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II.

Wandmalerei
in Mecklenburg bis 1400.

Von

Dr. phil. Werner Burmeister (Schwerin).

Vignette
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Einleitung.

Die mittelalterliche Wandmalerei des Ostseegebietes bietet ein noch wenig beachtetes, sehr reiches Material zur Geschichte der Malerei des Mittelalters. Durch das allmähliche Wiedererscheinen der meist unter neuzeitlicher Überstreichung verschwundenen Malereien und durch ihre teils sehr schlechte Erhaltung ist ihnen lange nicht das verdiente Maß an Aufmerksamkeit zuteil geworden. Noch heute gelten alle anderen Kunstzweige als dankbarere Objekte der Erkenntnis mittelalterlicher Kunst, die Malerei wird in zusammenfassenden Schilderungen der Kunst dieser Jahrhunderte fast ganz beiseite gelassen. So trug auch die Unsichtbarkeit der meisten Werke unter späterem Überstrich dazu bei, daß der Umfang und die Bedeutung der Wandmalerei im mittelalterlichen Leben unterschätzt wurde. Die klassizistisch verbildete Welt mußte ihre Vorstellung vom Mittelalter ebenso wandeln, wie von der Antike. In Mecklenburg hat zuerst Lisch das Interesse an diesen Dingen zu wecken versucht, ohne daß es ihm gelungen wäre, gerade einige sehr wichtige Denkmäler, die Wandmalerei des Doberaner Beinhauses und des Chorgewölbes von St. Marien in Röbel, vor der Vernichtung zu bewahren. Inzwischen sind noch mehrere solcher denkmalspflegerischen Sünden zu verzeichnen gewesen. Das Verdienst, viele charakteristische Wandmalereien unseres Landes durch eine leidlich getreue Restauration wenigstens in ihrem Gesamteindruck erhalten zu haben - eine Erhaltung des wahren manuellen Charakters, des Pinselstrichs, ist ja kaum möglich -, gebührt Friedrich Schlie, der diese im Küstengebiet sehr bedeutsame Kunstgattung vollauf zu würdigen wußte.

Die Menge der im norddeutschen Küstengebiet heute vorhandenen mittelalterlichen Wandmalereien ist außerordentlich umfangreich, und eine erstmalige wissenschaftliche Bearbeitung muß irgendwie aus der Masse des Matrials eine örtlich und zeitlich begrenzte Gruppe herauszulösen suchen. Die Begrenzung auf die

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Frühzeit bis zur Hochgotik um 1400 herum ist eine etwas gewaltsame Maßnahme, denn derselbe bilderfreudige Geist geht ohne Unterbrechung ins 15. Jahrhundert über und wirkt sich gerade in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts und noch weit ins 16. Jahrhundert hinein in einer Fülle von Werken aus. Gerade diese Spätwerke sind es, die durch ihren Umfang und die eindringliche Wucht ihrer Sprache den Blick zuerst auf sich lenken. Im Folgenden haben wir es mit den viel zurückhaltenderen Stücken der Frühzeit zu tun, die in die ersten, harten und stolzen Zeiten des Ostseedeutschtums hineinreichen. Die eng verklammerte Kette von Malereien in Ostmecklenburg bringt es mit sich, daß die Betrachtung dort nicht um 1400 rücksichtslos unterbrochen wurde, sondern auch noch Werke der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts Berücksichtigung gefunden haben.

Die örtliche Begrenzung umfaßt in der Hauptsache Mecklenburg. Hier ist noch mehr eine Gewaltsamkeit des Ausschnitts fühlbar, denn Mecklenburg stellt sich nicht als einheitliches Gebiet dar, sondern teilt sich in zwei Hälften, eine an Denkmälern arme westliche und eine denkmälerreiche östliche Gruppe, die grundverschiedenen Charakter zeigen. Ihre Grenze wird ungefähr durch die Linie Wismarsche Bucht-Schweriner See bezeichnet. Die westliche Landeshälfte ist unselbständig und ohne wirkliches Eigenleben, sie zeigt sich von Lübeck eng abhängig und läßt einen ausgeprägten Charakter vermissen. Im Gegensatz zur östlichen Gruppe finden sich ihre Denkmäler fast nur an den großen städtischen und klösterlichen Kirchen, es fehlt eine bodenwüchsige Volkskunst. Im ganzen ist also der Westteil des Landes eine sterile Zone zwischen zwei Gebieten mit lebhafter Produktion der Wandmalerei, auf der einen Seite steht Lübeck und sein lauenburgisches Hinterland, auf der anderen Ostmecklenburg. Es ergibt sich, will man nicht den westlichen Landesteil ganz ausscheiden, die Lösung, den kulturellen Mittelpunkt des Gebietes, Lübeck, als Exkurs mit heranzuziehen, und die Wandmalereien des lauenburgischen Landes als von Lübeck ebenfalls unmittelbar abhängige Gruppe mit den spärlichen Stücken des westlichen Mecklenburgs zusammenzufassen und sie der ostmecklenburgischen Gruppe gegenüberzustellen.

Die frühesten erhaltenen Wandmalereien des Küstengebietes fallen in die Zeit um 1300. Es ist kaum anzunehmen, daß vor ihnen eine erhebliche Wandmalerei bestanden hat. Die Hauptmasse der Granitquaderkirchen des Landes entstand um die Mitte des 13. Jahrhunderts. Ehe man dann zu einer malerischen Aus-

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schmückung der Kirchen über die erste rein architektonisch-geometrische Behandlung hinaus gelangte, war man wohl dem Ende des 13. Jahrhunderts nahe gekommen.

Die Fragen der Herkunft und des Entwicklungsganges der mittelalterlichen Malerei des Küstengebietes streifen interessante Fragen der allgemeinen künstlerischen Abhängigkeitsverhältnisse Norddeutschlands. Gingen die Verbindungen mehr nach Westen, nach Westfalen und zum Rhein, oder nach Süden in das niedersächsische alte Kulturgebiet nördlich des Harzes? Welche Rolle, gebend oder empfangend, spielt der Norden, Dänemark und Südschweden? Für ein begrenztes Gebiet möchte die Arbeit auf diese Frage eine Antwort zu geben versuchen.

I. Übergangszeit.

Westlicher Landesteil: Mölln, Lauenburg.

Nordseite des östlichen Langhausjoches. Hl. Jakobus und Nikolaus und andere Szenen. Restauriert.

Friesartige Malerei, früher wohl einheitlich an den übrigen Jochen des Langhauses weitergeführt. Der etwa 50 cm hohe Fries zeigt über dem Zwischenpfeiler eine Erweiterung durch einen schwach halbkreisförmigen Bogen, der durch eine Säule und zwei auf ihr ruhende Kleeblattbögen unterteilt ist. In den Arkaden die Heiligen Jakobus und Nikolaus, Jakobus als Schutzpatron der Pilger, zwei seitlich von ihm kniende Pilger krönend, während links weitere Pilger herankommen; Nikolaus, halb nach rechts gewandt, segnet ein nach rechts segelndes Schiff, dessen Bemannung ihn anruft. Zu Seiten der Mittelszenen enthält der Fries links Jagdbilder, man erkennt Männer und Hunde, einen fliegenden Falken und Bäume. Welche Szene dargestellt ist, ist unklar. Rechts von der Mittelgruppe ist die Seelenwage mit Engeln und Teufeln, noch weiter rechts die Krönung Marias. Unter der Mittelgruppe im Zwickelfeld zwischen den Arkadenbögen die symbolische Darstellung des von Hunden gehetzten Hirsches und ein gekrönter fratzenhafter Löwenkopf, wohl eine Teufelsdarstellung.

Die Möllner Malerei zeigt Züge, die bestimmt auf rheinische Beeinflussung hinweisen. Die Szene des Jakobus, zu dem die Pilger hinwallen, um von ihm gekrönt zu werden, (S. Jago di Compostella) tritt im Rheinland mehrfach auf, in der ältesten und schönsten Fassung in Linz 1 ). Die Abhängigkeit von dem dortigen Bilde ist deutlich. Auch andere Typen der Darstellungen, die Jagd-


1) Abb. Clemen, Fig. 420.
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szenen und die Krönung Marias zeigen rheinische Charakterzüge. Daneben aber ist ein anderer Stammescharakter, der der niedersächsischen Miniaturmalerei, in der eckigen, hartbrüchigen Art der Faltengebung und mehreren Einzelheiten festzustellen. Die Darstellung des Heiligen Nikolaus als Schutzpatron der Seefahrer findet sich ähnlich in Melverode bei Braunschweig.

Zu den fremden Einflüssen, dem rheinischen und dem niedersächsischen, tritt nun als spezifisch küstenländischer Zug die Lockerung der Komposition und aller Einzelformen. Strenge Symmetrie und eine ruhige Flächenbehandlung, wie sie das Rheinland liebt, ist nicht angestrebt, im Gegenteil sind alle Teile möglichst verselbständigt und lehnen sich gegen eine strenge Disziplinierung auf. Diesen Zug werden wir im deutschen Küstengebiet regelmäßig wieder finden.

Die Datierung der Möllner Malerei muß ins 13. Jahrhundert gesetzt werden, da die Formen noch ganz romanisch erscheinen. Doch ist die Malerei in dieser Zeit im Küstengebiet auffallend rückständig, und einzelne leicht gotisierende Formen bedingen, daß das Werk schon dem letzten Viertel, vielleicht nahe dem Ende des Jahrhunderts, zugewiesen wird.

Östlicher Landesteil:

Doberan, Beinhaus. Christus und Apostel, kluge und törichte Jungfrauen, Kreuzigung und Marienkrönung.

Doberan, Beinhaus.

Christus und Apostel, kluge und törichte Jungfrauen, Kreuzigung und Marienkrönung. Frei restauriert.

Einheitliche Ausmalung des frühgotischen Oktogons.

  1. Am Gewölbe Standfiguren, Christus und sieben Apostel.

An den gebrochenen Wandfeldern zwischen den Fenstern zwei Figurenreihen übereinander:

  1. oben: fünf kluge Jungfrauen und die heilige Katharina.
  2. unten: fünf törichte Jungfrauen und ein ritterlicher Heiliger.
  3. Im Felde über der Tür Kreuzigung zwischen zwei Figuren, darüber Krönung Marias.

Leider ist der ursprüngliche Charakter der Malerei durch die Restauration von 1883 sehr zerstört, und bei der Beurteilung kann man nicht vorsichtig genug sein. Die Beschreibung, die Lisch von der Malerei vor ihrer Restaurierung in dem Mecklenburgischen Jahrbuch XIX, Seite 374 ff. gibt, zeigt, daß überall willkürliche Veränderungen vorgenommen sind. Statt der rhombischen

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Brustschließen, die Lisch an den Jungfrauen sah, haben sie jetzt Mantelriemen nach Art der Magdeburger Jungfrauen. Die Kreuzigungsszene ist durch die nach einem Glasfenster von Bourges kopierten Figuren der Ekklesia und der Synagoge ergänzt worden, an Stelle einer verschwundenen Figur ist eine ritterliche Heiligengestalt mit Anlehnungen an eine Naumburger Stifterfigur und mit Porträtzügen des Herzogs Johann Albrecht getreten. Für die knieenden tragenden oder anbetenden Figuren unter den Konsolen ist Rankenwerk eingesetzt, nur an einer Stelle eine Droleriefigur, die mit jenen nicht identisch sein kann.

Es ist nach diesen Beobachtungen klar, daß der Restaurator unter Benutzung historischer Vorbilder den Charakter der Malerei gänzlich verändert hat. Die Färbung ist ganz seine Erfindung, da nach der Beschreibung Lischs die klugen Jungfrauen rote Mäntel zeigten, die übrigen Figuren aber nur als Umrißzeichnungen erhalten waren. Auch das Ornament der Bauglieder ist verändert, besonders das Ranken- und Blätterornament hinzugefügt.

Trotz dieser Verschleierung muß der Versuch gemacht werden, den ursprünglichen Charakter der Malerei zu bestimmen. Es ergibt sich bei Betrachtung des Gewölbes, daß dort ein Unterschied besteht zwischen Christus und seinen beiden Nachbarn, die Lisch als verschwunden bezeichnet, und die sich durch ihren klassizierenden Charakter als Erfindungen Andreäs verraten, und den übrigen fünf Aposteln. Diese haben anscheinend die ursprünglichen Umrißlinien bewahrt und atmen trotz der Überarbeitung noch mittelalterlichen Geist. Sie erinnern in ihrer frontale Haltung und dem scharfbrüchigen Faltenstiel an Gestalten sächsischer Kalendarien, daneben, besonders in der Bildung der Hände, an Gestalten der Malerei von Methler in Westfalen.

Die Kopftypen und der Faltenwurf entsprechen aber mehr den sächsischen Miniaturen der von Haseloff 1a ) zusammengestellten Gruppe. Petrus hält, wie zuweilen in den Handschriften, neben dem Schlüssel den Kreuzstab. Die Jungfrauen erscheinen gegenüber den Gestalten des Gewölbes mehr gotisierend, aber vielleicht ist dies, wie die Veränderung des Mantelschlusses, nicht ohne Mitwirkung Andreäs geschehen. Die von Lisch gesehene rhombische Mantelschließe ebenso wie die lebhafte Bewegung und die Neigung der Gestalten gegeneinander bringen sie den Jungfrauen des Braunschweiger Doms nahe. Die Heilige Katharina entspricht ziemlich genau der gleichen Heiligen auf der Altartafel der Quedlinburger Ägidienkirche im Berliner Museum, und derselben Tafel


1a) Arthur Haseloff, Eine thüringisch-sächsische Malerschule.
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entspricht die Anordnung der Krönung Marias über der Kreuzigung, d. h. diejenigen Teile der Wandfläche über der Tür, die auf alte Spuren zurückgehen.

Nach diesen Vergleichen läßt sich mit einiger Bestimmtheit sagen, daß die Malereien ein Werk des Übergangsstils waren, noch mehr byzantinisierend, als gotisierend, und daß der Stil von der niedersächsischen Malerei des 13. Jahrhunderts abhängig war.

Die Datierung des Werkes hängt von der Erbauungszeit des Beinhauses ab, auf die die Ausmalung unmittelbar gefolgt sein wird. Wir dürfen dieses zierliche Bauwerk der Übergangszeit in die zweite Hälfte des 13. Jahrhunderts setzen, und zwar eher dem Ende, als der Mitte zuneigend, und kommen für die Malerei also auch in die letzte Zeit des 13. Jahrhunderts. Ein Vergleich mit der Rostocker Fünte von 1290 zeigt eine zeitliche Nähe. Die auch dort auftretenden Jungfrauen haben schon ausgeprägteren gotischen Charakter, aber da die Malerei gegenüber der Plastik sich allgemein etwas konservativer zeigt, ist damit eine Priorität der Beinhausmalerei nicht notwendig anzunehmen, und wir können sie auch um 1300 ansetzen.

Hohen-Sprenz, Chorgewölbe.

Jüngstes Gericht u. Marienszenen. Restauriert. Abb. S. 313-314.

Jüngstes Gericht und Marienszenen. Restauriert.

Hohen-Sprenz, Chorgewölbe. Jüngstes Gericht u. Marienszenen.
  1. Christus thronend zwischen den Hll. Martin und Johannes, rechts der Hl Michael.
  2. Maria mit dem Kinde thronend zwischen den hll. Margaretha und Katharina, links eine weibliche Heilige.
  3. u. 4. sechs und sieben Apostel auf Bänken sitzend.
  1. Der Tod Marias zwischen zwei Engeln.
  2. Die Krönung Marias zwischen zwei Engeln.
  3. Fliegende und kniende Engel.

Das Chorgewölbe von Hohen Sprenz ist eins der achtrippigen Kuppelgewölbe des für das östliche Mecklenburg charakteristischen Dorfkirchentyps des 13. Jahrhunderts. Die Malerei bedeckt einen breiten Gürtel der Kuppel und die Zwickel, während die Mitte frei bleibt. Streng wie die Anordnung ist die formale Gestaltung: Auf einem breiten Fußring sitzen die ruhigen Gestalten in wohl abgewogenen Gruppen. Der Charakter ist, wie in Doberan, in der Hauptsache byzantinisch, aber im Gegensatz zu jenem Werk herrschen gerundete, weichere Linien vor, auch ist die Gesamthaltung in den figürlichen Szenen von freierem Leben. Die lebhafte Bewegtheit ist die gleiche, wie sie byzantinisierenden

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Werken Niedersachsens eigen ist, dem Goslarer Evangeliar oder der Malerei des Braunschweiger Doms. Mit dem letztgenannten Monumentalwerk stimmen manche Züge überein. In der Komposition liegt der Vergleich mit dem Vierungsgewölbe des Braunschweiger Doms nahe. Auch dort sind die figürlichen Szenen in einem festen Ring angeordnet, der die Gewölbemitte freiläßt. Auch dort ist die Standhöhe der Figuren verschieden, sie schweben zuweilen über dem Bodenstreifen in der Luft. Einen weiteren Vergleichspunkt bietet der Faltenstil, der in Hohen Sprenz eine ähnliche Fülle von bewegtem Linienspiel und kontrapostischer Anordnung zeigt, wie in Braunschweig. Besonders finden sich die von Schultern und Unterarmen herabfallenden langen, taschenartigen Hänge mit der Neigung zu spiralischer Umbiegung am Ende ebenso dort wie hier.

Die Reihen der sitzenden Apostel an der Nord- und Südseite erinnern zugleich an ein etwas früheres plastisches Werk Niedersachsens, die Apostel der Chorschranken in der Halberstädter Liebfrauenkirche 2 ), und es erscheint notwendig, eine Einwirkung ihrer Stellungsmotive sowie des plastisch gerundeten Charakters ihrer Erscheinung hier zu sehen. Die glatten, die Glieder umschreibenden Faltenzüge sind ganz entsprechend. Ähnliche lange, mit Pfosten versehene Sitzbänke finden sich an einem Quedlinburger Reliquienkasten wieder.

Neben diesem byzantinischen Grundton ist ein andersartiges Element festzustellen, ein westlicher, gotischer Einfluß. Die beiden westlichen Gewölbekappen zeigen Ikonographie, die auf Portaltympana französischer Kathedralen zurückgeht. Dort ist der Tod und die Krönung Marias zwischen flankierenden leuchtertragenden Engeln die regelmäßig auftretende Füllung des Bogenfeldes der Marienpforte. Auch die acht schwebenden und knienden Engel mit Posaunen und Rauchfässern gehören zu dem reicheren Hofstaat, der Christus und Maria in der neuen Stilbewegung zukommt.

Formal spricht sich der westliche Einfluß in der Behandlung der Gewänder aus. Neben den oben angeführten byzantinischen Motiven ist ein lang-hängender, dünner und schmiegsamer Charakter auffallend, der die Leichtigkeit und Weichheit des Stoffes betont, gern in langen, ungestörten Faltenzügen herabfällt und die unteren Säume in gerader Linie abschneiden läßt. Auch hier zeigt ein Vergleich mit französischen Portalskulpturen (Marienpforten von Paris und Amiens), daß von dort Gewandmotive übernommen sind.


2) Abb. Sauerlandt, Deutsche Plastik des Mittelalters.
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Zusammenfassend stellen wir in Hohen Sprenz eine Verschmelzung byzantinisch-sächsischer Formen mit französisch-frühgotischen fest, und da die letzteren so rein und frisch auftreten, liegt die Annahme einer Beziehung zu den frühgotischen Dombauhütten Niedersachsens, Magdeburg oder Halberstadt, nahe.

Einige Ungewöhnlichkeiten im Ikonographischen fallen ins Auge. Die Doppelmajestas der östlichen Kappen ist unter dem Zwang der die Mitte durchschneidenden Scheitelrippe entstanden. Daß sie als Einheit gemeint ist, zeigt das enge Zusammenrücken beider Throne und die Zusammenfassung beider Gruppen durch ein äußeres Paar von Assistenzheiligen. Die in dieser Zeit sehr ungewöhnliche Form des bartlosen Christus mag durch ein Vorbild frühmittelalterlicher Kleinkunst vermittelt sein. Endlich ist die Zahl dreizehn der sitzenden Apostel ungewöhnlich 2a ).

Die Datierung möchte man des vorherrschenden byzantinischen Charakters wegen gerne noch vor 1300 ansetzen, aber die Rückständigkeit des Küstengebietes, der Vergleich z. B. mit den Gußsteinaposteln des Lübecker Museums, die Goldschmiedt in den Anfang des 14. Jahrhunderts setzt, macht auch für Hohen Sprenz eine Entstehung gleich nach 1300 wahrscheinlich.

Lüdershagen, Chorgewölbe.

Weltgericht, ringförmige Malerei von acht Einzelfiguren. Restauriert. Abb. S. 314.

Lüdershagen, Chorgewölbe. Weltgericht.
  1. Christus als Weltenrichter.
  2. Petrus.
  3. Paulus.
  4. Hl. Bischof.
  5. Weibliche Heilige.
  6. Jugendlicher Heiliger.
  7. Bärtiger Heiliger.
  8. Engel.

Auch hier ist das Chorgewölbe ein Kuppelgewölbe auf quadratischem Grundriß, aber rippenlos. Die Malerei zeigt, wie dieselbe Aufgabe in der gleichen Zeit völlig anders gelöst werden konnte. In Hohen Sprenz war ein tektonisches Gerüst, das den Figuren Haltung gab und innerhalb seines Rahmens Möglichkeit für freie, ja lebhafte Bewegung bot. Hier schweben die Figuren in der leeren Fläche ohne jede Rahmenbildung, und sie selber bilden durch ihre Starrheit und tektonische Anordnung die Gliederung der Kuppel.


2a) Die Nikolaikirche zu Röbel scheint in der von Lisch, M. Jahrb. 33, beschriebenen Malerei ihres Chorgewölbes ein ähnlich komponiertes Werk besessen zu haben.
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In Lüdershagen drängt sich ein bestimmter Vergleich auf mit der Malerei des Chorgewölbes der Dorfkirche von Methler in Westfalen 3 ). Auch dort ist ein kuppeliges Gewölbe mit quadratischem Grundriß, das den thronenden Christus inmitten sechs stehender Heiligen enthält, zweier Bischöfe, eines jugendlichen Heiligen und drei heiliger Frauen. Im Gegensatz zu Lüdershagen ist das Gewölbe durch Bänder streng gegliedert; aber die figürliche Anordnung ist zu entsprechend, um zufällig zu sein. Ein weitergehender Vergleich zeigt auch in den Einzelheiten der Figurenbildung ähnliche Züge. Vom zeitlichen Abstand entsprechend ist die Figurendarstellung in Lüdershagen einfacher und von eindringlicher betontem Ausdrucksgehalt, das westfälische Werk erscheint dagegen unpersönlicher, hoheitsvoll-ferner. Aber die Grundelemente sind geblieben. Die Frontalität der Figuren, ihre steife, schematische Körperhaltung ist noch gesteigert, sie blicken mit starrem Ernst den Beschauer an, ihre Handbewegungen vor dem Leibe sind gebunden und schematisch, die Füße hängen symmetrisch herab. Es ist der Schluß zulässig, daß der mecklenburgischen Malerei westfälische spätromanische Werke als Vorbild gedient haben. Westfälischer Einfluß erhellt aus der Gestaltung des Weltrichters in der sehr breiten, fast kreisförmigen Mandorla, der mit der rechten Hand den Segensgestus nach außen macht, im Mantelwurf und dem Sternengrunde in und um die Glorie seine Herkunft von dem byzantinischen Weltenrichter westfälischer romanischer Apsiden nicht zweifelhaft läßt. Auch bei den übrigen Gestalten treten, besonders in der Bildung der Hände, die zierlich und dünnfingerig vor dem Gewande spielen und die Attribute mit gestrecktem Zeigefinger halten, Eigenheiten der westfälischen romanischen Malerei zutage. Die Erinnerung an die prunkvolle byzantinische Tracht, die dort zur Anwendung kam, ist noch in den freilich sehr schematisierten Borten der Dalmatika des Engels, sowie in den breiten Hals- und Schulterstücken der Tracht der stehenden Heiligen lebendig. Die Dalmatika des Bischofs ist wie in Methler schräg gerautet.

Die die Gewänder der Figuren wagerecht durchschneidenden Ornamentborten dürften ihren Ursprung in der Glasmalerei haben 4 ); unerklärlich ist die Doppelflügeligkeit des Engels, der einen breiten Raum mit seinen beiden Schwingenpaaren auszufüllen hat. Mit den Seraphbildungen mit zwei gekreuzten und einem ausgebreiteten Flügelpaar hat sie keine Ähnlichkeit.


3) Abb. Dehio, Geschichte der deutschen Kunst I.
4) Vgl. die Glasgemälde von Neukloster, Schlie III, S. 459.
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Auch in Lüdershagen kündet sich die Frühgotik deutlich an. Der byzantinische Grundcharakter ist mehr zerstört, als in Hohen Sprenz. Überall finden sich byzantinische und gotische Formen nebeneinander; während die beiden westlichen Heiligen in dem abflatternden Mantelzipfel das erstere Stilgepräge zeigen, hat besonders Petrus schon eine Andeutung gotischer Gewandhaltung. Die Haarbehandlung und die sehr längliche Kopfform verraten das Eindringen der westlichen Formen. Schon beginnen regelmäßige Wellenlocken das Gesicht zu rahmen. Das Untergewand Christi ist schon das engärmelige gotische, die Thronbank ist lehnenlos und zeigt unter der Platte frühgotische eingerollte Rankenmotive.

An der Ostwand direkt über dem Fenster befindet sich noch eine kleine Dreifigurengruppe, die thronende Maria mit dem Kinde zwischen zwei Heiligen, wohl Joachim und Anna. Sie zeigt das Eindringen der Gotik am stärksten, wohl weil sich hier der Maler nicht, wie am Gewölbe, an romanische Vorbilder gebunden fühlte. Von dem Thron Marias blühen seitlich zwei große natürliche Lilien schräge empor; sie müssen von dem frühgotisch französischen Motiv des Ausblühens der Thronbankenden in Ranken hergeleitet werden, das sich auch in Niedersachsen schon im 13. Jahrhundert zeigt (Altartafel von Quedlinburg).

Die Datierung der Malerei von Lüdershagen muß nach der stilistischen Haltung etwas später angesetzt werden, als die von Hohen Sprenz. Mit letzterer stimmen einige Eigenheiten überein, die Mehrfarbigkeit der Nimben und die Namensbeischriften bei einigen Figuren sowie die zarte Farbenstimmung. Der zeitliche Abstand zwischen beiden Werken kann nicht bedeutend sein, so daß wir Lüdershagen in das erste Viertel des 14. Jahrhunderts datieren möchten.

Gnoien, Chorgewölbe.

Weltgericht und Szenen des Marienlebens. Restauriert. Abbildung: Schlie I (1), Tafel S. 490; (2), Tafel S. 506.

Gnoien, Chorgewölbe. Weltgericht und Szenen des Marienlebens.
  1. Christus als Weltenrichter.
  2. Maria.
  3. Johannes der Täufer.
  4. Die heilige Anna.
  5. Verkündigung.
  6. Geburt Christi.
  7. Kreuzigung.
  8. Krönung Marias.
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Die Malerei des Gnoiener Chorgewölbes unterliegt schon durch die Architektur, den zweijochigen, mit gotischen Kreuzgewölben gedeckten Chor, veränderten Bedingungen. Der Gesamteindruck ist durchaus gotisch, und erst die nähere Betrachtung zeigt die starken byzantinischen Züge, die in den Einzelformen noch überwiegen. Die verschiedenartige Anordnung der Bilder in den beiden Jochen hat frühere Betrachter zu dem Schluß verleitet, daß sie zwei verschiedenen Händen angehören 5 ). Dem gegenüber muß betont werden, daß eine Gleichzeitigkeit und Gleichartigkeit des Stils besteht. Die Frage nach der Herkunft der Formen läßt zwei Möglichkeiten zu: Entweder stammen sie vom rheinisch-westfälischen oder vom niedersächsischen Kunstkreise her. Das erstere lassen die vier großen Halbfiguren des östlichen Joches vermuten durch ihre isolierte statuarische Form und ihren düsteren Ernst. Der Christus, der sich dem Pantokratortyp sizilischer Apsismosaiken nähert, kommt am Rhein häufiger vor, z. B. in Schwarzrheindorf und im Kapitelsaal von Brauweiler. Die Zusammenstellung der vier Halbfiguren, von denen Christus und Maria von Halbmandorlen unten abgeschnitten werden, die beiden seitlichen aber unvermittelt abbrechen, ist ungewöhnlich, doch beweist das Vorhandensein Marias und des Täufers, daß eine Deesisgruppe zugrunde liegt, und eine solche findet sich, strenger in die Kappen komponiert, in der Taufkapelle von St. Gereon in Köln. Ein weiteres ähnliches Beispiel der Deesisanordnung durch Halbfiguren in drei Gewölbekappen, freilich in Kreismedaillons, zeigt das Chorgewölbe von Neuenbeken bei Paderborn 6 ). Für Westfalen spricht die düstere Monumentalität, das A und O seitlich des Hauptes Christi, die bortenbesetzten Halssäume mit Saumfalte und die in Westfalen besonders häufige Gestalt des Johannes mit der Lammscheibe.

Die Szenen des westlichen Joches und das Scheitelornament beider Gewölbe beweisen aber den überwiegenden Einfluß der niedersächsischen spätromanischen Malerei, und zwar der Buchmalerei. Schon die unorganische Anordnung der vier Szenen im Gewölbe deutet auf die Übertragung fertiger Vorbilder auf die Putzflächen, ohne daß man sich den Kopf über ihre Umwandlung im Sinne der neuen Aufgabe zerbrach. Die vier Szenen sind in umlaufender Folge ablesbar. Daß noch romanisches Formgefühl wirksam ist, beweist die in eine Seitenkappe gesetzte Kreuzigung. Gotische Komposition würde sie nur in der Mittelachse dulden.


5) Crull, Meckl. Jahrb. LXV, S. 288 ff.
6) Abb. Ludorff, Baudenkmäler, Kreis Paderborn.
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Die Verkündigung zeigt den für niedersächsische Kunst des frühen 13. Jahrhunderts charakteristischen schreitenden Engel mit gesenktem Schriftband und ungleich gestellten Flügeln. Die Maria ist sitzend auf frontalem Thron dargestellt und hält eine Laute in der Hand, die wohl durch ein Mißverständnis des Malers, der die byzantinische Spindel so umdeutete, entstanden ist. Deutlicher zeigt die Geburtsszene, daß wir die Vorbilder in der Miniaturmalerei zu suchen haben, und zwar in der Nähe der von Haseloff zusammengestellten niedersächsischen Schule. Dasselbe gilt für die Kreuzigungsgruppe, wo aber auch die großen plastischen Triumphkreuzgruppen Niedersachsens nicht ohne Einwirkung gewesen sind. Die Form des Kreuzes mit verstärkten Kreuzenden und der Kelch darunter (Wechselburg) und Haltung und Gewand der Nebenfiguren sprechen dafür, wie überhaupt die Erinnerung an solche monumentalen Plastiken den Gesamteindruck bestimmt. An niedersächsische Miniaturen erinnert der stark gebogene Leib und die gekreuzten Beine Christi, das lange ausgezackte, vorn geknotete Lendentuch und die rechte Hand des Johannes mit dem für Niedersachsen charakteristischen eingeschlagenen kleinen Finger. Endlich zeigt auch die Marienkrönung dieselben Beziehungen zu der genannten Miniaturengruppe, wenn auch die Fassung in Gnoien stark in gotischem Sinne verändert ist. Die Rankenmotive am östlichen Gewölbescheitel sind niedersächsischer Herkunft (vgl. Rankenfriese an den Chorwänden des Braunschweiger Doms), das Drôlerienornament des westlichen Gewölbescheitels ist dem Initialornament niedersächsischer Buchkunst entsprossen.

In Gnoien überwiegt somit der niedersächsische Einfluß vor den daneben beteiligten westlichen, wohl rheinischen Zügen. Das Gotische ist in der Lockerheit und stärkeren Sentimentalität, die auffällt, überall zu spüren, aber von keiner bestimmten, etwa unmittelbar französischen oder rheinischen Ausprägung. Es ist unbewußtes Mitschwingen des modernen Geistes, nicht bewußtes Wollen. Wegen des starken Mitsprechens der gotischen Formen muß die Malerei auch später angesetzt werden, als die vorigen, an das Ende des ersten Viertels des 14. Jahrhunderts oder in den Anfang des zweiten.

Fassen wir die wesentlichen Merkmale der Malerei des Übergangsstils in Mecklenburg zusammen, so fällt zunächst ein Mangel an Einheitlichkeit auf. Wir sehen eine Reihe unter sich sehr ungleichartiger Stücke, die weder nach dem Darstellungskreis noch nach der formalen Haltung ein für die Landschaft charakteristisches

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einheitliches Gepräge tragen. Das liegt zunächst an der geringen Zahl der erhaltenen Werke, und besonders an dem vollständigen Fehlen von solchen in den Städten; es ist dadurch das gliedernde Gerüst verloren gegangen, und nur zufällige Einzelfälle haben wir noch in Händen, die zu keinem Gesamteindruck mehr geeignet sind. Der zweite, wichtigere Grund der Uneinheitlichkeit aber ist, daß sich um 1300 ein besonderer Wandmalereistil des Ostseegebietes erst aus verschiedenen fremden Faktoren bildet; darum darf es nicht befremden, daß die Produktion keinen einheitlichen Charakter trägt, müssen wir doch zum guten Teil zugewanderte Fremde als Hersteller annehmen.

Vergleichen wir die Werke untereinander, so fällt die im Westen vereinzelte Möllner Malerei durch die besondere örtliche Lage an der Wand des Mittelschiffs einer Basilika, dann durch ihre friesartige Komposition mit sehr kleinen Figuren und durch ihren lebendigen, naturalistischen Charakter heraus. Sie zeigt als einzige rheinische Beeinflussung. Sie allein kann auch eine Ahnung von der Art geben, wie die ältesten Stadtkirchen malerisch behandelt waren. Ihr gegenüber dürfen wir die ostmecklenburgischen Stücke näher zusammenrücken. Sie schließen sich an Niedersachsen und Westfalen an. Der niedersächsische Einfluß überwiegt, im Gegensatz zur Architektur, die hauptsächlich westfälischen Einfluß zeigt. Leichte Anklänge an rheinische Malereien scheinen sich nur in Gnoien zu finden. Von diesen ostmecklenburgischen Werken nimmt Doberan eine Sonderstellung ein durch die Eigenart der architektonischen Gegebenheit, die zu einer ebenso originellen malerischen Komposition führt, die nur sehr losen Zusammenhang mit dem Braunschweiger Vorbild zeigt. Dagegen haben die drei übrigen Werke, Hohen Sprenz, Lüdershagen und Gnoien, als gemeinsame Aufgabe die Ausmalung des Chorgewölbes und lösen sie auch in ähnlicher Weise, ringförmig (in Gnoien etwas abweichend durch die Verdoppelung der Gewölbejoche). Im östlichen Gewölbefeld der thronende Christus, an den sich nun mehr oder weniger zum Weltgericht gehörende Figuren anreihen. Dagegen sind in Hohen Sprenz und Gnoien die westlichen Gewölbeteile, in Lüdershagen die östliche Wand des Chors der Marienverehrung gewidmet.

Nordische Einflüsse sind in der Übergangszeit nicht zu erweisen, zu der bedeutenden nordisch beeinflußten Malerei in Bergen auf Riigen finden sich keine Beziehungen.

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II. Frühe und hohe Gotik (14. Jahrhundert).

A. Exkurs: Lübeck.

Die gotische Kunst des Ostseegebietes hat ihren Ausgangs-und Mittelpunkt in Lübeck. Eine Untersuchung der Wandmalereien des gotischen Zeitalters in Mecklenburg kann nicht unternommen werden, ohne vorher die lübischen Werke der frühen Gotik kurz zu behandeln. Wie alle Städte von Bedeutung im jungen Kolonialland, hat Lübeck keine Reste von Übergangswerken bewahrt. Um so reicher ist die frühe Gotik noch heute vertreten trotz sicher sehr großer Verluste (in beiden Hauptkirchen ist uns nichts erhalten), ein Zeichen, welche reiche Tätigkeit auf dem Gebiet der Wandmalerei im 14. Jahrhundert geblüht hat.

Charakteristisch ist, daß die Malerei in dem Stilwandel zur Gotik hinter der Architektur um ein gutes Stück nachhinkt. In Lübeck hat die gotische Architektur im 13. Jahrhundert ihre Herrschaft durch die Chorbauten der Marienkirche und des Doms fest begründet die gotische Malerei aber entwickelt sich erst langsam während der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts. Bis dahin herrscht ein noch in der Hauptsache romanischer Ubergangsstil.

Bei den gotischen Malereien sind wir in besserer Lage, als bei denen um 1300, weil nunmehr auch die führenden Städte nicht mehr alle Auskunft versagen. Wir können zwischen fortschrittlichen und zurückgebliebenen Werken, zwischen städtischer, klösterlicher und ländlicher Volkskunst unterscheiden.

Zunächst müssen die Werke der Stadt Lübeck, soweit es für die vorliegende Arbeit notwendig ist, untersucht werden.

Jakobikirche, Pfeilerseiten.

Kolossale Einzelfiguren der Apostel und einiger Heiliger, Gnadenstuhl, Christophorus.

Jakobikirche, Pfeilerseiten. Kolossale Einzelfiguren der Apostel und einiger Heiliger, Gnadenstuhl, Christophorus.
  1. Johannes der Täufer.
  2. Apostel.
  3. Apostel Matthäus.
  4. Apostel.
  5. Apostel.
  6. Apostel.
  7. Apostel Philippus.
  8. Apostel Bartholomäus.
  9. Apostel.
  10. Apostel Petrus.
  11. Annaselbdritt.
  12. Gnadenstuhl.
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  1. Auferstehung.
  2. Laurentius.
  3. Christophorus.

Beschreibung: Bau- und Kunstdenkmäler Lübecks III, S. 332ff, außerdem 16. Jahresbericht des Vereins von Kunstfreunden, Lübeck.

Am Anfang steht gleich das gewaltigste Werk der mittelalterlichen Malerei Norddeutschlands, eins der besten Malereiwerke des Mittelalters überhaupt. Die Kolossalfiguren der Apostel und Heiligen, die in doppelter Lebensgröße unter zierlichen gotischen Baldachinen die Pfeilerseiten bis zum Kämpfer füllen, heben sich von tiefblauem Grunde ab, darunter befindet sich unter einem Rundbogen die kleinfigurige Szene des Martyriums des betreffenden Heiligen. Die Gewohnheit, Kolossalfiguren in eine schmale Pfeilerseite zu komponieren, findet sich an den Vierungspfeilern des Braunschweiger Doms und an den Wandpfeilern der von Braunschweig abhängigen Melveroder Kirche. Mit Melverode sind einige Gestalten in der Gesamthaltung zu vergleichen, die Maria mit dem Kinde dort und die Annaselbdritt in Lübeck, beim Christophorus der ähnlich gerade Baum mit dem Blätterbüschel an der Spitze.

Auf die Herkunft der gotischen Formen läßt die enge Verwandtschaft der Martyrienszenen mit den Miniaturen des Soester Nequambuches, das Kölner Werken (Wandmalerei in St. Cecilien) nahesteht, Schlüsse zu. Außerdem entspricht die Kreuzigung Petri einer gleichen Darstellung des 13. Jahrhunderts im Limburger Dom. Also ein Vorherrschen rheinisch-westfälischer Züge in den bewegten kleinen Nebenbildern.

Auf die großen Standfiguren mit ihrer etwas gezierten, repräsentativen Haltung mögen flandrische Bronzetafeln nicht ohne Einfluß gewesen sein, die auch so wilde Lockenköpfe, so schlängeligen, zipfeligen Faltenstil und um die seitlich gestellten Füße schleppendes Untergewand aufweisen. Noch bedeutende Vergleichspunkte bilden einige Königsfeldener Glasfenster, die aber nur den Glauben an die rheinische, über Köln vermittelte Stilherkunft verstärken.

Rheinisch-französischem Charakter entgegengesetzt ist aber die seelische Stimmung dieser Figuren. Das Lübecker Werk ist von dumpfer und schwerer Geistigkeit, an die Stelle der Eleganz der vorgenannten Malerei ist eine Herbheit und Trägheit getreten, die aber mit einer tiefen, stillen Innerlichkeit des seelischen Gehalts verbunden ist, die sich besonders in einigen der Köpfe erschütternd

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offenbart. Diese Eigenschaften müssen im norddeutschen Küstengebiet, wohl in Lübeck selber entwickelt worden sein.

Die Datierung darf mit den "Bau- und Kunstdenkmälern" um 1334, Vollendung der Kirche und Weihe des Hochaltars, angesetzt werden. Einige von diesem Werk beeinflußte Tafelmalereien wahrscheinlich lübischen Ursprungs in Doberan setzt Paul 6a ) zwischen 1338 und 1341 an, sie bestätigen durch ihren etwas fortgeschritteneren Charakter die Datierung.

Heiligengeistkirche, Nordwand.

Krönung Marias, Christus als Weltrichter. Restauriert. Abb. Bau- und Kunstdenkmäler II, S. 465.

Die beiden großartig komponierten Bogenfelder sind von der Malerei der Jakobikirche sehr verschieden. Die Enge und Gepreßtheit hat einer wohligen Körperlichkeit und Rundung Platz gemacht. Statt der bäuerlichen Derbheit dort herrscht hier Eleganz und Grazilität. Viel unmittelbarer ist hier die Abhängigkeit vom französischen Heimatlande des Stils zu spüren. Auf welchem Wege kommen diese Formen nach Lübeck?

Die Wahrscheinlichkeit spricht für eine Vermittlung durch das Rheinland mit dem Mittelpunkt Köln. Und wirklich zeigt der Vergleich mit Kölner Malereien weitgehende Übereinstimmungen im Aufbau der Komposition und in der Figurenbildung. Der Typus der Marienkrönung ist gerade im Rheinland in dieser Form besonders häufig - in Köln sind mehrere ganz ähnliche Bilder festzustellen, z. B. an den Chorschränken des Doms, in St. Andreas und auf einer im Berliner Kunstgewerbe-Museum erhaltenen Pause eines verschwundenen kölnischen Wandbildes 7 ). Der Thron mit den seitlich stehenden Löwen (Thron Salomons) findet sich auch in Köln auf einem Glasgemälde in der Johanniskapelle des Domchors. Endlich sind die musizierenden Engel für kölnische Frühgotik charakteristisch. Sie treten dort gleichmäßig an Wandmalereien, Glasfenstern und in der Plastik auf. Neben diesen ikonographischen Übereinstimmungen zeigt auch die formale Haltung in der Gesichts-, Hand- und Faltenbildung mit der Kölner Malerei um 1330 - 1350 engeren Zusammenhang. Es ist deshalb notwendig, hier eine unmittelbare Übernahme französischer Formen auf dem Wege über Köln zu erkennen.

Das rechte Bogenfeld mit dem thronenden Christus in der Mandorla zeigt ebenfalls den französischen Einfluß. Zwar hat der


6a) Paul, Sundische und lübische Kunst.
7) Abb. Staatliche Bildstelle, Serie 606, Nr. 6.
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Christus in seiner frontalen Starrheit noch starke Züge romanischer Apsisbilder bewahrt, aber die Formen sind überfein und grazil geworden und die Kopfbildung mit gescheiteltem Haar wie der langzügig fallende Faltenwurf weisen deutlich nach Frankreich. Die Evangelistensymbole haben kaum noch ursprüngliche Züge, höchstens von dem Engel könnte etwas noch erhalten sein; auch die das Mittelbild umgebenden Bildnismedaillons sind völlig verdorben. Sie stehen inhaltlich als eigentümlich moderne Erscheinung ohne Analogie da und tragen zu der Würdigung der Malerei als unmittelbarer Import von einer fortgeschritteneren Gegend bei. Dem Charakter der Zeichnung, fein im Linienschwung, straff und klar in der Komposition, scheint auch die Färbung entsprochen zu haben, die seine Zusammenstellungen und im ganzen eine gute Farbverteilung ahnen läßt.

Der Stil ist um ein gutes Stück fortgeschritten gegenüber den Jakobipfeilern. Wir dürfen die Malerei nach ihrer ungefähren Gleichzeitigkeit mit den Kölner Domchorschranken und unter Annahme eines auswärtigen, wahrscheinlich eines Kölner Meisters, um 1350 datieren.

Heiligengeistkirche, Lettner.

Die Malerei teilt sich in

  1. die spitzbogigen Rückwände des mittelsten und des südlichsten Lettnerbogens; restauriert;
  2. die zwickelförmigen Stücke der Lettnerstirnwand, Malerei sehr zerstört, nicht restauriert.

I. Das Mittelfeld enthält im oberen, spitzbogigen Felde die Kreuzigung zwischen Maria und Johannes und seitlich zwei kniende, Rauchfässer schwingende Engel. Darunter in einem breiten Rechteck den Tod Marias im Kreise der Apostel, hinter dem Lager Jesus mit der Seele im Arm. Seitlich je ein stehender Engel mit Schriftband.

Das südliche Bogenfeld zeigt in der Spitze des Bogens nur Ranken, ein unterer Streifen ist zweigeteilt und zeigt nebeneinander die Marienkrönung und die Dreieinigkeit.

II. Die Zwickelfelder der Lettnerstirnwand enthalten von links nach rechts:

  1. einen posaunenblasenden Engel,
  2. den Verkündigungsengel,
  3. Maria der Verkündigung,
  4. Christus als Weltenrichter,
  5. den auferstehenden Christus,
  6. einen posaunenblasenden Engel.
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Der Umstand, daß der Teil I restauriert ist, macht die Lösung der Frage schwierig, ob die Malerei einheitlich, oder ob sie aus einem älteren Teil, den Rückwandbögen, und einem sich in der ganzen Haltung ihm anpassenden jüngeren, den Zwickelfeldern der Lettnerstirnwand, besteht. Gleichartig ist bei beiden Teilen der blaue, grün gerandete Hintergrund, die durchgehende steif repräsentative Haltung der Figuren ohne Schwingung, der gleiche Gewandstil mit gerundeten Saummotiven und gelegentlichen Zipfelbildungen, die gleiche Vorliebe für goldene Saumborten an weiten Ärmeln und goldene Nimben und das durchgehende Kompositionsmotiv flankierender Engel. Dagegen scheint in der stilistischen Haltung ein merklicher Abstand zu sein: die Malerei der Rückwandbögen ist noch voll von romanisierenden Zügen, während die Vorderwand voll entwickelte Gotik bietet.

Die Bilder der Rückwände stecken noch stark in romanischem Formgefühl. Die Gesamthaltung der Kreuzigung entspricht spätromanischen Miniaturen, und zwar kommt für Lübeck am meisten die niedersächsische Buchmalerei in Betracht. Zu dieser ergeben sich nun deutliche Beziehungen. Die Gestalt des Kreuzes mit seiner zweifachen Schattierung und Sonne und Mond über dem Querbalken, die eckige Schollenbildung des Bodens, die Umrandung der breiten Säume und der Nimben mit weißpunktierten Linien, die Verwendung der weißen Kante an Gewandsäumen und das gelegentliche Vorkommen von heller, netzartiger byzantinischer Innenzeichnung des Gewandes, all diese Züge finden sich an den niedersächsischen Miniaturen regelmäßig wieder. Eine ungewöhnliche ikonographische Erscheinung, das Schwert, das Marias Brust durchbohrt, kommt ebenfalls in der Buchmalerei vor 8 ).

Eine gewisse Verwandtschaft in der Haltung der Figuren besteht mit dem im ersten Teil besprochenen Möllner Werk. Derselbe halb schwebende Stand und dieselbe steife Haltung zeichnen die Heiligen Jakobus und Nikolaus dort aus. Es scheint sich so ein Blick auf die stilistische Eigenart der verschwundenen vorgotischen lübischen Malerei zu öffnen und zugleich eine Erklärung für die romanisierende Haltung der Malerei der Lettnerrückwand in der Benutzung älterer Vorbilder zu finden. Im Ausdrucksgehalt ist eine Verwandtschaft nicht vorhanden; in Mölln war die freie, naturnahe Lebendigkeit der Hauptcharakterzug, hier steife und feierliche Repräsentation.

Neben den niedersächsisch-romanischen Formen treten überwiegend gotische hervor. Die Einteilung der Fläche in ein oberes


8) Ein süddeutsches Beispiel Dehio I, Abb. 350.
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Bogenfeld und ein unteres Breitrechteck ist eine frühen französischen Portaltympanen eigentümliche Erscheinung. Auch die Ikonographie zeigt Dinge, die mit der französischen Portalplastik in Zusammenhang stehen. Die Flankierung durch kniende, meistens leuchtertragende Engel tritt an den Marienpforten von Chartres und Paris auf, ebenso der Tod Marias inmitten der Apostel. Auch die Marienkrönung zwischen zwei Engeln findet sich da; die Dreieinigkeit ist in der hier auftretenden Fassung für Norddeutschland ungebräuchlich, findet sich aber im Psalter Ludwigs des Heiligen, so daß auch hierfür eine französische Herkunft wahrscheinlich wird.

Sind so französische Elemente zweifellos vorhanden, so ist andererseits eine unmittelbare Verbindung mit französischen Werken und ihrem eleganten Lineament nicht anzunehmen. Der Gewandstil ist eigentümlich schwerfällig, es besteht ein Konflikt zwischen der starren Linienführung der niedersächsisch-romanischen Malerei und einer unorganisch damit zusammentreffenden Neigung, mit gebogenen wulstigen Faltenzügen die Starrheit zu brechen. Die Schwerfällig geschlängelten derben Saummotive können die Annahme westfälischen Einflusses begründen. In einer Miniatur aus dem Graduale der Gisela von Kerssenbrock in Osnabrück 9 ) findet sich eine ähnliche Übergangsstufe vertreten, schlängelige Saummotive von ähnlicher Einfachheit und Derbheit treten auf. Auch die weißen Gewandsäume und weißpunktierten Nimbenränder finden sich vor. Die Möglichkeit, daß ein ähnliches Vorbild dem Maler vorlag, kann nicht abgewiesen werden.

Mit Rücksicht darauf, daß die Malerei, auch der Rückwände erst nach dem Bau des Lettners entstanden sein kann, möchten wir mit Vorbehalt eine Gleichzeitigkeit der Arbeit und Ausführung beider Teile durch die gleiche Hand annehmen. Viele kleine Einzelzüge scheinen darauf hinzudeuten. Die archaisierende Haltung der Rückwände müßte dann durch die Benutzung älterer Vorbilder erklärt werden, während der Maler an der Lettnerstirnwand frei schalten konnte. Volle Klarheit über den Tatbestand wird erst eine spezielle Bearbeitung der lübischen Wandmalereien ergeben können.

Die Datierung möchte man nach der strengen linearen Komposition und den nahen Beziehungen der Stirnwandmalerei zu den Pfeilern der Jakobikirche noch in die erste Hälfte des 14. Jahrhunderts setzen. Beide Malereien haben noch den blauen, grün gerandeten romanischen Grund. Manche Bewegungsmotive erscheinen ganz ähnlich denen an den Jakobipfeilern, so daß der zeitliche Zwischenraum nicht bedeutend sein wird. Ähnlich ist z. B. die


9) Abb. Burger II, Abb. 438.
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Maria der Verkündigung mit der Annaselbdritt in der Jakobikirche, auch die Darstellung des geöffneten Buches, dort bei Anna, hier beim Weltrichter, ist ganz entsprechend. Aber die Stellung der Figuren ist freier und beweglicher geworden, die Linienführung weicher gerundet, der Charakter leichter und dekorativer. Der Pinselstrich ist breiter und die Farbengebung ausgeprägter die der reifen Gotik.

Der Bau des Lettners wird von den "Bau- und Kunstdenkmälern" in die zweite Hälfte des 14. Jahrhunderts datiert und die Basen und Kapitelle der Säulen als von einem früheren Bau berrührend angesehen. Dagegen spricht die Haltung der Malerei, die wir nicht nach 1350 setzen möchten. Nimmt man die Errichtung des Lettners in der ersten Jahrhunderthälfte an, was wohl möglich ist 10 ), so können die Werkstücke gleichzeitig sein, und die Malerei darf dann, ihrer stilistischen Entwicklungsstufe entsprechend, zwischen 1340 und 1350 angesetzt werden.

Am Schluß möchten wir bemerken, daß die unrestaurierten Malereien der Lettnerstirnwand interessante Aufschlüsse über die Technik ergeben. Man erkennt die Untermalungen der verschiedenen Farben. Es würde eine farbentechnische Untersuchung lohnen.

Heiligengeistkirche, Ost- und Westwand des südlichen Seitenschiffs.

Es sind nur unvollkommene Bruchstücke, aber sie sind von Restaurierung verschont geblieben. An der Ostwand links vom Fenster der Gnadenstuhl unter einem Kleeblattbogen mit Wimperg, rechts die Verkündigung unter zwei solchen Bögen. An der Westwand der Rest eines Frieses von Standfiguren unter Spitzbogenarkaden, die mit Türmchen gekrönt sind. Diese Malerei ist in der Haltung völlig anders als die Lettnerbilder, der Charakter ist in stärkerem Maße zeichnerisch, wenigstens erscheint er so in dem heutigen zerstörten Zustande. Tatsächlich liegt in den sparsamen einfachen Linien ein starker Ausdrucksgehalt, und es scheint, als ob ihre Straffheit und formende Kraft ohne viel farbige Modellierung ausgekommen wäre. Die Eckigkeit und Geradlinigkeit der Zeichnung findet ihre Erklärung in dem Nachwirken des eckig gebrochenen spätromanischen Zeichenstils, der vom Rheinland bis nach Niedersachsen im Anfang des 13. Jahrhunderts herrscht. Für ein Nachwirken spätromanischer Formen spricht auch die straffe Einspannung der nimbenumgebenen Köpfe in die Kleeblattarkaden, eine Erscheinung, für die die Taufkapelle von St. Gereon in Köln


10) Dieser Meinung auch Dr. Rathgens, Lübeck.
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und Methler in Westfalen Beispiele sind. Der Gnadenstuhl mit der Taube über dem oberen Kreuzende ist gleichfalls für diese Zeit charakteristisch. Das zeigt der romanische Altarvorsatz aus der Soester Wiesenkirche im Berliner Museum 11 ) und, dem Lübecker Bild noch ähnlicher, die Miniatur des Hermannpsalters 12 ). Die Gesamterscheinung ist genau dieselbe, nur der Faltenstil ist fortgeschritten.

Die Szene der Verkündigung ist in ihrer Erscheinung nicht romanisch, sondern folgt schon der gotischen Typenbildung. Der Engel mit dem nach oben gebogenen breiten Schriftband knickt leicht in die Knie, Maria neigt wie er den Kopf vor und hält die Hand in zager Abwehrbewegung erhoben 13 ). Diese früheste gotische Ausprägung der Verkündigung ist dem byzantinischen Schema noch sehr ähnlich. Von der Reihe der stehenden Heiligengestalten sind nur die Faltenmotive der Gewänder erhalten, sie entsprechen lebhaft denen der Taufkapelle von St. Gereon.

Aus diesen Wahrnehmungen ist der Schluß zulässig, daß wir es mit einer stark von spätromanischen Formen beeinflußten Malerei der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts zu tun haben. Die Stilherkunft scheint deutlich nach Westfalen und dem Rhein zu weisen. Weftfälisch erscheint auch die Kleeblattbogen-Arkatur mit derben Türmen, die Vierpaßrosetten als Füllung haben und deren kräftige Pyramide sich über vier Giebeln erhebt. Eine nähere Datumsbestimmung ist kaum zu wagen. Wegen der schon hauptsächlich mit Rot und Grün arbeitenden Farbigkeit kann man das Werk nicht wohl zeitlich vor die Pfeiler der Jakobikirche rücken. Aber wie schlecht fügt es sich einer Entwicklung von dem letztgenannten Werk zur Malerei des Lettners der Heiligengeistkirche ein. Die drei Werke der Wandmalerei, die unmittelbar nebeneinander in der Heiligengeistkirche slehen, bergen noch eine Fülle von ungelösten Problemen.

Katharinenkirche, Unterchor, Westseite des vierten südlichen Pfeilers.

Kreuzigung zwischen Maria und Johannes und zwei weiblichen Heiligen. Nicht restauriert.

Wir haben die an die Rückwand gemalte "Retabel" eines heute verschwundenen Altars vor uns. Daher darf es nicht wundern, in der Malerei ein zierliches, ähnlich der Tafelmalerei mit feinem Pinsel gearbeitetes, auf nahe Sicht berechnetes Stück zu


11) Abb. Dehio I, Abb. 411 b.
12) Dehio I, Abb. 348.
13) Vgl. das Kölner Beispiel Dehio II, Abb. 412.
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finden, das mit den übrigen Malereien nur da gut vergleichbar ist, wo sie demselben oder einem verwandten Zweck dienen, z. B. mit der Rückwand des mittelsten Lettnerbogens der Heiligengeistkirche. Dieser Darstellung gegenüber ist der Stil erheblich fortgeschritten, er ist bewegter im Linienschwung und physiognomischer im Ausdruck geworden.

Besonders durch die letztgenannte Eigenschaft stellt die Malerei eine neue Stufe der Entwicklung dar. Dazu ist dieses Bild das erste Beispiel des im Einflußgebiet Lübecks ziemlich häufigen Typs der Kreuzigung zwischen vier Figuren, deren äußeres Paar je nach der Örtlichkeit verschiedene Heilige darstellt. In Lübeck selber ist dieses kleine Wandbild das einzige, das diesen Typ vertritt.

Die Stilhaltung hat hier nichts Zwiespältiges mehr, die westliche Gotik ist restlos rezipiert. Die Komposition ist von vollkommener Geschlossenheit, jeder Linienschwung steht in Beziehung zum ganzen Bilde. Das Lübecker Wandbild steht auf dem äußersten Höhepunkt des linearen Schwunges, der die erste Stufe der gotischen Malerei im Lande charakterisiert. Von hier aus geht der Weg zu den stilleren und körperhafteren Formen der reifen Gotik über. Auch die Farben zeigen noch die Zartheit der frühen Stufe.

Das Bild vertritt die Stufe bald nach 1350. Paul begründet durch die Baudaten eine Möglichkeit der Entstehung erst nach 1334. Wahrscheinlich aber entstand es bald darauf, denn die Umwälzung des malerischen Stils ist bald nachher auch in Lübeck vor sich gegangen.

Katharinenkirche, Oberchor, Nordwand.

Drei Bischöfe, nicht restauriert.

In den drei lebensgroßen Bischofsgestalten ist der Stilwandel vollzogen, und obgleich wenige Jahre zwischen dem vorigen Werk und diesem liegen, ist eine Brücke kaum zu schlagen. Der lineare Schwung hat nachgelassen, an seine Stelle ist eine stärkere körperliche Plastizität getreten. Statt der bewegten, ausdrucksstarken Linien sind weiche und stille Formen charakteristisch. Die vollere, weichere Malweise holt die Plastik der Köpfe und der Gewandfalten stark heraus, ohne daß es einer lebhaften Zeichnung bedarf. Die Farben sind milder und satter geworden, der Klang wird hauptsächlich durch ein warmes Pflanzengrün, ein Grauviolett und ein Gelbbraun gebildet. Auch die Gesichtszüge wie die Gesten sind im Gegensatz zu der Erregtheit der vorigen Stilphase regelmäßig, ruhig und sanft geworden.

Bei der Frage nach der Herkunft des Stils blicken wir zunächst wieder nach Westen. Das sanfte feminine Schönheitsideal dieser

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Gestalten ist westlichen Ursprungs. In Köln finden wir nichts direkt in der Stilstufe Vergleichbares, sondern können nur feststellen, daß die Lübecker Bischöfe in der Kölner Entwicklung zwischen der Chorschrankenmalerei und den Malereien um 1370 (dem Clarenaltar und den Rathausfresken) einzureihen wären. Mit den Chorschrankenmalereien stimmt die ähnlich weich modellierende Malart und manche der mit gleicher Sorgfalt behandelten Einzelheiten überein, wie die gestickten Borten der Alben, die in der Kölner Malerei am Kleide des mit Joachim redenden Engels wiederkehren, und das krabbenbesetzte reiche Pedum. Ähnlich ist mit der Chorschrankenmalerei auch die rahmende Arkatur mit drei konsolengetragenen Bögen, doch mit dem Unterschied, daß das Kölner Werk flaches Maßwerk, das Lübecker perspektivisch vertiefte Gewölbe darstellt. Paul möchte daraus einen böhmischen Zusammenhang folgern. Böhmische Zusammenhänge sind nicht feststellbar, wohl aber solche mit französischer Buchmalerei; womit zugleich die Vermutung Pauls ihre Begründung finden wird, denn von Frankreich entlehnte Böhmen ebenso wie Nordwestdeutschland die neuen Formen.

Eine Miniatur der Pariser Vie de St. Denis 14 ) zeigt eine sehr ähnliche Faltenbildung und auch die hier auftretende ganz steile Form der Mitra. Ebenso sind vergleichbare Züge in den Grandes Chroniques de France aufzustellen 15 ). Bei beiden Handschriften kehrt der vornehme und schmale Kopftypus wieder, die Haar- und Barttracht ist ähnlich.

Es ist also wahrscheinlich, daß in dem Lübecker Wandbild unmittelbarer französischer Einfluß geltend ist, der durch einen im Westen ausgebildeten und von dort zugereisten Maler ausgeführt wurde. Er scheint direkt aus der Einflußsphäre von Paris gekommen zu sein, nicht aber von Köln, wo eine andersartige Malerei herrschte. Für die Datierung gilt nach der Baugeschichte nur der Termin nach 1354. Mit der Kreuzigung im Unterchor ist sie stilistisch kaum vergleichbar, so groß ist der Unterschied. Aber diese ist ja auch von einem Lübecker, die andere wohl von einem aus Frankreich kommenden Maler; da wäre selbst Gleichzeitigkeit nicht unmöglich. Immerhin dürfte das Bischofsbild etwas später sein und um 1370 herum datiert werden können.

Die besprochenen Wandmalereien Lübecks bieten ein sehr wenig abgerundetes, ja ein verwirrendes Bild. Die Laune des Schicksals,


14) Vitzthum, Tafel 40.
15) Burger, Abb. 197.
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die uns einige zusammenhanglose Stücke aus der Fülle dessen, was einst da war, erhalten hat, ist nur zum Teil verantwortlich zu machen. Tatsächlich ist die Wandmalerei Lübecks sehr buntscheckig. Es ist eine Zeit der Rezeption, Lübeck holt die Anregungen von Westfalen, vom Rhein, über See von den Niederlanden und von England, um sie in seinen Mauern zu einem eigenen Stil zusammenzuschmelzen unter Mitwirkung romanischer Elemente niedersächsischen und westfälischen Ursprungs. Als Haupteigenschaften des hier ausgebildeten Stils sind hohe Monumentalität, Herbheit und dekorative Pracht zu nennen. Statuarisch ist die Haltung der Figuren, die meistens ohne Handlung dargestellt werden. Die Malerei ist streng linear, mehr noch im weiteren Wirkungskreise Lübecks, als in der Metropole selber, es wird eine Kraft und Ausdrucksfähigkeit der Umrißlinie erreicht, die oft erschütternd wirkt. Der seelische Gehalt ist ernst und streng in provinzieller Ausführung oft etwas hölzern und langweilig.

Für das gesamte Ostseegebiet ist Lübeck im späteren Mittelalter der ausstrahlende Mittelpunkt. In allen Küstenländern sind die Spuren dieses Einflusses zu verfolgen, ebenso an der deutschen und baltischen Küste bis Reval hinauf, wie in Dänemark, Schonen und Schweden. Die Malereien der Domkirche von Strängnäs in Schweden wie die der Oesterlarskirche auf Bornholm, eine Vorhalle des Doms zu Riga wie die Chorgewölbe des Schleswiger Doms lassen lübische Beeinflussung bemerken. Daß die Seestädte des wendischen Quartiers zur engstem Gefolgschaft Lübecks gehören, ist begreiflich. Deutlich

B. Westmecklenburg-Lauenburg.
Schwerin, Dom, nördliche Marienkapelle.

Einzelfiguren in Kreismedaillons. Nicht restauriert.

Schwerin, Dom, nördliche Marienkapelle. Einzelfiguren.
  1. Engel des Matthäus.
  2. Löwe des Markus.
  3. Stier des Lukas.
  4. Thronender König.
  5. Thronender Prophet.
  6. Thronender König Balthasar.
  7. Thronender Prophet.
  8. Thronender König.
  9. - 12. Ebenfalls thronende Figuren.
  1. Pelikan, die Jungen fütternd
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  1. Simson, den Löwen zerreißend.
  2. Mann, ein Schwert schwingend.
  3. Jonas, vom Fisch ausgespien.

Die Aufteilung der Gewölbekappen durch Kreismedaillons und ihre Füllung mit thronenden Figuren geht auf die Malerei des Chorgewölbes des Braunschweiger Doms zurück. Dort finden sich dieselben Farben für Medaillons, Ranken und Gewölbegrund verwendet. Die Schweriner Malerei stellt eine Übersetzung dieser Formen ins Gotische dar. Die Figuren sind in kontrapostischer, gezierter Weise bewegt, die Thronlehnen haben statt der Pfosten mit Knäufen Fialen erhalten. Die gezierte, feinschwingende Bewegtheit der Figuren hat etwas Ornamentales, spielerisch Graziöses, und geht völlig in diese Aufgabe auf. Dieser Geist spielerisch tändelnden Figurenornaments ist Westdeutschland, besonders dem Rheinlande, in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts eigentümlich. Von den Kölner Domchorstühlen bis zu den Chorschrankenmalereien blüht er und lebt sich in Deutschland, wie im Westen, am stärksten in der Buchmalerei, besonders den illustrierten Romanen und Minnedichtungen, aus. Ein Einfluß dieser Kunstgattung muß bei der Schweriner Malerei angenommen werden.

Die Frage: Wo vollzog sich die Verschmelzung der Braunschweiger romanischen mit den westlich gotischen Formen, läßt an Lübeck denken. Ein indirekter Beweis liegt in einer von Lübeck deutlich abhängigen Malerei in der Nordvorhalle des Doms von Riga 16 ), wo sich auf einem Wandstreifen ebenfalls von Ranken begleitete Rundmedaillons mit sitzenden Figuren darin finden. Stilistisch ist das Schweriner Werk mit den kleinfigurigen Szenen der Pfeilermalereien der Lübecker Jakobikirche verwandt, nur etwas jünger in der Gesamthaltung, der Schwung weicher und hemmungsloser.

Es ist infolgedessen die Datierung der Schweriner Malerei in die Nähe der Jakobipfeiler zu rücken, vielleicht auch schon zwischen 1330 bis 1340. Baugeschichtlich ist dies nicht unwahrscheinlich, da die Kapelle wie die gesamte Osthälfte des Doms 1327 vollendet ist 17 ).

Rehna, Klosterkirche, Südwand des Langhauses.

Jugendszenen aus dem Leben Christi, Fragment, nicht rest.

Das Fragment der Südwand zeigt einen zierlichen, schlankgliedrigen Rahmenbau von zwei mit Korbbögen gedeckten Ge-


16) Abb. Neumann, Riga und Reval.
17) Schlie II, S. 546.
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schossen, die architektonischen Glieder sind hellgrau, die umschlossenen Felder blau (das untere grün, vielleicht aber ursprünglich auch blau). Links von diesem System ein ungegliedertes, orangefarbenes Feld mit Ranken. Der starke rote untere Begrenzungsstreifen und die seitliche Anlehnung an jetzt vermauerte Fenster, dazu Reste einer gleichartigen Malerei an der Westwand machen die Annahme eines um alle Wände laufenden friesartigen Zyklus wahrscheinlich; ein ähnlicher spätgotischer Zyklus oberhalb des beschriebenen ist in größerem Umfange aufgedeckt, für ihn dürfte der ältere als Vorbild gedient baben.

Das obere Rahmenfeld enthält die Darstellung im Tempel, das untere wahrscheinlich die Szene des zwölfjährigen Jesus im Tempel. Im freien Felde links ein Prophetenbrustbild. Majuskelbeischriften begleiten die Bilder.

Der Charakter ist von einer miniaturhaften Zierlichkeit, feiner Zeichnung und vielfach abgetönter, sanfter Farbigkeit. Der Geschmack der Nonnen geht hier ebenso wie noch öfters (z. B. in Wienhausen) aufs Zarte und Zierliche. Die Arbeit hängt eng mit lübischer Kunst zusammen. Der Vergleich mit dem wahrscheinlich lübischen Fronleichnamsaltar in Doberan (siehe Paul) zeigt engeren Zusammenhang. Die Darstellung im Tempel ist dort sehr ähnlich. Es fehlt an beiden Stücken nicht der Knabe mit der gedrehten Kerze. Nach dem unvollkommenen Bruchteil an der Westwand zu urteilen, war dort eine Mahlszene dargestellt, man erkennt eine runde, tuchbedeckte Tafel in derselben Darstellungsart wie auf der Abendmahlstafel in Doberan, die sicher derselben Werkstatt entstammt wie der Fronleichnamsaltar. Die Art der Faltenbildung ist an dem Rehnaer ebenso wie an den beiden Doberaner Werken etwas sackig und schwerfällig, und ähnlich ist hier und dort eine gewisse Geschrobenheit und Geziertheit in Stellung und Geste. Der Neigung zu architektonischer Rahmenbildung in Rehna entsprechen die Arkaden um die sitzenden Propheten beim Doberaner Altar. Auch die Vierpaßrosette tritt an beiden Stellen als Füllung auf. So ist auch für Rehna lübische Arbeit anzunehmen.

Der Stil ist, wie in Lübecks Malerei um diesen Zeitpunkt allgemein, überwiegend von Köln her beeinflußt. Die obere Szene hat die gebräuchliche Ikonographie, die untere mit ihrem eigenartigen Ciborienaufbau findet eine gewisse Analogie in der Gewölbemalerei von St. Maria Lyskirchen in Köln bei der Szene der Geburt Christi 18 ). Auffallend viele Einzelteile finden sich da


18) Clemen, Abb. 401.
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wieder, der Aufbau von Taufbecken und Bogen dahinter entspricht dem "Altar" mit Ciborium in Rehna, rechts sitzt Maria im Bett, ein aufgeschlagenes Buch in der Hand, in Rehna entsprechend der Hohepriester. Und selbst das Krüglein, dort in der Hand einer Dienerin, findet sich hier in den Händen des Elternpaares. Also scheinbar eine übertragene Anwendung von älteren Kölner Typen. Die architektonische Umrahmung der Szenen mit ihrer Fialen- und Krabbenbekrönung erinnert an englische Buchmalerei, die bei einem Kloster, in dessen Besitz eine englische oder flandrische Prachthandschrift wohl möglich ist, leicht einen Einfluß ausüben konnte.

Die Datierung muß infolge der vorgeschrittenen Stilstufe etwas später als die Doberaner Altäre angesetzt werden. Paul datiert diese um 1340; so kann die Rehnaer Malerei um 1350 entstanden sein.

Mölln, Nikolaikirche.

Fragmente, Tierbilder im Chorgewölbe, restauriert.

An der Nordwand eine nur zur Hälfte und nur in Umrißlinien erhaltene Marienkrönung. Sie gehört der hauptsächlich von Köln beeinflußten Lübecker Kunst um 1340 bis 1350 an.

An der Ostwand rechts vom Triumphbogen eine fragmentarische, genreartige Szene, läutende Glöckner, ein Beispiel der fast ganz verschwundenen Profanmalerei der Zeit, ähnlich den Randdrolerien der Buchkunst.

Im Chorgewölbe nimmt jede Kappenmitte eine zierliche Figur oder Figurengruppe ein, die Ostkappe das Lamm mit der Siegesfahne in der Rundscheibe, die Nordkappe zwei im Turnier gegeneinanderrennende Ritter, die Südkappe Löwe und Drache einander gegenüberstehend, die Westkappe der Hirsch, vom Hunde verfolgt. Hier scheint eine Einwirkung westfälischer Malereien erkennbar zu sein. Typen der westlich gotischen Buchmalerei, wie die Ritter auf gestrecktem Pferde, verbinden sich mit romanisch-westfälischen, dem Lamm in der Rundscheibe und den Drachengestalten in der Art der Gewölbe von St. Maria zur Höhe in Soest. Die Malerei hat den Übergangscharakter noch nicht abgestreift, eine Entstehung um 1330 bis 1340 ist wahrscheinlich.

Büchen, Lauenburg.

Gewölbe des Langhauses. Martyrien der Apostel, biblische Szenen und Legenden. Nicht restauriert.

1-12. Martyrium der Apostel.
13-16. Martyrium Katharinas.
17-20. Martyrium Johannes des Täufers.
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21-24. Vier Martyrienszenen.
25-28. Vier Prophetenpaare.
29-32. Vier ritterliche Heilige zu Pferde.
33-36. Alttestamentliche Szenen (David und Goliath, Simson und der Löwe u. a.).
Gewölbe des Langhauses. Martyrien der Apostel, biblische Szenen und Legenden.

Die Gurtbögen nehmen Ranken- und andere Ornamente ein, reich mit Figuren, Tieren und Drolerien durchsetzt.

In der unrestauriert gebliebenen Büchener Malerei ist uns ein höchst originelles und wertvolles Denkmal früher gotischer Kunst erhalten. Die Malerei stellt einen neuartigen Typ dar. Eine solche Füllung aller Gewölbe und Gurte durch bewegte Szenen zu einer bunten flimmernden Teppichwirkung widerspricht der bisher betrachteten gehaltenen und streng komponierenden Kunst. Es ist deutlich, daß hier gegenüber der disziplinierten und an strenge Gesetzmäßigkeit gewöhnten Malerei Lübecks eine unbekümmerte Bauernkunst waltet, die sich der Fülle und Buntheit der Bilder freut und im einzelnen gegen Derbheiten nicht empfindlich ist.

Daß volkstümliche Züge mitsprechen, ergibt die Feststellung romanisch-niedersächsischer Erinnerungen. Die Bilder des Johannesmartyriums lehnen sich an die entsprechenden Darstellungen im Braunschweiger Dom an. Mit der Braunschweiger Fassung stimmt die Tafelszene bis in Einzelheiten überein, nur sind die Formen in die Gotik übertragen. Auch die anderen Szenen, die gegenüber der in ein Bild zusammengezogenen romanischen Fassung hier getrennt sind, sind dort vorbildlich, z. B. die Enthauptung; die Form des Kerkerturms findet sich in Braunschweig in den bekrönenden Zwergarchitekturen wieder.

Ein weiterer, mit dem niedersächsischen Übergangsstil zusammenhängender Zug ist das Auftreten reich gemusterter Gewänder (Quedlinburger Altaraufsatz, Goslarer Antependium) 19 ). In Büchen haben sie bedeutenden Anteil an der Gesamtwirkung; es sind Kreis- und Rautenmuster byzantinischen Ursprungs, sowie gotische Streifenmuster, für welche Wienhausen ein niedersächsi-


19) Abb. Habicht, Tafel V u. VII.
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sches Beispiel in der frühen Gotik bietet. Einzelne Bewegungsmotive der Figuren zeigen noch lebhafte Anlehnung an die Braunschweiger Malerei.

Neben diesen Archaismen herrscht die gotische Formgebung aber entschieden vor. Es ist die zierliche, graziöse Formenwelt der westdeutschen Buchmalerei der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts. Auf höfische Eleganz und Zierlichkeit kommt es in der Hauptsache an. Dementsprechend ist die eckige und hartbrüchige Linienführung des Spätromanismus durch den fließenden Schwung der Gotik ersetzt. Die Büchener Malerei bietet ein sehr lebensvolles Beispiel, wie organisch und schmiegsam diese Formen wirken neben dem fast Akademischen des Spätromanismus. Den formalen Umschwung bezeichnet auch eine eigentümlich primitive Perspektive ohne einheitlichen Sehwinkel. Die Figuren stehen zum Teil scheinbar regellos auf dem Fußboden oder in der Luft. Diese primitive Reduktion in die Fläche steht im Gegensatz zu der festen räumlichen Anschauung der spätromanischen Zeit.

Die Gaukler und Drolerien der Gurtbögen weisen auf die Buchmalerei hin. Von den Handschriften nähert sich der Kasseler Wilhelm von Oranse am meisten dem Charakter der Büchener Malerei, daneben möchte man die Manesse-Handschrift und andere rheinische und westdeutsche Stücke zum Vergleich heranziehen. Diesen und der Büchener Malerei ist in gleicher Weise die lebendige Bewegtheit der Szenen eigen, das Bevorzugen der Zeittracht mit ihren Modeeigentümlichkeiten, die gleiche Darstellungsart der Pferde: am liebsten im gestreckten Galopp, beim Schritt an dem auf den Boden gesetzten Vorderbein ein Gelenk zu wenig. Dazu kommen einzelne Darstellungstypen in gleicher Weise am Wilhelm von Oranse und in Büchen vor, die Tafelszene mit Musikanten, der Typ des Königs ähnlich dem zur Seite der Büchener Martyrienszenen. Die Szenen des Simson mit dem Löwen und des David und Goliath finden sich in entsprechender Ikonographie an einem Gurtbogen im Chor des Schleswiger Doms. Auch dort gehen sie wahrscheinlich auf Buchmalereien zurück, wie das spielerische Motiv eines am Bildrande aufgehängten Mantels vermuten läßt.

Von den schon besprochenen gotischen Malereien steht Büchen am nächsten die der Schweriner Marienkapelle, wo derselbe Miniaturencharakter, freilich in feinerer, kultivierter Ausführung, zutage tritt. Daneben legen die Martyrienszenen einen Vergleich mit der Malerei von St. Jakobi in Lübeck nahe. Trotz der dort strengeren und herberen Formen ist eine ungefähre Gleichzeitigkeit annehmbar. Wir kommen so auf eine Ansetzung zwischen

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1330 bis 1340. Von Lübeck ist wohl nur eine allgemeine Abhängigkeit anzunehmen.

Berkenthin, Lauenburg.

Ost- und Nordwand des Langhauses. Weltgericht und Apostel. Restauriert. Abb. S. 315.

Berkenthin, Lauenburg. Ost- und Nordwand des Langhauses. Weltgericht und Apostel.
  1. Christus als Weltenrichter.
  2. Maria und Johannes.
  3. Die Evangelistensymbole.
  4. Sechs Apostel.
  5. Posaunenblasende Engel.
  6. Musizierende Engel.
  7. Auferstehende Tote.
  8. Kreuzigungsgruppe.

Die Berkenthiner Malerei zeigt sich als ein Werk von ähnlicher dekorativer Gesinnung wie Büchen, auch sind manche Einzelformen im Figürlichen wie im Ornament direkt von Büchen abgeleitet. Aber der Darstellungskreis ist ganz anders angeordnet. Eine so monumentale Komposition, wie die Verbindung des Weltgerichts der Ostwand mit den großen Apostelgestalten, die, ursprünglich natürlich zwölf an der Zahl, sich auch an der Süd- und Westwand fortsetzten, ist ein Neues und wird bedeutenden Vorbildern nachgeschaffen sein, die wir, für die Apostel ist es klar, in Lübeck suchen müssen. Die Apostelreihe ist eine freie Nachbildung derjenigen der Lübecker Jakobikirche. Man merkt das Bestreben, den ernsten, monumentalen und dabei bäurisch derben und knochigen Charakter wiederzugeben. Auch die einfache Haltung der Gewandung ist zum Teil aus diesem Streben verständlich.

Dagegen hängt die Ostwand mit der Kompositionsweise französischer Portaltympana zusammen. Hier zuerst tritt der an den gotischen Portalen stets wiederkehrende Christus mit den erhobenen Händen und den Schwertern am Munde auf, dazu die Deesis, die posaunenblasenden Engel und die aus den Gräbern steigenden Toten. Da dieser Christustyp zuerst in Hamburger und Lübecker Stadtrechtshandschriften vorkommt (Hamburg 1301, Lübeck 1348), so besteht die Möglichkeit, daß durch die Miniatur die Übertragung aus dem Westen stattgefunden hat. Wahrscheinlich ist aber das Vorbild für Berkenthin ein nicht erhaltenes Lübecker Wandbild gewesen. Der französische Weltrichter-

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typ ist um diese Zeit im Ostseegebiet nicht vereinzelt (siehe Rostock). Daß neben Büchen Lübecker Wandmalereien dem Maler zum Vorbilde dienten, beweist die bortenbesetzte Tunika der Engel und die die senkrechte Konturlinie unterbrechenden Hangfalten, Eigenschaften, die von der Lettnermalerei der Heiligengeistkirche herstammen.

Eigenartig sind die auferstehenden Toten, die aus hochbeinigen Gestellen herausklettern. Sie müssen wohl der Buchmalerei entstammen, wie die spielerische Zierlichkeit des Motivs vermuten läßt. Denselben Schluß legt die bizarre Bildung der Evangelistensymbole nahe. Für die Grabgestelle läßt eine flandrische Miniatur aus einem Antiphonar von Beaupré 20 ) und das Portaltympanon von St. Omer 21 ), wo ein Toter aus einem mit Füßen versehenen Gefäß steigt, den Schluß zu, daß die Form aus Flandern kommt.

Berkenthin muß ein gutes Stück später datiert werden als die Büchener Malerei und die des Lübecker Lettners. Der Charakter ist provinziell zurückgeblieben und derbe, und man darf sich durch die noch frühen Typen nicht täuschen lassen. Die Kronen zweier weiblicher Heiligen, des Restes der ehemaligen Chorausmalung, gleichzeitig mit der Langschiffmalerei, zeigen eine ausladende Form, die in die zweite Hälfte des Jahrhunderts weist. Auch die Gewandhaltung mit ihrer von Schwingung freien, mehr schlaff hängenden Anordnung ist fortgeschritten. Wir möchten daher die Malerei um die Mitte der zweiten Jahrhunderthälfte ansetzen.

Behlendorf, Lübeck Land.

Chorgewölbe, jüngstes Gericht, Reste. Zum Teil restauriert.

Behlendorf, Lübeck Land. Chorgewölbe, jüngstes Gericht.
  1. Christus als Weltenrichter.
  2. Maria und Johannes.
  3. Posaunenblasende Engel.

Von der einst reichen Ausmalung sind an den Wänden des Chors und des Langhauses nur dürftige Reste übrig geblieben. Im Chor waren es Reihen von Standfiguren unter Kleeblattarkaden, im Schiff größere Apostelfiguren. Die Figuren des Chorgewölbes sind ebenfalls außer dem restaurierten Christus nur schwach erkennbar. Sie haben, wie es scheint, am meisten Ähnlichkeit mit der Malerei des Lettners der Heiligengeistkirche. Zarte und gerundete Formen zeichnen die Malerei aus, der weiche Fall


20) Abgeb. Exhibition of illum. Manuscriptes, Burlington fine Arts Club, London 1908.
21) Abb. v. d. Mülbe.
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des Mantels ist der Lettnermalerei entsprechend, auch die weiten Ärmel und die Haarbehandlung. Ähnlich ist das Motiv der posaunenblasenden Engel gestaltet. Die Flügel der Engel sind quergeftreift wie in Berkenthin, das diesen Zug, da es jünger ist, von Behlendorf übernommen haben wird.

Die Beziehung zu Westfalen, die wir bei der Lettnermalerei ahnten, ist hier noch greifbarer. Die breit schwellende Mandorla und der gestirnte Grund deuten darauf, ganz unzweifelhaft aber das sehr reiche Ornament, mit dem alle architektonischen Gliederungen, Gurte und Leibungen bemalt sind. Dieselbe reiche Umrahmung der Fensternischen und dieselben Bandmuster, Rauten, Palmetten und Ranken finden sich in St. Maria zur Höhe in Soest und dem benachbarten Weslarn 22 ).

Die Datierung kann nach den frühen Formen ungefähr gleichzeitig mit der Lettnermalerei, um 1350, angesetzt werden.

Schwerin, Kapitelhaus des Doms.

Maria und Stifter, Apostel und Heilige. Restauriert. Abbildungen S. 315 und Schlie II, S. 570.

Schwerin, Kapitelhaus des Doms. Maria und Stifter, Apostel und Heilige.
  1. Thronende Maria mit Kind.
  2. und 3. Kniende Stifter.
  1. Paulus.
  2. Johannes Evangelista.
  3. Katharina.
  4. Sechs Propheten-Halbfiguren.

Die Malerei zeigt mit Berkenthin in der Komposition verwandte Züge. Die symmetrisch aufgebaute Schildbogenwand mit der thronenden Maria zwischen zwei Stiftern entspricht der Ostwand in Berkenthin, die Wandflächen zu Seiten der Fenster werden wie dort von monumentalen Einzelgestalten eingenommen, von denen nur drei erhalten sind. In der stilistischen Haltung und der Oualitätsstufe besteht aber ein großer Unterschied. Das Schweriner Werk entspricht den Ansprüchen eines Domkapitels und ist den lübischen Malereien ebenbürtig.

Der Stil hängt von der rheinischen Malerei ab. Mehrere für das Rheinland charakteristische Typen finden sich vor, z. B. die thronende Maria mit dem Kinde, für die in der kölnischen Kunst die Robinson-Madonna (Diptychon um 1350) des Kaiser-Friedrich-Museums ein Beispiel ist, deren Typus im Rheinlande aber sehr verbreitet ist (Beispiele auf mittelrheinischen Siegeln bei Back,


22) Abb. Ludorff, Baudenkmäler, Kreis Soest.
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mittelrheinische Kunst, Tafel 30, 3 und 4). Derselben Gattung festgeprägter Typen gehört die Katharina an, die in dieser Form mit geziert auf der Handfläche balanciertem Rade und der leicht am Schwertknauf ruhenden anderen Hand auch im Ostseegebiet durch Lübecks Vermittlung allgemein verbreitet ist. Bei beiden Gestalten ist ein starker linearer Schwung vorhanden und die ideale Typik überwiegt noch vollständig, dagegen lassen die übrigen Gestalten, Paulus, Johannes und die Stifter, schon stark die Wandlung ins Beruhigte und Körperliche erkennen, die wir im Oberchor der Katharinenkirche feststellen konnten. Die Schweriner Malerei steht noch in einem Übergangszustand zwischen beiden Stufen. Die Herrschaft der linearen Stufe ist auch beim Johannes und Paulus noch nicht gebrochen, aber es fehlt schon gänzlich die Körperschwingung, die Linie hat schon mehr eine dem körperlichen Eindruck dienende als selbstherrliche Funktion. Die Malweise ist nach der Restaurierung nicht mehr rein erkennbar, aber auch in ihr scheint im Zusammenhang mit der schlaffer fallenden Gewandung eine weichere Modellierung eingetreten zu sein.

Ein stofflich neues Feld beschreitet die Schweriner Malerei mit der Darstellung der beiden knienden Stifterfiguren. Bisher ist die linke derselben als weiblich angesehen worden. Dagegen spricht entschieden die priesterliche Tracht, Kasel mit Kragen, die als Frauentracht unmöglich ist. Der Kopfschmuck mit Schleier ist wohl bei der Restauration hinzugefügt. Wahrscheinlich stellt die Figur einen Bischof oder Domherren dar.

Die Propheten der Bogenleibung, in der heutigen Erscheinung und auch wohl ursprünglich skizzenhafter und flüchtiger, weisen gleichfalls nach Westen; sie haben etwas von der in Flandern und am Rhein starken Neigung zum Grotesken in Haltung und Geste. (Prophetengestalten an flandrischen Bronzeplatten). Die realistisch wirkenden Köpfe mit den phantastischen Kopfbedeckungen erinnern schon an die Prophetenköpfe im Hansasaal des Kölner Rathauses.

Hauptsächlich besteht also eine Abhängigkeit von der rheinischen Kunst. Außerdem könnte noch eine Beziehung zu Böhmen bestehen. Die Kronenform der Maria, die der Glatzer Madonna (Berlin) in ihrer breit ausladenden Form entspricht, und der Edelsteinbesatz an Kronen, Mitren und Schwertgriffen, auch der sackige Fall der Gewänder bei den knienden Stiftern sind dafür anzuführen. Im ganzen herrschen aber die rheinischen Formen unbeschränkt. Auch das Fliesenmuster kehrt in Köln wieder, und die knienden Stifter sind dort häufig anzutreffen. Wahrscheinlich ist, daß der Maler von Lübeck nach Schwerin kam. Für Lübeck spricht

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die Verwendung der kurzen eingerollten Krabbenranke längs der Rippen, eines für lübischen Einfluß charakteristischen Ornaments.

Die Datierung ist, da wir ältere und jüngere Formen nebeneinander verwendet finden, nach den jüngsten zu bestimmen. Da in der Komposition Ähnlichkeit mit Berkenthin besteht und die Prophetenköpfe mit denen des Kölner Rathauses Ähnlichkeiten aufweisen, ist eine Entstehung zwischen 1370 und 1380 wahrscheinlich.

Die weiteren Malereien des Schweriner Doms: vier Figuren an der Ostseite der beiden mittelsten Chorpfeiler um 1400, sehr zerstört und für die stilistische Untersuchung ungeeignet, und das Christushaupt mit zwei Engeln am Triumphbogen aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts, können hier nicht behandelt werden.

Gägelow, Maria mit dem Kinde und St. Michael.
Restauri
ert. Abb. S. 316.

Den einer einst reicheren Ausmalung sind nur die beiden monumentalen Gestalten an der Nord- und Südseite eines Gurtbogens übrig geblieben. Die verschwundenen Bilder 23 ) waren Martyriendarstellungen ähnlich St. Jakobi in Lübeck oder Büchen, und eine Kreuzigung zwischen vier Figuren, sie weisen also ikonographisch auf Lübeck.

Die Vermutung lübischen Einflusses wird durch die beiden erhaltenen Figuren bestätigt. Die überschlanken, in starkem linearen Rhythmus bewegten Gestalten zeigen sich am nächsten mit den von Paul behandelten und dort abgebildeten Wandmalereien der Stralsunder Nikolaikirche (auferstehender Christus, Christophorus) verwandt. Das Bewegungsmotiv des dortigen Christophorus ist hier beim Michael entsprechend, die Form der Brustschließe ist ähnlich, auch das bogenförmige Hinüberziehen des Mantels vor dem Leibe und sonstige Faltenmotive. Auch der Gesichtstyp mit der langen Nase, dem kleinen Mund und den unter gleichmäßig geschwungenen Brauen gelangweilt blickenden Augen zeigt den Zusammenhang, daneben finden sich im Marienkopf noch deutliche Anklänge an Braunschweiger Typen; Erinnerungen an niedersächsische Spätromantik sind in der von Lübeck ausgehenden Gotik immer wieder zu beobachten. Der Drache ist im Umriß mit den romanischen Drachen am Gewölbe des Kapitelsaals von Brauweiler verwandt. Rheinischen Ursprung, in der Lübecker Einflußsphäre nicht verwunderlich, verraten manche Einzelheiten, wie das lebhaft bewegte Kind auf Marias Arm.


23) Lisch, Meckl. Jahrb. 24, S. 338 ff.
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Da der lübische Einfluß sich in Gägelow in so unmittelbarer Form äußert, ist diese Malerei, die geographisch östlich der Trennungslinie Wismarsche Bucht-Schweriner See liegt, dennoch beim westlichen Landesteil zu behandeln.

Die Datierung muß in die gleiche Zeit fallen wie die der Stralsunder Bilder. Paul vermutet für diese eine Entstehung in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts. Lieber möchten wir beide Malereien infolge des voll ausgeprägten und stark bewegten Linearstils um 1350 ansetzen.

Wismar, St. Marien, Wrangelkapelle.

Kreuzigung zwischen zwei Engeln, Christophorus, restauriert.

Die einzige Wandmalerei des 14. Jahrhunderts, die Wismar bewahrt, gibt nicht gerade einen sehr hohen Begriff von seiner damaligen malerischen Kultur, im Gegensatz zu seiner großen Bedeutung im 15. Jahrhundert. Das überlebensgroße Kruzifix der Ostwand zeigt den stark gebrochenen Typ der westlichen Frühgotik der in Lübeck ebenfalls in der Jakobikirche und im Unterchor der Katharinenkirche auftritt. Der wismarsche Christus steht einer auf 1348 datierten Kreuzigung in der Domsakristei in Konstanz am nächsten, deren kölnische Herkunft Vitzthum nachgewiesen hat. Beide geographisch so weit entfernten Stücke müssen auf eine ähnliche Tradition zurückgehen. Die wismarsche Malerei ist mittelmäßig, die Formen von teigiger Breite, besonders die Zeichnung der Füße weicht gegenüber der für diesen Typ geltenden Regel ab. Das beginnende Streben nach Rundung der Formen läßt diese Malerei in zeitliche Parallele mit der des Schweriner Kapitelhauses rücken. Ihr entspricht die noch lineare, aber mit der Absicht auf körperliche Rundung gegebene Behandlung des runden Lockenhaars der Engel, des zerklüfteten Lendentuches Christi. Mit den Schweriner Stiftern ist die Gewandbehandlung um die Unterschenkel der knienden Engel vergleichbar, es legt sich sackig um die Körperformen und bedeckt die Fersen. Hierin spricht sich schon ein Übergang zu Gewandformen, wie sie als Hauptvertreter Bertram gibt, schüchtern aus. Doch herrscht im allgemeinen noch unbeschränkt ein abstrakter Linearstil, wie das unvermittelte Stehen der knienden Engelfiguren vor der weißen Wand ohne Andeutung einer Bodenfläche, die auch in halber Höhe des Kreuzesstammes nicht möglich wäre, beweist. Auch Sonne und Mond über den Kreuzarmen zeigen, daß von einer Abweichung von älteren Formen keine Rede ist, sondern diese möglichst konservativ beibehalten werden. Die Beeinflussung von Lübeck ist nach der Lage Wismars

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und dem sonstigen künstlerischen Verhältnis beider Städte wahrscheinlich. Die Kölner Formen werden durch Lübeck vermittelt sein. Die Rundung der Faltenzüge und manche Einzelheiten, wie die rauchfaßschwingenden Engel, und Sonne und Mond über dem Kreuzbalken, erinnern an die Lettnermalerei der Lübecker Heiligengeistkirche.

Auch der Christophorus geht wahrscheinlich auf ein lübisches Beispiel zurück, das aber nicht erhalten ist. Dagegen können wir ihn mit dem Christophorus der Stralsunder Nikolaikirche vergleichen. Im Verhältnis zu ihm ist der wismarsche Christophorus aber wieder eine vergröbernde, plumpe Nachbildung, die mit dem feinlinigen Stralsunder Bilde nur die allgemeine Umrißlinie gemeinsam hat. Eine eigentümliche Form ist die pilzförmige Krone des Baums, die zu den sonst vorherrschenden naturalistischen Blätterbüscheln im Gegensatz steht. Die Haltung des Kindes, das mit beiden Händen in Haar und Bart des Christophorus spielt, findet sich ähnlich an rheinischen romanischen Christophorusbildern 24 ) und dem der Petrikirche in Soest. Das schlängelige Faltenspiel des Mantels rechts und der vorn sich breitende runde Hang erinnern wieder an die Lübecker Lettnermalerei und an Motive westfälischer Buchmalerei der frühen Gotik 25 ).

Es mögen hier einige Worte über die Herkunft der in der norddeutschen Malerei so verbreiteten Christophorusdarstellung Platz finden. Wo diese Figur entstanden ist, darüber muß eine Spezialuntersuchung Aufschluß geben. Im 13. Jahrhundert findet er sich in Niedersachsen (Wandmalerei von Melverode, Buchmalerei s. Haseloff), im Rheinland, in Flandern und England. Auf welchem Wege kommt er ins Ostseegebiet? Der Lübecker Christophorus in der Jakobikirche zeigt gewisse ähnliche Züge mit dem von Melverode, der wismarsche Christophorus der Wrangelkapelle verrät in Einzelheiten, wie in den Fabelwesen im Wasser, Verwandtschaft mit dem von Wienhausen. Wie es scheint, hat also die Ostseeküste die Christophorusdarstellung von Niedersachsen her übernommen. An der Küste wurden wohl die Naturbeobachtung verratenden Abbilder von Scholle und Dorsch, sowie (in Stralsund) des Hummers hinzugefügt.

Die Malerei der Wrangelkapelle trägt den Charakter der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts. Die Parallele mit dem Schweriner Kapitelhaus ist in mehreren Stücken durchzuführen, auch dort herrscht dieselbe Übergangsstufe zur freieren malerischen


24) Niedermendig, Clemen Abb. 546.
25) Graduale der Gisela von Kerssenbrock, Burger Abb. 438.
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Behandlung, dabei noch das zähe Festhalten an der strengen linearen Malerei der ersten gotischen Periode. Nur ist die wismarsche Malerei um einige Grade roher. Wir dürfen sie etwa in die gleiche Zeit setzen, um 1370 bis 1380.

Ratzeburg, Domkreuzgang.

Breite zyklische Darstellung des apostolischen Glaubensbekenntnisses in sechs dreiteiligen Nischen. Restauriert. Abb. S. 316.

Ratzeburg, Domkreuzgang. Breite zyklische Darstellung des apostolischen Glaubensbekenntnisses in sechs dreiteiligen Nischen.

Die Nischen sind durch drei kleinere Blenden geteilt, die stets zwei Bilder übereinander enthalten, also in jeder der sechs Nischen sechs Bildfelder. Die mittelste Blende enthält die inhaltliche Darstellung, die linke Einzelgestalten der Apostel mit einem Abschnitt des Glaubensbekenntnisses auf dem Schriftband, die rechte Einzelgestalten von Propheten mit Sprüchen auf den Schriftbändern.

Die Malerei stellt einen uns nicht gewohnten Typ dar. Eine so kleinteilige und dabei streng systematische Anordnung, ein wirkliches feierliches Credo, muß ein Erzeugnis gelehrter Klosterfrömmigkeit sein. Es wird seine erste Ausprägung in der Miniaturmalerei erhalten haben. Eine gewisse Ähnlichkeit im Charakter besteht mit der oben behandelten Rehnaer Malerei, die ebenfalls einem Kloster angehört.

Die Nischeneinteilung möchte man mit der Glasmalerei in Verbindung bringen, aus der auch die verschiedenfarbige Behandlung der durch die unteren Bögen gebildeten Zwickelfelder erklärt werden kann. Der Stilcharakter steht, soweit heute noch zu prüfen, noch verhältnismäßig der frühen Gotik nahe, und nur die Übertreibung des Schwunges und der Bewegung zeigt die zweite Hälfte des Jahrhunderts an. Die Gestalten sind plebejischer und derber

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geworden, sie haben stark gelockte dicke Köpfe und untersetzte, übermäßig verrenkte Körper und gestikulieren eckig und gewaltsam. Sie erscheinen den Figuren an der Mensa des Hochaltars des Kölner Doms und ihnen nahestehenden westfälischen Plastiken verwandt.

Die Ableitung einer Reihe von Bildern der Mittelfelder macht Schwierigkeiten. Die meisten von ihnen sind zwar durchaus dem Charakter der nordfranzösischen und kölnischen Frühgotik verwandt, z. B. die Kreuzigung, die Auferstehung, die Geburt Christi und die Verkündigung. Dagegen sind ungewöhnlich die schwebende Taube des Heiligen Geistes, die Darstellung des Meßopfers (Ecclesia catholica), die Vergebung der Sünden, die Auferstehung der Toten und der Christus in der Glorie (Vita aeterna). Für mehrere dieser Szenen sind die Vorbilder in der Miniatur zu suchen. Die spielerisch leichte Behandlung des vor der Mandorla schwebendenThrons, vor dessen Fußende die Weltkugel erscheint (Vita aeterna), läßt an diese Herkunft denken; den Eindruck verstärkt die knappe Einbeziehung der Nebenfiguren, wie in den Raum eines Initials. Die Auferstehung der Toten ähnelt dem gleichen Felde des Klosterneuburger Altaraufsatzes, deutet also auf französische Herkunft dieser Fassung, die sehr gut durch Miniaturen vermittelt sein kann. Die Szene des Meßopfers findet sich als Mittelbild des Kölner Clarenaltars wieder, ist aber schon eher an der Maas und am Niederrhein verbreitet, wie ein aus Lüttich stammendes gesticktes Antependium aus der Mitte des 14. Jahrhunderts im Museum in Brüssel zeigt 26 ). Dieses Stück zeigt mit der Ratzeburger Darstellung ganz auffallende Ähnlichkeit, so daß die Herkunft der Typen vielleicht des ganzen Zyklus von Flandern wahrscheinlich wird. Die seitlich am Boden schleppenden Gewandenden, etwa des Weltrichters, sind die nordfranzöfisch-flandrischen Formen, die dann in der Kunst eines Broederlam, daneben auch in der böhmischen Malerei durch den Meister von Wittingau weiter ausgebildet werden. Sie bestärken den Zusammenhang mit Flandern. Eng mit diesem Lande hängt Ostengland künstlerisch zusammen. Einige Züge sprechen für eine Einwirkung von dieser Seite. Die architektonische Einteilung mit den derben bunten Türmen, die über dem Zinnenkranz Kegeldächer und um die Mauer herumlaufend derbe Wulste zeigen, ist englischer Buchkunst eigen und findet sich in Ratzeburg wieder. Auch die Begleitung des Hauptbildes durch mehrere übereinander in architektonisch gerahmten Seitenfeldern angeordnete Einzelfiguren ist eine


26) Abb. Helbig, L 'Art en Hainaut, Tafel III.
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hier wiederholte Eigenart englischer Buchmalerei (Vitzthum, Tafel 15, 18). Endlich sind diese Figuren selber in ihrer übertriebenen Schwingung und Gestik den dortigen verwandt.

Zusammenfassend stellen wir fest: Wir finden ein von engeren Parallelen sich loslösendes, durch westliche, wahrscheinlich englisch-flandrische Buchkunst beeinflußtes Werk. Die Datierung ist nach dem Figurencharakter und der Minuskelschrift in die zweite Hälfte des 14. Jahrhunderts zu setzen. Dafür sprechen auch die wahrscheinlich gleichzeitigen Wappen zwischen den Nischen, von denen nur eins ein Bischofswappen ist, das sich auf Bischof Wiprecht von Blücher, 1356 bis 1367, bezieht, also eine Datierung um 1360 rechtfertigt. Ein anderes Bischofswappen im östlichen Kreuzgangflügel, das des Dethlev von Parkentin (1395 bis 1418), hat noch dieselbe Form, aber keinen so wahrscheinlichen Zusammenhang mit der Malerei.

C .Ostmecklenburg.

Gegenüber der vielfältigen und beweglichen Entfaltung, die die Malerei im westlichen Teil des von uns behandelten Gebietes unter dem starken Einfluß der vielfachen Einflüssen offenstehenden Metropole Lübeck nimmt, geht im Osten Mecklenburgs eine in hohem Maße selbständige Entwicklung vor sich. Die Eigenschaften, die die Malerei des östlichen Landesteiles schon im Übergangsstil zeigte, eine Lust an lockerer Anordnung und Füllung der Gewölbeflächen mit einem Ring zusammenhängender Bilder, finden wir in der gotischen Zeit noch gesteigert. Beim Beginn der Gotik sind die von verschiedenen Seiten eingedrungenen Einflüsse verarbeitet, und der östliche Landesteil tritt uns in fast geschlossener Erscheinung entgegen, die nunmehr von den die Entwicklung bestimmenden Strömungen zwar berührt, aber in ihrer Wesenheit nicht verändert werden kann.

Sternberg, Ostwand beider Seitenschiffe.

Kreuzigung, Weltgericht. Restauriert. Abb. Schlie IV, S. 146.

Die Sternberger Malerei stellt die "Retabel" der beiden verschwundenen Seitenschiffaltäre der Kirche dar und bildet somit eine Parallele zu der Kreuzigung im Unterchor der Lübecker Katharinenkirche. Das Sternberger Werk enthält in seiner strengen Anordnung und Proportionierung noch ganz romanischen Geist, und die romanischen Stilelemente treten überall stark hervor.

Die Kreuzigungsgruppe möchte man in unmittelbare Beziehung zu romanischen niedersächsischen Werken setzen, z. B. dem Triumphkreuz des Halberstädter Doms und niedersächsischen Malereien des 13. Jahrhunderts. Die kompakten und untersetzten

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Proportionen und die Geschlossenheit der Gruppe, das Anlegen der Hand an den Kopf bei einer der Seitenfiguren, das in den mecklenburgischen Werken hier und in der Folge regelmäßig symmetrisch verdoppelt wird, das oben wulstig gerollte, unten zipfelig hängende, zwischen den Beinen eingetiefte Lendentuch und endlich die parallelogrammförmige Titulustafel sind Elemente niedersächsischer Kunst. Die Füße sind schon mit einem Nagel angeheftet, aber nur die Füße kreuzen sich, während die Beine nebeneinander liegen. Marias Mantelhaltung ist noch zum Teil die byzantinische, wo der Mantel von beiden Unterarmen leicht gerafft wird und von ihnen aus glatt herunterfällt; in Sternberg zeigt noch der rechte Arm diese Form, während im übrigem bei beiden Figuren schon das gotische Schema mit dem um den Ellbogen straff herumgezogenen und unter den Arm geklemmten Mantel herrscht. Die Figuren zeigen nur leichte Andeutung der Schwingung und stehen mit symmetrisch leicht auswärts gestellten Füßen, noch im Sinne des Übergangsstils.

Das Weltgericht zeigt in der Arkadenstellung zu beiden Seiten des Weltrichters romanische Anordnung rheinisch-westfälischer Färbung, und auch die breitschwellende Mandorla trägt westfälischen Charakter. Dagegen ist die Gestalt des Weltrichters von fortgeschrittenem, gotischem Typus, das älteste Beispiel des französischen Weltrichtertyps mit ausgebreiteten Händen und Schwertern am Munde, das der östliche Landesteil aufweist. Sehr elegant und flüssig wirken die Evangelistensymbole, die Tiere dem neuen Streben entsprechend in trabender Bewegung; auch die Deesisfiguren in ihrer mehr schwebenden als knienden Haltung der frühgotischen Geistigkeit gemäß.

Die kräftigen Kleeblattarkaden mit den Türmchen mit Vierpaßfüllung dazwischen deuten auf westfälischen Einfluß (Methler). Auch die kräftigen, untersetzten Apostelfiguren haben Züge romanischer Gestalten des westfälischen Kreises bewahrt; so ist die erste Figur der rechten Seite in Haltung und Gewandbehandlung mit der Magdalena im Paradies des Doms von Münster zu vergleichen. Das beiderseits verschieden hoch geraffte Mantelende, sowie die für die Sternberger Faltengebung bezeichnenden seitlich spitz herausstoßenden Falten zeigen den Zusammenhang. Im ganzen überwiegt schon das gotische Gewandschema, dessen Herkunft von Westfalen her wir nach den obigen Ausführungen annehmen dürfen. Diese Annahme wird durch die durchaus westfälische Architektur der Kirche gestützt, da wir Grund haben anzunehmen, daß die Malereien gleich nach Vollendung derselben entstanden sind.

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Die sich angesichts der Arkadenrahmung des Weltgerichtbildes aufdrängende Frage nach dem Zusammenhang mit nordischer Kunst, wo solche Arkaden seitlich der Mandorla Christi besonders auf hölzernen Antependien häufiger im 13. Jahrhundert erscheinen, kann bei den Anzeichen direkter westfälischer Beeinflussung verneint werden. Das Rheinland und Westfalen üben auf die nordischen Länder und auf das Kolonisationsgebiet in gleicher Weise ihren Einfluß aus.

Ist die Kirche zwischen 1309 und 1322 vollendet 27 ) so wird die Malerei, da beide erhaltenen Stücke von einer Hand sind und annehmen lassen, daß sie zur ersten Ausstattung gehören, gleich im Anschluß daran geschaffen sein.

Bernitt, östliches Langhausgewölbe.

Passionsszenen und Weltgericht, restauriert. Abb. Schlie IV, Seite 110, 111.

Bernitt, östliches Langhausgewölbe. Passionsszenen und Weltgericht.
  1. Geißelung.
  2. Kreuztragung.
  3. Kreuzigung.
  4. Christus im Limbus.
  5. Auferstehung.
  6. Noli me tangere.
  7. Weltgericht.
  8. Zwei schwebende weibliche Figuren.
  9. Fünf phantastische Drachengestalten.
  10. Küfer und Teufel.

Die Malerei von Bernitt ist das älteste erhaltene Beispiel der zyklisch fortschreitend erzählenden Malerei, die für die östliche Landeshälfte nunmehr charakteristisch wird. Hier kann die Herkunft dieser Kunst gut verfolgt werden. Mit der im ersten Teil behandelten Malerei von Lüdershagen ist die lockere ringförmige Anordnung gemeinsam, auch der Weltrichter zwischen Petrus und Paulus und die Flügelstellung der Evangelistensymbole gehen darauf zurück.

Neu ist die erzählende Folge von Szenen, die ziemlich in der Zeitfolge gereiht um das Gewölbe herumlaufen. Ein neues Prinzip kommt mit dieser stofflichen Neuordnung in die Wandmalerei. Wir können logisch eine Entstehung dieser Erscheinung mit Notwendigkeit aus der Buchkunst ableiten. Nach Mecklenburg aber kommt sie durch die Vermittlung der niedersächsischen Wandmalerei, wie an dem Bernitter und Teterower Werk nachzuweisen sein wird.


27) Schlie IV, S. 139.
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Das Hauptbeispiel der frühgotischen Wandmalerei in Niedersachsen ist Wienhausen bei Celle (Nonnenchor des Cisterzienserinnen-Klosters) 28 ). In mehreren Szenen ist die Typik die gleiche wie dort; die schlanke Säule, an welche Christus bei der Geißelung gefesselt ist, aber bis zu deren Fuß er nicht herabreicht, die Haltung Christi und der Knechte ist an beiden Stellen ähnlich. Die Kreuztragung, die Auferstehung, das Noli me tangere und besonders die Limbusszene sprechen für die Beziehung beider Orte zueinander. Bei der Kreuztragung ist neben der Haltung Christi und seiner Anordnung zwischen den Begleitern besonders der voranschreitende Knecht mit Strick und Hammer gleichartig. Bei der Auferstehung ist die Gesamtgruppe, die Gestalt Christi und die hockenden Wächter sehr verwandt. Die Limbusszene mit dem Höllenrachen tritt hier zuerst in der Wandmalerei des Landes auf. Der hellgelbe Rachen, der rote Flammen aus Maul, Nüstern und Ohren speit, geht auf Wienhausen im Typus zurück. Der Teufel hat wie dort hellgrau gestricheltes Fell, und an beiden Stellen finden sich bei den Teufeln Widderhörner. Für die Gestaltung des Höllenrachens finden sich die nächsten Analogien in der niedersächsischen und von ihr abhängigen Buchmalerei 29 ). In der Farbengebung herrschen wie in Wienhausen zarte, blasse Farben vor. Die für Wienhausen charakteristische Mi-parti-Färbung bei Kleidern wird in Bernitt selbst auf Säule, Axt- und Geißelstiel ausgedehnt.

Nach so weitgehenden Übereinstimmungen ist an einer Abhängigkeit von niedersächsischer zyklischer Wandmalerei nicht zu zweifeln. Da außer Wienhausen in Niedersachsen selber nicht viel von der Gattung erhalten zu sein scheint, so können wir über den Weg, auf den diese Beeinflussung erfolgte, und über Zwischenglieder nichts aussagen. Daß aber von Niedersachsen ein Einfluß in dieser Richtung ausging, ist sicher; mußten wir doch auch das Beispiel im Westen des Gebietes, das Ansätze zu erzählender Folge


28) Über das Wienhausener Werk existiert keine ausreichende Arbeit. Es wird meistens in den Anfang des 14. Jahrhunderts datiert, durch verschiedene Restaurationen und Ergänzungen, die zum Teil schon im 15. Jahrhundert vorgenommen wurden, ist der Charakter vielfach nicht ursprünglich, eine Scheidung des Alten von späteren Änderungen wäre nötig. Die Wienhausener Malerei erscheint neben einheimischer niedersächsischer Tradition (Braunschweig) von westlicher Buchkunst, den großen Bilderhandschriften Englands oder Frankreichs, und daneben, wohl nur indirekt, durch die sizilianischen Mosaiken des 13. Jahrhunderts beeinflußt, die an der Entstehung fortlaufender Bilderzyklen wahrscheinlich bedeutenden Anteil haben, zum Teil dadurch, daß sie die Buchkunst beeinflußten.
29) Vgl. Haseloff, sowie Reincke, Die Hamburger Stadtrechtshandschr., Tafel I.
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zeigte, Büchen in Lauenburg, mit Niedersachsen in Verbindung bringen. Die zu beiden Seiten der wieder sehr niedersächsisch wirkenden Kreuzigungsgruppe stehenden zwei weiteren Heiligen, Bartholomäus und Jakobus, sind eine typische Erscheinung im hansischen Kunstkreise, wie im binnenländischen Gebiet Mecklenburgs (Lübeck, Stralsund, Gägelow, Bernitt, Teterow). Auch Diese Anordnung wird aus der romanischen Kunst Niedersachsens ihre Abkunft herleiten.

Westlich gotischen Geist atmen die Zwickelfiguren, die der Neigung des neuen Stils zum Drôlerien- und Groteskenwesen Rechnung tragen. Die beiden fliegenden bewaffneten Frauen sind inhaltlich schwer erklärbar, möglicherweise bilden sie eine Analogie zu den reitenden Hexen des Schleswiger Doms. Der betrügerische Weinschenk, den der Teufel in den Klauen hat, ist aber eine in Literatur und Volksvorstellung der Zeit lebendige Figur.

So ist Bernitt ein Angelpunkt, der das Eindringen eines von nun ab in Ostmecklenburg sich ausbreitenden Typs zeigt. Die Datierung läßt zuerst das Verhältnis zu der Malerei von St. Marien in Röbel ins Auge fassen; es ist indessen bei der schlechten Überlieferung der Röbeler Malerei nicht möglich, zu erklären, welches von beiden Werken das ältere ist. Wahrscheinlich ist aber anzunehmen, daß Bernitt älter und um 1350 zu datieren ist. Trotz einiger romanisierender Nachklänge, z. B. in den Drachengestalten, ist es konsequent frühgotisch in der Formensprache ("früh" relativ für das Ostseegebiet), und ist bei Berücksichtigung seiner handwerklichen Derbheit den um 1350 anzusetzenden Malereien der Stralsunder Nikolaikirche (abgebildet bei Paul) zeitlich nahe zu rücken.

Röbel, St. Marien, Chorgewölbe.

Kreuzigung und einzelne Szenen. Überdeckt. Abb. Schlie V, S. 482-85.

Röbel, St. Marien, Chorgewölbe. Kreuzigung und einzelne Szenen.
  1. Kreuzigung zwischen Maria und Johannes und zwei kleineren Figuren.
  2. Weibliche Heilige.
  3. Männlicher Heiliger.
  4. Anbetender Engel.
  5. St. Georg, den Drachen tötend.
  6. Ein König oder Ritter.
  7. Simson, den Löwen zerreißend.
  8. Dreiköpfiges Ungeheuer.

Im Anschluß an Bernitt reihen wir ein Werk ein, das leider bald nach seiner Aufdeckung wieder unter einer weißen Tünche verschwunden ist und uns nur in den klassizierenden Zeichnungen

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Schumachers im Schweriner Museum erhalten ist. Es stellt wegen des vielfach rätselhaften Charakters dieser Überlieferung eine wahre Sphinx für die historische Forschung dar. Bald möchte man dem Urteil Lischs, der die Malerei ins 13. Jahrhundert setzte, zustimmen, bald ist man versucht, sie ins 15. Jahrhundert zu rücken. Volle Klarheit kann sich erst ergeben, wenn es einmal möglich sein sollte, die alte Malerei wieder freizulegen und zu erhalten. Jedenfalls greift die Datierung Lischs ins 13. Jahrhundert zu weit zurück. Wohl aber hat die Ansetzung in die Mitte des 14. Jahrhunderts als erstes vorwiegend gotisches, noch mit romanischen Elementen stark behaftetes Werk die höchste Wahrscheinlichkeit. Überraschend ist die Leichtigkeit und Lockerheit der Komposition, die vor allem, zusammen mit dem Rankenwerk, eine gewisse Ähnlichkeit mit Werken des 15. Jahrhunderts ergibt.

Zunächst fällt die Rankenbildung auf. Eine solche spiralische Ranke finden wir ähnlich in Braunschweig, freilich kompositionell anders verwendet und mit natürlicheren Blättern besetzt, aber es ist dieselbe saftige, mit einer gewissen elastischen Spannung geschwungene Spiralranke. Die nächste Analogie im Ornament wie im Bestienwesen bildet eine westfälische Malereiengruppe des 13. Jahrhunderts, St. Marien zur Höhe in Soest (Langhausgewölbe) und Weslarn bei Soest. Dem Röbeler Weihekreuz entsprechen gleiche Kreuze auf einem Gurtbogen in Weslarn, das lebhaft sich vordrängende Bestien- und Teufelswesen ist beiden Stellen gemeinsam. Eine Ähnlichkeit besteht zwischen den zweibeinigen, geflügelten und gehörnten Drachen in St. Maria zur Höhe und dem Röbeler Georgsdrachen. Die Spitze, geschlossene Flügelform und die rundballigen Füße sind gut vergleichbar. Dennoch ist die Formensprache in Röbel um einen starken Grad verändert und vorgeschritten.

Die anfangs festgestellte Gleichartigkeit der Ranken mit Braunschweig leitet zur Untersuchung der Figur über. Diese ist überaus schwierig, da ihre Wiedergabe durch die Zeichnungen offenbar sehr verderbt ist. Die Kleidung wird von merkwürdig seitlich auseinanderfallenden symmetrischen Falten und Saumzügen beherrscht, für die sich nur sehr ungewisse Anhalte gewinnen lassen. Die weibliche Heilige (2) ist mit der thronenden Kaiserin Helena in Braunschweig wegen der taschenartigen Hänge um die Arme zu vergleichen, und der entsprechende männliche Heilige mit dem Henker des heiligen Blasius dort in der eigenartig auseinanderstrebenden Faltenbildung. Die seitlich spitz herausstechenden Faltenhänge dürfen als eine handwerklich vergröberte Ableitung

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von spätromanischen Formen aufgefaßt werden, und ebenso die eigenartige glockenförmige Verbreiterung des Gewandes am Boden. Dem Braunschweiger Spätromanismus steht der Gottvater des Rundbildes im Scheitel des östlichen Gewölbes nahe, und auch der niederschwebende Engel mit Spruchband, der in Röbel über der Kreuzigung erscheint, ist in Braunschweig häufig nachzuweisen. Der kleine frontale anbetende Engel mit den ausgebreiteten Flügeln ist von den mächtigen Engeln in den Schildbogenflächen des südlichen Querschiffs des Braunschweiger Doms abzuleiten. An noch ältere romanische Vorbilder erinnert der mit ganz wagerechten Armen ruhig hängende Christus am Kreuz, dessen untere Hälfte leider zerstört war, so daß auch seine Gestalt nicht ganz zur Aufhellung der um das Röbeler Werk schwebenden Fragen herangezogen werden kann. Man wird an niedersächsische Triumphkreuze am ersten bei seinem Anblick denken, z. B. die Triumphkreuze des Doms und der Liebfrauenkirche in Halberstadt. Die Malerei des Gurtbogens zwischen den beiden Jochen ist ebenfalls aus spätromanischer Tradition, hauptsächlich des Rheinlandes und Westfalens, zu erklären.

Die Gotik, die für den Gesamteindruck ohne Frage bestimmend ist, ist in den Einzelzügen schlecht greifbar. Die Gewandhaltung zeigt nicht die durchgehende Schwingung der frühen Gotik. Wohl aber ist allgemein eine weiche Rundung und Schmiegsamkeit der Linien zu bemerken. Eine bewußte Aufnahme des neuen Stils ist nicht erfolgt. Der reitende St. Georg trägt den langen Waffenrock der frühen Gotik, aber sein Pferd ist nicht in gestrecktem Galopp, sondern in kurzer Sprungstellung gegeben. Es ist etwa dieselbe Stellung, die die Pferde in der Petschower Malerei zeigen. Der König oder Ritter (6) mit seinem offenen, schlicht fallenden Mantel und der gespreizten Beinstellung erweckt zunächst den Eindruck einer Figur des frühen 15. Jahrhunderts, doch kehrt diese Mantelform und steife, gefrorene Haltung in Petschow (drei Jungfrauen der Nikolauslegende) sehr ähnlich wieder. Auch die nackte menschliche Gestalt, die von dem Höllentier verschlungen wird, erinnert an die Menschen der Petschower Hölle.

Einige ikonographische Fragen bleiben noch zu lösen. Die zwei kleinen Gestalten seitlich des Kreuzes werden von Lisch als Joseph von Arimathia und Maria Magdalena oder als Donatorenpaar erklärt. Die letztere Erklärung ist unmöglich wegen der bewegten Haltung der Gestalten; eher als die erste Hypothese ist die Erklärung als Longinus und Stephaton oder, wie in Wienhausen, Longinus und der Hauptmann glaublich, nur scheitert sie an dem

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ausgesprochen weiblichen Charakter der rechten Figur. Endlich kommt als Möglichkeit, die aber auch innerhalb der Malerei des Landes vereinzelt darstünde, die Erklärung als Ecclesia und Synagoge hinzu. Auch hierfür fehlen alle Anhaltspunkte. Wir müssen uns bescheiden, daß nach den Schumacherschen Zeichnungen ein Urteil nicht möglich ist, und auf ein Wiedererstehen der Bilder hoffen. Die zweite ikonographische Frage betrifft das dreiköpfige Ungeheuer, das Lisch als das apokalyptische Tier erklärt, das aber eher als eine groteske Darstellung des Teufels zu gelten hat, zugleich als Höllenrachen aufgefaßt, der einen nackten Menschen verschlingt. Wir begegnen dieser phantastischen Kategorie von Tieren ähnlich in Bernitt, wo mit den fliegenden Amazonen auch die Flügelform des Röbeler Drachen übereinstimmt.

Nur mit großer Vorsicht kann man eine Datierung des Röbeler Werks wagen. Es scheint Bernitt nicht fern zu stehen. Die lockere, unbekümmerte Anordnung und manche Einzelheiten sprechen für ungefähre Gleichzeitigkeit. Zugleich sind mehrere Motive dem Petschower Werk ähnlich, so daß wir die Malerei zwischen beiden Werken ansetzen möchten. Mit Petschow hat das Röbeler Werk das ruhige Fortarbeiten auf der spätromanischen Basis gemeinsam und ebenso die Freiheit der stofflichen Disposition, die in Röbel ohne nähere Parallele dasteht. Endlich setzt Röbel, wie später Petschow, die schon in den frühesten Malereien beobachtete Größenverschiedenheit der Figuren fort, die größten sind den Rippen benachbart, die kleinste stehen in der Mitte der Kappe. Wir müssen uns trotz der starken Romanismen zu einer Datierung nach 1350, zwischen 1360 und 1380, entschließen.

Teterow, Chorgewölbe.

Alt- und neutestamentlicher Zyklus, Weltgericht und Marienkrönung. Restauriert. Abb. Schlie V, S. 16-18.

Teterow, Chorgewölbe. Alt- und neutestamentlicher Zyklus, Weltgericht und Marienkrönung.
  1. Der Geist Gottes über den Wassern.
  2. Erschaffung der Gestirne.
  3. Erschaffung der Elemente.
  4. Erschaffung der Tiere.
  5. Erschaffung Adams.
  6. Erschaffung Evas.
  7. Verbot des Baumes.
  8. Sündenfall.
  9. Vertreibung.
  10. Brudermord (neu).
  11. Verkündigung.
  12. Heimsuchung.
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  1. Geburt Christi (neu).
  2. Die drei Könige, reitend.
  3. Die drei Könige vor Herodes.
  4. Anbetung der Könige.
  5. Kindermord.
  6. Flucht nach Ägypten.
  7. Darstellung im Tempel. (neu).
  8. Der 12jährige Jesus im Tempel.
  9. Maria führt Jesus fort.
  10. Taufe Christi.
  11. Versuchung mit den Steinen.
  1. Versuchung auf dem Tempel.
  2. Versuchung auf dem Berge.
  3. Einzug in Jerusalem.
  4. Judas Verrat.
  5. Judaskuß.
  6. Christus vor Pilatus.
  7. Geißelung.
  8. Dornenkrönung.
  9. Kreuztragung.
  10. Kreuzigung.
  11. Auferstehung.
  12. Christus im Nimbus.
  13. Weltgericht.
  14. Krönung Marias.

Die Teterower Gewölbemalerei bedeutet eine Weiterentwicklung des Typs von Bernitt ins Reiche und Komplizierte. Hier ist nicht mehr ein einzelnes Gewölbejoch, sondern das gesamte Gewölbe des zweijochigen Chors durch einen zusammenhängenden Zyklus malerisch gefüllt, die Anordnung ist reich und wohlberechnet geworden, die dekorative Wirkung von einzigartiger gehaltener Pracht, der auf den beiden Gewölben abgewickelte Darstellungskreis von vollendeter Geschlossenheit.

Ein dreifacher Kreis von Darstellungen zieht sich um die Schlußsteine beider Gewölbe, ein engerer Kreis mit größeren, ein weiterer mit kleineren figürlichen Szenen, dazu in den Zwickeln Drôlerien, Drachen und Wappenhalter und an einer unsichtigen Ecke der erhängte Judas. In jedem der Gewölbejoche ist aber das System in anderem Rahmen gegeben, im westlichen durch einen starren Ring, der innen und außen von getreppten schwarzweißen Bändern begrenzt wird und den äußeren Figurenkreis zu einem ornamentalen Gebilde zusammenschließt, im östlichen ohne jeden Rahmen; dort bilden allein die in strenger Disziplin angeordneten Figuren die Gliederung des Gewölbes. In beiden Jochen ist durchgehend die Hauptachse durch formal und inhaltlich besonders betonte Bilder hervorgehoben.

In noch weitergehendem Maße als Bernitt zeigt sich Teterow von dem durch Wienhausen vorzugsweise verkörperten niedersächsischen Kunstkreise beeinflußt. Die Schöpfung ist in Teterow, wie in Wienhausen, durch Kreisschemata dargestellt, neben denen links die Gestalt Gottvaters in redender Bewegung erscheint. Entsprechend dem geringen Raum, der in Teterow zur Verfügung steht, ist die Reihe der Schöpfungsszenen abgekürzt, auch ist die Auf-

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fassung weit gröber und an dichterischen Gedanken ärmer, als in Wienhausen. Das Kreisschema wird, sobald es lästig ist, in Teterow aufgegeben, und die Schöpfung der Tiere und Menschen vollzieht sich ohne Einengung in die Kreisscheibe. Beim Sündenfall weicht Teterow dadurch ab, daß die Schlange keinen Menschenkopf hat, wie es in Niedersachsen schon romanische Tradition ist. Bei der Versuchungsszene wird der Tempel wie in Wienhausen als zweitürmige Kirche dargestellt; die Szene des Einzuges in Jerusalem zeigt den Esel in gleicher Haltung mit gesenktem Kopf und zeigt auch denselben Hagel von Palmblättern, der Christus empfängt. Von den Passionsszenen ist die Szene vor Pilatus mit der Handwaschung ähnlich, ebenso die Auferstehung und das Limbusbild. Das Weltgericht zeigt, wie in Wienhausen, das Tribunal der heiligen Märtyrer, hier die 12 Apostel zu Seiten des Richters. Neben den ikonographischen Vergleichspunkten ist die formale Gesamthaltung sehr verwandt. Die leicht geschwungenen schlanken Gestalten, sowie die naive und drastisch erzählende Komposition, die nur in Teterow etwas steifer und wortkarger ist, sowie die Haltung des Gewandes mit konventioneller Faltengebung und gelegentlicher breiter Streifen- oder Mi-parti-Musterung zeigen deutlich den Zusammenhang.

Wenn auch abgeschwächt, verrät die Teterower Malerei doch einen Hauch französischen Geistes, der die Berührung mit französisch beeinflußten Zyklen, die in Norddeutschland mehrfach anzutreffen waren, von denen der große Zyklus im Schleswiger Domkreuzgang noch vorhanden ist, wahrscheinlich macht 30 ). Mit ihm zeigt die Teterower Malerei in mehreren Szenen ähnliche Haltung, wie bei der Krönung Marias, den reitenden und anbetenden Königen sowie einer Reihe von Einzelheiten in der Gewandhaltung und im Beiwerk wie in der Szenenkomposition. Überall durchdringen sich französische Formen mit den niedersächsischen.

Eigentümlich ist die Kreuzigung, die statt der eckig gebrochenen Christusfigur eine wenig gebogene mit fast geraden Beinen und eigenartig geformtem, plumpem Lendentuch erscheinen läßt, deren Form wohl am leichtesten mit dem Weiterleben des so fest eingewurzelten niedersächsisch-romanischen Typs erklärt wird. Die vier Seitenfiguren fehlen nicht. Über dem Kreuzbalken treten hier, wohl auch niedersächsischen Vorbildern entnommen, trauernde Engelhalbfiguren auf. Das Weltgericht zeigt die Bereicherung des hergebrachten Typus durch Figuren französisch-gotischer Portalkompositionen, die Engel mit den Leidenswerkzeugen und die


30) Zeitschr. für bild. Kunst, neue Folge, XI. Jahrg. Seite 11 ff.
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Apostel als Beisitzer. Die Anordnung auf der Gewölbekappe zeigt, daß dem Maler das Bild von Tympanon und Leibungsfiguren vorschwebt.

Das lustige geschwänzte Volk der Drôlerien und Drachen in den Zwickeln, die Weiterentwicklung der Bernitter Drachenwesen, sowie der hängende Judas haben ihr Vorbild wohl vor allem in der gotischen Buchmalerei.

Gegenüber Bernitt ist Teterow das vorgeschrittenere Werk, das die dort schüchtern angeschlagenen Akkorde voll ertönen läßt. Eine zeitliche Übereinstimmung besteht mit der Kreuzigung im Unterchor der Lübecker Katharinenkirche mit ihren voll ausschwingenden Gestalten. So möchten wir die Teterower Malerei in Übereinstimmung mit Schlies Deutung der Wappen in der östlichen Kappe (Schlie V, S. 17, Anm. 2) um 1350 bis 1360 datieren. Die Rüstung der Schildträger deutet eher noch auf die Mitte als auf das Ende des Jahrhunderts hin.

Petschow, Gewölbe des Langhauses.

Neutestamentlicher Zyklus, Weltgericht, Nikolauslegende, Christophorus. Restauriert; der Wandfries neue Zutat. Abb. S. 317 und Schlie I (2), Tafel S. 432/33, 434/35.

Petschow, Gewölbe des Langhauses. Neutestamentlicher Zyklus, Weltgericht, Nikolauslegende, Christophorus.
  1. Verkündigung.
  2. Geburt Christi.
  3. Beschneidung.
  4. Kreuzigung zwischen Maria und Johannes.
  5. Auferstehung.
  6. Frauen am Grabe.
  7. Christus im Limbus.
  8. Noli me tangere.
  9. Der ungläubige Thomas.
  10. Christus als Weltenrichter.
  11. Auferstehung der Toten.
  12. Zwei posaunenblasende Engel.
  13. Abführung der Verdammten.
  14. Die Hölle.
  15. und 16. Der heilige Nikolaus und die drei Mädchen.

In den Zwickeln stehende Heiligenfiguren mit Attributen, sowie einzelne Heiligenszenen (St. Martin und der Bettler), an der Ostwand seitlich des Triumphbogens links Christophorus, rechts Kreuzigung; über den Weihekreuzen der Längswände in sechs Rundmedaillons die Brustbilder der Evangelisten, das Lamm mit der Siegesfahne, der Gnadenstuhl.

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Die Malerei von Petschow fügt sich als weiter vorgeschrittenes Werk neben Bernitt und St. Marien in Röbel in dieselbe Entwicklungsreihe ein. Es sind trotz der großen Eigenart und Eigenwilligkeit dieser Arbeit genug Züge zu erkennen, die auf einheimische Tradition zurückgehen. Der lockere Ring von Szenen und Figuren entspricht in seiner Anordnung auf dem Gewölbe der Bernitter Malerei, mit der auch die derben Spruchbänder mit Majuskelschrift und die Inschrift SANCTUS übereinstimmen. Der Eindruck ist bereichert durch einen Kranz ornamentaler Blütenzweige um die Gewölbescheitel. An die Röbeler Malerei erinnert der Typ der Figuren in Haartracht und Faltengebung, die Pferdedarstellung und der Kreuzigungstyp mit ganz wagerechten, auf der Mitte der Kreuzbalken liegenden Armen. Auch zeigt Petschow wie Röbel die schon in der romanisierenden ostmecklenburgischen Malerei angetroffene Erscheinung, daß die Figuren nahe den Diagonalrippen größer sind als in der Nähe der Seitenmitte.

Petschow läßt aufs neue erkennen, daß in der ostmecklenburgischen Malerei weniger westliche als südliche Strömungen herrschen. Eine Menge von Einzelzügen beweist, daß für Petschow der Braunschweiger Kunstkreis, besonders das spätromanische Melverode bei Braunschweig, der Ausgangspunkt des Stils ist. Einzelne Figuren und Gruppen scheinen zu dem Schluß aufzufordern, daß der Petschower Maler das Melveroder Werk gekannt hat. Die Kreuzigungsgruppe und die gekrönte Maria mit dem Kinde in der Beschneidungsszene stimmen mit dortigen Darstellungen in der Gesamthaltung überein. Mit Malereien des Braunschweiger Doms zeigen verwandte Züge die Auferstehungsszene durch die weit ausgreifende Geste Christi und sein keilförmiges Vordringen zwischen die schlafenden Wächter, sowie die byzantinische Haltung der zu Boden gesunkenen Magdalena in der Noli-me-tangere-Szene.

Die Figuren sind sehr lang und überschlank mit kleinen Köpfen, es fehlt fast ganz die der westlichen Gotik eigene Körperschwingung, das Gewand fällt mit sparsamer, schlichter Faltenbildung ohne die um die Mitte des Jahrhunderts gewöhnliche Betonung wagerechter Faltenzüge herab. Die Saum- und Zipfelbildung hat außer der ruhigen vertikalen Hängetendenz die Neigung, die Schlängellinie des Saums zur spitzen Zickzacklinie umzubilden.Von der dekorativen, strengen Faltenbehandlung westlicher Gotik ist wenig zu spüren, dagegen begegnen überall Nachwirkungen byzantinischer Gewandformen, deren Herkunft aus dem an byzantinisierenden Malereien so reichen Niedersachsen zweifellos erscheint. Die meisten Szenen sind in ihrer Gesamtkomposition

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schon in der niedersächsischen Buchmalerei vorgebildet, wie ein Vergleich der Verkündigung, der Geburt Christi, der Frauen am Grabe, des Noli me tangere und des heiligen Martin mit entsprechenden Bildern der von Haseloff zusammengestellten Handschriftengruppe des 13. Jahrhunderts zeigt. Die ebenfalls von Niedersachsen stammende Limbusszene ist hier in sehr reicher Ausführung gegeben; neu in unserem Kunstkreise ist der im Höllenrachen thronende Höllenfürst, dessen Herkunft hier im Dunkel bleibt, vielleicht, wie manche andere Bildungen in Petschow, aus der Anschauung geistlicher Schauspiele zu erklären ist. Nikolausszenen finden sich in Melverode, auch im Küstengebiet, schon in früheren Werken (vgl. Mölln, erster Teil); der Christophorus, der uns hier zuerst in einer Dorfkirche entgegentritt, ist ebenfalls in Niedersachsen lange heimisch (Melverode, Wienhausen).

Besonderes Interesse verdient die Petschower Darstellung des Weltgerichts, die formal wie inhaltlich von den bisherigen Fassungen abweicht. Zunächst ist von der herkömmlichen zentrischen Formulierung unter dem Zwang der Mittelrippe, aber auch infolge der Gleichgültigkeit des Malers gegen die hieratische Form abgewichen. Ist schon die Verlegung dieses wichtigsten Stoffes auf das westliche, am wenigsten betonte Gewölbejoch auffallend, so noch mehr, daß der Maler den Weltrichter untergeordnet behandelt, dagegen gleich neben demselben seiner Erzählerlust freien Lauf läßt und mit großer Anschaulichkeit und drastischen Einzelzügen die Auferstehung der Toten, die Abführung der Verdammten in die Hölle und diese selbst mit ihren Qualen schildert. Dagegen fehlen ganz die Gegenstücke der Seligen und des Paradieses, für welche der Maler zwei Szenen der Nikolauslegende eingeschoben hat.

Der reiche Apparat des Weltgerichts, die Engel mit Leidenswerkzeugen, die posaunenblasenden Engel und die breite Schilderung der Vorgänge haben ihren Ursprung im Westen, den figurenreichen Weltgerichtspforten der französischen Kathedralen. In Petschow verbindet sich Niedersächsisch-Romanisches (der Weltrichter) mit westlich-gotischen Zügen (Auferstehung der Toten, Abführung der Verdammten unter Differenzierung der Stände). Die Auferstehung der Toten hat die ganze Frische der plastischen Vorbilder bewahrt, die lebendig bewegten Figuren erwecken in ihrer naiven und stark empfundenen Menschlichkeit unbedingte Teilnahme. Bei der Abführung zur Hölle ist die Schilderung packend und drastisch, nicht ohne soziale Parteinahme gegen den stolzen Ritter wie gegen den betrügerischen Schneider, ein schätzbares Dokument volkstümlichen Empfindens jener Zeit. Das Höllenbild

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endlich bekrönt die Eigenart des Werkes. Zum erstenmal in unserer Gruppe werden aus der Volksphantasie geborene Schreckensbilder in so realistischer Weise dargestellt. Natürlich gehen diese Szenen auf Gesehenes zurück. Die romanische Malerei der Marienkirche zu Bergen auf Rügen bringt ein bis in Einzelheiten ähnliches Höllenbild, und dieses oder ein verwandtes Vorbild muß dem Petschower Maler bekannt gewesen sein. Auch in der englischen Buchkunst und der italienischen Malerei der Zeit waren Darstellungen der Höllenstrafen häufig, Petschow ist das erste Beispiel typisch mecklenburgischer Ausprägung; dieser eingehende objektive Realismus mit einem Zug von Humor (besonders in der Gestaltung der Teufel) wird sich noch mehrmals wiederfinden.

Die Zwickelfiguren mit ihrem etwas steifen, gleichförmigen Aussehen, die Attribute ostentativ neben sich emporhaltend, finden sich in Petschow zum erstenmal ausgeprägt, wie sie in den nun folgenden Werken gleichmäßig wiederkehren. In Petschow ist ihr steifes Wesen nicht weiter auffällig, da es mit dem der übrigen Figuren in den offiziellen Szenen übereinstimmt. Erst wo das offizielle Programm aufhört, entfaltet der Maler seine eigenwillige Schöpferphantasie.

Die Datierung des Petschower Werkes muß in die zweite Hälfte des 14. Jahrhunderts und warscheinlich schon in das letzte Viertel gesetzt werden. Gegenüber Teterow ist eine völlige Stilwandlung eingetreten: Statt des strengen Reliefstils ist hier ein schon mit Tiefenillusion rechnender Stil zu erkennen. Analogien formaler und ikonographischer Art mit Berkenthin in Lauenburg bestimmen uns, das Petschower Werk ebenfalls zwischen 1370 und 1380, wenn nicht noch etwas später, anzusetzen.

Toitenwinkel.

Malerei an Wänden und Gewölbe des Chors. Zyklus des alten und neuen Testaments, Christophorus. Restauriert. Abb. Schlie I (1), S. 327 ff., Tafel S. 334; (2) S. 333 ff., Tafel S. 340/41.

Oberer Wandfries I.
  1. Erschaffung von Erde, Wasser und Gestirnen.
  2. Erschaffung der Tiere und Pflanzen.
  3. Erschaffung Evas.
  4. Sündenfall.
  5. Vertreibung.
  6. Arbeit.
  1. Kains und Abels Opfer.
  2. Brudermord.
  3. Befehl an Noah.
  4. Bau der Arche.
  5. Rückkehr der Taube.
  6. Noahs Trunkenheit.
  7. Abrahams Opfer.
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Unterer Wandfries II.
Toitenwinkel. Unterer Wandfries II.
  1. Verkündigung.
  2. Heimsuchung.
  3. Geburt Christi.
  4. Botschaft an die Hirten.
  5. Die drei Könige vor Herodes.
  6. Anbetung der Könige.
  7. Kindermord.
  8. Flucht nach Ägypten.
  9. Hl. Familie in Ägypten.
  10. Darstellung im Tempel.
  11. Der 12jährige Jesus im Tempel.
  12. Die suchenden Eltern.
  13. Jesus wird heimgeführt.
  1. Versuchung mit den Steinen.
  2. Versuchung auf dem Tempel.
  3. Petri Fischzug.
  4. Der Jüngling von Nain.
  1. Zwei Wappen.
  2. Christus auf dem Meere.
  3. Herr, hilf mir (neu).
Gewölbe.
  1. Einzug in Jerusalem.
  2. Reinigung des Tempels.
  3. Judas Verrat.
  4. Abendmahl.
  5. Christus am Ölberg.
  6. Judaskuß.
  7. Christus vor Pilatus.
  8. Geißelung.
  9. Kreuztragung.
  10. Kreuzigung.
  11. Auferstehung.
  1. Christus im Limbus.
  2. Frauen am Grabe.
  3. Noli me tangere.
  4. Weltgericht, Richter.
  5. a. Auferweckung der Seeligen.
  6. b. Auferweckung der Verdammten.
  7. c. Abführung der Verdammten.
  8. Krönung Marias.

Die Malerei des Chors von Toitenwinkel, das Werk, das die zyklische Malerei in der breitesten Ausdehnung zeigt, ist von den vorher behandelten Stücken am meisten mit Teterow verwandt, das eine ähnlich wohlüberlegte Verteilung auszeichnet; auch in den Einzelszenen nimmt Toitenwinkel vielfach Züge des älteren Werkes auf. Wie in Teterow, ist im Gewölbe die Mittelachse durch formal und inhaltlich hervorragende Szenen betont. Mit Petschow ist als verbindendes Moment die Aufnahme der Zwickelfiguren festzustellen, während im übrigen der stärkste Gegensatz in der Gesamthaltung besteht.

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Mehr noch als die vorher behandelten Malereien fordert Toitenwinkel zu einem Vergleich mit Wienhausen heraus. Das ganze System des niedersächsischen Beispiels ist hier übernommen; Zwei Wandfriese übereinander und Gewölbemalerei. Selbst die großen Nischenfiguren der Nordseite des Nonnenchors von Wienhausen finden hier im Christophorus ihre Parallele. Eine Untersuchung der Einzelformen ergibt, daß eine Reihe von Wienhausener Formen hier frisch rezipiert auftreten, die Geißelung im Charakter des Wienhausener Gegenstücks, beim Sündenfall hier zuerst die Schlange mit Menschenkopf. Der Höllenrachen zeigt hier eine bis ins einzelne gehende Verwandtschaft mit dem Wiesenhausener, die Limbusszene bringt die am Boden liegenden Torflügel, die Opferung Isaaks den auf dem Altar knienden Knaben in lebhafter Übereinstimmung mit dem dortigen Werk. Auch das häufige Hinzutreten von Engeln zu den Szenen ist neu und findet in Wienhausen seine Vorbilder. Es ist also wohl sicher, daß der Maler von Toitenwinkel das niedersächsische Werk kannte. Niedersächsische Züge in den häufig bildrahmenden Architekturen (Braunschweig, Wienhausen) und besonders in der Typenbildung (Anklänge an die niedersächsischen Buchmalereien des 13. Jahrhunderts) vollenden den Eindruck einer hauptsächlich von dort her überlieferten Formenwelt. Hiermit verbindet sich eine merkliche Beeinflussung durch die ebenfalls ganz aus niederfsächsischer Tradition erwachsene frühgotische Fünte der Rostocker Marienkirche, von deren Reliefs die Toitenwinkeler Malerei manche Züge entlehnt.

Eine weitere Quelle des überreichen Szenenschatzes ist, wie deutlich erkennbar wird, die englische Buchmalerei. Der englische St. Omer-Psalter um 1325 31 ) zeigt die Szenen des Baues der Arche, der Trunkenheit Noahs und der Arbeit in ganz ähnlicher Fassung. Da schon das eine Blatt der Handschrift so viele Vergleichspunkte ergibt, so dürfte eine Durchführung des Vergleichs weit mehr Resultate bringen.

Eine dritte Ableitung hat der heute halb verdeckte Christophorus. Er entspricht dem frühgotischen hansischen Idealtyp und berechtigt zu der Annahme, daß wir in ihm die Kopie eines Rostocker Wandbildes des 14. Jahrhunderts zu sehen haben.

Diese Feststellungen fassen indessen nur eine Seite der Toitenwinkeler Malerei. Man muß zugeben, daß hier ein Werk von unvergleichlicher Eigenart geschaffen ist, gegenüber dessen Ein-


31) Abb. Exhibition of illum. Manuscriptes, Burlington fine Arts Club. London 1908.
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druckswucht die gefundenen Anlehnungen ganz bedeutungslos werden. Das Verhältnis der Figuren zur Wand und zum Raum hat sich kompliziert. Es ist nicht mehr, wie noch in Petschow, möglich, mit einem Blick den Raum und seine Malereien aufzunehmen. In Toitenwinkel ist der anfängliche Eindruck der des Chors in seinem räumlichen und farbigen Wohllaut, aber ohne Zusammenhang mit dem Einzelbilde, das in einem Eindruck teppichartiger Farbigkeit und verwirrenden Reichtums untergeht. Jedes Bild verlangt eine Einzelbetrachtung. Harte Zäsuren trennen die Einzelbilder in den Wandfriesen, und der Zyklus am starkbusigen Gewölbe ist von keinem Standpunkt aus zugleich überschaubar, vielmehr verlangt gerade dort die Zerklüftung der Bildebenen und die verschiedene Orientierung der Einzelbilder für das Ablesen der Szenenreihe einen fortwährenden Wechsel des Standpunktes. Statt des noch in Petschow herrschenden abstrakten Raums ist hier überall eine reale Räumlichkeit gegeben, eine flache, begrenzte Bühne, die eine ganz andere Einstellung zu den dargestellten Szenen fordert, als der schwebende, unbestimmte Raum von Petschow.

Eine Vertiefung in die Malerei von Toitenwinkel läßt immer mehr die Überzeugung erstarken, daß wir hier das Werk vor uns haben, mit dem der Schritt vom Mittelalter zu jener Übergangsstufe zur modernen Welt, als welche das 15. Jahrhundert anzusehen ist, gemacht wird. In allen Figuren und Szenen sind wir Zeuge der Emanzipation von der traditionellen Typik, des Einsetzens einer individuellen Auffassung und eines hier noch schüchternen und zaghaften Naturstudiums. Der Kampf herrscht zwischen der Gebundenheit an die mittelalterliche Typik und dem Geltendmachen des neu erwachten Interesses an der umgebenden Sinnenwelt. Wir betreten also in Toitenwinkel die Welt, als deren erster Repräsentant uns Bertram erscheint. Und tatsächlich finden wir in der unsicheren Haltung der Figuren, ihrer noch ungeschickten und gebundenen Gestik, der Gewandbehandlung, die das lineare Gewandschema des 14. Jahrhunderts preisgegeben hat und sich um plastische Rundung und Abstoßung des Schemas bemüht und doch an neuen allgemeingültigen Rezepten Halt sucht, durchaus die Entwicklungsstufe, die das Wirken Bertrams charakterisiert. Für die Wandmalerei in Toitenwinkel ist auch eine ähnliche Fragestellung gegeben: Müssen wir in diesem Werk neben dem bekannten niedersächsischen Grundton und dem soeben festgestellten, mit flandrischen Elementen gespeisten hansichen Einfluß auch süddeutsche vom böhmischen Kunstkreise abhängige Strömungen feststellen? Die Antwort muß angesichts der weicheren und stilleren, die Figur

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plastisch isolierenden Umrißlinien, die die böhmische Malerei auszeichnen, und der für das Ostseeland neuartigen Faltenbildung mit schlichten, fallenden, leicht gekrümmten und streckenweise umgeschlagenen Säumen, endlich angesichts mancher Szenenkompositionen, wie des Kindermordes 32 ), in bejahendem Sinne gegeben werden. Wir befinden uns in der Zeit des wachsenden Austausches der Schuleigentümlichkeiten und daraus folgender Bildung eines allgemeinen Zeitstils, der die Grundlage für die malerischen Eroberungen des 15. Jahrhunderts bildet.

Charakteristisch für die neue beobachtende Einstellung ist der Vergleich der Rundbilder der Schöpfung mit denen von Teterow. Dort herrscht heraldische Abstraktion, hier ist ein Ausschnitt aus der Wirklichkeit, wie durch ein rundes Fernrohr gesehen. Das Verlangen, die heilige Geschichte menschlicher und mit dem Gefühl zu erfassen, führt zur Einschiebung von genreartigen Zügen, ja zu reinen Genreszenen, wie der idyllischen Familienszene im Garten Wie nach der Seite des Lieblichen, so wird auch nach der Seite des Schrecklichen eine neue Eindringlichkeit bemerkt. Die Passion Christi ist mit Mitleid erregenden Zügen ausgestattet, wie die Szene des Ölbergs und das Motiv des schlagenden Kriegsknechtes, dagegen gewinnt das Weltgericht eine schreckenerregende Realität durch die Schilderung der Auferweckung der Toten, die der Zeitsitte entsprechend in weiße Totengewänder gehüllt sind, durch Engel und Teufel.

Toitenwinkel ist also das erste hochwertige Werk im Sinne einer neuen Art, die Welt zu sehen. Da wir es mit der Stilstufe des Grabower Altars unmittelbar verbinden können und die Malerei einen durchaus fortschrittlichen Eindruck macht, so ist im Zusammenhang mit den kostümlichen Merkmalen eine Datierung zwischen 1380 und 1400, wahrscheinlich schon um die Jahrhundertwende herum, zu vertreten. Die Wappen der Michaelsdorf und Moltke, letzteres sicher gleichzeitig mit der Malerei, ergeben keinen bestimmten Zeitpunkt, ebensowenig das (nach Schlie) Woldesche Wappen im unteren Fries der Südseite.

Rostock, Rathaus.

Weltgericht in einer Bogennische der Rathausvorderwand. Durch beweglichen Klapprahmen verdeckt. Stellenweise beschädigt, nicht restauriert. Abb. Denkmalspflege 15, Seite 91.

Der Weltrichter auf dem Regenbogen in der Mandorla mit ausgebreiteten Unterarmen und zwei Schwertern am Munde


32) Vgl. die bayrische Tafel Burger Abb 233 und die Nürnberger Tafel Burger Abb. 356.
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nimmt die Mitte des Bildes ein. Die Mandorla wird von vier Engeln gestützt, von denen zwei die Leidenswerkzeuge halten. Maria und Johannes knien beiderseits des Richters als Fürbitter mit ausgestrecken Unterarmen. Zwischen ihnen erscheinen noch zwei kleinere Figuren (nur eine ganz erkennbar), Opfer oder Gaben darbringend.

Das Weltrichterbild am Rathause ist das einzige Werk der Wandmalerei des 14. Jahrhunderts, das in Rostock erhalten ist, das einzige solche Werk des ganzen Landes an einem Profanbau. Durch seinen guten Erhaltungszustand und seine recht hohe Qualität ist es ein wichtiges Denkmal der heimischen Wandmalerei.

Die Darstellung des Weltgerichts war im Mittelalter an dieser Stelle, in der Rückwand der Gerichtslaube, angebracht, sehr verbreitet. Ein spätgotisches Weltgericht in ähnlichem Bogenfelde enthält das Rathaus zu Prenzlau.

Der Charakter des Rostocker Bildes in seiner ruhigen Monumentalität schließt sich an die Frühwerke der hansischen Wandmalerei an, steht dagegen den vielbilderig-redseligen Malereien der Landkirchen fern. Mit den Lübecker Malereien stimmt der blaue Grund und die reiche Verwendung von Gold (an Nimben und Gewandsäumen) und Silber (an den Schwertklingen) überein. Wie schon die genannten Eigenschaften an die Lettnermalerei der Lübecker Heiligengeistkirche erinnern, so auch die Rundung der Konturen und der plastisch klare Gewandstil mit weichgerundeten Säumen und halbweiten Ärmeln. Kopf und Schultern des Weltrichters in Rostock und des Auferstehenden und des Weltrichters am Lübecker Lettner zeigen denselben gerundeten Umriß, das schlicht gescheitelte Haar ist dort ähnlich wie hier.

Das Rostocker Werk ist um mehrere Jahrzehnte jünger als das Lübecker und zeigt das Eindringen neuer Formen, deren Ausgangspunkt wahrscheinlich im Westen, in Flandern und Nordfrankreich, zu suchen ist. Es sind elegante, leichtflüssige Linien und Formen und ein Ausdruck von zarter Hingabe in den gerundeten, sich leise neigenden Köpfen; ebenso ist die starre Monumentalität der Hauptfigur den westlichen Vorbildern durchaus eigentümlich. Auf westlichen Import läßt auch die ganze Anordnung des gemalten Bogenfeldes, das wie das Tympanon eines französischen Portals behandelt ist, schließen. Dagegen ist die Frage nach böhmischem Einfluß nicht so unbedingt zu bejahen.Von den Einflüssen des deutschen Binnenlandes scheint dieses Werk doch ziemisch unberührt, und die sicherlich vorhandene Einwirkung des italienischen Trecento, die ruhige, abgeschlossene Körperlichkeit der

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Figuren, die auf eine böhmische Beeinflussung gedeutet werden könnte, ist auch durch die flandrische Kunst erklärbar. Für den Westen spricht die kühle Eleganz und formale Sicherheit, ferner die Isoliertheit des Werkes gegenüber dem Festlande, dagegen die leichte Anknüpfungsmöglichkeit an die mit dem Westen in dauernder Verbindung bleibende lübische Kunst.

Die ikonographische Deutung der beiden Figuren zwischen den Knienden der Deesis und dem unteren Engelpaar wird nur durch Aufdeckung uns unbekannter Gegenstücke möglich sein. Es sind stehende Figuren, von denen die deutlich erkennbare links keinen Nimbus trägt und männlich ist. Sie weist mit der rechten Hand auf ein schreinartiges goldenes Kästchen, das vor ihr auf einem braunen Block oder Altar steht. Unentschieden bleibt, ob es sich hier um eine Stifterdarstellung handelt, oder ob biblische Gestalten in opfernder oder darbringender Handlung dargestellt sind.

Die Vereinzelung des Stückes erschwert die Datierung. Die Faltengebung folgt nicht mehr dem linearen Schema des 14. Jahrhunderts, sondern geht mit linearen Mitteln auf plastische Herausarbeitung der Formen aus. Ebensowenig ist aber von irgendwelcher malerischen Erweichung eine Andeutung vorhanden. Zwar kann ein Vergleich mit Petschow und Toitenwinkel wegen der völligen Zusammenhanglosigkeit kaum unternommen werden, doch scheint das Werk in der Stilstufe eher dem letzteren Stück zu entsprechen, und es darf mit Wahrscheinlichkeit auch für das Rostocker Weltgericht eine Entstehung zwischen 1380 und 1400 angenommen werden.

Boitin.

Malerei der Wände. Passionsszenen, Weltgericht und aufgereihte Einzelfiguren. Restauriert. Abb. S. 319-320 u. Schlie IV, S. 130/131.

Wandfries.
  1. Abendmahl.
  2. Ölberg.
  3. Judaskuß.
  4. Christus vor Pilatus.
  5. Geißelung.
  6. Kreuztragung.
  7. Kreuzigung.
  8. Kreuzabnahme.
  9. Grablegung.
  10. Auferstehung.
  11. Frauen am Grabe.
  12. Christus im Limbus.
  1. Noli me tangere.
  2. Der ungläubige Thomas.
  3. Himmelfahrt.
  4. Krönung Marias.
  5. Anbetung Christi durch Maria und Anna.
  6. Weibliche Heilige.
  7. Undeutliche Szene.
  8. Sechs stehende Heilige.
  9. Sechs stehende Heilige.
  10. Fünf Engel.
  11. Sechs Selige.
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Boitin. Wandfries.
  1. Zwei Engel mit Leidenswerkzeugen.
  2. Die Hölle.
  3. Die Apostel.
  4. Die Evangelisten.
Bilder außerhalb des Frieses.
  1. Christus als Weltrichter.
  2. Maria und Johannes.
  3. Zwei posaunenblasende Engel.
  4. Das Meßopfer.
  5. Drei Heilige.
  6. Heiliger Bischof.
  7. Christophorus.

In Boitin ist alles anders als bei den vorherigen Fällen. Der Raum stellt einen neuen Typ dar mit seiner beruhigten Weite und seinen quadratischen Gewölbejochen. Die Malerei weicht ebenfalls in der Anordnung von der Tradition aufs schroffste ab. Das Gewölbe, bisher vornehmlich das Feld für die malerische Ausschmückung, ist vollständig leer, dagegen sind die Wände nun der Schauplatz der erzählenden Malerei geworden. Die in Toitenwinkel zuerst auftretende Friesanordnung ist hier zum beherrschenden Motiv geworden. Es ist ein rationalistischer Geist, der aus der veränderten Anordnung spricht. Mit nüchterner Klarheit reihen sich die Szenen im Friese aneinander, möglichst vermieden ist das malerische Flimmern der Gewölbemalerei zugunsten eines klaren und ruhigen Eindrucks. Neben dem Wandfries ist die stärkste formale Neuerung das die Westwand füllende monumentale Weltgericht.

Nicht in der Anordnung, aber im Stoffkreis und in der Durchführung der einzelnen Figuren und Szenen erweist sich Boitin dennoch als Glied der ostmecklenburgischen Reihe, und zwar zeigt es engeren Anschluß an Petschow als an Toitenwinkel. Die Isoliertheit der Figuren von allem Beiwerk wie auch die Steifheit und Herbe der Form ist dem Petschower Stil verwandter als den in Toitenwinkel herrschenden rundlichen Formen. Mit Petschow stimmt die Szenenauswahl am besten überein, wie auch die Einzelfiguren mit den dortigen Zwickelfiguren Ähnlichkeiten zeigen.

Ein Wandel in der Bildauffassung ist gegen die vorigen Werke festzustellen. Der Boitiner Maler beherrscht die reale perspektivische Darstellung, aber er stellt sie nicht mehr mit der naiven Freude

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zur Schau, wie der Meister von Toitenwinkel, sondern neigt im Gegenteil dazu, möglichst nüchtern und einfach zu zeichnen und den neugewonnenen Reichtum auf wenige Formeln zu beschränken. So ist die Zeichnung der Grabkisten und Thronbänke von geradezu öder Nüchternheit; die Umrißlinien sind mit dem Lineal gezogen und bei einer Folge von mehreren Grabszenen laufen die wagerechten Linien einfach durch. (Vgl. dagegen Auferstehung und Frauen am Grabe in Petschow.) Als positiver Fortschritt gegenüber dieser Erstarrung muß die im modernen Sinne richtige Gruppierung, die Eroberung der einheitlich perspektivischen Bildauffassung betont werden. Man bemerkt den Konflikt, der aus der Beherrschung räumlicher Illusionsmittel und der flächig dekorativen Aufgabe erwächst. Mit Gewalt hat der Maler sich oft, beim Weltgericht z. B., in den abstrakten Flächenstil der früheren Zeit zurückzuzwingen versucht. Die stehenden Einzelfiguren, die in langen Reihen nebeneinandergestellt etwa die Hälfte der Malerei bestreiten, zeigen ebenfalls ein starres, vereinfachtes Schema, das all die Reize des linearen Stils vermissen läßt, dagegen auf plastische Isolierung und Abrundung der Gestalten ausgeht.

Der Schritt von der Abstraktion zum Naturalismus, den Boitin so stark erkennen läßt, steht im Zusammenhang mit der Kenntnis italienischer Trecentomalerei. Das Abendmahl als Tafelrunde mit den Rückenfiguren vorn erinnert lebhaft an die gleiche Darstellung Giottos in der Arenakapelle. Weitere Züge der italienischen Malerei enthalten auch die anderen Passionsbilder. Damit wird für Boitin nichts Besonderes ausgesagt, denn am Ende des 14. Jahrhunderts überläuft die italienische Welle ganz Deutschland; wichtig werden aber einige Zeichen des Zusammenhangs mit Süddeutschland, die den Weg dieser Stilwandlung angeben. Die Kreuztragung, bei der das lange Ende des Kreuzes hinten nachschleppt, und die Kreuzigung mit der sehr ruhigen und gehaltenen Christusgestalt und der ungewöhnlichen Handhaltung des Johannes scheinen dafür zu sprechen, daß ein Zusammenhang mit dem süddeutsch-böhmischen Kunstkreise besteht. Die Vermittlung übernimmt wieder einmal das niedersächsische Gebiet, in das um 1400 italienische und flandrisch-burgundische Formen (letztere von der Soester Schule her) eindringen. Das Boitiner Werk zeigt bei einer Untersuchung der Einzelformen seine Zugehörigkeit zu dieser neu erblühenden westfälisch-niedersächsischen Malerei. Das lehrt auch ein Vergleich der weiblichen Heiligenfiguren der Südseite mit Heiligengestalten des Niederwildunger Altars 33 ).


33) Heise, Tafel XIII.
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Das Weltgericht entspricht seinem Standpunkt an der Westwand nach italienischer Gewohnheit; auch hier scheint sich die vom Süden herkommende Strömung zu zeigen. In seinen Einzelformen überwiegen aber Züge der hansischen Monumentalmalerei, ein Vergleich des Weltrichters mit dem auferstehenden Christus in der Stralsunder Nikolaikirche oder mit den frühen lübischen Werken zeigt den gleicken Charakter. Die Deesisfiguren, schon lange an der Küste heimisch (Fünte der Marienkirche in Wismar), zeigen, im Gegensatz z. B. zu dem Rostocker Weltgericht, den modernen Realismus in ihrer naturwahr beobachteten Haltung. Das Fellkleid des Johannes ist einer der naturalistischen Züge, die mit dieser Stilwelle in die Darstellung eindringen. Die Engel mit langen Posaunen und den ausgebogenen Flügelenden erscheinen uns nicht fremd, sie stehen denen des Lettners der Lübecker Heiligengeistkirche nahe trotz des dazwischenliegenden halben Jahrhunderts.

Eine ganz neue Szene ist die anschaulich lehrhafte Darstellung des Meßopfers mit den als Halbfiguren, die aus Flammen emportauchen, gebildeten, den Priester umschwärmenden armen Seelen. Die Darstellung der Messe ist in Westdeutschland (Köln, Clarenaltar) und im Hennegau (Antependium aus Lüttich im Brüsseler Museum) verbreitet. Sie begegnete uns schon im Kreuzgang des Ratzeburger Doms. Aber neu und ohne bekannte Parallele ist die zur größeren Eindringlichkeit hinzugefügte Darstellung der Seelen.

Der Darstellungskreis der Boitiner Malerei ist uns mit Ausnahme einiger Seltsamkeiten, die bei der Macht des hereinbrechenden Neuen nicht Wunder nehmen, ziemlich vertraut. Nur für die lange paradierende Reihe von Heiligengestalten, die die westliche Hälfte des Frieses füllt, können wir die zugrunde liegenden Vorbilder nicht bestimmen, vermuten sie aber im böhmisch-süddeutschen Kunstkreise 34 ). Boitin ist das erste Beispiel dieser im 15. Jahrhundert dann häufigeren Aufreihung von heiligen Standfiguren in unserem Gebiet. Formal zeigen sich auch diese Teile von Niedersachsen abhängig. Anklänge an die aufgereihten Cherubim bei der Weltgerichtsdarstellung in Wienhausen möchten die fünf steif dastehenden Engel in der Südwestecke des Frieses erwecken. Sie, wie die anschließende Reihe von Heiligen, die, enger gereiht, sich mit einer Schulter gegenseitig überschneiden, gehören als Darstellung der Seligen zum Weltgericht. Hier sind die einzelnen nicht alle durch Attribute individualisiert, sondern es folgen zwei Bischöfe,


34) Ähnlich in der Anordnung des Stoffes ist auch die Malerei der Marienkapelle des Deutschordensschlosses Marienburg.
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ein König, eine weibliche und zwei männliche Heilige, deren letzter einen Kelch trägt. In der Mitte unter dem Weltrichter folgen dann die beiden Engel mit den Leidenswerkzeugen, während die ganze rechte Seite des Frieses der Westwand die Höllendarstellung einnimmt. Die starre Ruhe und Steifheit der Gestalten der Seligen, dazu die frühe Mitrenform der Bischöfe läßt scheinbar das Bestreben erkennen, sich alten, strengeren Vorbildern anzupassen, eine Vermutung, die auch durch die Steife, den Miniaturen des 13. Jahrhunderts entsprechende Siegesfahne Christi gestützt wird. Das Höllenbild ist eine Nachahmung der Petschower Höllendarstellung, bewegter und naturalistischer, hat es dennoch nicht die Wirkung des naiveren Vorbildes. Der Christophorus überführt die sonst lebhaft bewegte Gestalt in ein bewegungslos starres Schema, wie die übrigen Einzelfiguren, mit denen er sich nach Kleidung und Barttracht völlig identifiziert.

So steht Boitin vor uns als ein Werk von bestimmtester Eigenart, handwerklich steif und ärmlich in der Ausführung, aber für die Erkenntnis der um die Wende des 14. Jahrhunderts einsetzenden Stilwandlung sehr wertvoll und auch packend in seiner Gesamtwirkung. Die Datierung muß wohl schon in den Anfang des 15. Jahrhunderts gesetzt werden, in zeitlicher Nähe des Hauptwerks der neuen Malerei, des Niederwildunger Altars von 1404. Der Boitiner Stil ist aber gegenüber jenem Werk so rückständig, daß eine direkte Einwirkung der Schule Konrads, die eine spätere Datierung verlangen würde, nicht angenommen zu werden braucht. Wir möchten die Boitiner Malerei zwischen 1400 und 1420 ansetzen.

Retschow.

Malerei nur der Wände, nicht des Gewölbes. Bilder aus dem Leben Marias, Weltgericht, Einzelfiguren. Restauriert. Abb. S. 317-318.

Retschow. Malerei nur der Wände, nicht des Gewölbes. Bilder aus dem Leben Marias, Weltgericht, Einzelfiguren.
  1. Szenen aus dem Marienleben:
    Obere Reihe: Krönung Marias zwischen vier Engeln.
    Mittlere Reihe: Links Darstellung im Tempel, in der Mitte Tod Marias, rechts der 12jährige Jesus im Tempel.
    Untere Reihe: Geburt Christi und Anbetung der Hirten.
  1. Weltgericht.
    Oben: Christus in der Mandorla, rechts ein Engel mit Kreuz und Dornenkrone.
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Unten: links der Erzengel Michael mit den Seligen, rechts derTeufel mit den Verdammten.

  1. Oben: Fünf Propheten. Unten: Die Abschleppung der Verdammten in die Hölle.
  1. bis 9. Einzelbilder um den polygonalen Chorabschluß.
  1. St. Michael, den Drachen tötend.
  2. Laurentius.
  3. Johannes der Täufer.
  4. Heiliger Bischof.
  5. Stephanus.
  6. Katharina.
  7. Christophorus.
  8. Männliche und weibliche Standfigur.
  9. Heiliger Bischof mit Kelch.
  10. Verkündigung Marias.
  11. Sündenfall.
  12. St. Martin und der Bettler.
  13. Weibliche Heilige. + Weihekreuze.

Die Malerei von Retschow leitet von dem Toitenwinkeler Werk zu denen von Boitin und Lichtenhagen über, sie zeigt sich besonders mit Toitenwinkel und Lichtenhagen eng verwandt und bildet mit diesen eine engere Gruppe. In der Anordnung führt Retschow zugleich mit Boitin eine durchgreifende Änderung herbei, in der die Malereien nur an den Wänden, nicht an den Gewölbefeldern stehen. Retschow ist hierbei das vermittelnde Werk. Wir bemerken ein noch tastendes Versuchen in der Neugestaltung der Innenraumausmalung, doch auch zugleich energisches Fortschreiten Ein einheitlicher Fries ist hier nicht durchgeführt, vielmehr herrscht eine gewisse sprunghafte Lebendigkeit in der Verteilung der Bilder, die mit roten Linien gerahmt, zum Teil eine stark isolierende Tendenz zeigen.

An Toitenwinkel erinnert eine Anzahl von Zügen dieser Malerei: Die beiden Wände des östlichen Joches unmittelbar vor dem Chorabschluß zeigen eine streifenförmige Anordnung in mehreren Bändern übereinander, sie erinnern an die beiden Toitenwinkeler Friese auch durch die Gruppierung und Gestaltung der einzelnen Szenen. So wird man die Darstellung im Tempel mit dem auf dem Altar stehenden Kinde und der gleichen, etwas steifen Nebeneinanderstellung der Figuren und die Szene des 12jährigen Jesus unter den gestikulierenden Schriftgelehrten mit dem überrascht herzukommenden Elternpaar in die nächste Abhängigkeit von Toitenwinkel rücken. Die in Retschow häufigen Kleeblatt-

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bögen mit Fialen und Wimpergen, die beide Tempelszenen bekrönen und die Szenerie des Tempels andeuten, können wir in Toitenwinkel in der architektonischen Umrahmung der Tempelreinigungsszene vorgebildet finden, ähnlicher noch sind die Architekturandeutungen in Lichtenhagen, wo auch die krabbenbesetzten Wimperge genau wiederkehren. Die Szene des Todes Mariä weicht gegenüber der der Lettnermalerei in Lübeck darin ab, daß nicht mehr Christus mit der Seele im Arm hinter dem Bett steht, sondern diese von Engeln begleitet emporschwebt und nur noch die Füße und der Saum des Kleides unter dem Bildrande erscheinen läßt, also in der Art gefaßt ist, wie früher nur die Auferstehung Christi geschildert wurde. Wir stehen im 15. Jahrhundert, das der Maria die gleichen Ehren zubilligt wie Christus selbst. Die Anbetung der Hirten in der unteren Reihe zeigt in der Darstellung der auf dem Felde gelagerten Schafe Ähnlichkeit mit Toitenwinkel. Das Gebäude, das den Stall versinnbildlicht, ist mit den trennenden Architekturen der Toitenwinkeler Friese verwandt. Die Hirtengruppe dagegen erinnert mehr an Lichtenhagen. Die vor dem am Boden liegenden Kinde kniende Maria gehört der um 1400 einsetzenden ikonographischen Wandlung an, die, von Nordfrankreich und Flandern ausgehend, sich in der böhmischen Malerei wie am Rhein ausbreitet 35 ). Die Darstellung des Marienlebens wird beherrscht von der Gruppe der Marienkrönung. Auch sie weckt lebhaft die Erinnerung an das Gegenstück in Toitenwinkel. Die auf einer Stufe sich erhebende Thronbank und die Gesamtauffassung der Gruppe ist gleichartig, selbst die ungewöhnliche Kronenform entspricht sich bei beiden Stücken. Aber die Gruppe in Retschow ist freier und körperlicher empfunden, die Bank hat Rücken- und Armlehnen in überzeugender Perspektive und entspricht einem wirklichen zeitgenössischen Schreinerwerk. Die die Szenen flankierenden Engelsgestalten erinnern an die ähnliche Verwendung von Engeln in Toitenwinkel, entsprechen aber in der Stilstufe schon eher denen von Lichtenhagen durch die aufgerichtete Flügelhaltung. Die Verwendung wagerecht fliegender Engel ist gemeinsam mit Boitin, wo sie zu den neuen Erscheinungen gehören, die aus der Bekanntschaft mit der italienischen Trecentokunst erwachsen sind. Auch Retschow hat den Hauch dieser Strömung verspürt, wie die räumliche Erscheinung der Marienkrönung beweist.

Dem der Marienverehrung gewidmeten Wandfelde stehen auf der Nordseite das Weltgericht und die Abschleppung der Verdammten in die Hölle gegenüber. Der Weltrichter in der Mandorla


35) Burger I, Abb. 157, 158; II, Tafel 25.
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schließt sich in der Gesamthaltung dem Toitenwinkeler Bilde an, geht aber ebenfalls über ihn hinaus. Das Retschower Bild ist mächtiger, zugleich in der körperlichen Erscheinung wie im Ausdruck. Wie schmächtig erscheint die Geste der Ausbreitung der Arme in Toitenwinkel im Vergleich zu dem Retschower Bilde. Im selben Verhältnis stehen die fünf Propheten mit Schriftbändern über der Höllenszene zu der Prophetenfigur in dem einen Zwickelfelde von Toitenwinkel trotz engster Abhängigkeit von ihr. Die Reihe der Seligen und der Verdammten unter dem Weltrichter teilen mit den Boitiner Seligen die gegenseitige Überschneidung mit einer Schulter ebenso wie ihre friesartige Aufreihung unter dem beherrschenden Bilde des Richters im Bogenfelde. Auch die steife Fahne an dem Kreuzstabe ist ähnlich Boitin. Selige und Verdammte erscheinen voll bekleidet, es sind merkwürdigerweise nur Kleriker und Frauen. Anders als das noch der alten Typik folgende Toitenwinkeler Werk schildert die Retschower Malerei die Abschleppung der Verdammten in die Hölle. Einzeln werden die Sünder von Teufeln gepackt und unter Sträuben in den geöffneten Rachen geschleppt. Die Lebendigkeit der Bewegungsmotive ist zur höchsten Dramatik gesteigert. Mit diesem Bilde sind am ersten die Petschower und Boitiner Höllenbilder zu vergleichen. Auch hier scheint die italienische Trecentomalerei nicht ohne Einfluß gewesen zu sein. Bei der links stehenden Menschengruppe, den durch die Luft sausenden Teufel mit den sich sträubenden nackten Menschen und besonders bei der Gruppe des um eine Seele kämpfenden Engels und Teufels drängt sich der Gedanke an den Triumph des Todes im Pisaner Camposanto unwillkürlich auf, wenn auch eine nur sehr mittelbare Beziehung bestehen kann. Die lehrhafte Darstellung der drei betenden Angehörigen, auf deren Bitte hin ein Engel eine Seele rettet, bildet thematisch ein Gegenstück zu dem Meßopfer in Boitin. Die Teufel sind von ähnlicher Gestalt wie in Toitenwinkel.

Außer diesen drei mit größeren Kompositionen gefüllten Wandflächen besteht die Malerei sozusagen aus einzelnen Tafelbildern, die in einheitlicher Anordnung der Flächen zwischen den Fenstern ausfüllen, jedes Bild für sich mit roten Linien umrahmt. Die Einzelgestalten sind in der für den Anfang des 15. Jahrhunderts charakteristischen, etwas hintenübergebogenen, gespreizten und eleganten Pose gegeben, wie sie auch auf Tafelmalereien der Zeit erscheinen. Inhaltlich setzen sie die Zwickelfiguren von Petschow und Toitenwinkel fort. Auch der Christophorus und der drachentötende Erzengel Michael, beides alte niedersächsische und

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seit dem Einzug der Gotik in Mecklenburg heimische Darstellungen, passen sich den neuen weicheren Formen willig an.

Ikonographisch bleibt das Bild 11 der Südwand unklar, zwei stehende Gestalten, links ein bärtiger Mann mit Hut, geteiltfarbigem Rock, knöchellangem Unterkleid und kurzem Mantel, einen Stock in der Hand; rechts eine Frau in der Idealtracht der Heiligen, beide ohne Nimbus. Ob hier ein Erinnerungsbild an ein Stifterpaar oder biblische Gestalten zu erkennen sind (gegen Ioachim und Anna spricht das Fehlen der Nimben; es müßten schon Gestalten des alten Bundes sein), ist mangels vergleichbarer Analogien heute nicht zu bestimmen. In der genauen Ähnlichkeit der Frau mit der Magdalena des Noli me tangere in Toitenwinkel liegt ein weiterer Beweis des engen Zusammenhangs beider Stücke.

Die beiden Szenen der Westwand, Verkündigung und Sündenfall, fußen auf der Fassung, die sie in Toitenwinkel zeigen, sind aber in der Gestaltung fortgeschritten. Noch ähnlich steif stehen bei der Verkündigung die beiden Figuren einander gegenüber, aber abgerundeter ist die Szene geworden; die Lilie in der Hand des Engels und die besser empfundene Bewegung der Gestalten leitet zu einer neuen, mit feinerem Gefühl diese Szene darstellenden Kunststufe über. Noch deutlicher ist bei dem Sündenfallbild in seiner strengen Symmetrie beiderseits des noch gerade so schematisch gegebenen Baums die Abhängigkeit festzustellen. Das Bild des heiligen Martin mit dem Bettler erinnert an das Boitiner Gegenstück, ist aber viel feiner in der Ausführung. Dasselbe ist von dem gegenüberstehenden heiligen Bischof mit von Blut überströmendem Kelch, wahrscheinlich St. Gregor, zu sagen, demgegenüber die Boitiner Bischöfe steif und roh wirken. Das Retschower Bild hat eine genaue stilistische Parallele in einer Wandmalerei der Marienkirche in Wismar 36 ). Mit Toitenwinkel zeigt die kompositionelle Behandlung der Westwand eine Analogie. Wie in Retschow das Verkündigungs- und das Sündenfallbild, im Viereck gerahmt, auf der Süd- und Nordseite der Wand sich entsprechen, so stehen dort an der Ostwand zwei viereckige Felder mit Wappen und Helmzier der Ritter von Moltke in gleicher Symmetrie in der sonst leeren Wandfläche.


36) Am Mittelpfeiler der Öffnung zur Nordvorhalle stehen dort die Standfiguren der heiligen Katharina und Gertrud, des Schmerzenmannes und, ihm gegenüber an der Westwand der Vorhalle, der kreuztragende Christus. Die beiden weiblichen Heiligen stimmen mit dem Retschower Gregor in Haltung und Faltenstil überein.
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Eine ganz eigenartige Erscheinung ist die Gestaltung der Weihekreuze als kleine rechteckige Rahmenbilder des Gekreuzigten, über denen sich jedesmal in einem Rundbild die Halbfigur eines Apostels befindet (auch hierfür ergeben sich in der Marienkirche zu Wismar Analogien). Die Kreuzigungsbilder lehnen sich noch stark an das eckig gebrochene Schema des 14. Jahrhunderts an, aber diesen kleinen Andachtsbildern haftet ein den frühen Werken fehlender Zug zum Sentimentalen an, der durch die Betonung des aus den Wunden spritzenden Blutes besonders verstärkt wird.

Da das Retschower Werk mit Toitenwinkel so starke Ähnlichkeiten aufweist und nur den Stil etwas fortgeschritten zeigt, so ist es nicht zu kühn, die Vermutung auszusprechen, es möchte ein etwas späteres Werk desselben Malers sein. Zeitlich möchten wir die Retschower Malerei mit der von Boitin etwa gleichsetzen, von der sie aber stilistisch weit erntfernt ist. Zu der etwas späteren Lichtenhäger Malerei dagegen bildet sie eine Brücke. Der Charakter weist ziemlich deutlich, auch durch die Analogie mit der wismarschen Malerei bestätigt, in die Zeit um 1410.

Lichtenhagen.

Chorgewölbe und Triumphbogenleibung. Zyklus des alten und neuen Testaments, kluge und törichte Jungfrauen. Restauriert. Abbildung Schlie III, Seite 703, 704.

Lichtenhagen. Chorgewölbe und Triumphbogenleibung. Zyklus des alten und neuen Testaments, kluge und törichte Jungfrauen.
  1. Erschaffung der Gestirne, der Erde und des Meeres.
  2. Erschaffung der Pflanzen und Tiere.
  3. Erschaffung Adams.
  4. Erschaffung Evas.
  5. Verbot des Baums.
  6. Sündenfall.
  7. Vertreibung.
  8. Verkündigung.
  9. Heimsuchung.
  10. Anbetung der Hirten.
  11. Anbetung der Könige.
  12. Darstellung im Tempel.
  13. Kindermord
  1. Flucht nach Ägypten.
  2. Der zwölfjährige Jesus im Tempel.
  3. Versuchung mit den Steinen.
  1. Versuchung auf dem Tempel.
  2. Versuchung auf dem Berge.
  3. Taufe Christi.
  4. Die Tochter des Jairus.
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  1. Einzug in Jerusalem.
  2. Judaskuß.
  3. Christus vor Pilatus.
  4. Geißelung.
  5. Kreuztragung.
  6. Kreuzigung.
  7. Grablegung.
  1. Auferstehung.
  2. Christus im Limbus.
  3. Himmelfahrt.
  4. Weltrichter.
  5. a. Die Seligen.
  6. b. Die Verdammten.
  7. Gnadenstuhl.

In den Zwickeln Aposteln und Heilige.

Die Malerei von Lichtenhagen, die sich auf Chorgewölbe und Chorbogenleibung beschränkt, steht unter dem unmittelbaren Einfluß eines Vorbildes: Toitenwinkel. Die Szenenfolge und die Gestaltung im einzelnen enthält zahlreiche Züge, die die Abhängigkeit beweisen, manchmal auch Umwandlungen, wie bei der Pilatusszene, wo ein struppiger Teufel an Stelle des federgeschmückten Dieners dem Pilatus seinen Rat ins Ohr flüstert.

Der Stoffkreis enthält an neuen Typen den Gnadenstuhl, der im Anfang des 15. Jahrhunderts häufiger und populärer wird, aber auch vorher anzutreffen ist (Lübeck, Jakobikirche; Petschow); und die klugen und törichten Jungfrauen an der nördlichen Triumphbogenleibung. Letzterer Stoff ist in dieser Form zum erstenmal hier anzutreffen, die eindringlich-realistische Darstellung der törichten Jungfrauen vor der verschlossenen Pforte, darunter die von Christus in der geöffneten Pforte empfangenen klugen, hat in der Malerei Mecklenburgs keine nähere Parallele. Daß die Anregung des Stoffes von dem nahen Doberan (siehe I. Teil) ausgegangen ist, darf bei der Vereinzelung dieses Themas im Lande angenommen werden. Noch einmal ist es in Parkentin, also in demselben engeren Umkreis Doberans, anzutreffen. Bei dem Bilde in Lichtenhagen erinnern die beiden Züge der Jungfrauen an die ähnlich aufmarschierenden Züge der Verdammten in Petschow und der Seligen und Verdammten in Retschow.

Die Anordnung der Gewölbemalerei geht von der Zerrissenheit Toitenwinkels wieder auf die zusammenhängendere, leichter überschaubare Form Teterows zurück. Doch besteht zwischen dem streng flächenbetonten, tektonisch aufgebauten Teterower Werk und Lichtenhagen ein bedeutender Unterschied. Hier ist ein elastischer, nach unten unbestimmt sich verlierender Bodenstreifen, der Hügel und Täler bildet und manche Deformation erträgt, an Stelle des starren Ringes von Teterow getreten und statt der reliefartig streng der Fläche eingepaßten Figuren dort treten hier sorglos aneinandergereihte Szenen auf, teils schwerer, teils leichter von Gewicht; Bäume und Architekturen sind eingestreut, ohne daß die

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teppichartige bunte Gewölbefläche dadurch aus dem Gleichgewicht kommt. Das Mittel, das solche Sorglosigkeit im einzelnen erlaubt, ist das rote wuchernde Rankenwerk, das alle freibleibenden Stellen ausfüllt. Es bewirkt zusammen mit der oft in die Tiefe gestaffelten Anordnung der Figuren und der lockeren Boden- und Landschaftsandeutung, daß die Szenen wie von weicher Luft umspielt erscheinen und so zu der mathematisch begrenzten Räumlichkeit der Toitenwinkeler Bilder in lebhaften Gegensatz treten. Daß manche strengeren Elemente von Toitenwinkel her übernommen sind, zeigt die Betonung der Mittelachse durch stärkere Akzente und die Steifen, den dortigen Gegenstücken entsprechenden Zwickelfiguren, die aber hier auch das Rankenwerk umspinnt.

Die figürlichen Darstellungen sind freier und unmittelbarer sinnlich erfaßt als bisher. Neue Gruppierungen und Bewegungen brechen die Gebundenheit der vorigen Zeit, ein wohliges Dehnen im Raum wie in der körperlichen Bewegung ist überall zu bemerken. Die Auffassung ist aus der mittelalterlichen Idealität ins Naturalistische verwandelt. Die Kreuzigung bricht mit dem überkommenen Schema völlig und setzt die Szene in die Realität um; die Limbusszene erscheint der abstrakten Symbolik entkleidet und versucht, auch diese Situation realistisch glaubhaft zu machen.

Das Vorhandensein italienisch-süddeutscher Elemente ist kaum nötig zu erwähnen, ihr Eindringen erklärt ja die umstürzende Revolution in der Darstellungsweise. Das Mantelmotiv des Judaskusses erinnert an Giottos Bild in der Arenakapelle, der Einzug in Jerusalem mit den ruhig schreitenden Gestalten der drei Jünger, die Darstellung der Taufe Christi mit der hier schon natürlichen Bildung des Wassers und dem Johannes mit Fellkleid und Kreuzstab, das nackte, seitlich sitzende Kind auf Marias Schoß bei der Anbetung der Hirten lassen keinen Zweifel an der Durchdringung dieser Kunst mit den Errungenschaften der italienischen Trecentomalerei. Zu den in den ersten Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts sich von Süddeutschland her ausbreitenden Formen gehört die Lage des Kreuzes bei der Kreuztragung mit dem langen Ende nach hinten. Eine weitere Errungenschaft ist das Komponieren mit Massen statt mit Einzelfiguren. Wir sehen hier häufig die Figuren zu geschlossenen Massen, oft nach der Tiefe gestaffelt, zusammengefaßt und der Einzelfigur gegenübergestellt. Auch diese Erscheinung ist von Italien her über die böhmisch-süddeutsche Malerei dem Norden vermittelt worden.

In Lichtenhagen erhebt sich die Frage angesichts des naturalistischen Fanatismus, des beginnenden Überwucherns profaner

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Züge, ob von niederländischer Beeinflussung die Rede sein kann. Die Kreuzigungsszene, das Weltgericht, die Anbetung der Hirten, diese auffallend veränderten und verdiesseitigten Kompositionen, möchten dafür sprechen. Die Architekturen, flach und unräumlich, deuten auf die schon im Anfang des Jahrhunderts in die sächsische Malerei eindringenden französisch-burgundischen Formen. Das Rankenwerk wird von der französischen Buchkunst der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts, wo es eine ähnlich wuchernde Tendenz zeigt, seinen Ausgang genommen haben.

Die Entstehungszeit der Malerei fällt jedenfalls schon weit ins 15. Jahrhundert hinein, und nur der enge Zusammenhang mit Toitenwinkel rechtfertigt ihre Behandlung an dieser Stelle. Die zu reicheren und volleren Formen vorgeschrittene Gewandung spricht für eine Ansetzung um 1430. Die leise anklingenden Züge niederländischen Einflusses wollen eine noch spätere Datierung befürworten, doch möchten wir eine Entstehungszeit in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts als sicher annehmen. (Vgl. das zeitlich nahestehende Kalkhorst im Nordwesten Mecklenburgs 37 ), dagegen das der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts angehörende Below bei Dobbertin 38 ).

Parkentin.

Chorgewölbe. Weltgericht mit klugen und törichten Jungfrauen. Restauriert.

Parkentin. Chorgewölbe. Weltgericht mit klugen und törichten Jungfrauen.
  1. Christus thronend in Rundmedaillons.
  2. Maria thronend in Rundmedaillons.
  3. Fünf kluge Jungfrauen.
  4. Fünf törichte Jungfrauen.

Die Malerei des Chorgewölbes von Parkentin lehnt sich in der Anordnung an Vorbilder aus der ältesten Zeit der ostmecklenburgischen Wandmalerei an. Wir werden an Hohen Sprenz durch die Doppelmajestas in den östlichen Kappen des Gewölbes, an Lüdershagen durch das Schweben im leeren Raum und die bewegungslose Stille der Figuren erinnert. Die klugen und törichten Jungfrauen leiten sich leicht von dem frühen Doberaner Werk ab und haben von dort noch den Zug statuarischer Isoliertheit behalten. Mit diesen Feststellungen sind aber die Analogien erschöpft, und es muß nun vielmehr der Gegensatz in der Auffassung betont werden.

Die Parkentiner Malerei soll trotz ihrer Stille und Zurückhaltung eine Handlung ausdrücken, die Aufnahme der klugen, die


37) Schlie II, Seite 383 f.
38) Schlie IV, Seite 408/9.
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Zurückweisung der törichten Jungfrauen durch Christus und Maria, die als gleichberechtigtes Richterpaar thronen. Daß trotzdem eine so statuarische Isolierung der Figuren beliebt wird, mag neben dem Streben nach feierlicher Monumentalität, das die dekorative Aufgabe der Schmückung des halbdunklen frühen Chorraums erforderte, aus der gleichzeitigen Blüte des Schnitzaltars zu erklären sein, mit der überhaupt die Zunahme der stehenden Einzelfiguren in der Malerei zusammenhängt.Von den Werken der ostmecklenburgischen Gruppe ist Petschow das im ganzen Charakter verwandteste. Mit den dortigen Gestalten hat der ruhige Stand, das schlicht fallende Gewand, der ovale, gleichförmige Gesichtstyp und die Haartracht eine allgemeine Ähnlichkeit.

Doch gehört die Parkentiner Malerei zweifellos dem 15. Jahrhundert an. Waren die Gestalten in Petschow noch von einer abstrakten Hoheit und Unwirklichkeit, so gehören diese einer menschlichen, ja bürgerlichen Sphäre an. Die Jungfrauen sind sanfte und zarte Mädchengestalten, die ihre Freude und ihren Schmerz in stille, gebundene Bewegungen fassen. Die durch die Mittelrippe erzwungene Gleichstellung der Maria mit Christus ist dem 15. Jahrhundert nicht mehr so wesensfremd, wie der früheren Zeit. Selbst die Gottheit umgibt menschliche Empfindung mit sentimentalen Zügen.

Der glatte, schlicht und eng die Körper umhüllende Gewandstil findet sich auf niedersächsischen Malereien um 1400, z. B. auf dem Altar von Hannoversch-Münden 39 ). Eine Ähnlichkeit in der Kopf-und Haarform, eine gleiche Verwendung z. B. der kleinen Stirnlocken im Scheitelwinkel der Stirn, auch in der stillen, sanften Auffassung der Figuren ist mit der Lüneburger Goldenen Tafel um 1410 zu beobachten 40 ). Der Stil des Parkentiner Gewölbebildes gehört also der vom Westen (Flandern-Burgund) beeinflußten niedersächsischen Strömung vom Anfang des 15. Jahrhunderts an und muß uns veranlassen, das Stück ebenfalls in die ersten Jahrzehnte des 15. Jahrhunderts, etwa um 1420, zu datieren.

Tarnow.

Fragmente der ehemaligen Gewölbemalerei 41 ). Nur Pausen im Archiv der Kommission zur Erhaltung der Denkmäler in Schwerin erhalten.

  1. Teile eines Zyklus des Marientodes. Tod, Aufbahrung und Grabtragung mit Gefolge.

39) Heise, Tafel 49, 50.
40) Heise.
41) Beschrieben v. Lisch, Meckl. Jahrb. 27, S. 213 ff.
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  1. Teile eines Katharinenzyklus: Disputation, Besuch Faustinas, Radwunder und Enthauptung Katharinas.
  2. Teil eines Höllenbildes.
  3. Der heilige Martin zerteilt seinen Mantel unter zwei Bettler.

Selbst der schwache Wiederschein des wirklichen Eindrucks, den die Pausen bieten können, muß das Überstreichen der Malerei im Jahre 1860 aufs Tiefste bedauern lassen. Es ist ein Zyklus von großer Eigenart in stofflicher und formaler Beziehung, ein wichtiges Glied der Entwicklung der mecklenburgischen Wandmalerei im 15. Jahrhundert.

Die Gewölbe der in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts gebauten zweischiffigen, vierjochigen Halle steigen schlank auf und haben eine steile Form. Die durch die Architektur gegebene Grundlage fordert zu einer neuen Lösung heraus. Durch ein wagerechtes Band ist kurz unter den Stichbogenhöhen die Gewölbekalotte von den Zwickeln abgeteilt. Das Band besteht aus einem Vierpaß- oder Bogenfries; die darunterliegenden Zwickel enthalten unter dem Marientodzyklus Blätterbäume sowie eine wahrscheinlich als Prophet anzusprechende Figur vor der das Zwickelfeld teilenden und den Bogenfries tragenden gemalten Säule. Von der Zwickelbehandlung der übrigen Gewölbejoche ist nichts bekannt.

Die Darstellungen sind derb und naiv, aber eigenartig im Stoffkreis und in der Komposition. Es ist eine zugleich monumental-repräsentative und lebendig erzählende Malerei. Die naturalistische Eindringlichkeit der Darstellung und die Erhöhung der dekorativen Wirkung durch überlegte Komposition und reiche ornamentale Ausschmückung geben dem Ganzen ein von den bisherigen Werken abweichendes Gepräge. Der Stil ist malerischer und gelockerter. Auch hier wird, wie in Lichtenhagen, durch die Streumuster des Hintergrundes eine flimmernde, unbegrenzte Atmosphäre erzielt, die sich schmiegsam um die Figuren ausbreitet. Dadurch ist bei den figürlichen Szenen die Strenge, die besonders durch den starren Bodenring getont wird, gemildert; starre Symmetrie ist nirgends vorhanden, in lebendiger Folge fügen sich die Szenen aneinander. Lisch erwähnt als starres, tektonisierendes Element eine senkrechte Halbierung der Gewölbekappen durch eine einfache Linie, die auf der Pause des Marientodbildes zum Ausdruck kommt, die aber, wie die übrigen Pausen erkennen lassen, nicht überall vorhanden war. Die Zeichnung der Figuren schließt sich nicht unmittelbar an die vorigen Werke an, sondern zeigt eine stark abweichende Haltung. Bekannt ist uns der heilige

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Martin und der kniende Bettler an seiner rechten Seite, aber auch diese Szene ist durch Verdoppelung der Bettlergestalt anders gefaßt; die übrigen auf den Pausen erhaltenen Szenen sind uns völlig fremd. Die Gestalten sind untersetzt, stark bewegt, der Umriß oft unförmlich durch bauschige, lose umhüllende Gewandung: langes Unterkleid, oft mit tiefer, blusenartiger Gürtung; der Mantel zum Teil noch in dem älteren Schema eng um die Schulter und den Leib gewickelt, teils in neuerer Auffassung etwas ungelenk und eckig herabfallend.Von momentaner Knitterbewegung ist der herabgeworfene Mantel des heiligen Martin. Die Bewegung der Figuren ist von drastischer Lebendigkeit, die Ausführung aber einförmig, die Motive oft wiederholt. Auch die Gesichter sind bei allem Streben nach Lebendigkeit sehr gleichmäßig in der Ausführung, meistens von häßlich-grämlichem Ausdruck. Die Zeichnung ist locker und arbeitet mit zahlreichen kleinen Strichen; der Charakter der Figuren ist mehr räumlich-plastisch als flächig, wie auch die Komposition oft Tiefenanordnung zeigt.

Für die Ableitung des Stils ist das Gegenständliche wichtig. Wir finden eine sehr ähnliche plastische Darstellung des Todes und der Grablegung Marias an einem Portal der Nürnberger Sebalduskirche aus der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts 42 ), wo beide Szenen in den Grundzügen wiederkehren. Der bewegte, lebendige Charakter beider Szenen ist ähnlich, die Menschen zeigen einen ebenso greisenhaft vergrämten Typ, ebenso üppige Haartracht, und sowohl in der Faltengebung der Gewänder wie in den Stand- und Bewegungsmotiven ist eine Einwirkung auf die Tarnower Fassung zu erkennen. Auch der Aufbau der Gruppen auf einer festen Bodenlinie mit hintereinander gruppierten und nach hinten aufwachsender Figurenanordnung ist dort vorgebildet.

Die Tarnower Malerei ist durch dieses süddeutsche Gegenstück freilich noch nicht erklärt. Die Malerei ist durchaus norddeutsch und, wie die übrigen Stücke Ostmecklenburgs, aus dem niedersächsischen Kunstkreise erwachsen. Auch hier erkennen wir die zyklischen, erzählenden Szenenfolgen in dem Tode, der Aufbahrung, Grabtragung und (nicht erhalten) Himmelfahrt Marias sowie in den vier Bildern der Katharinenlegende. Nehmen wir das Bild des heiligen Martin als Glied einer ähnlichen Folge von Szenen der Heiligenlegende, so haben wir inhaltlich wie formal eine Malerei ähnlich der Büchener vor uns, die ebenfalls mit niedersächsischer Kunst im Zusammenhang steht.


42) Dehio II, Abb. 249.
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Das Höllenbild erscheint hier in neuer, eigenartiger Fassung. Links thront Luzifer, von einer Schlange umringelt, in der Mitte steht ein gitterartiger Ofen voller Flammen, in dem kleine nackte Seelen schmachten, rechts und links zwei Teufel, lang bekleidet, aber mit Flammen statt der Füße und Flammen auf den Wangen, das Feuer mit Ofengabeln schürend. Ein dritter schwebt zur Rechten, scheinbar eine halb entrollte Schriftrolle in den Händen. Es ist klar, daß dieses Bild die Reihe der Höllendarstellungen, die die ostmecklenburgische Gruppe besonders auszeichnet und die ebenfalls in der Vorstellungswelt des niedersächsischen Stammes vor allem ihre Erklärung findet, fortsetzt. Drastischer und eindringlicher ist die Darstellungsweise geworden, ein Zeugnis des gesteigerten Naturalismus des 15. Jahrhunderts.

Mit dem niedersächsischen Charakter verbinden sich, im Mecklenburg des 15. Jahrhunderts leicht erklärbar, Züge der nordischen Malerei. Mit der Malerei von Borreby in Schonen (um 1350) 43 ) zeigt die Darstellung des heiligen Martin eine Ähnlichkeit der Auffassung, und dort sind auch Ornamentborten, Ranken und Streumuster ähnlich verwendet, so daß eine Wirkung älterer nordischer Werke dieser Art auf die deutsche Ostseeküste in den Bereich des Möglichen rückt. Die herbe, etwas gehackt und unbeholfen erscheinende Zeichnungsart, die Neigung zu häßlicher Realistik sind Züge, die für einen nordischen Einfluß sprechen. Das Streumuster ist in der nordischen Spätgotik überaus verbreitet, meistens mit der Schablone hergestellt; Teufelsszenen nehmen dort einen breiten Raum ein, in manchen spätgotischen Teufelsszenen herrscht ein ähnliche, halb grausige, halb humoristische Drastik wie im Tarnower Höllenbild 44 ). Die Vermutung nordischen Einflusses erfährt eine vollkommene Bestätigung durch den Vergleich von Malereien norwegischer Holzkirchen. Die Malerei der Kirche von Aal zeigt in der Figurenbildung wie im wuchernden Füllornament eine auffallende Ähnlichkeit des Stils mit den Tarnower Fragmenten 45 ).

Die Datierung ist in das 15. Jahrhundert zu setzen. Wenngleich ohne nähere Parallele im Lande, zeigt die Malerei eine Stilstufe, die sie der ersten Hälfte des Jahrhunderts zuweist. An Zeittracht ist wenig zu finden, nur das Kopftuch, das die Kaiserin Faustina und ihre Dienerin tragen, scheint für die Zeit um 1430 zu sprechen. In dieselbe Zeit weist die freiere und doch noch unbeholfene Faltengebung mit ihrer Tendenz zu eckiger Bewegung


43) Rydbeck, Abb. 45 ff.
44) Bunkeflo in Schonen, Abb. Rydbeck, Medeltida Kalkmålningar i Skånes Kyrkor.
45) Abb. Lindblom, La peinture gothique en Suède et Norvège.
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und Durchbrechung des geschlossenen Umrisses. Für den Anfang des Jahrhunderts möchte man die noch frühe Ärmelform, weit um den Oberarm, eng um den Unterarm, z. B. bei den Teufeln und dem Henker der Katharina, anführen; auch die Form der Kronen fordert frühe Datierung. Die Treppe zum Hause Katharinas findet sich in ähnlicher Perspektive auf dem Fröndenberger Altar von 1421 46 ). Da das Original übermalt ist, so müssen wir uns mit der ungefähren Datierung "wahrscheinlich um 1430" begnügen.

Zusammenfassend ist über die ostmecklenburgische Gruppe zu sagen: Sie ist, wie schon in der Übergangszeit, so auch in der Gotik hauptsächlich von Niedersachsen abhängig. Ihr Charakter ist einheitlicher, bodenwüchsiger, auch provinzieller, als der des Westens, unberührter von der europäischen Mode. Die Auffassung ist von der Lübecks merklich unterschieden. Das formale Interesse ist gering, dagegen die Freude am Inhalt ganz unersättlich. Naive Erzählerkunst herrscht statt des Ringens nach formalen Problemen. Der niedersächsische Volkscharakter ist vorwiegend unsinnlich-gedanklich.

Wie die gotische Baukunst Lübecks in ihrer straffen Sehnigkeit und funktionellen Durchdachtheit stärker französischen Charakter trägt, als die gotische Baukunst Vorpommerns oder der Mark, wo weniger funktionelles Denken als Freude an flächigem Schmuck zutage tritt, so ist auch Lübecks Wandmalerei mit dem Bau organisch verbunden, geht die des Ostens ohne Rücksicht auf die Funktion der Bauglieder auf flächige Teppichwirkung aus.

Die nördlich der Ostsee liegenden Länder, besonders Dänemark und Schonen, zeigen in ihren Wandmalereien so starke Berührungen mit dem deutschen Küstengebiet - ebenfalls zyklische Bilderfolgen, Einzelfiguren in den Zwickeln und eine Vorliebe für Teufelsszenen -, daß eine Beeinflussung von Niedersachsen her, wahrscheinlich über Mecklenburg, wahrscheinlich ist 47 ). Die umgekehrte Einwirkung kommt im 14. Jahrhundert sicher nicht in Betracht, im 15. Jahrhundert ist die Tarnower Malerei ein vereinzeltes Beispiel, um 1500 ist eine solche Strömung mit Sicherheit anzunehmen, doch liegt für diese späte Zeit noch keine Untersuchung vor.

Schluß.

In diesem abschließenden Abschnitt sei der Entwicklung der Farbengebung und dem gemalten Bauornament, das neben dem


46) Burger II, Abb. 505.
47) Schon eine romanische Gruppe nordischer Malereien, Nylarskirche auf Bornholm, Kieldby auf Möen und Bergen auf Rügen, zeigen Merkmale niedersächsischen (Hildesheimer) Einflusses.
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Figürlichen in der norddeutschen Malerei einen breiten Raum einnimmt, eine kurze Betrachtung gewidmet.

Die farbige Haltung, die in der Behandlung der einzelnen Werke nur gelegentlich gestreift werden konnte, macht im Verlauf des 14. Jahrhunderts eine Entwicklung von zarter Milde zu prächtiger Vollfarbigkeit durch, deren einzelne Phasen hier nicht aufgeführt werden können. Eine allgemeine technische Eigenschaft der frühen Malereien ist die Verwendung des schwarzgrauen Konturstrichs, während die gotische Malerei zuerst eine nach Fleisch- und Gewandteilen in rote und schwarze Linien trennende Zeichnungsart einführt und in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts zu ausschließlicher Verwendung der roten Zeichnung übergeht.

Die Ornamentik der frühesten Periode, des Übergangsstils, ordnet sich der Architektur völlig unter und sieht ihre Aufgabe in der Ausdeutung der baulichen Formen. Die Bemalung ist bei den schweren, ungegliederten Kirchen des Übergangsstils zur Vervollständigung des Raumeindrucks notwendig. Sie beschränkt sich meistens auf die struktiven Glieder, auf Bögen, Gurte, Rippen, Dienste, Tür- und Fenstereinfassungen und besteht zumeist aus Ouaderung in zweifarbigem (meist rotweißem) Wechsel. Die Wände werden meistens nur durch ein wagerechtes Band in Kämpferhöhe und durch regelmäßig angeordnete Weihekreuze belebt, zuweilen wird mit Scheingliederungen (gemalten Arkadenreihen, Röbel, St. Marien) oder auch einfachen Teppichmalereien (Satow) gearbeitet. Reicher wird der Eindruck durch zierliche Schmuckborten um die Fensterbögen und auf Rippen und Gurten, wie in Behlendorf, und durch ausstrahlende Palmetten um den Chorbogen, wie in Behlendorf und Petschow. Die tektonisierende Malerei des Übergangs hat ihre Heimat im Rheinland und in Westfalen, wo eine ähnliche Dekorationsweise von romanischer Zeit her gepflegt wurde.

Die derben Granitquaderbauten des Übergangsstils waren auch außen bemalt, wie überall erhaltene Spuren im Putz beweisen. Durch rote gemalte Fugen auf weißem Kalkputz wurde der Eindruck eines Haussteinbaues vorgetäuscht. So fest wurzelte die heimatliche Matrialvorstellung in den Kolonistenbaumeistern.

Die Gotik bringt eine allmähliche Umwandlung der farbigen Haltung des Innenraums, deren Ziel der Übergang des Ornaments von den struktiven Teilen auf die struktiv indifferenten Flächen ist, während die ersteren kahl werden und das bloße Ziegelwerk zeigen.

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In Behlendorf und Büchen wie in Röbel ist das allmähliche Hineinwuchern der Ornamentformen von den Rippen, Scheiteln, Zwickelecken aus in die Kappenfelder zu beobachten. In Niedersachsen ist eine ähnliche Bewegung schon in romanischer Zeit zu finden (Braunschweiger Chorgewölbe, später Wienhausen), die auch in unserem Gebiet, in der Schweriner Marienkapelle, vereinzelt Anwendung findet.

Neben den Ranken finden sich als Flächenfüllung lose Bäume und Büsche (Lüdershagen, Petschow, Tarnow), deren Vorbilder in Westdeutschland (Rheinland und Westfalen, z. B. St. Maria zur Höhe, Soest) im 13. Jahrhundert zu suchen sind.

In Lübeck findet die Rankenausbildung eine feste Formulierung, die für das Ostseeland lange maßgebend bleibt. Es sind die kurzen, die Rippen und Schildbögen reihenweise begleitenden eingerollten Krabbenranken, rot oder rot-grün in Wechsel. Von den Bogenhöhen und Scheitelecken wachsen größere Ranken oder Palmettengebilde in die Kappen hinein. Überall in Lübecks Einflußzone ist diese Dekorationsweise zu finden. Erst im 15. Jahrhundert lockert sich diese noch tektonisch gebundene, trotz ihrer vegetabilen Freiheitslust und ihres Nagens an der baulichen Klarheit doch das Baugerippe anerkennende Dekorationsweise. Nun tritt die freiwuchernde Ranke als Flächenschmuck auf. In Lichtenhagen überspinnen die Ranken ohne Symmetrie die Flächen mit gleichmäßig füllendem Gerank. Sie gehören nicht mehr den Rippen, sondern den Kappenflächen an.

Ein weiteres gotisches Flächenornament ist das Streumuster das mit zarten Sternchen in der Art westdeutscher romanischer Vorbilder seinen Anfang nimmt (Methler-Lüdershagen). Die hohe Gotik verwendet das Streumuster in derberem und mehr füllendem Sinne. In Behlendorf sind die Figuren von einer flimmernden Sternenmenge umgeben, wie von einer sie dicht umgebenden Atmosphäre. Die derbere und schwerere Verwendung der Streumuster in Niedersachsen (vgl. Wienhausen) findet sich in Tarnow vertreten, wo ein Höhepunkt teppichartiger Wirkung mit durcheinanderwimmelnden Streumustern verschiedener Art, Lilien Rosetten, Kleeblättern, Sternchen, erreicht wird. Das 15. Jahrhundert bringt auch hier die Tendenz zur ornamentalen Füllung aller Flächen.

Die Wandfläche zeigt auch in der Gotik meistens kein Ornament, da die figürlichen Darstellungen häufig die Wände einnehmen. Ein vereinzelter Fall ist die ehemalige Wandbemalung der Schweriner Marienkapelle, wo reihenweise Rundscheiben mit

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kleinen figürlichen Szenen auftraten. Häufiger ist ein Arkadenfries, von Wimpergen gekrönt, der aufgereihte Einzelfiguren enthält. In der Lübecker frühen Gotik ist Quaderbemalung häufig; sie tritt auch in Tarnow im 15. Jahrhundert auf. Eigenartige Flächenmuster zeigen die Pfeiler der Sternberger Kirche in ihrem unteren Teil, und ähnlich die beiden schlanken Querschiffpfeiler von Doberan. Diese getreppten und gewellten Muster entstammen als Teppichmuster wohl der Textilkunst, ähnliche Gebilde kommen schon in romanischer Zeit in Westfalen, hauptsächlich als Bandornament, vor.

Die ornamentale Verwendung der Weihekreuze wird in gotischer Zeit fortgesetzt, sie werden nun oft mit figürlichem Schmuck verbunden und treten in ein engeres Verhältnis zu der figürlichen Malerei. Figürlicher Schmuck von reinem Ornamentcharakter findet sich nur ausnahmsweise. In Gnoien tritt figürlicher Schmuck an den Gewölbescheiteln auf; für die frühe Zeit scheinen in Doberan kniende Figuren unter Konsolen in vorwiegender Ornamentbedeutung durch Lisch nachgewiesen zu sein; die reife Gotik bringt unter plastischen Kopfkonsolen gern gemalte Gestalten an.

Die gotische Dekoration unterscheidet also von der strengen, sich unterordnenden Dekorationsweise der Übergangszeit ihr vegetabiles Wuchern, ihr organisches Eigenleben gegenüber den zugrunde liegenden Formen der Architektur. Sie entwickelt sich zu immer größerer Unabhängigkeit, um sich in der Spätgotik möglichst zu verselbständigen und alle Schranken zu sprengen; das spätgotische Ornament verliert sich schließlich in regellose Willkür.

 

Die Zusammenfassung der beherrschenden Grundlinien für die Entwicklung der Wandmalerei von 1300 bis 1400 ergibt einen im ganzen einheitlichen Verlauf. Für die frühe Zeit wie für die Gotik geht der hauptsächliche Einfluß von Niedersachsen aus, also von Süden nach Norden. Mit dieser Strömung kreuzt sich eine von Westen, vom Rhein und Westfalen ausgehende, die ebenfalls im Verlauf des gesamten 14. Jahrhunderts fortbesteht.

Im frühen Zeitabschnitt ist die Verwirkung der Fäden dieses Gespinstes noch nicht klar erkennbar, es herrscht noch eine Vereinzelung und Zufälligkeit, die es uns unmöglich macht, feste Wege und Gruppen zu bestimmen. In der Gotik klärt sich das Bild. Lübeck im Nordwesten unseres Gebietes bildet den Knotenpunkt, wo sich vor allem die beiden Strömungen treffen und verschmelzen,

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wo über See weitere Anregungen kommen und auch auf dem Seewege hauptsächlich der neu geschaffene Stil verbreitet wird. Daher ist der Einfluß Lübecks an der Küste besonders stark und weitreichend, dagegen im Binnenlande nur für das westliche Mecklenburg überwiegend, während das abgelegene Landgebiet des östlichen Mecklenburg hauptsächlich von Süden her niedersächsischen Einfluß erfährt. Die so sehr charakteristische ostmecklenburgische Malereiengruppe führt ein stetiges, wenig von außen gestörtes Eigenleben, eine provinzielle, konservative Kunst im Gegensatz zu dem fortschrittlich großstädtischen Kunstleben Lübecks.

Das 15. Jahrhundert, das hier nur ein wenig gestreift ist, erfordert eine besondere Behandlung; es setzt die starke Produktion ungehemmt fort, ja es steigert sie in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts noch einmal zu einer ähnlichen Ausdehnung, wie in der Zeit um 1400.


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Literatur.

Friedrich Back, Mittelrheinische Kunst. Frankfurt 1910.
Richard Borrmann, Aufnahmen mittelalterlicher Wand- und Deckenmalereien Deutschlands, Berlin 1897-1914.
Burger-Schmitz-Beth, Die deutsche Malerei vom ausgehenden Mittelalter bis zum Ende der Renaissance. Berlin-Neubabelsberg.
Paul Clemen, Die romanische Monumentalmalerei in den Rheinlanden. Düsseldorf 1897.
Georg Dehio, Geschichte der deutschen Kunst. Berlin-Leipzig 1921.
Curt Habicht, Die mittelalterliche Malerei Niedersachsens, I. Straßburg 1919.
Arthur Haseloff, Eine thüringisch-sächsische Malerschule des 13. Jahrhunderts. Straßburg 1897.
P. Hasse, Miniaturen aus Handschriften des Staatsarchivs in Lübeck. Lübeck 1897.
Carl Georg Heise, Norddeutsche Malerei. Leipzig 1918.
H. Janitschek, Geschichte der deutschen Malerei. Berlin 1890.
Lindblom, La peinture gothique en Suède de Norvège.
Bau- und Kunstdenkmäler der Freien und Hansestadt Lübeck. Lübeck 1906.
Ludorff, Bau- und Kunstdenkmäler der Provinz Westfalen.
H. Mithoff, Das Kloster Wienhausen (Archiv für Niedersachsens Kunstgeschichte, 1849-1862).
W. H. v. d. Mülbe, Die Darstellung des jüngsten Gerichts an den romanischen und gotischen Kirchenportalen Frankreichs. Leipzig 1911.
Joseph Neuwirth, Die Wandgemälde im Kreuzgang des Emmausklosters zu Prag. Prag 1898.
Max Paul, Sundische und lübische Kunst. Berlin 1914.
Heinrich Reincke, Die Bilderhandschrift des Hamburger Stadtrechts von 1497 im Hamburger Staatsarchiv. Hamburg 1917.
Otto Rydbeck, Medeltida Kalkmålningar in Skånes Kyrkor. Lund 1904.
Scheibler-Aldenhoven, Geschichte der Kölner Malerschule. Lübeck 1902.
Friedrich Schlie, Die Kunst- und Geschichtsdenkmäler des Großherzogtums Mecklenburg-Schwerin. Schwerin 1900.
Hermann Schmitz, Die mittelalterliche Malerei in Soest. Münster 1906.
Henry Thode, Die Malerschule von Nürnberg im 14. und 15. Jahrhundert. Frankfurt 1891.
Georg Graf Vitzthum, Die Pariser Miniaturmalerei. Leipzig 1907.

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Lokal=Literatur.

Jahrbücher des Vereins für mecklenburgische Geschichte und Altertumskunde, Schwerin.

G. C. Friedrich Lisch, Jahrg. 16 S. 175, 286, St. Marien Wismar; Über die Bemalung der alten Kirchen.
            Jahrg. 17 S. 376, Röbel, St. Marien.
            Jahrg. 19 S. 374, 385, Doberan.
            Jahrg. 20 S. 312, Büchen, Toitenwinkel.
            Jahrg. 24 S. 317, 338, Bützow, Gägelow.
            Jahrg. 26 S. 234, Bernitt.
            Jahrg. 27 S. 213, Tarnow.
            Jahrg. 33 S. 154, Röbel, St. Nikolai.
            Jahrg. 35 S. 181, 201, Güstrow, Dom; Lüssow.
            Jahrg. 36 S. 170, Schwerin, Dom.
            Jahrg. 40 S. 161, Schwerin, Kapitelhaus.
            Jahrg. 42 S. 168, Parchim, St. Marien.
F. Crull, Jahrg. 45 S. 274, 282, Teterow, Gnoien.
            Jahrg. 47 S. 94, Wismar, St. Nikolai.
F. Crull, Über Toitenwinkel, Zeitschr. f. christl. Kunst, 4. Jahrgang S. 274 f.
G. C. Friedrich Lisch, Röbel, St. Marien, Zeitschr. f. Bauwesen, August 1852.

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Alphabetisches Verzeichnis der behandelten Malereien.

Behlendorf 261
Berkenthin 260
Bernitt 271
Boitin 288
Büchen 257
Doberan, Beinhaus 234
Gägelow 264
Gnoien 240
Lichtenhagen 297
Lübeck, Jakobikirche 244
Lübeck, Heiligengeistkirche, Nordwand 246
Lübeck, Heiligengeistkirche, Lettner 247
Lübeck, Heiligengeistkirche, Südschiff 250
Lübeck, Katharinenkirche, Unterchor 251
Lübeck, Katharinenkirche, Oberchor 252
Lüdershagen 238
Mölln, Nordwand, östliches Langhausjoch 233
Mölln, übrige Malereien 257
Parkentin 300
Petschow 279
Ratzeburg, Domkreuzgang 267
Rehna 255
Retschow 292
Röbel, Marienkirche 273
Rostock, Rathaus 286
Schwerin, Dom, nördliche Marienkapelle 254
Schwerin, Dom, Kapitelhaus 262
Hohen-Sprenz 236
Sternberg 269
Tarnow 301
Teterow 276
Toitenwinkel 282
Wismar, Marienkirche, Wrangelkapelle 265
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Hohen-Sprenz, östliche Gewölbekappe.
Hohen-Sprenz, östliche Gewölbekappe.
Hohen-Sprenz, westliche Gewölbekappe.
Hohen-Sprenz, westliche Gewölbekappe.
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Hohen-Sprenz, südliche Gewölbekappe.
Hohen-Sprenz, südliche Gewölbekappe.
Lüdershagen, Chorgewölbe.
Lüdershagen, Chorgewölbe.
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Berkenthin, Triumpfbogen.
Berkenthin, Triumpfbogen.
Schwerin, Dom, Kapitelhaus.
Schwerin, Dom, Kapitelhaus.
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Ratzeburg, Domkreuzgang, III. Nische.
Ratzeburg, Domkreuzgang, III. Nische.
Gägelow, Nordseite des Gurtbogens.
Gägelow, Nordseite des Gurtbogens.
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Petschow, östliches Langhausgewölbe.
Petschow, östliches Langhausgewölbe.
Retschow, Südwand.
Retschow, Südwand.
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Retschow, Nordwand, mittleres Joch.
Retschow, Nordwand, mittleres Joch.
Retschow, Nordwand, östliches Joch.
Retschow, Nordwand, östliches Joch.
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Boitin, Westwand.
Boitin, Westwand.
Boitin, Nordostecke.
Boitin, Nordostecke.
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Boitin, Nordwand, westliches Joch.
Boitin, Nordwand, westliches Joch.