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III.

Aus den Briefen des
Hofkantors Rudolph in Dargun

von

Theodor Wotschke.

Vignette
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D urch die Prinzessin Augusta hatte in Dargun und Umgegend der hallische Pietismus Boden gewonnen. Wir kennen die Pastoren, die ihn pflegten, wir wissen von dem Streite über die Bekehrung, über den Bußkampf, zu dem sie Anlaß gaben. Er ist von Walch im fünften Bande seiner "Historischen und theologischen Einleitung in die Religionsstreitigkeiten der lutherischen Kirche" und von WiIhelmi im Mecklb. Jahrb. 48 ausführlich dargestellt. Zu den Freunden Halles in Dargun gehörte auch der Hofkantor Jakob Rudolph. Unter dem jüngeren Francke hatte er einst an der Saaleuniversität studiert, mit ihm blieb er in Verbindung, als er im Mecklenburgischen ein Amt gefunden hatte. Er hat von hier manchen Brief an ihn gerichtet, ihm von seinen Erfahrungen und den Verhältnissen in Dargun gemeldet. Aus diesen Schreiben, welche die Staatsbibliothek in Berlin aufbewahrt, wollen wir schöpfen. Da läßt er sich unter dem 6. Mai 1737 vernehmen:

"Ich habe eine ziemlich starke Schule und viele Arbeit in ihr, weil ich die Jugend ganz unwissend in allen Stücken gefunden. Jedoch hat es mir viele Erleichterung gewährt, daß ich mich der in den hallischen Schulen eingeführten Methode bedient. Schon merke ich, wie die Kinder im Äußerlichen viel zugenommen haben. Ich danke Ew. Hochehrw. nochmals, daß ich durch Ihre Fürsorge nicht nur Schüler, sondern auch Lehrer im Waisenhause habe sein können. Was nun das Geistliche bei meinen Kindern anlanget, so geht es mir wie sonst gewöhnlich, daß es mehr zu glauben als zu sehen gibt. Gott schenkt mir aber rechte Lust und Freudigkeit, an der mir anvertrauten Jugend zu arbeiten. Im Leiblichen hat mich Gott auch recht wohl versorgt. Meine gnädigste Fürstin hat mir zum jährlichen Salario 40 T. nebst anderen zur Unterhaltung nötigen Viktualien gewährt, da mein Vorgänger nur 9 T. jährlich bekommen und nur vom Schulgeld mit seiner großen Familie leben müssen. Ich habe auch die Schule in zehnmal besserem Stande als er. Unsere durchlauchtigste Fürstin ist noch recht munter, wie auch alle anderen erweckten Seelen. An Verfolgung und Verspottung fehlts bei uns eben nicht. Unsere

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Herren Prediger, H. Ehrenpfort 1 ), H. Schmidt 2 ), H. Hövet 3 ), sind neulich einer nach dem anderen im Konsistorio gewesen, und haben die Herren Rostocker ihr Heil an ihnen probiert, aber wenig ausgerichtet. Denn unsere Herren Pastoren haben die Wahrheit treulich bekannt, sonderlich H. Pastor Ehrenpfort, dem sie auch in ihrem schriftlichen Bescheid, den sie ihm erteilet, seine sonst in seinem Hause gehaltenen Betstunden verboten und ihm untersagt, etwas wieder drucken zu lassen, ob sie gleich immer eine Schmähschrift nach der anderen gegen ihn und seine Traktate drucken lassen, ob sie schon noch nichts wahrhaftiges Unrechtes finden können, welches nur einen Schein hätte. Sie handeln recht tückisch und gottlos in der Sache und wollen es nur dahin bringen, daß man glauben soll, bürgerliche Ehrbarkeit sei genug und von groben Schanden und Lastern abstehen wahre Gottseligkeit. Hingegen machen sie wahre Buße und Glauben zu einem solchen Spektakul, daß sie nicht mehr als Segen und Gnade, sondern ärger als Zuchthaus und Festungsbau dem armen Pöbel vorgemalt wird. Auf solche ihre Schriften fällt das arme Volk mit Gewalt, weil Adam sein gutes Futter darin findet. Denn äußerliches Kirchen- und Abendmahlgehen und bei unbekehrtem Herzen verrichtete gute Werke werden dem lieben Gott schon hoch angerechnet. Man hätte in Mecklenburg lange das Wort kräftig gepredigt. Die neue Buße mache tolle Leute und was dergleichen mehr, damit nur die armen Leute zurückgehalten werden. Dem allen ungeachtet gelingts doch dem Argen nicht allezeit, sondern Gott reißt immer einen nach dem anderen heraus aus ihren Stricken. Noch neulich ist ein gewisser Prediger nahe bei Rostock der Wahrheit beigetreten und scheut keine Verachtung. Ich hoffe, Gott wird noch große Proben seiner Gnade in Mecklenburg zeigen. Ich finde bei meinen Kindern dergleichen Ärgernis. Die Eltern sind ihnen sehr hinderlich, und ihre Sorge geht nur dahin, daß sie mit der neuen Lehre nicht angesteckt werden


1) Henning Christoph Ehrenpfort, seit 1734 Pastor in Röcknitz. Vgl. Willgeroth, Die Mecklb. Pfarren III, S. 1310.
2) Jakob Schmidt, Pfarrer zu Levin. Vgl. Willgeroth a. a. O. I, S. 268.
3) August Hövet, Pfarrer in Gr.-Methling. Vgl. Willgeroth a a. O. I, S. 549.
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und, wenn sie im Äußerlichen bei mir nichts lernten, sollte meine Schule ziemlich leer sein. Allein Gott wird helfen, er wird dennoch helfen!"

Leider sind die folgenden Briefe des Hofkantors nicht erhalten. Das nächste Schreiben seiner Feder, das vorliegt, ist vom 8. Februar 1740 datiert. Drin meldet er:

"Meine Arbeit setze ich im Namen Gottes noch fort, obwohl unter Beschwerung des mali hypochondriaci. Ob ich nun an den armen Kindern sehr wenig Segen merke, gebühret mir doch, nicht faul, sondern desto ernstlicher und fleißiger zu sein, damit ich mein Gewissen rette. Oft denke ich zwar, daß ich ganz untüchtig zur Schule sei, doch glaube ich, daß es oft mehr eine Anfechtung als Wahrheit sei, wiewohl ich nicht viel Geschick an mir finde, so sehe ich doch, wie Gott ja immer noch Kraft dem Leibe und der Seele nach gönnet, meine Arbeit fortzusetzen, und eher kann ich meinem Herzen nicht glauben, bis Gott mir die erforderlichen Kräfte nicht mehr gibt. Und was die Schwachheit meines Leibes oft nicht zuläßt, wird er in Gnaden übersehen. Ich wollte es ja gern besser machen, wenn ich es nur könnte. Ich lerne nun durch Gottes Gnade mehr und mehr, was es heißt, aus Gnaden gerecht sein. Je älter ich werde, je mehr sehe ich mein Nichts. Aber nun sind die Worte: ,Aus Gnaden seid ihr selig worden' und dgl. von eben der Art mir Zucker, und der Saalfeldische Auszug aus Lutheri Schriften ist fast meine tägliche Kost. Der liebe H. Becker 4 ) schickte mir vor etlichen Tagen das Examenbüchlein über ,Christus gestern und heute'. Ich schreibe vor Gott, als ich es las, freute sich mein Herz, und zwei Tage darauf war ich so freudig, daß ich hüpfen mußte. Ich hatte den Spruch mein Lebenlang so lebendig nicht an meiner Seele erfahren. Ei, Jesus mache doch seine Unveränderlichkeit alle Tage groß in meiner Seele, so soll gewiß kein Umstand vorfallen, worin nicht besonderer Trost aus dieser unveränderlichen Liebe Jesu haben werde. Was sonst unser liebes Mecklenburg betrifft, so scheint das Licht immer in finstern Orten und macht doch viele hell. Seit Weihnachten hat der liebe Gott viele zur Versicherung seiner Gnade gebracht. Es ist was sonder-


4) Joh. Hermann Becker, 1734 Archidiakonus in Rostock. Vgl. Willgeroth a. a. O. III, S. 1423.
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liches, wenn Seelen erweckt werden. Da bleibt es nicht bei Erweckung, sondern es geht in einem ernstlichen Gefühl des Elends bis zu Christo, und ruhen sie nicht eher, bis sie in ihren Seelen recht versichert sind. Die ihr Christentum nicht bis dahin bringen, bleiben nicht lange beständig, denn Verfolgung und Lästerung ist gleich mit bei. Unsere lieben Prediger stehen in großem Ernst und Hunger nach Seelen. Die groben Lästerungen werden immer mehr offenbar, daß auch viele einsehen, daß es Lügen sind, und Beifall geben. Gott helfe, daß wir das liebe Kreuz nicht einbüßen! Ich zweifle, daß wir gute Tage vertragen."

Fast umgehend, schon am 22. Februar, antwortete ihm Francke und bat um eingehenderen Bericht. Diesen erstattete Rudolph erst am 16. Juni:

"In unserem armen Mecklenburg siehet es bisher noch sehr schlecht aus, sonderlich unter den armen Geistlichen. Man sollte es fast nicht glauben, daß in einem solchen weiten Bezirk so gar wenige die Wahrheit erkennen, lieben und bekennen. Die allermeisten sind recht unverschämte grobe Lästerer, daß sie auch die allerunverantwortlichsten Lügen nicht nur billigen, sondern auch ihren beständigen Elenchum sein lassen und auf eine ganz greuliche Art die armen Seelen recht betäuben, der göttlichen Wahrheit nicht Raum zu lassen. Wenige sind wohl etwas überzeugt von der Wahrheit, allein Menschenfurcht und -gefälligkeit, wie auch die Begierde nach fleischlichen Tagen verhindert sie durchzubrechen. Diese hüten sich vor groben Lügen und Lästerungen, predigen mehr Wahrheiten, und doch, wenn mans recht besieht, sind sie mehr wider als für die Sache Gottes, indem ihr Leben und Lehre ganz konträre Dinge sind. Unsere fünf redlichen Prediger müssen also freilich in manchen sauren Apfel beißen und manchen Verdruß von den Übelgesinnten hinnehmen. Dem allen ungeachtet fahren sie fleißig fort, als treue Haushalter ihr Amt zu verwalten. Mein wertester Herr Hofprediger ist bisher dem Leibe nach immer unpäßlich gewesen, daß er seine Arbeit oft anderen überlassen müssen, findet sich aber jetzo merklich gestärkt. Unsere teuerste Fürstin befindet sich noch in gutem Wohlsein und ist noch recht wacker, auch wohl bereit, Gut, Ehre, Leib und Leben um der Ehre Christi willen aufzuopfern. Es werden durch das Wort Gottes immer noch Seelen über-

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zeugt, zur wahren Buße gebracht und zur Versicherung der Vergebung der Sünden geleitet. Zwei Exempel eines Kuhhirten und eines Schäfers sind besonders bemerkenswert. Da vielleicht mein lieber H. Merk von dem Kuhhirten Ihnen Nachricht gegeben, will ich einiges von dem Schäfer melden: Er ist in Mecklenburg geboren, hernach ins Schwedisch-Pommersche gezogen, hat die Schafe gehütet und seinem eigenen Geständnis nach eine sodomitische Sünde begangen. Darauf hat ihm Gott sein Gewissen sehr unruhig gemacht, er ist ganz tiefsinnig geworden, daß er seinen Beruf verlassen müssen und in Angst und Schwermut seines Herzens beständige Unruhe empfunden. Er ist zu den Predigern gegangen, die ihm bald Bußpsalmen bald Bußlieder gezeigt, daran er sich halten sollte, welche aber alle kein Genüge tun wollen. Oft hat man ihm Medikamente oder Lustbarkeiten gebracht, aber die Seele hat diese Kuren nicht empfunden, sondern ist wie ein beständig unruhiges Meer gewesen. Er ist in Stralsund bei dem Generalsuperintendenten gewesen und hat gemeint, dieser große gelehrte Mann würde was für seine bekümmerte Seele wissen. Allein er gibt ihm ein Buch von der Melancholei. Als er darinnen liest, findet er eine Stelle, wo der Verfasser geschrieben, wer reich werden wolle, müsse 60 Jahre nicht denken, daß er eine unsterbliche Seele habe. Dies nimmt ihm alles Vertrauen zu dem Buche, und er gibt es wieder zurück. Endlich sagt der Generalsuperintendent, er solle es nicht achten. Der Satan fechte ihn auch oft mit Sünden an, dafür wäre Christus gestorben. Aber er muß also ohne Trost sich von ihm begeben. Er denkt endlich, er will eine Mordtat ausüben oder eine andere Übeltat, damit man ihm das Leben nehme. Dann würde sein nagend Gewissen stille werden. Er geht hierauf zu dem Prediger, der ihn zum Abendmahl vorbereitet hatte, und bittet, es zu vermitteln, daß er der Obrigkeit in die Hände gegeben werde, daß sie ihn am Leben strafe. Dieser schickt ihn ohne Trost nach dem Konsistorio in Greifswald. H. D. Rusmeyer 5 ) versuchts auch mit etlichen Sprüchen, die von Vergebung der Sünden handeln, und will ihn damit trösten. Als aber der Trost nicht gleich haften will, sagt er ihm, er müsse nach Mecklenburg


5) Michael Christian Rusmeyer (1686 - 1745), Professor in Greifswald, 1741 Generalsuperintendent.
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gehen, an den Ort, wo er geboren, und sich sein Recht tun lassen. Da reist er auch gleich fort, kommt nun zu einem Edelmanne, dem H. von Viereck, der in Halle studiert und oft bei uns ist, die Wahrheit wohl erkennt, aber wenig danach tut. Als er zu ihm kommt, erzählt er, wie ihm alle Prediger nicht zu helfen wüßten, darum so wollte er sich hiermit in sein Gericht geliefert haben und bittet, ihn bald dem Tode nahe kommen zu lassen. Allein der H. von Viereck sieht wohl, daß er noch schlecht zubereitet ist, verspricht ihm zwar, ihn anzunehmen, man wisse nicht, was Gott tun könne. Kein Prediger aber will sich an ihn machen, er wird als ein Malefikant gehalten. Es läßt der Edelmann auch H. Pastor Hennings holen, weil der in sonderem Rufe stehet. Aber er fährt wieder weg, wie er gekommen, und redet nicht ein Wort mit ihm. Als der Edelmann sieht, daß sich niemand seiner annehmen will, schreibt er an unseren H. Oberhofmeister von Maltzan und erkundigt sich, ob sich unsere Prediger des armen Mannes annehmen würden. Da er die Versicherung erhält, schickt er ihn nach Dargun und gibt Kostgeld für ihn. Als er zu uns kam, weinte er bitterlich, als er hörte, daß er in Dargun wäre, weil ihm der Ort längst verhaßt gemacht war. Als er aber mit in die Erbauungsstunde ging, ward er ganz lebendig, als er nur die Ordnung hörte, wie ein armer Sünder aus Gnaden um Christi willen gerechtfertigt werde, wenn er nur im Glauben das Verdienst Christi sich aneigne. Er ist ganz freundlich, ist auch mit ihm wohl umzugehen. Seinen Bart hat er nie geschoren, denn er meinte, darin bestünde etwas. Er trägt auch nur Leinenkleider und von Schafsfellen, welches ihm auch noch ziemlich anhängt. Den Bart schneidet er sich nun ab, von Kleidern wird er auch schon noch loskommen. Es fehlt ihm nichts mehr, als daß er noch nicht recht fest ist in der Gnade. Wir haben aber das Vertrauen zu Gott, er werde ihn zur völligen Freude und Siege des Glaubens bringen."

Recht ausführlich ist des Hofkantors Bericht vom 25. Januar 1747:

"Da Ew. Hochehrw. von mir begehren, einige specialia von unserem Prinzen Friedrich zu überschreiben, habe solches nicht ermangeln wollen. Als die ganze hochfürstliche Herrschaft von Schwerin einmal bei uns war, ist der Prinz also

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als eine redliche Seele offenbar geworden. Er gab nicht nur alles recht, was von wahrer Buße gelehret und gepredigt wurde, sondern erzählte auch, daß er ebendergleichen an seiner Seele erfahren hätte. Weil er aber von den sogenannten Mitteldingen, Tanzen und Spielen, noch nicht gänzlich los war, wurde ihm damals noch nicht völlig getraut, daß er eine wahre Rechtfertigung erfahren. Eines Tages aber kommt er sehr spät zu unserem H. Oberhofmeister auf sein Gemach und redet allerlei Gutes mit ihm in Meinung, der H. Hofmeister solle ihn zum Gebete nötigen, weil ihm sehr viel daran gelegen gewesen, mit Kindern Gottes auf den Knien zu beten. Allein der H. Hofmeister läßt ihn ohne Gebet aus Respekt von sich, worüber der teure Prinz in große Not gerät. Vor Kummer kann er fast die ganze Nacht nicht schlafen, kommt frühmorgens zeitig wieder zu dem H. Hofmeister von Maltzan aufs Gemach und redet wieder viel Gutes. Endlich fragt er, ob es nicht gut sei, wenn man mit anderen oft sich im Gebet vereinige. Als der H. Hofmeister es bejahte, spricht er: ,Ei, so wollen wir doch auch mit einander beten.' Sie fallen also nieder, und schüttet der teure Prinz sein Herz recht frei vor Gott aus. Hernach spricht er, nun sei er den Stein vom Herzen los, nun wolle er durch Gottes Gnade alles, was er mit Schlägen seines Gewissens aus Furcht vor dem Vater getan, von Herzen abandonieren und erzählet vieles, was Gott auf seiner Reise bereits in fremden Landen getan, wie Gott an ihm gearbeitet und vor ungefähr etlichen Wochen bei Genuß des h. Abendmahls ihn seiner Gnade mit himmlischer Freude und süßem Trost im Herzen versichert. Da er nun in Dargun so viel deutlicher höre, wie es mit der wahren Bekehrung zu Christo gehen müsse, könne er in allen Punkten nur ja und amen dazu sagen. Er hätte einen solchen Hunger nach Gottes Wort, daß er gern mit in des H. Hofpredigers Haus zur Repetition der Predigt und anderen Erbauungen gegangen wäre. Es wurde ihm aber nur einmal erlaubt. Zu anderer Zeit haben unsere gnädigste Fürstin die Erbauung im Tafelgemach halten lassen oder sind persönlich mit in des H. Hofpredigers Hause gewesen, damit der Prinz die Gelegenheit auch dazu hätte. Das Wort Gottes wäre ihm so teuer, daß er jährlich 200 T. darauf wenden wollte, wenn des H. Hofpredigers Predigten könnten nachgeschrieben

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werden, welches aber aus Mangel der Leute nicht möglich war. Er hat auch dem Spiel und Tanzen gleich abgesagt und allen Unwillen übernommen, daß er darüber oft in Ungnaden gekommen und mit harten und schimpflichen Worten sich deshalb müssen bestrafen lassen. Er fährt fort in dem angefangenen Guten, und da durch sein Beispiel schon manche Seele erweckt, auch zur wahren Bekehrung durch Gottes Gnade gebracht worden ist, so ruhet der Teufel freilich nicht, ihn zu verlästern. Er soll seinen Bissen Brot mit Seufzern essen, weil ihm bei der Tafel fast auf jedem Bissen ein Dorn mitgegeben; und weil er den kindlichen Respekt gegen seinen Vater beweisen muß, muß er manche bittere Pille verschlucken. Er soll nicht einmal recht sicher sein, einen Brief zu schreiben, weil ihn der Vater oft überfällt, und wo er was findet, ihn hart anläßt. Briefe an ihn müssen oft durch Freunde an ihn gelangen, daß sie ihm nicht entzogen werden. Denn es wird gar nicht gern gesehen, daß er solche erbauliche Korrespondenz führt, weil man meint, das sei nicht fürstlich. Sein Vater bezeuget ihm oft, daß er die einzige Ursache seines Mißvergnügens sei, weil er so ein Leben führe, mit dem niemand zufrieden sei und im ganzen Lande zum Spott und Hohn werde. Es werden andere mit ihrer List und Schalkheit an ihn gebracht, ihm allerlei üble Gedanken von den bekehrten Predigern und anderen Seelen beizubringen, allerlei Lügen und Lästerungen werden ihm vorgebracht. Allein er weist sie getrost ab und weiß, daß es Lügen sind. Er soll oft in solches Gedränge kommen, daß er sich wie ein Wurm vor Gott schmieget und die Verheißungen nur immer zu seinem Schilde machet. Er muß Sehen, wie am schwerinschen Hofe durch Komödianten der Eitelkeit die Tür geöffnet, auch gar gute Seelen mit Ernst dazu angehalten werden beizuwohnen bei Vermeidung fürstlicher Ungnade, wie denn wirklich ein gläubiges Fräulein deshalb ihre Entlassung vom Hofe erhalten hat. Sein Vater legt ihm öfters auf, die Streitschriften zu lesen, die wider die Lehrer der wahren Bekehrung geschrieben. Er braucht aber, wie er selbst bezeugt, den Vorwand, er habe es nicht nötig. Er habe ja alles in seiner Seele selbst erfahren und wäre davon göttlich überzeugt. Weshalb solle er da erst fragen oder aus menschlichen Affekten geschriebene Schriften lesen. Solle denn ein Lebendiger in Büchern nachforschen, ob er lebe."

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"Bei seiner Durchreise durch Bützow war eine fürstliche Person krank. Er fiel bei ihr auf seine Knie und betete um ihr Wohl herzlich, welches ihm vor despektierlich ausgelegt wurde. Allein er gab ungefähr die Antwort: Es schicke sich eher, vor Gott die Knie zu beugen, als wenn man sie bei anderer Gelegenheit als Gesundheitstrinken beuge. Als er mit dem Herzog in Güstrow auf dem Landtage war, schärften die Herren Prediger ihre Schwerter gegen ihn ziemlich. Einer, der die Ursachen des schlechten Zustandes unseres Landes anführte, brachte auch diese mit ein, daß man die Bekehrung so lasse überhand nehmen und ihr nicht steure, auch gar, daß selbst hohe Häupter endlich nicht mehr frei blieben, sondern daran teilnähmen. Darauf hat der Herzog den Prinzen angesehen, dieser aber geantwortet: ,Das sind Lügen.' Der Herzog versetzt: ,Er ist doch ein Knecht Gottes.' Der Prinz: ,Er ist ein Knecht des Teufels.' Der Herzog: ,Ei, behüte Gott. Bitte ja Gott diese Sünde ab.' Der Prinz: ,Wäre er von Gott, würde er anders predigen.' Ein anderer Prediger in Schwerin hatte den Prinzen fast mit Namen auf der Kanzel genannt. Er läßt ihn rufen. Der Prediger will anfänglich nicht kommen. Als er aber kommt, leugnet er, daß er ihn damit gemeint. Der Prinz erzählt ihm, was Gott an ihm getan, worüber der Prediger seine Freude bezeugt. Er sagt dem Prediger auch die Wahrheit. Allein er ist nur froh, daß er von ihm kommt. Der Prinz bittet ihn, ihn oft zu besuchen, allein er entschuldigt sich, er wäre nicht sein Beichtvater. Bei der Vermählung des Prinzen, die ja mehr nach Willen des Herzogs als nach seinem Willen eingerichtet, wiewohl Gott alles weiß gut zu machen, schrieb er gar beweglich, Kinder Gottes sollten doch dem lieben Gott seine Verheißungen vorhalten, damit sich Gott der ganzen Sache annähme. Als einmal der Herzog in Gegenwart eines gläubigen Kammerjunkers ihm hart zuredet, davon abzustehen, beruft sich der Prinz auf Gottes Wort. Der Herzog sagt, andere wären doch auch Christen und legten doch so nicht alles bei Seite. Er wäre ja auch ein wahrer Christ. ,Ist es nicht wahr, Booth?', sagte er zum Kammerjunker. Der Kammerjunker antwortete: ,Ihre Durchl., wo wären Sie zum wahren Christentume gekommen? So und so haben Sie gelebt, und man hat nie gehört, daß Sie eine wahre

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Bekehrung erfahren. Wie können Sie ein wahrer Christ sein?' Darauf wird er still und geht davon."

"So gehts auch einmal in Bützow, wo vor etlichen Jahren sich ein recht heroischer und munterer Prediger zu Gott bekehrte. Dieser ist auch bei Hofe und tritt mit auf des Prinzen Seite. Der Herzog verlangt von ihm zu wissen, ob ers auch mit den Dargunschen hielte. Er antwortet, mit der Lehre, die in Dargun gepredigt und gelehrt wird, hielte er es von ganzem Herzen, und so hätte er es auch an seiner Seele erfahren. Der Herzog: ob er auch glaube, daß Tanzen, Spiel usw. Sünde sei, wie die dargunschen Prediger. Er bittet, der Herzog wolle ihn damit verschonen. Aber der Herzog dringt auf eine Antwort. Hierauf antwortet er, es falle ihm hierbei ein, was von dem sel. H. Prof. Francke in Halle ihm erzählt sei. Als diesen auch einmal eine Standesperson um diese Dinge befragt habe, habe er zur Antwort gegeben: ,Der Herr bekehre sich nur erst, alsdann wollen wir wohl damit übereinkommen.' Worauf der Herzog genug hat und geht fort. Mehreres anzuführen, macht meinen Brief zu groß. Ew. Hochehrw. werden schon hieraus abnehmen, daß man sich mit Recht gute Gedanken von unserem teuersten Prinzen macht. Was ich aber von unserem Herzog geschrieben, steht mir ja freilich nicht wohl an. Obwohl alles wahr ist, würde es doch nicht für gut ausgelegt werden, und wenn ich es nicht in sichere Hände überschickte, würde Bedenken tragen. Wollten aber Ew. Hochehrw. von einem und anderen deutlicheren Bescheid haben, bitte es mir zu benennen. Wenn ich mir Mühe gebe, kann ich alles erfahren von unserem H. Hofmeister und dem H. Hofprediger. Ich wollte auch manche Sachen, welche sehr wunderseltsam aussehen, berichten, was hier und da passiert, wo Ihnen nicht zu weitläufig würde. Sonderlich ist ein jetzt landskundiges Spektakul (mags wohl so nennen) in Untersuchung."

Noch liegt ein Schreiben Rudolphs vom 6. Oktober 1756 vor. Nach dem Tode der Fürstin 6 ) wolle der jetzt regierende Herzog 7 ) ihn nach Schwerin an eine kleine Schule versetzen. Der Hofprediger sei Superintendent in Parchim geworden und habe 110 Prediger unter sich. Die fürstlichen Lakeien seien


6) Herzogin Auguste † 9. Mai 1756.
7) Herzog Friedrich.
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zu Küstern in den Städten und auf dem Lande, auch zu Kastellanen auf fürstlichen Häusern gemacht. In Neustadt werde wohl ein Waisenhaus angelegt, auf dem gute Schulmeister ausgebildet werden sollen. "Es lassen der durchl. Herzog gewiß keine Gelegenheit vorbei, wo etwas Gutes zu schaffen, und wird jetzo in unserem Lande die Lästerstimme wenig gehört. Es will jetzt alles fein und gut sprechen. Ach, daß man ein solches Herz hätte. Der H. Flörke ist Prediger in hiesigem Amte zu Alt Kalden 8 ), der Pagenhofmeister Buck 9 ) wird Prediger im Städtchen Schwan. Man hat mir gesagt, daß der H. M. Döderlein 10 ) solle zum Professor der Theologie in


8) Leopold Flörke. Vgl. Willgeroth a. a. O. I, S. 565.
9) Christian Buk. Vgl. Willgeroth a. a. O. I, S. 243.
10) Christian Albert Döderlein (1714 - 1789), Pastor in Halle, 1758 Professor in Rostock, hier als Pietist von der Orthodoxie abgelehnt, 1760 in Bützow. Auch von hier hat er gegen den Rationalismus gekämpft. So schreibt er am 14. Dez. 1779 an den Herausgeber der Nova acta historico-ecclesiastica, Schneider, in Weimar: "Ich habe mich sehr gewundert, daß der H. D. Seiler, gegen den ich sonst sehr große Hochachtung habe, in seinem Wochenblatte ohne eine Anmerkung, ja vielmehr mit einigem Anschein eines heimlichen Beifalls und Wohlgefallens angeführt hat, als ob Semler nur zur Vermeidung der pietistischen Lehre sein System angenommen habe. Ich habe sehr ost schon bedauert, daß in diesem Wochenblatte bei allen guten Absichten mehrere dergleichen Dinge vorkommen. Man hat alle auch noch so schädlichen Einfälle des H. Semler entschuldigt und gemeint, daß man ihn nicht recht verstanden habe. Als ob H. Semler und seine Freunde allein nur zwei Augen, alle anderen aber nur eins oder gar keins hätten, die wahre Gestalt der Dinge zu sehen. Man hat Bücher als vorzügliche Erbauungsbücher empfohlen, von denen man doch selbst eingestanden, daß darin die Lehre vom selig machenden Glauben und von der Heilsordnung überhaupt ganz verkehrt und wahrheitswidrig vorgetragen worden." Und schon unter dem 22. September 1779: "Ew. Hochw. Beifall sowie mehrerer gelehrter und gutgesinnter Männer, den ich öffentlich und privatim erhalten habe, gereicht mir zur Ermutigung, in meiner geringen Arbeit nach dem Vermögen, das Gott darreicht, munter fortzufahren und mich durch die Schmähsucht einiger anderer Leute, wovon man die Triebfedern und Absichten leicht einsehen kann, nicht irre machen zu lassen. Nur dieser Umstand ist mir sehr unangenehm, daß mein Verleger mich nicht recht fördern kann. Er ist allein Schuld daran, daß das zweite Stück nicht, wie ich es versprochen hatte, bereits in der abgewichenen Ostermesse zum Vorschein gekommen, weil er durch den etwas heruntergekommenen Zustand seiner Buchhandlung gehindert wird, alles gehörig bestreiten zu können. Ich will aber sehen, wie ich mit Gottes Hilfe alles in einen besseren Gang bringe, und allenfalls will ich ihn zu bereden suchen, daß er den Verlag (  ...  )
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Rostock berufen werden. Alle die, denen ich in Ihrem Namen die malabarischen Nachrichten überreicht, haben mich allezeit gebeten, wenn ich schreibe, herzliche Grüße nicht zu vergessen." Noch hören wir, daß Rudolphs Sohn damals in Halle studierte. "So viel mir möglich, will ich ihm helfen. Doch in unserer hochseligen Fürstin ist mir eine gute Mutter abgestorben, welches jetzt schon ziemlich fühle."

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(  ...  ) meines Werks freiwillig einem anderen Buchhändler überlasse. Überhaupt ist ein Gelehrter in unserem Lande mit seinen Arbeiten ein wenig übel dran. Wir haben nur zwei Buchhändler, mit denen noch einigermaßen was zu tun ist. Ich wünschte einen Verleger in Obersachsen zu haben, wo die Buchhandlungen und Buchdruckereien in besserem Stand und Gange sind als hier. Allein ich habe mit keinem dortigen Buchhändler jemals Verbindung gehabt als nur mit dem Buchladen des hallischen Waisenhauses, und dieses hat, was denken Ew. Hochw. davon, aus Furcht vor dem H. Semler schon seit vielen Jahren nichts mehr von mir in Verlag nehmen wollen."
Bützow, den 1. Juni 1780, klagt Döderlein, daß der Tod seines Verlegers den Druck seiner Arbeiten aufgehalten habe. "Jetzt geht zwar die Verlagsbuchhandlung ihren Gang weiter, aber was die Verlagsbücher betrifft, nur sehr langsam. Man hat mir Hoffnung gemacht, daß der Druck zweier Abhandlungen in der Neujahrsmesse fertig werden würde, doch hat sich der Druck wieder verzögert."