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IV.

Die alte Herzogsburg
in Neustadt

 

von

Adolf Friedrich Lorenz.

Vignette

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D er diesjährige Ausflug des Vereins für mecklenburgische Geschichte und Altertumskunde nach Neustadt gab den Teilnehmern Gelegenheit, die alte Burg zu besichtigen, die - abgesehen von den Stadttoren und Stadtmauern - einer der wenigen einigermaßen erhaltenen mittelalterlichen Wehrbauten in Mecklenburg ist.

Der Blick auf die Burg mit dem stattlichen runden Turm und der hohen Schildmauer über den Wasserspiegel des teichartig erweiterten Burggrabens hinweg ist allgemein bekannt; daß auch die beiden Wohngebäude der Beachtung wert sind, sieht derjenige, der in altem Mauerwerk zu lesen versteht, zumal wenn er das in den Schätzen des Schweriner Archivs vorhandene Aktenmaterial durchforscht, aus dem sich der Zustand der Burg zur Zeit ihres vollständigsten Ausbaus mit den umfangreichen Nebenanlagen im Geiste und auf dem Papier wiederherstellen läßt. Sind doch vor allem letztere seit der Mitte des 18. Jahrhunderts und letzthin noch durch den Erweiterungsbau des Kraftwerks allmählich zerstört oder so verändert, daß sie für das ungeübte Auge kaum noch vorstellbar sind.

Die vorteilhafte Lage des wendischen Fischerdorfs Glewe an den Ufern der Elde und die Nähe der wildreichen Lewitz werden den Grafen Gunzelin von Schwerin bestimmt haben, an dieser zur Verteidigung geeigneten Stelle eine feste Burg anzulegen und den Ort zur "Neuen Stadt" zu erheben. Es kann angenommen werden, daß der Burgberg, vielleicht mit Benutzung einer Sanddüne des Flußtals, künstlich aufgeschüttet ist, denn er erhebt sich verhältnismäßig hoch über die Umgegend und ist von ziemlich regelmäßiger kreisförmiger Gestalt.

Die Burg selber in ihrer heutigen Gestalt ist aber entschieden jüngeren Datums, sie zeigt nicht mehr, wie in Wredenhagen oder Stargard oder Stavenhagen, einen mehr oder weniger kreisförmigen Mauerring mit regellos darin verstreuten Gebäuden, sondern eine planvolle, genau rechteckige Anlage, die auf das spätere Mittelalter schließen läßt. Nur der runde Bergfried fügt sich nicht ganz in dies Rechteck, vielleicht steht er an Stelle eines älteren Turms. (Abb. in Anl. 1.) Das Rechteck von etwa 50 x 35 m wird umschlossen durch eine etwa 2 m starke Ring-

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mauer, in deren zwei kurze Seiten sich die beiden Hauptbauten schmiegen, das alte und das neue Haus, während an der südlichen, der Stadt ab- und dem Flusse zugewendeten Seite das Eingangstor und neben ihm der es schützende Bergfried eingefügt sind. Der Bergfried nimmt fast genau die Mitte der Langseite ein, doch so, daß er mit seinem Grundrißkreis die Innenseite der Mauer tangiert, dagegen ist das Mauerstück mit dem Tor soweit aus dem Rechteck herausgedreht, daß seine Achse durch den Mittelpunkt des Turmgrundrißkreises geht. Durch diese Drehung wird erreicht, daß das Tor sich der von Parchim kommenden Landstraße zuwendet. Also eine sehr planvolle Anlage!

Schlie nimmt an, daß die heutige Burg noch von den Grafen von Schwerin, die bis 1358 das Land regierten, erbaut sei. Ich möchte dem nicht widersprechen, aber darauf hinweisen, daß die Mauertechnik wie auch die Bauformen und nicht zuletzt die systematisch planvolle Anlage auf frühestens die Mitte des 14. Jahrhunderts deuten. Herrscht doch fast überall der für das späte Mittelalter charakteristische polnische Verband (1 Läufer, 1 Binder).

Dieser Verband findet sich im ganzen Unterbau des Turms bis dicht unter den Treppenfries 1 ). Der Turm zerfällt in drei deutlich von einander geschiedene Bauabschnitte. Die beiden untersten Stockwerke in polnischem Verband (Ziegelgröße 28x13x9 bei 10 Schichten = 104 cm) stammen aus einer Bauzeit. Eine Tür im Erdgeschoß führt auf einer in der Mauerdicke liegenden Treppe zu einem kreisrunden kuppelgewölbten Raum im 2. Geschoß, neben dem sich zwei übereinander in der Mauerdicke ausgesparte Zellen befinden. Der Raum hat drei große Nischen mit je einem schräge aufwärtsführenden Lichtschlitz, der durch Balken, die in ausgesparte Nuten geschoben wurden, verrammelt werden konnte. Von hier aus führt ein Einsteigeloch in das ebenerdig liegende und durch drei schmale Schlitze belichtete Verließ, das aus quadratischem Grundriß durch Zwickel in die Kreisform übergeführt wird, unten mit Schutt gefüllt ist. Der jetzt von der Treppe aus hineinführende Zugang ist später eingebrochen. Außen läuft um den Turm in ungefährer Höhe der untern Lichtschlitze ein aus glasierten Köpfen gebildetes unregelmäßiges Rautenmuster, ein spätmittelalterliches Schmuckmotiv. Die ganze Anlage entspricht nicht mehr dem frühmittelalterlichen Wehrturm, bei dem die oberen Geschosse nur durch


1) Für die Einzelheiten wird auf die Hamannschen Aufnahmen im Schlie verwiesen.
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eine leicht zu beseitigende Außentreppe zugänglich waren und Verteidigungseinrichtungen aufwiesen 2 ). Desto mehr für Verteidigung eingerichtet ist das jüngere dritte Geschoß. Das Mauerwerk hat hier die Steingröße 28x13x8 1/2 bei 10 Schichten = 1 m und zeigt eine scharf abgestochene Fuge, während die Fugen in den anderen Bauteilen breit ausgestrichen sind. Auch die Bauformen (stark überhöhte, fast korbbogenförmige Stichbogen) lassen auf die Spätzeit schließen, nicht zuletzt aber die sehr interessanten Doppelschießscharten, die auf eine ausgebildetere Verteidigungstechnik mit Feuerwaffen Rücksicht nehmen. Ob der Turm ursprünglich über dem 2. Geschoß aufgehört hat? Jedenfalls ist das 3. Geschoß von hier nicht zu erreichen, man hat auf die Zugänglichkeit von unten verzichtet und das Geschoß nur vom Wehrgang aus zugänglich gemacht, die beiden unteren Geschosse dagegen für sich liegen lassen. Sieben, im Grundriß flaschenförmige Nischen enthalten je zwei Schießscharten übereinander, die untere steil nach unten führend und in einen Schlitz endend zum Bestreichen des Fußes des Burgberges, während durch die obere weitere mit Stichbogen geschlossene Scharte wagerecht in die Ferne geschossen werden konnte. Quer vor dieser oberen Nische liegt ein Eichenholzbalken zum Heben des hinteren Geschützteils, was auf die Anwendung schwerer Wurfmaschinen oder leichter Feuergeschütze schließen läßt, oder nach Piper, Burgenkunde, Seite 371, "als drittes Auflager erscheint - - -, dessen Benutzung als solches bei der Höhe des so zur Vertheidigung eingerichteten Fensters freilich nicht unmittelbar vom Boden aus möglich wäre". Ob die an eichenen Auslegearmen noch zum Teil vorhandenen Holzrollen ursprünglich sind, welchem Zweck sie gedient haben können, und ob sie nicht vielleicht späterer Zeit, als auf dem Turm Hagel fabriziert wurde, entstammen, ist nicht mit Sicherheit zu sagen. Nach den Wehrgängen führen beiderseitig einige Stufen durch eine Tür abwärts, zum obersten Geschoß führt eine Wendeltreppe, zum Hof hin liegt eine Luke, die vermutlich zum Aufwinden von Geschützen und Munition gedient hat, sowie eine in der Mauer ausgesparte Zelle. Ein Abort ist heute vermauert. Das Gewölbe über diesem Raum ist eingestürzt und nur in seinen Anfängen vorhanden. Hamann nimmt an, daß hierüber vielleicht eine Plattform mit Zinnenkranz und steinernem Kegelhelm sich erhoben habe, die vielleicht durch eine Pulver-


2) Vgl. die noch deutlich diese Anlage zeigenden Türme in Plau und Lübz, den Fangelturm bei Parchim; auch der ehemalige runde Turm des Gadebuscher Schlosses hatte diese Einrichtung.
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explosion samt der Kuppel (wodurch auch die Risse im Turm zu erklären seien) zerstört sei 3 ); ausgeschlossen erscheint es nicht.

Jedenfalls hat dann das 16. Jahrhundert ein weiteres Geschoß aufgesetzt, das in Technik und Formen einen ganz anderen Charakter zeigt. Es ist hier ein Wohnbau entstanden. (Steinformat 30x14x10 bei 10 Schichten = 111 cm.) Über einem auskragenden Treppenfries ein unregelmäßiges buntes Mauerwerk, dünne, durch Verankerung gehaltene Wände, willkürlich in die Mauerfläche gesetzte, eine naive Sucht zu schmücken verratende Kreisblenden, vor allem aber die für Obersachsen und Thüringen in der Mitte des 16. Jahrhunderts charakteristischen, auch am alten Fürstenhof zu Wismar gefundenen Vorhangbogenfenster lassen den Verfall der mittelalterlichen Kunst erkennen. Innen ist das Geschoß ein schöner luftiger Raum, Sitzbänke in den Fensternischen, ein Kamin und ein gut erhaltener Abort lassen ihn wohnlich erscheinen. Derartige Aussichtsräume, wenn man so sagen darf, scheinen auch auf anderen Burgen eingerichtet worden zu sein, als man auf Verteidigungfähigkeit der Türme nicht so großen Wert mehr legte 4 ). Den Abschluß bildet eine Kegelhaube mit Uhrhäuschen, ursprünglich mit Schindeln, seit 1823 mit Dachsteinen gedeckt. Das Uhrwerk mit Glocke und Scheibe wird schon 1592 erwähnt.

In engem Zusammenhang mit dem Turm steht die südliche Schildmauer. Eine Untersuchung des Mauerwerks zeigt, daß sie mit seinen beiden unteren Geschossen im Verband steht, auch die Technik ist die gleiche. Doch scheint es von außen, als säße das Tor in einem Mauerwerk anderer Zeit, innen dagegen nicht. Jedenfalls sind die Formen entschieden spätmittelalterliche, sie unterscheiden sich mit ihrem steilen Stichbogen mit beiderseitigem, einen Stein tiefen Toranschlag ganz erheblich von den üblichen spitzbogigen mittelalterlichen Wehrtoren. Ich kann das Tor nur auf das Ende des 15. Jahrhunderts datieren. Was die Balkenlöcher über dem Tor bedeuten, ist nicht klar. Von der Höhe des Wehrgangfußbodens ab wechselt aber der Verband (Steingröße bis Oberkante der Schießscharten 31x15x8 1/2 bei 10 Schichten = 104 cm, darüber 26x13x8 1/2 bei 10 Schichten 104 cm). Dies Mauerwerk steht auch auf beiden Seiten mit dem des Turmes nicht im Verband. Neben drei Schießluken sind in der Tormauer


3) Erachten des Landbaumeisters Hamann vom 10. 10. 1895 in den Akten des Hochbauamts Ludwigslust.
4) Z. B. ist in Lübz das oberste Geschoß ganz ähnlich, und in Plau ist ein solches, wiewohl in Fachwerk, auf dem noch erhaltenen Turm bezeugt.
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Sehr deutlich die Nische mit halb zugesetzter Tür und die Balken- und Strebenlöcher eines den Eingang beherrschenden Gießerkers zu erkennen (Pechnase oder machiculi). Eine Wiederherstellung dieses Erkers wäre leicht, zumal da auch die Überdachung des Wehrgangs hier gut erhalten ist. Ein rein dekorativer spätgotischer Zinnenkranz schließt die Mauer ab, auch die Kragsteine der auf der Innenseite zur Verbreiterung des Wehrgangs vorgeblendeten Stichbögen zeigen spätgotische Formen. Ich möchte annehmen, daß Tor und Wehrgang Ende des 15. Jahrhunderts, aber später als das 3. Turmgeschoß, erneuert bzw. vollendet sind.

Wie setzte sich nun im Mittelalter der Wehrgang auf den Wohngebäuden fort? Betrachten wir zunächst das Mauerwerk des Südgiebels des stadtseitig belegenen, jetzt als Gestütsstall dienenden Neuen Hauses. Es hängt in seinem wesentlichen Teile mit dem der Schildmauer zusammen, ist also gleichzeitig mit ihr entstanden. Dies kann man auch vom Hof aus und im Innern des Obergeschosses deutlich erkennen, wo sich die Konsolen des Wehrgangs hinter dem Mauerwerk der Innenmauer des Neuen Hauses fortsetzen, also ursprünglich wohl eine Verlängerung des Wehrgangs getragen haben oder tragen sollten. Der Absturz der äußeren Mauerschale dieses Bauteils im Jahre 1927 (das Mauerwerk besteht auch hier, wie überall bei stärkeren mittelalterlichen Mauern aus zwei schwachen Ziegelsteinverblendungen mit innerem Feldsteinkern) zwang leider dazu, diese Schale neu aufzuführen, so daß heute charakteristische Spuren verwischt sind. Vordem war der Rest eines Treppenfrieses in gleicher Form wie am Abschluß des 3. Turmgeschosses erkennbar, darüber scheint eine lisenenartige und sich in den Zinnenkranz verlierende Auskragung eine Parallele zu der Ecklisene des Baus gebildet zu haben, so daß man hier einen reicheren Staffelgiebel vermuten kann. Bei dem oben erwähnten Absturz wurde in halber Höhe zwischen den jetzigen Fenstern eine vermauerte Nische entdeckt, die innen aber nicht zu sehen ist; ich vermute eine Aborttür oder den Zugang zu einer später zu erwähnenden Freitreppe, ferner war deutlich sichtbar, wie das Felsenkernmauerwerk in verschiedenen Lagen mit verschiedenen Mörteln hergestellt war, bald weißem Steinkalk, bald bläulichgrauer Schwarzkalk. Das Gebäude oder diese Teile der Ringmauer sind dann vermutlich im 16. und zuletzt im 18. Jahrhundert so vielfältig und gründlich verändert worden, daß irgendwelche Vermutungen über das ursprüngliche Aussehen zwecklos werden. Da es 1576 das "Newe Hauß" heißt, kann angenommen werden, daß es erst später in die Ringmauer eingebaut ist, wenngleich die Innenmauer auf dem nördlichen Ende mittel-

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alterliches Mauerwerk (polnischen Verband, Steingröße 26x13x9) zeigt. Es wird hier also schon immer ein Haus gestanden haben, vielleicht reichte dieses nur bis zu der außen an der Längsseite sichtbaren, einen deutlichen Absatz bildenden Lisene. Hier ist aber der Verband bis um die Südostecke herum wendisch (2 Läufer, 1 Binder). Haben wir vielleicht in dem zwischen den Lisenen liegenden Bauteil die Burgkapelle zu suchen, die gewöhnlich in der Nähe des Tores lag und in den Urkunden einige Male genannt wird?

Interessanter als diese Fragen ist es aber, daß wir in dem jetzt so unscheinbaren und vernachlässigten Gebäude, dem Neuen Hause, das Wohngebäude des alten herzoglichen Schlosses aus dem 16. und 17. Jahrhundert zu sehen haben. Das Schweriner Archiv gibt die Möglichkeit, sich von dem Aussehen des Gebäudes zu dieser Zeit eine lebhafte Vorstellung zu machen, denn es finden sich dort Beschreibungen in den Inventarverzeichnissen, die den Erbteilungsakten der Jahre 1576, 1592 und 1610 zugrunde liegen, außerdem aber eine Aufmessung der Burg mit ihren ganzen Nebenanlagen in großen Zügen aus dem Jahre 1612 von der Hand des herzoglichen Baumeisters Gert Evert Piloot. (Abb. in Anl. 2.)

Zunächst erhebt sich an der Stelle, wo jetzt die große Tür in das Innere des Gebäudes führt und der häßliche Mauerabsatz sich zeigt, ein steinerner "Windelstein" mit hölzernen Treppenstufen, oben mit einem Fachwerkgeschoß abgeschlossen, und äußerer Freitreppe, darunter ein Keller. Über diese Treppe gelangte man im Obergeschoß in die fürstlichen Gemächer, über einen Vorplatz links in des Herzogs Stube, Kammer, Sekret, rechts in die entsprechenden Räume der Herzogin, Stube, 2 Kammern, Sekret; im Erdgeschoß rechter Hand in ein Kellergewölbe, links über einen Vorplatz in die große Hofstube, den Hauptaufenthaltsraum des Personals und Raum für Festlichkeiten, von dem an einem Ende ein erhöhter Platz als Schreibstüblein mit Gitterwerk abgetrennt war. Im Obergeschoß sind jetzt noch mehrfach auf den glattgeputzten Außenwänden die Anschlußstellen der früheren Fachwerkscherwände und die Holzdübel zur Befestigung der Wandbespannungen sichtbar, ebenso die Fenster- und Abortnischen, so daß man sich eine räumliche Vorstellung der Gemächer machen kann, wenn man von der von 1750 stammenden Holzunterkonstruktion des Daches absieht. Das Inventar von 1592 beschreibt die Räume eingehend: Fußboden von Brettern, Mauersteinen oder Alstraken, die Wände ringsum "bebenkhet", d. h. mit festen Sitzbänken versehen, die Decke "ein gewunden bohn", d. h. ein zwischen den

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Balken geputzter Windelboden, selten ein Kachelofen, dagegen offene Kamine, also von einer Einfachheit, die man heute mit dem Begriff eines Fürstenschlosses nicht vereinen kann. An Möbeln werden nur Bettstellen, Tische und Truhen genannt.

Das Ganze entspricht völlig dem Typ des vornehmen Adels oder Fürstenhauses des 16. Jahrhunderts in Norddeutschland: zwei Geschosse, oben zu beiden Seiten eines Vorraums je eine Stube mit und 1 bis 2 Kammern mit Aborten, unten die Hofstube mit erhöhtem Verschlag und die Kapelle, davor ein massiver Treppenturm als Verbindung 5 ).

Ein Inventar von 1714 schildert die Ausstattung aber schon bedeutend reicher:

  1. In den fürstlichen Logimentern:
    Ihro hochfürstl. Durchl. des Herrn Hertzogen logiment ist mit blau orange gelben und weiß geflammten atlas ausgeschlagen.
    Der Eßsaal ist mit bunt-geflamten und gestreiften wollenen Tapeten ausgeschlagen.
  2. In der Hertzogin logiment
    sind die Wände mit geflammt wollen tapisserien ausgeschlagen,
  3. In der Hertzogin antichambre
    die Wände mit Goldleder ausgeschlagen, über der Thür ein klein Gemahlde von einer Dame zu Pferde,
  4. Im Cabinet
    die Wände mit gelber gestreifter brocatelle ausgeschlagen.

Wir kommen jetzt zur Nordmauer, die heute in ruinenhaftem Zustande mit Gesträuch und Gras bewachsen ein malerisches Bild des Verfalls bietet. Der Wehrgang ist verschwunden, die Mauer selbst durch Strebepfeiler, die aber schon bei Piloot 1612 bezeugt sind, gestützt und vielfach untermauert. Der Verband ist hier wieder durchgehends der polnische mit Steinformat 29x14x9. Die Mauer wird durch ein Tor mit Fußgängerpforte und eine Nische durchbrochen. Daß diese nicht ursprünglich sind, sondern einem späteren Bauversuch entstammen, sieht man nicht nur an dem in Steinen kleinen Formats gemauerten, für das 17. Jahrhundert charakteristischen Bossenquadern, sondern auch daran, daß der Anschlag des Tores und der Pforte außen liegen. Beide


5) In Mecklenburg ist dieser Typ vorhanden bzw. nachweisbar in Ulrichshusen, Stavenhagen, Dömitz, früheres Schloß in Doberan, neues Schloß in Neustadt nach Piloots Entwurf, Wredenhagen, Schwaan, Wittenburg.
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sind danach nicht als Hinterpforte zur Stadt hinunter denkbar, denn dann würde der Verschluß innen liegen, sondern sie sind meiner Meinung der Anfang eines hier beabsichtigten, außerhalb der Ringmauer gedachten dritten Flügels. Sollte nicht dieser von Piloot stammen, der vom Herzog mit der Vergrößerung der Burg beauftragt sein könnte, bevor man an den Gedanken herantrat, lieber ein neues Schloß an anderer Stelle zu bauen, und der zu diesem Zweck 1612 den Grundriß aufgenommen haben wird? Zu dieser Annahme paßt auch der kleine, jetzt außerhalb liegende gewölbte Keller, dessen auffallender Einsprung im Grundriß nur durch einen beabsichtigten oder vorhanden gewesenen vierten Strebepfeiler zu erklären ist.

Das zweite Hauptgebäude, das "alte lange Hauß", ist das Wirtschaftsgebäude, als welches es noch 1740 nach einer im Archiv aufbewahrten Zeichnung instandgesetzt wird. Aus dieser Zeit mag das Fachwerk der oberen Außenwand stammen, während die Innenwand schon 1576 in ganzer Höhe Fachwerk zeigte. Das Gebäude enthielt unten Brau- und Backstube, Küche, Speisekammer, Wollstube, Keller, im Obergeschoß einen Malzboden. In seinen Grundzügen wird das Gebäude trotz Umbaus zu Wohnungen, später zum Schulhaus, seinen ehemaligen Zustand bewahrt haben. Die massigen geböschten Eckstrebepfeiler und die kleinen Pfeiler der äußeren Langseite entstammen, nach dem Mauerwerk zu urteilen, dem 16. Jahrhundert. Die Giebel sind im Verband mit der Ringmauer, nur von Dachhöhe ab werden sie von der Instandsetzung von 1740 herrühren.

Die Schildmauer mit Wehrgang schließt wieder den Ring zum Turm hin, doch fehlt hier die Überdachung und sind die Bogenkonsolen schlichter.

In der Mitte des Hofes lag ein Brunnen, wie üblich.

Zur Burg gehörte nun noch ein größerer Bereich von Bauten der Vorburg mit den Außenwirtschaftsgebäuden, das Ganze eingeschlossen und wohl verteidigt durch ein System von durch die Elde gespeisten Wassergräben. Die Abbildung in Anl. 3.) stellt einen Rekonstruktionsversuch dar, der ein Vogelschaubild über die Vorburg gibt.

Naht man sich der Burg von Parchim her, nachdem man das auf einer kleinen Insel zwischen Armen der Elde liegende befestigte Parchimer Tor 6 ) passiert hat, so kommt hinter einer Brücke eine Sägemühle, dann wieder ein Wasserarm 7 ). In der


6) An der Stelle des jetzigen Aalfangs auf der langen Brücke.
7) Jetzt Zuflußkanal des Kraftwerks.
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Richtung der heute vom Schloßplatz zur Burg führenden Straße geht es sodann gerade auf das erste Pforthaus zu, vor dem ein Graben mit Zugbrücke lag 8 ). Das Pforthaus, ein sehr langes Gebäude aus Fachwerk in zwei Geschossen, enthielt neben der Durchfahrt einen Pferdestall, eine kleine Wohnung und oben zwei Kornböden. Das Gebäude, schon 1576 als alt bezeichnet, wurde 1744, da halb eingestürzt, zum Abbruch bestimmt und 1752 abgebrochen. Auf dem Platze lag dann links die Große Mühle mit fünf Glinden, das heutige Kraftwerk. An dieser vorbei führte der Weg dann über eine abermalige Zugbrücke, die völlig um 1890 erst einging, über den Hauptgraben zu einem zweiten Pforthaus, das sich an die südöstliche Ecke der Hauptburg anschmiegte.

Es war gleichfalls in Fachwerk errichtet, nach dem Inventar von 1576 und 1610 als dreistöckig, 1592 dagegen als zweistöckig mit einem zweistöckigen Erker über der Tordurchfahrt bezeichnet. Dieser Widerspruch wird so zu erklären sein, daß der in den Dachstuhl hinaufreichende Erker als drittes Geschoß angesehen werden konnte. Der Bau enthielt neben der Durchfahrt auf der linken Seite die kleine Hofstube mit einem Schreibstüblein, oben mehrere Wohnräume, wohl für Gäste bestimmt, allem Anschein nach ein recht stattliches Gebäude. Auf der rechten Seite ging es in die Küchenmeisterei, gleichfalls in Fachwerk, die in den Burggraben hineingebaut sich zu Füßen des Neuen Hauses schmiegte. Piloot zeichnet auf der Rückseite des Pforthauses einen, wahrscheinlich im ersten Geschoß vorgekragten Gang, der sich auch zu einem Stock an der Küchenmeisterei hinzog und zu dem eine Freitreppe am Giebel des Neuen Hauses führte. Scheinbar gelangte man über diese auch in das Neue Haus.

Nachdem der Burggraken während des 18. Jahrhunderts allmählich vermoddet, die Zugbrücke durch eine massive ersetzt, das zweite Pforthaus, unbekannt wann, verschwunden war, wurde an Stelle des ersteren ein Siel zur Abführung der Abwässer aus den angrenzenden Stadtgrundstücken verlegt. Nach Nordwesten verbreiterte sich der Graben bis an die zum Kirchplatz führende Straße, über ihn führte ein schmaler Damm. 1764 wird Klage geführt, daß die Anwohner hier durch allmähliche Anschüttung den Graben immer mehr einengen und sich Terrain aneignen. Der Graben führt weiter, noch heute vorhanden bzw. erkennbar, um den Burghügel herum, erweitert sich zu einem Teich, der in


8) Dieser Graben, der sich hinter dem Grundstück des Mühlenbesitzers Weinaug hinzog, machte sich beim Bau des Kraftwerks durch tiefe Moddemassen unangenehm bemerkbar.
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jüngerer Zeit mit Karpfen besetzt war, und ist höher gestaut als das Unterwasser der Elde. Jenseits des Grabens lag hier ein großer Zier- und Küchengarten; von dem Gärtnergehöft darin und von der von der Burg zu ihm führenden Brücke ist in den Akten des 18. Jahrhunderts öfter die Rede. Der erwähnte Teich ist durch Aufstauung des Burggrabens hinter dem zum Dorf Kiez führenden sogenannten Hundedamm entstanden. Neben dem Zwecke der Befestigung wird er vor allem eine wirtschaftliche Bedeutung gehabt haben 9 ). Ein kleines Waschhaus an der Stelle, wo heute das ehemalige Schmiedegehöft steht, vervollständigte das typische Zubehör einer Schloßanlage des 16. Jahrhunderts.

Als nun 1619 endgültig mit dem Bau des neuen Schlosses begonnen wurde, erlosch natürlich schnell das Interesse an der alten Burg. Zwar wurde sie noch 1714, wie aus den damals ausgenommenen Inventar hervorgeht, in bewohnbarem Zustande gehalten, zumal da das neue Schloß lange Jahre unvollendet liegen blieb. Doch, nachdem dieses 1717 in der Gestalt, wie es heute vor uns steht, durch L. T. Sturm vollendet war, sank die Burg zum unbedeutenden Nebenhause herab und war damit bei der Geldarmut der Zeit dem allmählichen Verfall preisgegeben. Die am Ende des 17. Jahrhunderts aufgekommene verfeinerte französische Wohnkultur ließ auch die schlichten primitiven Räume hinter dicken Mauern auf engem Hügel als zu unwohnlich erscheinen. Die Hofstube wird noch 1734 repariert, doch wird im Neuen Haus schon 1738, doch unter Schonung der fürstlichen Zimmer, eine kleine Wohnung eingerichtet. 1740 aber stürzt der Fußboden des ehemaligen Audienzzimmers ein, die Kellergewölbe senken sich, die Schornsteine drohen zu stürzen. Die Giebel dieses Flügels haben starke Risse, die übrigens schon 1610 erwähnt werden. Das gleiche scheint im Alten Hause passiert zu sein, denn dieses wird 1740 gründlich umgebaut, woher die oben erwähnte, im Archiv befindliche Zeichnung stammt. 1748 wird beschlossen, da der alte Marstall im ersten Pforthause dem Einsturz nahe, das massive Wohnhaus des alten Schlosses zum Marstall für 24 Pferde und oben zum Kornboden umzubauen. Der Landbaumeister Horst in Boizenburg erhält den Auftrag: 1) das Dach und die Mauern abzubrechen und die Mauer, wo das Treppengebäude gestanden, wieder auszubessern, 2) die Ecke nach der Mühle zu neu aufzu-


9) Leider ließ es sich vor einigen Jahren nicht vermeiden, ihn teilweise zuzuschütten, um Land für das Kraftwerk zu gewinnen, und die Straße zum Hundedamm zu verlegen, so daß, soweit das 18. Jahrhundert hier nicht schon aufgeräumt hatte, der Zugang zur Burg nun seinen alten Charakter völlig verloren hat.
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mauern, auch nach der Stadt zu die überhängende Mauer auszubessern, ein Stück Mauer nach dem Hof zu, welches stark übergewichen, und worunter sich nachher verfaulte Hölzer gefunden, neu wieder aufzuführen, einen verfallenen Pfeiler nahe an dem hinteren Giebel nach der Stadt zu abzunehmen, an der Seite nach der Stadt zu den Schutt einen Fuß hoch wegzuräumen, den Pfeiler und die vorstehende Mauer abzuräumen, 3) zu beiden Seiten an den Mauern im Stall, unter der Mauer-Platen Kragsteine von Feldsteinen einzumauern und einen Absatz zu machen, 4) Anker einzuziehen, . . . 7) einen blinden Schornstein aufzuführen, . . . 9) die Fenster zu erneuern. Dies geschieht denn auch so gründlich, daß von dem alten Hause nur stehen bleiben die drei Außenmauern und die halbe hofseitige Mauer. Die Fenster werden zugemauert oder verkleinert, die Decken herausgenommen, der Keller zugeschüttet, neue Balkenlagen auf eingemauerten Konsolsteinen eingezogen, das Obergeschoß erhält einen starken inneren Holzverband zur Sicherung der Außenwände, die Giebel und der Windelstein werden abgerissen, eine Hälfte der Hofmauer ganz neu aufgeführt.

1768 droht die Schloßbrücke einzustürzen und wird massiv wieder aufgeführt. Aus dem Jahre 1805 finden sich Akten über umfangreiche Reparaturen am Turm, die dazu führen, daß 1821/23 das Spandach auf Grund eines Gutachtens des Landbaumeisters Barca zu Ludwigslust durch einen Rostocker Turmdachdecker durch ein Steindach ersetzt wird. 1838 wird der Turm zur Fabrikation von Hagel vermietet, weshalb an ihm ein hölzerner Erker errichtet wird, der aber nach Eingehen dieser Industrie 1860 entfernt wird. 1850 erhält die Stadt das Recht, in dem zuletzt zu Wohnungen und als Orangerie benutzten Alten Hause, nach endgiltiger Aufhebung der Hofhaltung im neuen Schlosse, Schulräume einzurichten. Sie stellt bei dieser Gelegenheit durch das bis dahin vermauert gewesene hintere Tor einen Weg zur Stadt für die Schulkinder her. 1860 wird über starke Vermoddung des Schloßgrabens und Schadhaftigkeit der Steineinfassung der Ufer geklagt, trotzdem hat er noch bis etwa 1890 bestanden; erst dann wurde die Brücke abgebrochen und der Graben zugeschüttet.

Durch die Schilderungen Pipers in seiner Burgenkunde wurde man gegen Ende des 19. Jahrhunderts erst wieder auf das ehrwürdige alte Bauwerk aufmerksam, so daß 1897 die vermauert gewesenen Vorhangbogenfenster des Turms durch den Landbaumeister Hamann wiederhergestellt werden konnten.

Doch noch viel ist zu tun, um alle berechtigten Forderungen der Denkmalpflege zu erfüllen. Manche der mehr oder weniger

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häßlichen Schuppen und Ställe, die sich im 19. Jahrhundert und schon früher zwischen den alten Mauern eingenistet hatten, sind zwar schon wieder beseitigt. Wann wird es aber möglich werden, das alte Bauwerk von diesen unerfreulichen Zutaten völlig zu säubern, die Gebäude einer zweckmäßigen und würdigen, die gute Erhaltung am besten gewährleistenden Bestimmung wieder zuzuführen und die Umgebung, besonders den in letzten Jahren notgedrungen verwahrlosten Burgberg in den angemessenen Zustand zu versetzen, der einem der ältesten Profanbauwerke Mecklenburgs und ehemaligen Fürstensitze entspricht?

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Altes Schloß zu Neustadt mit Umgebung von Wvert Piloot 1612
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Vogelschaubild der Burg Neustadt um 1600
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