O. S. 12 f. Vgl. Fr. Crull. Die Ratslinie der Stadt Wismar, Hans. Geschquellen Bd. II, S. IX f.
155) Freilich steht dieser Annahme entgegen, daß dann auch ein Henricus Advocatus dem ersten Stadtrat angehören würde; denn die (  ...  )
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Der Einfluß des Rates war um 1228 noch gering. Schon äußerlich war sein Machtbereich eingeengt durch die beiden Stadtfreiheiten des Landesherrn und des Kollegiatftiftes, so daß ein größerer Teil der Stadt der bürgerlichen Verwaltung entzogen war.

Die Befugnisse des Rates wurden in der Stadtrechtsurkunde vom 1. November 1228 vom Landesherrn festgesetzt. Als Verwaltungskörper der Stadt erhielten die consules ein Recht, Verordnungen zu erlassen 156 ). Leider sind keine Ratsstatuten aus dieser Zeit überliefert; daher bleibt auch unklar, wie weit der Rat zum Beispiel in den Marktverkehr eingreifen durfte, dessen Regelung und Überwachung in vielen Städten zu den anfänglichen Rechten des Stadtrates gehörte 157 ). Doch bieten die Bestimmungen über den magister civium einen Anhaltspunkt in dieser Richtung. Nach der Anordnung des Stadtrechtes hatten nämlich die consules die Befugnis, über die "Ämter", die Innungen der Stadt, einen magister civium einzusetzen 158 ). Die Gewerbeaufsicht lag also letztlich in den Händen des Rates, weil die consules die Handhabe hatten, die Einsetzung des Kontrollbeamten zu bestimmen. Da aber die Tätigkeit der Ämter sich vornehmlich auf dem Markt, dem Brennpunkt des öffentlichen Lebens im Mittelalter, abspielte, so nahm wahrscheinlich der Rat an der Verwaltung und Beaufsichtigung des Marktes teil, wenn auch die Gerichtsbarkeit über falsches Maß dem Landesherrn vorbehalten war 159 ).

Die Beschlüsse der consules zum gemeinen Besten der Stadt


(  ...  ) Familiennamen standen im 13. Jahrhundert im allgemeinen noch nicht fest, ein "Vogt" konnte aber infolge seiner obrigkeitlichen Stellung schwerlich ein Ratmann werden. Ein fürstlicher Vogt namens Henricus ist aber in Güstrow unbekannt, obwohl sonst die Namen der Güstrower Vögte und Burgmannen in diesen Jahren durchaus feststehen (vgl. die Zeugenreihen der Urkunden MUB. I Nr. 323, 344, 359, 368, 369 und 371). Das Amt eines bürgerlichen Vogtes gab es nach dem Güstrower Stadtrecht vom 1. November 1228 und auch später nicht: der bürgerliche Beamte in ähnlicher Stellung führte in Güstrow den Titel magister civium (s. o. S. 17 ff.). Ein niederer Kirchenvogt ist schließlich in Güstrow zu dieser Zeit nicht nachzuweisen. Man darf daher den Advocatus wohl ebenso wie die folgenden Namen Cocus und Sagittarius als Familiennamen auffassen.
156) MUB. I Nr. 359 § 24; s. o. S. 16.
157) Vgl. Schröder - v. Künßberg a. a. O. S. 693.
158) S. o. S. 17 ff.
159) MUB. I Nr. 359 § 8; S. o. S. 15;
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waren für die Bürgerschaft verbindlich 160 ) und galten daher sicherlich auch insofern als statuta civitatis, als ihr Bruch mit einer Strafe von 3 Mark geahndet wurde 161 ). Weil diese Dreimarkbuße aber ganz an die Stadt fiel, besteht die Möglichkeit, daß der Rat als Vertreter der Stadt die Vollmacht hatte, von sich aus die Übertreter der städtischen Verordnungen - unabhängig von dem ordentlichen Gericht des Vogtes - gewissermaßen als Polizei zu belangen und ihnen die Buße aufzuerlegen. Für die Polizeigerichtsbarkeit des Rates spricht auch der Umstand, daß von den Bußgeldern, die aus der Gewerbeaufsicht flossen, den consules zwei Drittel und dem Landesherrn nur ein Drittel zustanden 162 ).

Auf dem Gebiete der Rechtspflege war dem Rate vom Landesherrn ursprünglich nur die Erhebung des "Friedeschillings" zugewiesen worden 163 ). Diese Gebühr, die ihren Namen von dem Friedewirken bei der Auflassung von Grund und Boden und bei der Beurkundung von Rechtsvorgängen hatte 164 ), gehörte den Ratmännern allein 165 ). Daher bildete die freiwillige Gerichtsbarkeit wahrscheinlich wie in Rostock 166 ), so auch in Güstrow eine ursprüngliche Befugnis des Rates. Im Rahmen dieser Tätigkeit war der Rat möglicherweise auch die Aufsichtsbehörde über die Vollstreckung der Testamente. Denn nach dem Stadtrecht verwahrten die consules den erbenlosen Nachlaß bis Jahresfrist und mußten ihn den Erben "bis zur siebenten Hand", anderenfalls dem Landesherrn ausliefern 167 ) und hatten so vermutlich darüber zu wachen, daß auch die anderen erbrechtlichen Grundsätze des Stadtrechtes 168 ), wie Halbteilung des Vermögens, richtig angewendet wurden.

Mit dieser letzten Erörterung wurde schon ein Gebiet gestreift, auf welches der Rat mit Rücksicht auf die Wohlfahrt der Stadt zu achten hatte, nämlich das Familienrecht. In der knappen Fassung des Stadtrechtes kommen hier zwei Paragraphen in Frage. Vor allem war der Grundsatz wichtig, daß


160) Ebenda § 24; s. o. S. 16.
161) Ebenda § 10; s. o. S. 16.
162) Vgl. Rietschel a. a. O. S. 266 f.
163) MUB. 1 Nr. 359 § 11; s. o. S. 17.
164) Vgl. Schröder - v. Künßberg a. a. O. S. 788.
165) Vgl. S. 17.
166) Meyer a. a. O. S. 19.
167) MUB. 1 Nr. 359 § 17; s. o. S. 20.
168) Ebenda §§ 18 - 21; s. o. S. 21.
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niemand ohne die Zustimmung seiner Erben sein ererbtes Gut vergeben dürfte 169 ). Gewiß benutzten die Ratmänner diese Bestimmung, um im Interesse des gesamten Gemeinwesens zu verhindern, daß ohne reifliche Überlegung das ganze Vermögen einer Familie in unsicheren Geschäften der Gefahr des Verlustes ausgesetzt wurde, und konnten so der Möglichkeit vorbeugen, daß verarmte Familien der Stadt zur Last fielen. Der andere Paragraph betrifft die Vormundschaftsrechte von Mann und Frau. Auch die Frau durfte nach dem Stadtrecht Vormund sein, wenn sie "Sicherheit leisten" konnte 170 ); vermutlich war der Rat die Instanz, die hierüber zu entscheiden hatte.

 

3. Der magister civium.

Neben dem Rat als bürgerlichem Verwaltungskörper der Stadt findet sich im Schwerin - Güstrower Stadtrecht vom 1. November 1228 noch eine andere Instanz, der magister civium. Hatte dieser aber in Schwerin als Exponent der Bürgerschaft ursprünglich eine selbständige Stellung inne, so erscheint er nach der Güstrower Urkunde als ein von dem Stadtrat abhängiger Gemeindebeamter, wie bereits oben erörtert wurde 171 ). Ihn wählten die Bürger, seine Einsetzung beschlossen aber die Ratmänner 172 ). Die Tätigkeit des magister civium erstreckte sich vornehmlich auf die Gewerbeaufsicht; daneben hatte er offenbar eine Kontrollbefugnis über den Stadthirten 173 ). Möglicherweise wachte er auch darüber, daß die Bürger die Verordnungen 174 ) über das Viehtreiben in den landesherrlichen Wäldern nicht überträten.

Der magister civium hatte neben der Aufsicht über verschiedene Zweige der Stadtverwaltung vielleicht auch richterliche Befugnisse. Das Stadtrecht von 1228, welches die einzige Quelle für das Amt des magister civium in Güstrow ist, bestimmt, daß von den Bußgeldern des magister civium zwei Drittel der "Herrschaft" gehören sollen 175 ). In anderen Stadtrechten, die im Zusammenhang mit dem Schwerin - Güstrower


169) Ebenda § 16; s. o. S. 20.
170) Ebenda § 20; s. o. S. 21.
171) Vgl. S. 17 ff.
172) MUB. I Nr. 359 § 12/13; s. o. S. 17.
173) Ebenda §§ 12, 14; s. o. S. 17.
174) Ebenda § 26; s. o. S. 22.
175) Vgl. S. 17.
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Recht stehen 176 ), findet sich derselbe Verteilungsschlüssel für die Einnahmen ähnlicher Gemeindebeamter, die aber eine richterliche Tätigkeit ausübten. So mußte der bürgerliche advocatus des Braunschweiger Hagens von den Einnahmen, die er "per iudicia conquisierit", ein Drittel an das "herzogliche Gerichtshaus" abliefern, während zwei Drittel für das Gemeinwohl aufgewendet werden sollten 177 ). Auch der magister civium in Hannover hatte von der Fünfschillingbuße, die er verhängen durfte, ein Drittel an den Vogt zu übergeben, während der übrige Teil der Stadt zukam 178 ). Die Verteilung der Einkünfte des magister civilis (civium) in der Dammstadt Hildesheim ist zwar unbekannt, aber auch dieser von der Bürgerschaft gewählte Beamte übte eine niedere Gerichtsbarkeit in den Ämtern der Stadt aus 179 ). Auch in Lübeck, wo um 1228 die Macht des Rates sich bereits sehr entfaltet hatte, findet sich die gleiche Verteilung der Strafgelder, die aus der Ratsgerichtsbarkeit erhoben wurden 180 ). Daher besteht wohl die Möglichkeit, daß der magister civium in Güstrow, der mit dem advocatus des Braunschweiger Hagens, dem magister civium von Hannover und dem magister civilis der Hildesheimer Dammstadt "auf einer Linie" steht 181 ), als Richter die Anfänge der


176) Die Verwandtschaft des Schwerin - Güstrower Rechtes mit dem Lübischen und dem Braunschweiger Hagenrecht wurde o. S. 13 ff. dargelegt. Das Stadtrecht von Hannover und der Dammstadt Hildesheim zeigen den Einfluß des Braunschweiger Stadtrechts (vgl. Rietschel a. a. O. S. 267);denn der Hildesheimer Dammstadt wurde das "ius aliorum Flandrensium, qui morantur Brunswic," verliehen (Hild. UB. I Nr. 49) und Hannover erhielt im Jahre 1241 von dem Herzog Otto von Braunschweig ein erweitertes Stadtrecht, das als Norm für den Handel der Bürger Braunschweiger Recht festsetzt (Hann. UB. I Nr. 11: ". . . immo ius in statu meliori ponere et profectum volumus aucmentare. - . . . extra ciritatem vero fruentur illo iure et gracia, quibus civitas nostra Bruneswic et illi burgenses utuntur, in suis rebus et mercimoniis").
177) Vgl. S. 18.
178) Hann. UB. I Nr. 11: Magister civium corriget omnes indebitas mensuras sub pena V sollidorum, quorum tercia pars cedet advocato, due vero civitati.
179) Hild. UB. I Nr. 49; Nr. 122: Item bene licet eis magistrum civium statuere inter se, qui iudicet eos in civili iure in officiis eorum.
180) S. o. S. 16.
181) F. Frensdorff, Studien zum Braunschweiger Stadtrecht II, Nachr. d. kön. Gesellsch. f. Wissensch. zu Göttingen (phil. hist. Klasse) 1906. S. 293.
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städtischen "Selbstgerichtsbarkeit" warnahm 182 ), Die warscheinlich zu den Befugnissen des Güstrower Rates um 1228 gehörte 183 ).

Später ist der magister civium aus der urkundlichen Überlieferung der Stadt Güstrow verschwunden. In den Stadtrechtsurkunden von Malchow (1235) 184 ), Malchin (1236) 185 ), Röbel (1261) 186 ) und Penzlin (1263) 187 ) taucht der magister civium mit denselben Funktionen wie in Güstrow auf, da alle diese Städte mit dem Schwerin - Güstrower Recht bewidmet wurden und Privilegien empfingen, die nur in wenigen Einzelheiten von der Güstrower Urkunde vom 1. November 1228 abweichen. Aber außer in diesen Urkunden ist der magister auch in diesen und anderen werleschen Städten, die wahrscheinlich das Schweriner Recht erhielten 188 ), nicht nachzuweisen.

Eine ähnliche Beobachtung kann man auch in den anderen Städten machen, in denen ursprünglich entsprechende Gemeindebeamte vorhanden waren. In Lübeck verschwanden die "buremeystere" vermutlich schon sehr früh 189 ). Auch in Braunschweig war mit dem Erstarken der Ratsgewalt im Verlauf des 13. Jahrhunderts kein Platz mehr für einen von der Bürgerschaft erwählten Gemeindevogt 190 ). In der Hildesheimer Dammstadt wird zwar in dem Stadtrecht von 1232 die freie Wahl eines magister civium hervorgehoben 191 ), aber dann schwindet auch hier dieser Beamte aus der urkundlichen Überlieferung 192 ). Ebenso wurde auch der magister civium


182) Zu dem gleichen Ergebnis kam auch Rietschel (a. a. O. S. 267) auf Grund der Bestimmung der Malchower Ausfertigung des Schwerin - Güstrower Rechtes von 1235, daß der magister civium den Anteil erhalten soll. der in Güstrow der Herrschaft zufiel (MUB. I Nr. 433 § 12: . . . tercia magistro civium debetur. - vgl. S. 17).
183) S. o. S. 30.
184) MUB. I Nr. 433.
185) Ebenda Nr. 449.
186) MUB. II Nr. 911.
187) Ebenda Nr. 987.
188) Vgl. Hoffmann a. a. O. S. 123 Anm. 500.
189) Vgl. Draeger a. a. O. S. 56 ff.
190) Vgl. W. Varges. Die Gerichtsverfassung von Braunschweig bis zum Jahre 1374, Diss. Marburg 1890 S. 18, 54, 60 Anm.; Frensdorff am zuletzt genannten Orte S. 294.
191) S. o. S. 32 Anm. 179.
192) In Urkunden der eigentlichen Stadt Hildesheim aus dem 13. Jahrhundert wird unter den Zeugen bisweilen ein magister (  ...  )
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von Hannover, der in dem Stadtrecht von 1241 noch eine Rolle spielt 193 ), in wenigen Jahrzehnten aus der Stadtverfassung verdrängt. Sein Name blieb, bezeichnete dann (1277) aber die beiden Vorsitzenden des Rates, die Bürgermeister, welche die vornehmste Stelle unter den Ratsherren einnahmen 194 ).

 

4. Die Stellung der Bürgerschaft.

Die Bürgerschaft bestand nach dem Grundsatz: "Stadtluft macht frei" aus persönlich freien Mitgliedern. Die Eigenleute fremder Herren waren frei, sobald sie die Stadt betreten hatten 195 ). Offenbar sollte diese Bestimmung den Zuzug von Ansiedlern begünstigen und das Wachstum der Stadt beschleunigen. Doch ist nicht bekannt, unter welchen rechtlichen Voraussetzungen die Einwanderer Bürger werden konnten. Ferner bleibt unklar, welche Stellung eingewanderte Wenden in der Stadt einnahmen. Doch darf man wohl vermuten, daß diejenigen Leute, welche in die Stadtgemeinde aufgenommen wurden, einen Bürgereid leisten mußten, die Bürgerpflichten getreulich einzuhalten.

Von den Pflichten der Bürger redet das Stadtrecht von 1228 nicht; in der Gründungsurkunde des Kollegiatstiftes findet sich aber ein Hinweis. Die Güter der Kirche wurden nämlich befreit "ab omni exactione tam peticionum, quam uectigalium et expeditione et edificacione urbium et poncium" 196 ). Die Leistungen, auf die nach dieser Urkunde der Landesherr Anspruch hatte, waren also geldliche Verpflichtungen, wie Abgaben und Zölle, Arbeitsleistungen, nämlich Bau von Burgen und Brücken, und Heeresfolge. Alle diese Pflichten hatten ursprünglich wahrscheinlich auch die Güstrower Bürger zu erfüllen; denn eine Befreiung wäre sicherlich in dem Stadtrecht als Vorrecht


(  ...  ) civium (Burmester) genannt. Aus der vergleichenden Untersuchung der betr. Zeugenreihen ergibt sich aber, daß die fünf Träger dieses Namens wahrscheinlich zu einer Familie Burmester gehörten (vgl. Personenreg. zu Hild. UB. I S. 578. wo aber die wichtige Urkunde Nr. 188 nicht angegeben ist).
193) S. o. S. 32.
194) Hann. UB. I Nr. 446 S. 490. - Vgl. F. Frensdorff, Die Stadtverfassung Hannovers in alter und neuer Zeit, Hans. Geschbl. 1882, S. 17 f.
195) MUB. I Nr. 359 § 23; s. o. S. 21 f.
196) MUB. I Nr. 323.
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hervorgehoben worden 197 ). Hierzu kam für die Bürger noch die Wachpflicht, wie man später nachweisen kann 198 ).

Die Rechte der Bürger sind in dem Stadtrecht von 1228 aufgezeichnet. Nach dieser Urkunde lag zwar die Verwaltung der Stadt vornehmlich in den Händen der Ratmänner, ja, die übrigen Bürger erscheinen ihnen gegenüber in einem Paragraphen des Stadtrechtes sogar als "subditi" 199 ), aber die Gesamtheit der Bürger hatte doch eine bedeutungsvolle Befugnis: Sie durfte bei der Entscheidung allgemeinwichtiger städtischer Angelegenheiten - wohl in der Bürgerversammlung - mitwirken und Beschlüsse fassen (statuta civitatis), deren Bruch mit einer Dreimarkbuße geahndet wurde 200 ). Nach dem knappen Wortlaut des Stadtrechtes könnte es scheinen, als ob die statuta civitatis nur von den consules erlassen würden, aber eine Urkunde aus dem Jahre 1248 beweist, daß die Gesamtbürgerschaft wie in Rostock 201 ) und Wismar 202 ), so auch in Güstrow dieses Recht hatte. In diesem Privileg versprach nämlich der Fürst Nikolaus von Werle den Güstrower Bürgern, die Stadt Güstrow unter der Bedingung zu erweitern, "si nostro, consulum eorumque placuerit consilio" 203 ). Außerdem hatte die Bürgerschaft das Recht, den magister civium zu wählen, wenn die Ratmänner seine Einsetzung beschlossen hatten.

Neben diesen politischen erhielt die Bürgerschaft auch wirtschaftliche Rechte 204 ). Das Ackerland, welches die Stadt um 1228 besaß, wurde ihr "mit aller Nutzung" - außer dem geistlichen Zehnten - geschenkt. Der Holzschlag in den Wäldern des Landesherrn für Bau und Hausbrand war frei. Ferner hatten die Bürger die Erlaubnis, ihre Schweine so weit in den Priemer Wald und Kleest zu treiben, daß sie an dem nämlichen Tage in die Stadt zurückkehren konnten. Auch die Weiden und


197) So durften die Parchimer Bürger nach dem Stadtrecht nur zu der Heerfolge innerhalb des Landes aufgeboten werden (MUB. I Nr. 319).
198) MUB. I Nr. 607; vgl. S. 38 f.
199) MUB. I Nr. 359 § 12; s. o. S. 17. - Da dieser Satz von den Übertretern einer Ratsverordnung spricht, kann man unter subditi nur die Bürger im Gegensatz zu den Ratmännern verstehen.
200) Ebenda § 10; vgl. § 24; s. o. S. 16.
201) Meyer a. a. O. S. 77.
202) Fr. Techen, Geschichte der Seestadt Wismar. Wismar 1929, S.42.
203) MUB. I Nr. 607.
204) MUB. I Nr. 359 § 26; s. o. S. 22.
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Holzungen zwischen der Nebel und der Feldmark des Dorfes Rosin durften in gleicher Weise benutzt werden.

Schließlich findet sich in dem Stadtrecht noch die Bestimmung, daß sich jeder Bürger vor Gericht mit Hilfe eines Mitbürgers verteidigen durfte, wenn er eine Klage mit einem auswärtigen hatte; dieser aber mußte einen Güstrower Bürger als Zeugen rufen 205 ). Dieser Rechtssatz sollte wohl die Güstrower Bürger, vielleicht gerade die neuen Einwanderer, gegen ungerechtfertigte Ansprüche ihrer früheren Herren schützen.


Zweites Kapitel.

Das Verhältnis von Stadt und Landesherrn
vom 13. bis zum Ende des 15. Jahrhunderts.

Die Verfassung der Stadt Güstrow stand um 1228 unter dem überragenden Einfluß des Landesherrn. Doch waren in den wenigen Befugnissen des Rates Ansatzpunkte vorhanden, um die durch landesherrliche Übertragung erhaltene Machtstellung auszubauen und zu erweitern. Ganz allmählich gelang es der Stadt, die Schwächen des Landesherrn, hauptsächlich wohl finanzielle Schwierigkeiten 206 ), für sich auszunutzen und den Einfluß der landesherrlichen Gewalt zurückzudrängen. Wo immer sich die Gelegenheit bot, versuchte der Rat, die Vormachtstellung des Landesherrn zu durchlöchern.

I. Erweiterung des Stadtgebietes.

a) Die Güstrower Neustadt 207 ).

Die Stadt Güstrow schien nach 1226 zunächst schnell aufzublühen und zu wachsen. Im zweiten Jahrzehnt nach ihrer Gründung erhob sich neben der Stadt Heinrichs von Rostock


205) MUB. I Nr. 359 § 22; s. o. S. 21.
206) Vgl. Witte a. a. O. S. 202; P. Steinmann, Finanz-, Verwaltungs-, Wirtschafts- und Regierungspolitik der mecklenburgischen Herzöge im Übergange vom Mittelalter zur Neuzeit (MJB. 86)
207) Vgl. Hoffmann a. a. O. S. 125 f.
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sogar schon eine neue Siedlung 208 ). Diese "Neustadt" lag wahrscheinlich nördlich auf dem rechten Nebelufer gegenüber der "Altstadt", wo sich ursprünglich anscheinend auch das wendische Dorf Güstrow befand 209 ). Dafür spricht vor allem, daß im Mittelalter bis zur Zeit der Reformation in der Nähe der Stadt Güstrow auf dem rechten Ufer der Nebel nahe dem "Rostocker wege" und dem St. Jürgenhospital 210 ) eine Kirche existierte, die wahrscheinlich im Zusammenhang mit der Gründung der Neustadt entstanden war 211 ). Die Lage dieser Kirche legt die Annahme nahe, daß die Neustadt wohl auf dem rechten Nebelufer, aber nicht in unmittelbarer Nähe der Altstadt, sondern jenseits der Nebelniederung gelegen hat.

Man überschätzte jedoch die Wachstumsmöglichkeiten zweier nebeneinander liegender Orte inmitten des Landes. Nach dem raschen Aufstieg der "Gründerjahre" trat ein Umschwung ein. Die Altstadt konnte vermutlich den Wettbewerb mit der neuen Siedlung nicht aushalten, mußte anscheinend schwer um ihr Fortkommen ringen und fing an zu veröden 212 ). Auch die Stiftsherren mochten nicht mehr an dem Orte ihres Konventes


208) MUB. I Nr. 607: Über die Lage der Neustadt heißt es: " . . . nouam ciuitatem . . . eis (nämlich ciuibus in Guzstrowe) . . . adiacentem . . .". Der Zeitpunkt der Gründung läßt sich mangels jeglicher Nachrichten nicht mehr genau feststellen: der Zustand der Altstadt um 1248 (vgl. das Folgende) begründet jedoch die Ansicht, daß die Neustadt schon längere Zeit vor 1248 bestanden hat.
209) Vgl. S.9 f.
210) MUB. XXIII Nr. 12 855.
211) Schmaltz (a. a. O. S. 266) ist der Meinung, daß diese Kirche um 1235 errichtet sei, um an der Sprengelgrenze des Schweriner Bistums gegenüber der Kamminschen Stiftskirche in Güstrow die Schwerinischen Parochialrechte zu wahren. Dieses Argument kann aber für die Bestimmung der Entstehungszeit der Kirche nicht maßgebend sein, da die Streitigkeiten um die Grenzen der Bistümer Schwerin und Kammin erst im Jahre 1247 beigelegt wurden (MUB. I Nr. 590, II Nr. 857, 858 vom Jahre 1260). Viel wahrscheinlicher ist es. daß die neue Pfarre zur Zeit der Gründung der Neustadt eingerichtet und gleichzeitig auch die Kirche gebaut wurde: denn nach dem Abbruch der Neustadt (1248) war dieser Pfarrkirche der Boden für eine gedeihliche Entwicklung entzogen, ihre Bedeutung schwand immer mehr (vgl. MUB. IX Nr. 6592), schließlich wurde sie von den Bauern des Dorfes Suckow betreut (Regest zum Jahre 1459 in der Regestensammlung des Geheimen und Haupt - Archives Schwerin (im folgenden zitiert S. A. Reg.)).
212) Dieser Zustand der Altstadt läßt sich aus den in den folgenden Anmerkungen zitierten Urkundenstellen erschließen.
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bleiben. So konnte das Stift seinen geistlichen Dienst nicht mehr voll erfüllen und mußte im Jahre 1246 beschließen, den abwesenden Kanonikern die Einkünfte ihrer Präbenden zu entziehen 213 ). Schließlich war die Bürgerschaft der Altstadt nicht mehr fähig, der Wachpflicht zu genügen. Die Bürger der Neustadt mußten die Nachtwachen in der Altstadt übernehmen und wurden auch zu den Erneuerungsarbeiten an den Befestigungen herangezogen 214 ).

Diese dürftige Kenntnis vom Zustande der Altstadt um 1248 gestattet gleichzeitig auch einen Blick in die inneren Verhältnisse der Neustadt, über die jegliche Nachrichten fehlen. Geht man nämlich von der Überlegung aus, daß die neue Siedlung erst dann eine Gefahr für das Gedeihen der Altstadt werden konnte, wenn sie ihren Bürgern dieselben Vorteile bot wie die Altstadt, nämlich einen ständigen Markt, Befestigung, eigenen Gerichtsbezirk und Selbstverwaltung, dann wird man annehmen können, daß die Neustadt wahrscheinlich ein städtisches Gepräge hatte und vielleicht auch einen bürgerlichen Verwaltungskörper besaß. Dazu kam sicherlich noch der Vorteil, daß in der Neustadt das lästige Nebeneinander von einem landesherrlichen, einem geistlichen und einem bürgerlichen Verwaltungsbezirk fehlte 215 ). Dieser Umstand mochte vielleicht besonders dazu beigetragen haben, daß die Altstadt entvölkert wurde, während die neue Stadt emporwuchs.

Im Jahre 1248 griff aber der Landesherr ein. Der Fürst Nikolaus von Werle, ein Sohn Heinrichs von Rostock, fürchtete wohl für den Bestand der Altstadt. Den Neustädter Bürgern waren die Wachen und Arbeiten vermutlich lästig. Das wußte der Landesherr anscheinend für seine Interessen auszunutzen. Er "gestattete" den "Bürgern in Güstrow", die Neustadt abzubrechen und erst die Altstadt mit ansehnlichen Gebäuden zu füllen. Sollte dann der Raum nicht ausreichen, behielt sich der Fürst vor, mit Zustimmung des Rates und der Bürgerschaft die


213) MUB. I Nr. 584: "Quod ecclesia uestra propter canonicorum absenciam magnum sustinebat in spiritualibus detrimentum . . ., duxeritis statuendum, ut canonicis nolentibus residere in ea fiat suarum prouentuum substractio prebendarum" (vgl. Nr. 585).
214) MUB. I Nr. 607 ". . . antiquam ciuitatem quam hactenus diuina cooperante gratia per munitionum reparationes et noctis excubias in custodia habuerunt, . . ."
215) Vgl. S. 23 f.
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Stadt durch umfangreichere Befestigungen zu erweitern 216 ).

So wurden beide Städte vereinigt. Ferner versprach der Landesherr - vielleicht aus dem Grunde, um sich die Bürger gefügig zu machen - den Markt nicht gegen den Willen des Rates der Stadt von seiner bisherigen Stelle zu verlegen 217 ). Der Rat gewann so ein Mitbestimmungsrecht über den Markt, der bisher dem Landesherrn wahrscheinlich allein gehört hatte 218 ).

Wie die Neustadt selbst, so verschwand auch der Name "nova civitas" nach 1248, tauchte aber in Urkunden aus dem 14. Jahrhundert wieder auf; doch hatte sich inzwischen die Bedeutung der beiden Bezeichnungen "Alt- und Neustadt" gewandelt. Mit "Neustadt" wurde nämlich jetzt die Altstadt des 13. Jahrhunderts, die Gründung Heinrichs von Rostock, benannt, während die "Altstadt" die Gegend rechts der Nebel bezeichnete, wo die um 1248 abgerissene Neustadt gelegen hatte. Die beiden aus den Jahren 1350 und 1359 überlieferten Urkunden, in denen sich die Ratmänner der Stadt Güstrow "consules novi et antiqui oppidi Guzstrowe" nennen, kann man hierfür nicht heranziehen 219 ), doch läßt sich aus andern Urkunden diese merkwürdige Erscheinung erkennen. Bei Auseinandersetzungen des Stiftskapitels mit den Fürsten von Werle im Anfang des 14. Jahrhunderts wurde nämlich das Pfarrecht der Stiftskirche und das der "Kirche der alten Stadt Güstrow" hervorgehoben 220 ). Diese ecclesia antique ciuitatis war nun aber nicht die Kirche der Altstadt Güstrow (der Gründung Heinrichs von Rostock) 221 ), sondern die vor der Stadt gelegene Kirche der um 1248 abge-


216) MUB. I Nr. 607: ". . . quod ciuibus nostris in Guzstrowe commorantibus pro dono quodam contulimus nouam ciuitatem funditus destruendam . . . et antiquam ciuitatem . . . edificiis honestis repleant et subleuent, tali tamen prehabita conditione, quod, si nostro, consulum eorumque placuerit consilio, opidum nostrum Guzstrowe scilicet per munitiones ampliores possumus ampliare."
217) Ebenda: "Preterea decreuimus forum absque consulum ciuitatis consilio a loco modo habito nullatenus transferendum."
218) Vgl. S. 24.
219) In MUB. XIV Nr. 8675 ist "consules novi et antiqui oppidi Guzstrowe" mit: "neue und alte Ratsherrn der Stadt Güstrow" zu übersetzen (Ratswechsel, vgl. MUB. XVII S. 545 1. Spalte und diese Arbeit S. 65/66). Demgemäß ist anzunehmen, daß MUB. X Nr. 7060: "des Raths der alten und neuen Stadt Güstrow" von Clandrian falsch übersetzt ist.
220) MUB. VI Nr. 3597 (1313) und IX Nr. 6244 (1342)
221) Wie Hoffmann a. a. O. S. 126 annimmt.
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brochenen Neustadt, deren Pfarrecht ausdrücklich bezeugt ist 222 ). Denn die Pfarrkirche 223 ) auf dem Markt der Altstadt war mit dem Kollegiatstift verbunden 224 ) und so eine Filial - Pfarrkirche der Stiftskirche, die bis zur Erbauung der Kirche auf dem Markt, wie in Schwerin der bischöfliche Dom bis zur Errichtung der Nikolaikirche 225 ), die einzige Pfarrkirche der Stadt Güstrow war. Die Kirche der 1248 abgerissenen Neustadt wurde aber, solange sie bestand, "ecclesia antiquae civitatis" genannt 226 ). Sie nahm so den Namen des auf dem rechten Nebelufer gelegenen alten Wendendorfes, des ursprünglichen "Alt - Güstrow", an, wo im 13. Jahrhundert die Neustadt gegründet wurde und sich hernach in der Nähe des St. Jürgenhospitals die "Kirche der alten Stadt Güstrow" erhob. Vielleicht haben sich im Jahre 1248 die Ratskollegien der beiden Städte vereinigt 227 ). Für diese Annahme spricht, daß im Jahre 1248 neun "Bürger" dem Güstrower Rat angehörten 228 ), während das erste Ratskollegium (1228) vermutlich nur von sechs "Bürgern" gebildet wurde 229 ). Die anscheinend infolge der Vereinigung von Alt- und Neustadt vergrößerte Zahl der Ratmänner blieb dann mit kleinen Abweichungen im ganzen Mittelalter bestehen 230 )

b) Veränderungen innerhalb der Stadt.

Seit der Gründung der Stadt Güstrow zerfiel das innere Stadtgebiet in drei Verwaltungsbezirke, die um so unabhängiger voneinander waren, als sie drei verschiedenen Instanzen unterstanden. Den Hauptteil bildete das Gebiet des Rates.


222) MUB. IX Nr. 6592.
223) Diese Pfarrkirche wird in den Urkunden ecclesia forensis, ecclesia forensis parrochialis, ecclesia parrochialis, auch Pfarrkirche zu St. Marien, aber nur einmal in einem deutschen Regest (MUB. XXIII Nr. 13 505) Stadtkirche genannt.
224) MUB. V Nr. 3211 und XXIV Nr. 13 598.
225) Hoffmann a. a. O. S. 20.
226) MUB. II Nr. 1178, IX Nr. 6571 und 6592. X Nr. 6700, XIV Nr. 8428, XV Nr. 9123, XX Nr. 11 377; S. A. Reg. 1459; Reg. 1485 (Fr. Thomas, Analecta Gustroviensia 1706, pag. 62); Kirchenvisitationsprotokoll von 1534 (zit. nach Fr. Schlie, Die Kunst- und Gesch.- Denkmäler d. Großherz. Meckl. - Schw. Bd. IV, Schwerin 1901 S. 189).
227) Dieser Ansicht ist auch Hoffmann a. a. O. S. 125 f.
228) MUB. I Nr. 607, vgl. S. 28.
229) Vgl. S. 28.
230) Vgl. S. 67 f.
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Daneben lagen die beiden Stadtfreiheiten, die Burgfreiheit des Landesherrn und die Domfreiheit des Kollegiatstiftes 231 ). So war der Rat innerhalb der Stadt in seiner Bewegungsfreiheit eingeengt. Dazu kam noch, daß ursprünglich sogar der Mittelpunkt des gesamten städtischen Lebens, das Marktgelände, höchstwahrscheinlich dem Landesherrn allein gehörte 231 ).

Das Streben einer erstarkenden Gemeinde mußte darauf gerichtet sein, diese Sonderbezirke in die Hand zu bekommen. Im Jahre 1248 gelang es dem Rat zunächst, durch Ausnutzung einer gewissen Zwangslage des Landesherrn beim Abbruch der Neustadt ein Mitbestimmungsrecht über den Markt zu erhalten 232 ). Über die Bemühungen des Rates, sein Gebiet auf Kosten der beiden Stadtfreiheiten zu erweitern, geben einige Urkundliche Nachrichten aus dem 14. Jahrhundert Kenntnis. So kaufte die Stadt im Jahre 1303 "mit Zustimmung und Rat des Fürsten Nikolaus II. von Werle einen Hof" (curia) von einem gewissen Appollonius Staal, der vermutlich ein Vasall des Fürsten war 233 ). Diesen Hof verlieh dann der Landesherr der Stadt "zu voller Freiheit", doch unter der Bedingung, daß ein dazu gehöriger Wald nicht ausgerottet werden dürfe 234 ). Aus dem fürstlichen Konsens kann man schließen, daß dieser Hof wahrscheinlich auf der Burgfreiheit lag und daher nur mit Zustimmung des Fürsten veräußert werden konnte. Später erfährt man von Grenzstreitigkeiten der Stadt mit dem Stiftskapitel. Ein Schiedsspruch des Fürsten Nikolaus II. von Werle und des Bischofs Heinrich von Kammin schlichtete im Jahre 1313 den Streit um das Ziegelhaus und einen Hof an der Ecke der Domstraße zugunsten der Kleriker. Das Haus sollte das Stiftskapitel "für ewig frei besitzen"; der Hof sollte "mit seinen Zugehörigkeiten" zu dem rechtmäßigen Eigentum der Stiftskirche gehören und "von jeder bürgerlichen Last" frei sein 235 ). Auch im Jahre 1345 entstanden zwischen dem Kapitel und der Stadt Streitigkeiten um den Besitz eines Hauses, welches ein Vikar Johannes Gutiar zu geistlichen Zwecken vermacht hatte. Die Ratmänner der Stadt erhoben aber Einspruch gegen ein solches Vermächtnis, "quod, quia talis domus in eorum esset sita proprietate, dictus Johannes Gutiar non posset eam ad usus


231) Vgl. S. 24.
231) Vgl. S. 24.
232) S. o. S. 38 f.
233) Vgl. MUB. XI, Personenreg., S. 599, Sp. 1.
234) MUB. V Nr. 2837.
235) MUB. VI Nr. 3636.
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ecciesiasticos legare vel donare nisi de ipsorum licencia speciali". Ein Vergleich entschied, daß die jeweiligen Inhaber "pro recognitione ea, qua dicta domus praedictis consulibus est et fuit subiecta", jährlich eine bestimmte Abgabe für die Wachen (ad precem vigilum) entrichten sollten 236 ). Eine ähnliche Sachlage wie diesem Vergleich liegt einer Ratsurkunde aus dem Jahre 1359 zugrunde. Der Rat der Stadt verlieh den Vikaren der Blutskapelle für eine jährliche Rente von drei Mark die Freiheit von den Städtischen Abgaben und Diensten, die sie für ihre Häuser und Grundstücke leisten mußten. Doch sollte die Befreiung nur für die Lebenszeit der beiden Vikare gelten, die Häuser und Grundstücke zu Stadtrecht liegen bleiben und vor allem nicht von der Städtischen Gerichtsbarkeit befreit sein 237 ). Im Jahre 1368 schenkte die Stadt wahrscheinlich anläßlich der Beendigung eines langen Streites 238 ) dem Propst Gerhard von Struncken ein Haus mit einem Hofe, "Dergestalt das erwentes hauß vnd Hoff vnd desselben einwonere aller burgerlichen vnflicht frey sein sollen nu vnd zu ewigen Zeiten, alleine das Gerichte soll die Stadt darin behalten" 239 ).

Diese dürftige Kenntnis 240 ) von den Veränderungen innerhalb der Stadt deutet auf den Widerstand hin, den der Rat mit seinen Ausdehnungsversuchen bei dem Stiftskapitel erfuhr 241 ). Auch den landesherrlichen Verwaltungsbezirk vermochte der Rat wahrscheinlich nur unwesentlich zu verringern. Die "Domfreiheit" dagegen wurde aber nicht nur auf Kosten der Stadt, sondern auch durch Schenkungen und Verkäufe der Fürsten und ihrer Vasallen erweitert 242 ).

c) Erweiterung der Stadtfeldmark.

Die Begründung einer Güstrower Stadtfeldmark geht auf die Bestätigungsurkunde des Schwerin - Güstrower Stadtrechtes


236) MUB. XXV Nr. 14 241.
237) MUB. XIV Nr. 8675.
238) Vgl. MUB. XIV Nr. 8726, 8733, 8796, XV Nr. 8873 und XVI Nr. 9737.
239) MUB. XVI Nr. 9738.
240) Außer den genannten Beispielen vgl. noch MUB. V Nr. 2858, XX Nr. 11 643, XXII Nr. 12 479.
241) Wie in Rostock und Wismar hatte das Kloster Doberan auch in Güstrow einen Hof, der im Jahre 1433 von dem Kloster Michaelstein "mit aller vriheyt" außer einer jährlichen Abgabe von einer Mark "tho schate" erworben war (MJB. 12 (1847) S. 329).
242) Vgl. MUB. X Nr. 6611, 7316, XIII Nr. 7439, XV Nr. 8941, 9016, 9108, S.A. Reg. 15. VI. 1435.
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vom 1. November 1228 zurück. In diesem Privileg wurden der Stadt die Äcker, die sie damals besaß, "mit aller Nutzung außer dem bischöflichen Zehnten" geschenkt 243 ). Obgleich an dieser Stelle nicht angegeben ist, wo sich die ursprüngliche Feldmark befand, weist doch die ausdrückliche Hervorhebung der Zahlung des bischöflichen Zehnten auf ihre Lage hin. Im Jahre 1332 verkaufte nämlich der Bischof Ludolf von Schwerin dem Rat der Stadt Güstrow alle Zehntenhebungen von den Äckern des "größeren Güstrowschen Stadtfeldes" 244 ). Seit der Mitte des 13. Jahrhunderts gehörte aber nach der Feststellung der Grenzen des Schweriner Bistums nur das Land nördlich der Stadt mit der "Kirche der alten Stadt Güstrow" zur Schweriner Diözese 245 ) und war daher diesem Bischof abgabepflichtig. Deshalb konnte im Jahre 1332 der Schweriner Bischof auch nur Zehntenhebungen über ein Feld verkaufen, welches nördlich der Stadt lag 246 ). Dieses "Grote velt" des 14. Jahrhunderts 247 ) gehörte aller Wahrscheinlichkeit nach zu der 1228 geschenkten Feldmark oder war vielleicht die ganze ursprüngliche Feldmark, weil alle späteren, aus Urkunden bekannten größeren Erwerbungen der Stadt Güstrow sich in anderen Gegenden befanden und daher nicht zu dem Schweriner Bistum gehören konnten. So kann man gewiß annehmen, daß sich die ursprüngliche Güstrower Feldmark nördlich der Stadt nach dem Dorf Suckow hin erstreckte.

Die ursprüngliche Stadtfeldmark ist bei der Gründung der Neustadt 248 ) vermutlich nicht erweitert worden, da die Neustadt ja wahrscheinlich nördlich der Altstadt Güstrow und gewiß innerhalb der Feldmark der Altstadt gelegen hat.

Erst am Ende des 13. Jahrhunderts (im Jahre 1293) gelang es der Stadt zum erstenmal, das Geldbedürfnis des Landesherrn - das offenbar durch die kriegerischen Wirren innerhalb des Werleschen Fürstenhauses hervorgerufen war 249 ) - zur Erweiterung der Stadtfeldmark zu benutzen. Für einen Preis von 250 Mark kaufte die Stadt von dem Fürsten Nikolaus II.


243) MUB. I Nr. 359 § 26, s. o. S. 22.
244) MUB. VIII Nr. 5367.
245) Vgl. H. Grotefend, Die Grenzen des Bistums Kammin, MJB. 66 (1901) S.3.
246) Vgl. MUB. II Nr. 826.
247) Vgl. MUB. IX Nr. 6241.
248) Vgl. S. 36 ff.
249) Vgl. Witte a. a. O. S. 176.
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außer dem dritten Teil der Gerichtsbarkeit in der Stadt und auf der Stadtfeldmark auch das Dorf Thebbezin mit dem dritten Teil der höheren und niederen Gerichtsbarkeit und der Erlaubnis, das Dorf zu legen oder, wenn es wünschenswert sei, wiederaufzubauen oder auf irgendeine andere Weise nach dem Wunsch des Rates und nach dem Nutzen der Bürger mit ihm zu verfahren 250 ). Alle schuldigen Pflichten, wie Beden, Burg-, Städte- und Brückenbau oder Heeresfolge sollten die Bauern des Dorfes, solange sie noch dort verweilten, dem Güstrower Rat leisten 250). Anscheinend wurde das Dorf Thebbezin bald darauf gelegt; denn nach 1293 verschwindet es aus der urkundlichen Überlieferung. Nur der Name der Feldmark und des Sees wird noch genannt 251 ). Die Erwähnung des Thebbeziner, des heutigen Sumpfsees, läßt einen Rückschluß auf die Lage des Dorfes zu. Es lag wahrscheinlich an der nördlichen Seite des Sumpfsees, die Feldmark erstreckte sich südwestlich der Stadt und wurde im Westen von dem im Jahre 1375 erworbenen Dorf Glin und im Süden von dem Dorf Glevin begrenzt 252 ), welches im Jahre 1323 durch Kauf in die Hand der Stadt kam 253 ).

Im Jahre 1293 wurde der Geltungsbereich des Stadtrechtes auch auf die Stadtmühle ausgedehnt. Diese Mühle, die vor dem Mühlentore lag, hatte ursprünglich dem Landesherrn gehört und war in den Jahren 1287 und 1292 für einen Preis von 1510 Mark an das Kloster Doberan verkauft worden 254 ).

Im Jahre 1293 erwarb dann der Doberaner Konvent für 100 Mark die Befreiung der Mühle vom Landrecht und allen daraus erwachsenen Verpflichtungen; die Mühle sollte zu ewigen Zeiten unter Stadtrecht stehen 255 ). Die Bedeutung dieses Kaufes lag für das Kloster darin, daß es als Eigentümer dieser Mühle von diesem Zeitpunkt an von jeder geldlichen Leistung


250) MUB. III Nr. 2200.
251) MUB. III Nr. 2417, VI Nr. 3636 und XIV Nr. 8691.
252) MUB. III Nr. 2417.
253) Der Thebbeziner See wurde der Stadt im Jahre 1293 anscheinend nicht verkauft. In einer Urkunde von 1359 wird nämlich den consules nur das Recht der Fischerei (priuata piscatura) und die Befugnis bestätigt, zu diesem Zwecke zwei Kähne auf dem See halten zu dürfen. Nach dieser Urkunde darf man annehmen, daß der Landesherr in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts diesen See noch als Eigentum besaß (MUB. XIV Nr. 8691).
254) MUB. III Nr. 1936. 2169.
255) MUB. III Nr. 2238, 2239, 2240.
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an den Landesherrn befreit war, in der Stadt aber keine Abgaben zu zahlen hatte. Den Kaufpreis sollte der jeweilige Pächter der Mühle durch einen jährlichen Pachtzuschlag von 10 Mark wieder aufbringen 256 ). Wie weit die Stadt Vorteile von dieser Übertragung hatte, kann man nicht mehr feststellen. Das alleinige Mahlrecht dieser Mühle in der Stadt, welches das Kloster im Jahre 1287 erhalten hatte 257 ), wurde nicht aufgehoben; vielleicht hatte aber der Müller die Bürgerpflichten zu erfüllen, da auch in der vom Güstrower Rat über diesen Rechtsvorgang ausgestellten Urkunde eine Befreiung des Müllers von Städtischen Lasten nicht erwähnt wird.

Wichtiger war für die Stadt, daß Fürst Nikolaus II. von Werle im Jahre 1305 - wieder in einer unruhigen kriegerischen Zeit - für eine Summe von 720 Mark und 7 Schillingen das Stadtrecht nach der Form der Urkunde vom 1. November 1228 258 ) bestätigte und gleichzeitig die Gerechtsame der Stadt in den Wäldern Priemer und Kleest erweiterte 259 ). Die Bürger waren zwar seit 1228 berechtigt, das Holz für Bau und Holzbrand in den Wäldern zu schlagen 260 ), jetzt aber bekamen sie anscheinend das alleinige Nutzungsrecht in den beiden Wäldern 259). Denn ausdrücklich wurde das Verbot erlassen, daß fürstliche Vögte oder andere Beamte Holz aus den Wäldern fahren dürften 259). Ferner verzichtete der Landesherr auch auf die Abgaben und Fuhrdienste der Bürger, die sie ihm neuerdings gewohnheitsmäßig (uelud ex consuetudine quadam) als Anerkennung für den Holzschlag geleistet hatten 259). Außerdem erweiterte Fürst Nikolaus II. die Weidegerechtigkeit der Stadt im Priemer und im Kleest dahin, daß die Bürger ihre Schweine nicht nur wie seit dem Jahre 1228 am Tage zur Mast in die Wälder treiben konnten 260), sondern daß die Tiere "wegen des größeren Vorteils" auch nachts außerhalb der Stadt bleiben dürften, solange die Mastzeit dauerte 261 ).


256) Ebenda.
257) MUB. III Nr. 1936: "Nullus eciam molendarinorum extra ciuitatem Guzstrowe longe vel prope residencium in ciuitate predicta annonam afferre et extra ciuitatem molendi causa debet ducere ad suum vel ad alterius molendinum".
258) Vgl. S. 12; MUB. V Nr. 3024.
259) MUB. V Nr. 3024.
260) Vgl. o. S. 22.
261) MUB. V Nr. 3024.
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Zwei Jahre später (1307) gelang es den Ratmännern, für 310 Mark von dem Fürsten Nikolaus II. das Eigentumsrecht, die Dienstfreiheit und jegliche Fischerei des Gutower Sees zu erkaufen, " sicut nos (nämlich der Fürst) a primo ipsum stagnum possedisse dinoscimur" 262 ). Doch hatte man bei dem Vollzug dieser Übertragung anscheinend außer Acht gelassen, daß das Güstrower Stiftskapitel seit seiner Gründung im Jahre 1226 berechtigt war, für den Bedarf der Stiftsherren eine Fischereigerechtigkeit (priuatam piscacionem) auf dem Gutower See auszuüben 263 ). Das Stift bestand, wie es scheint, auf seinem Recht; denn in dem Schiedsspruch von 1313, der die Streitigkeiten zwischen Stift und Stadt beilegen sollte, wurde zugunsten des Stiftskapitels entschieden, daß die Kanoniker die Fischerei auf dem Gutower See ausüben dürften, wie es in dem darüber angefertigten Privileg hieße 264 ).

Die bedeutendste Erwerbung für die Stadt in dieser Zeit war das Dorf Glevin, welches ursprünglich Eigentum des Landesherrn war und wahrscheinlich östlich der Stadt Güstrow lag 265 ). Seine Feldmark erstreckte sich südlich und östlich der Stadt und wurde begrenzt durch den Thebbeziner (Sumpfsee), durch die Feldmark des Dorfes Gutow und den Gutower See, durch die Feldgrenzen des Dorfes Rosin und durch die Nebel, die so eine natürliche Grenze für einen großen Teil der Gleviner Feldmark bildete 266 ). Von diesem Dorfe hatte der Fürst Nikolaus II. dem Zisterzienserkloster Michaelstein im Bistum Halberstadt im Jahre 1292 die Mühle geschenkt, die an dem Ausfluß des Gutower Sees errichtet war 267 ). Dann hatte das Kloster 1296 für 380 Mark das ganze Dorf gekauft mit dem niederen und dem dritten Teil des höchsten Gerichtes und der Anordnung, daß die Äcker des Dorfes niemals von neuem vermessen werden dürften, und in den folgenden Jahren auch die Rechte erworben, die das Güstrower Stift und der Ritter von Geetz in dem Dorfe besaßen 268 ). Im Jahre 1323 ging das Dorf mit der Mühle und allen Gerechtigkeiten, wie es das


262) MUB. V Nr. 3159.
263) MUB. I Nr. 323.
264) MUB. VI Nr. 3636.
265) Vgl. z. Folg. G. C. F. Lisch, Gesch. der Besitzungen des Klosters Michaelstein in Mecklenburg, MJB. 12 (1847) S. 4 ff.
266) MUB. III Nr. 2417.
267) MUB. III Nr. 2163.
268) MUB. IV Nr. 2490 und V Nr. 2921.
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Kloster Michaelstein besessen hatte, in die Hand der Stadt über 269 ). Gleichzeitig verkauften die Fürsten Johann II. und Johann III. von Werle der Stadt für 500 Mark all ihre Bede aus dem Dorfe und der Mühle, die Münzpfennige und das gesamte höchste Gericht und bestimmten ausdrücklich, daß das Dorf und die Mühle ewig zum Hoheitsgebiet der Stadt gehören sollten 270 ). Über den Verkauf des Dorfes entstanden dann Streitigkeiten zwischen dem Kloster und der Stadt. Erst im Jahre 1326 beendeten die Landesherren durch ihre Vermittlung den Zwist und ließen bescheinigen, daß die Stadt den ganzen Kaufpreis gezahlt habe 271 ). Über das weitere Schicksal des Dorfes schweigt die urkundliche Überlieferung; man darf wohl annehmen, daß das Dorf bald gelegt, die mühle aber mehr in der Nähe der Stadt wiedererrichtet wurde 272 ). Doch kam die Stadt wahrscheinlich nicht zur vollen Ausnutzung der Mühle, da der Mahlzwang der Doberaner Klostermühle in Güstrow 273 ) nicht aufgehoben wurde. Mit dem Kauf des Dorfes Glevin war die finanzielle Kraft der Stadt Güstrow wahrscheinlich vorläufig erchöpft. Die Streitigkeiten mit dem Kloster Michaelstein, die anscheinend durch die uns unbekannte - Höhe des Kaufpreises hervorgerufen waren, zeigen ebenso wie die Ausstellung der Empfangsbescheinigung drei Jahre nach der Vollziehung des Kaufes, wie schwer die Stadt anscheinend das Geld aufbringen konnte. Doch gelang es dem Rat der Stadt trotzdem noch im Jahre 1332, von dem Bischof Ludolf von Schwerin unter Zusicherung des Rückkaufrechtes alle zur bischöflichen Tafel gehörigen Zehntenhebungen von den Äckern des "größeren" Güstrowschen Stadtfeldes für einen Preis von 100 Mark zu erkaufen 274 ). In den folgenden Jahrzehnten vermochte der Rat aber sein Gebiet nicht mehr zu vergrößern.

Erst im Jahre 1371 konnte der Rat dann wieder eine Erweiterung der Stadtfeldmark vornehmen. Für eine Anleihe von 100 Mark verpfändete nämlich Fürst Lorenz von Werle seinen "leuen radmannen der stad to Gustrowe" Sechs Hufen auf dem Gutower Felde zwischen der Landwehr und dem Stadt-


269) MUB. VII Nr. 4475.
270) MUB. III Nr. 4475: "Sed uilla . . . iudicio et iuri ciuitatis, quod in uulgo statrecht dicitur, perpetuo subiacebit."
271) MUB. VII Nr. 4736.
272) Vgl. Lisch a. a. O. S. 13.
273) Vgl. S. 45.
274) MUB. VIII Nr. 5367, vgl. S. 43.
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felde von Güstrow "mied alme rechte vnde mit alme denste vnde mid allerleye bede, de wy pleghen to biddende vnde noch up eyn nye bidden moghen an tokomende taren sunder hundekorn", das die "ratlude" nur in den nächsten zwei Jahren erheben sollten 275 ).

Vier Jahre später - im Jahre 1375 - zwang die Geldnot den Fürsten Lorenz zu dem Verkauf eines erst von seinem Vater Nikolaus III. erworbenen Dorfes 276 ) Der Fürst mußte mit seinem Bruder Johann das Dorf Glin in der "vagedie to Gustrow" an die Stadt veräußern für einen Preis von 1800 Mark, welche die Fürsten zur Auslösung ihrer Stadt Plan (für 2000 Mark Silber) brauchten 277 ) Mit dem Dorf gingen auch gleichzeitig das ganze höchste und niedere Gericht und alle Abgaben und Dienste in die Hand der Stadt über. Dazu kam die Erlaubnis, das Dorf legen und die Äcker zum Stadtfelde schlagen zu dürfen. Im folgenden Jahre kaufte die Stadt von dem Stiftsherrn Heinrich Gamm auch die Kornhebungen, Pacht- und Hühnergelder, die dieser noch in dem Dorf Glin besessen hatte 278 ). Auch dieses Dorf wurde anscheinend bald gelegt; denn im Jahre 1385 kennt man nur noch das "Gliner feld" 279 ) Der Name der Feldmark, der sich in der Bezeichnung "Gliner Weide" noch bis heute gehalten hat, deutet daraufhin, daß dieses Dorf sich mit seiner Feldmark wahrscheinlich westlich der Stadt vermutlich bis zum Parumer See hin erstreckte.

Erst um die Mitte des 15. Jahrhunderts konnte die Stadt wieder neue Besitzungen erwerben. Sie kaufte im Jahre 1445 vom Herzog Heinrich dem Jüngeren zu Mecklenburg die Walkmühle zu Rosin für 300 Mark unter Zusicherung des Rückkaufrechtes 280 ). Diese Mühle war von dem Kloster Michaelstein angelegt worden, das Rosin bereits seit 1229 besaß 281 ) Dann wurde die Mühle im Jahre 1433 mit den übrigen Gütern dieses Klosters von dem Kloster Doberan erworben und später an Herzog Heinrich verkauft 282 ). Bei dem Verkauf an Güstrow wurden die Bauern von Kirchrosin verpflichtet, zur Verbesse-


275) MUB. XVIII Nr. 10 169.
276) MUB. XVIII Nr. 10 768.
277) MUB. XVIII Nr. 10 773, 10 768. XIX Nr. 10 947.
278) MUB. XIX Nr. 10947.
279) MUB. XX Nr. 11 668, XXI Nr. 11 832.
280) S. A. Reg. 10. XI. 1445.
281) MUB. I Nr. 369.
282) Vgl. Lisch a. a. O. S. 13.
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rung der Mühle Fuhrdienste und Arbeiten zu leisten, anderenfalls die Güstrower Ratmänner sie pfänden dürften. Doch sollten Neubauten erst von dem Güstrower "ammetman" und einem Ratsmitglied besprochen werden 283 ).

Der wichtigste Kauf der Stadt Güstrow war der des Dorfes Glasewitz von der Familie Nortmann im Jahre 1449. Das ganze Dorf wurde mit dem Libowsee und "myt allem richte,

hoghest vnde sydest, alse hand vnde hals, ... myt allem denste, bede, hundekorn, myt dem Kleeste, myt allem holte, mitt den zeen . . . myt dem ghantzen velde" für 2600 Mark erworben 284 ). Die Gefälle der 1365 gegründeten Vikarien zu Recknitz 285 ) aus dem Dorfe Glasewitz sollten die Güstrower Ratmänner entrichten und auch das Patronat darüber erhalten 286 ). Obgleich Herzog Heinrich diesen Verkauf beurkundete 287 ), entspann sich doch im Jahre 1484 ein erbitterter Streit um den Besitz des Dorfes, da ein Ewald Vieregge berechtigte Ansprüche auf das Dorf, den Libowsee und die Forst zu haben glaubte 288 ). Dieser Streit wurde von den Herzögen Magnus und Balthasar von Mecklenburg im Jahre 1488 zugunsten des Güstrower Rates entschieden und Ewald Vieregge auch noch zur Rückzahlung eines Darlehens über 100 Mark angehalten 289 ).

Endlich konnte die Stadt auch die Güstrower Stadtmühlen in Besitz nehmen. Die Mühle vor dem Mühlentor gehörte bereits seit dem Ende des 13. Jahrhunderts dem Kloster Doberan 290 ). Die Mauermühle wurde anscheinend erst von diesem Kloster angelegt 291 ). Im Jahre 1452 verkaufte dann der Doberaner Konvent für 2000 rheinische Goldgulden diese beiden Mühlen und andere Besitzungen an die Stadt 292 ). So erwarb die Stadt zunächst die Mühle vor dem Mühlentor (vnses closters molen, alse . . . veer grynde vor deme molendore), ferner die Mauermühle (twe ghrint an der stad muren)


283) S. A. Reg. 10. XI. 1445.
284) S. A. Reg. 26. I. 1449.
285) MUB. XV Nr. 9325.
286) S. A. Reg. 1. II. 1449.
287) S. A. Reg. 26. 1. 1449.
288) S. A. Reg. 29. X. 1484.
289) S. A. Reg. 2. V. 1488.
290) Vgl. S. 44 f.
291) Erst im Jahre 1354 hört man von dem Vorhandensein einer zweiten Mühle in Güstrow (MUB. XIII Nr. 7972: ex censu nostro pecuniario molendinorum in Gustrowe).
292) S. A. Reg. 14. XI. 1452.
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mit allem Zubehör, Freiheiten, mit dem jährlichen Zins und dem ganzen Eigentum 292 ). Dazu kam die Mühle in Klein Sprenz, ferner sechs Hufen in Siemitz und zwei Hufen in Klein Schwiesow mit dem höchsten Gericht über das ganze Dorf und Feld 292 ). Im folgenden Jahre (1453) ließ sich die Stadt Güstrow als derzeitiger Eigentümer der Güstrower Mühlen von Bürgermeistern und Ratmannen der Stadt Rostock die Privilegien der Mühlen in Güstrow und in Klein Sprenz bestätigen. So durfte "vp ene myle weghes" bei den Mühlen keine "watermolen ofte wintmolen" errichtet werden. Auch mußten die Einwohner der Dörfer Groß - Sprenz, Siemitz, Kritzkow, Göldenitz, Niendorf, Wiendorf und Rukieten zu ewigen Zeiten als "molengheste in Klein Sprenz mahlen 293 ).

Mit diesen Erwerbungen war die Stadt Güstrow nun im Besitz von fünf Mühlen. Die älteste Stadtmühle war die Gleviner Mühle, die bereits seit 1323 der Stadt gehörte 294 ) Erst im 15. Jahrhundert gelang der Kauf der anderen Mühlen. Hierzu kam dann noch im Verlauf des 16. Jahrhunderts die Poliermühle in Güstrow, welche die Stadt den Herzögen Heinrich und Albrecht zu Mecklenburg auf städtischem Gebiet (vff dem iren) erbaut und dem herzoglichen Plattner Jakob Lützenberger für einen jährlichen Zins von fünf Gulden, dann aber den Herzögen und ihm "zu gefallen" frei überlassen hatte. Dafür versprachen die Herzöge im Jahre 1532, "das gemelte Borgermeister vnnd Rathmann . . . nach absterbenn gedachts Platteners angezeigt Polier Mollen cwiet vnnd frey wedder ann sich nhemen, vnnd damit ires gefallens zu gemeiner stadt nutz ir bestes schaffen mogen" 295 ).

II. Steuer- und Finanzwesen

Alle Bürger waren wahrscheinlich schon seit der Gründung der Stadt verpflichtet, dem Landesherrn jährlich eine Steuer (Bede, petitio) zu entrichten 296 ). Diese wurde von dem Landesherrn kraft seiner Landeshoheit erhoben und wohl durch


292) S. A. Reg. 14. XI. 1452
292) S. A. Reg. 14. XI. 1452
293) S. A. Reg. 12. III. 1453.
294) Vgl. S. 46 f.
295) Gü. A. Urk. 25. I. 1532
296) P Steinmann, Die Geschichte der Mecklenburgischen Landessteuern und der Landstände bis zu der Neuordnung des Jahres 1555, Rostock, gekr. Preisschr. 1914, MJB. 88 (1924) S. 24 ff.
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seinen Vertreter, den Vogt, von den einzelnen Bürgern eingezogen 297 ). Im Jahre 1264 verlieh aber der Fürst Nikolaus von Werle den "dilectis ciuibus in Guzstrowe commorantibus propter bonum nostrum et ciuitatis . . . petitionem pro C marcis annis singulis persoluendis, ita tamen quod prefatum flumerum petitionis in perpetuum non excedant" 298 ). Durch diese Verleihung erhielten die consules offenbar das Recht, die Erhebung der Steuer, die auf eine Pauschalsumme von 100 Mark festgesetzt war (Orbör), selbst durchzuführen und die Steuerquoten nach ihrem Ermessen auf die einzelnen Bürger (und zwar als "Schoß") umzulegen.

Im Jahre 1292 vermochte die Stadt die Steuerleistung für den Landesherrn noch erheblich zu vermindern. Begünstigt wurde dies offenbar durch die kriegerischen Wirren innerhalb der Herrschaft Werle, die nach der Ermordung des Fürsten Heinrich infolge der Besetzung des Landes durch seinen Neffen Nikolaus II. von Werle - Parchim hervorgerufen waren 299 ). Wahrscheinlich brauchte der neue Landesherr Geld, um seine Ansprüche auf das Land nachdrücklich vertreten zu können, und verkaufte daher für 400 Mark der Stadt Güstrow von dem Teil der allgemeinen Steuer, der ihm rechtmäßig gebührte, eine jährliche Hebung von 40 Mark 300 ), so daß die Stadt in Zukunft, wie es scheint, statt der im Jahre 1264 festgesetzten jährlichen Steuer von 100 Mark nur noch 60 Mark für die Landesherrschaft aufbringen mußte. Freilich steht im Widerspruch zu dieser Annahme die Tatsache, daß nach vorhandenen Urkunden aus dem 15. Jahrhundert die Stadt Güstrow in dieser Zeit eine wesentlich höhere Steuer entrichten mußte. So verpfändeten im Jahre 1418 die Brüder Balthasar und Wilhelm von Werle an Bürgermeister und Ratmänner der Stadt Güstrow 17 Mark "vfer orbar van vnde vthe deme schote vnser stad to Gustrowe", für zwei Anleihen von insgesamt 170 Mark 301 ). Außerdem mußte die Stadt aber im Jahre 1432 noch 80 Mark Orbör entrichten, die in diesem Jahre der Fürst Wilhelm von


297) Fr. Techen, Über die Bede in Mecklenburg bis zum Jahre 1385, MJB. 67 (1902) S. 60; Steinmann a. a. O. S. 25, 29.
298) MUB. II Nr. 1015.
299) Witte a. a. O. S. 176.
300) MUB. III Nr. 2171: " . . . vendidimus . . . anuatim de collecta communi, uulgariter schot dicitur, XL marcarum redditus . . . de parte nos legitime contingente pro quadringentis marcis denariorum . . . "
301) S. A. Reg. 15. II. und 7. IV. 1418.
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Wenden der Güstrower Blutskapelle vermachte 302 ). Dieselbe Steuersumme wurde auch im Jahre 1484 an die Vikare der Blutskapelle abgeführt 303 ).

Die Stadt zahlte ihre Orbör in der Regel wahrscheinlich an den Landesherrn oder an seinen Vertreter, den Güstrower Vogt. Doch kam es vor, daß die Steuer verpfändet war und die Stadt dann vermutlich an den Pfandinhaber ihre Zahlung entrichtete. So versetzte der Fürst Johann II. von Werle im Jahre 1318 den Lübecker Bürgern Gerhard und Wenemar Niding eine jährliche Hebung von 30 Mark aus dem Schoß der Stadt Güstrow 304 - 305 ). Im Jahre 1339 verkauften die Fürsten Nikolaus und Bernhard von Werle dem Güstrower "Bürger" Dietrich Prahst 30 Mark aus dem Schoß der Stadt. Doch sollte in jedem Jahre zu Weihnachten den Fürsten oder ihren Beamten "pro servitio" ein Paar Schuhe geliefert werden 306 ). Im Jahre 1376 wurde aber bei einer Traussumierung dieser Urkunde durch den Fürsten Lorenz von Werle den Bürgermeistern und Ratmannen der Stadt Güstrow der Auftrag gegeben, diese 30 Mark dem jeweiligen Besitzer auszuhändigen, sowie sie das Geld bisher den Vorfahren der Fürsten und Lorenz selbst von alters her entrichtet hatten 306 ). Im Jahre 1412 verpflichtete sich der Güstrower Rat ausdrücklich zu einer Zahlung von 50 Mark von Schoß und Orbör der Stadt an den "ehrbaren" Cord Brokere, die dieser wiederkäuflich für 500 Mark von dem Fürsten Nikolaus von Werle erworben hatte 307 - 308 ).

Eine allgemeine Stadtsteuer wurde wahrscheinlich seit dem Jahre 1264 vom Güstrower Rat erhoben, da in diesem Jahre die Ratmänner offenbar das Recht der Steuererhebung erlangt hatten 309 ). Dieser "Schoß" war eine Vermögenssteuer, die wahrscheinlich von Kapital und Grundstücken gewöhnlich am St. Johannistage 310 - 311 ) zu zahlen war. Über den Satz des Schoßes entstanden im Jahre 1384 Streitigkeiten, die der Fürst Lorenz von Werle schlichtete: "Vortmer alze vmme dat schot, dat scal en neslik syn vorschot gheuen, alze he dus langhe dan heft, alze dat en sede vnde pleghe ys; men vmme dat andere schot,


302) S. A. Reg. 9. X. 1432.
303) S. A. Reg. 14. XI. 1484.
304) MUB. VI Nr. 3995, vgl. MUB. VIII Nr. 5657.
305) MUB. VI Nr. 3995, vgl. MUB. VIII Nr. 5657.
306) MUB. XIX Nr. 10 859.
306) MUB. XIX Nr. 10 859.
307) S. A. Reg. 1. XI. und 6. XI. 1412.
308) S. A. Reg. 1. XI. und 6. XI. 1412.
309) Vgl. S.51.
310) MUB. VI Nr. 3595, IX Nr. 6074, XIX Nr. 10 859.
311) MUB. VI Nr. 3595, IX Nr. 6074, XIX Nr. 10 859.
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dat scal en neslik van der mark dre penninghe gheuen by synen eden, men den verden penningh spreke wy dorch endrachtycheyt willen to desser tyd af vnde los, to anderen tynden so scal dat stan to deme rade" 313 ). Jeder Bürger sollte also auf Grund eidlicher Aussage vermutlich nach Selbsteinschätzung seinen "Schoß" entrichten, dessen Höhe anscheinend Schwankungen unterlag. Dazu kam noch nach altem Herkommen "Vorschoß", der wahrscheinlich von allen gleichmäßig bezahlt wurde.

III. Zoll- und Münzwesen

Über das Zollwesen sind nur spärliche Nachrichten überliefert. Ein Zoll in Güstrow wird zum erstenmal erwähnt in einer Urkunde des Jahres 1287, in welcher der Landesherr dem Kloster Doberan die eine Hälfte der Güstrower Mühlentormühle verkaufte 314 ). Hier wird in vollem Einklang mit der Zollbefreiung des Klosters für die Versendung des Korns aus seinen Mühlen im Lande Werle 315 ) die Bestimmung getroffen, "Liberum erit insuper eisdem fratribus de Doberan totum eiusdem molendini censum sine telonio, quocumque maluerint, deducere" 316 ). Im Jahre 1318 verpfändete der Fürst Johann II. von Werle den Lübecker Bürgern Gerhard und Wenemar Niding "dimidietatem thelonei nostri in Guzstrowe" für 660 Mark 317 ) und bestätigte auch den Söhnen Gerhards den ungestörten Pfandbesitz der Hälfte des Zolles in Güstrow (1336) 318 ). Auch noch in den nächsten Jahrzehnten verfügte die Familie Niding über den Güstrower Zoll; Johann Niding übergab 1357 seinem Schwiegersohn Eggert von Zarpen als Mitgift unter anderem "dimidietatem thelonei, quam habet in Guzstrowe" 319 ). Zwei Jahre später gelang der Stadt endlich auch der Einbruch in die Zollverwaltung des Landesherrn. Der Fürst Nikolaus III. von Werle bestätigte im Jahre 1359 wegen der treuen Dienste, die ihm die Ratmänner seiner Stadt


313) MUB. XX Nr. 11 577.
314) Vgl. S. 44
315) MUB. III Nr. 1614.
316) MUB. III Nr. 1936.
317) MUB. VI Nr. 3995.
318) MUB. VIII Nr. 5657.
319) MUB. XIV Nr. 8390.
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Güstrow vielfach erwiesen hatten 320 ), das Holzungs- und Mastrecht der Stadt und eine Fischereigerechtigkeit des Rates 321 ); ferner bemerkt die Urkunde: "De telonio quoque, quod extranei terram et ciuitatem nostram predictam transeuntes nobis dare consueuerunt, dicti consules, ciues ac communitas ibidem supportati esse perpetuo debebunt, secundum quod ius in eo habent, ita quod nunc et de cetero nec per nos, . . . aduocatos, officiales, apparitores . . . in sectione, piscatura et vectigali opere predictis inquietari, perturbari seu impediri debeant quouis modo". Die Ratmänner, Bürger und Meinheit" der Stadt Güstrow wurden zunächst also von dem Durchgangszoll - anscheinend im ganzen Lande - befreit und erhielten die Befugnis, den Zoll selbst zu erheben, wie aus dem Verbot hervorgeht, die Stadt bei dem "Holzschlag", der Fischerei und "vectigali opere" zu stören. Der Marktzoll wurde dem Rat möglicherweise auch in späterer Zeit nicht überlassen; jedenfalls ist keine Nachricht über eine derartige Befreiung erhalten geblieben.

Über die Verwaltung der Güstrower Münze 322 ) fehlen nähere Nachrichten, doch hat in Güstrow zweifellos eine städtische Münze bestanden. Die ältere, noch von Evers vertretene Ansicht ging allerdings dahin, daß die Münzen der nicht unmittelbaren Städte aus landesherrlichen Münzstätten hervorgegangen seien. Diese Ansicht haben jedoch Masch und Oertzen überzeugend widerlegt 322). Wann die Stadt Güstrow ihr Münzrecht erworben hat, ist nicht bekannt. Es ist aber anzunehmen, daß dies vor der Verleihung des Münzrechts an Rostock 1325 nicht geschah. Jedenfalls kennen wir keine dortigen Münzen aus dem 13. Jahrhundert 323 ). Aus dem Vorkommen eines Johannes Monetarius in Güstrow im Jahre 1292 schon auf eine Güstrower Münzstätte zu schließen, wäre falsch. Das Wort Monetarius ist 1292 in zwei Original-


320) MUB. XIV Nr. 8691: ". . . fidelitate ac seruiciis preclaris inspectis, que dilectissimi nostri consules ciuitatis nostre Guzstrowe nobis et nostris multipliciter prestauerunt . . .".
321) Vgl. S.44 Anm. 253.
322) Vgl. Masch. Der Münzfund von Hagenow, MJB. 6 B (1841), S. 52; Der Münzfund von Rüst, MJB. 15 (1850), S. 338. Oertzen, Die mecklb. Münzen des Großh. Münzkabinetts II (1902). S.52 und 53, 101.
323) Die ältesten Zeugnisse über die Güstrower Münze finden sich. "1332/33: MUB. VIII Nr. 5318 . . . "denariorum Gustrowensium". . . und Nr. 5454:. . . "denariorum monete Gustrowensis".
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urkunden 324 ) mit einem großen Anfangsbuchstaben geschrieben. Es bezeichnet also offenbar den latinisierten Familiennamen Münzer. Der Träger desselben war 1292 April 23 Bürger, 1292 Juli 26 Ratsherr. Als Ratsherr erscheint er an achter Stelle unter zehn Ratsherren. Man muß danach annehmen, daß er um Joh. 1292 in den Rat gewählt ist.

IV. Gerichtswesen

Die Ausübung der hohen und niederen Gerichtsbarkeit stand in Güstrow ursprünglich dem Landesherrn allein zu 325 ). Nur die freiwillige Gerichtsbarkeit und möglicherweise auch die Polizeigerichtsbarkeit gehörten wahrscheinlich zu den allerfrühesten Befugnissen des Rates 326 ). Im Verlauf des 13. Jahrhunderts gelang es der Stadt, auch im Gerichtswesen wichtige Rechte zu erwerben.

Die älteste Quelle für diese Veränderungen ist die Gründungsurkunde der Stadt Penzlin, die im Jahre 1263 wie alle anderen Städte der Herrschaft Werle von Nikolaus I. das Schwerin - Güstrower Recht empfing 327 ). Am Schluß dieser Urkunde befindet sich ein Zusatz des Schreibers, daß sein Herr allen seinen Städten das Vorrecht verliehen habe, einen ländlichen Untertanen schuldenhalber in jeder werleschen Stadt anhalten zu dürfen 328 ). Auch die werlesche Stadt Güstrow mußte also um 1263 dieses Privileg besessen haben. Doch wird es erst in einer Urkunde aus dem Jahre 1270 erwähnt und von dem Fürsten Nikolaus gleichzeitig erweitert mit folgenden Worten: "Insuper dedimus burgensibus ciuitatis nostre, quod asumtis duobus ciuibus suis, si aduocatum habere non poterunt, equali iusticia quemlibet possunt suis pro debitis ocupare" 329 ). Durch dieses Privileg bekam die Stadt eine "außerordentliche Gerichtsbarkeit in Schuldsachen" 330 ), also einen Teil der niederen Gerichtsbarkeit allmählich in die Hand. Dieses Vorrecht richtete seine Spitze hauptsächlich gegen die ländlichen Grundherren, welche die Gerichtsbarkeit über ihre "Hinter-


324) MUB. III Nr. 2163. 2171.
325) Vgl. S. 24.
326) Vgl. S. 30.
327) Vgl. Hoffmann a. a. O. S. 110. 136.
328) MUB. II Nr. 987.
329) MUB. II Nr. 1182.
330) MUB. IV Sachreg. S. 473, Sp. 1.
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sassen" ausübten 331 ). Daher nutzten diese Vasallen im Jahre 1276 die fürstlichen Geldverlegenheiten 332 ) aus, die vermutlich durch eine in demselben Jahre verlorene Fehde mit dem Markgrafen Otto von Brandenburg vergrößert waren 333 ), um kurz vor dem Tode des Fürsten Nikolaus von seinen beiden Söhnen Heinrich und Johann die Zusicherung zu erlangen, daß kein Bürger einen Hintersassen schuldenhalber anhalten dürfe, bevor er ihn nicht vor seinem Herrn angesprochen habe 334 ). So wurde das Vorrecht der Stadt Güstrow zwar durchbrochen, behielt aber doch seine bleibende Bedeutung darin, daß die niedere Gerichtsbarkeit wahrscheinlich allmählich in die Hände des Rates glitt.

Diese Entwicklung wurde noch dadurch gefördert, daß der städtefreundliche Fürst Nikolaus der Stadt Güstrow im Jahre 1270 auch ein Drittel von den Gerichtsbußen schenkte, die an Stelle einer verwirkten schimpflichen Strafe, wie Steinetragen, öffentliche Auspeitschung (stupe) usw. gezahlt wurden 335 ). Möglicherweise bedeutete die Schenkung dieser Bußanteile kein neues Vorrecht für die Stadt, sondern nur eine urkundliche Festlegung einer bereits bestehenden Gepflogenheit. Es ist nämlich auffällig, daß die "Gründungsurkunde" der Stadt Röbel, die im Jahre 1261 das Schwerin - Güstrower Recht offenbar in der Form der Güstrower Urkunde vom 1. November 1228 erhalten hatte 336 ), dieses Vorrecht bereits als Rechtssatz des Schwerin - Güstrower Stadtrechtes verzeichnet 337 ). Ferner erhielt die Stadt in der nämlichen Urkunde als Geschenk ein Drittel der Strafgelder, die wegen Vergehen am Stadteigentum, den Befestigungen und der Landwehr oder zur Sühnung von Angriffen auf Stadtwachen oder -boten zu erheben waren 338 ).

Das Streben des Rates, möglichst großen Anteil am Gerichtswesen zu erlangen, führte im Jahre 1293 zu neuen Ergebnissen. In den Wirren der merleschen Erbfolgefehde 339 )


331) Vgl. Hoffmann a. a. O. S. 187.
332) Vgl. MUB. II Nr. 1413.
333) Vgl. Witte a. a. O. S. 172.
334) MUB. II Nr. 1414, vgl. 1413.
335) MUB. II Nr. 1182.
336) Techen a. a. O. (MJB. 70) S. 182; Hoffmann a. a. O. S. 134.
337) MUB. II Nr. 911.
338) MUB. II Nr. 1182.
339) Vgl. Witte a. a. O. S. 176.
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gelang es der Stadt, von dem Fürsten Nikolaus II. zunächst ein Drittel der Einkünfte des hohen und niederen Gerichtes in der Stadt und außerhalb in dem Stadtgebiet und der Feldmark des Dorfes Thebbezin zu kaufen 340 ). Außerdem erreichte die Stadt die Anordnung, daß der Vogt nicht mehr allein, sondern nur mit einem oder zwei Ratmännern zusammen das Gericht leiten müsse. In Abwesenheit des Vogtes sollten aber die Ratmänner nicht richten dürfen, außer wenn jemand im Namen des Vogtes anwesend sei 341 ).

Der Rat vermochte ferner im 14. und 15. Jahrhundert bei der Erweiterung der Stadtfeldmark die hohe und niedere Gerichtsbarkeit in den neuen Gebieten zu erwerben. So kaufte die Stadt im Jahre 1323 das Dorf Glevin, die Mühle und die Feldmark von dem Kloster Michaelstein "cum iudicio sexaginta solidorum et infra, cum tercia parte mutilationis et mortis" und erwarb dann von dem Fürsten Johann II. und Johann III. von Werle auch "omne ius uidelicet manus et colli" 342 ). Ferner gelang es der Stadt im Jahre 1375, auch in den Besitz der Gerichtsbarkeit des Dorfes und der Feldmark Glin zu kommen. Die Fürsten Lorenz und Johann V. von Werle verkauften das Dorf "cum pleno iudicio maiori, scilicet manus et colli, ac minori, videlicet sexaginta solidorum et infra" 343 ). Auch die Rosiner Walkmühle erwarb die Stadt im Jahre 1445 mit dem "hoghesten vnde sidesten" Gericht und kaufte im Jahre 1449 das gesamte höchste und niedere Gericht über das Dorf und die Feldmark Glasewitz 344 ). Schließlich kam die Stadt im Jahre 1452 auch in den Besitz der "richte" über die Mühle in Klein - Sprenz und des "hoghesten richte ouer dat gantze dorp" Klein - Schwiesow 345 ).



340) MUB. III Nr. 2200: "Insuper vendidimus prefate ciuitati terciam partem nostri iudicii super omnibus excessibus, tam minoribus, quam maioribus, ac aliis iudiciariis auctoritatibus intra moenia et extra contingentibus in cunctis locis, que ciuitas necnon et uille Thebbezin termini in se claudunt".
341) Ebenda: "Iudicio siquidem presidere non debet solus aduocatus, nisi saltem vna uel duabus personis de ciuitatis concilio coassumptis, nec aduocato absente, nisi quis ibi fuerit suo nomine, soli consules poterunt iudicare".
342) MUB. VII Nr. 4475; vgl. S. 46 f.
343) MUB. XVIII Nr. 10768; vgl. S. 48.
344) Vgl. S. 49.
345) S. A. Reg. 19. XI. 1452; vgl. S 50.
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Drittes Kapitel.

Die Stadtverfasssung
am Anfang des 16. Jahrhunderts.

Die Güstrower Stadtverfassung am Anfang des 16. Jahrhunderts zeigt deutlich die großen Veränderungen, die seit der Gründung der Stadt (1226) eingetreten waren. Im Jahre 1226 war die Stadt rechtlich und tatsächlich abhängig von dem Landesherrn, dem sie ihren Ursprung verdankte. Der Landesherr hatte damals kraft seiner Landeshoheit die Hoheitsrechte in seinem Besitz und übte daher einen vorherrschenden Einfluß in der Verwaltung der Stadt aus. Im Verlauf der Jahrhunderte gelang es der Bürgerschaft aber allmählich, durch den Erwerb wichtiger Hoheitsrechte die Vormachtstellung des Landesherrn zurückzudrängen und den bürgerlichen Einfluß in der Stadtverwaltung zu stärken.

Freilich vermochte die Stadt Güstrow nicht dieselbe wirtschaftliche und politische Bedeutung zu erringen wie ihre mecklenburgischen Schwesternstädte an der See, Rostock und Wismar, die im Mittelalter fast einen Staat im Staate bildeten. Die politische und wirtschaftliche Kraft des Güstrower Rates war schon infolge der Lage der Stadt inmitten des Landes nicht groß genug, um den Landesherrn ganz aus der Stadt zu verdrängen.

I. Stadt und Landesherr.

Bei dem Regierungsantritt eines Landesfürsten hatte die Stadt ihrem neuen Herrn die Erbhuldigung 346 ) zu leisten, die


346) Die älteste Urkunde, welche eine Erbhuldigung bezeugt, stammt vom Jahre 1421; in diesem Jahre leistete die Stadt Güstrow noch bei Lebzeiten ihres Fürsten Wilhelm von Wenden den Stargarder und Schweriner Herzögen von Mecklenburg eine Erbhuldigung, falls das wendische Fürstenhaus aussterben sollte (S. A. Reg. 11. II. 1424; vgl. Witte a. a. O. S.238, 243). Weitere Huldigungsurkunden sind aus den Jahren 1436, 1442, 1477 und 1505 erhalten (S. A. Reg. 22. XI. 1436, 15. V. 1442, 12. VI. 1477; Gü. A. Urk. 17. VI 1505).
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wahrscheinlich vom Rat - vermutlich im Beisein der ganzen Bürgerschaft - beeidet wurde. Nach der Huldigung pflegte der Landesherr die Privilegien und Gerechtsame der Stadt zu bestätigen 347 ).

Seinen eigenen Verwaltungsbezirk in der Stadt, die Burgfreiheit, hatte der Landesherr behaupten können, wenn auch dieser Stadtteil durch Schenkungen und Verkäufe der Fürsten und ihrer Vasallen im Laufe der Zeit allmählich kleiner geworden war 348 ).

In der eigentlichen Stadtverwaltung konnte der Landesherr durch seine Beamten, vor allem wohl durch den Vogt, noch bedeutende Rechte ausüben lassen. Ein landesherrlicher Richter leitete zusammen mit zwei Ratmännnern den "Stapel", das hohe und niedere Gericht der Stadt, dessen Einnahmen zu zwei Drittel dem Landesherrn gehörten 349 ). Ferner war die Stadt zur Zahlung der jährlichen "Orbör" in einer Höhe von 80 Mark verpflichtet. Diese Steuer wurde aber nicht mehr an den Landesherrn abgeführt, sondern an die Vikare der Blutskapelle gezahlt, denen der Fürst Wilhelm von Wenden diesen Betrag vermacht hatte 350 ).

Eine weitere Verpflichtung der Stadt war die Heeresfolge für den Landesherrn; das Aufgebot der Stadt ist zunächst aus Landfriedensurkunden des 14. Jahrhunderts bekannt. In dem Landfrieden, den die mecklenburgischen Herzöge mit den Fürsten von Werle im Jahre 1351 schlossen, wurde die Stadt Güstrow verpflichtet, auf eigene Kosten 20 Mann dorthin zu entsenden, "vp welk egge der lant des nod is" 351 ). Nach dem Beitritt der werleschen Herren zu dem "Lübecker Landfrieden" im Jahre 1353 hatten die werleschen Städte eine Landfolge mit insgesamt "fertech mannen wapent vnde myt teyn schutten" zu leisten 352 ). Im Jahre 1354 wurde der Mecklenburger Landfrieden erneuert; die Stadt Güstrow sollte jetzt 13 Mann Stellen 353 ). Doch sollte diese Landfolge von den wendischen Herren aus nur in einem Umkreis von 14 Meilen von Güstrow


347) S. Anm. 346.
348) Vgl. S. 40 ff.
349) Vgl. S. 57.
350) Vgl. S. 51 f.
351) MUB. XIII Nr. 7524.
352) MUB. XIII Nr. 7731.
353) MUB. XIII Nr. 7911.
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und Parchim aus und von seiten des Herzogs in derselben Entfernung von Rostock und Wismar aus gelten 354 ).

Nach dem für die Fehde mit Lübeck im Jahre 1506 gemachten Anschlag der Roß- und Fußdienste des Landes Mecklenburg hatte die Stadt Güstrow 100 Mann zu stellen 355 ).

Alle übrigen früheren Rechte hatte der Landesherr zugunsten der bürgerlichen Selbstverwaltung allmählich abtreten müssen.

II. Der Rat.

a) Die soziale Zusammensetzung des Rates.

Das Organ der bürgerlichen Selbstverwaltung war seit der Gründung Güstrows der Rat 356 ). Seine soziale Zusammensetzung kann man bis zum Ende des 13. Jahrhunderts infolge des allzu dürftigen Quellenmaterials nicht klar erkennen. Doch darf man annehmen, daß das Ratskollegium sich in der ältesten Zeit aus Kaufleuten zusammensetzte 357 ). Diese ersten Ratmänner waren vermutlich die Lokatoren der Stadt, deren Anteil an der Gründung auf ihre Zugehörigkeit zu den am Handel interessierten kapitalkräftigen Kreisen hinweist 358 ) Aber auch in den folgenden Jahrzehnten darf man wohl hauptsächlich oder ausschließlich Kaufleute im Rate vermuten. Einen Hinweis, wie sehr die Ratmänner an der Förderung des Handels interessiert waren, findet man in der Anordnung des Landesherrn aus dem Jahre 1248, daß nur mit der Genehmigung des Rates der Markt von seiner bisherigen Stelle verlegt werden dürfe 359 ). Am Ende des 13. Jahrhunderts (von 1290 ab) läßt sich feststellen, daß manche Ratmänner über bedeutenden Grundbesitz oder größere Geldsummen verfügten. So belehnte im Jahre 1290 der Fürst Heinrich von Werle den Güstrower "Bürger" Heinrich von Stolp (consul 1292) 360 ) mit der Hälfte des Dorfes Dalkendorf und verkaufte ihm für


354) MUB. XIII Nr. 7911.
355) S. A. Militaria, Aufgebote der Ritter- und Landschaft vol. I; H. Witte, Mecklenburgische Geschichte Bd. 2, Wismar 1913, S. 17/18.
356) Vgl. S. 27 ff.
357) Vgl. Hoffmann a. a. O. S. 124.
358) Vgl. S. 10 f.,. 27 f.
359) Vgl. S. 39
360) MUB. III Nr. 2171.
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35 Mark den Roßdienst dieses Dorfes 361 ). Im Jahre 1359 kaufte der Güstrower "Bürger" Dietrich Prahst (consul 1340, 1345, 1346) 362 ) von den Fürsten Nikolaus und Bernhard von Werle eine jährliche Rente von 30 Mark aus der "Orbör" der Stadt Güstrow 363 ). Der Güstrower Ratmann Jakobus Worpel und seine Frau Katharina ließen im Jahre 1342 das Heiligengeisthaus aus Steinen erbauen und beschenkten es mit einem von dem Ratmann Dietrich Prahst und anderen erkauften Anteil an der Gleviner Mühle, mit 20 Morgen auf dem Stadtfelde zur Stiftung einer Vikarie und später noch mit Hebungen in einer Höhe von 26 Mark 10 Schillingen aus Sarmstorf, das er mit den Gebrüdern von Köln zu zwei Drittel erworben hatte 364 ). Außerdem stiftete Jakob Worpel zusammen mit Gottfried Mölln im Jahre 1365 eine Vikarie in der Güstrower Pfarrkirche mit den Zinsen von 225 Mark 365 ). Man darf wohl vermuten, daß bedeutende Vermögen 366 ) von den Ratmännern in jener Zeit hauptsächlich durch kaufmännische Tätigkeit erworben wurden. Diese Annahme wird bestätigt durch eine Ratsurkunde aus dem Jahre 1338, in der die erwähnten Ratmänner Dietrich Prahst und Jakob Worpel als Vorsteher der Güstrower Kopludeghylde" genannt werden 367 ).

Handwerker saßen wahrscheinlich nur ganz vereinzelt im Rate. Im Jahre 1248 werden ein Henricus parvus Sartor und 1264 Heinricus Sartor und Gerardus Faber als Ratmänner genannt 368 ). Ebenfalls war ein Johannes Sartor im Jahre 1308 consul 369 ). Doch ist es immerhin möglich, daß diese Berufsbezeichnungen bereits zu Familiennamen erstarrt waren. Weitere Belege für eine Teilnahme von Handwerkern am Rate finden sich nicht.

Das überlieferte Urkundenmaterial läßt also die Annahme zu, daß im 13. und 14. Jahrhundert vornehmlich Kaufleute im Rate gesessen haben. Die Kämpfe der Zünfte um Änderung


361) MUB. III Nr. 2085.
362) MUB. IX Nr. 6074 und 6489, X Nr. 6700.
363) MUB. XIX Nr. 10859.
364) MUB. IX Nr. 6241, 6364, 6493.
365) MUB. XVI Nr. 9418.
366) Vgl. ferner MUB. V Nr. 2172 (2837), 3213, IX Nr. 5849, 6039. 6074, 6496 (6689).
367) MUB. IX Nr. 5849.
368) MUB. I Nr. 607, II Nr. 1015.
369) MUB. V Nr. 3213.
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der Ratsverfassung zu ihren Gunsten begannen vielleicht erst in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts. Über diese Verfassungskämpfe der "werke vnd menheyt" mit den "borghermestern" und "ratmannen" unterrichtet nur ein Schiedsspruch des Fürsten Lorenz von Werle (1384), der aber deutlich erkennen läßt, daß der Kampf der Gemeinde erfolglos blieb. Der Rat erreichte nämlich die Anordnung, "to wezende vnde to blyuende in allen stucken vnde dunde ouer borghere vnde menheyt, vnde vorstan dat na alze vor" 370 ).

Auch in späterer Zeit gelang es den Zünften nicht, Einfluß auf den Rat zu bekommen. Offenbar hat sich nämlich auch im 15. Jahrhundert der Rat aus Kaufleuten zusammengesetzt. Dafür sprechen zunächst zahlreiche aus dem Ende des 14. Jahrhunderts und später überlieferte Stiftungen vermögender Ratmänner 371 ). Ferner ist von mehreren Ratsmitgliedern bekannt, daß sie im Besitz von Landgut waren 372 ). Das Buch der Güstrower "Kopludeghilde" verzeichnet schließlich mit wenigen Ausnahmen alle aus den Jahren 1442 bis 1497 bekannten Namen von Güstrower Ratmännern. Als Mitglieder der Kaufmannsgilde lassen sich hier folgende Ratmänner nachweisen:

Jakob Berghahn (1452 373 ) Ratmann (Rm)) wird um die Mitte des 15. Jahrhunderts als Gildebruder erwähnt 374 ),

Merten Distelow (1452 Bürgermeister (Bm)) 373 ) war Vorsteher 1463 bis 1466 375 ),

Hans Brockmann (1452 373 ) Rm, 1485 376 ) Bm),

Hans Clevena (1452 373 ) Rm, 1485 376 ) Bm),

Claus Mileke (1485 376 ) Rm) und

Heinrich Bremer (1485 376 ) Rm) waren im Jahre 1485 "medebrodere der suluen broderscop" 376 ),


370) MUB. XX Nr. 11 577.
371) Vgl. z. B. MUB. XXII Nr. 12 345, 12 360, 12 479, 12539; S. A. Reg. 2. I. 1465.
372) Vgl. z. B. MUB. XXII Nr. 12475: S. A. Reg. 4. I. 1402, 2. I. 1465, 12. XI. 1496, 4. X. 1497.
373) S. A. Reg. 14. XI. 1452.
374) Gü. A. Kaufmannsb. S. 1.
373) S. A. Reg. 14. XI. 1452.
375) Ebenda S. 16; die "vorstendere der koplude ghilde", die "ghildemeister" wurden auch "prouisores" oder "procuratores" genannt.
373) S. A. Reg. 14. XI. 1452.
376) Ebenda S. 19.
373) S. A. Reg. 14. XI. 1452.
376) Ebenda S. 19.
376) Ebenda S. 19.
376) Ebenda S. 19.
376) Ebenda S. 19.
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Hans Bremer (1452 373 ) Rm, 1481 377 ) Bm) war Vorsteher 1457 bis 1458 378 ),

Hans Holtenstein (1452 373 ) Rm) war Vorsteher 1459/60 378 ),

Hans Smeker (1481 379 ) Rm) war Vorsteher 1478, 1480 380 ),

Heinrich Pinnow (1481 377 ) Rm) war Vorsteher 1475/77 380 ),

Merten Distelow (1481 377 ), 1485 381 ) Rm) trat 1469 in die Gilde ein 382 ),

Diedrich Sprenger (1485 381 ) Rm) war Vorsteher 1494/95 383 ) und

Heinrich Sandow (1496 Rm) war Vorsteher 1506 384 ).

Außer diesen im Kaufmannsbuch genannten Mitgliedern des Rates sind noch der Bürgermeister Stavenhagen und vier Ratmänner Grubenhagen, Glasow, Kron und Wulfesberg bekannt. Stavenhagen und Glasow waren vermutlich Kaufleute 385 ); von den anderen Ratmännern fehlt jegliche Kunde.

Auf den engen Zusammenhang der Kaufleutegilde mit dem Rate weist das Kaufmannsbuch selbst durch folgende Worte hin: "Witlik sy, dat de Radmanne vnde de Brodere sin eengheworden vnde wille vmbichelken geholden hebben: were, dat iennighe twedracht vnde vnbille mit quaden worden edder mit daden mank vnsen broderen worde, de sculdighe, wo dat bewyslik sy mit twen broderen, scal gheuen ene kanne gudes wyens, de he losen mach vor vyff lub marc . . ." 386 ). Die Verbundenheit von Rat und Kaufmannsgilde wurde im Verlauf des 15. Jahrhunderts anscheinend allmählich immer enger, wie aus folgender "endracht" des Jahres 1483 hervorgeht. "Jewelyk, de dessen ghilde wynne wil vnde hebben, schal gheuen dryttyck lub. mr., vthgename ratmanne und eynes iewelyken broderes kyndere, de by der olden rechtycheyd wyse vnd wanheyd scholen blyuen, alzo bosthedelyken eyn ratman, de nynes broders sone


373) S. A. Reg. 14. XI. 1452.
377) S. A. Reg. 6. V. 1481.
378) Gü. A. Kaufmannsb. S. 15.
373) S. A. Reg. 14. XI. 1452.
378) Gü. A. Kaufmannsb. S. 15.
379) Fr. J. Chr. Cleemann, Chronik und Urkunden der Mecklenburg - Schwerinschen Vorderstadt Parchim, Parchim 1825, Nr. 121 S. 150.
380) Gü. A. Kaufmannsbuch S. 17-19.
377) S. A. Reg. 6. V. 1481.
380) Gü. A. Kaufmannsbuch S. 17-19.
377) S. A. Reg. 6. V. 1481.
381) S. A. Reg. 9. II. 1485.
382) Gü. A. Kaufmannsb. S. 2.
381) S. A. Reg. 9. II. 1485.
383) Ebenda S. 20 f.
384) S. A. Reg. 19. IV. 1496; Gü. A. Kaufmannbuch S. 21.
385) Vgl. S. A. Reg. 2. I. 1465.
386) Gü. A. Kaufmannsb. S. 2.
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ys, schal gheuen XXV mr. vnd eynes broders sone twyntych marc" 387 ). Im Jahre 1499 wurde die Aufnahmegebühr auf 40 Mark festgesetzt, doch Brüderkinder und "rathlude" sollten für ihre Aufnahme 30 Mark geben 388 ). Anfangs des 16. Jahrhunderts gehörten wahrscheinlich fast alle Ratmänner zur Kaufleutegilde. In dem Bericht des herzoglichen Sekretärs Monnick (1514) heißt es über die Güstrower Ortsgebräuche: "Wandsnider gilde, . . . den heldet die rat" 389 ). Tatsächlich kann man für die beiden zunächst überlieferten Ratslisten aus den Jahren 1524 und 1536 feststellen, daß mit einer Ausnahme alle Ratmänner der Kaufleutegilde angehörten 390 ); im Jahre 1564 waren alle zehn Ratmänner Gildebrüder 391 ). Drei Jahre später (1567) beschloß der Rat, daß jeder neue Ratmann, der nicht Mitglied der Kaufleutegilde sei, acht halbe Gulden dem Rate entrichten müsse 392 ). Dieser Beschluß sanktionierte den vorherrschenden Einfluß der Kaufleutegilde im Rate.

Die Frage, ob die Kaufleute, die den Rat bildeten, einem bestimmten geschlossenen Kreis von Familien angehörten, ob also in Güstrow ein Patriziat bestand, das die Ratsfähigkeit für sich in Anspruch nahm, läßt sich mangels ausreichender Nachrichten nicht sicher beantworten. Doch spricht dafür, daß Angehörige bestimmter Familien wiederholt im Rate saßen. So findet man von der Gründung Güstrows bis zum Anfang des 16. Jahrhunderts folgende Familien öfter im Rate vertreten:

(von) Demen: Hermann (1248, 1264 Rm), Arnold (1264, 1270 Rm) und Johannes (1303, 1308 Rm) 393 );

Schwicker: Gerwin (1264, 1270 Rm), Johannes (1303, 1308 Rm) und Bernhard gener Gerwini (1303 Rm);

(von) Struncken: Hermann (1303 Rm), Gerhard (1308 Rm) und Dietrich (1336, 1361 Rm);

Distelow: Dietrich (1332, 1334, 1336, 1338 Rm), Hermann (1332, 1335 Rm), Heinrich (1359, 1361 Rm), Eberhard


387) Gü. A. Kaufmannsb. S. 19.
388) Ebenda S.41.
389) P. Groth, Die Entstehung der mecklenburgischen Polizeiordnung vom Jahre 1516. MJB. 57 (1892) S. 234.
390) Vgl. Gü. A. Stadtverlaßb. I Gleviner Viertel 1524, Stadtb. I Bl. 1 a, Kaufmannsb. S. 3.
391) Gü. A. Kaufmannsb. S. 29.
392) Gü. A. Stadtb. I Bl. 21 b.
393) Die dem MUB. entnommenen Belegstellen sind nicht besonders erwähnt worden (vgl. S. 67 Anm. 414).
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(1393 Rm), Martin (1449 394 ) Rm, 1452 395 ) Bm) und Martin (1481, 1485 396 ) Rm);

Haselow: "olde" (1332 Rm), Dietrich (1345, 1346 Rm, 1359, 1361, 1365, 1368, 1369 Bm) und Eberhard (1346 Rm);

Schütte: Wilhelm (1359, 1394 Rm), Gerhard (1359, 1361, 1365, 1368 Rm), Johannes (1430 397 ) Rm) und Joachim (1536 398 ) Rm);

Klevenow: Hans (1452 395) Rm, 1477 und öfter bis 1485 399 ) Bm), Joachim (1509, 1512, 1515 400 ) Rm), Peter (1529, 1532, 1533 401 ), 1536 398) Bm) und Kersten (1567, 1569 402 ) Rm) 403 ).

Andererseits tauchen aber zu allen Zeiten in den Urkunden und den spärlich überlieferten Ratsverzeichnissen immer wieder neue Namen von Ratsmitgliedern auf. Daher erscheint die Annahme berechtigt, daß in Güstrow die Voraussetzung zur Wahl in den Rat nicht die Zugehörigkeit zu einem geschlossenen Familienkreis war, sondern zu einer bestimmten sozialen Schicht, dem Kaufmannsstande.

b) Bestellung, Amtsdauer, Zahl und Besoldung der Ratmänner.

Nachrichten über die Bestellung und Amtsdauer des Güstrower Rates sind aus dem Mittelalter nicht erhalten geblieben. Im 13. und 14. Jahrhundert war es anscheinend üblich, daß die Ratmänner sich in ihrem Amte abwechselten. So ist es zu erklären, daß im 14. Jahrhundert "nyge vnde olde", "tam seniores, quam iuniores" Ratmänner genannt werden 404 ). Wie dieser Ratswechsel vor sich ging, ist nicht bekannt; möglicherweise schied, wie in Rostock oder in Wismar, nach Ablauf einer festgesetzten Amtsperiode eine bestimmte An-


394) S. A. Reg. 26. I. 1449.
395) S. A. Reg. 14. XI. 1452.
396) S. A. Reg. 6. V. 1481; 9. II. 1485.
397) S. A. Reg. 17. I. 1430.
398) Gü. A. Stadtb. I Bl. 1 a.
399) Gü. A. Kaufmannsb. S. 17, 19.
400) Gü. A. Stadtverlaßb. I, Pferdemarktviertel. Domviertel
401) Ebenda Mühlenviertel.
402) Gü. A. Stadtb. I Bl. 21 b, 22 a.
403) Angehörige dieser Familie finden sich im 16. und 17. Jahrhundert noch öfter im Rat.
404) Vgl. MUB. V Nr. 3213, IX Nr. 5849, 6074, XIV Nr. 8675 (vgl. o. S. 39), 8726, 8796, XVIII Nr. 10 475. 10568, XXI Nr. 11 986, XXII Nr. 12695.
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zahl Ratmänner aus dem Rate, für die "neue" hineingewählt wurden 405 ). Doch wurden die "alten" Ratmänner anscheinend zu manchen Verhandlungen der "neuen" hinzugezogen und bildeten mit dem sitzenden Rat dann den "gantzen raad", die "universitas" oder "communitas consulum de Gustrowe" 406 ). Welche Amtsgeschäfte der Anwesenheit aller Ratmänner bedurften, kann man nicht entscheiden; doch ist es auffällig, daß - soweit Urkunden darüber erhalten sind - Rentenverkäufe vor dem ganzen Rat verhandelt worden sind 406 ). Erst im Jahre 1536 erhält man Kenntnis über die Bestellung des Rates. Am Anfang des ältesten Stadtbuches findet sich die Aufzeichnung: "Ein erbar Rath zu Güstrow, nemlich Asmus Matthias, Peter Klewenow Burgermeistere, Hermen Koppe, Hans Rothstein, Hans Gruwel vnd Achim Hofmeister, Rathmanne, haben auf Petri in der Fasten zu sich in Rath gekoren Sebastian Schencken, der darmolen war der Stadt Sindicum angenommen, Achim Schutten, Clausen Stoysloff, Jakob Lützenberger vnd Jakob Mollern" 407 ). Das Selbstergänzungsrecht des Rates war zu dieser Zeit anscheinend ein altes Herkommen. Unklar bleibt aber, ob die Wahl neuer Ratmänner in jedem Jahr stattfand und ob ein bestimmter Teil von Ratmännern vor jeder Neuwahl ausschied. Es ist nämlich auffällig, daß die nächste Wahl von Ratmännern im Stadtbuch erst zum Jahre 1564, dann 1567 verzeichnet ist. 1564 wurden zwei neue Ratmänner am 5. März gewählt, an welchem Tage der Rat "Petri" gehalten hatte 408 ). "Anno 1567" hat "e. e. Rath vff oculi (2. März) Petri gehaltenn vnnd ist worthabender Burgermeister gewesen Martin vom Sehe vnnd im Rade gesessen . . ., haben zu sich zu einem Burgermeister gekoren in Jochim Kochs stadt Jochim Voysann vnnd, damit der Radt erfüllet wordenn, darinne Voysann gewesen, hat man Marquart Glasovenn zu enem Ratmann gekorenn" 409 ) Diese wenigen Aufzeichnungen legen die Annahme nahe, daß, wie beispielsweise in Wismar 410 ) oder in Schwerin 411 ), die mit einer Ratsumsetzung verbundene Wahl


405) Vgl. Meyer a. a. O. S. 58, Techen (Stadtgeschichte) S. 42.
406) Vgl. MUB. V Nr. 3213, IX Nr. 5849, 6074.
406) Vgl. MUB. V Nr. 3213, IX Nr. 5849, 6074.
407) Gü. 00A. Stadtb. I Bl. 1 a.
408) Ebenda Bl. 19 b.
409) Ebenba Bl. 21 b.
410) Vgl. Techen (Stadtgesch.) S. 42, 48.
411) W. Jesse, Geschichte der Stadt Schwerin Bd. 1, Schwerin 1913, S. 76.
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allmählich nicht mehr stattfand und die einmal gewählten Ratmänner lebenslänglich im Rate blieben und nur aus besonderen Gründen, wie Krankheit oder wegen grober Verstöße gegen die Ratssatzungen 412 ), aus dem Amte ausschieden.

Die Zahl der Güstrower Ratmänner ist im Jahre 1248 wahrscheinlich auf neun festgesetzt worden 413 ); unbedeutende Schwankungen in ihrer Zahl ergeben sich aus den Ratsverzeichnissen; so gab es 1248: 9 414 ), 1264: 8, 1270:10, 1292:10, 1303: 10, 1308: 10, 1340: 9 (10) 415 ), 1359: 12 (1 proconsul), 1361: 9 (1 prcs), 1449: 7 (1 Bm), 1452: 9 (2 Bm) 416 ), 1514: 11 (12) (2 Bm) 417 ), 1524:9 (2 Bm) 418 ), 1536:10 (11) (2 Bm), 1564: 11 (12) (2 Bm), 1567: 11 (12) (2 Bm) 419 ). In allen diesen Fällen handelt es sich um ein Verzeichnis des ganzen Rates, wie aus zwei Urkunden hervorgeht. So stellten im Jahre 1340 die "communitas consulum de Gustrowe", die "consules, tam seniores, quam iuniores" eine Urkunde über einen Rentenverkauf aus und bezeugten diesen Akt mit neun Ratmännern 420 ). Über die Zahl der Güstrower Ratmänner unterrichtet ferner der Monnicksche Bericht (1514) 421 ). Hier heißt es: "Im rade sint ditmal XI, sust plegen XII to sin". Eine Erklärung für diese vergrößerte Zahl vermag die Aufzeichnung über die Ratswahl von 1567 zu geben 422 ) In diesem Jahre wurde an Stelle des aus unbekannten Gründen ausgeschiedenen Bürgermeisters Koch der Ratmann Joachim Voysann Bürgermeister und für diesen, "damit der Radt erfüllet worden", Marquart Glasow in den Rat gewählt. Der Rat bestand also aus den beiden Bürgermeistern, neun Ratmännern und dem "Stadtschreiber" , insgesamt 12 Mitgliedern.


412) Gü. A. Stadtb. I Bl. 1 a, vgl. 22 a.
413) Vgl. S. 40.
414) Die bis 1400 überlieferten Ratsverzeichnisse finden sich MUB. I Nr. 607, II Nr. 1015, 1182, III Nr. 2171, V Nr. 2837, 3213, IX Nr. 6074, XV Nr. 8675. 8839.
415) MUB. IX Nr. 6074. In dieser Urkunde bezeugen neun Ratmänner einem zehnten (socius nostri consilii) einen Rentenverkauf. Unter der Voraussetzung, daß dieser in demselben Amtsjahr Mitglied des Rates war, bestand der Rat aus zehn consules.
416) S. A. Reg. 26. I. 1449, 14. XI. 1452.
417) Groth a. a. O. S. 233.
418) Gü. A. Stadtverlaßb, I Gleviner Viertel.
419) Gü. A. Stadtb. I Bl. 1 a, 19 b, 21 b.
420) MUB. IX Nr. 6074, vgl. ferner MUB. V Nr. 3213.
421) Groth a. a. O. S. 233, vgl. S. 64.
422) Vgl. das Zitat im Text der vorhergehenden Seite zu Anm. 409.
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Ein Bürgermeister wird zum ersten Mal im Jahre 1359 genannt 423 ). Man darf aber wohl annehmen, daß dieses Amt schon früher bestanden hat, wenn auch in den Zeugenreihen der Urkunden ein "proconsul" unter den "consules" noch nicht genannte wurde. Zwei Bürgermeister erscheinen von 1368 ab in den Urkunden 424 ). Über ihre Stellung im Rate ist wenig bekannt; in der Mitte des 16. Jahrhunderts wechselten sie jährlich in der Leitung des Rates. Der "regierende" war der "worthabende" Bürgermeister 425 ).

Die ehrenamtliche Tätigkeit des Rates schloß ein feststehendes jährliches Gehalt der Ratmänner aus. Doch konnte der Rat bestimmte Einnahmen aus der Stadtverwaltung ,für sich in Anspruch nehmen. So hatten die Ratmänner bereits seit der Gründung der Stadt ein Recht auf die Einkünfte aus der freiwilligen Gerichtsbarkeit, den Friedeschilling 426 ). Ferner gehörten den Ratmännern von alters her zwei Drittel der Bußgelder, die aus der Gewerbeaufsicht flossen 427 ). Außerdem hatte der Rat einen Anteil von einer Mark an der Aufnahmegebühr des Hakenamtes, die 36 Mark betrug 428 ) Vom Knochenhaueramt erhielt der Rat "vor die innynge" ein Viertel von einem Ochsen 429 ). Im Wollenweber-, Schmiede-, Schröder-, Bäcker- und Pelzeramt hatte der Ratmann, der "houetman" über das betreffende Amt war, Anspruch auf eine Festmahlzeit bei der Aufnahme neuer Brüder, im Schuhmacheramt bei der Wahl eines neuen Werkmeisters 430 ). Eine Amtsentschädigung anderer Art waren für die Ratmänner die Einnahmen aus dem Ratskeller. Im Jahre 1486 kaufte sich der Güstrower Rat für 100 Mark das Privileg, daß kein Güstrower Einwohner sollte "inkopen vnde kopen laten apendar edder hemelken, schenken vnde veyel hebben, wyn, malmesye, mede, vromet ber edder ander buthenlendeschen gedrenke, sunder allenen vnse rad der ergnanten stad Gustrow in erem stadkelre" 431 ). Auch durften die Bürger kein fremdes Getränk verkaufen, sondern mußten es in heilen Fässern oder Tonnen dem Rate überlassen oder


423) MUB. XV Nr. 8675.
424) MUB. XVI Nr. 9764.
425) Vgl. Gü. A. Stadtb. I Bl. 19 b, 21 b, 22 a.
426) Vgl. S. 30; über die Höhe der Gebühr s. MUB. IX Nr. 6074.
427) Vgl. S. 30.
428) Groth a. a. O. S. 239.
429) Ebenda S. 237. Inninge = Ausnahme in die Innung.
430) Ebenda S. 235 ff.
431) S. A. Reg. 1. X. 1486.
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wieder wegfahren. Auch die Herzöge selbst versprachen, den nötigen Wein von dem Rate zu kaufen 431 ). Ferner hätten die Ratmänner um 1514 bei der Wahl neuer Ratmänner oder eines Bürgermeisters, der zum erstenmal dieses Amt bekleidete, Anspruch auf "II ellen Leydesch buch", die als "ingang des rades" zu geben waren. Die Frau eines neuen Ratmannes mußte dem Stadtschreiber und drei Knechten ein Hemd geben 432 ).

Außer diesen Amtsentschädigungen hatte der Rat Nutzungsrechte an Wiesen, Weiden und Holzungen 433 ). Überdies hatten die Ratmänner noch Besitzungen, die ihnen allein gehörten.

c) Der Kompetenzbereich des Rates.

Der Kompetenzbereich des Güstrower Rates wuchs mit dem Erstarkten der bürgerschaftlichen Gewalt. Hatte der Rat zur Zeit der Gründung der Stadt nur geringe Befugnisse, die sich anscheinend vornehmlich auf die freiwillige Gerichtsbarkeit und die Gewerbeaufsicht, vermutlich auch auf einen Anteil an der Verwaltung des Marktes und eine gewisse Polizeigerichtsbarkeit erstreckten 434 ), so war nach dem Erwerb wichtiger Hoheitsrechte des Landesherrn und der Vergrößerung des Stadt gebietes der Aufgabenkreis der Ratmänner um 1500 erheblich umfangreicher.

Der Rat vertrat die Stadt zunächst in den auswärtigen Angelegenheiten, wenn ihm auch gerade in der "auswärtigen Politik" durch die Lage der Stadt inmitten einer Landesherrschaft enge Grenzen gezogen waren 435 ). So verbürgten die


431) S. A. Reg. 1. X. 1486.
432) Groth a. a. O. S. 233 f.
433) Vgl. MUB. XX Nr. 11 577: "Vort alze vmme dat holt vnde wyssche scal de rad, de nu ys vnde na komen mach. by aller macht blyuen vnde wezen, alze dat vunden vnde beseten hebben"; der Pächter des Gutower Sees mußte den Ratmännern an den hohen Festtagen eine bestimmte Anzahl Fische liefern (vgl. Gü. A. Stadtb. I Bl. 2 b).
434) Vgl. S. 29 f.
435) Vgl. außer den angeführten Beispielen MUB. XIII Nr. 7771. XV Nr. 9394, XVI Nr. 9560. XXII Nr. 13 435; S. A. Reg. 31. V. 1435. Auch dem Wilsnacker Landfrieden (1479) trat Güstrow mit 13 anderen mecklenburgischen Städten förmlich bei (Riedel, Cod. dipl. Brandenbgs. 2. Abt. V S. 305 ff.). Den Verfassungsstreit zwischen Rat und Bürgerschaft in Parchim (1481) schlichteten auch Güstrower Ratmänner (Cleemann a. a. O. Nr. 121 S. 150).
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Güstrower Ratmänner mit dem Rat von Waren im Jahre 1344 den Waffenstillstand zwischen den Herren von Werle und Pommern 436 ). In dem Friedensvertrag der werleschen Fürsten mit den Herzögen von Mecklenburg (1354) wurden auch die Ratmänner von Güstrow und Waren mit den Ratgebern ihrer Landesherren als Schiedsrichter bestellt im Falle von Streitigkeiten zwischen den vertragschließenden Fürsten. Falls die werleschen Fürsten einen Schiedsspruch nicht einhalten sollten, dürften die Städte Güstrow und Waren nicht ihren Landesherren helfen, sondern sollten zu den Herzögen stehen 437 ). Auch in Gemeinschaft mit anderen Städten entfaltete der Güstrower Rat eine politische Tätigkeit. Vertreter der Stadt Güstrow nahmen zum Beispiel teil an der Beratung der See- und Landstädte in Lübeck, um Maßnahmen gegen den überhandnehmenden Straßenraub zu treffen (1453) 438 ). Im Jahre 1467 versuchten die Städte Neubrandenburg, Friedland und Güstrow, die Fehde des Herzogs Ulrich von Stargard mit dem Herzog Heinrich von Mecklenburg in friedlicher Weise beizulegen 439 ).

In enger Beziehung zu den auswärtigen Angelegenheiten stand die Sorge des Rates um die Sicherheit der Stadt. Zunächst waren die Stadtbefestigungen in gutem Zustande zu erhalten. Um 1270 war die Stadt Güstrow noch mit einem Plankenzaun befestigt 440 ); im Jahre 1293 wird die Stadtmauer zum erstenmal genannt 441 ). Die Urkunde aus dem Jahre 1270 erwähnt auch "municionem pecorum", anscheinend einen Zaun, der zum Schutze der Stadtweiden errichtet war 442 ). Im Verlauf des 14. Jahrhunderts wurden die Befestigungen wahrscheinlich verstärkt. Die allgemeine Unsicherheit 443 ) zwang auch zu der Anlage einer Landwehr, die an den Hauptstraßen mit festen Vorwerken, der Bülower, Glewiner und Glasewitzer "Burg" 444 ), versehen wurde. Um 1394 wurde auch an der


436) MUB. IX Nr. 6392.
437) MUB. XII Nr. 7881 und 7919.
438) Witte a. a. O. S. 262.
439) Witte a. a. O. S. 266.
440) MUB. II Nr. 1182.
441) MUB. III Nr. 2200: " auctoritatibus intra moenia et extra contingentibus . . .".
442) Vgl. MUB. II Nr. 1182 Nbm.
443) Vgl. MUB. IX Nr. 6256, XVI Nr. 9598, XIII Nr. 10475, XX Nr. 11 656, XXI Nr. 11 986.
444) Zum Jahre 1387 wird auch die "Nesenborg", vielleicht nur eine Flurbezeichnung, erwähnt; MUB. XXI Nr. 11 832.
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Landwehr im Süden (zuerst bezeugt 1371) 445 ) ein fester Turm gebaut, der wahrscheinlich an der engsten Stelle zwischen dem Sumpf- und dem Gutower See in der Nähe des Dorfes Gutow errichtet wurde. Da die Stadtfeldmark sich aber nicht soweit erstreckte, mußte der "ganze" Rat der Stadt Güstrow dem Güstrower Stiftskapitel, welches das Graben der Landwehr und die .Errichtung des Turmes auf seinem Gutower Feld genehmigt hatte, Schutz bei allen Rechten und den freien Zugang durch die Landwehr verbürgen 446 ). Diese "Stüvete" Burg wurde am Ende des 16. Jahrhunderts von den Gutower Bauern abgebrochen 447 ), während die anderen "Burgen" allmählich städtische Pachthöfe wurden. Die Mittel zum Ausbau dieser Befestigungen wurden anscheinend zum Teil aus dem Schoß aufgebracht 448 ). Daneben war die Mitarbeit an den Befestigungen vielleicht auch in dieser Zeit noch Pflicht der Bürgerschaft

Vor allem war notwendig, die Wehrkraft der Bürgerschaft zu erhalten. Vermutlich bestand auch am Anfang des 16. Jahrhunderts noch der Grundsatz, daß jeder Bürger zur Verteidigung der Stadt verpflichtet war. Sicherlich hatte der Rat die Aufgabe, die Ausbildung der Bürger im Waffendienst zu überwachen. Über diese bedeutsame Befugnis des Rates unterrichten aber nur die Statuten der Schützengilde 449 ), die von "Bürgermeistern, Ratmannen und Meinheit" der Stadt im Jahre 1441 "um Besserung willen der Stadt" erneuert wurde. Sechzig "ehrwürdige und redliche Männer" bildeten die Brüderschaft, die an sich eine private Vereinigung war, aber doch in einem bestimmten Verhältnis zum Rat stand. In Notzeit bildeten die Schützen wahrscheinlich das Rückgrat der Verteidigung; dann hatte der Rat das Recht, über das Gewehr eines kranken Schützenbruders zu verfügen und es einem andern zu übergeben, der schießen konnte. Wenn der Rat den Schützenvogt oder die Schützenbrüder ins Feld schickte, sollten alle Schützen unter dem Schützenbanner stehen. Der Bruder, der sich dann nicht wappnete (harnschte), sollte sein Schützenzeug dem Rat, dem Schützenvogt oder den Prokuratoren der Gilde


445) MUB. XIII Nr. 10 169.
446) MUB. XXII Nr. 12695.
447) Gü. A. Aktenabt I.
448) Vgl. S. 74.
449) Gü. A. Lichtbild einer Abschrift des 16. Jahrhunderts aus dem Ratsarchiv der Stadt Parchim.
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zur Verfügung stellen. Die festgesetzte Zahl von 60 Schützen mag gering erscheinen. Doch war es in der Mitte des 15. Jahrhunderts wahrscheinlich noch nicht üblich, daß die Mehrzahl der Wehrfähigen als Schützen ausgebildet wurde. Auch brauchte die Stadt deshalb vermutlich nicht allzu viele Bürger im Schießen auszubilden, weil die Sorge für die Sicherheit der Stadt gewiß auch dem landesherrlichen Burgvogt oblag. Im Anfang des 16. Jahrhunderts ging die Bedeutung der Schützengilde zurück. Im Jahre 1514 bildeten nur noch ungefähr Brüder die Gilde 450 ). Die Ursache für diesen Rückgang lag wohl hauptsächlich in den wirtschaftlichen Folgen der großen Stadtbrände von 1503, 1508 und 1512, die es manchem Bürger vermutlich nicht mehr ermöglichten, das teure Schützenzeug zu beschaffen und instand zu halten. Dazu kam wahrscheinlich, daß mit dem Erstarken der Landesherrschaft das Sicherheitsbedürfnis der Stadt nicht mehr so groß war wie in den unruhigen Zeiten des 15. Jahrhunderts. Neben dem Bürgeraufgebot hatte die Stadt anscheinend auch Söldner im Dienst; berittene Stadtreisige werden am Anfang des ältesten Stadtbuches (1536) erwähnt 451 ). - Die Sicherheit der Stadt wurde in Friedenszeiten durch die Wachen aufrechterhalten. Die Bürger waren zum Wachdienst an den Toren und in der Stadt verpflichtet 452 ).

Die Gerichtsbarkeit, die bedeutendste Befugnis auf dem Gebiet der inneren städtischen Angelegenheiten, stand dem Rat in Güstrow nicht ausschließlich zu. In der Stadt bestanden nämlich um 1500 vier verschiedene Gerichte, deren Befugnisse scharf von einander abgegrenzt waren. Das landesherrliche Stadtgericht war zuständig für die Burg- (Amts- ) freiheit und Domfreiheit; dem Stiftskapitel war die niedere Gerichtsbarkeit in der Domfreiheit vorbehalten 453 ); der "Stapel" war ein Gericht, das in der Regel vom landesherrlichen Richter und zwei Ratmannen geleitet wurde und zuständig war in Fällen der hohen wie der niederen Gerichtsbarkeit für das Stadtgebiet innerhalb der Mauern und für einen Teil der Feldmark 454 ). Von den Einnahmen dieses Gerichtes gehörte dem Rat ein Drittel.


450) Groth a. a. O. S. 235.
451) Gü. A. Stadtb. 1 BI. 1 b.
452) Güstrower Bürgersprache Nr. 2: Gü. A. Aktenabt. II Verz. 1 P I1 b; Abdruck bei Besser a. a. O. S. 267 ff.
453) Vgl. S. 26.
454) Vgl. S. 57.
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Neben den drei genannten bildete der Rat auch ein eigenes Gericht, das als hohes und niederes Gericht für die Teile der Feldmark Zuständigkeit besaß, welche die Stadt im 14. und 15. Jahrhundert erworben hatte 455 ). Ferner besaß der Rat für das ganze Stadtgebiet die freiwillige Gerichtsbarkeit, deren Akte, Käufe und Verkäufe von Grundstücken oder Renten, Testaments- und Erbschaftssachen usw. in das Stadtbuch eingetragen wurden 456 ). Im Rahmen dieser Tätigkeit war der Rat auch Treuhänder für die Verwaltung von Vermächtnissen verstorbener Bürger 457 ). Der Rat übte schließlich noch eine Polizeigerichtsbarkeit aus, die sich vornehmlich auf die Überwachung der Innungen und auf Übertretungen von Bestimmungen des Marktverkehrs erstreckte 458 ).

Das Nebeneinander der verschiedenen Gerichte führte gewiß oft genug zu Streitigkeiten über ihre Befugnisse; sie nahmen im 16. Jahrhundert mit dem Erstarken der Landesherrschaft zu 459 ).Bei schwierigen Rechtsfällen war die Berufung vom "Stapel" an den Rat möglich 460 ). Nach drei Terminen des Ratsgerichtes konnte gegen das ergangene Urteil wiederum Berufung - wie es scheint, an das Ratsgericht in Schwerin 461 ) - eingelegt werden, die jedoch seit 1537 sofort nach der Urteilsverkündigung erfolgen mußte 462 ). Die Gerichtsverhandlung sollte aber binnen Jahr und Tag durchgeführt sein 462 ). Im Jahre 1539 wurde vom Rat beschlossen, daß binnen zehn Tagen nach der Verkündigung des Ratsurteils auch das fürstliche Hofgericht angerufen werden könnte 462 ). Diese Berufungsmöglichkeit führte in späterer Zeit zu immer neuen Streitigkeiten zwischen dem herzoglichen Gericht in Güstrow und dem Rat.

Das Güstrower Ratsgericht war auch Berufungsinstanz für die Ratsgerichte anderer Städte. Freilich ist über diese wichtige Befugnis des Güstrower Rates bis zum Anfang des


455) Vgl. S. 57.
456) Vgl. S. 30.
457) Vgl. S. 77.
458) Vgl. S. 30.
459) Vgl. Gü. A. Aktenabt. I Stadtverfassung, Jurisdiktion.
460) Gü. A. Gerichtsb. I Bl. 2 a.
461) H. Böhlau, Beiträge zum Schweriner Stadtrecht, Ztschr. f. Rechtsg. Bd. 9 (1870) S. 278.
462) Gü. A. Gerichtsb. I Bl. 1 a: "Anno 1537, die Nouembris, haben E. E. Rath sich vereiniget vnd beschlossen, das, wan ymands furthan van einer vrthel, vom Rathe gesprochen, sich beruffen vnd appelliren wirdt, sal er solichs alsbald nach gesprochener vrthel standes fußes thun vnnd dann nicht lenger vortziehen. Wo das (  ...  )
462) Gü. A. Gerichtsb. I Bl. 1 a: "Anno 1537, die Nouembris, haben E. E. Rath sich vereiniget vnd beschlossen, das, wan ymands furthan van einer vrthel, vom Rathe gesprochen, sich beruffen vnd appelliren wirdt, sal er solichs alsbald nach gesprochener vrthel standes fußes thun vnnd dann nicht lenger vortziehen. Wo das (  ...  )
462) Gü. A. Gerichtsb. I Bl. 1 a: "Anno 1537, die Nouembris, haben E. E. Rath sich vereiniget vnd beschlossen, das, wan ymands furthan van einer vrthel, vom Rathe gesprochen, sich beruffen vnd appelliren wirdt, sal er solichs alsbald nach gesprochener vrthel standes fußes thun vnnd dann nicht lenger vortziehen. Wo das (  ...  )
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16. Jahrhunderts nur eine dürftige Notiz im Güstrower Gerichtsbuch aus dem Jahre 1539 erhalten 462 ). Aber noch im Jahre 1589 berichteten die Stadträte von Malchow und Krakow, daß in schwierigen Rechtsfällen der Güstrower Rat angerufen wurde 463 ).

Neben der Rechtspflege bildete eine wichtige Aufgabe des Rates die Steuer- und Finanzverwaltung der Stadt. Die bedeutendste Einnahme war der Schoß 464 ). Aus dieser Steuer brachte der Rat wahrscheinlich die Mittel für die öffentliche Sicherheit und für die jährliche landesherrliche Steuer, die "Orbör" , auf. Andere beträchtliche Einkünfte waren die Gerichtsgefälle und die Gebühren aus der Zollverwaltung. Dazu kamen die Aufnahmegebühren von neuen Bürgern und vermutlich noch Einnahmen aus städtischen Gebäuden, dem Gutower See und anderen Ländereien, die mit der Zeit erworben waren. Über die Höhe der städtischen Einnahmen sind wir nur ganz dürftig unterrichtet, da die erhaltenen "Kämmereiregister" erst in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts beginnen. In dem ältesten Stadtbuch findet sich lediglich die Anordnung des Rates aus dem Jahre 1536, daß für den Gutower See jährlich "auf Michaelis" 42 Gulden Pacht zu entrichten waren 465 ). Die Verwaltung des Stadtvermögens geschah anscheinend noch nicht durch "Kämmerer", sondern durch den ganzen Rat; in dem Monnickschen Bericht heißt es nämlich: "Gemeine vthgeuen vnnd innemen, dat geschut durch den rat semptlich" 466 ). Ebenso


(  ...  ) als nicht geschieht, sal die appellation, als nichtig vnd widder alten geprauch gescheen, kein stadt haben.
Anno etc, die eodem, ist beschlossen, wan einer wan einer vrthel, durch den Rath gesprochen, appelliren wirdt, sal er solch appellation binnen iare vnnd tage prosequiren und verfolgen; wie nicht, sal dieselbe vrthel in ire krafft gehen vnnd vom Rathe und gerichte gehandthabt werden.
Anno 1539, auff dem Mantagh nach Letaren, ist beschlossen, das einem jeden Borger vnnd Einwahner ader aber ymands. So außerhalb der Stadt aus andern Stedten fur dem Rath alhir appellirt vnnd Kleger oder Beklagten ein vrteil gesprochen, dessen ehr beschwert zu sein vormeinet, innt wiederum zehen tagen vormuge der rechte sich darauff zu bedenngken vnnd alsden seines gefallenns fur das furstliche hoffgerichte zu appelliren vorgunstiget sein soll."
(  ...  ) als nicht geschieht, sal die appellation, als nichtig vnd widder alten geprauch gescheen, kein stadt haben.
Anno etc, die eodem, ist beschlossen, wan einer wan einer vrthel, durch den Rath gesprochen, appelliren wirdt, sal er solch appellation binnen iare vnnd tage prosequiren und verfolgen; wie nicht, sal dieselbe vrthel in ire krafft gehen vnnd vom Rathe und gerichte gehandthabt werden.
Anno 1539, auff dem Mantagh nach Letaren, ist beschlossen, das einem jeden Borger vnnd Einwahner ader aber ymands. So außerhalb der Stadt aus andern Stedten fur dem Rath alhir appellirt vnnd Kleger oder Beklagten ein vrteil gesprochen, dessen ehr beschwert zu sein vormeinet, innt wiederum zehen tagen vormuge der rechte sich darauff zu bedenngken vnnd alsden seines gefallenns fur das furstliche hoffgerichte zu appelliren vorgunstiget sein soll."
(  ...  ) als nicht geschieht, sal die appellation, als nichtig vnd widder alten geprauch gescheen, kein stadt haben.
Anno etc, die eodem, ist beschlossen, wan einer wan einer vrthel, durch den Rath gesprochen, appelliren wirdt, sal er solch appellation binnen iare vnnd tage prosequiren und verfolgen; wie nicht, sal dieselbe vrthel in ire krafft gehen vnnd vom Rathe und gerichte gehandthabt werden.
Anno 1539, auff dem Mantagh nach Letaren, ist beschlossen, das einem jeden Borger vnnd Einwahner ader aber ymands. So außerhalb der Stadt aus andern Stedten fur dem Rath alhir appellirt vnnd Kleger oder Beklagten ein vrteil gesprochen, dessen ehr beschwert zu sein vormeinet, innt wiederum zehen tagen vormuge der rechte sich darauff zu bedenngken vnnd alsden seines gefallenns fur das furstliche hoffgerichte zu appelliren vorgunstiget sein soll."
463) Vgl. von Westphalen a. a. O. tom. I, Lipsiae 1739, Sp. 2096, 2101.
464) Vgl. S. 51 f.
465) Gü. A. Stadtb. I Bl. 2 b.
466) Groth a. a. O. S. 234.
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wurde im Jahre 1536 vom Rat festgesetzt, daß alle Stadtsachen "vor dem gantzen sitzenden Rathe" verhandelt werden sollten und niemand ohne besonderen Befehl "van des Rathes wegen" Geldgeschäfte abschließen dürfe 467 ). Wie weit die Ratmänner die städtische Steuer- und Finanzverwaltung zu "ihrem eigenen Nutzen" oder zur Stärkung des "Ratsvermögens" verwenden konnten, bleibt bei den dürftigen Quellen ungewiß. Immerhin findet sich in dem Ratsstatut von 1536 die Bestimmung, daß kein Ratmann "des Rathes vermogen noch andere heimlichkeiten" gemäß dem gegebenen Eide "vermelden" dürfe 468 ). Im Jahre 1569 wurde als Strafe für Ausplauderei in diesem Falle der Verlust des Ratsstuhls festgesetzt 469 ).

Auch auf den Handel und das Gewerbe erstreckte sich die fürsorgliche Tätigkeit des Rates. Seit alters her lag die Überwachung der Innungen in den Händen des Rates. Im Jahre 1514 bestanden 8 Ämter, in denen 20 Wollweber, 12 Schuhmacher, 10 Schmiede, 8 Schröder (Schneider), 8 Haken (Kleinhändler), 7 Bäcker, 6 Pelzer und 3 Knochenhauer (Schlachter) vereinigt waren 470 ) Das Wollenweber-, Schmiede-, Schröder-, Bäcker- und Pelzeramt hatten einen "houetman vth deme rade" 471 ), der wahrscheinlich zusammen mit den Gildemeistern die Arbeit der Mitglieder zu beaufsichtigen und die Preise festzusetzen hatte. So sollten die Bäcker und Brauer die Preise für Brot und Bier gemäß dem Kornpreis bestimmten 472 ). Ferner hatte der Rat auch auf die Durchführung gewerbepolizeilicher Vorschriften in den Arbeitsstätten zu achten. Es war den Brauern verboten, vor drei Uhr die Pfanne zu befeuern; auch durfte in kleinen Häusern nur mit besonderer Genehmigung des Rates gebraut werden 472 ). Eine gesunde Stadtwirtschaftspolitik erforderte aber nicht nur die Aufsicht


(  ...  ) Gü. A. Gerichtsb. I Bl. 1 a: "Anno 1537, die Nouembris, haben E. E. Rath sich vereiniget vnd beschlossen, das, wan ymands furthan van einer vrthel, vom Rathe gesprochen, sich beruffen vnd appelliren wirdt, sal er solichs alsbald nach gesprochener vrthel standes fußes thun vnnd dann nicht lenger vortziehen. Wo das (  ...  )
467) Gü. A. Stadtb. I Bl. 1 a, 1 b.
468) Ebenda Bl. 1 a.
469) Ebenda Bl. 1 a, vgl. Bl. 22 a.
470) Die Entstehungszeit der Ämter ist unbekannt. Das Pelzeramt erscheint in einer Urkunde des Rates von 1370 (MUB. XVI Nr. 10 127). Die Schmiede vereinigten sich im Jahre 1422, wie aus einer Amtsrolle von 1635 ersichtlich ist (Gü. A. allgem. Aktenabteil. Schmiedeamt); doch kann das Amt immerhin um 1422 nicht gegründet , sondern nur erneuert, muß also bedeutend älter sein. Die Verfassungskämpfe von 1384 weisen nämlich darauf hin, daß um diese Zeit die "werke" schon in Blüte standen.
471) Groth a a. O. S. 235/239.
472) Güstrower Bürgersprache Nr. 2; Gü. A. a. a. O.
472) Güstrower Bürgersprache Nr. 2; Gü. A. a. a. O.
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über die Herstellung und Preisfestsetzung der gewerblichen Arbeit, sondern auch eine sorgfältige Überwachung des Einkaufs der Rohstoffe und des Verkaufs der Fertigwaren. Schon frühzeitig hatte der Rat sich daher bemüht, den Markt in die Hand zu bekommen. Niemand durfte "uterhalf den Doren unde gesettende Palen" irgendwelche Waren kaufen, sondern nur auf dem Markt 472 ). Ferner war der Verkauf verboten; jedermann sollte also nur zu der festgesetzten Marktzeit einkaufen 472 ). Diese Bestimmungen entsprangen wahrscheinlich dem Bestreben des Rates, jedem Bürger einen festen Preisstand zu verbürgen. In derselben Richtung liegen die Verordnungen, daß an Markttagen die Knochenhauer kein Vieh kaufen durften, oder daß die Apfelhändler (Appelhaken) kein Obst in der Stadt kaufen sollten; doch sollte sich jeder sein Korn redlich bezahlen lassen 473 ). Andere Vorschriften wurden im Hinblick auf den wirtschaftlichen Schutz des Bürgertums erlassen. Niemand sollte Wolle oder Werg kaufen, "sunder he sey ein Borger" 473 ). Der Förderung des Handels in der Stadt diente nicht nur das Gebot, daß jedermann "echte Mathe, Schepel, Ellen, Gewichte und Lode" haben sollte, sondern auch das Geleitsrecht der Gäste" 473 ). Alle Fremden hatten Anspruch auf ein freies Geleit drei Tage vor und drei Tage nach der "Kerkmissen"; wer etwas zum Kauf brachte, der sollte "bis zu Sankt Gallus tagk vor geltschult geleidet sein" 473 ). Der Handel mit Wein und fremdem Bier war verboten, da nur der Rat das Recht hatte, diese Getränke in der Stadt zu verkaufen 474 ).

Milde Stiftungen gaben den Ratmännern die Mittel zur Unterstützung von Armen 475 ). Der öffentlichen Wohlfahrtspflege diente auch das Heiligengeisthospital, das 1308 zum erstenmal erwähnt wird 476 ). Der Ratmann Jakob Worpel und seine Frau ließen es im Jahre 1342 aus Steinen aufbauen und statteten es mit reichen Mitteln aus 477 ). Dieses Haus diente hauptsächlich für arme und gebrechliche, erwerbsunfähige Bürger. Außerhalb der Stadt lag der St. Jürgenshof, der 1343 in den Urkunden erwähnt wird 478 ) und mit Stiftungen


(  ...  ) als nicht geschieht, sal die appellation, als nichtig vnd widder alten geprauch gescheen, kein stadt haben.
Anno etc, die eodem, ist beschlossen, wan einer wan einer vrthel, durch den Rath gesprochen, appelliren wirdt, sal er solch appellation binnen iare vnnd tage prosequiren und verfolgen; wie nicht, sal dieselbe vrthel in ire krafft gehen vnnd vom Rathe und gerichte gehandthabt werden.
Anno 1539, auff dem Mantagh nach Letaren, ist beschlossen, das einem jeden Borger vnnd Einwahner ader aber ymands. So außerhalb der Stadt aus andern Stedten fur dem Rath alhir appellirt vnnd Kleger oder Beklagten ein vrteil gesprochen, dessen ehr beschwert zu sein vormeinet, innt wiederum zehen tagen vormuge der rechte sich darauff zu bedenngken vnnd alsden seines gefallenns fur das furstliche hoffgerichte zu appelliren vorgunstiget sein soll."
472) Güstrower Bürgersprache Nr. 2; Gü. A. a. a. O.
472) Güstrower Bürgersprache Nr. 2; Gü. A. a. a. O.
473) Ebenda.
473) Ebenda.
473) Ebenda.
473) Ebenda.
474) Vgl. S. 68.
475) MUB. IX Nr. 6074.
476) MUB. V Nr. 3211.
477) MUB. IX Nr. 6241, 6489, 6493.
478) MUB. IX Nr. 6364.
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von den werleschen Fürsten und Güstrower Bürgern bewidmet war 479 ). Hier fanden Sieche und mit ansteckenden Krankheiten behaftete Einwohner Hilfe und Ruhe. Die Verwaltung beider Hospitäler lag vornehmlich in den Händen des Rates, der zu der ordnungsgemäßen Verwendung der Einkünfte zwei Ratmänner als Vorsteher einsetzte und neue Stiftungen zu ordnen pflegte 480 )

Der Rat fand auch Mittel und Wege, um auf das kirchliche Leben einzuwirken. Trotz der strengen Abgeschlossenheit der Kirche gelang dies dem Rat durch das Recht des Patronats über verschiedene Vikareien der Stiftskirche, der Pfarrkirche und der St. Gertrudenkapelle vor den Toren der Stadt, die von Bürgern gestiftet waren 481 ) Nach dem Kauf des Dorfes Glasewitz (1449) hatte der Rat auch das Patronat über die Kirche zu Recknitz 482 ). Durch diese Patronatsrechte bekam der Rat Einfluß auf die Besetzung dieser Stellen; er konnte Kleriker seines Vertrauens dem Bischof namhaft machen (presentare) 483 ), um diesen die Versorgung jener Vikareien zuweisen zu lassen 484 ). Aus dem Patronat erwuchs dem Rat wahrscheinlich die Befugnis, die der Kirche vermachten Stiftungen als Treuhänder der Stifter selbst zu verwalten 485 ). Zu diesem Zweck ernannte er die Gotteshausleute, die, ebenso wie die Vorsteher der Hospitäler, einmal im Jahre dem Rat Rechenschaft über ihre Tätigkeit abzulegen hatten 486 ).

III. Die Bürgerschaft.

Zur Zeit der Gründung der Stadt galt der Satz "Stadtluft macht frei". Jeder Hörige war frei, sobald er die Stadt betreten hatte 487 ). Allmählich erfuhr dieser Grundsatz anscheinend eine starke Einschränkung und verlor schließlich seine Bedeutung. Am Anfang des 16. Jahrhunderts herrschte die Ge-


479) MUB. X Nr. 6700, 6946.
480) MUB. IX Nr. 6241, 6493, X Nr. 6686, 6946; Gü. A. Urk. 12. XI. 1520.
481) MUB. IX Nr. 5849, MUB. XXIII Nr. 12360, 12539; S. A. Reg. 17. I. 1430.
482) S. A. Reg. 26. I. 1449.
483) MUB. XXII Nr. 12 539.
484) Vgl. S. A. Urk. Güstrow Pfarrkirche Nr. 3 (17. X. 1502).
485) MUB. IX Nr. 6039, 6241.
486) MUB. IX Nr. 6241; S. A. Reg. 23. IV. und 25. V. 1500; Groth a. a. O. S. 234.
487) Das Zitat s. o. S. 21; vgl S. 34.
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pflogenheit, einen "Utheimischen" nur dann als Bürger anzunehmen, wenn er "von siener Herschop gescheden und bringt des genogsamen Schien und Bewies 488 ). Der Zuzug vom Lande in die Stadt nahm daher stark ab. Wer Bürger wurde, mußte den Bürgereid leisten und eine Aufnahmegebühr entrichten. Auch die Söhne der Bürger sollten, wie ihre Väter, den Bürgereid leisten, wenn sie die bürgerlichen "Freiheiten" genießen wollten 488 ).

Die Pflichten der Bürger bestanden seit alters her vornehmlich in der allgemeinen Wach- und Schoßpflicht. Auch die Rechte der Bürger waren im großen und ganzen unverändert geblieben. Es waren vor allem wirtschaftliche Nutzungsrechte an dem Gemeindeeigentum 489 ); doch hatten die Bürger die Befugnis, in öffentlicher Gemeindeversammlung, in der "Bursprake", allgemeinwichtige Dinge mitzuberaten. Die "Bürgersprache" wurde anscheinend ein- oder zweimal im Jahre abgehalten 490 ). Morgens "thwysschen vyff vndt acht klocken slegen" versammelte sich die gesamte Bürgerschaft vor dem Rathause 491 ). Hier wurden vom Rate allgemeinwichtige Verordnungen verlesen, die unter dem Namen "Bursprake" zusammengefaßt waren. Aus dem Anfang des 16. Jahrhunderts ist die älteste derartige Aufzeichnung erhalten geblieben 492 ). Sie enthält allgemeine Vorschriften über das Verhalten der Bürger bei Feuersnot, dann folgen wichtige Verordnungen des Rates, wie sie den Bedürfnissen des öffentlichen Lebens entsprachen und bereits bei der Darstellung der Befugnisse des Rates erwähnt wurden 493 ). Diese Anordnungen waren all-


488) Güstrower Bürgersprache Nr. 2; Gü. A. a. a. O.
488) Güstrower Bürgersprache Nr. 2; Gü. A. a. a. O.
489) Vgl. S. 35. 45; Güstrower Bürgersprache Nr. 2.
490) Nach der Überschrift der ältesten erhaltenen "Bursprake" hat es den Anschein, als ob diese regelmäßig zweimal im Jahre, am Sonntag vor Margareten (13. Juli) und am Sonntag vor Mariä Geburt (8. September) verlesen werden sollte. Doch wurde beispielsweise 1547 die "Bursprake" nur einmal, am Sonntag Cantate, abgehalten (Gü. A. Bürgersprache Nr. 1 a).
491) Güstrower Bürgersprache Nr. 1 a; Gü. A. a. a. O.
492) Auf das Alter dieser Bürgersprache (Nr. 2) deuten die umfangreichen Vorschriften über das Verhalten bei Feuersnot hin, die vermutlich durch die großen Stadtbrände von 1503, 1508 und 1512 veranlaßt worden sind. Ebenso kann auch die allerletzte Bestimmung, daß der Rat "na der Fürsten Befehl" wüste Hausstätten an sich nehmen soll, aus dem Jahre 1537 stammen (vgl. Gü. A. Stadb. I Bl. 5a).
493) Vgl. S. 75 f.
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gemeingültig und wurden daher jedesmal von neuem verlesen. Nach dem "vordragent der Bursprak" hatten die Bürger das Recht, ihrerseits Wünsche zu äußern, die in einem "Affscheydt" aufgezeichnet wurden 491 ). In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts überbrachten die "Viertelsherren" die Wünsche der Gemeinde und baten den Rat, die "gravamina" der Bürgerschaft abzustellen 494 ).

Es hat fast den Anschein, als ob die Bürgerschaft auch in dieser Zeit noch das Recht gehabt hätte, bei wichtigen Angelegenheiten entscheidend mitzuwirken 495 ). Bei dem Prozeß um das städtische Dorf Glasewitz im Jahre 1484 lehnten die Güstrower Ratmänner nämlich die Vorlage von Urkunden ab mit dem Hinweis, daß eine Verlesung "sunder vulbort erer menheyt, der id mede an roert", nicht geschehen könne 496 ). Doch besteht die Möglichkeit, daß der Güstrower Rat diesen Grund vorgeschoben hat, um eine bessere Rückendeckung in dem Prozeß zu haben.


Ausblick.

Der Güstrower Rat besaß um 1500 auf vielen Gebieten des städtischen Lebens wichtige und verantwortungsvolle Befugnisse auf Kosten der ursprünglichen Rechte des Landesherrn. Doch trat späterhin in dem Verhältnis der Stadt zu ihrem Landesherrn eine gründliche Wandlung ein, die ihre Ursachen vor allem in dem Erstarken der Landesherrschaft hatte. Bereits Herzog Magnus II. (1477-1503) kräftigte durch eine umfassende Regierungspolitik seine Stellung als Landesherr dermaßen, daß er erfolgreiche Versuche unternehmen konnte, die unabhängig gewordenen Stände seinem Herzogtum wieder organisch einzufügen 497 ). Diese Bestrebungen zur Aufrichtung der Landeshoheit wurden nach dem Tode des Herzogs Magnus fortgesetzt 498 ). Die römischen Rechtsbegriffe, die im 15.


491) Güstrower Bürgersprache Nr. 1 a; Gü. A. a. a. O.
494) Die "Viertels heren" werden im Stadtbuch zum erstenmal 1562 erwähnt; über die Entstehung dieses Amtes ist mir nichts bekannt. (Gü. A. Stadtb. I Bl. 10 a.).
495) Vgl. S. 35.
496) S. A. Reg. 28. XI. 1484.
497) Vgl. Steinmann (MJB. 86) S. 91 ff.
498) Vgl. H. Witte, Mecklenburgische Geschichte, Bd. 2, Wismar 1913, S. 25/27.
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Jahrhundert in das Staatsrecht eingedrungen waren, trugen wesentlich dazu bei, die Ansprüche des neuen Obrigkeitsstaates, dem alle Glieder des Staates untertan sein sollten, zu stützen 499 ). Der neue Zeitgeist bekundete sich vor allem in der großen Landespolizeiordnung von 1516, die von den Räten der Herzöge, ihren angesehensten Mannen und den Stadträten von Rostock, Wismar und Güstrow beraten und beschlossen wurde 500 ). Diese erste Polizeiordnung griff tief in das gesamte städtische und private Leben ein und suchte gegenüber den mittelalterlichen Sonderrechten ein gemeines, für alle Untertanen verbindliches Recht durchzusetzen.


Eine Aufzeichnung des Schweriner Rechts
aus dem 16. Jahrhundert.

Das historische Quellenmaterial der Stadt Schwerin ging zum großen Teil verloren in den beiden großen Bränden von 1531 und 1558, die auch das Rathaus vernichteten 501 ). Daher ist weder die Stadtrechtsurkunde Heinrichs des Löwen aus den sechziger Jahren des 12. Jahrhunderts noch irgendeine andere urkundliche Aufzeichnung des Schweriner Stadtrechtes in der Stadt Schwerin selbst erhalten geblieben. Die Kenntnis des Schweriner Rechtes beruht vielmehr auf den Fassungen, in denen es im 13. Jahrhundert an die werleschen Städte Güstrow (1226) 502 ), Malchow (1235), Malchin (1236) und Röbel (1261) verliehen wurde 503 ) Dazu kommen zwei von von Westphalen in seinem großen Quellenwerk "Monumenta inedita" verzeichnete Fassungen des Stadtrechts, die im 16. Jahrhundert in Schwerin verfertigt wurden: eine plattdeutsche des Ratsherrn Wedemann 504 ), der seit 1560 im Rat saß 505 ), und eine hoch-


499) Vgl. Steinmann, MJB. 86 S. 124, und in der Festschrift für Reincke - Bloch, 1927, S. 48 ff.; Fr. Hartung. Deutsche Verfassungsgeschichte vom 15. Jahrhundert bis zur Gegenwart. 3. Aufl. 1928, S. 39/41.
500) Groth a. a. O. S. 161.
501) Vgl. Einleitung zum MUB. I S. XLVII; Jesse a. a. O. S. 149 ff.
502) Vgl. S. 12 ff.
503) Vgl. S. 33.
504) von Westphalen a. a. O. tom I Sp. 2027 ff.
505) Vgl. S. 84 Anm. 523.
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deutsche angeblich aus dem Nachlaß des Ratsherrn Hövisch 506 ), der 1579 in den Rat gewählt wurde 507 ). Für uns gilt es nachzuprüfen, ob diese beiden Fassungen als Quelle für das ursprüngliche Schweriner Recht herangezogen werden dürfen.

Vergleicht man zunächst diese beiden Fassungen des Schweriner Stadtrechts, so fällt eine weitgehende Übereinstimmung beider auf. Schon rein äußerlich gleichen sie sich in der Zahl und Zusammenstellung der Rechtssätze. Beide enthalten 43 Artikel: zunächst Sätze aus dem Strafrecht (§§ 1-23), sodann öffentlich - rechtliche (§§ 24 - 29), darauf erbrechtliche (§§ 30 - 36) und zum Schluß zivilprozessuale Bestimmungen (§ 37, § 38, § 40). Am Schlusse ist bei beiden die Einteilung durchbrochen: die drei letzten Paragraphen (41 - 43) gehören in die strafrechtliche Gruppe. Wie sehr die beiden Fassungen darüber hinaus noch inhaltlich und formal übereinstimmen, zeigt die Zusamstellung auf Seite 82 mit ihrer Fußnote. Mit Recht kann man daher annehmen - wie bereits Jesse hervorgehoben hat 508 ) -, daß beide auf eine gemeinsame Quelle zurückgehen.

Welches ist nun diese gemeinsame bzw. die von Wedemann benutzte Quelle? Die plattdeutsche Aufzeichnung Wedemanns trug nach Westphalens Angabe am Ende den ausdrücklichen Vermerk: "Descripsit Joachim Wedemann de verbo ad verbum ex codice civitatis, cui impressum sigillum maius Henrici Leonis". Die ältere Forschung kam auf Grund dieses Wortlautes zu der Ansicht, daß die Wedemannsche Fassung des Schweriner Rechtes tatsächlich eine Abschrift aus einem alten Stadtbuche sei, die wahrscheinlich vor dem zweiten Stadtbrande (1558) angefertigt wurde, und hegte keinen Zweifel an der Echtheit dieser Abschrift 509 ). Reincke - Bloch 510 ) machte dann aufmerksam auf die überraschende Übereinstimmung Wedemanns mit der Stadtrechtsurkunde von Malchow vom Jahre 1235, welche das Schweriner Stadtrecht enthält. Diese Feststellung rief bei mir Bedenken hervor, die Wedemannsche Abschrift als Quelle für das in der Stadt Schwerin im 13. Jahrhundert geltende Recht anzuerkennen, und veranlaßte die Untersuchung,


506) von Westvhalen a. a. O. tom. I Sp. 2045 ff.
507) Vgl. S.84 Anm. 523.
508) Jesse a. a. O. S. 69.
509) Böhlau a. a. O. S. 263; Jesse a. a. O. S. 69 ff.
510) Reincke - Bloch a. a. O. S. 17 Anm. 52.
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ob und wie weit Wedemann von dem Malchower Stadtrecht abhängig ist.

Das Malchower Stadtrecht von 1235 511 ) enthält, wie die anderen Stadtrechtsurkunden der werleschen Städte, 25 Artikel; fünf dieser Rechtssätze haben aber eine gerade für die Malchower Urkunde charakteristische Fassung. Diese fünf Bestimmungen zeigen bei Wedemann eine auffällige Übereinstimmung mit dem Malchower Recht, wie folgende Gegenüberstellung beweist 512 ) (die charakteristischen Stellen sind gesperrt):

Malchower Recht. 513 ) Wedemannsche Fassung. 514 )
§ 3. Quod, Si vulneratur quis ad profunditatem unguis et longitudinem articuli, reus damnabitur in sexaginta solidos, qui cedent in partem regie potestatis, et satisfaciet pacienti in viginti quattuor solidis. § 3. Ward einer gewundet so deep als een Nagel am Finger deep und so lang als ein Lidt, scal de schuldige verdammet werden tho 60 Schill. zu de Herschop und 24 Schill. bethalen dem geledenen Parte.
§ 10. Qui ciuitatis statuta infregerit, tres marcas denariorum dabit, duas ciuitati, terciam potestati. § 24. Welcher de Stadt Ordnung un Rechte ävertrett, schall 3 Marck panning geven, 2 Marck der Stadt und 1 Marck der Herschop.

511) MUB. I Nr. 433.
512) Zum Vergleich von Wedemann und Hövisch folgen hier diese Sätze nach Hövisch (ebenfalls bei von Westphalen a. a. O. Sp. 2045 ff.):
§ 3. So jemand verwundet wird eines Nagels am Finger tieff und eines Gliedes lang, soll der Thäter auf 60 Schilling verdammet werden, welche der Obrigkeit soll verfallen seyn, und den Verwundeten mit 24 Schill. zufrieden stellen.
§ 24. Welcher der Stadt Ordnung und Statuta übergehen wird, soll 3 Marck Pfennige geben, 2 der Stadt und 1 der Obrigkeit.
§ 26. Wenn ein Rat gesinnet, über der Stadt Ämter einen Bürgermeister zu erwählen, und dann die Untertanen übertreten, gehören als dann zwey Theil des Bruchs dem Rathe, der dritte den Burgermeister.
§ 28. Der Vorsteher oder Oeconomus soll die Prediger unterhalten.
§ 38. Ein jeder Mensch, der sein eigen Herr ist, so er in der Stadt bleibet, soll eines jeden Anfechtung wegen Dienstbarkeit frey seyn.
513) MUB. I Nr. 433 (vgl. auch S. 12 ff.).
514) Bei E. J. de Westphalen a. a. O. tom. I Sp. 2027 ff.
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§ 12. Si decreuerint consules, super ciuitatis officia magistrum ciuium ordinare, et excedant subditi, due partes satisfactionis consulibus, tercia magistro ciuium debetur. § 26. Wäre idt Sacke, dat de Rahtsherren gedachten, enen Burgermeister aver de Stadt ambachten to setten, un de Untersatten sick dagegen strävenden, schall 2 Part des Bräcks den Ratsherren fallen un de drüdde den Burgermeister.
§ 14. Magister ille pastores conueniet. § 28. Der Borgermeister schall sick mit den Heerden fredsahm upföhren.
§ 23. Quicumque autem homo proprie fuerit conditionis, si infra ciuitatem manserit, ab impeticione seruitutis cuiuslibet liber erit. § 38. Watterley Minsck, de sin egen Herr is, so hie in der Stadt seßhaftig blifft, schal frie wesen in der Anspracke wegen Denstbarkeit.

Auch die übrigen 20 Artikel der Malchower Urkunde sind bei Wedemann vorhanden. Außer den 25 Artikeln des Malchchower Rechtes verzeichnet die Wedemannsche Abschrift noch 17 andere, welche aber alle strafrechtlichen Inhaltes sind, die Festsetzung von Bußen für eine ganze Reihe von Vergehen enthalten und daher wahrscheinlich als Ergebnis späterer Rechtsentwicklung anzusehen sind 515 ).

Für die weitgehende Übereinstimmung der Wedemannschen Fassung mit der Malchower Urkunde gibt es zwei Möglichkeiten der Erklärung: entweder ist die Wedemannsche Abschrift - von den späteren Zusätzen abgesehen - von der Malchower Urkunde abhängig, oder die Malchower Urkunde bewahrt zufällig am treuesten das ursprüngliche Schweriner Recht, das Wedemann vielleicht noch in irgendeiner Fassung im alten Stadtbuche vorfand und Wort für Wort abschrieb 516 ).

Es läßt sich wahrscheinlich machen, daß der Ratsherr Wedemann kein altes Schweriner Stadtbuch für seine Fassung benutzt haben kann. Hederich und Hövisch, die zur selben Zeit das Schweriner Stadtrecht beschreiben, kennen anscheinend eine in Schwerin bestehende Aufzeichnung des Schweriner Rechtes nicht, sondern - und das ist sehr auffällig - wo sie das Schweriner


515) Böhlau a. a. O. S. 269; Jesse a. a. O. S. 69.
516) Vgl. S. 81.
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Recht erwähnen, geschieht es immer in enger Anlehnung und mit Nennung des Malchower Rechtes.

Der Schweriner Schulrektor Bernhard Hederich ließ im Jahre 1598 eine "Schwerinische Chronika" erscheinen 517 ), welche zum Jahre 1235 das Schweriner Stadtrecht erwähnt, und zwar mit folgenden Worten: "1235, Im Martio, belehnet Nikolaus, Herr zu Rostock, die Stadt Malchow auff ihr demütiges bitten mit dem Bürgerrecht zu Schwerin, welchs viel Städte in Meckelnburg, Pommern (vnd andere auch abgelegenen oerter sich in den alten jahren) 518 ) gebraucht haben, wie denn in Erbfellen vnd anderen Sachen bei einem Raht zu Schwerin des Rechts sich eines theils noch befragen und gemeiniglich darauff schließen sollen 519 ). Derowegen hab ich der Stadt Malchow erbeten Privilegium oder vielmehr das Schweriner Recht von wort zu wort hie setzen wollen . . . 520 ). Dieweil aber etliche Artickel dieses Schwerinischen Rechtens, sonderlich der 14., 15., 17., 24. 521 ), nicht also deutlich Deutsch können von mir gegeben werden, hab ich die verba formalia, wie sie im priuilegio begriffen seyn, wolmeiniglich hieher setzen wollen". (Es folgt die Malchower Urkunde vom März 1235 522 ). Man darf wohl vermuten, daß Hederich bei der Anlage dieser seiner Chronik alle vorhandenen Quellen herangezogen hat, besonders da in den großen Bränden das wichtigste Material vernichtet worden war. Er hätte als Zeitgenosse Wedemanns 523 ) gewiß auch dessen Abschrift benutzt, wenn sie tatsächlich auf einem Stadtbuch (codex civitatis) beruht hätte.

Auch der Ratsherr Hövisch, ein Kollege Wedemanns 524 ), hatte offenbar keine Kenntnis von einer in Schwerin entstan-


517) Schwerinische Chronika von M. Bernhardo Hederich. Rektore der Schulen zu Schwerin . . . Rostock gedruckt durch Christoff Reußner Anno MDXCVIII. - Nach dem ältesten Druck Bl. E.
518) In dem lateinischen Abdruck bei von Westphalen tom. II Sp. 1650 fehlen die eingeklammerten Worte.
519) Bei v. Westphalen tom. III Sp. 1650 heißt es: . . . unde et circa hereditates adeundas aliasque lites etiam nunc Sverinensium consilia exquirere, ac iuxta illa controversias decidere dicuntur.
520) Ebenda: Apponere vero hic lubuit privilegium illud Malchovensium sive iura civitatis Sverin . . .
521) § 14, § 15 vgl. S.17; § 17 vgl. S.20; § 24 vgl. S.16.
522) MUB. I Nr. 433.
523) Hederich war Rektor seit 1572; Wedemann gehörte seit 1560 und Hövisch seit 1579 zum Rat (Hederich a. a. O. Bl. Q).
524) S. vor. Anm.
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denen Stadtrechtsaufzeichnung, als er eine Abhandlung über das Schweriner Recht verfaßte, die sich in einem Neudruck der Hederichschen Chronik findet 525 ). Hier schreibt Hövisch, nachdem er eine Übersicht über die Zuständigkeit der verschiedenen Gerichte der Stadt Schwerin gegeben hat: "In andern Fellen u. schaden, darauff ein Urtel begehret und gesprochen soll werden, richtet man sich nach den sonderbaren Statuten privilegiis und Gerichten der Stadt Schwerin. Darumb auch die Stadt Malchow Anno 1235 den Herrn und Herzog Nicolaum von Rostock angelanget, gebeten und begehret haben, welche also beschrieben werden . . ." 526 ). Dann führt er ebenfalls, wie Hederich, die Malchower Urkunde, aber in deutschem Wortlaut, an. Hövisch erwähnt auch nach der Übersetzung des Malchower Stadtrechtes ein altes Stadtbuch nicht, obwohl er es als Ratsherr und Zeitgenosse Wedemanns hätte kennen müssen. Beide Darsteller des Schweriner Stadtrechtes, Hederich und Hövisch, benutzten also nur die Malchower Stadtrechtsurkunde bei ihrer Darstellung.

Höchstwahrscheinlich hat dann auch Wedemann nur die Malchower Urkunde vorgelegen! Wie erklärt sich aber die Angabe, daß Wedemann seine Fassung des Schweriner Rechts nach einem alten Stadtbuch angefertigt habe? Es besteht durchaus die Möglichkeit, daß Westphalen in seiner "bekannten Unzuverlässigkeit" 527 ) diesen Zusatz eigenmächtig beigefügt hat. Für diese Vermutung spricht noch eine andere Tatsache. Es ist auffällig, daß die Fassung des Schweriner Rechtes, die Wedemann angeblich aus einem mit dem Siegel Heinrichs des Löwen versehenen Stadtbuch ab schrieb 528 ), alle 17 Rechtssätze, die sie außer den bekannten 25 der Stadtrechtsurkunden des 13. Jahrhunderts verzeichnet, nur in einem Teile, im Strafrecht, enthält. Denn wenn auch "gerade hier ein Ausbau und eine Weiterbildung auf Grund der alten Satzungen im Laufe der Zeit notwendig erfolgen mußte", so traten sicherlich auch in den anderen Teilen des Stadtrechtes ergänzende Bestimmungen neben die knappe Fassung des Rechtes, wie sie aus den lateinischen Urkunden des 13. Jahrhunderts bekannt ist. Aber diese


525) Schwerinische Chronika, usw. (s. Zitat Anm. 517) . . . zu Rostock Anno 1598 gedruckt und bis hieher continuiret (1658?), S. 65 ff.; Abdruck auch bei v. Westphalen tom. I Sp. 2031 ff.
526) Hederich a. a. O. S. 73.
527) Techen a. a. O. S. 180; vgl. Böhlau a. a. O. S. 273.
528) Vgl. S. 81.
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Ergänzungen fehlen bei Wedemann ebenso, wie auch andere alte Vorrechte der Schweriner Bürger, z. B. die Zollfreiheit im Herzogtum Sachsen oder die Hafengerechtigkeit in Wismar 529 ), im öffentlich - rechtlichen Teil der Wedemannschen "Abschrift" nicht verzeichnet sind. Man darf aber annehmen, daß in einer zusammenfassenden Aufzeichnung des Stadtrechtes in einem Schweriner Stadtbuch alle neuen Bestimmungen enthalten waren. Das Lübische Recht zeigt wohl am deutlichsten, wie aus dem mageren Rechtsbrief des 12. Jahrhunderts schon im Verlauf von hundert Jahren ein umfassendes Rechtsbuch von mehreren hundert Artikeln geworden ist.

Alle diese Beobachtungen lassen es als gerechtfertigt erscheinen, die Angaben Wedemanns am Ende seiner Aufzeichnung, wie sie Westphalen überliefert, zu bezweifeln. Daher ist es kaum zulässig, die Wedemannsche Fassung als Quelle für das alte Schweriner Recht zu benutzen und sie für die Darstellung der in Schwerin im 13. Jahrhundert geltenden Stadtverfassung heranzuziehen.

 

Vignette

529) Vgl. S. 23.