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IV.

Johann Jacob Engel an A. v. Kotzebue

Mitgeteilt von

Dr. Karl Schröder.


D ie Regierungsbibliothek erwarb kürzlich aus dem Antiquariat von Joseph Baer u. Co. in Frankfurt a. M. einen Brief von Engel, dessen Mitteilung nicht ohne Interesse sein dürfte. Von der zweifellos sehr reichen und vielseitigen Korrespondenz Engels ist bisher nur weniges bekannt geworden: ein paar Briefe an Joachim Heinrich Campe und dessen Frau veröffentlichte Leyser in seiner Biographie Campes (Braunschweig 1877); zwei Schreiben an den Schauspieler, Schauspieldichter und Schauspieldirektor Großmann, damals in Braunschweig und Hannover, sind mitgeteilt in der Zeitschrift "Im Neuen Reich" 9. Jahrg. I. Bd. S. 696, ein Brieschen an Christian Felix Weiße in Schnorrs "Archiv für Litteraturgeschichte", Bd. 9, S. 496; von einigen Familienbriefen hat uns schließlich Kohfeldt im 70. Jahrgange der Jahrbücher Kenntnis gegeben. Das nachstehende Schreiben zeigt uns Engel von seiner besten Seite, einmal als Freund seiner Freunde, sodann als Geschäftsmann und als feinsinnigen Dramaturgen.

Berlin, den 21sten October 1789.

Mein theuerster, vortrefflichster Freund,

Ihre Indianer in England sind gegeben, und mit dem besten Erfolge von der Welt gegeben. Ich wählte dazu den Geburtstag der regierenden Königinn, die bei der dritten Vorstellung das

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Haus selbst besuchte und mir beim Weggehn sehr viel Angenehmes über die Vorstellung sagte. Als ich gestern zum Kronprinzen kam, war das erste Wort Ihr Lob und der Wunsch, daß Sie mehr schreiben mögten. Mit diesen hohen Personen ist der ganze Hof und das ganze Publicum einig. Schrödern in Hamburg habe ich unter Bedingung der sorgfältigsten Aufbewahrung auch dieses neue Stück gegen 8 Stück Fr.d'or, und unter gleicher Bedingung dem Hn. v. Dalberg in Manheim gegen 10 Stück Fr.d'or überlassen. Für Menschenhaß und Reue sind von letzterm 10 Augustd'or richtig eingelaufen. Ich will hoffen, daß die 20 Stk. Fr.d'or von meinem Rendanten eingelaufen sind. Befehlen Sie über meine Casse, mein liebster Hr. Präsident: alles, was sie vermag, wird sie zu Ihrem Dienste leisten. Künftig müssen Sie nun Ihre Producte in höherm Preise halten; nicht allein bei den Theatern, sondern auch bei den Buchhändlern. Himburg, wie ich höre, prahlt, Ihnen ich weiß nicht was für ein ansehnliches Honorarium gegeben zu haben. Lassen Sie ihn das in Zukunft wirtlich geben, oder ich schaffe Ihnen ein andern Verleger. Hat er Ihnen doch nicht Wort in Ansehung der Eleganz gebalten: denn das Kupfer ist ja so elend als möglich. Vor dem Masaniello hingegen steht eine so schöne Vignette. Die Kupfer stehen, ihrem Werthe nach, in umgekehrtem Verhältnis mit den [1 b ] Stücken. Bono vino non opus est hedera! hat vielleicht der Verleger gedacht, - wenn er nur gelehrt genug dazu wäre.

Nicht allein Hr. Schröder, auch Hr. v. Dalberg, auch Hr. Großmann, der sich das Stück naß von der Presse kommen lassen, schreiben mir von der allgemeinen Sensation, die Menschenhaß und Reue gemacht hat. Ich verspreche mir fast gleiche Wirkung von den Indianern. In Hamburg haben sie die gewiß, weil hier Robert u. Jack so sehr an ihrem Platze sind. Sollten sie an andern Orten weniger wirken, so muß es daher rühren, weil die Schauspieler nicht so vortrefflich spielen, wie sie hier in Berlin wirklich spielen. Ich bin mit der Vorstellung dieses Stücks weit mehr, als mit der des erstern Stücks zufrieden. Die Unzelmann ist sicher die einzige Gurly in Deutschland; Mattausch, Fleck, die Döbbelin, selbst Czechtitzy als Samuel - sie spielen wirklich recht trefflich. Ob Sie für den künftigen Druck nicht noch einige Curas posteriores würden anwenden müssen? überlasse ich Ihrer eigenen Entscheidung. Wenigstens würden Sie zuvor die Güte haben, meine Veränderungen anzusehen, um sie genehmigen oder verwerfen zu können. Die Theilnahme Liddys an Samuels Freierei habe ich sehr gemindert; dem Visitator

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vieles gestrichen, dem Jack einige zu sichtbare Nachahmungen des Peregr[ine] Pickle genommen: aber immer bleibt noch das auszusetzen: daß ein paar Personen ein wenig [ 2 a ] zu viel von ihrem eigenen Character sprechen. Ich weiß, Sie nehmen mir meine Offenheit so wenig übel, daß Sie sie vielmehr fodern. Tilgen Sie nur noch diesen einzigen Fehler, und ich bin überzeugt, daß auch im Lesen das Stück von der trefflichsten Wirkung sehn wird.

Haben Sie denn nicht noch einige ältere Ausarbeitungen liegen, die sich zur Aufführung qualifizirten? Sßenn Sie deren haben, so schicken Sie mir sie ja in der festen Überzeugung, daß Ihre Ehre mir so lieb, wie meine eigene ist. Der Eremit auf F[ormentera] wird in einigen Wochen erscheinen, und auch von dessen Erfolg werd ich Ihnen ungesäumt Nachricht geben. Ihre Sonnenpriesterinn - ist sie schon in der Arbeit?

Verzeihen Sie gütigst die Eilfertigkeit dieses Geschreibsels! Wenn ich bei meinen vielen Zerstreuungen Ihnen öfter schreiben soll, so müssen Sie mir schon ein wenig Unordnung und Geschwätz zu Gute halten. Ich bin von ganzer Seele.

Ihr Sie herzlich verehrender und liebender Engel.

Die von Ihnen vertilgte halbe Scene, wo Liddy ihren Schutzgeist ruft und Gurli sich fürchtet, habe ich wieder hergestellt; sie thut treffliche Wirkung in der Vorstellung und bereitet zur Erkennungsscene zwischen Gurly und Fazir vor: indessen sehe ich die Gründe sehr wohl ein, die Sie zum Streichen bewogen haben.


Dem Briefe Engels mögen noch einige erläuternde Bemerkungen angefügt werden.

Die Beziehungen Engels zu Kotzebue haben vermutlich zu der Zeit begonnen, wo Engel Mitglied des Direktoriums des Nationaltheaters wurde, also im Jahre 1787. Daß diese Beziehungen von größter Herzlichkeit waren, ergibt sich aus dem Tone des vorstehenden Briefes und aus einem Schreiben Kotzebues an Engel vom 28. November 1789 aus Reval (der Schreiber war damals "Präsident des Gouvernementsmagistrats"), dessen Schluß lautet: "Ach! wann werd' ich einmal wieder auf Ihrem grünen Sofa neben Ihnen sitzen, Sie beym Kopf nehmen und küssen, und Ihnen mündlich sagen, daß Sie mit dem ersten Ihrer Blicke mir das Herz aus dem Leibe gewunden haben." 1 )


1) A. E. Brachvogel, Geschichte des Königlichen Theaters zu Berlin, Bd. II, S. 239.
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Kotzebues Schauspiel "Menschenhaß und Reue" war am 13. Juni 1789 auf der königlichen Bühne in Berlin zum ersten Male gegeben worden und erlebte bis zum 5. März 1843 nicht weniger als 88 Aufführungen. Im Buchhandel erschien es zu Berlin 1789 1 ) im Verlage von Christian Friedrich Himburg, der im Januar 1770 die Buchhandlung des Johann Jacob Kanter übernommen hatte. Engel scheint den Druck des Stückes überwacht zu haben, denn Kotzebue schreibt ihm a. a. O.: "Endlich hat mir auch Himburg ein Exemplar von M. u. R. geschickt, und ich habe das Papier und den correcten Druck, den ich Ihnen verdanke, mit Vergnügen betrachtet."

Am 16. Oktober 1789, am Geburtstage der Königin Friederike Louise, folgten "Die Indianer in England", die ihre erste Aufführung im Februar 1789 auf dem Liebhabertheater in Reval erlebt hatten. In Berlin war die Besetzung der Hauptrollen folgende: Madame Unzelmann gab die Gurli, Fleck den Kaberdar, Mattausch den Fazir, Czechtitzky den Samuel, Demoiselle Döbbelin die Mistreß Smith. Auf der königlichen Bühne in Berlin hat sich das Stück bis zum 30. Oktober 1847 gehalten und dort im ganzen 69 Aufführungen erlebt - ein Erfolg, den es, wie die Mehrzahl der Kotzebueschen Stücke, wesentlich der Geschicklichkeit des Verfassers verdankte, stark umrissene und leicht auszuführende sog. dankbare Rollen für die Schauspieler zu schaffen. Eine solche dankbare Rolle ist die Gurli gewesen, die, an sich eine etwas verzerrte Nachahmung der Marianne in Goethes "Geschwistern", wieder vorbildlich geworden ist für die zahlreichen kokett=naiven Naturkinder, die in der Folgezeit auf der Bühne wie im Roman ihr Unwesen trieben.

Daß Kotzebue die Ratschläge eines so erfahrenen Dramaturgen, wie Engel es war, befolgte, zeigt die Gestalt in der "Die Indianer in England" 1790 im Druck erschienen. Speziell die Wiederherstellung der in der Nachschrift erwähnten Szene hat er angenommen: es ist die 7. Szene des II. Aktes.

Auf die "Indianer in England" bezieht sich der Brief Engels an Großmann vom 13. November 1789, in dem es heißt: "Menschenhaß und Reue hat also auch in Hannover soviel Wirkung gethan wie hier und überall! Ich habe von dem Verf. ein anderes Stück zu meiner völlig freien Disposition, ein Stück, welches hier, ob es gleich ungleich weniger rührend und mehr komisch ist, ganz


1) Nach Goedeke 2 , Bd. V, S. 375. Von dieser Ausgabe ein Exemplar zu finden, ist mir nicht gelungen; die von Goedeke verzeichnete Ausgabe von 1790 besitzt die Regierungsbibliothek.
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unendlich und noch mehr als Menschenhaß gefallen hat. - - Für 8 Stück Fr.d'r und unter der Bedingung, daß Sie das Msept. nicht veräußern wollen, steht es zu Ihren Diensten. Das hiesige Theater hat dafür 20 gegeben und hätte auch 40, auch 60 geben tonnen".

"Der Eremit auf Formentera", schon 1784 in Reval gedruckt, gelangte am 3. Dezember 1789 in Berlin zur Aufführung, brachte es aber bis zum 26. Juni 1790 nur auf 7 Wiederholungen. Besseren Erfolg hatte die "Sonnenpriesterin", wie Engel sie nennt, oder die " Sonnen=Jungfrau", wie der Verfasser sie taufte, deren letzte drei Akte Kotzebue am 28. November 1789 an Engel sandte mit dem Bemerken: "Hätt ich nur erst Ihr Urtheil über die beiden ersten Akte, so wüßte ich doch ungefähr, wie Sie das Ganze aufnehmen werden. Nach grade fang ich an, jeden Posttag mit Sehnsucht auf ein Briefchen von Ihnen zu harren". Ihre Uraufführung erlebt die "Sonnen=Jungfrau" auf dem Liebhabertheater in Reval am 19. Dezember 1789; in Berlin erschien sie auf der königlichen Bühne zuerst am 18. Februar 1790 und wurde bis zum 6. Mai 1814 35mal gegeben. Engel scheint also die Wirkung der Sonnenjungfrau unterschätzt zu haben, als er am 14. April 1790 an Großmann schrieb: "Die Sonnenjungfrau soll ich an die Theater verkaufen. - - Im Vertrauen will ich Ihnen wohl stecken, daß dieß Stück die Kosten nicht einbringt, die es verursacht, und daß es die Wirkung nicht thut, die man sich im Lesen davon vorstellt."

Noch in einer anderen Beziehung scheint Engel einen Einfluß auf Kotzebue geübt zu haben, nämlich hinsichtlich der Wahl seines Verlegers. Himburg hatte sich erboten, auch die "Indianer in England" zu verlegen; er war bereit, ein Honorar von 10 Louisd'or zu zahlen. Doch schrieb Kotzebue a. a. O. an Engel:

"Es kann seyn, daß es nicht mehr werth ist; aber wenn auch ein Anderer ein paar Louisd'or weniger bieten sollte, so gebe ich es lieber an einen Andern". Das Stück erschien dann 1790 bei einem Leipziger Verleger.

Verfasser des anonym erschienenen "Masaniello von Neapel" ist Joh. Friedr. Ernst Albrecht. Himburg hatte das Stück verlegt. Die von Engel gerühmte Vignette ist gezeichnet und gestochen von Johann Wilhelm Meil, demselben, der Engels "Mimik" mit trefflichen Kupfern geschmückt hatte; die Vignette auf dem Titelblatte von "Menschenhaß und Reue", die Schlußszene des Stückes darstellend, ist gezeichnet von Löwe und von Malvieux gestochen.

Vignette