zurück zur Metadatenansicht auf dem Dokumentenserver
zurück
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen [ Seite 1 ] zur nächsten Seite zur letzen Seite
Dokument dauerhaft verlinken Dokument im gesamten Band öffnen Metadaten auf dem Dokumentenserver anzeigen

I.

Die Sage vom Feuerreiter.

Von

Oberlehrer Dr. Becker , Rostock.

Vignette
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen [ Seite 2 ] zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite
Wichtigste Literatur.
  1. Bartsch, Sagen, Märchen und Gebräuche aus Mecklenburg. Wien 1879.
  2. Bernhardt, Sagen aus der Leipziger pflege.
  3. Birlinger, Volkstümliches aus Schwaben. 1874.
  4. Eisel, Sagenbuch des Voigtlandes.
  5. Graesse, Sagenbuch des preußischen Volkes. Glogau 1868. 6. Kühn, Märkische Sagen und Märchen. Berlin 1843.
  6. Kuhn, Sagen usw. aus Westfalen. Leipzig 1859.
  7. v. Schulenburg, Wendische Volkssagen und Gebräuche aus dem Spreewald. Leipzig 1880.
  8. Ostpreußisches Sagenbuch. Leipzig o. J.
  9. Wuttke, Volksaberglauben. 3. Bearb. v. Meyer. Berlin 1900.
  10. Die Edda, übersetzt Von Gering. Leipzig o. J.
  11. Freytag, Erinnerungen aus meinem Leben. Leipzig 1887.
  12. Grimm, Deutsche Mythologie. 4. Ausgabe. Berlin 1875.
  13. Hertz, Aus Dichtung und Sage. Stuttgart 1907.
  14. Mörike, Werke, hrgg. Von Maync. Leipzig o. J.
  15. Weitbrecht Württemberg, wie es war und ist.

Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen [ Seite 3 ] zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

B ei fast allen uns bekannten primitiven Völkern spielt das Feuer in Religion und Mythus eine merkwürdig starke Rolle. Schon die "Herabkunft des Feuers", das meist als eine dem Himmel entnommene Gabe dargestellt wird, beschäftigt die Phantasie des Volkes und führt zu den schönsten Sagen, die ihre bekannteste Ausbildung in den Erzählungen von Prometheus gefunden haben. Kein Wunder daher, daß das Feuer vielfach als heilig verehrt wurde. Opfer wurden ihm dargebracht; unter geheimnisvollen Zeremonien wurde ein neues reines Feuer jährlich entzündet; ein ewiges Feuer wurde auf dem Staatsherde unterhalten, wie z. B. das von den Vestalinnen geschirmte heilige Feuer in Rom nie ausgehen durfte. Auch die Israeliten unterhielten ein ewiges Feuer, wie aus der Stelle III. Mose 6, V. 12, 13 hervorgeht: "Das Feuer auf dem Altar soll brennen und nimmer verlöschen; der Priester soll alle Morgen Holz darauf anzünden . . . Ewig soll das Feuer auf dem Altar brennen und nimmer verlöschen." In gewisser Parallele dazu steht die ewige Lampe in den katholischen Kirchen. Bekannt ist, daß die alten Parsen ein ewiges Feuer unterhielten, wie heute noch die Perser. Ewig loderte die Flamme auf dem Altar der Athene Polias in Athen, im Tempel des Pan in Arcadien. "Berühmte Orakel bewahrten immer brennende Feuer wie das zu Delphi . . . Die Kolonien brachten ihr heiliges Feuer mit aus der Mutterstadt; erlosch es zufällig, so durfte es nur dort wieder angesteckt werden" 1 ).

Auch bei unsern Vorfahren, den alten Germanen, finden wir reichliche Spuren einer Verehrung des Feuers. "In dem Glauben an die dämonenvertreibende Kraft des Feuers wurzelt der altheidnische Brauch, das Gebiet, von dem man Besitz ergriffen hat, mit Feuer zu umgehen und dadurch zu heiligen . . . Im Hause galt das Herdfeuer als besonders heilig, denn es schützte vor den bösen Geistern. Daher werden noch heute gewisse Rechtshandlungen an dem Herdfeuer vorgenommen, neue Mit=


1) Grimm, Mythologie Bd. III S. 175.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 4 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

glieder des Hauses feierlichst dreimal um dasselbe geführt, bei jeder besonderen Gelegenheit Speisen oder andere Dinge hineingeworfen 2 ).

Und eine ganze Reihe anderer Volksgebräuche, die zum Teil heute noch geübt werden, deuten auf einen ausgedehnten Feuerkult der Germanen hin. In feierlichster Weise wurde das "Notfeuer" entzündet, und zwar nach uralter Sitte durch Reibung von Holzstücken, in Zeiten, wo man schon längst es verstand, aus dem Steine Funken herauszulocken und aufzufangen. Das Osterfeuer, das Johannisfeuer wurde wohl überall in Deutschland gebrannt, und an vielen Stellen lodern ja jetzt noch in der Johannisnacht Feuer zum nächtlichen Himmel empor. Alte Erzählungen und Gebräuche deuten darauf hin, daß man dem Feuer auch Opfer darbrachte: das Hineinwerfen von Lebensmitteln, das Hineingießen von Getränk geben uns sichere Anhaltspunkte dafür 3 ). Und zwar "galten diese Opfer ursprünglich nur dem Element, nicht einer Gottheit, erst später und örtlich verschieden sind sie mit Götteropfern in Zusammenhang gebracht worden" 4 ).

Hier liegt wohl schon ein Gedanke zugrunde, der uns fernerhin noch mehr beschäftigen wird: das Feuer soll günstig gestimmt werden, man will einem ungezügelten Ausbrechen der Wut des Elementes vorbeugen.

Erklärlich genug, daß gerade diese Besänftigung des Feuers in alten Zeiten für die Menschen von wesentlicher Bedeutung war. Es fehlten wohl alle Möglichkeiten, ein ausgebrochenes Feuer zu dämpfen, man mußte es austoben lassen, und es ist deshalb als sicher anzunehmen, daß der germanische Bauer durch Feuersbrünste außerordentlich zu leiden hatte. Bei Stürmen konnten leicht vom offenen Herdfeuer Funken in das Strohdach fliegen, der Blitzstrahl fand überall im Hause Nahrung. Haus und Hof brannte nieder, denn mit eigener Kraft vermochte man eben nichts gegen das entfesselte Element zu unternehmen. Und da ist es denn ganz erklärlich, daß man mit Zaubermitteln, mit abergläubischen Gebräuchen Rettung zu bringen suchte. Derartige Mittel weiß das Volk heute noch viele, ihre Kenntnis ist uns in den Sammlungen der Volksgebräuche und des Volksaberglaubens zum Glück erhalten.


2) Grimm, Bd. III S. 500 ff.
3) Hoops, Reallexikon, Artikel Feuerkult.
4) Hoops a. a. O.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 5 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Ich möchte hier eine Gruppe davon zusammenfassen, wo der Brand dadurch gelöscht wird, daß der sogenannte Feuerreiter in Wirksamkeit tritt. Die Verbreitung dieser Sage ist ungemein groß, wir finden sie z. B. in Ostpreußen, in der Mark, in Mecklenburg, in Sachsen, im Voigtlande, in den wendischen Gebieten des Ostens, aber auch in Süddeutschland in Bayern und Schwaben. Hier hat sie ja bekanntlich durch Mörike dichterische Behandlung erfahren.

Der Grundtyp , auf den sich die Sage zurückführen läßt, ist etwa folgender: Ein Feuer ist ausgebrochen, da erscheint ein Reiter, spricht einen Feuersegen und jagt dabei "zu Pferde dreimal im sausenden Galopp um das brennende Gebäude und darauf in ein nahes Gewässer, die Flamme fahrt ihm als ein langer Feuerstrahl ins Wasser nach und ist damit erloschen" 5 ).

Diese einfache Grundform ist nun vielfach erweitert worden. Zunächst wird mehrfach erwähnt, daß das betreffende Roß ein Schimmel gewesen sei. So kommt in Labiau der Feuerreiter "auf einem schäumenden Schimmel" angesprengt 6 ), dasselbe wird aus Ludwigslust 7 ) und aus Stendal 8 ) berichtet. In dieser letzten Sage hören wir auch, wie der Feuerreiter zu seinem Pferd gekommen ist: In Stendal brannte es sehr oft. Da kam einmal zu dem Bürgermeister "ein kleines Männchen, brachte ihm einen Schimmel und sagte, auf dem solle er um das Feuer reiten, da werde es sogleich stille stehen. Das hat er denn auch getan, und augenblicklich war dem Feuer Einhalt geboten. So hat er es jedesmal, sobald irgendwo ein Feuer aufschlug, wiederholt, und nie ist mehr als ein Haus von demselben verzehrt worden". Hier finden wir also den Gedanken, daß es mit dem Rosse keine gewöhnliche Bewandtnis haben könne: das kleine Männchen deutet doch sicher auf einen Zwergen oder einen Kobold, und es scheint mir, als ob der Schimmel in Beziehung stehen könne zu dem weißen Rosse, auf dem in der altgermanischen und altslavischen Mythologie Götter durch die Lüfte dahinsprengten. Damit dürfte auch zusammenhängen, daß als Vermittler der Kunst mehrmals Zigeuner genannt werden, und Zigeuner sind in den Sagen sehr oft an Stelle der alten Heiden getreten.


5) Bartsch, Bd. II S. 355.
6) Ostpreußisches Sagenbuch S. 79.
7) Bartsch, Bd. II S. 256.
8) Kühn, Märkische Sagen S. 6.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 6 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Nur selten erfahren wir etwas über die Kleidung des Feuerreiters. Einige Male wird aus Schwaben gemeldet, daß er "in fliegendem Mantel" 9 ), einmal aus Tübingen, daß er "den Hut in der Hand, hoch in den Bügel stehend" 10 ) geritten sei. Mörike erzählt von einer roten Mütze, die er getragen habe.

Oft wird uns der Name und Stand des Feuerreiters genannt. In Labiau war es ein Graf von der Trenk in Schakaulak, in Ludwigslust der Oberforstmeister Laufert, in Stavenhagen der Ritter von Oertzen 11 ), in der Ukermark ein Herr von Arnim auf Kröchlendorf 12 ), in Tübingen der Herzog Karl von Württemberg, dessen Kunst der Feuerbesprechung mittels eines kräftigen Segens ja auch in dem Roman von H. Kurz: Schillers Heimatjahre eine Rolle spielt. Sonst heißt es wohl: ein Baron, ein Graf, der Inhaber eines Rittergutes, in Stendal war es der Bürgermeister. Es sind also immer durch Geburt und Stand hervorragende Männer, die diese Kunst ausüben. Das entspricht der uralten Anschauung, daß den Führern des Volkes eine gewisse Zauberkraft innewohnte. Sie vermochten es, Krankheiten durch Handauflegen zu heilen, Blinde und Lahme gesund zu machen, und vor allem galt immer der Kropf als ein von den Königen zu heilendes Leiden 13 ). Daß wir es hier wirklich mit einem uralten Glauben zu tun hatten, ergibt sich aus einer Stelle der Edda 14 ): Dem Asen Heimdall erwächst auf der Welt ein Enkel Kon, der Stammvater der Könige. Und von diesem Götterenkel heißt es:

Doch Kon der junge war kundig der Runen,
lange wirkender Lebensrunen;
auch kannt er die Kunst, Krieger zu schützen,
machte Schwerter stumpf und beschwichtigte Wogen.
Die Stimmen der Vögel verstand er zu deuten,
stillt' Meer und Feuer, minderte Schmerzen.

Neben vielem anderen haben wir hier also auch die Zauberkraft des Feuerlöschens besonders erwähnt.

Auch aus der Lüneburger Heide hören wir von dieser Kunst der Feuerbesprechung. Kück berichtet in seinem hübschen Buche: "Das alte Bauernleben der Lüneburger Heide" folgendes:


9) Birlinger, Volkstümliches Bd. I S. 201; Hertz S. 217.
10) Weitbrecht, Württemberg Bd. III.
11) Bartsch, Bd. I S. 234.
12) Kuhn, Westfalen Bd. II S. 94.
13) Hertz S. 215.
14) Edda S. 116.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 7 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

"Selbst ein Prediger, der Träger eines bekannten hannoverschen Namens, stand bei seiner Gemeinde in dem Ruf, das Feuer besprechen zu können. Augenzeugen haben mir erzählt, sie hätten ihn wiederholt beobachtet, wie er, die Besprechung murmelnd, das brennende Feuer umschritten hätte." Diese Sage ist deshalb bedeutungsvoll, weil es das einzige Mal ist, daß ein Pastor als Veschwörer des Feuers genannt wird. Kück führt auch einen Spruch an, der sich jedoch wörtlich mit der Form deckt, die wir aus dem ganzen niedersächsischen Gebiet kennen.

Mit jener Nennung bestimmter Persönlichkeiten hängt nun wieder zusammen, daß uns auch mehrfach ganz genaue Angaben gemacht werden, in welcher Zeit die Sage spielt. In Labiau war es im Jahre 1809, in Stavenhagen "vor 100 Jahren", in Stendal soll der Bürgermeister die Kraft bis 1840 behalten haben, und der Herzog Karl von Württemberg ist uns aus Schillers Jugendzeit wohlbekannt. Genannt werden noch u. a. die Jahre 1730, 1780, 1817, 1819, 1864. Die überlieferten Formen der Sage sind also verhältnismäßig ganz jung, wobei wir aber natürlich annehmen müssen, daß jüngere Übertragungen aus uraltem Sagengut vorliegen. Denn die einzelnen Züge sowie der ganze Gedanke der Sage deuten eben ohne weiteres auf die Vorzeit zurück.

Fast jedesmal wird erwähnt, daß der Reiter einen Feuersegen gesprochen habe, nur gelegentlich einmal findet sich die Bemerkung, daß der Ritt stillschweigend erfolgt sei. Charakteristisch aber ist, daß neben dem Feuersegen auch das Opfer an das Feuer nicht fehlt, womit also auch darauf hingewiesen wird, daß mythologische Vorstellungen zugrunde liegen. Aus der Leipziger Gegend wird gemeldet, daß Brot hineingeworfen wird, und vom Herzog Karl wird ausdrücklich bezeugt, daß er aus einer Schüssel mit Salz drei Hände voll in das Feuer geworfen habe.

Weil die Beschwörung aber als wirklicher Zauber aufgefaßt wird, deshalb ist sie auch mit Gefahr verknüpft. Das Ausüben des Zaubers bleibt eben doch "nach christlicher Lehre eine schwere Sünde; denn wenn sich der Beschwörer auch äußerlich von allem Heidentume freihält, sein Unterfangen ist ein freventlicher Mißbrauch des göttlichen Namens und heiliger Symbole und Reliquien" 15 ). Der Reiter muß suchen, in möglichster Eile ein Wasser zu erreichen, in Stavenhagen einen Teich, bei Leipzig


15) Hertz S. 218.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 8 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

muß es ein fließendes Wasser sein. Der Schimmel muß dabei seine ganze Kraft hergeben, sonst erreicht das Feuer den Reiter, und dann ist er verloren. Aus Labiau heißt es: Hinter dem Pferde zoa sich ein feuriger Streifen her, der den Schweif des Ritsses hinauf und längs seinem Rücken bis an die Lehne des Sattels lief. In der Leipziger Sage "ballt sich das Feuer zusammen und stürzt sprungweise in der Richtung nach seinem Bezwinger. Gelingt es diesem nicht, ehe ihn die Flamme eingeholt hat, über fließendes Wasser zu setzen, muß er ihr zum Opfer fallen." Der Ludwigsluster Oberforstmeister muß jagen, was das Zeug halten will, denn "hätte ihn das Feuer eher erreicht, bevor er an das Wasser gekommen, so würde er von ihm verzehrt worden sein".

Bei einigen Sagen haben wir die Besonderheit, daß die Beschwörung nicht durch Herumreiten ausgeführt wird, sondern durch Herumgehen. So heißt es in der Sage von dem Stendaler Bürgermeister, deren Anfang oben gebracht ist: "Der Schimmel ist alt geworden und endlich gestorben. Da war nun der Bürgermeister in großer Not, denn er sah augenscheinlich, als wieder ein Feuer ausbrach, daß es weiter und weiter um sich griff. Doch faßte er sich endlich und lief nun um das Feuer herum, wie er früher herumgeritten war, und siehe da! das hatte dieselbe Wirkung; das Feuer stand still." Besonders merkwürdig ist, was Gustav Freytag aus seiner Jugendzeit in Kreuzburg etwa aus dem Jahre 1819 erzählt: Im Armenhause dort fühlten sich zwei Blinde sehr unglücklich. Sie legten deshalb unter einer Treppe Feuer an und schlichen fort. "Als sie in dem ummauerten Hofraum standen, fragte der eine: ,Was aber soll aus der unschuldigen Stadt werden? Sie wird bei dem starken Winde auch niederbrennen, die Bürger haben uns nichts zu Leide getan.' Da schritt der andere Blinde, während drinnen der Brandstoff schwelte, dreimal um das ganze Gebäude und sprach einen alten Feuersegen zum Schutze der Stadt, worauf beide durch ein Pförtchen ins Freie entwichen." Das Armenhaus brennt nieder, die Stadt aber bleibt unverletzt. 16 )

Hier haben wir wieder einen neuen Typ der Sage: Während es nämlich meist darauf ankommt, das Feuer zu löschen, handelt es sich hier nur um seine Begrenzung. Es wird festgesetzt, wie weit sich der Brand ausdehnen darf. Vom Herzog Karl heißt es: "Als er dreimal um die Brandstätte geritten war,


16) Freytag S. 29.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 9 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

sagte er: , Jetzt laßt's brennen, kein Sparren geht mehr an.' Und so war's. Der Balken, der verbrannt war, der war verbrannt, aber es ist auch kein Spahn mehr weiter angegangen." Von einem Feuerreiter, einem Herrn von Gera in Bieblach, heißt es: "Er hatte den Leuten diese Säule schon beim Brande selbst gezeigt und ihnen geboten, mit Löschen inne zu halten, denn bis zu dieser Säule und weiter nicht werde es brennen." 17 )

Von dieser Kraft, das Feuer zu begrenzen, erzählen uns wieder mehrere Sagen, und bezeichnenderweise sind es meist Zigeuner, die sie geübt haben sollen. So wird aus Ostfriesland berichtet: Die Zigeuner erhalten hier häufig die Erlaubnis von den Hausbesitzern, in Ställen und Scheunen zu übernachten. "Einst erhielten Zigeuner im Kirchspiel Helle ein solches Hausquartier und zündeten sich gegen Abend auf der Diele neben dem gefüllten Heufache ein großes Feuer an. Der Knecht meldete es dem Hausherrn, und dieser ließ es ihnen verbieten. Da sagten sie, sie wollten das Feuer wohl auslöschen, aber es sei nicht gefährlich, denn ihr Feuer gehe nicht weiter, als sie demselben einen Kreis zögen, und so war es auch." 18 ) Genau das gleiche wird aus Ronneburg und aus Leumitz im Voigtlande gemeldet.

Ganz eigenartig ist eine Thüringer Sage: "Als einst Sangerhausen in Flammen stand, kam ein Reiter auf weißem Roß und umritt ein kleines Häuschen, das alleine vom Feuer verschont wurde." 19 ) Es wird also nicht das Feuer selbst beschränkt, sondern ein geweihter Bezirk wird geschaffen innerhalb der großen allgemeinen Feuersbrunst, in den das Element nicht hineindringen kann.

Auf etwas möchte ich noch hinweisen: Das Reiten um ein Haus herum ist natürlich nur möglich, wenn das Haus frei dasteht. Dies wird in der alten Stadt im allgemeinen nur selten der Fall sein, dagegen ist es das Natürliche auf dem Lande. Wir finden hierin also auch einen Hinweis darauf, daß die Sage aus uralten Zeiten stammt, wo es in Deutschland noch keine Städte gab, wo die bäurische Bevölkerung in Einzelhöfen oder in frei gebauten Dörfern wohnte. Diesen Gedanken berücksichtigt folgende Erzählung: "Als anno 1674 am 9. März abends 9 Uhr auf dem neuen Markt in Zeitz in einer Scheune Feuer auskam und mit den umliegenden Gebäuden viel Vieh verbrannte, er=


17) Eisel S. 233.
18) Graesse Bd. II S. 985.
19) Hertz S. 216 f.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 10 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

schien Herzog Moritz zu Pferde und wollte das Feuer umreiten; es war aber des Terrains willen leider nicht ausführbar." 20 ) Hier haben wir also einen Bericht von einem mißglückten Versuch, und derartige finden wir öfter. "In Schillbach ließ 1864 noch ein Bauer, ohne zu retten, alle seine Habe verbrennen, weil er sich auf einen Hausfeuersegen verlassen hatte." "Ein anno 1730 vom Oberst v. Krüger gemachter Versuch, ein Feuer zu umreiten, löschte das Feuer so wenig, als sein dabei gesprochener Feuersegen." "Der kgl. preußische Kammerherr Graf Otto von Cospoth kam anno 1817 in den Flammen seines brennenden Schlosses zu Mühltrupp elend um, weil er in der Meinung, im Besitze eines kräftigen Feuersegens zu sein, zu spät auf seine Rettung bedacht gewesen war." 21 ) Hier handelt es sich also jedesmal um ein falsches Vertrauen auf einen alten Feuerzauber; es ist wohl ohne weiteres anzunehmen, daß alle diese Beispiele wirklich historisch sind. Ein Zeichen, wie fest der Aberglaube noch in der Seele des Volkes wurzelte!

Ganz andes aber liegt die Sache in folgender Sage: 22 ) "Der alte dreißigste Herr von Gera, der sich mit Eifer und Geschick des Feuerlöschwesens annahm, galt als einer, der das Feuer durch Umreiten zu ersticken vermochte. An vielen Orten mag ihm dies gar wohl geglückt sein, und auch im Jahre 1780, als Gera in Flammen stand, will man ihn gesehen haben, wie er hoch zu Roß, von einem Diener gefolgt, in rasender Eile die Stadt umjagte, - - aber diesmal war sein Wagestück umsonst, denn das Feuer war verflucht! Die Frau, die es beim Räuchern eines Schweinestalles entzündete, hatte nämlich dem ins Stroh fallenden Funken nachgerufen: "Ei, du verfluchter Funke!" - Der Glaube an die Wirkung des Zaubers ist hier wohl noch als unerschüttert anzunehmen, man sucht nach einer Erklärung des Versagens und findet sie in dem Fluche. Damit ist die Flamme gegen eine helfende Besprechung gefeit. Ob hier nicht der Gegensatz von schwarzer und weißer Magie vorliegt? Man meinte wohl, wie oben schon angedeutet, daß die Fürsten und Herren zum Feuerlöschen einen inneren Beruf hätten, daß ihre Hilfe also doch schließlich Gotteswerk sei. Wenn aber Unberufene dazu kamen, dann war es Teuselswerk. Unser Volk empfindet dies auch jetzt noch sehr wohl. Es hat überall ein gewisses Grauen vor Leuten,


20) Eisel S. 233.
21) Eisel S. 233.
22) Eisel S. 233.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 11 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

die sich mit dem Besprechen von Not und Krankheit abgeben, es geht ihnen aus dem Wege, will nichts mit ihnen zu tun haben. Das hindert freilich nicht, daß man sich im Falle der Not doch an sie wendet. Ihre Wundermittel aber, so meint das Volk, können wohl eine Zeitlang helfen, schließlich aber wirken sie nicht mehr, und die Besprecher finden den Untergang, wie wir das aus der Dichtung Mörikes kennen. Der Teufel holt die ihm verfallenen Seelen.

Nun wird fast regelmäßig gesagt, daß der Feuerreiter bei der Besprechung des Feuers einen Feuersegen gesprochen habe. Diese sind uns in großer Anzahl überliefert. Sie lassen sich alle auf zwei Grundformen zurückführen, wie wir sie übrigens entsprechend bei allem Wortzauber finden: Einmal hören wir ganz unverständliche Worte oder einen frommen Spruch mit Anrufung Marias, Christi oder der Heiligen. Als Beispiel für die erste Form diene folgendes: "Siehst du ein Feuer aufgehen, so umgehe oder umkreise es dreimal und sprich:

Alla: Liga Loica.
Alla: Liga Loica.
Alla: Liga Loica. 23 )

Der Versuch einer Deutung führt zu keinem Ergebnis. Wichtiger sind für uns die Beispiele der zweiten Gruppe. Wenn hier die heiligen Personen angerufen werden, so ist sicher, daß es sich dabei ursprünglich um heidnische Götter handelte. Ich will zur Parallele nur hinweisen auf die christlichen Umdeutungen des Merseburger Zauberspruches von der Heilung des Pferdes: für Phol und Wodan, Sinthgunt und Frija treten Petrus und Maria ein.

Ein Feuersegen aus Mecklenburg 24 ) gibt folgende Anweisung: Beim Umjagen des Hauses "sprich bei der Haustür das erste Mal:

Füer, Füer, Füer,
Wat blökst un smökst du hier?

Beim zweiten Male:

De Bös hett di anbött,
De Bös di brennen lett.

Beim dritten Male:

Gott Vadder schall redden,
Gott Söhn di utpedden,


23) Bartsch Bd. II S. 356, 357.
24) Bartsch Bd. II S. 356, 357.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 12 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Gott Geist di utpusten,
In't Water di pusten.
Kumm mit! Kumm mit! Kumm mit"

Es folgt der eilige Ritt zum fließenden Wasser.

Oder ein anderer Spruch:

"Gott grüße dich, liebes feuer,
mit deiner flamme ungeheuer.
Das gebeut dir der heilige Mann
Jesus, du sollt stille stan,
und mit der flamme nit für baß gan!
Im namen usw." 25 )

Ich mache bei diesem Spruche noch aufmerksam auf die Anrede: Liebes Feuer; man wollte eben durchaus einer Schmähung oder Verfluchung aus dem Wege gehen. Ausführlicher und wegen seiner genaueren Angaben bemerkenswert ist folgender Feuersegen. 26 ) Der Reiter soll dreimal die Flammen umkreisen "und dabei langsam den Feuersegen sprechen, den er in einer Vollmondnacht am Freitag zwischen 11 und 12 Uhr bei drei auf dem Tisch brennenden Lichtern auswendig gelernt haben mußte:

"Feuer, steh still,
Um Gottes Will,
Um des Herrn Jesu Christi willen!
Feuer, steh still in deiner Glut,
Wie Christus der Herr ist gestanden in seinem rosinfarbnen Blut.
Feuer und Glut, ich gebeut dir bei Gottes Namen,
daß du nicht weiter kommst von dannen,
sondern behaltest alle deine Funken und Flammen.
Amen! Amen! Amen!"

Es folgt das eilige Davonsprengen zu einem Fluß oder Teich, wie wir es ja schon kennen. Andere Beispiele 27 ):

"Jesus Christus ging über Land,
begegnet ihm ein Feuerbrand;
Brand, du sollst verlöschen,
sollst nicht weiter fressen,
das zähl ich dir zu gute.
Im Namen usw."


25) Grimm Bd. III S. 504. Fast genau so auch aus Mecklenburg und aus dem Voigtlande.
26) Hertz S. 216, leider ohne Quellenangabe.
27) Wuttke S. 175.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 13 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

"Maria, unsere liebe Frauen, ging über Land;
Was trug sie in ihrer Hand?
Einen Feuerbrand.
Er brennt uns und brennt nicht.
Das zähl ich dir, Feuer, zur Buße
im Namen usw."

Viel ausführlicher ist folgender Segen, der sich in fast wörtlicher Übereinstimmung in Schwaben und Mecklenburg aufgezeichnet findet 28 ):

Bist willkommen, feuriger Gast,
greif nicht weiter, als was du hast;
das zähl ich dir, Feuer, zu einer Buß,
im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes.
Ich gebiete dir, Feuer, bei Gottes Kraft,
die alles tut und alles schafft,
du wollest stille stehen
und nicht weiter gehen,
so wahr Christus stand am Jordan,
dann ihn taufet Johannes, der hl. Mann;
das zähl ich dir, Feuer, zu einer Buß
im Namen der hl. Dreifaltigkeit.
Ich gebiete dir, Feuer, bei der Kraft
Gottes, du wollest legen deine Flammen,
so wahr Maria behielt ihre Jungfrauschaft
vor allen Damen,
die sie behielt s keusch und rein;
drum stell, Feuer, dein Wüten ein;
das zähl ich dir, Feuer, zu einer Buß,

im Namen der heiligsten Dreifaltigkeit.

Ich gebiete dir, Feuer, du wollest legen deine Glut,
bei Jesu Christi teurem Blut,
das er für uns vergossen hat,
für unsere Sünd und Missetat.
Das zähl ich dir, Feuer, zu einer Büß,

im Namen Gottes des † Vaters und des † Sohnes und des hl. † Geistes. Amen.
Jesus Nazarenus, rex Judaeorum, hilf uns aus diesen Feuersnöten

28) Birlinger Bd. I S. 201; Bartsch Bd. II S. 357, hier mit mehreren Schreib= oder Hörfehlern.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 14 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

und bewahre dies Land und Grenz
vor aller Seuch und Pestilenz.

Amen.

Allerdings ist bei diesem Segen nicht gesagt, daß der Feuerreiter ihn gesprochen habe, er ist wohl auch etwas zu lang dazu. Man soll ihn in mehreren Abschriften im Hause aufbewahren und bei ausbrechendem Feuer die Flammen damit bannen. Diese Vorsicht wurde sehr oft geübt, ja, sie war zum Teil sogar von der Obrigkeit vorgeschrieben, wie folgender Erlaß des Herzogs Ernst August von Weimar beweist: "Wir usw. fügen hier mit allen Unseren nachgesetzten fürstlichen Beamten usw. zu wissen, und ist denselben vorher schon bekannt, was maßen Wir aus tragender, Väterlicher Vorsorge alles was nur zur Conservation unserer Lande und getreuer Unterthanen gereichen kann, sorgfältig vorkehren und verordnen wir nun: Durch Brandschaden viele in große Armuth gerathen können, dahero dergleichen Unglück zeitig zu steuern, Wir in Gnaden befehlen, daß in einer jeden Stadt und Dorf verschiedene hölzerne Teller, worauf schon gegessen gewesen und mit der Figur und Buchstaben, wie der beigefügte Abriß besagt, des Feiertags bei abnehmendem Monde, Mittags zwischen 11 und 12 Uhr, mit frischer Tinte und neuen Federn beschrieben, vorrätig sein, sodann aber, wenn eine Feuersbrunst, davor der große Gott hiesige Lande in Gnaden behüten wolle, entstehen sollte, ein solcher nun bemeldeter maaßen beschriebener Teller mit den Worten "Im Namen Gottes" ins Feuer geworfen, und, wofern das Feuer dennoch weiter um sich greifen wollte, dreimal solches wiederholt werden soll, dadurch denn die Gluth unfehlbar getilgt wird. Dergleichen Teller nun haben die regierenden Bürgermeister in denen Städten, auf dem Lande aber die Schultheißen und Gerichtsschöppen in Verwahrung aufzubehalten und bei entstehender Noth, da Gott für sei, beschriebener maaßen zu gebrauchen. Hiernächst aber, weilen dieses jeden Bürger und Bauer zu wissen nicht nötig ist, solches bei sich zu behalten. Hieran vollbringen dieselben Unsern resp. gnädigsten Willen.

Gegeben in unserer Residenz [Weimar], den 24. Dezember 1747." 29 )


29) Hier nach Förster, Bilder aus der guten alten Zeit, Weimar, wo freilich der Ort nicht genannt wird.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 15 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Wir könnten die Zahl der Feuersegen noch stark vermehren 30 ), wollen aber davon absehen; neue charakteristische Züge ergeben sich dadurch nicht mehr, höchstens, daß einmal gemeldet wird, man solle bei dem Sprechen des Segens "unter dem rechten oder linken Fuß ein wenig Erde wegnehmen und sie ins Feuer werfen" 31 ) - also eine Verbindung des Besprechens mit dem Opfer an das Feuer.

Zum Schlüsse dieses Abschnittes wollen wir nur noch darauf hinweisen, daß die Sage vom Löschen des Feuers durch Zauber schon vor Mörike dichterische Behandlung gefunden hat. Wir finden sie in der Sammlung "Des Knaben Wunderhorn":

Das Feuerbesprechen.
1. Zigeuner sieben von Reitern gebracht,
Gerichtet, verurteilt in einer Nacht,
Sie klagen um ihre Unschuld laut,
Ein Jud' hält ihnen den Kelch vertraut.
2. Die Ratsherrn sprechen das Leben leicht ab,
Sie brachen dem sechsten schon den Stab,
Der siebent', ihr König, sprach da mit Ruh:
"Ich hör' wohl in Lüften den Vögeln zu.
3. Ihr sollt mir nicht sengen ein Härlein vom Kleid,
Bald krähet der rote Hahn so weit!"
Da bricht die Flamme wohl über wohl aus,
Aus allen vier Ecken der Stadt so kraus.
4. Der rote Hahn auf die Spitze gesteckt,
Er krähet, wie jener, der Petrum erweckt,
Die Herren erwachen aus Sünden Schlaf,
Gedenke der Unschuld, der harten Straf'.
5. Die Herren, sie sprechen zum Manne mit Flehn,
Er möge besprechen das feurige Wehn,
Er möge halten den feurigen Wind,
Sein Leben sie wollten ihm schenken geschwind.
6. Den Todesstab da entreißt er gleich,
Den Herren damit gibt Backenstreich,
Er ruft: "Was gießet ihr schuldlos Blut?
Wie wollet ihr löschen die höllische Glut?

30) Es finden sich noch mehrere in Grimms Mythologie, bei Wuttke, einige im Anzeiger für deutsches Altertum B. 7 S. 422, 427.
31) Grimm Bd. III S. 505. Ähnlich aus Dänemark berichtet.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 16 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite
7. Das Kindlein vom Stahle die Funken gern zieht,
Der Fromme im Steine das Feuer wohl sieht,
Was spielt ihr mit Dingen, die schneidig und spitz,
Der rote Hahn wohl unter euch sitzt."
8. Jetzt spricht er: "Willkommen, du feuriger Gast,
Nichts greife weiter, als was du hast,
Das sag ich dir, Feuer, zu deiner Buß',
Im Namen Christi, des Blut hier auch floß.
9. Ich sage dir, Feuer, bei Gottes Kraft,
Die alles tut und alles schafft,
Du wollest also stille stehn,
Wie Christus wollt' im Jordan stehn.
10. Ich sag' dir, Feuer, behalt dein Flamm',
Wie einst Maria, die heilige Dam'
Hielt Jungfrauschaft so keusch und rein,
So stelle, Flamm', deine Reinigung ein."
11. Da flog der rote Hahn hinweg,
Da nahm der Wind den andern Weg,
Das Feuer sank in sich zusamm',
Der Wundermann ging fort durch die Flamm.

Wir sehen, hier finden sich fast genau dieselben Worte wieder, die wir oben bei der Anführung der einzelnen Segen brachten. Auch diese waren ja meist in Reime gekleidet. Charakteristisch ist, daß auch hier wieder ein Zigeuner, und zwar der König des Haufens, es ist, der die Kunst übt: er löscht die Flamme, die wahrscheinlich durch seine Kraft auch entzündet war 32 ). Es fehlt das Herumreiten, statt dessen heißt es, daß der Zigeuner durch die Flammen fortgegangen sei; damit hat er vielleicht, wie wir annehmen können, das Feuer mit fortgezogen. Die Rettung der Stadt wird dadurch herbeigeführt, daß der Wind sich dreht und so die noch unversehrten Gebäude nicht mehr ergriffen werden können. Das ist ein Gedanke, der sich auch sonst mehrfach findet in Sagen, bei denen es sich um das Löschen eines Feuers handelt: es kommt alles darauf an, daß eine Änderung der Windrichtung herbeigeführt wird; eine Rettung des schon brennenden Hauses wird also gar nicht beabsichtigt, nur Schutz gegen eine weitere Ausdehnung.


32) Auch Herzog Karl von Württemberg hatte seinen Feuersegen und die Kunst, das Feuer zu umreiten, von einem Zigeuner gelernt. Siehe die Darstellung in dem Roman von H. Kurz: Schillers Heimatjahre.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 17 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Und nun wollen wir uns zu der Behandlung der Sage wenden, durch die sie heute wieder überall bekannt geworden ist: zu Mörikes Gedicht: Der Feuerreiter. Es erschien eingestreut in den Roman "Maler Nolten", wo es in der ursprünglichen Fassung also lautete:

1. Sehet ihr am Fensterlein
Dort die rote Mütze wieder?
Muß nicht ganz geheuer sein,
Denn er geht schon auf und nieder.
Und was für ein toll Gewühle
Plötzlich aus den Gassen schwillt -
Horch! Das Jammerglöcklein grillt:
Hinterm Berg, hinterm Berg
Brennt's in einer Mühle!
2. Schaut, da sprengt er, wütend schier,
Durch das Tor, der Feuerreiter,
Auf dem rippendürren Tier,
Als auf einer Feuerleiter;
Durch den Qualm und durch die Schwüle
Rennt er schon wie Windesbraut,
Aus der Stadt da ruft es laut:
Hinterm Berg, hinterm Berg Brennt's in einer Mühle!
3. Keine Stunde hielt es an,
Bis die Mühle borst in Trümmer,
Und den wilden Reitersmann
Sah man von der Stunde nimmer;
Darauf stille das Gewühle
Kehret wiederum nach Haus,
Auch das Glöcklein klinget aus:
Hinterm Berg, hinterm Berg
Brennt's -
4. Nach der Zeit ein Müller fand
Ein Gerippe samt der Mützen,
Ruhig an der Kellerwand
Auf der beinern Mähre sitzen.
Feuerreiter, wie so kühle
Reitest du in deinem Grab!
Husch! da fällt's in Asche ab -
Ruhe wohl, ruhe wohl,
Drunten in der Mühle!
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 18 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Das Gedicht entstand im Jahre 1824 "auf einem schönen Rasenplätzchen beim Philosophenbrunnen in Tübingen". Mörike nahm mehrfach eine Umarbeitung vor, die endgültige entstand im Jahre 1841 und gibt die jetzt geläufige Form, die auch durch die Vertonung Hugo Wolfs allgemein bekannt geworden ist. Die wichtigste Änderung gegen jene alte Fassung liegt darin, daß hinter dem zweiten ein neuer Vers eingeschoben wurde:

  Der so oft den roten Hahn
Meilenweit von fern gerochen,
Mit des heilgen Kreuzes Span
Freventlich die Glut besprochen -
Weh! Dir grinst vom Dachgestühle
Dort der Feind im Höllenschein.
Gnade Gott der Seele dein!
Hinterm Berg, hinterm Berg
Rast er in der Mühle.

Im Rahmen dieser Abhandlung müssen wir es uns natürlich versagen, eine ästhetische Würdigung des wundervollen Gedichtes zu geben, so sehr das an sich auch lockte. Hier handelt es sich eben nur um eine Untersuchung der Frage, wie die hier behandelte Sage sich in den Kreis der anderen Feuerreitersagen einfügt. Und da muß gleich von vornherein erklärt werden, daß die Lösung dieser Aufgabe außerordentlich schwer ist. Mörike hat von seiner dichterischen Freiheit hier vollen Gebrauch gemacht. Er hat uns die Sage in gewaltigen, schaurigen Visionen vorgeführt, wir sehen alles in unheimlichem Lichte vor uns aufleuchten, aber wenn wir's packen wollen, schwindet das Bild, wir können es nicht recht klar fassen; wo der ästhetische Genießer das Schönste findet, da muß der Forscher sich bescheiden, es bleibt ihm mancherlei ungelöst. Denn ob Mörike hier eine bestimmte Sagenform vor Augen hatte, ob überhaupt die Romanze einen wirklichen Grund hat, das läßt sich mit Sicherheit nicht feststellen. Äußere Anregung gab Mörike vielleicht der Brand des Klinikums in Tübingen im Jahre 1824, im selben Jahre also, in dem das Gedicht entstand. Damals aber fand der Dichter, wie gesagt, die dritte Strophe noch nicht, und dadurch wurde der Leser noch viel mehr über den eigentlichen Vorgang im Ungewissen gelassen als in der späteren Bearbeitung. Wir erfahren da nur: ein unheimlicher Mensch reitet wütend zum Brande einer Mühle, er verschwindet dabei, nach einiger Zeit wird sein Gerippe im Keller gefunden. Bei der Anrede zerfällt es in Staub und Asche, und

Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 19 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

damit ist, wie der Dichter meint, der Unselige erlöst. Diesen letzten Gedanken drückt Mörike besonders schön in der Bearbeitung von 1838 aus, wo der Schluß lautet:

  Seele, du
Bist zur Ruh!
Droben rauscht die Mühle.

Nach der endgültigen Bearbeitung stellte sich der Inhalt ungefähr so dar: Ein unheimlicher Mensch in roter Mütze eilt am Fenster seiner Wohnung auf und ab. Er hat die Gabe, schon lange vorher und auf weite Entfernung zu riechen, wenn ein Brand angeht, und jetzt hat ihn wieder seine Ahnung gepackt. Schon sprengt er auch wütend, d. h. von innerem Zwange unwiderstehlich geplagt und getrieben, auf dürrem Klepper durch die Stadt davon, zu der Mühle hinterm Berg, die in Flammen steht. Mit dem Span vom heiligen Kreuze will er die Glut besprechen, wie er schon oft getan. Das ist eine für die Menschen wohltätige Hilfe, und doch "freventlich", weil er damit Zauber verübt. Diesmal aber glückt's ihm nicht; als er bei der Mühle ankommt, grinst ihm schon der Teufel aus dem Dachgestühl entgegen, der Reiter ist ihm verfallen; dessen Zauberkraft versagt, er verschwindet von der Welt. Die Mühle brennt völlig nieder, und als nach einiger Zeit der Brandschutt aufgeräumt wird, findet man im verschütteten Keller den Unseligen wieder; als Gerippe, die Zaubermütze auf dem Totenschädel, sitzt er auf dem Gerippe seines unheimlichen Tieres. Bei der Anrede "fällt's in Asche ab" - die sündige Seele ist erlöst.

Wie gesagt, läßt sich nicht nachweisen, ob Mörike hier eine bestimmte Sage vor Augen hatte, die er dichterisch bearbeitete. Vermutlich wußte er, was sich das Volk vom alten Herzog Karl von Württemberg erzählte. Man meint auch, 33 ) daß er folgende schwäbische Sage kannte: "Im Remstal wohnte einst ein Baron, der "für das Feuer konnte". Er hielt jederzeit ein gesatteltes Pferd bereit und war im Nu an der Brandstätte. Im fliegenden Mantel ritt er dreimal um das brennende Haus und besprach das Feuer. Der Brand hörte auf, er selbst aber mußte sich eiligst aus dem Staube machen." Wenn wir aber auch die Kenntnis dieser Sagen voraussetzen, alles in dem Gedicht wird uns damit doch nicht klar. Einige Züge entsprechen den Typen, die wir früher fanden, andere aber sind so neu und fremd, daß deren


33) Hertz S. 217.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 20 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Darlegung schon ein längeres Verweilen bei dieser Dichtung rechtfertigt. Wir können wohl als sicher annehmen, daß der Mann das Feuer habe umreiten - daher die genaue Schilderung des rippendürren Tieres - und dabei durch Zauberspruch - "freventlich die Glut besprochen" - löschen wollen. Neu ist dabei der Span vom Kreuz als Zaubermittel. Neu ist die Schilderung des Endes: wir müssen nach dem, was oben ausgeführt ist, eben doch annehmen, daß der Reiter nicht zu den Leuten gehört, die einen göttlichen Beruf dazu haben, das Feuer zu löschen. Sein Vornehmen bleibt doch Teufelswerk, trotz der heiligen Reliquie, und so muß er schließlich einmal bei seiner Zauberei zugrunde gehen. Neu ist auch der innere unwiderstehliche Zwang [so ist wohl nach schwäbischem Sprachgebrauch das Wort "wütend" der Dichtung zu erklären], unter dem der Reiter handelt. Der drückt sich schon in der unheimlichen Unruhe aus, die ihn vor dem Brande befällt. Man kommt auf den Gedanken, daß es diesem Feuerreiter nur auf das Bekämpfen des Feuers an sich, als Selbstzweck, ankommt, wahrend bei allen andern doch die Absicht Hilfe zu bringen die Hauptsache war. Dieser gewissermaßen hypnotische, über dem eigenen Willen stehende Zwang zum Handeln ist uns aus verschiedenen Werwolfsagen bekannt.

Und neu ist vor allem die Kraft, das Feuer vorauszuwissen. Auch dies ist aber ein Zug, der uns aus anderen Sagen ganz geläufig ist: die vom "Vorgesicht" geplagten Leute besonders Westfalens, aber auch anderer Gegenden Deutschlands, sehen den Brand eines Hauses oft längere Zeit voraus.

Mörike hat in sein Gedicht also einige Züge aus anderen Sagen, und zwar außerordentlich glücklich hineinverwoben.

Belanglos ist, wie Mörike dazu kam, die Romanze "Feuerreiter" zu nennen. Vielleicht geht das auf die berittenen Feuermelder Tübingens zurück, die rote Beinkleider trugen; so hießen aber auch die radikalen Tübinger Burschenschafter 34 ). Wichtiger ist, daß Mörike zu der Gestalt wohl durch den Anblick Hölderlins gekommen ist. Sein Freund Lohbauer berichtet in einem Briefe an seine Braut 35 ), daß Hölderlin zur Zeit seines Wahnsinns mit einer weißen Mütze auf dem Kopfe unruhig in seinen Zimmern auf und ab gelaufen sei, so daß man ihn häufig so an den Fenstern habe vorbeihuschen sehen. Aus der weißen Mütze machte Mörike dem Feuerschein entsprechend eine rote, wozu wir als


34) Mayne S. 418 f.
35) Lang in den Wiirttembergischen Vierteljahrsheften 1896 S. 157.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 21 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Parallele stellen können, daß in einer wendischen Sage ein Feuermann eine rote spitze Mütze auf dem Kopfe trug 36 ).

Der Dichter selbst hat uns über die Veranlassung zu seiner Romanze in seinem Roman "Maler Nolten" eine kleine Einführung gegeben. Hier erzählt [in der Bearbeitung von 1832] ein hübscher junger Bursche folgendes: "In der Lohgasse, wo noch zwei Reihen der urältesten Gebäude unserer Stadt stehen, sieht man ein kleines Haus, schmal und spitz und neuerdings ganz baufällig; es ist die Werkstatt eines Schlossers. Im obersten Teil desselben soll aber ehemals ein junger Mann, nur allein, gewohnt haben, dessen Lebensweise niemanden näher bekannt gewesen, der sich auch niemals blicken lassen, außer jedesmal vor dem Ausbruche einer Feuersbrunst. Da sah man ihn in einer scharlachroten, netzartigen Mütze, welche ihm gar wundersam zu seinem todbleichen Gesichte stand, unruhig am kleinen Fenster auf und ab schreiten, zum sichersten Vorzeichen, daß das Unglück nahe bevorstehe. Eh' noch der erste Feuerlärm entstand, eh' ein Mensch wußte, daß es wo brenne, kam er auf seinem mageren Klepper unten aus dem Stalle hervorgesprengt und wie der Satan davongejagt, unfehlbar nach dem Orte des Brandes hin, als hätt' er's im Geiste gefühlt. Nun geschah's -" Der Erzähler wird unterbrochen, und es folgt der Vortrag des Liedes. Der "junge Mann", der hier der Held der Erzählung ist, befriedigte den Dichter aber auf die Dauer doch nicht. Mörike hatte bei all seiner Hinneigung zur Romantik einen stark ausgeprägten Sinn für das Konkrete, das Bestimmte. Bei der sorgsamen Umarbeitung, der er den ersten Teil seines Romans noch unterziehen konnte, wird deshalb diese Perfon schärfer gefaßt. Es wird da bei einem Maskenball "eine hübsche Volkssage aus der hiesigen Altstadt" erzählt: "Wenn Sie etwa über den Kornmarkt gehen, wird Ihnen ein altes, weitläufiges Wirtshaus auffallen, wo gewöhnlich die Frachtfuhrleute herbergen. Es lehnt sich an einen runden Turm, der zu dem Haus gehört und wohnbar ist. Darin saß in den Zeiten des Dreißigjährigen. Krieges ein sonderbarer Kauz zur Miete; man nannte ihn den tollen Kapitän. Er soll in einem kaiserlichen Regiment Hauptmann gewesen sein und seine Heimatrechte durch irgend ein Verbrechen verwirkt haben. Sein Schicksal machte ihn menschenscheu, mit niemand trat er in näheren Verkehr, ließ sich das ganze Jahr auch niemals auf der Straße blicken, außer wenn in der Stadt oder in der Umgebung Feuer


36) v. Schulenberg S. 139.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 22 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

ausbrach. Er witterte das jedesmal. Man sah ihn dann an seinem kleinen Fenster in einer roten Mütze totenblaß unruhig hin und wieder gehen. Gleich mit dem ersten Feuerlärm, nicht selten auch wohl schon zuvor, und eh' man nur recht wußte, wo es brenne, kam er auf einem mageren Klepper unten aus dem Stall hervorgesprengt und jagte spornstreichs unfehlbar der Unglücksstätte zu." Hier bricht die Erzählung wieder ab, es folgt der Vortrag des Liedes, und zwar in der erweiterten Form, mit der in der ersten Bearbeitung fehlenden wichtigen dritten Strophe. Wie also hier der Inhalt des Liedes deutlicher geworden ist, hat auch jener junge Mann" mehr Fleisch und Blut bekommen. Wir erfahren etwas von seinem Lebensschicksal und hören vor allem, daß er durch irgend ein Verbrechen aus der Welt fortgetrieben ist. Das gibt eine Bestätigung zu der oben ausgesprochenen Vermutung, daß der Hauptmann eben doch nicht recht geeignet gewesen sei zu seinem unheiligen Rettungswerk: der Teufel hatte schon durch jenes Verbrechen einen Anteil an ihm gewonnen und holte sich nach Ablauf einer gewissen Frist den ihm verfallenen Sünder.

Wie nun aber die Beschwörung wirklich verlaufen ist, welche genauere Bewandtnis es mit dem Reiter und seinem unheimlichen Klepper gehabt hat, wie er in die brennende Mühle, tief unten in den Keller gekommen ist, - das alles sind Fragen, auf die wir doch keine voll befriedigende Antwort geben können. Wir können das mystische Halbdunkel, in dem Mörike mit Absicht die Szene gehalten hat, nicht völlig erhellen.


Damit hätten wir wohl so ziemlich alles zusammengebracht, was über die aufgezeichneten und dichterisch behandelten Formen unserer Sage vom Feuerreiter zu finden wäre. Fast alle Gegenden Deutschlands steuerten einige Züge zu dem Gesamtbilde bei, ein Beweis, wie stark gerade diese Sage das Gemüt des Volkes ergriffen haben muß.

Und nun erhebt sich die Aufgabe zu untersuchen, ob sich die Sage nicht irgendwie deuten ließe. Man hat wohl gemeint 37 ) das in rein äußerlicher Weise tun zu können: zur Feuersbrunst eilt der Oberherr des betreffenden Gebietes, um die Löscharbeiten zu beaufsichtigen. Dabei sieht man ihn bald auf dieser, bald auf


37) Angedeutet Schwäbischer Merkur 9. November 1894; auch in Kurz, Schillers Heimatsehre.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 23 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

jener Seite des brennenden Gebäudes, - so ware der Gedanke des Umreitens entstanden. Seine planvolle Leitung verhindert ein weiteres Ausbreiten der Feuersbrunst - daher der Gedanke, er habe sie erstickt, und zwar setzte das Volk hinzu, durch einen Segen. Diese Deutung müssen wir natürlich ohne weiteres ablehnen. Wir trafen auf so viele alte Beziehungen, daß wir eine mythologische Wurzel der Sage annehmen müssen. Es handelt sich wohl sicher um einen alten Göttermythus, dessen Gedanke im Volke lebendig geblieben ist. Man hat denn auch in der Tat dies schon mehrfach untersucht, und dem wollen wir hier noch kurz nachgehen. Zunächst wurde die Meinung vertreten, daß wir es mit einem slavischen Gott zu tun haben 38 ). Swantewit, dessen Name als: der heilige Sieger oder: der heilige Seher gedeutet wird, soll der oberste Gott der Wenden gewesen sein. Auf weißem Rosse durcheilte er sein Gebiet.

Nun kamen aus Westfalen, vom Kloster Korvey, christliche Ansiedler nach Mecklenburg, Rügen und Vorpommern, die der Verehrung des Swantewit dadurch am besten entgegentreten zu können meinten, daß sie für jenen ihren Klosterheiligen St. Vit einsetzten. Dieser Vitus wurde unter Diokletian zum Feuertode verurteilt, - die Flamme brannte ihn aber nicht; auch ein Löwe ließ ihn unversehrt, deshalb wurde er schließlich durch Folterqualen getötet. "Im Volksglauben verbanden sich nun die Vorstellungen von Sankt Vit und Swantewit, wie z. B. daß Swantewit auf einem weißen Rosse reitet, und daß den St. Vitus die Flamme nicht verletzt: - dieser Glaube schimmert noch durch in dem Gebrauche, das Feuer zu umreiten."

Die hier vorgetragenen Anschauungen sind von der modernen Wissenschaft abgelehnt. 39 ) Swantevit war nicht der oberste Gott der Slaven, sondern eine Provinzialgottheit, die besonders auf Rügen Verehrung genoß, wo auf Arkona sein Tempel stand. Sein Name bedeutet: der Mächtige. Fälschlich ist also der erste Teil des Namens: svan dem christlichen sanctus gleichgesetzt worden. Den zweiten Teil des Namens: - vit mit Vitus gleichzusetzen, beruht auf bloßem Gleichklang, der trügerisch war. Und nun brachten die Korveyer Benediktiner das Märchen auf, daß sie "im 9. Jahrhundert das Christentum bis Rügen gepredigt hätten, wovon nur die Verehrung des hl. Vitus (ihres


38) Freybe in "Beweis des Glaubens" 1894 S. 388 f.
39) Religion in Geschichte und Gegenwart 5, bei den Artikeln Slawische Religion und Vitus.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 24 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Schutzpatrons) die heidnische Reaktion überdauert hätte." "Auch von einer Verwilderung des Heiligen und seines Kultus durch Übergang in den slawischen Gott Svantovit haben Frühere zu sprechen gewußt; die Behauptung beruht aber auf einer irrigen Gleichsetzung in Wirklichkeit unabhängiger Gestalten."

Für diese Swantovitfrage ist noch wertvoll die Abhandlung von Schildgen: "St. Vitus und der slavische Swantovit in ihrer Beziehung zueinander". [Progr. Münster 1881.] Hier wird die "Unwahrscheinlicheit, um nicht zu sagen Unmöglichkeit" der Identität der beiden Gestalten nachgewiesen. Die Frage, wie die Korveyer Mönche zu der Gleichsetzung kamen, wird im selben Sinne beantwortet, wie es hier geschehen ist.

Die Wissenschaft hat also nachgewiesen, daß die beiden Gestalten nichts miteinander zu tun haben. Ebensowenig aber können sie mit unserer Sage in Zusammenhang gebracht werden. Wir können nicht die Berechtigung der zugrundeliegenden Schlußfolgerung anerkennen: weil Svantovit auf einem Schimmel ritt, und weil St. Vitus nicht vom Feuer verzehrt wurde, deshalb bildet die Vereinigung der beiden den sagenhaften Feuerreiter. Da fehlen eben alle vermittelnden Schlußglieder. Nicht zu belegen ist das Umreiten der Flamme, die Kraft des Löschens, der Feuersegen usw. Nicht zu verstehen ist ferner, wie hieraus sich eine gemeindeutsche Volkssage entwickelt haben sollte. Und wenn wir dazu nehmen, daß Svantovit und St. Vitus eben gar nicht zusammen gehören, dann ergibt sich ohne weiteres, daß die Behauptung, von der die Verfechter dieser Anschauung ausgingen, völlig in der Luft hängt und wissenschaftlich ganz unhaltbar ist. Zudem fehlt die Sage gerade auf Rügen, dem eigentlichen Heimatlande des Svantovit, wie es scheint völlig. Wir müssen uns also nach einer andern Deutung umsehen.

Wir finden die Vermutung angedeutet, 40 ) daß wir es hier mit einem alten Mythus von Wodan zu tun haben. Nirgends ist aber diesem Gedanken genauer nachgegangen worden, und das soll hier nun versucht werden. Die Schwierigkeit dabei liegt darin, daß wir aus rein deutschen Quellen so wenig über Wodan wissen, wir müssen die nordische Mythologie zu Hilfe nehmen, wo wir Genaueres finden. Wir müssen dabei allerdings immer im Auge behalten, daß wir keineswegs die Erzählungen von Odhin ohne weiteres auf Wodan übertragen dürfen, im großen und ganzen aber decken sich die charakteristischen Züge des deut=


40) Simrock S. 264; Kuhn, Westfalen Bd. I S. 113.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 25 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

schen mit denen des nordischen Gottes, so daß wir unter jenem Vorbehalt wohl vom Wesen und Mythus des Wodan=Odhin 41 ) sprechen dürfen.

Zunächst steht nun wohl fest, daß dieser Gott von allen germanischen Stämmen verehrt wurde. Daher ist es dann erklärlich, daß Sagen, die sich an ihn anknüpfen, im germanischen Gebiet allgemein verbreitet sind, wie z. B. die Sage vom wilden Jäger. In dieser Sage tritt Wodan=Odhin, der Anführer der wilden Jagd durch die Wolken, stets als Reiter auf weißem Rosse auf. Und als Schimmelreiter erschien uns auch der Feuerreiter in den meisten Sagen. Wenn von der Kleidung des Gottes gesprochen wird, wird oft der lang wallende dunkle Mantel erwähnt; und auch bei dem Feuerreiter fanden wir diesen Mantel, der ihm bei dem eiligen Ritte nachweht.

Bei dieser Gelegenheit möchte ich noch auf eine Sage aufmerksam machen, wobei ich allerdings nicht ganz sicher bin, ob sie hierher gehört. "Einstmals war zu Hartum eine große Feuersbrunst. Alle Höfe um den Kirchhof her standen in Flammen, und die Hitze wurde so groß, daß die Ziegel auf dem Kirchdache sprangen und der Turm einen Riß bekam. Da hat man drei weiße fremde Tauben gesehen, welche immerfort solange der Brand gewährt, in gleichem Fluge die Kirche umkreist haben. Und so ist diese bewahrt und unter allen Gebäuden umher allein stehen, ja unversehrt geblieben." 42 ) Wenn die Sage alt ist, können wir annehmen, daß heidnische Züge in christliche übertragen sind. Dann könnten wir für die Tauben die Raben Wodan=Odhins einsetzen und hätten einen Beleg für unsere Deutung der Sage gefunden, zugleich mit dem charakteristischen Zug des Umkreisens eines Gebäudes, womit ein geweihter Bezirk innerhalb der allgemeinen Feuersbrunst geschaffen wird. Doch möchte ich, wie gesagt, jenes nicht als sicher hinstellen, wenn auch als wahrscheinlich,

Die angeführten Ähnlichkeiten beziehen sich nur auf äußerliche Dinge, es ist aber doch schon bedeutungsvoll, daß wir hier solche Übereinstimmung finden. Diese geht aber noch weiter. Das Löschen des Feuers ist ein Akt der Zauberei, und Wodan war der Gott des Zaubers. "Alle deutschen Stämme scheinen Wodan bereits als Gott des Zaubers verehrt zu haben", 43 ) und


41) So v. d. Leyen in seinem vorzüglichen Werk: Götter und Göttersagen der Germanen.
42) Kuhn, Westfalen Bd. I S. 275.
43) Herrmann, Deutsche Mythologie S. 246.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 26 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

im Nordischen schreibt der Verfasser der Heimskringla dem Odhin gleichfalls Zauberkunst zu. Unter den Zauberkünsten, die Wodan=Odhin übte, erscheint nun mehrere Male das Löschen des Feuers durch Zauberkunst, er war der Gebieter über die Flammen. Er entfachte das Feuer, wie aus der Runeninschrift auf der bekannten, in Nordendorf bei Augsburg in einem alten Gräberfeld gefundenen Spange hervorgeht. Diese Runeninschrift: "Loga thore Wodan Wigi Thonar" wird jetzt so gedeutet: 44 ) "Die Flamme möge Wodan entfachen, Thor weihe sie." Es handelt sich wohl um den Brand des Scheiterhaufens, den Wodan selbst entzünden soll.

Und der Gott verstand auch die Kunst, die Flamme zu löschen. In dem Eddalied Havamal werden 18 zauberkräftige Sprüche genannt, die Odhin kennen will. Und da heißt es dann: 45 )

"Einen siebenten kenn ich, wenn ich seh', daß der Hochsaal
        über den Bankgenossen brennt:
wie breit er auch lohe, ich berge ihn dennoch,
        zu sprechen versteh ich den Spruch."

Hier rühmt sich also der Gott selber der Zauberkunst, und Snorri Sturluson bestätigt das später.

Wir erfahren aus der Edda aber auch einen solchen Spruch selbst, und zwar aus dem Liede von Grimnir. 46 ) Leider besitzen wir ja dies Lied nur in einer Form, die durch spätere Skalden arg entstellt ist. Odhin, verkleidet als Grimnir, besucht den König Geirrod. Dieser läßt den Gott foltern, er setzt ihn zwischen zwei Feuer, wo er acht Nächte sitzen muß. "Da war ihm das Feuer so nahe gekommen, daß der Mantel zu brennen anfing. Er sprach:

"Heiß bist du, Lohe! zu hungrig leckst du!
        entferne dich, Flamme, von mir!
der Wollstoff sengt, obwohl ich im Wind ihn kühle,
        und Feuer fängt der Pelz."

Da enthüllt also Odhin seine Zaubergewalt, er "löscht" mit einem Zauberspruche das Feuer, offenbart sich dann in seiner furchtbaren Majestät und spricht über Geirrod den Zauberspruch, der den Peiniger in das eigene Schwert stürzt. Deutlich weist


44) v. d. Leyen S. 250, 124.
45) Edda S. 108.
46) Edda S. 69.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 27 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

auch die Einleitung auf Odhin als Zauberer hin, den der bissigste Hund nicht anbellen werde". 47 )

Fassen wir diese mythologischen Zeugnisse zusammen, so kommen wir zu folgendem Ergebnis: Wodan=Odhin ist ein gemeingermanischer Gott; er tritt häufig auf als Schimmelreiter mit wehendem Mantel; [vielleicht: seine Raben umkreisen hilfebringend eine Brandstätte]; er ist der Gott des Zaubers und gilt überall als der Herr des Feuers, das er entzündet und mit einem Zauberspruche löscht.

Der Schluß, den wir daraus ziehen, ist allerdings nicht unbedingt sicher, trägt aber bei all diesen passenden Zügen eine große Wahrscheinlichkeit in sich: Die Sage vom zauberkräftigen Feuerreiter ist ein alter Mythus von Wodan=Odhin.


Nachtrag.

1. Zu dem Gedichte Das Feuerbesprechen aus "Des Knaben Wunderhorn" (siehe S. 15 f.) kann noch bemerkt werden, daß wir es hier mit einem Liede zu tun haben, das von Achim von Arnim gedichtet ist. Er kannte den alten Feuersegen, brachte ihn in Reime und umkleidete ihn mit der romantischen Zigeunerszene.

2. Nach der Drucklegung der Arbeit kommt mir noch ein größerer Aufsatz vor Augen, der im 24. Jahrgang 1909 bis 1910 der Burschenschaftlichen Blätter erschienen ist: Proelß, "Hauffs Feuerreuterlied und Mörikes Feuerreiter. Ein Beitrag zur Geschichte der Tübinger Burschenschaft." Für die Geschichte der zugrundeliegenden Sage ergibt sich daraus nichts Neues, dagegen mancherlei Bemerkenswertes über Mörikes Dichtung. In den Jahren 1822 bis 24 weilten Mörike und Hauff zusammen in Tübingen als Studenten. Hauff gehörte zur Burschenschaft, und in dieser wieder zum engeren Kreis der "Feuerreuter". Unter den Feuerreutern verstand man damals in Württemberg zweierlei. Zunächst die Meldereiter, die nach Feuersausbruch auf dem schnellsten Gaule des Ortes fortgaloppierten und Hilfe holten. Sie trugen rote Beinkleider. Dann die Guts= und Landesherren, die sich zur Leitung des Löschwesens auf schnellem Rosse zur Brandstätte begaben. Nun nannte sich jener studentische Kreis auch Feuerreuter, und zwar wegen ihres besonderen Eifers für burschenschaftliche und allgemein studentische Angelegenheiten. Für die Genossen seiner "Compagnie" dichtete Hauff 1824 das "Trinklied", das eigentlich "Feuerreuterlied" hieß; und einem der Freunde schrieb er folgenden Neckvers ins Stammbuch:

"s'jagt einer im Schritt über die Brück',
"Aus dem Weg! aus dem Weg! zurück!"
Was giebt's, Herr von Röder? brennt's wo?
"In Glems, in Glems! Feuerjo!"


47) Herrmann, Nordische Mythologie S. 323.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 28 zur ersten Seite zur vorherigen Seite

Wegen mancherlei Anklänge kommt man auf den Gedanken, daß Mörike diesen Vers gekannt hat. Seine "Romanze vom wahnsinnigen Feuerreiter" wurde im selben Jahre wie dieser Vers und wie Hauffs "Feuerreuterlied" gedichtet - ein gewisser Zusammenhang ist also nicht ohne weiteres abzulehnen.

Um zu zeigen, wie Mörike zur Dichtung seiner Romanze kam, weist Proelß noch darauf hin, daß die Herzen der studierenden Jugend damals von zwei großen Bewegungen erfüllt waren: Zunächst von der Begeisterung für den Freibeitskampf der Griechen. Mörikes Freunde waren vielfach ausgesprochene Philhellenen, und einer derselben, der oben (S. 20) erwähnte Lohbauer, richtete an ihn die Aufforderung, mit ihm nach Griechenland zu ziehen, um den Griechen mit Wort und Tat zu helfen. Mörike dachte freilich nicht daran, der Aufforderung Folge zu leisten.

Ebenso erregt war man über den Verlauf der burschenschaftlichen Bewegung und deren verhängnisvolle Folge: die Demagogenverfolgung. Einige studentische Kreise waren zu heimlichen Verschwörungen im Sinne Follens und Sands geneigt. Andere wollten ihre burschenschaftliche, national-deutsche Gesinnung in ostentativen Aufzügen und Festveranstaltungen mit feurigen Reden zeigen. Der kühle Beobachter - Mörike gehörte nicht, wie Hauff, zur Burschenschaft - konnte also zwei Ausartungen des burschenschaftlichen Lebens feststellen: "Die im Grunde harmlose Übertreibung des kriegerischen Auftretens und die verhängnisvolle Demagogie der Jugendbündler." (Hierauf bezieht sich die satirische Schornsteinfegerszene auf dem Maskenball im "Maler Nolten" kurz vor dem Vortrage unseres Liedes.)

Beide Anregungen nun: mit seiner Person, mit Leib und Leben einzutreten für die Sache der Griechen und für diese burschenschaftlichen Ideale lehnte Mörike ab, mußte er seiner Natur und seinen damaligen inneren Erlebnissen nach ablehnen. Er sah in beiden ein toddrohendes Spiel mit dem Feuer, - und so kam er zur Dichtung seines "Feuerreiters", der bei seinem wilden Werke zugrunde geht.

Dann könnte man im Anschluß an Proelß noch auf einige Einzelheiten hinweisen:

Die Verwandlung der weisen Mütze Hölderlins (S. 20 unten) in eine rote wird dadurch erklärt, daß die "Feuerreuter" der Burschenschaft rote Mützen trugen.

Der runde Turm, von dem in der Erzählung im "Maler Nolten" die Rede ist (S. 21 unten), steht heute noch in Tübingen. Es ist der "Hölderlinturm" in der "Eberhardtei", einer malerischen Häusergruppe am Neckar unterhalb des Schlosses. Damit wäre das Lied in Tübingen lokalisiert, und nicht, wie man sonst wohl meinte, in Stuttgart.

Neben dem oben (S. 18) erwähnten Brande des Klinikums war es dann noch ein anderer Brand in Tübingen, der Mörike ganz besonders naheging: Bei einer großen Feuersbrunst konnte die Braut seines guten Freundes Waiblinger nur mit Mühe dem wütenden Elemente entrissen werden. Wir wissen, daß dies auf die leicht erregte Phantasie des Dichters außerordentlich stark einwirkte.

Vignette