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D ie folgenden Angaben sind einem Tagebuch der Auguste Francke, einer Tochter des 1841 verstorbenen Kirchenrats Francke 1 ) in Boitin, entnommen. Ihr Bruder Heinrich Francke, der als freiwilliger Jäger an den Freiheitskriegen selbst teilgenommen hat, ist der Verfasser von "Mecklenburgs Not und Kampf vor und in den Befreiungskriegen". Das Tagebuch, das durch Erbschaft in die Hände unserer Familie gekommen ist, reicht bis 1826. Es gibt bei aller Kürze einen interessanten Einblick in das Leben eines Pfarrhauses damaliger Zeit. Man staunt über die Fülle von Arbeit, die die Pfarrfrau mit ihren Töchtern zu erledigen hatte, man spürt aber auch nicht ohne Neid, wieviel friedlicher und ebenmäßiger das Leben damals verlief als heute. Das gilt nun allerdings nicht von den Jahren 1811 - 1815, von denen hier die Rede sein soll. Die kriegerischen Ereignisse der Zeit warfen ihre Wellen auch in die Pfarrhäuser.
Schon im Jahre 1811, als Auguste Francke sich noch im Haus ihrer Eltern in Boitin befand, hören wir von allerlei Einquartierung französischer Truppen. Es waren wohl Truppen, die sich bereits auf dem Marsch zur russischen Grenze befanden. So ist vom 21. Jan. bis 5. Febr. ein Franzose im Pfarrhaus einquartiert, vom 28. April bis 4. Mai ein Italiener mit Namen Guidon. Am 30. April kam französische Kavallerie nach Boitin. Das Pfarrhaus erhielt "mit Mühe" zwei Mann davon. Wie der Ausdruck zu verstehen ist, ist nicht ganz klar. Sollte man sich damals noch um französische Einquartierung bemüht haben, oder soll das Gegenteil damit gesagt werden? Nachdem die Kavallerie am 2. Mai abgezogen war, folgten nacheinander vom 9. bis 17. Mai ein Italiener namens Allietto, vom 3. bis 7. Aug. ein Kapitän mit Frau und einem Franzosen und schließlich am 3. Febr. 1812 21 Franzosen auf einmal.
Inzwischen kam Auguste Francke zu ihrem Onkel, dem Pastor David Joachim Francke 2 ), nach Eldena und erlebte
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dort die großen Ereignisse der Jahre 1813 - 1814 mit. Am 10. März 1813, dem Tage, an dem Friedrich Wilhelm III. das Eiserne Kreuz stiftete, zeigte sich in Eldena zum erstenmal ein Russe, "welcher Kunststücke machte". Am 12. März rückten die Kosaken in dem benachbarten Grabow ein. Am 3. April ritt Prinz Karl, Sohn Friedrich Franz I., durch Eldena. "Es liefen hier keine erfreulichen Nachrichten ein, es wurden grämliche Gesichter gemacht." Sicherlich erfuhr man an diesem Tage in Eldena von der Einnahme Lüneburgs durch ein französisches Korps unter General Morand und wußte nicht, daß die Stadt schon am 2. April durch preußische und russische Truppen zurückerobert und das französische Korps gefangen genommen war. Die erste Einquartierung erfolgte am 4. Mai: vier Jäger, wahrscheinlich von der Abteilung freiwilliger Jäger, die in den Tagen von Güstrow aufgebrochen war und am 5. Mai Dömitz erreichte 3 ). Am 6. Mai folgte den Jägern meckl. Kavallerie, von der drei Mann ins Pfarrhaus gelegt wurden. Es werden reitende Jäger gewesen sein, die auf dem Marsch zur Elbe waren 4 ). Am 11. Mai folgten fünf preußische Offiziere mit vier Bedienten, von denen nicht gesagt wird, wie lange sie blieben, und am 14. Mai sechs Offiziere und sieben Bediente, die schon am 15. in großer Eile abzogen.
Während des Waffenstillstandes, der nach den Schlachten von Großgörschen und Bautzen geschlossen wurde und vom 4. Juni bis zum 10. August dauerte, fand zweimal eine Truppenschau auf der Heide statt. Am 21. Juni führte Dörnberg seine Truppen der Erbprinzessin vor, am 4. August war Parade vor dem Kronprinzen von Schweden. Es hatte sich nun auch schon die Landwehr gestellt. Am 18. Juli wird darüber berichtet mit der kurzen Bemerkung: "Sonderbare Anstalten." Am 24. und 29. Juli zogen Dessauer Truppen durch, am 29. auch Engländer. Vom 30. Juli bis 2. August war ein Leutnant mit zwei Bedienten in Quartier, vom 4. bis 8. August wiederum ein Leutnant.
Nach Ablauf des Waffenstillstandes folgte eine Flut von Einqartierungen bis zum Schluß des Jahres. Mitte August kamen Engländer, die am 15. abmarschierten. Am 15. abends rückte Landwehr ein. Es herrschte "furchtbarer Specktakel die Nacht hindurch". Auf die Landwehr folgten vom 16. bis
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18. August drei Offiziere der hanseatischen Legion mit Bedienten. Am 18. August kam die Landwehr zurück. Am 23. August hören wir wieder von Hanseaten. Sechs hanseatische Jäger speisten im Pfarrhaus zu Mittag. Viel Militär marschierte durch. Es war der Tag, an dem die verbündeten Truppen, die schon in der Nacht vom 21./22. August die Linie Camin-Vellahn aufgegeben und sich bis auf die Höhe von Hagenow zurückgezogen hatten, bis Neustadt zurückwichen. Drei Verwundete aus den Rückzugsgefechten wurden am 24. August im Pfarrhaus untergebracht und noch vor der Nacht weiter befördert.
Mit dem Vormarsch der verbündeten Truppen Anfang September begannen wieder die Durchmärsche und Einquartierungen. Am 6. Sept. berichtet das Tagebuch von "fürchterlich viel Durchmärschen". "Unsere Engländer kommen auch durch." Vom 6. Sept. bis 2. Okt. waren dort ein Leutnant Wittkrieg mit einigen Landwehrleuten einquartiert. Am 8. Sept. "furchtbarer Aufruhr. Es hieß, die Franzosen seien uns nahe, alles saß auf." Die Sorge war unbegründet. Am 9. Sept. wiederum Durchmarsch von Truppen, diesmal von der russisch-deutschen Legion. Sechs englische Offiziere waren im Pfarrhaus in Quartier. Am 12. Sept. (13. nach Trinitatis) mußte zum erstenmal der Gottesdienst ausfallen, weil die Kirche als Pulvermagazin benutzt wurde. An demselben Tage kam ein Hauptmann mit seiner Frau und einem Kommissär in Quartier. Der Hauptmann reiste am 23. mit einem Teil Pulver fort, der Kommissär blieb bis zum 2. Okt. Am 18. Sept. wurde in Eldena eine starke Kanonade gehört. Es wird der Kanonendonner aus dem Gefecht bei Zarrentin gewesen sein, das an diesem Tage stattfand. Am 5. Okt. war ein verwundeter Offizier vom Preußischen Jägerkorps zu Mittag Gast. Am 10. Okt. (17. nach Trinitatis) begann der Gottesdienst wieder, das Pulver lagerte also nicht mehr in der Kirche. Vom 18. Okt. bis 27. Nov. waren vier Offiziere und ein Bedienter in der Pfarre einquartiert. Am 16. Nov. marschierten viele englische Truppen durch. Am 20. Nov. kam zu den vier Offizieren noch ein Stallmeister vom Tettenbornschen Korps mit seiner Frau in Quartier. Es folgten dann im Dezember, als der Kriegsschauplatz bereits von Mecklenburg tief nach Schleswig-Holstein hinein verlegt war, folgende Einquartierungen: am 5. Dez. ein Leutnant, am 15. ein Feldwebel von
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der russisch-deutschen Legion mit Bedienten, am 17. eine Abteilung von vier Kosakenoffizieren und 11 Gemeinen und um Weihnachten ein Oberst, der seinen Wirten dadurch ein besonderes Vergnügen bereitete, daß er anläßlich des Weihnachtsmarktes einen Punsch ausgab.
Inzwischen war am 15. Dez. mit dem Waffenstillstand zwischen Dänemark und Schweden der Feldzug in Schleswig-Holstein beendigt. Die Truppen der Nordarmee zogen Anfang 1814 nach Frankreich. Auch in dieser Zeit hörte die Einquartierung nicht auf. Am 24. Jan. war ein Leutnant Löper in Quartier, am 14. Febr. ein Wachtmeister. Große Unruhe brachte die Einquartierung eines Obersten am 16., der Frau, Tochter, vier Bediente und zwei Kammerjungfern bei sich hatte. Es "war viel Mirakel, Großmutter und Tante sollten aus ihrer Stube verjagt werden". Als der Oberst mit seinem Anhang am 18. abgezogen war, kam am 22. ein Offizier von den russischen Dragonern in Quartier. Am 4. März marschierte viel Militär von der russisch-deutschen Legion durch, am 13. April war der Oberst mit seinem Anhang wieder auf eine Nacht da. Schon war man dem Ende des Krieges nahe. Am 17. April wurde ein Dankfest für den Einzug der Verbündeten in Paris gefeiert. Am 22. Mai enthält das Tagebuch die Bemerkung: "Napoleon nach der Insel Elba eskortiert; die Nordarmee ging auseinander". Am 27. Mai waren dann fünf schwedische Offiziere einquartiert, am 5. Juni zwei Mann von der zweiten Schwadron der Meckl. Reitenden Jäger. Diese Schwadron war wegen ihrer großen Verluste im Gefecht bei Sehestedt nicht sogleich mit der Meckl. Brigade nach Frankreich gezogen, sondern zunächst in Rostock zurückgeblieben 5 ). Sie brach dann im März nach Frankreich auf, erhielt aber in der Gegend von Celle den Befehl, wieder umzukehren. Am 5. Juni erreichte sie Dömitz 6 ) und Eldena, wo schon an demselben Tage Mannschaften der Schwadron nachzuweisen sind. Am 6. Juni waren drei schwedische Offiziere in Quartier, die am Abend hübsch sangen. Am 29. kehrte der Landwehrmajor v. Bülow im Eldenaer Pfarrhaus ein. Es war der spätere Oberstleutnant und Kommandant von Dömitz, der von Fritz Reuter in "Ut mine Festungstid" erwähnt wird. Nach der Heimkehr der meckl. Truppen im Juli gab es dann am 23. August noch ein-
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mal Einquartierung. Es war ein Oberst von der russischen Garde mit Bedienten. Dann ging das Leben im Pfarrhaus wieder seinen gewohnten geregelten Gang.
Während der kriegerischen Ereignisse des Jahres 1815 finden wir Auguste Francke bereits wieder im Hause ihrer Eltern in Boitin. Einige kurze Bemerkungen des Tagebuches zu den damaligen kriegerischen Ereignissen seien hier wiedergegeben. Am 2. Juli hörte man in Boitin eine starke Kanonade von Bützow her, "welches aus Freude wegen der Niederlage Bonapartes (Schlacht bei Waterloo am 18. Juni) geschah". Am 3. Juni traf nacheinander viel Besuch in Boitin ein, auch der Pastor der Nachbargemeinde Tarnow kam herüber; "alle führten die schönen Nachrichten her, alle Extrablätter wurden gelesen". Am 4. August wurden die Gemüter noch einmal in Angst versetzt durch das Gerücht, der König von Preußen sei erschossen. Am 19. Okt. hören wir von allgemeiner Feier der Schlacht bei Leipzig. Von Boitin aus waren 14 Freudenfeuer sichtbar, die rings herum an hochgelegenen Stellen abgebrannt wurden.
Blicken wir zum Schluß noch einmal zusammenfassend auf die Tagebuchaufzeichnungen zurück. Von Interesse ist die große Zahl von Einquartierungen im Eldenaer Pfarrhaus. Es waren im Laufe von zwei Jahren nicht weniger als 48 Offiziere, die dort für kürzere oder längere Zeit in Quartier lagen, darunter drei Oberste, ein Major und ein Hauptmann. Bei den übrigen ist der Rang meist nicht angegeben. Sie waren begleitet von 23 Bedienten. Die geringe Zahl der Bedienten erklärt sich daraus, daß die englischen und schwedischen Offiziere sowie die Kosakenoffiziere keine Bedienten hatten. Außer den Offizieren waren dort je ein Wachtmeister, ein Feldwebel, ein Stallmeister und ein Komissär einquartiert. Dazu kam noch eine ganze Anzahl Gemeine. Obendrein brachten die Offiziere in einigen Fällen noch ihre Frauen mit. Wie wir hörten, begnügte sich ein Oberst nicht damit, seine Frau bei sich zu haben, sondern ließ sich auch noch von seiner Tochter und zwei Kammerjungfern begleiten. Kein Wunder, daß es bei dieser Einquartierung nicht ohne Reibereien abging. Auch die Landwehr scheint keine sehr angenehme Einquartierung gewesen zu sein. Man hatte gewiß mit der vielen Einquartierung aus allerlei Völkern - neben Preußen, Mecklenburgern, Dessauern und Hanseaten werden Schweden, Engländer und Russen genannt - mancherlei
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Arbeit und Mühe. Aber sie wurde offenbar gern getragen um der großen Sache willen. Vaterländische Gesinnung leuchtet aus den kurzen Tagebuchblättern hervor. Mit regem Interesse wurden alle Nachrichten über den Gang des Krieges verfolgt, man zupfte Scharpie, schrieb Lieder, die von Hand zu Hand gingen, ab. Auguste Francke nahm in ihrer Begeisterung sogar Unterricht bei einem Bombardier. Es wird ein eigener Unterricht gewesen sein! Bei der vaterländischen Gesinnung, die im Eldenaer Pfarrhaus herrschte, knüpften sich auch manche persönliche Beziehungen zu einzelnen Offizieren des Heeres. Mehr als einmal wird berichtet, daß dieser oder jener zu kurzem Besuch wieder im Hause weilte. Nicht überall fand sich eine solche Gesinnung. Nach einem Besuch bei Eldenaer Bekannten schrieb Auguste Francke voll Empörung in ihr Tagebuch: "Ärgerte mich über alle Franzosenfreunde." Und das war noch am 14. Okt. 1813, also kurz vor der Schlacht bei Leipzig. Selbst zu der Zeit gab es noch Franzosenfreunde im Lande. Etwas, was uns heute sehr fremd anmutet, ist die Langsamkeit, mit der damals die wichtigsten Nachrichten befördert wurden. Die Nachricht von der Verbannung Napoleons nach St. Elba traf erst am 22. Mai in Eldena ein. Etwa drei Wochen vorher, am 3. Mai, war Napoleon schon in St. Elba gelandet. Von der Schlacht bei Waterloo, die am 18. Juni stattfand, erfährt man in Bützow und Boitin erst am 2. und 3. Juli. Diese langsame Verbreitung der Kriegs- und Siegesnachrichten ist wohl mit ein Grund dafür, daß noch am 4. Aug. 1815 das Gerücht aufkommen konnte, der König von Preußen sei erschossen. Wie mögen erst in den Wochen, als das Kriegsglück schwankte, die Herzen in Furcht und Hoffnung geschwebt haben, zumal der Feind eine Zeitlang in unmittelbarer Nähe stand.