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III.

Schlußbericht
über die Lage der
Travemünder Reede

von

Werner Strecker.

 

Vignette
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6. Archivgutachten vom 26. Juni 1928 für das Mecklenburg=Schwerinsche Ministerium des Innern.


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Auf das dem Gutachten Prof. Dr. Rörigs vom 20. April 1927 (Rörig IV) angehängte Schlußwort vom 12. Mai 1928 (zitiert ebenfalls Rörig IV) 1 ) haben wir folgendes zu erwidern:

I. Die Gutachten der heutigen seemännischen Sachverständigen und der Lotsenkommandeurbericht von 1843.

Verschiedentlich beruft sich Rörig in seinem Schlußworte auf ein Gutachten oder Mitteilungen zweier seemännischer Sachverständiger, des Lübecker Hafenkapitäns Herrn Murken und des Direktors der Bremer Seefahrtschule Herrn Preuß, die er zu Rate gezogen hat. Aus diesem Gutachten werden aber nur einzelne Sätze mitgeteilt, und man gewinnt den Eindruck, daß die Sachverständigen, denen einige Fragen vorgelegt sein mögen, sich gar nicht hinreichend mit der Gesamtheit der Quellen über die Reedelage bekannt gemacht haben. Da heißt es zunächst, die alten Messungen nach Fuß usw. hätten nur bedingten Wert. Das liege für die Längsmessungen an der primitiven Art, wie sie noch um die Mitte des vorigen Jahrhunderts vorgenommen seien. Es seien "alles Schätzungen", weil die damaligen Meßinstrumente wie Oktanten für solche Messungen nicht hätten gebraucht werden können und vor allen Dingen nicht gebraucht worden seien 2 ). Zwar wird es sich nicht immer um bloße Schätzungen gehandelt haben, aber die hier von den Sachverständigen hervorgehobene frühere Ungenauigkeit der Längsmessungen erkennen wir an. Sie trifft natürlich gerade auch zu für die Fixierung der Tiefenzahlen auf den alten Seekarten im Verhältnisse zu den Küstenlinien und den Landmarken, und deswegen ist es so grundverkehrt gewesen, Tiefenzahlen der französischen Seekarte von 1811 in das Meßtischblatt hineinzukonstruieren, wie es auf der Hagenschen Karte (Kartenbeilage 3 bei Rörig IV) geschehen ist. Die Tiefen, bei denen auf der Hagenschen Karte die Anker liegen, finden sich ja, wie die neueste Admiralitätskarte und unsere danach angefertigte Skizze in Archiv V (Jb. 91) lehren, tatsächlich für die Zeit um


1) [Das Erachten mit dem Schlußwort ist als Sonderdruck aus der Zeitschrift des Vereins für Lübeckische Geschichte und Altertumskunde, Band XXV, erschienen.]
2) Rörig IV, S. 66.
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1800 noch vor der Majorlinie, und dahin gehören natürlich auch die Anker 3 ).

Wenn aber die Sachverständigen wegen der Ungenauigkeit der Längsmessungen es ablehnen, daß die Reede zwischen den Kreisbögen gelegen habe, die auf unserer Skizze in 1120 und 1450 m (richtig 1550 m, siehe Nachtrag zu Archiv V) Abstand vom Norderbollwerk gezogen sind, so ist das keineswegs berechtigt. Mit den im Scharpenbergischen Bericht von 1784 angegebenen Entfernungen von 5 bis 6 Kabellängen vom Bollwerk müssen wir uns zufrieden geben, weil wir keine anderen Messungen oder Schätzungen für jene Zeit haben, und sie sind ja doch auch auf der Hagenschen Karte benutzt worden, wenn auch, wie wir in Archiv V auseinandergesetzt haben, in nicht anzuerkennender Weise. Überdies sind diese Entfernungen mit allen anderen Quellen in Einklang zu bringen, und sie werden auch einigermaßen genau sein, denn man konnte sie z. B. schon nach der Zeit schätzen, die ein Leichterboot brauchte, um von der Reede bis zum Norderbollwerk zu kommen. Es ist aber klar, daß die Entfernungen zu messen sind in Richtung auf den Hauptteil der Reede und nicht, wie auf der Hagenschen Karte, in lotrechter Richtung zur Majorlinie, einer Richtung, die gerade noch in eine kleine Ecke der Reede hineinführt, nämlich in das am wenigsten in Betracht kommende Gebiet dicht neben der Linie Kirchturm - Leuchtturm, die die äußerste Grenze der Reede nach Süden zu bildet.

Nun meint Herr Hafenkapitän Murken: "Wenn Mecklenburg behauptet, daß die Reede zwischen 1150 m und 1450 m lag, so ist das ein Spiel mit Maßen, die gar nicht herangezogen werden können. Diese Entfernung vom Bollwerk ist die innere (d. h. dem Land zu gelegene) Begrenzung der Reede." Aber hiermit ist der Sinn des Berichts von 1784 gar nicht getroffen. Es handelt sich nicht um eine Entfernung, sondern um einen Spielraum, wenn auch, wie wir im Nachtrage zu Archiv V auseinandergesetzt haben, wahrscheinlich gerade mit dem geringsten der angegebenen Kabelmaße, dem vom 130 Faden, zu rechnen ist. Und dieser Spielraum ist keine bloße Begrenzung, sondern die Reede selbst, denn auf ihm lagen "alle Schiffe" 4 ). Natürlich aber sind unsere Kreisbögen


3) Im übrigen halten wir gegenüber Rörig IV, S. 83, alles aufrecht, was wir über die Hagensche Karte gesagt haben.
4) Nachdem wir inzwischen die Akten über den Fall von 1784 in Lübeck haben einsehen können, halten wir an unserer Auffassung fest, wonach "normal verankerte" Schiffe diesseit der Majorlinie lagen, und wären bereit, dies im einzelnen aus den Akten nachzuweisen. Vgl. auch unten Anm. 19.
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nicht so aufzufassen, als ob die davon eingeschlossene Wasserfläche bis in den letzten Winkel hinein Reede gewesen sei, sondern die Reede ist innerhalb der Kreisbögen zu suchen, und hier kann man ja auch eine "Parallele" zur Majorlinie ziehen, die aber, gemäß den vom Lotsenkommandeur Wohler angegebenen Wassertiefen von beinahe, also etwas weniger als 5 (Lübecker) Faden, binnen der Majorlinie gezogen werden muß. Im übrigen liegt ein Schiff auf einem Punkt, und durch jeden Punkt im Reedegebiet läßt sich eine Parallele zur Majorlinie konstruieren.

Ferner war es durchaus richtig, daß wir die Reede in den jetzigen Leuchtfeuersektor verlegten. Die Linie Kirchturm - Leuchtturm, die 1843 als südliche Reedegrenze erscheint und auch wohl schon vorher hierzu gedient hat, ist erst jetzt von Rörig als Grenzlinie festgestellt worden. Zwischen ihr aber und dem Sektor liegt ja nur eine schmale Fläche, die am wenigsten in Betracht gekommen sein wird, so daß der Hauptteil der Reede sich innerhalb des heutigen Sektors befand, wo ja das tiefste Wasser ist. Daß wir gesagt haben, auf die nördliche Grenzlinie, die (jetzt auch seit 1843 festgestellte) Linie Kirchturm Travemünde - Badehaus komme wenig an, hat seinen Grund darin, daß das Gewässer in jener Gegend nicht strittig ist. Übrigens wird auch durch diese Linie im Reedegebiet nicht viel vom Sektor abgeschnitten.

Selbstverständlich war die Reede nach der Majorlinie orientiert, aber doch gewiß erst, seitdem diese Linie infolge des Schwundes des Brodtener Ufers soweit nach Westen rückte, daß sie in die Nähe der quer über einen Teil der Bucht sich hinziehenden 5-Faden-Tiefen kam und später sogar über diese Tiefen hinweglief; denn eben hierin liegt der nautische Sinn der Majorlinie. Mit den 5-Faden-Tiefen beginnt die Lotsen- und Leichterreede. Deswegen heißt es auch 1849, daß die Majorlinie "die Ankerplätze auf der Reede angäbe" 5 ). Hier hatte man zugleich noch den Schutz des hohen Brodtener Ufers und des flachen Steinriffteiles, der bei nördlichen Winden gegen hohe See sichert 6 ). Als aber die Majorlinie, wie zur Zeit des Lotsenkommandeurs Wohler, noch jenseit der 5-Faden-Tiefen blieb, hat natürlich jeder Lotse gewußt, wie weit er von der Linie aus noch steuern durfte; man mag hierfür auch Merkmale gehabt haben, von denen wir nichts mehr wissen.

Zu der von uns ermittelten, ganz unzweifelhaft richtigen Länge des Lübecker Fadens bemerken die Sachverständigen:


5) Rörig III, S. 95; Archiv III, Jb. 90, S. 161.
6) Angabe des Hafenkapitäns Murken, Rörig IV, S. 60, zu Frage 3.
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"Lübeckische Seekarten von der Lübecker Bucht waren nicht vorhanden; es wurden vorzugsweise schwedische und dänische Karten gebraucht. Wenn der Travemünder Lotsenkommandeur daher von Faden spricht und in die von ihm benutzten Karten hineinsieht, so rechnet er die schwedischen und dänischen Maße von 1,78 m und 1,89 m (sic!) natürlich nicht um, sondern spricht ganz allgemein von den Faden, die auf der betreffenden Karte eingezeichnet sind."

Wissen die Sachverständigen, worum es sich handelt? Sind ihnen dänische und schwedische Seekarten bekannt, die zur Zeit des Lotsenkommandeurs Wohler (um 1800) für die Travemünder Bucht brauchbar waren? Was wir an Seekarten aus jener Zeit gesehen haben, kam jedenfalls nicht in Betracht, weil die Bucht darauf so winzig ist, daß man mit dem Kartenbilde gar nichts anfangen, geschweige denn Reedetiefen erkennen konnte. Überdies handelt es sich ja um Lübecker Reedekarten, in erster Linie um die von Wohler selbst gezeichneten 7 ), daneben um seine schriftlichen Angaben. Und natürlich hat Wohler auf der Reede gelotet oder loten lassen, und zwar nach Lübecker Maß, das ja, wie Rörig (IV, S. 33) selber anführt, in Lübeck bei Seemessungen gebraucht wurde. Man wird auf der Reede wohl öfter gelotet haben und hat sicher zu jeder Zeit gewußt, wieviel Lübecker Faden das Wasser auf der Reede hielt.

Will man aber annehmen, daß die Tiefenmessungen ungenau gewesen seien, so würde dies nicht dafür sprechen, daß sie in Wirklichkeit etwas größer, sondern daß sie etwas geringer waren. Denn die Lotleine konnte leicht schleppen und von der Meeresströmung gekrümmt werden. Auf der Reede aber hätte man schließlich auch mit einer Meßrute messen können.


7) Wir haben uns jetzt auch mit der von Rörig IV, S. 27, erwähnten Karte Wohlers von 1787 bekannt gemacht. Unseres Erachtens gibt sie ein besseres Bild von der Reedelage als die Karten von 1788 und 1801. Auf der Karte von 1787 findet sich am holsteinischen Ufer, zwischen Haffkrug und Neustadt, ein Gebilde, das auch wir für den Gömnitzer Berg mit dem Major darauf halten. Zieht man aber die Majorlinie, so bleiben nicht nur die drei bei 5 Faden liegenden Anker, sondern auch noch fast das ganze Wort "Rhede" diesseit der Linie. Die Ausführungen bei Rörig IV, S. 27 f., können wir nicht anerkennen. Es kommt nicht darauf an, Pötenitz mit dem Major zu verbinden, sondern die Majorlinie am Brodtener Ufer vorbeizuziehen. Pötenitz hat mit der Linie nichts zu tun. [Wie eine nochmalige Prüfung der Karte ergeben hat, trifft der im Vorstehenden bezeichnete Verlauf der Majorlinie nur zu, wenn man sie am Uferrande, nicht aber an der das Steilufer andeutenden Schraffierung entlang zieht. In jedem Falle aber gibt diese Karte einen richtigeren Eindruck von der Reedelage als die beiden übrigen Karten Wohlers.]
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Einen Beweis dafür, daß die Sachverständigen wesentliche Quellen über die Reedelage nicht berücksichtigt haben, dürfen wir wohl in den Auseinandersetzungen erblicken, die Rörig IV, S. 100, Anm. 174, aus ihrem Gutachten mitteilt. Da heißt es, einen ziemlich genauen Beginn der Reede von der See her biete der Schnittpunkt der Peilungen von der Grömitzer Kirche und der Steinrifftonne, die in dem neuerdings vorgebrachten Bericht des Lotsenkommandeurs Dieckelmann von 1843 angegeben seien. Dabei erfahren wir nicht, was dies für Peilungen sind, und es wird auch nicht erwähnt, ob beachtet ist, daß die Steinrifftonne 1843 viel weiter landwärts lag als heute. Dieser Schnittpunkt nun, der nach Rörig nord-nord-westlich von der Harkenbeck, noch etwas seewärts von der Linie Gömnitzer Turm - Pohnsdorfer Mühle liegt, falle ziemlich genau mit dem Beginn der Reihenlotungen und Grundproben zusammen und sei "wohl als äußerster Punkt der Reede für die Schiffe, die bei auflandigem Winde außerhalb ankern mußten, anzusehen". "Diese Schiffe," so heißt es weiter in dem Gutachten, "waren bei dem damals wenig guten Ankergeschirr gezwungen, am äußeren Ende der Reede zu ankern, damit sie, falls die Anker nicht hielten, nicht schon in unmittelbarer Nähe des Strandes waren und Platz und Zeit behielten, um Segel zu setzen und sich von der Küste freizusegeln."

Wir aber wissen aus dem Scharpenbergischen Bericht von 1784, daß "alle Schiffe" 5 - 6 Kabellängen vom Bollwerk lagen, und zwar gerade bei auflandigem Winde, nämlich bei Nordost; eben wegen der Gefahr dieses Windes lagen sie laut demselben Bericht so weit draußen. Ferner wissen wir, daß sie bei etwa 5 Faden Tiefe lagen, nicht bei 17 - 19 m (10 Faden und darüber) in der Gegend der Harkenbeck. Drittens wurde ja im 19. Jahrhundert, z. B. in dem Merkblatt von 1855, den Schiffen, die nachts ankamen und deren Einbringung durch einen Lotsen zu gefährlich erschien, geraten, in 5 - 6 Faden Tiefe zu ankern 8 ). Schließlich wissen wir auch, daß es in der Tat vorkam, daß Schiffe auf der Reede vom Anker gerissen und beschädigt wurden. Diese Gefahr lief man eben 9 ).

Ob bei der Harkenbeck oder noch weiter östlich auch einmal ein Schiff lag, interessiert uns gar nicht; denn wir suchen die Lotsen- und Leichterreede. Wie weit in See mögen wohl manchmal Schiffe vor Warnemünde oder anderen Häfen geankert haben?


8) Vgl. Archiv V, Jb. 91, S. 90.
9) Archiv V, Jb. 91, S. 93. Vgl. auch den Wohlerschen Bericht bei Rörig IV, S. 29.
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Ebenso wenig interessiert es uns, wo der Lotsenkommandeur Dieckelmann gelotet und den Meeresgrund geprüft hat 10 ). Grundproben und Lotungen hat man z. B. für die französische Seekarte von 1811 auch auf dem Steinriff und überall am Rande der ganzen Lübecker Bucht vorgenommen.

Solange die seemännischen Sachverständigen ihre Gutachten nicht in erster Linie auf dem gesamten vorgelegten Quellenmaterial über die Reede aufbauen, was unserer Ansicht nach nicht geschehen sein kann, und solange aus ihren Äußerungen nicht hervorgeht, daß sie auch Bauart und Tiefgang der früheren Schiffe berücksichtigt haben, können ihre Mitteilungen nur das Bild verwirren, das aus den Quellen mit Sicherheit zu gewinnen ist. Sehen sich aber die Sachverständigen diese Quellen einmal genau an, so halten wir es für wahrscheinlich, daß sie sich zu unserem Standpunkte bekehren.

Übrigens wollen wir hier einen Irrtum Rörigs berichtigen. Er meint, wir hätten in Archiv V, S. 94, "das schier Unmögliche fertiggebracht", "nämlich zu behaupten, daß bei Nordost und Nordnordost die Schiffe am geschütztesten gewesen wären, wenn sie möglichst weit buchteinwärts geankert hätten" 11 ). Wir haben aber die vom Nordostwind drohende Gefahr ausdrücklich hervorgehoben, auch gerade die von Rörig angezogene Bemerkung Waghenaers erwähnt und dabei die begründete Ansicht vorgebracht, es werde wohl so sein, "daß ostnordöstliche Stürme den Schiffen um so weniger schädlich sind, je weiter diese buchteinwärts ankern; denn desto mehr muß der Schutz der mecklenburgischen Küste wirken."

Wir kommen jetzt zu der von Rörig neu vorgelegten Quelle, dem Bericht des Travemünder Lotsenkommandeurs Diekelmann von 1843. Was Rörig aus diesem Bericht anführt, beseitigt endgültig seine Theorie von der Reede. Diekelmann beschreibt, und dies ist wichtig, die Fahrt von See her in den Travemünder Hafen, er denkt sich also an Bord eines Schiffes, das auf Travemünde zusegelt. Es heißt in dem Auszuge bei Rörig 12 ):

"Sobald man Travemünde sich weiter nähert, bringt man den Leuchtturm in WSW des Kompasses und hat man den


10) [Es handelt sich nicht um von Diekelmann vorgenommene Reihenlotungen und Grundproben. Wie uns nachträglich mitgeteilt ist, hatten die Herren Preuß und Murken die betreffenden Angaben der französischen Seekarte von 1811 im Auge.]
11) Rörig IV, S. 79, Anm. 126, und S. 100, Anm. 174.
12) IV, S. 70.
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Gömser Berg, ... mit der Ecke des hohen Brodtner Ufers fast in gerader Linie, so hat man die Rhede erreicht" 13 ).

Erreicht, das kann doch nur heißen: Unmittelbar vor der Majorlinie (die 1843 schon wieder etwa 50 m näher nach der Trave zu fiel als auf unserer Kartenskizze in Archiv V für das Jahr 1801) beginnt, von der See her gerechnet, die Reede. Nach Rörig aber soll sie trotzdem hier zu Ende gewesen sein. Dabei klammert er sich zunächst an das von ihm gesperrt gedruckte Wort "fast". Sodann will er aus dem nun folgenden Satze des Berichts:

"Diese (d. h. die Reede) erstreckt sich bis ca. 1/4 Meile östlich von Travemünde" (hier sind in dem Bericht noch die Worte eingeschaltet: und ist von Norden nach Süden ca. 5/16 Meile breit) 14 ), "hat überall guten, aus Sand, Ton und Modde bestehenden Ankergrund auf 43/4 bis 5 Faden Wassertiefe,"

den Schluß ziehen, daß die Reede von der Majorlinie an nach See zu bis auf eine Seemeile vom Norderbollwerk gereicht habe 15 ). Aber "fast in gerader Linie" bedeutet selbstverständlich, daß man sich fast genau an der Majorlinie befinden mußte und nicht etwa auf der Parallele dazu, die neuerdings in die Hagensche Karte mit blauer Farbe eingefügt ist und vom Norderbollwerk eine Seemeile abliegt. Wenn man auf dieser Parallele war, so befand man sich 550 m jenseit der Majorlinie von 1810 16 ), wozu für das Jahr 1843, infolge des Brodtener Uferschwundes in der Zwischenzeit, noch ungefähr 40 m hinzukommen. Man war also 1843 etwa 600 m von der Linie entfernt, war noch weit außerhalb des Brodtener Ufers und konnte gar nicht übersehen, wann man auf die Majorlinie kam und wie diese verlief. Dazu die Wassertiefen, die Diekelmann nennt: 43/4 - 5 Faden. Sie passen recht gut zu der Angabe des Lotsenkommandeurs Wohler von 1801: beinahe 5 Faden. Und daß auch Diekelmann Lübecker Maß meinte, ist ohne weiteres anzunehmen, schon weil "nach den Umrechnungen, die 1875 Lotsenkommandeur Zuhr vornahm, der bei Seemessungen verwandte Fuß: 0,2876" m betrug, "also der


13) Die Angabe: WSW zum Leuchtturm kann übrigens nicht im genauesten Sinne zu verstehen sein. Sonst würde man nämlich noch südlicher kommen, als die Linie Leuchtturm - Kirchturm verläuft, die Diekelmann hernach als Südgrenze der Reede und zugleich als Ansegelungslinie für den Travemünder Hafen bezeichnet.
14) Diese Worte erwähnt Rörig IV, S. 80, Anm. 127.
15) Vgl. die nachträgliche Bemerkung bei Rörig IV, S. 64.
16) Für dieses Jahr gilt ja die Majorlinie auf der Hagenschen Karte.
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Lübecker Fuß" war 17 ). 43/4 Lübecker Faden sind aber knapp 8,20 m, 5 Faden = 8,63 m. Wenn man nun unsere Kartenskizze in Archiv V vornimmt, so kann man feststellen, daß die 5-Faden-Tiefen 1843 in der Tat auf oder unmittelbar jenseit der Majorlinie, im nördlichen Teile der Reede aber auch noch diesseit der Linie vorhanden sein mußten, Tiefen von 43/4 Faden aber diesseit der Majorlinie nach der Trave zu. Dabei kann man höchstens annehmen, daß die Tiefen 1843 wegen der seither fortgeschrittenen Versandung der Travemünder Bucht noch ein bißchen größer waren als heute 18 ). Nur im Süden der Reede zwischen dem Leuchtfeuersektor und die Linie Kirchturm - Leuchtturm finden sich etwas geringere Tiefen, die eben nicht mehr zu den von Diekelmann und früher auch vom Lotsenkommandeur Wohler bezeichneten Haupttiefen der Reede gehörten 19 ).

Etwas weiter jenseit der Majorlinie sind Tiefen von 43/4 bis 5 Faden doch höchstens in einem winzigen Gebiet anzutreffen, das bis ungefähr 200 m hinter der Linie und etwas nördlich von der Peillinie Kirchturm - Leuchtturm liegt. Keineswegs aber finden sie sich in der Gegend, wo auf der Hagenschen Karte die blaue Parallele zur Majorlinie eingetragen ist. Diese Parallele fällt ja in ihrem nordwestlichen Teile schon hinter die 10-m-Tiefenlinie, wo das Wasser 10,9 m und darüber tief ist, und in ihrem südöstlichen Teile müßte sie die 10-m-Tiefenlinie eigentlich berühren 20 ).


17) Rörig IV, S. 33. Wir können es nicht verstehen, daß Rörig (IV, S. 67) trotz dieser Angabe von 1875 den Faden immer noch zu 1,80 m ansetzen will. Die Lotleine war doch nach Lübecker Maß abgeteilt. Wie soll da für den Faden (6 Fuß) mehr herauskommen als die von uns errechnete Länge von 1,72572 m? Vgl. Archiv V, Jb. 91, S. 74 f.
18) Vgl. Archiv III, Jb. 90, S. 150 f. Nach der Äußerung der Sachverständigen bei Rörig IV, S. 83, Anm. 137, spielen die in dem Bericht Diekelmanns genannten Maße wie Faden und Fuß bei der "Festlegung der Reedegrenzen" keine Rolle. Aber man wird doch wohl nicht bestreiten wollen, daß die angegebenen Ankertiefen zur Bestimmung des Reedegewässers herangezogen werden müssen.
19) Der nördliche Teil der Reede ist der wichtigste. 1784 bestritt die Frau des Lotsenkommandeurs Scharpenberg, daß jenes englische Schiff, das ja festgestelltermaßen diesseit der Majorlinie geankert hatte, dem steinigen Grunde zu nahe gelegen habe. Der Grund sei dort so gut, "wie ein Grundt sein kann". Die Lotsen hätten gesagt, daß sie dort "manch 100 Schiffe hingelecht" hätten. Es sei "auf die Rehde nordwarts", wo fast alle großen Schiffe zum Löschen hingelegt würden.
20) Die 10-m-Tiefenlinie liegt südöstlich von dem Schlauch, in den sie ausläuft, auf der Hagenschen Karte zu weit zurück. Die Entfernung vom Leuchtturm bis zur Linie beträgt in dieser Gegend (zwischen dem Schlauch und dem südlichen Leuchtfeuerstrahl) nach der Admiralitätskarte 2200 m (vgl. auch unsere Skizze im Archiv III, Beilage 5 b). Auf der Hagenschen Karte ist die Entfernung größer. Übrigens sind die nicht eingeklammerten Tiefenzahlen auf der Hagenschen Karte nicht zu berücksichtigen, weil sie aus der französischen Karte von 1811 stammen, vgl. Archiv V, S. 78 f.
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Das Entscheidende in dem Diekelmannschen Bericht ist natürlich das Wort "erreicht". Was bedeutet nun die Bemerkung, die Reede erstrecke sich bis etwa 1/4 Meile östlich von Travemünde? Nach Mitteilung der Lübecker Sachverständigen ist 1/4 deutsche Meile = einer Seemeile (rund 1850 m) zu rechnen 21 ). Gut, das stimmt ja auch beinahe. Fraglich bleibt, was unter Travemünde zu verstehen ist. Rörig, der in einem andern Falle die Worte "außerhalb Travemünde" dahin auslegt, daß der Travemünder Hafen gemeint sei 22 ), versteht diesmal unter Travemünde die Flußmündung oder vielmehr die Spitze des Norderbollwerks. Daher sind auf der Hagenschen Karte vom Norderbollwerk aus, und zwar wieder auf dem Lote, das auf die Majorlinie errichtet ist, 1850 m abgetragen, und es ist in dieser Entfernung die bekannte blaue Parallele zur Majorlinie gezogen, die also die Grenze dessen bilden soll, was Diekelmann hier als Reede bezeichnet. Nun aber hat ja Diekelmann, von See her kommend, eben erst die Reede dicht vor der Majorlinie erreicht, und es ist natürlich ganz und gar ausgeschlossen, daß er nun plötzlich wieder rückwärts rechnet, wozu ja auch die von ihm genannten Ankertiefen gar nicht stimmen würden.

Möglich ist es, daß der Lotsenkommandeur sagen wollte, die Reede erstrecke sich von der Majorlinie an travewärts bis auf ungefähr 1/4 Meile östlich des Travemünder Hafens, in den ja Diekelmanns Schilderung hineinführt. Und weil die Entfernung vom Hafenbaum bis zur Majorlinie 1843 reichlich 2 km betragen haben muß, so würde Diekelmann die Breite der Reede auf etwa 200 m berechnet haben. Möglich aber ist es auch, daß er einfach die Entfernung der Majorlinie von Travemünde angeben wollte, und zwar vom Hafenbaum oder von der Travemündung ab, worunter man ja nicht just die Spitze des Norderbollwerks zu verstehen braucht. Von der Mündung aus betrug die Entfernung ungefähr 1500 m, und auch sie könnte recht wohl gemeint sein, weil es sich ja bei der ganzen Angabe nur um eine Schätzung handelt, wie das Wort "circa" beweist.

Diese letzte Deutung, daß die Entfernung zwischen Travemündung und Majorlinie gemeint ist, halten wir für die wahr-


21) Rörig IV, S. 80, Anm. 127.
22) Rörig IV, S. 75 ff.
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scheinlichste und glauben, daß das Wort "erstreckt" so aufzufassen ist, daß Diekelmann das ganze Gebiet von der Mündung bis zur Linie Reede nannte, und zwar nördlich bis zum Möwenstein hin. Denn Diekelmann gibt die Breite der Reede von Norden nach Süden auf ca. 5/16 Meilen an. Nach Rörig 23 ) gilt dies für die Breite an der Majorlinie entlang, was der Bericht zwar nicht sagt, was aber auch wir für wahrscheinlich halten, weil die Ausdehnung der Reede wohl nur in der Richtung der Ankertiefen bestimmt werden konnte. Rörig fügt mit Recht hinzu, daß fürs Ankern aber nur der innere Teil zwischen den von Diekelmann genannten Linien Kirchturm - Badehaus und Kirchturm - Leuchtturm in Betracht gekommen sei. Die etwas komplizierte Angabe von 5/16 Meilen (11/4 Seemeilen) macht den Eindruck großer Genauigkeit. Es sind nach Rörig reichlich 2300 m 24 ) (genauer: 2312 m), und dies ist fast genau die Länge der Majorlinie vom Mecklenburger Ufer bis zur Höhe des Möwensteins 25 ). Wir glauben, daß das, was Diekelmann hier in der inneren Bucht noch als Reede (im weiteren Sinne) bezeichnete, von Haus aus mit dem Gebiet identisch ist, das die Travemünder Fischer "binnen de Reide" nennen 26 ). Zwar rechnen die Fischer das Gebiet heute bis zu den äußersten Fahrwassertonnen; aber diese lagen noch 1890 dicht an der Majorlinie 27 ), vormals noch weiter landwärts, und die Majorlinie ist sicher einst die Grenze des Bezirks "binnen de Reide" gewesen 28 ). Wenn auch nicht die ganze Fläche bis zur Flußmündung hin eigentlich Reede war, so ging hier doch insofern Reedebetrieb vor


23) Rörig IV, S. 80, Anm. 127.
24) Ebd.
25) Übrigens würde man, wenn man die Reedebreite in genau nördlicher Richtung vom Priwallufer aus bestimmen würde, auch nur wenig über den Möwenstein hinauskommen.
26) Archiv III, Jb. 90, S. 171; Archiv V, S. 114.
27) Archiv V, S. 114.
28) Rörig hat sich wegen der Deutung der Worte "binnen de Reide" an einen Kollegen von der Kieler Universität gewendet (IV, S. 69, Anm. 102). Aber warum läßt er denn nicht die Travemünder Fischer fragen? Es handelt sich doch um einen noch heut bestehenden Sprachgebrauch! Außerdem berücksichtigt er nicht, daß das Gebiet jenseit der Tonnen von den Fischern als "buten de Reide" bezeichnet wird. Der Schlußsatz seiner Anmerkung paßt ja gar nicht zu unseren im Archiv V, S. 114, gebrachten Analogien (binnen der Traven und buten der Traven). Der Gegensatz zu "buten de Reide" braucht durchaus nicht durch "up", sondern kann ebenso gut durch "binnen" wiedergegeben werden. Vgl. z. B. "binnen Bremen", "binnen Lubeke" (in Lübeck), "binnenlandesch" (inländisch), Schiller und Lübben, Mittelniederdeutsches Wörterbuch I.
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sich, als die Leichterprähme hin- und herfuhren. Die etwas ungenaue Bezeichnung Reede für das Gebiet zwischen Flußmündung und Majorlinie ließe sich also verstehen.

Nun aber glaubt Rörig mit Hilfe der Fortsetzung des Diekelmannschen Berichts "jeden Zweifel zu beseitigen, ob nicht auch nach Diekelmann eine Ausdehnung der Reede nach Travemünde zu über die Majorlinie hinaus angenommen werden könnte". Er weist zu diesem Zwecke darauf hin, daß der Kommandeur "sofort auf diese Worte, in denen er die Lage des innersten Teiles der Reede" (nicht des innersten Teiles, sondern der Reede selbst, die er "erreicht" hat!) "beschreibt, zur Beschreibung der Einfahrt in den Hafen übergeht, und zwar so, daß er selbst angibt, daß von dieser Stelle an die Rhede landwärts aufhört." Es ist aber gar nicht zu begreifen, wie Rörig dies aus der Fortsetzung des Berichts herauslesen will, die folgendermaßen lautet:

"Segelt man von der Rhede in den Hafen, so suche man den Kirchturm mit dem Leuchtturm in eine Linie zu bringen, und steure so fort, bis man an eine rote Seetonne kommt, welche ca. 1650 Fuß vom Norderbollwerk liegt. [Steuert man dann noch etwa 800 Fuß weiter SW z. W], so findet man eine vor dem Eingang des Hafens sich hinstreckende Sandbank, die Plate genannt ..."

Wenn man also, meint Rörig, von der Reede aus eine längere Strecke gesegelt habe, dann erst komme man an eine Tonne, die "immerhin" noch 1650 Fuß vom Norderbollwerk entfernt sei. Wieviel sind denn aber 1650 Fuß? Gerade 475 m. Und weil die Majorlinie 1843 in der Richtung Leuchtturm - Kirchturm etwa 1300 m vom Norderbollwerk ablag, so mußte man von den Ankerplätzen, die Diekelmann hier im Auge hatte, auch noch mindestens 1/3 Seemeile fahren, bis man die Tonne erreichte. Das ist doch eine nicht unerhebliche Strecke. Und wenn man dann noch etwa 800 Fuß (230 m) weiterfuhr, so kam man - an die Plate, die also noch nicht 300 m vor dem Norderbollwerk anfing 29 ). Und auf diese Plate sollten wir an unserem "grünen Tisch" die Reede verlegt haben! Sie soll "für das Gewässer bis zur Majorlinie von Travemünde aus" das "charakteristische örtliche Merkmal" sein 30 ), und heute will man sie in Lübeck bis zur


29) Das Fahrwasser der Plate war nach Dieckelmann etwa 950 Fuß (272 m) lang und etwa 250 Fuß (72 m) breit.
30) Rörig IV, S. 4, Anm. 3, Klammer. Nach dieser Zusatzbemerkung soll mit seinem Ausdruck "Platenreede" "natürlich nicht gesagt sein, daß Archiv III die ,alte Reede' gerade auf die Sandbank der Plate selbst gelegt habe". Damit nimmt er aber zugleich die ebenso heftigen wie irrigen Erklärungen auf S. 136 seines 3. Gutachtens zurück. Inzwischen hat seine Entstellung unserer "alten Reede" sich in der Besprechung der Prozeßliteratur in den Hansischen Geschichtsblättern 32, S. 226 schon fortgepflanzt. Derlei Versehen passieren manchmal in Rezensionen, auf die Rörig sich ja so gerne beruft, als ob die Urteilsbildung seiner Leser einer Stütze bedürfte.
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schwarzen Ansegelungstonne rechnen, d. h. bis gut 1700 m vom Norderbollwerk, ja, von der Tonne an südwestlich noch weiter 31 ).

Halten wir nun mit den Angaben Diekelmanns von 1843 den bekannten Bericht des Lotsenkommandeurs Harmsen von 1828 32 ) zusammen: Nach Harmsen war die Reede, von Travemünde aus gerechnet, an der Majorlinie zu Ende; nach Diekelmann fing sie, von See her gerechnet, fast genau an der Majorlinie an. Das stimmt miteinander überein, und so wird dann wiederum durch eine neue Quelle Lübecker Herkunft bestätigt, was wir seit drei Jahren behauptet haben 33 ).

Die Reede, nämlich das Gebiet, wo die Schiffe lagen, zog sich wie ein schmales Band an der Majorlinie hin. So erscheint


31) Vgl. Archiv V, S. 97.
32) Archiv II, Jb. 89, S. 126 f.
33) Rörig (IV, S. 97, Anm. 166) meint, daß die Angaben Harmsens "auch aus dem Grunde besonders irreführend" seien, weil das dabei gebrauchte Meilenmaß die Seemeile ist. Also wenn jemand z. B. schon nach Celsius rechnet, während andere noch Reaumur bevorzugen, so sind seine Angaben "besonders irreführend". Ebenso unrichtig ist Rörigs weitere Behauptung, daß die von ihm vorgebrachten Aktennotizen über die Lotsenfischerei von 1827 gegen unsere Auffassung des Harmsenschen Berichtes sprächen. Die Lotsen selbst nämlich erklärten, daß "wenigstens das Aufziehen der Netze von den Lotsen beim Zurückfahren von der Reede ohne irgendeinen namhaften Zeitverlust betrieben werden" könne, und die Wette schrieb, die Lotsen würfen die Netze aus, wenn sie den Schiffen entgegenfahren sollten, und zögen sie ein, wenn sie von der Reede zurückführen. Hierzu meint Rörig: Wenn wir recht hätten, "müßte die Reede näher dem Lande zu liegen als die Fangplätze"; das Gegenteil bezeugten die Akten. Wirklich? Wir wissen doch, daß die Lotsen gar nicht auf der Reede fischten, sondern auf dem Steinriff vor dem Brodtener Ufer, jenseit des Möwensteins (Archiv II, S. 126; Rörig III, S. 78). Die Fangplätze lagen also nicht etwa zwischen Reede und Travemündung, sondern die Lotsen mußten von der Reede aus immer einen Umweg machen, um zu den Fangplätzen zu gelangen, und den hierdurch verursachten Zeitverlust veranschlagten sie natürlich in ihrem eigenen Interesse "wenigstens" für die Aufziehung der Netze so gering wie möglich. Auch in dem Wettebericht von 1827 bedeutet demnach das Zurückfahren von der Reede keineswegs: direkte Fahrt Reede - Travemünde, sondern es ist der Umweg eingerechnet, und ob die Reede vor oder hinter der Majorlinie lag, ist aus diesen Aktenstellen gar nicht zu entnehmen.
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sie auch auf den Wohlerschen Skizzen 34 ). Noch auf den Admiralitätskarten von 1873 bis 1887 liegt ja an der Majorlinie ein Anker 35 ). Und die Grenzlinien Badehaus - Kirchturm und Kirchturm - Leuchtturm, die die Schiffe davor bewahren sollen, im Norden dem Steinriff, im Süden den abfallenden Tiefen vor der Küste zu nahe zu kommen, passen für das Gebiet auf und vor der Majorlinie am allerbesten.

Nicht unsere Kartenskizze in Archiv V ist "nach jeder Richtung hin unbrauchbar" 36 ), sondern die Hagensche Karte gibt ein ganz verkehrtes Bild, weil die Ankertiefen, die auf ihr gut 300 m hinter der Majorlinie von 1810 liegen, noch vor diese gehören und weil der blaue Grenzstrich in 1850 m Entfernung vom Norderbollwerk gelöscht werden muß 37 ).

Aus der bandförmigen Schmalheit der Reede erklärt sich auch die von Rörig (III, S. 144) mitgeteilte Stelle in der Eingabe der Schlutuper Fischer vom 8. November 1825. Wir haben über diese Eingabe ebensowenig wie über irgendeine andere Quelle "möglichst" hinweggesehen, wie Rörig 38 ) behauptet, sondern haben in Archiv III (Jb. 90, S. 166 f.) versucht, sie, in Übereinstimmung mit dem sonstigen Material, zu deuten. Allerdings wohl nicht richtig; denn mit der Reede der Eingabe sind schwerlich, wie wir annahmen, Reede und Außenreede zusammen gemeint. Sondern wenn es in der Eingabe heißt:

"Schon das Besichtigungs-Protokoll vom 26ten August theilt die ganze Strecke vom Blockhause bis Harkenbeck in zwey Theile, wofür die Rhede den Abschnitt macht; von ihr an nämlich bis Harkenbeck, und wieder von ihr bis zum Blockhause",


34) Kartenbeilagen I und II zu Rörig IV.
35) Archiv V, S. 94.
36) Rörig IV, S. 82.
37) Wenn Herr Stabsingenieur Hagen es für wahrscheinlich hält, daß die Majorlinie für die Seeleute die äußerste Grenze nach Land zu gewesen sei (Rörig IV, S. 69, Anm. 104), so entgegnen wir, daß hier wiederum das entscheidende Wort "erreicht" in dem Diekelmannschen Bericht nicht beachtet ist. Auch im übrigen können wir den Grund nicht gelten lassen, den Herr Hagen für seine Meinung angibt. Freilich glauben auch wir, daß 1843 Schiffe schon auf der Majorlinie selbst verankert wurden, aber um zu sehen, ob ein Schiff vor Anker trieb, dazu brauchte man die Linie nicht. Das ließ sich auch so erkennen, und der Schiffer konnte sich dafür noch besondere Merkmale (Landmarken, die anderen Schiffe) wählen, die hier gar nicht zu berechnen sind. Und wenn man 300 - 600 m jenseit der Majorlinie war, wie wollte man dann mit Hilfe der Linie, die man noch gar nicht festzustellen vermochte, ermitteln, ob man trieb?
38) IV, S. 68, Anm. 102.
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so wird die Reede, das schmale Gebiet, das auch ein Fischerboot rasch durchfuhr, hier als Grenze zwischen den beiden Strecken angesehen. Wollte man jedoch diese Grenze genau bestimmen, so bedurfte man einer Linie, und hierzu nahm man die bekannte Reedelinie, eben die Majorlinie. Wenn man diese, von Travemünde kommend, erreichte, so war man nach der Eingabe "auf der Rhede". Das stimmte auch, doch hatte man die Reede dann auch schon fast überschritten. Und weil ferner die Eingabe besagt, es lasse "sich aber nicht genau bestimmen, wo die Rhede angehe", was ebenfalls für die Fahrt von der Travemündung her gilt, so muß auch schon ein Teil des Gebietes diesseit der Majorlinie zur Reede gerechnet sein. Will man diese unsere Erklärung der Eingabe nicht gelten lassen, so bleibt gar nichts weiter übrig, als zu unserer Auslegung in Archiv III zurückzukehren.

Wir wiederholen aus unseren früheren Gutachten, daß die "eigentliche" Reede völlig außerhalb des mecklenburgischen Gewässers lag 39 ). Hinter ihr, seewärts, war nur Außenreede. Und diese ist offenbar in den Seebüchern des 18. Jahrhunderts gemeint, in denen die Reede bei 5 - 6 Faden Tiefe angegeben wird. Nimmt man hier keine Lübecker Faden an, sondern andere beliebige, die meistens länger waren, so liegen auch die 5-Faden-Tiefen schon jenseit der Lotsen- und Leichterreede, die man 1843 "fast", d. h. fast genau an der Majorlinie "erreichte". Die Seebücher weisen eben auf dasselbe Gebiet hin, das in der "Nachricht für Seefahrer", die das Lübecker Lotsendepartement 1855 herausgegeben hat, bei 5 bis 6 (hier beliebigen) Faden als passender Ankerplatz für Schiffe genannt wird, die nachts ohne Lotsenhilfe ankamen. Seit 1875 hat man dann aus den 5 - 6 Faden 10 - 12 m gemacht 40 ).

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Eine "Kontinuität" der Örtlichkeit können auch wir für die alte Reede bis sehr tief ins 19. Jahrhundert hinein gelten lassen.


39) Den Vorwurf einer angeblichen "Irreführung besonders schwerer Art" durch den Gebrauch des Wortes "eigentlich" (Rörig IV, S. 75, Anm. 115) haben wir ja schon Archiv V, S. 109 f. zurückgewiesen. Aber wir haben nicht zugegeben, daß das Oberappellationsgericht die Strecke zwischen Majorlinie und Harkenbeck gemeint habe. Es handelt sich um die ganze Strecke vom Blockhause an, Archiv V, S. 110. Übrigens verwendet Rörig selbst (IV, S. 99) das Wort "eigentlich" in genau demselben Sinne, in dem wir es verwendet haben.
40) Archiv III, S. 170; Archiv V, S. 90. Was übrigens mit dem Reedelicht bewiesen werden soll, das 1843 "nur bis auf die Reede"
(  ...  )
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Aber was man heute in Lübeck als Reede bezeichnet, von der Ansegelungstonne an seewärts, das ist die alte Reede nicht gewesen. Nach Rörig hätte es nun allerdings mit der "Kontinuität" nicht so ganz gestimmt. Er meint jetzt, daß "der eigentliche Ankerplatz der Reede in früheren Jahrhunderten eher etwas weiter seewärts gelegen hat als etwa um das Jahr 1800" 41 ). Wegen des sich bessernden Ankergerätes (das doch noch 1843 so wenig gut gewesen sein soll!) 42 ) sei dann der Ankerplatz weiter buchteinwärts gerückt. Aber seine chronologische Aufstellung über die "in den Jahrhunderten" angeblich abnehmenden Reedetiefen ist ja ganz irreführend und beruht im allerbesten Falle auf einem Irrtum in Manssons Seebuche von 1677 43 ). Ferner soll es bei der vermeintlichen Verrückung der Reede nach Travemünde zu auch eine Rolle gespielt haben, daß die Majorlinie sich allmählich in westlicher Richtung verschob 44 ). Über den Sinn der Majorlinie haben wir uns schon oben geäußert: Es kommt auf die Ankertiefen an, die man bei dieser Peilung hatte. Daher ist der Wert der Linie zeitlich begrenzt gewesen.

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(  ...  ) reichte (Rörig IV, S. 70, Anm. 108), wissen wir nicht. Herr Hafenkapitän Murken schätzt die Reichweite des Lichtes auf 2 - 3 Seemeilen. Worauf beruht dies? Jedenfalls kann das Licht unseretwegen gerne über die ganze Bucht hingeleuchtet haben. Wenn Schiffe des Nachts vor Anker gingen, werden sie ja auf der Außenreede geblieben sein. Und ob sie dann bei 5 - 6 Faden oder weiter draußen lagen, ist völlig gleichgültig.
41) Rörig IV, S. 99.
42) Rörig IV, S. 100, Anm. 174.
43) Vgl. Archiv III, S. 141; Archiv V, S. 120. Wenn die deutschen Bearbeitungen des Seebuches die Tiefenangaben berichtigt haben, so ist hieraus niemals zu schließen, daß der Ankerplatz früher weiter östlich gewesen sei, was schon an sich so unwahrscheinlich wie möglich ist. Seekarten will Rörig bei seiner Aufstellung nicht berücksichtigen (IV, S. 99, Anm. 172). Aber gegen Mansson spricht auch der Text des Werkes von Waghenaer, das ja noch etwa hundert Jahre älter ist (Archiv III, S. 132). Sodann stehen die Mitteilungen über Ankertiefen von 1801 und 1843 zu den Angaben der Segelbücher des 18. Jahrhunderts deswegen in keinem Verhältnisse, weil sie die Lotsenreede, nicht auch die Außenreede, betreffen. Und wie wäre es, wenn Rörig in seine Aufstellung noch die Bemerkung bei Behrens von 1829 (5 - 10 Faden, wobei die ganze Außenreede mitgerechnet ist, Archiv V, S. 102, Anm. 99) einfügte und die Angabe von 1855 (5 - 6 Faden) sowie die spätere von 1875 (10 - 12 m) hinzusetzte? Dann hätte er keine abfallende Skala für seine Ankertiefen, sondern eine auf- und absteigende!
44) Rörig IV, S. 100.
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II. Reede beim Leuchtenfeld und Fall von 1792.

Der "kleinen Reede", nämlich der Flußreede, die wir 1923 gewittert haben und die es tatsächlich gegeben hat, wird jetzt von Rörig eine Bedeutung beigelegt, die ihr im Verhältnisse zur Seereede schwerlich zukommt. Sprach man allgemein von der "Reede", so hatte man wahrscheinlich die "Große Reede", die Seereede, im Auge. Wir wollen aber auf die Quellen von 1547, 1616 und 1670, die wir in Archiv II (Anm. 188) vorgebracht haben und mit denen Rörig sich noch einmal beschäftigt, nicht mehr näher eingehen; zumal da seither soviel neues Material über die Reede vorgelegt worden ist, daß wir ihre Lage ohnehin wissen 45 ).

Auch Kühn hat ja in seiner Arbeit über den "Geltungsbereich des Oldenburgisch-Lübeckischen Fischereivergleichs von 1817 und die Travemünder Reede" auf eine beim Leuchtenfelde liegende Seereede geschlossen, und zwar aus den Ortsbestimmungen, die in Akten von 1731 vorkommen, wonach Lübeck beschlagnahmte Niendorfer Fischergeräte wieder ausliefern wollte 46 ). Rörig wendet sich gegen Kühn in längerer Polemik 47 ). Wir stellen


45) Der neuen Auslegung der Quelle von 1547 bei Rörig IV, S. 73, Anm. 112, können wir uns nicht anschließen. Unsere Deutung (Archiv II, S. 102, Anm. 188; Archiv III, S. 120, Anm. 15) paßt viel zu gut zu allem übrigen. Bei ihr ist auch der Lübecker Strand von der Brodtener Grenze an eingeschlossen. Der Zöllner Tydemann wollte gewiß sagen: vom Möwenstein an. Die Quelle von 1616 spricht von einer Reede beim Blockhause, das außerhalb der Travemündung lag. Doch mag diese Quelle zweifelhaft bleiben. 1670 handelte sichs um eine Tonne, die auf der Reede beim Leuchtenfeld lag, nach Rörig auf der Muschelbank innerhalb der Flußmündung. Da aber die Wohlerschen Karten von 1788 und 1801 (Kartenbeilagen I und II zu Rörig IV) wohl die Muschelbank zeigen, aber keine Tonne darauf, sondern nur Tonnen außerhalb der Flußmündung, so ist nicht wahrscheinlich, daß es 1670 eine Tonne auf der Muschelbank gab. Denn die Seezeichen hat man mit der Zeit vermehrt, nicht vermindert. Das Ein- und Auslaufen in den "See-Haven zu Travemünde" aber kann sich recht gut auf die Flußmündung beziehen, und man braucht es damit nicht so haargenau zu nehmen. Interessant ist, daß Rörig (IV, S. 74, Anm. 114) den Standpunkt: "quod non est in actis, non est in mundo" verwirft. Auch wir vertreten ihn nicht. Aber dann fallen auch wohl die Äußerungen Rörigs (I, S. 18) über die Fischerei der Niendorfer weg.
46) Kühn, S. 9 und 31. Dazu Archiv V, S. 86.
47) Rörig IV, S. 75 ff.
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dazu folgende Frage: Ist es wahrscheinlich, daß der Lübecker Senat mit seinen Worten "außerhalb Travemünde auf dortiger Rhede der Gegend des Leuchtenfeldes" 48 ) die doch unmittelbar bei Travemünde gelegene Flußreede gemeint hat? Tatsache ist, daß das Domkapitel von vornherein die Rückgabe auf der See forderte und daß die Rückgabe auf der See erfolgt ist. Wer sich in die von Kühn und Rörig vorgebrachten Ortsbestimmungen vertiefen will, wird uns zugeben, daß Rörig die Kühnsche Ansicht nicht widerlegt hat und daß nicht der geringste Grund besteht, zunächst die Absicht einer Auslieferung der Geräte auf der Flußreede zu konstruieren 49 ). Dagegen spricht auch der analoge Fall von 1765. Denn hier werden ganz ähnliche Worte gebraucht: "außerhalb Travemünde in der Gegend des Leuchtenfeldes jenseit der Leuchte" 50 ). 1765 warteten die lübischen Fischer zunächst vergebens an dem Treffpunkte auf die Niendorfer, und zwar warteten sie "auf dem offenbahren Strohm, wo die Schiffe aus- und einsegelten". Hiermit ist nicht, wie Rörig meint, der Traveauslauf selbst gemeint, sondern genau dieselbe Gegend, die bei der weiteren Verabredung mit den Worten bezeichnet wird: "auf der Trave, hinter Travemünde, e regione der alten Schantze" oder, wie das Domkapitel sagte, "auf der See, der nicht weit von Travemünde belegenen alten Schantze gegenüber". Denn "Trave" ist hier dasselbe wie "Strom", nämlich das Fahrwasser, der Beginn jener "Trave von Lübeck" 51 ) (später Lübisch Fahrwasser genannt), des Fahrwassers der Lübecker Bucht 52 ). Auch in Wismar sprach man 1597 von dem Wismarer Tief, "da die Schiffe auß- und einsiegelten", womit das Tief der ganzen Wismarer Bucht gemeint ist 53 ).

Selbst gesetzt den Fall, daß mit der Reede beim Leuchtenfelde die Flußreede gemeint sei, so würde doch nichts daran geändert


48) Kühn, S. 31. In den Lübecker Akten heißt es entsprechend: "außerhalb Travemünde etwa gegen dem Leuchtenfelde über" und "auf dortiger Rheede der Gegend des Leuchtenfeldes", Rörig S. 75 f.
49) Die "dänische Reede", die nach Rörig die Flußreede ist, kann nur durch einen Irrtum in das Kapitelsprotokoll vom 29. Dezember 1731 hineingekommen sein. Es heißt ja in dem Protokoll ausdrücklich: "auf der See". Auch Rörig ist die Erwähnung der Dänenreede hier unverständlich (IV, S. 76).
50) Rörig IV, S. 77.
51) Archiv III, S. 135.
52) Rörig (IV, Anm. 119) erwähnt, daß die Fischer eine kleine Höhe am Lande erstiegen hätten, um auf die See nach Niendorf sehen zu können. Das passe nur für ein Anlegen im unteren Travelauf. Nein, das paßt viel besser für die Gegend der alten Schanze.
53) Archiv II, S. 193.
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werden, daß auch die Seereede, wie alle Quellen über sie ergeben, gegenüber dem Leuchtenfelde und nicht weit von diesem lag. Wir sind übrigens auch heute noch der Meinung, daß die bekannte Bestimmung in dem Fischereivergleich von 1610 die Seereede beim Leuchtenfeld betreffen sollte 54 ).

Aus dem Material, das Rörig über den Fall von 1792 vorlegt 55 ), ergibt sich nur, daß das Schiff tatsächlich gestrandet ist, während man in Mecklenburg annahm, es sei nur gekentert. Es hatte "südwerz" der Reede ankern wollen und befand sich nun zwischen den beiden Tonnen, die auf der Wohlerschen Karte von 1788 verzeichnet sind, nach den mecklenburgischen Akten aber jenseit der einen Tonne, so daß diese zwischen dem Schiffe und dem Ufer sichtbar war 56 ). Man vergleiche die Wohlersche Karte mit unserer Skizze in Archiv V. Dann ist klar, daß man die Schiffe auf der Reede hinter dem verunglückten, nördlich von ihm, erblicken mußte. Deswegen sagte der Strandreiter, das Fahrzeug liege "unter den auf der Rhede liegenden Schiffen", eine Angabe, die in den ganzen Akten allein wichtig ist, die aber Rörig unberücksichtigt läßt. Dabei darf man freilich das Wort "unter" nicht auf die Goldwaage legen, wie wir schon in Archiv V (S. 17) auseinandergesetzt haben.


54) Archiv V, S. 111 ff. Das Gegenteil wird durch den Wetteentscheid von 1677, den Rörig (IV, S. 92) beibringt, nicht bewiesen. Man ziehe von der Gegend des alten Blockhauses, das vor der Travemündung lag, Linien bis zur Höhe des Möwensteins und bis zur Höhe der Harkenbeck. Dann liegt ja auch im Winkel zwischen den Linien die alte Reede. Und auf diesen "Strohm" kam es gerade an. Freilich umschließen die Linien auch noch ein größeres Gebiet dahinter, aber bei weitem nicht die ganze mittlere Buchtfläche bis zur Harkenbeck. Auf den Fischereistreit von 1823/35 noch einmal einzugehen, ist unnötig. Wenn Rörig unsere Erörterungen darüber nicht verstehen will, so können wir ihn nicht daran hindern. Übrigens ist unwahrscheinlich, daß die "Thurmmark" genannte Linie die Linie Kirchturm - Leuchtturm ist (Rörig IV, S. 96), die gar nicht zu dem Punkte A auf der Sahnschen Karte von 1823 paßt (Archiv III, Beilage 5 a und b). Eher könnte man an eine Linie Leuchtturm - Blockhaus denken. - Auch den zum Überflusse behandelten Strandungsfall von 1516 wollen wir nicht noch einmal besprechen.
55) Rörig IV, S. 78 f. Vgl. Archiv V, S. 85.
56) Archiv II, S. 103, Anm. 188.
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III. Reedegrenze und Hafenrecht.

Das einzige Brauchbare, das Rörig neuerdings über Reedegrenzen mitteilt, ist in seiner Anmerkung 127 enthalten. Es ist die bereits erwähnte Stelle in dem Diekelmannschen Bericht von 1843, wonach die Reede, wahrscheinlich an der Majorlinie entlang, 5/16 Meilen (gut 2300 m) breit war, mithin nördlich bis zur Höhe des Möwensteins reichte, eben der von Kühn angenommenen Reedegrenze! Dabei ist das Steinriff ganz folgerichtig außerhalb der Reede gelassen. Wie aber verhält sich der Bericht Diekelmanns zu der angeblichen Reedegrenze im Westen, dem Lot vom Brodtener Scheidepfahl auf die Peillinie Gömnitzer Berg - Pohnsdorfer Mühle? Wenn diese Lotgrenze stimmte, dann müßte die Reede ja an der Majorlinie entlang nicht 2300, sondern 5700 m breit gewesen sein!

Daß Rörig das Hafenrecht, das Lübeck bis Klützerhöved hin beanspruchte, in den Kreis der Betrachtung einbeziehen will 57 ), beruht auf unscharfer Rechtsauffassung. Das Hafenrecht, das noch bis ins 19. Jahrhundert vertreten wurde, hat mit Gebietshoheit nichts zu tun, wie wir schon in Archiv II bemerkt haben, wo auch die Stellung Lübecks zu den mecklenburgischen Klipphäfen im 16. Jahrhundert und früher berührt ist 58 ). Niemals haben die Städte dort, wo sie ein Hafenrecht verlangten und auch gelegentlich gewaltsam betätigten, zugleich eine Gebietshoheit in Anspruch genommen, ebensowenig natürlich in Hinsicht auf den Umkreis des Marktzwanges. Das ergibt sich ja auch schon aus dem von Rörig Mitgeteilten. Verschiedentlich haben die Herzöge das Hafenrecht durch Verordnungen geschützt, und eben dort, wo es galt, haben sie die Strandhoheit besessen und gehandhabt.

Nun aber will Rörig aus einem Fall von 1747 auf eine bestimmte Reedegrenze schließen. Damals wollte ein Holzhändler am mecklenburgischen Strande Holz einschiffen. Der Travemünder Stadthauptmann erbat sich deswegen von der Kämmerei Bescheid


57) Rörig IV, S. 85 ff.
58) Archiv II, S. 60 ff. Auch die von Rörig angeführten Fälle von 1739 haben wir, soweit unser Material reicht, in Archiv II, S. 183, Anm. 335 (vgl. Archiv IV, Jb. 91, S. 43 Anm. 72) erwähnt.
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und bemerkte: "Die Gegend, wo die Einschiffung geschehen soll, ist nach Aussage des Lotsen Turban zwischen Schwansee und Harkensee, eine starke halbe Meile von hier. Vermuthe also, daß selbige Distence hinter unsere Reede-Gräntze ist, und wir nicht gegen selbige Abschiffung opponieren können." Wenn man unter Harkensee hier den Hof Harkensee versteht, so muß das Schiff jenseit der Harkenbeck gelegen haben. Nahm aber der Stadthauptmann, der doch die Örtlichkeit kennen mußte, die Harkenbeck als Reedegrenze an, warum "vermutete" er dann nur? Warum gewann er aus der Feststellung, daß die Einschiffung hinter der Bachmündung geschehen sollte, keinen Anhalt? Wir können uns das nur so erklären, daß er eine bestimmte Grenze gar nicht im Auge hatte, sondern nur ungefähr bis zum Buchtende rechnete. Und dasselbe entnehmen wir aus dem dazu gehörigen Promemoria des Syndikus Dr. Krohn, worin es heißt: "daß die Stadt Lübeck nach der Mecklenburgischen Seite hin ihre Ufer und Rehde biß auf Rosenhagen, Dankendorf und Harkensee hin prätendiere; infolglich auch der Orthen wohl kein Löschplatz gestattet habe". Warum erscheint hier ebenfalls nicht die Harkenbeck? Und wie konnten die Meinungen des Stadthauptmannes und des Dr. Krohn auseinandergehen, wenn eine bestimmte Grenze vorhanden war? Der Dr. Krohn hatte eine Vorstellung davon, daß irgendwo am Ende der Travemünder Bucht die drei Güter lagen. Dabei liegt Dönkendorf jenseit der Harkenbeck, weit landeinwärts von Schwansee, und es grenzt ebensowenig wie das eigentliche Harkensee an die Küste.

Wir können aus diesen Angaben nur schließen, daß man keineswegs eine festgelegte Reedegrenze hatte. Und daß Rörig für die Harkenbeckgrenze nun gar noch die Bemerkung des Buchwaldschen Gutsschreibers in dem Falle von 1739 heranziehen will, beruht auf einer ganz falschen Auslegung seiner Quelle. Der Schreiber wollte ursprünglich am Johannstorfer Strande löschen, also in dem zwischen Lübeck und Mecklenburg strittigen Dassower See, dann, als dies abgeschlagen wurde, binnen dem Travemünder Hafenbaum oder bei Harkensee. Aber er lehnte es ab, an Lübeck eine Gebühr zu zahlen, wenn seine Leute "am Harkenseer Strande, als unstreitig mecklenburgischer Seite löschen würden; die Lübecker seien ja nicht Herrn der gantzen Ostsee und von dem Mecklenburger Strande" 59 ). Und hierzu bemerkt Rörig, daß die Löschung "bei Harkensee, also jenseits der Reede" habe stattfinden sollen und daß den Worten des Schreibers die An-


59) Rörig IV, S. 87.
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schauung zugrunde liege: "bis zur Harkenbeck sind die Lübecker tatsächlich Herrn, zwar nicht der Ostsee, aber der Reede; von der Harkenbeck an ist aber ,unstreitig Mecklenburger Seite'" 60 ). Nun gibt es jedoch, wie Rörig wenigstens aus unseren Gutachten hätte wissen können, überhaupt keinen eigentlichen Harkenseer Strand, sondern dieser ist gleichbedeutend mit dem von Rosenhagen, das früher als Meierei mit Harkensee verbunden war. Der Schreiber wollte also am Rosenhäger Strande löschen, vor der Harkenbeck, und er sagte genau das Gegenteil von dem, was Rörig ihm zuschiebt. Er bestritt Lübeck ein Recht auf das Gewässer vor Rosenhagen.

Auch in dem Falle von 1739 erscheint also die Harkenbeck durchaus nicht als Grenze, und sie ist auch nie etwas anderes gewesen als eine praktische Fischereischeide. Nur deswegen kommt sie in dem Fischereiprozesse von 1823 als Reedegrenze vor, nämlich als Grenze für die Reedefischerei. Für die Schiffahrt konnte sie gar keine Rolle spielen, weil sie für eine Peilung von See her aus weiterer Entfernung ungeeignet ist.

Wenn man in dem Falle von 1747 das Hafenrecht zunächst nicht bis Klütz ausdehnen, sondern so weit beschränken wollte, wie man ungefähr die Reede rechnete, d. h. ungefähr bis zum Ende der Travemünder Bucht, so läßt das noch nicht den Schluß zu, daß man, wie Rörig meint, jetzt plötzlich das Hafenrecht auf gebietsrechtliche Grundlage zu stellen gedachte. Um so weniger, als man offenbar eine bestimmte Grenze nicht anzugeben wußte. Wären aber die Worte in dem Promemoria des Dr. Krohn, wonach die Stadt Lübeck "ihre Ufer und Rehde biß auf Rosenhagen, Dankendorf und Harkensee hin prätendiere", in gebietsrechtlichem Sinne auszulegen, was sollte dann wohl eine solche Prätention beweisen? Wir wissen doch, daß das "Ufer" Mecklenburg gehörte, wissen, daß Mecklenburg die Strandhoheit innehatte, wissen schließlich, daß die Staatspraxis Lübecks im 19. Jahrhundert dieser Prätention widerstreiten würde.

Wir haben vorhin von einer unscharfen juristischen Auffassung gesprochen. Ein weiteres Beispiel hierfür erblicken wir in der unfaßbaren völkerrechtlichen Deduktion Rörigs auf S. 84, wonach den Lübeckern, vorausgesetzt, daß die von Rörig abgegrenzte Reede "im weiteren Sinne" Eigengewässer wäre, fast die ganze innere Lübecker Bucht, ja, wollte man den Gedanken zu Ende führen, die ganze Lübecker Bucht zukommen müßte. Ferner


60) Rörig IV, S. 90.
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will Rörig offenbar aus der "Befehlsgewalt der Lotsen auf der Reede" einen Schluß auf Lübecker Gebietshoheit ziehen. Er beruft sich darauf, daß 1765 ein Lotse auf einem Schiffe etwas "befohlen" habe 61 ). Jedermann aber weiß, daß der Lotse an Bord das Kommando führt und befehlen darf; er muß dies auch, weil er für das Schiff die Verantwortung trägt. Mit Gebietshoheit hat das nichts zu tun.

Unklar ist, was Rörig eigentlich mit dem Nebelsignal bei Schwansee beweisen will. Er meint, Mecklenburg habe "nur insoweit etwas damit zu tun" gehabt, "als seine Genehmigung zur Aufstellung der für das elektrisch betriebene Signal notwendigen Baulichkeit auf dem Ufer selbst" eingeholt worden sei 62 ). Die Ministerialakten ergeben, daß das Reich, das übrigens seither das ganze Travemünder Lotsenwesen übernommen hat, die Anlegung des Signals verlangte. Die mecklenburgische Regierung hat bei der Erwerbung des Grundstückes auf dem Lande, das in privatem Eigentum stand, im Einvernehmen mit Lübeck mitgewirkt. Als das Signal fertig war, ersuchte der Reichsverkehrsminister das Ministerium um Erlassung einer Polizeiverordnung zum Schutze des Unterwasserschallsenders, "da der vor Schwansee liegende Sender auf Mecklenburger Gebiet liegt". Diese Verordnung ist am 22. September 1925 (Regierungsblatt Nr. 56) veröffentlicht worden, und zwar natürlich gerade zum Schutze der Anlage in See, nämlich des Senders und des zu ihm führenden Kabels.

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Zum Schlusse eine Bemerkung, die sich auf das Barbarossaprivileg bezieht. Wir sind darauf aufmerksam gemacht worden, daß "usque in" im Sinne von "usque ad" nicht erst im mittelalterlichen Latein vorkommt. Vgl. Thielmann, Wölfflins Archiv für lateinische Lexikographie, Jahrgang 6, S. 469 ff. Danach ist Lukrez der erste, der beide Verbindungen gleichwertig gebraucht.

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61) Rörig IV, S. 72, Anm. 110.
62) Rörig IV, S. 85, Anm. 142.
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Schlußwort.

Der Prozeß um die Travemünder Bucht ist beendet. Nur ungern haben wir uns entschlossen, das vorstehende Erachten noch abzudrucken; denn wir glauben, daß unsere Leser von den Erörterungen über die Reedelage nachgerade genug hatten. Weil jedoch alle Gutachten Prof. Dr. Rörigs veröffentlicht sind, so konnten wir mit unserer letzten schriftlichen Erwiderung nicht gut anders verfahren.

Unterm 14. Juni 1928 hat Rörig ein Schluß-Erachten herausgegeben: Nochmals mecklenburgisches Küstengewässer und Travemünder Reede, V. (Schluß-) Teil: Ausübung und Abgrenzung von staatlichen Rechten an der Uferstrecke Priwall - Harkenbeck in alter und neuer Zeit 63 ). Weil diese Schrift erst am 23. Juni in Schwerin einging, konnte von mecklenburgischer Seite nur noch mündlich während der Hauptverhandlung vor dem Staatsgerichtshofe am 6. Juli 1928 darauf erwidert werden. Von einer ausführlichen Entgegnung sehen wir hier im Jahrbuche ab. Im allgemeinen kann auf unsere früheren Arbeiten verwiesen werden. Nur zu folgenden Punkten sei einiges bemerkt:

1. Auf S. 2 führt Rörig einen Satz aus dem Urteil des Oberappellationsgerichts von 1825 an, worin die Anwendung des Niendorfer Vertrages von 1817 auf den Lübecker Fischereistreit von 1823 abgelehnt und gesagt wird, "daß von Rechtsverhältnissen, die für einen Bezirk in der See jenseits des Möwensteins und der Harkenbeck festgestellt sind, kein Schluß auf dasjenige zu machen ist, was innerhalb dieses Bezirkes beobachtet werden muß". Dieser Satz ist für Rörig von grundlegendem Werte, hat aber nicht den Sinn, in dem er ihn versteht. Keineswegs soll der Satz besagen, "daß bis zur Harkenbeck grundsätzlich andere Rechtsverhältnisse bestehen als jenseits der Harkenbeck oder irgendwo an der holsteinischen Küste". Sondern er bezieht sich darauf, daß die Schlutuper Fischer die Bestimmung des Vergleichs von 1610, wonach die Travemünder hinter ihnen "herfischen"


63) Sonderabdruck aus der Zeitschrift des Vereins für Lübeckische Geschichte und Altertumskunde, Band XXV, Heft 1.
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sollten, so auslegten, daß die Netze der Travemünder nicht im Gebiete der Wadenzüge, sondern nur dahinter, im mittleren Buchtgewässer ausgestellt werden dürften; hierbei beriefen sie sich auf eine zu ihrer Auslegung passende Bestimmung des Niendorfer Vertrages. Dies sollte der fragliche Satz des Urteils zurückweisen. Es handelt sich in ihm also lediglich um die Deutung dessen, was der Vergleich von 1610 über das Verfahren bei der Fischerei vorschrieb, nicht aber um eine gebietsrechtliche Beurteilung der Wasserfläche vor der Küstenstrecke Priwall - Harkenbeck.

2. S. 5 meint Rörig, es sei doch einleuchtend, daß Strandreiter "Hoheitsrechte nur auf dem mit Wasser überspülten Boden, solange sie körperliche Berührung zu ihm haben", ausüben könnten. Wir haben ja aber in Archiv II 64 ) genügend Fälle nachgewiesen, in denen das Strandrecht mit Hilfe von Booten, also ohne körperliche Berührung mit dem Meeresgrunde, gewahrt wurde. Das Wort "Strandreiter", wofür auch die Bezeichnung "Strandvogt" vorkommt, hat mit einem Hineinreiten ins Wasser, einer "Reitgrenze" des Strandes natürlich nichts zu tun, sondern leitet sich aus dem Umstand ab, daß die Strandreiter die ihnen zugewiesenen Strandstrecken abritten, um festzustellen, ob sich Strandungen ereignet hatten. Bei der Bergung selbst sind immer Bauern oder dergleichen Leute zugezogen worden. Zu dem Fall von 1660 bemerkt Rörig (S. 9 f.), daß wir die seiner Meinung nach wichtigsten Sätze in dem Schreiben des Travemünder Vogtes, wovon wir 1925 eine Abschrift vom Lübecker Archiv erhalten haben, nicht berücksichtigt hätten. Es heißt da, daß die Mecklenburger mit Güte oder Gewalt zurückzuweisen seien, wenn sie von den beiden vor Rosenhagen verunglückten Schiffen etwas abholen wollten. Aber wir haben ja in Archiv II 65 ) auseinandergesetzt, daß die Städte ein landesherrliches Strandrecht überhaupt nicht anerkannten und daß Lübeck in diesem besonderen Falle noch hervorhob, es seien die Schiffe nicht an den Strand gekommen, sondern im tieferen Wasser gesunken. Es war also vollkommen logisch, daß man Bergearbeiten der Mecklenburger nicht dulden wollte. Darin liegt kein Anspruch auf Gebietshoheit. In Archiv II haben wir den Fall überhaupt nur wegen der angeblichen "Reitgrenze" des Strandes behandelt; im übrigen hat er gar keine Bedeutung. Es ist auch ganz gleichgültig, ob die Schiffe in einer Tiefe von 3 Faden oder von 14 Fuß (4 m) lagen. Denn


64) Jahrbuch 89.
65) Jahrbuch 89, S. 108 ff.
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bei 4 m war auch schon fahrbare See, wie denn die Wismarer Reede bei Hoben nur 4 - 4 1/2 m tief war.

Es bleibt immer ein großer Unterschied zwischen mecklenburgischem Strandrecht und Lübecker Bergearbeit, die nichts weiter war als die Betätigung eines allgemeinen Schifferrechtes, das die Städte überall am Strande in Anspruch nahmen. Hierfür haben wir eine ganz unzweideutige Erklärung Lübecks aus demselben Jahre 1660 angeführt 66 ). Daher können auch die neuerdings von Rörig (S. 13, Anm. 17 f.) beigebrachten Fälle von 1798, 1801 und 1806 auf sich beruhen bleiben.

Übrigens ist das von den Seestädten vertretene Schifferrecht, selbständig zu bergen, in der mecklenburgischen Regiminalverordnung über das Strandungswesen von 1834 anerkannt worden; denn es wird darin bestimmt, daß den Schiffern keine Hilfe aufgedrängt werden dürfe 67 ). Und schon im 16. Jahrhundert wird eine Einschränkung des Strandrechtes bekundet, indem 1597 ein im Wismarer Hafenprozeß vernommener Zeuge aus Tarnewitz angab, daß gestrandete Schiffe nicht arrestiert würden, wenn die Schiffer sie zwischen Sonnen-Aufgang und -Niedergang selber losmachen könnten.

3. Bei der Besprechung des Fahrrechtsfalles von 1615 sollen wir die von Rörig S. 15 angezogene Quellenstelle nicht berücksichtigt haben. Die Stelle kommt jedoch in Jahrbuch 89, S. 114, klar zum Ausdruck. Gerade die Frage nach der Landrührigkeit, um die sichs hier handelt, haben wir eingehend erörtert. Nun teilt Rörig mit, daß an dem Orte, wo der Travemünder Bootsmann 1615 den Leichnam gefunden habe, das Wasser nach einer Ortsbesichtigung vom 2. Januar 1616 einen Faden und eine Elle (2,30 m) tief gewesen sei. Diese Örtlichkeit müsse nach unserer Theorie zum Strande gehört haben. Also eine Ortsbesichtigung vom 2. Januar 1616, nachdem der Fall sich im Juli 1615 ereignet hatte. Sollte der Lübecker Rat von dieser Tiefe schon 1615 etwas gewußt haben, so würde sich die Form seines damaligen Schreibens an den Herzog, das nichts weiter ist als ein Entschuldigungsschreiben, hieraus am besten erklären. Im übrigen ließ sich über die Strandgrenze immer streiten. Rörig meint bei dieser Gelegenheit, wir hätten die Ausdehnung des Strandes bis zur schiffbaren Meerestiefe lediglich den Fragen entnommen, die 1616 den Zeugen im Fischreusenstreit vorgelegt seien. Das ist ein großer Irrtum.


66) Jahrbuch 91, S. 59, Anm. 115.
67) Vgl. v. Gierke, Jahrbuch 90, S. 106.
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4. S. 34 f. glaubt Rörig den Nachweis Kühns 68 ), daß die Niendorfer Fischer von jeher an der Westküste der Travemünder Bucht bis zum Traveauslauf gefischt haben, durch ein Schreiben des Domkapitels von 1731 entkräften zu können, in dem es heißt, daß die Niendorfer "gegen den lübeckischen Strand nicht kommen". Er berücksichtigt aber nicht die Ausführungen Kühns 69 ), wonach hier der Strand von Scharbeutz in der Niendorfer Wiek gemeint ist. Scharbeutz gehörte dem Hospital zum Heiligen Geist in Lübeck.

Vignette

68) Der Geltungsbereich des Oldenburgisch-Lübeckischen Fischereivergleichs von 1817 und die Travemünder Reede. Vgl. Jahrbuch 91, S. 50 ff.
69) Kühn S. 7 f.