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II.

Über die Grenzen der Staatshoheit
in der Travemünder Bucht.

 

Zweites Erachten

des

Staatsministers i. R. D. Dr. Langfeld - Schwerin.

 

Vignette
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I.

Das jüngste Erachten des Professors Rörig in Kiel: "Nochmals Mecklenburger Küstengewässer und Travemünder Bucht" veranlaßt mich in Ergänzung meines Gutachtens vom 5. Februar d. Js. - in folgendem als "Rechtsgutachten" zitiert - zu nachstehenden Bemerkungen:

Das Rechtsgutachten beschränkte sich darauf, die Frage:

ob an dem streitigen Meeresteile - dem die mecklenburgische Küste vom Grenzpunkte mit Lübeck am Priwall bis zur Harkenbeck bespülenden Gewässer - Lübeck oder Mecklenburg die Staatshoheit zukommt?

von allgemeinen rechtlichen Gesichtspunkten aus zu beantworten. Die Würdigung der tatsächlichen Vorgänge, in denen die Ausübung der Staatshoheit der beiden streitenden Teile in Erscheinung getreten ist, überließ das Rechtsgutachten dem von dem Geheimen und Hauptarchiv in Bearbeitung genommenen und inzwischen vollendeten Erachten, das in folgendem als "Archiverachten" zitiert werden soll.

"Rechtsgutachten" und "Archiverachten" widersprechen sich nicht, wie Rörig meint, sondern ergänzen sich.

II.

Wie seinerzeit der Schiedsspruch des 4. Zivilsenats des Reichsgerichts vom 21. Juni 1890 indem Rechtsstreite zwischen Lübeck und Mecklenburg-Schwerin über die Grenze ihres Staatsgebiets an dem Dassower Binnensee, geht auch das "Rechtsgutachten" von der Ansicht aus, daß für die Entscheidung eines Streites zweier Staaten über die Grenze ihres Staatsgebietes in erster Linie die Normen des allgemeinen Völkerrechts grundleglich zu machen sind, und daß erst in zweiter Linie zu ermitteln ist, ob die völkerrechtliche Grenze etwa durch einen besonderen Rechtstitel, z. B. durch Verleihung seitens einer übergeordneten Staatsgewalt, wie in dem früheren Falle, durch Vertrag der beteiligten Staaten oder durch Ersitzung, geändert worden ist. Von diesem Standpunkte aus kommt das "Rechtsgutachten" zu dem Ergebnis: daß der streitige

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Meeresteil als "Küstengewässer" im Sinne des Völkerrechts dem Uferstaate, also Mecklenburg, zuzusprechen ist, und daß die Grenze zwischen dem mecklenburgischen Hoheitsgebiete und dem lübischen Küstengewässer durch eine Linie gebildet wird, welche von der Ufergrenze am Priwall ab in gleicher Entfernung von den Ufern beider Staaten sich in das Meer erstreckt. Das "Rechtsgutachten" hat jedoch nicht übersehen, daß den beteiligten Staaten durch das Völkerrecht eine gewisse Freiheit zur anderweitigen Festsetzung dieser Grenze überlassen worden ist, insbesondere in der Form, daß durch Vereinbarung die Grenze des Küstengewässers zugunsten Lübecks nach der mecklenburgischen Seite hin verschoben werden konnte, vorausgesetzt, daß bei solcher Verschiebung das dadurch Lübeck zugefallene Gebiet noch immer vom festen lübischen Staatsgebiet aus sich beherrschen ließ, also kurz gesagt: bis zur völkerrechtlichen Dreimeilengrenze, gerechnet vom Lübecker Ufer ans. Nach den örtlichen Verhältnissen hätte - an diesem Maßstabe gemessen - durch die Verrückung der Grenze das ganze streitige Küstengewässer bis zur Harkenbeck Lübeck zugewiesen werden können. Eine vertragsmäßige Verrückung der Grenze kommt nicht in Frage. Was durch sie erreicht werden konnte, wäre jedoch auch durch langjährige Ausübung der lübischen Staatshoheit an dem fraglichen Meeresteile zu erreichen gewesen, mochte jener tatsächlichen Übung für ihre rechtsändernde Wirkung die Bedeutung eines zwischenstaatlichen Gewohnheitsrechts oder die eines unvordenklichen Besitzstandes zugekommen sein. Ob eine solche Rechtsänderung in der Tat eingetreten ist, darüber konnte sich das "Rechtsgutachten" nicht abschließend aussprechen, weil zur Zeit seiner Ausarbeitung das erst durch das "Archivgutachten" zusammenzustellende und tunlichst urkundlich zu erweisende tatsächliche, die Ausübung der Staatshoheit an dem Gewässer sowohl seitens Lübecks als seitens Mecklenburgs ergebende Material noch nicht vorlag.

Von der zu treffenden Würdigung dieses Materials wird die Entscheidung des vorliegenden Rechtsfalls abhängen.

Es wird auf Grund desselben der Staatsgerichtshof insbesondere die Fragen zu entscheiden haben:

Genügt das von Lübeck in bezug genommene Material, um den von Lübeck zu führenden Beweis des Erwerbs des Hoheitsrechts an dem streitigen Meeresteile indem Umfange, wie ihn Lübeck beansprucht, zu erbringen?

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sowie eventuell:

Ist seitens Mecklenburgs der Gegenbeweis gegenüber dem klägerischen Beweise geführt, sei es direkt durch den Nachweis, daß die von Lübeck geltend gemachten Beweismittel nicht stichhaltig sind, sei es indirekt durch den Nachweis, daß nicht Lübeck, sondern Mecklenburg in der kritischen Zeit die Staatshoheit an dem strittigen Meeresteile ausgeübt hat?

III.

Was Rörig auch in seinem jüngsten Erachten vorgebracht hat, reicht nicht aus, um eine andere Stellungnahme als die, welche sich aus dieser einfachen Rechtslage ergibt, zu rechtfertigen.

Rörig lehnt die Berücksichtigung des allgemeinen Völkerrechts für den vorliegenden Rechtsstreit schlechthin ab. Er will nur partikuläres Gewohnheitsrecht gelten lassen, das sich für das Verhältnis Mecklenburgs und Lübecks zu der Travemünder Bucht im Laufe einer über Jahrhunderte sich erstreckenden rechtsgeschichtlichen Entwicklung gebildet haben soll. Er macht aber außerdem für die Hoheitsrechte Lübecks an der streitigen Wasserfläche einen Erwerbsgrund geltend, der schon vor der Entstehung des heutigen Völkerrechts sich verwirklicht haben soll, - die Okkupation eines herrenlosen Gebietes.

Für diesen letzten Erwerbsgrund ist jedoch zu beachten, daß die Ostsee im Mittelalter wie heute noch ein herrenloses Gebiet gewesen ist aus dem Grunde, weil schon nach ihrer natürlichen Beschaffenheit ihre rechtliche Beherrschung unmöglich gewesen ist. Tatsächlich beherrschbar waren nur die Wasserflächen, auf welche von dem festen Lande aus eingewirkt werden konnte, nämlich das Küstengewässer. Daß auch dieses im Mittelalter eine durch Okkupation beherrschbare res nullius gewesen ist, das muß Lübeck doch erst beweisen. Bisher hat es diesen Beweis nicht erbracht. Das Gegenteil, daß das Küstengewässer der Okkupation nicht mehr offen stand, ergibt sich vielmehr aus den eingehenden Ausführungen des "Archiverachtens" über die von den Territorialherren und - auf Grund deren Verleihung - von einzelnen Städten an dem Strande ausgeübten, aus dem Hoheitsrechte fließenden Befugnisse. Zum "Strande" gehörten aber außer dem festen Ufer auch die von der Flut überströmten Flächen des Strandes.

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Was nun weiter die Ablehnung der Anwendung des allgemeinen Völkerrechts auf den vorliegenden Fall betrifft, so wäre Rörig zuzustimmen, wenn man seiner eigenartigen Auffassung beipflichten müßte, daß die Anwendung des Völkerrechts nichts anderes sei als ein "Analogieschluß", und daß das allgemeine Völkerrecht nur eine Zusammenfassung der übereinstimmenden partikularrechtlichen Normen für das zwischenstaatliche Verhältnis der Völker bilde. Ein Analogieschluß wäre die Anwendung des Völkerrechts, wenn es keine unmittelbare Geltung beanspruchen könnte. Seine Anwendung wäre alsdann nicht anders zu beurteilen als der Fall, daß ein deutscher Richter einen ihm vorliegenden Rechtsstreit nach den für diesen maßgebenden Bestimmungen des englischen oder französischen Rechtes entscheidet. Und wäre das Völkerrecht nur eine Kompilation der übereinstimmenden zwischenstaatlichen Rechtsnormen der einzelnen Staaten, so müßte der Richter vor seiner Anwendung immer erst feststellen, daß es auch in dem Lande, dessen Recht der abzuurteilende Fall unterliegt, maßgebend ist. Schon diese Konsequenzen rechtfertigen das Bedenken an der Richtigkeit der Ansicht Rörigs über Wesen und Bedeutung des Völkerrechts. Rörigs Ansicht ist aber überhaupt rechtsirrtümlich. Sie wird dem wirklichen Charakter des Völkerrechts nicht gerecht. Wenn Rörig unter Berufung auf Triepel von dem Satze ausgeht: "Es gibt, wenn man so sagen darf nur partikuläres Völkerrecht, nur Sätze, die für zwei, drei, viele, niemals aber für alle Staaten gelten, und ein allgemeines Recht läßt sich aus diesen Einzelrechten nur im Wege der Vergleichung und Zusammenstellung der in mehreren oder vielen Staaten gleichmäßig, kraft besonderer Rechtsquelle geltenden Rechtssätze gewinnen", - so muß zugegeben werden, daß viele Normen des allgemeinen Völkerrechts auf Grund partikulärer Rechtsentwicklung, insbesondere zwischenstaatlicher Verträge, allgemeine Anerkennung erlangt haben. Daraus folgt aber noch nicht, daß alles Völkerrecht nur partikuläres Recht ist. Die Mehrheit der Völkerrechtslehrer lehnt jedenfalls diese Auffassung ab. Auch das allgemeine Völkerrecht ist eine Rechtsnorm, die aus einer alle Kulturstaaten bindenden Rechtsquelle fließt. Es ist nichts anderes als die Rechtsordnung für die Gemeinschaft, zu der im Laufe der Zeit alle Kulturstaaten sich zusammengeschlossen haben, teils auf Grund gemeinsamen Rechtsempfindens, teils auf Grund praktischer Erwägungen. Das allgemeine Völkerrecht regelt nur die Verhältnisse der einzelnen Staaten zueinander und zu der Gesamtheit. Es ist aber ein

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gemeines Recht, nicht ein allgemeines, aus der Übereinstimmung der Rechtsordnung der Einzelstaaten sich ergebendes Recht. Es bindet die einzelnen Staaten, weil sie der Gemeinschaft, für die es sich entwickelt hat, angehören. Für die Anwendung eines völkerrechtlichen Rechtssatzes auf die zwischenstaatlichen Verhältnisse eines deutschen Staates genügt deshalb auch die Tatsache, daß der Satz dem allgemeinen Völkerrecht angehört, es bedarf nicht noch des Nachweises, daß der betreffende Satz in dem Staate als partikuläres Recht gilt. Das Völkerrecht bildet gewissermaßen das Grundgesetz der Völkergemeinschaft. Als solches enthält es wirkliche und zwingende Rechtsnormen, nicht nur theoretische Lehrsätze 1 ). Für das Deutsche Reich wenigstens ist in dieser Hinsicht jeder Zweifel beseitigt durch die Bestimmung des Art. 4 der Reichsverfassung: "Die allgemein anerkannten Regeln des Völkerrechts gelten als bindende Bestandteile des deutschen Reichsrechts."

Aus diesem gemeinrechtlichen Charakter des Völkerrechts ergibt sich dann aber auch, daß es partikulären Vorschriften vorgehen muß, soweit es nicht selbst einer abweichenden partikulären Normierung Raum läßt. Wie weit dieser zwingende Charakter reicht, das mag für den einzelnen Rechtsfall nicht immer ganz leicht festzustellen sein. Im allgemeinen wird man doch sagen können, daß einer Rechtsnorm, welche nur den natürlichen Verhältnissen entspricht, oder an deren einheitlicher und sicherer Anwendung alle Kulturnationen gemeinsam interessiert sind, ein zwingender Charakter zuzuerkennen ist. Insofern läßt sich auch für das Verhältnis des partikulären Gewohnheitsrechts zu dem allgemeinen Völkerrecht der Gedanke verwerten, dem die bekannte Entscheidung Konstantins Ausdruck gegeben hat, welche in der Lehre des Pandektenrechts 2 ) so verschieden beurteilt worden ist: c. 2 C. quae sit longa consuetudo 8, 53:

Consuetudinis ususque longaevi non vilis auctoritas est, sed non usque adeo sui valitura momento, ut rationem vincat aut legem.

Angewandt auf den vorliegenden Fall, dürfte hiernach eine zwingende Wirkung zuzugestehen sein:


1) Vgl. u. a. Heilborn, Völkerrecht in v. Holtzendorffs Encyklopädie §§ 1, 2 und v. Lißt, Völkerrecht in Birkmeyers Encyklopädie § 1.
2) Vgl. Pandekten von v. Vangerow I § 16, Windscheid I § 18, Dernburg I § 28.
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aus rationellen Erwägungen dem Satze, daß an nicht begrenzten Meeresteilen eine Herrschaft unmöglich, an begrenzten nur soweit möglich ist, als sie vom Ufer aus ausgeübt werden kann;
   aus dem allgemeinen Interesse an einer einheitlichen und sicheren Feststellung der Staatsgrenzen dem Satze über die Dreimeilengrenze.

Soweit völkerrechtlichen Rechtsnormen ein zwingender Charakter zukommt, mußte sich für den einzelnen Staat, der sich ihm unterwarf, aus diesem Charakter auch die Folge ergeben, daß das bisherige, mit dem betreffenden Rechtssatz in Widerspruch stehende einzelstaatliche Recht mit der Unterwerfung des Staates unter das Völkerrecht außer Kraft trat. Dies ist der Sinn der von Rörig bemängelten Bemerkung des "Rechtsgutachtens", daß "Ausübungsakte der von Lübeck beanspruchten Hoheitsrechte aus der Zeit vor dem Ende des 17. Jahrhunderts - der Geburtsstunde des Völkerrechts - unbeachtet bleiben müssen, weil sie durch die zum Durchbruch gekommene, auf den allgemeinen völkerrechtlichen Grundsätzen über die Freiheit der Meere beruhende neue Rechtsentwicklung erledigt worden sind".

Rörig glaubt die ausschließliche Berechtigung Lübecks an der Travemünder Bucht schon durch das überwiegende Interesse Lübecks an diesem Meeresteile rechtfertigen zu können. Er bemerkt: "Das ganze Travegebiet, soweit es schiffbar war, von Oldesloe bis einschließlich der Travemünder Reede, stellt einen Sonderfall dar, der zu verstehen ist aus der überragenden Stellung, die Lübeck in seiner wirtschaftlichen Nutzung und im Zusammenhange damit in seiner rechtlichen Beherrschung einnahm." Dem muß widersprochen werden. Gewiß ist Lübeck an der Travemünder Bucht weit mehr interessiert als einer der übrigen Uferstaaten. Aber das überwiegende Interesse eines von mehreren Teilnehmern an einer gemeinschaftlichen Sache ist kein Rechtsgrund, aus dem ihm die ganze Sache zugesprochen und über das entgegenstehende Recht der übrigen Teilhaber hinweggegangen werden kann. Es wäre dies ein flagranter Verstoß gegen den Grundsatz: "Justitia est constans et perpetua voluntas, jus suum cuique tribuendi" (l. 1 J. de justitia et jure I, 1). Das vorwiegende Interesse Lübecks an der Bucht kann nur als Motiv für eine vertragsmäßige oder gewohnheitsrechtliche Regelung der Hoheitsverhältnisse im lübischen Sinne dienen. Die Tatsachen, aus denen sich diese Regelung ergibt, müssen aber erwiesen werden. Dieser

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Beweis kann weder ersetzt werden durch die Behauptung, daß das Fahrwasser in der Bucht, in welches die Trave ausläuft, als ein Teil des ganzen, in Lübecks Eigentum stehenden Travestroms anzusehen sei, noch durch die Behauptung, daß Lübeck die "Reede" von Travemünde gehöre und daß ihm deshalb die gesamte Wasserfläche zuzusprechen sei, welche nach den örtlichen Verhältnissen der Reede zugerechnet werden müssen, also insbesondere auch, wie Lübeck geltend macht, bis zu dem festen mecklenburgischen Ufer von Priwall bis zur Harkenbeck.

Flüsse sind rechtlich anders zu behandeln als Meeresteile. An dem fließenden Wasserstrom eines Flusses ist, da er durch die Ufer eingefaßt wird, eine rechtliche Herrschaft an sich möglich, auch wenn dem Staat, der sie in Anspruch nimmt, die Ufer des Flusses nicht gehören. Anders dagegen verhält es sich bei dem offenen Meere. Der Auslauf eines Flusses aus der Mündung in das Meer bildet aber, auch soweit in ihm die Strömung des Flusses noch festgestellt werden kann, einen Teil des Meeres - sei es Eigenmeer, sei es Küstengewässer - und untersteht deshalb den für solche Meeresteile maßgebenden Grundsätzen. Im vorliegenden Falle kommt indessen auf die Entscheidung dieser Kontroverse nichts an, weil das Fahrwasser der sog. Außentrave außerhalb des mecklenburgischen Küstengewässers liegt.

Anlangend dagegen die "Reede", so ist bereits in dem Rechtsgutachten ausgeführt worden, daß ein selbständiger Rechtsbegriff der "Reede" nicht anzuerkennen ist. Es ist unter "Reede" nichts anderes zu verstehen als die Bezeichnung eines Meeresteiles, der bestimmten Zwecken, nämlich der Bestimmung, als Ankerplatz der Schiffe benutzt zu werden, dient, der aber nach seinem Verhältnis zur Küste als Eigenmeer oder Küstengewässer anzusehen ist. Wenn also Lübeck auch das unmittelbar die mecklenburgische Küste bis zur Harkensee bespülende Gewässer als einen Teil der Reede in Anspruch nimmt, so muß es beweisen, daß es auch an diesem, nach allgemeinem Völkerrechte zum mecklenburgischen Küstengewässer gehörigen Meeresteile wirkliche Hoheitsrechte tatsächlich ausgeübt und damit gewohnheitsrechtlich oder durch unvordenkliche Verwährung die Staatshoheit erworben hat.

IV.

Es verbleibt somit bei der oben unter II am Ende festgestellten Rechtslage. Der Staatsgerichtshof hat die Aufgabe, auf

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Grund des von den Parteien beigebrachten umfänglichen und nicht leicht zu behandelnden Tatsachen- und Beweismaterials die Frage zu entscheiden,

ob Lübeck der Beweis der durch Gewohnheitsrecht oder unvordenklichen Besitz erlangten Staatshoheit an der streitigen Wasserfläche in vollem oder in beschränktem Umfange gelungen ist.

Der Altmeister des deutschen Handelsrechts, welcher vorübergehend auch eine Zierde unserer Landesuniversität gewesen ist, Heinrich Thöl, macht im Vorworte zur ersten Auflage seines "Handelsrechts" über die Judikatur des früheren hanseatischen Oberappellationsgerichts in Lübeck die Bemerkung: aus den Entscheidungen dieses Gerichts habe ihn ein Geist angeweht, "kräftig und frisch wie reine Seeluft". Möchte es dem Staatsgerichtshof gelingen, durch seine Entscheidung in einer lübischen Sache dieses gesunde Rechtsempfinden neu zu beleben. Mehr noch wäre es jedoch zu begrüßen, wenn die Parteien noch vor der Entscheidung im Wege der Verständigung über eine klare, sichere und den Interessen beider Staaten entsprechende Regelung ihrer Seegrenzen den Streitfall erledigen sollten.

Schwerin, den 15. August 1925.

(gez.) Langfeld.

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