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I.

Die Herrschaft der Meklenburger in Schweden.

Von

Dr. Friedrich Oelgarte in Friedland.

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V ielfach hat man das Zeitalter der Staufer als den Höhepunkt in der Geschichte des deutschen Volkes betrachtet, die Zeit nach dem Untergange dieses edelen Geschlechtes dagegen, das spätere Mittelalter, als eine Zeit des Niederganges angesehen; und beides mit einigem Recht. Friedrich Barbarossa hatte durch seine zwar nicht immer siegreichen, aber stets ruhmreichen Kämpfe in Italien den deutschen Namen in ganz Europa und bis in den fernen Orient geachtet und gefürchtet gemacht. Heinrich VI. hatte die Politik seines Vaters mit solchem Erfolge weitergeführt, daß er auf dem Wege war, die alte römische Weltherrschaft, die Macht auch über den Osten zu erneuern. Friedrich II. hatte das durch Zwiespalt zerrüttete Reich wieder ausgerichtet, hatte in langjährigem Kampfe mit Erfolg sein Recht gegen die Anmaßungen der Hierarchie vertheidigt und war unbesiegt gestorben. So hat die Geschichte des Reiches unter den Staufern den Charakter eines heroischen Zeitalters, und mit Recht leben jene Männer, wenn auch das, was sie gewollt haben, nicht von Dauer gewesen ist, im Gedächtniß des deutschen Volkes fort. Wie ganz anders sieht die Geschichte der folgenden Jahrhunderte aus. Die Kaiser hatten, durch die schließliche Erfolglosigkeit des Strebens ihrer Vorgänger belehrt, deren Weltherrschaftspläne aufgegeben; aber ihre Politik im Inneren des Reiches war nicht kräftiger geworden. Es gelang ihnen nicht, die immer selbständiger werdenden Partikulargewalten zum Nutzen des Ganzen niederzuhalten. Vielmehr wurden sie selbst immer mehr und

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mehr zu Territorialherren, und ihre Politik wurde fortan nicht mehr durch den Nutzen und die Ehre des Reichs, sondern durch die Rücksicht auf den eigenen Vortheil und auf die Erweiterung ihres Erblandes bestimmt. Eine derartige eigennützige Politik des Reichsoberhauptes, seine Machtlosigkeit den Fürsten gegenüber war natürlich im Stande, den alten Ruhm zu verblassen, das Ansehen des Reiches schwinden zu lassen. Und in diesem Sinne kann man wohl von einem Niedergange reden.

Aber wie schon in der ruhmvollen Stauferzeit sich die Keime und Ursachen des späteren Verfalles entwickelt hatten, eben jene immer größer werdende Unabhängigkeit der Fürsten, so machten sich nun andrerseits in dieser Zeit des scheinbaren Niederganges Spuren einer gesunden, kräftigen Entwickelung bemerkbar. Jetzt wo die Kaiser ihre persönlichen Zwecke in den Vordergrund stellten, waren es nun jene Patikulargewalten, die Fürsten und Städte, namentlich die durch ihre Entfernung vom Kaiser fast unabhängigen im Norden, die den alten Ruhm deutscher Tüchtigkeit gegenüber den auswärtigen Nationen aufrecht erhielten. Würdig können sich die Unternehmungen der hansischen Kaufleute und der holsteinischen und meklenburgischen Fürsten in den skandinavischen Reichen den Kämpfen der Staufer in Italien an die Seite stellen.

Eine der kräftigsten Aeußerungen der deutschen Regsamkeit ist die, durch die die meklenburgischen Fürsten die Herren in Schweden wurden, und durch die dies Land über ein halbes Jahrhundert lang dem Einfluß deutscher Sitte und Kultur zugänglich wurde.

Ueber die Herrschaft der Meklenburger in Schweden ist allerdings schon vieles geschrieben worden. So die Geschichte der ganzen Periode in Th. Lindners "Geschichte des deutschen Reiches unter König Wenzel, Braunschweig 1875 und 1880"; Dietrich Schäfer hat in seiner Schrift "Die Hansastädte und König Waldemar von Dänemark, Jena 1879" die erste Zeit bis zum Jahre 1375 behandelt; Kr. Erslev kommt in seiner "Dronning Margrethe og Kalmarunionens Grundlaeggelse, Kopenhagen 1882" nur für die letzte Zeit in Betracht, ebenso wie Paul Girgensohn mit seiner Schrift "Die skandinavische Politik der Hansa, Upsala 1898"; Ernst Robert Daenell hat mit seiner "Geschichte der deutschen Hanse in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts, Leipzig 1897" dieselben Ereignisse behandelt, soweit sie mit in sein Thema gehörten; Carl Gustav Styffe giebt in der Einleitung zu seinem "Bidrag till Skandinaviens Historia ur utländska Arkiver, första delen, Stockholm 1859" einen Ueberblick zwar

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über die ganze Zeit, aber nur sehr kurz; desgleichen Hans Hildebrand "Sveriges Medeltid, Stockholm 1879"; und schließlich wäre noch von Peter Friedr. Suhms "Historie af Danmark, Kopenhagen" der 13. und 14. Band heranzuziehen. Stuffe und Erslev stehen aber mit ihren Sympathien zu sehr auf gegnerischer, d. h. national=schwedischer bezw. dänischer Seite, als daß es ihnen möglich gewesen wäre, bei der Schilderung des Handelns der ausländischen, deutschen Fürsten ganz unparteiisch zu bleiben. Daenell andererseits ist von vornherein zu sehr für die hansische, speziell lübische Politik eingenommen, so daß er da, wo sie mit der der Fürsten im Widerspruche steht, die letztere zuweilen etwas unbillig beurtheilt. Demnach mangelt es zur Zeit noch an einer Arbeit, die einerseits ein gründliches, vollständiges Bild dieser interessanten Episode giebt, und andrerseits auf Grund einer, soweit dies möglich ist, unbefangenen Würdigung der Quellen eine gerechtere Beurtheilung der handelnden Personen gestattet. Deshalb dürfte die vorliegende Arbeit, die den angedeuteten Zweck verfolgen soll, nicht ganz überflüssig sein.

Als Quellen dieser Arbeit sind namentlich die benutzt, die die meiste Gewähr der Zuverlässigkeit bieten, die gleichzeitigen Urkunden, wie sie in dem Meklenburgischen Urkundenbuch (Band IV-VI u. XIII-XX), in der Sammlung der Hanserezesse (B. I-IV), in der Urkundensammlung der schleswig=holstein=lauenburgischen Gesellschaft für vaterländische Geschichte (II. B.), im Archiv für Staats= und Kirchengeschichte der Herzogthümer Schleswig, Holstein, Lauenburg von Michelsen und Asmussen (II.), im Lübecker Urkundenbuch (III. B.), im Urkundenbuch zur Geschichte der Herzöge von Braunschweig und Lüneburg von Sudendorf (III-V), in Bunges Liv=, Esth= und Kurländischem Urkundenbuch (U. B.), im Diplomatarium Norwegicum (I, II, III, V) und in Rydbergs "Sverges traktater med främmande magter" (II. B.), sowie in dem bereits genannten Werk von Styffe (B. I) aufgeführt sind. Daneben sind aber auch stets des Vergleichs halber die Werke der mehr oder minder gleichzeitigen Geschichtsschreiber herangezogen worden; ausschließlich sind dieselben nur da benutzt worden, wo die besten Quellen, die Urkunden, schien. Die wichtigsten der benutzten Chroniken und Annalen sind folgende: Das Werk des Franziskanerlesemeisters im St. Katharinenkloster zu Lübeck Detmar, der im Jahre 1385 aus Verfügung des Rathes die seit Jahrzehnten nicht weitergeführte lübische Stadtchronik fortsetzte, also gleichzeitig lebte und für diese Ereignisse, in denen auch seine Vaterstadt Lübeck eine

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so wichtige Rolle spielte, wohl der zuverlässigste Chronist ist (das Werk ist neu herausgegeben von Karl Koppmann, zum Theil in "Die Chroniken der deutschen Städte, Band 19, Lübeck I, 1884, zum andern Theil ebenda Band 26, Lübeck II, 1899"; sodann des lübischen Dominikanerlesemeisters Hermann Korner Chronica novella (herausgegeben von Jakob Schwalm, Göttingen 1895). Korner hat nachweislich in den Jahren 1420-37 gelebt, kann also, wenn er auch nicht selbst Zeitgenosse der in Frage kommenden Ereignisse gewesen ist, doch noch Augen= und Ohrenzeugen derselben gekannt, und manche Nachricht von ihnen erfahren haben; für die Jahre 1361-64 hat er, wie er selbst angiebt, die sonst weiter nicht bekannte Chronik eines Magisters Eylart Schonevelt benutzt. Aus späterer Zeit ist die Chronik des Franziskaners und späteren Predigers und Pastors an der Kirche zu St. Petri in Lübeck Reimar Kock († 1569), der aber ältere Aufzeichnungen benutzt hat. Von schwedischen Chroniken kommen vor allem die Chronologia svecica ex codice minoritarum Wisbyensium, die (nach Girgensohn, Beilage V) für die Jahre 1389-1412 gleichzeitig verfaßt ist (in scriptores rerum svecicarum I, 1, S. 44); die ebenfalls ziemlich gleichzeitige chronica episcoporum Lundensium Nicolai archiepiscopi Lundensis (in Scr. rer. danicarum VI von J. Langebeck), die Omständelig berättelse (scr. rer. svec. I, 2), die zwar gleichzeitig entstanden, aber weil sie von einem während der Belagerung Stockholms durch die Deutschen unterdrückten Schweden verfaßt ist, nur mit Vorsicht benutzt, werden darf; weit später sind das vetus chronicon Sveciae prosaicon (scr. rer. svec. I, 1) um 1450 und das diarium fratrum minorum Stockholmensium (scr. rer. svec. I, 1) um 1480 und die Chronica regni Gothorum des Dekans und Professors der Theologie zu Upsala Erik Olai († 1486, 24. Dez.).

Die Svenska Chronica endlich des Olaus Petri, des berühmten schwedischen Reformators, ist zwar noch später nach den Ereignissen geschrieben (um 1534), geht aber zum Theil auf ältere Zeugnisse zurück, und ist deshalb wohl mit heranzuziehen.

Um zu verstehen, wie das kleine Meklenburg dazu gekommen ist, eine so bedeutsame Rolle in den nordischen Verhältnissen zu spielen, ist es nützlich, zunächst einen kurzen Ueberblick zu geben über die Zeit vor unserem Ereignisse, da sich in dieser die Fäden geknüpft haben, die nachher Meklenburg mit Schweden verbanden. Die Verbindung Meklenburgs mit dem Norden geht weit zurück. Wiederholt waren in den früheren Jahrhunderten Beziehungen theils freundlicher, theils feindlicher Natur zwischen dem Wenden=

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lande und den skandinavischen Reichen vorgekommen. Mit Schweden 1 ) zuerst kam in nähere Berührung Fürst Heinrich von Meklenburg, genannt der Löwe, zu Anfang des 14. Jahrhunderts. Im Jahre 1309 unternahm nämlich der dänische König Erich VI. Menved einen Kriegszug nach Schweden, um seinen Schwager, den von seinen Brüdern, den Herzögen Erich und Waldemar, vertriebenen Schwedenkönig Birger auf den Thron zurückzuführen. König Erich hatte schon längst Beziehungen zu Meklenburg 2 ), und so zog Fürst Heinrich als sein Bundesgenosse mit und zeichnete sich bei dieser Gelegenheit rühmlich aus. 3 ) Auch später blieb er in gutem Einvernehmen und Freundschaft mit Erich 4 ) und Birger 5 ) und wurde im Jahre 1313 sogar in den Streitigkeiten zwischen Birger und seinen Brüdern zum Schiedsrichter erwählt. Erich belehnte ihn zum Lohn für seine Dienste mit Stadt und Land Rostock, das seit 1300 unter dänischer Oberlehnshoheit stand. 6 ) Als dann aber 1317 der Schwedenkönig seine Brüder umbrachte und vor der Rache des darüber erbitterten Volkes nach Dänemark floh, nahm Heinrich an dem Versuche König Erichs, Birger abermals einzusetzen, nur lauen Antheil. Aus diesem Grunde wurde es ihm leicht, nach Birgers Tode sich dem neuen Könige von Schweden, Magnus, dem Sohn des einen der gemordeten Herzöge, zu nähern. Der Wunsch, an Schweden ein Gegengewicht gegen die erdrückende Uebermacht Dänemarks zu finden, war wohl der Grund, daß er die Partei seines alten Verbündeten und Lehnsherrn verließ. Auf einer Zusammenkunft zu Bahus wurde 1321 zwischen des jungen Königs Mutter Ingeborg und ihren Räthen einer=, und dem Fürsten Heinrich andererseits ein Schutz= und Trutzbündniß gegen Dänemark geschlossen, wo inzwischen auf Erich sein Bruder Christoph gefolgt war. 7 ) Heinrich versprach, den König im Besitze seiner beiden Kronen Schweden und Norwegen - als Tochtersohn des letzten norwegischen Königs Hakon war Magnus auch von den


1) Darüber s. bei Styffe I, S. 5 f.
2) 1300 hatte Fürst Nikolaus von Rostock, durch Brandenburg schwer bedrängt. sein Land als Lehen von Dänemark genommen. S. Meklenburgisches Urkunden=Buch (M. U.=B.) IV, 2643 und V, 2749. 2830.
3) Hanse=Recesse (H.=R.) I, S. 54; M. U.=B. V, 3405-3409.
4) M. U.=B. V, 3431. 3473. 3484. 3529. VI. 3617. 3846. 3652. 3736. 3777. 3835.
5) M. U.=B. VI, 3607. 3685.
6) Urk. vom 7. Januar 1317. M. U.=B. VI, 3871.
7) S. Styffe I, 2-6 (S. 1-10) und M. U.=B. VI, 4285-4288. 4294. 4295.
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Norwegern gewählt worden - zu schützen und 200 Mann Hülfstruppen zu stellen. Ebenso versprachen auch Heinrichs Verbündete, der Herzog von Sachsen und die Grafen von Holstein und Schwerin, im Falle eines dänischen Angriffes ihre Hülfe gegen denselben. Um den Bund noch enger zu knüpfen, wurde des jungen Königs Schwester Eufemia mit Heinrichs ältestem Sohne Albrecht verlobt. 1 ) 1329 starb Fürst Heinrich, und Albrecht folgte ihm, zunächst unter Vormundschaft, dann seit 1336 selbstständig.

Der neue Fürst war ein Mann von regsamer Thätigkeit und unternehmendem Geiste; sein Ziel war, sein Land und vor allem seine Familie groß zu machen. Von kleinen Anfängen ging er dabei aus; zuerst machte er sich sein eigenes Land durch Bezwingung seiner Adligen und Städte unterthänig. Infolge seiner freundschaftlichen Verbindung mit König Karl IV. erreichte er, daß 1348 sein Land Meklenburg zum Herzogthum erhoben wurde. Durch Erbschaft und Vertrag erwarb er 1359 die Grafschaft Schwerin. Vor allem aber gab ihm seine Verbindung mit Eufemia von Schweden, die im Jahre 1336 vollzogen war, die erwünschte Gelegenheit, in den nordischen Händeln eine Rolle zu spielen. In der ersten Zeit stand sich Albrecht gut mit seinem Schwager Magnus, und noch 1354 schlossen sie einen Vertrag ab, der eine ewige Freundschaft zwischen ihnen zu sichern schien. 2 )

Aber seit dem Jahre 1356 begann das gute Verhältniß sich zu ändern. Magnus hatte, herangewachsen, die von den Schweden auf ihn gesetzten Hoffnungen nicht gerechtfertigt, sondern sich als schwach und unfähig erwiesen und sich der Leitung unwürdiger Günstlinge überlassen. Seine Unterthanen, an der Spitze die Reichsräthe, hatten ihn deshalb 1350 gezwungen, für Schweden seinen älteren Sohn Erich (XII.), für Norwegen den jüngeren Hakon (VIII.) als Mitregenten anzunehmen. Als ersterer im Jahre 1356 einen Aufstand machte, um den Einfluß von des Königs unwürdigem Günstling Bengt Algotsson zu brechen, da unterstützten ihn nicht nur König Waldemar von Dänemark, sondern auch Herzog Albrecht. 3 ) Als es dann aber infolge von Waldemars zweideutigem Verhalten zwischen Magnus und seinem Sohne zu einer Aussöhnung kam, hatte Albrecht zwar auf Seiten


1) S. Styffe 2 (S. 2 f.) und M. U.=B. VI, 4285.
2) Styffe I, 15; H.=R. I, 173.
3) Styffe 17 (S. 25), 18 (S. 28); Regesta Danica, 2409. M. U.=B. XIII, 8164.
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der Schweden gestanden, 1 ) dann sich aber bei den Friedensverhandlungen, wobei Waldemar schonen gewann, von diesem auf seine Seite ziehen lassen. 2 ) Daß eine derartige, wechselnde Stellungnahme Albrechts durch eine Politik bedingt war, die nur den eigenen Vortheil im Auge hatte, ist ohne weiteres klar, und ebenso daß sein Verhältniß zu Magnus dadurch ein gespanntes wurde. Doch mag auch des Schwedenkönigs eigene Unwürdigkeit dazu beigetragen haben, daß allmählich eine völlige Entfremdung zwischen den beiden Schwägern entstand, so daß endlich Albrecht, als Ereignisse in Schweden eintraten, die den Thron des Magnus wankend machten, kein Bedenken mehr trug, selbst den Sturz desselben mit herbeizuführen. Diese Ereignisse knüpften an an das Verhältniß des Schwedenkönigs zu Waldemar von Dänemark und an die Eroberung Schonens durch den Letzteren.

Magnus hatte derselben einen so geringen Widerstand entgegengesetzt, so daß seine Unterthanen von Verrath sprechen konnten: er habe absichtlich dem Dänenkönige Schonen preisgegeben, um an ihm dafür eine Stütze gegen seine eigenen Unterthanen zu haben. Die Verlobung seines Sohnes Hakon mit Waldemars Tochter Margareta schien diesen Verdacht zu bestätigen. 3 ) Aber die Großen des Reiches waren mit dieser Verbindung nicht einverstanden und zwangen Hakon, dieselbe wieder zu lösen und sich Anfang 1361 mit Elisabeth, der Schwester der holsteinschen Grafen Heinrich und Klaus, der ärgsten Feinde Waldemars, zu verloben.

Der schwache Magnus mußte diesem Schritte seine Zustimmung geben und noch dazu unter den demüthigendsten Bedingungen: wenn diese Heirath aus irgend einem Grunde nicht zu Stande käme, so sollten die Großen berechtigt sein, vom Könige abzufallen und sich den Grafen zuzuwenden und ihnen gegen den König behülflich zu sein. 4 ) Was die schwedischen Großen zu diesem eigenthümlichen Verhalten bewogen hat, ist nicht so ganz klar; sicherlich thaten sie zum Theil diesen Schritt aus gutem Patriotismus, indem sie bei Waldemars bekannter


1) Styffe I, 23 (S. 39) vom 17. August 1359; M. U.=B. XIV, 8307. 8334. 8444.
2) Rudloff: Pragmatisches Handbuch der meklenburg. Geschichte II, S. 447 und M. U.=B. XIV, 8775, 10. August 1360 vor Helsingborg.
3) 1358. Archiv für Staats= und Kirchengeschichte der Herzogthümer Schleswig, Holstein, Lauenburg von Michelsen und Asmussen II, 221.
4) Urkundensammlung der schleswig=holstein=lauenburgischen Gesellschaft für vaterländische Geschichte II, S. 242, vom 29. Juni 1361.
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selbstsüchtiger Politik für Schweden kein Heil in der Verbindung mit demselben sahen, und indem sie seine offene Feindschaft für erträglicher hielten, als seine Freundschaft. Aber es fragt sich, wieweit dieser Patriotismus in eigennützigen Motiven seinen Ursprung gehabt hat; daß die Großen ihre eigenen Zwecke, Standesinteressen hatten, wird sich später ergeben. Während der langen schwachen Regierung des Magnus hatten sie sich eine Anzahl Rechte erworben, die ihnen eine gewisse Selbstständigkeit und Macht gaben; und nun fürchteten sie wohl, daß Magnus, auf Waldemar gestützt und nach dessen Vorbild, ihnen dieselben wieder nehmen und sie in ihre frühere Stellung zurückdrücken würde. Zunächst sollten die Großen in ihrem Bestreben, Waldemar von Magnus zu trennen, Erfolg haben. Ersterer konnte sich die ihm zugefügte Kränkung natürlich nicht gefallen lassen; seine Antwort war Krieg. Bei der Schwäche der Reiche Schweden und Norwegen konnte er hoffen, nicht nur sein Ansehen durch denselben wieder herzustellen, sondern auch wo möglich noch eine Vergrößerung seines Reiches zu erlangen. Es ist hier nicht die Aufgabe, diesen Krieg vom Jahre 1361 zu schildern, wie Waldemar die Inseln Oeland und Gotland wegnahm, 1 ) wie er dabei durch die Einnahme und Plünderung der alten Hansestadt Wisby mit den anderen Hansen in Konflikt kam, die mit den beiden nordischen Königen nun eine Bündniß schlossen, 2 ) wie er dann im Sommer 1362 den Hansen vor Helsingborg eine beträchtliche Niederlage beibrachte, 3 ) die dann am 6. November 1362 einen 14monatlichen Waffenstillstand zur Folge hatte. 4 ) Meklenburg hatte an diesem ganzen Kriege nicht Theil genommen, vielleicht wegen der doppelten Verwandtschaft mit Dänemark und Schweden - Albrechts ältester Sohn Heinrich war 1350 mit Waldemars ältester Tochter Ingeborg verheirathet - oder auch weil Herzog Albrecht jetzt in einem Kriege auf Seiten des Magnus keinen Vortheil für sich sah, gegen Magnus für Waldemar aber nicht eingreifen wollte wegen seiner stetig guten Beziehungen zu den Städten. 5 ) Hatte Waldemar durch den Krieg sein eines Ziel, die Erweiterung seines Reiches durch Oeland und Gotland


1) S. Suhm, Historie af Danmark, Band XIII, S. 444.
2) H.=R. I, 260-264, Lübecker Urkundenbuch (Lü. U.) III, 410. M. U.=B. XV, 8936.
3) Detmar=Chronik in "Die Chroniken der deutschen Städte," B. 19, Lübeck, S. 534.
4) H.=R. I, 277-279.
5) Detmar S. 564.
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erreicht, so war ihm während des Waffenstillstandes ein günstiges Schicksal behülflich, auch zu seinem zweiten Ziele zu kommen, nämlich die durch die Lösung des Verlöbnisses mit Hakon verletzte Ehre seiner Tochter wiederherzustellen. Ende 1362 schickten nämlich die holsteinschen Grafen ihre Schwester Elisabeth über Meer, um die Heirath derselben mit Hakon zu vollziehen. 1 ) Ein heftiges Unwetter aber trieb ihr Schiff ans Land, in das Gebiet des Erzbischofs Nikolaus von Lund, eines eifrigen Dänenfreundes, der die Gräfin sofort gefangen setzte, um wie er sagte, das Zustandekommen eines frevelhaften 2 ) Ehebündnisses zu verhindern. Diesen Umstand benutzte Waldemar, die schwankend gewordenen nordischen Könige wieder zu sich herüberzuziehen. Hakon ließ sich bereden, die alte Verbindung wieder aufzunehmen, und am 9. April 1363 heirathete er Waldemars Tochter Margareta. Elisabeth wurde nun, als ungefährlich, freigelassen und ging nachher in ein Kloster. 3 ) Nun hatten aber Magnus und Hakon den Vertrag mit den holsteinischen Grafen und mit ihren eignen Großen vom 29. Juni 1361 gebrochen, und die letzteren waren also, mochte der Vertrag auch erzwungen sein, dem Wortlaut desselben gemäß befugt, sich vom Könige Magnus ab und den Grafen von Holstein zuzuwenden. Hakon hatte sich leicht von Waldemar überreden lassen, die Verlobung mit der holsteinischen Gräfin zu brechen. Ihr Schicksal mag ihm recht erwünscht gekommen sein, 4 ) denn es scheint ja erklärlich, daß er lieber die freiwillig eingegangene Verbindung mit Margareta, als die ihm aufgezwungene mit Elisabeth vollziehen mochte. Aber wenn man bedenkt, daß ihm dieser Schritt ja vielleicht sein schwedisches Erbe kosten konnte, so kommt man unwillkürlich auf den Gedanken, ihm noch einen triftigeren Grund unterzulegen: Vielleicht hoffte er, da Waldemars einziger Sohn Christoph von einer unheil=


1) Archiv f. Staats= und Kirchengesch. d. Hz. Schl.=Holst.= Lbg. v. Michelsen u. Asmussen II, 226.
2) Denn die Verlobung mit Margareta war ja thatsächlich nicht ungültig.
3) Detmar S. 532.
4) Daß Magnus selbst die Nachricht von der Reise der Gräfin an Waldemar gesandt und ihn um ihre Gefangennahme gebeten habe, wie Olaus Petri in seiner Svenska Chronika (in Scriptores rerum svecicarum I, 2, S. 271, ed. Er. Mich. Fant.) berichtet, ist wohl übertrieben; Magnus war zu einem so entscheidenden Schritte viel zu schwach und wankelmüthig. Die Chronik ist auch viel zu lange nach den Ereignissen geschrieben (1534), als baß sie über Einzelheiten so genau hätte unterrichtet sein können.
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baren Krankheit befallen war, 1 ) nach dessen Tode auch Erbe des dänischen Reiches zu werden und dies einst mit seinen Reichen vereinigen zu können. Vielleicht erwartete er andererseits auch nicht, daß die Schweden wirklich von ihm abfallen würden. Doch in dieser Annahme sollte er sich getäuscht haben. Den schwedischen Großen war die beste Gelegenheit geboten, sich ihres elenden Königs zu entledigen und einen ihnen genehmen an seine Stelle zu setzen, und sie dachten nicht daran, diese Gelegenheit ungenutzt vorübergehen zu lassen. Sie fuhren hinüber nach Holstein - so berichtet uns die Chronik des Magisters Eilart Schonevelt 2 ) - und boten dem Grafen Heinrich die schwedische Krone an. Aber vielleicht war dieser mit den Bedingungen, die ihm die Großen stellten, nicht einverstanden, oder es schien ihm das ganze Unternehmen, sich die Krone erst erobern zu müssen, zu unsicher, 3 ) kurz, er lehnte für seine Person ab. Dafür wies er die Gesandten an den Herzog Albrecht von Meklenburg, dessen Söhne Heinrich, Albrecht und Magnus, als Söhne der Eufemia von Schweden schon ein gewisses Erbrecht auf die schwedische Krone hatten; unter diesen sollten sie sich einen wählen. Etwas abweichend erzählt diese Vorgänge die Chronologia svecica ex codice minoritarum Wisbyensium ab anno 815 ad annum 1412 4 ): Magnus habe die ihm feindlichen Großen vertrieben, diese seien nach Gotland gegangen und hätten dort den Winter 1362 auf 1363 zugebracht, und seien dann nach Wismar zum Herzog Albrecht gegangen. Beide Nachrichten lassen sich aber vereinigen, wie es schon Styffe 5 ) gethan hat. Von Albrechts Söhnen aber war der älteste, Heinrich, als Schwiegersohn Waldemars von Dänemark ebenso wie Hakon eventueller Erbe des dänischen Thrones, und als solcher ebenso wie dieser den Schweden nicht genehm. Auch mochte er den Großen wegen seiner Charaktereigenschaften, 6 ) die eine gewisse Härte und Strenge erkennen ließen, nicht passen. Deshalb wählten die schwedischen Gesandten, - es waren der königliche


1) H.=R. I, S. 199.
2) Im Auszug bei Hermann Korner in Script. rer. svec. III, 1, 207; M. U.=B. XV, 9237.
3) Styffe I, S. XXXVI.
4) In Scriptor. rer. svec. I, 1, S. 44.
5) Styffe I, S. XXXIII f., abgesehen von Ungenauigkeiten, die beide enthalten; s. D. Schäfer, S. 403 a 1.
6) Heinrich bewies später gegen adlige Straßenräuber, die er oft mit eigner Hand aufgeknüpft haben soll, eine derartige Strenge, daß er davon den Beinamen "der Henker (Suspensor)" erhielt. (Detmar S. 578.)
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Erzkämmerer Bischof Nicolaus von Linköping, Bischof Thomas von Wexiö, der Reichstruchseß Niklis Thuresson, der Marschall Karl Ulfsson von Toften und die Ritter Karl Ulfsson von Ulfasa, Bo(ethius) Jonsson, Erik Karlsson, Bengt Philippsson und andere 1 ) - unter den Söhnen des Herzogs den zweiten, Albrecht mit Namen. Der Herzog Albrecht nahm die Wahl für seinen Sohn an. Der junge Albrecht war etwa 1338 geboren und ums Jahr 1352 mit Richardis, der Tochter und Erbin des Grafen Otto von Schwerin verheirathet worden, welche Verbindung im Jahre 1359 den Anfall der Grafschaft Schwerin an Meklenburg zur Folge hatte. Jetzt 1363, etwa 25 Jahre alt, mochte er den Schweden als der geeignete Mann für ihren Thron erscheinen.

Zunächst war es für die Meklenburger erforderlich, die Nachbarmächte für das Unternehmen freundlich zu stimmen und wo möglich, ihre Unterstützung dabei zu erlangen. Die Grafen von Holstein, die ja die ganze Sache angeregt hatten, und denen daran gelegen sein mußte, ihre Schwester zu rächen, ließen sich leicht gewinnen. Am 25. Juli 1363 schlossen die Herzöge mit ihnen einen Vertrag, 2 ) Graf Heinrich versprach, ihnen das schon lange in seinem Besitz befindliche Schloß Kalmar in der schwedischen Provinz Smaland zu öffnen, wofür sie ihn dann entschädigen wollten. Um sich in der Heimath zu sichern, hatten sie schon am 11. Juli ein Landfriedensbündniß 3 ) auf 5 Jahre mit den Fürsten Lorenz und Johann von Werle geschlossen, und am 18. Oktober versöhnten sie sich mit Bernhard von Werle, 4 ) mit dem sie kleinere Streitigkeiten gehabt hatten, letzterer versprach dabei sogar Truppen zu überseeischem Kriegszuge zu stellen. Auch mit den Hansen war bereits über ein Bündniß verhandelt worden, 5 ) aber infolge der zu weit gehenden Forderungen der Städte hatte sich die Sache zerschlagen. Trotzdem aber standen sie dem Unternehmen nicht feindlich gegenüber, sondern beobachteten die Entwickelung mit Interesse. Denn verschiedentlich hatten sie früher über das Verhalten des Magnus ihnen gegenüber zu klagen gehabt, 6 ) von dem Sohne des Städtefreundlichen Herzogs Albrecht dagegen konnten sie ein gefälligeres Verhalten erwarten.


1) S. bei Eilart Schonevelt und script. rer. svec. I, 1, S. 44.
2) M. U.=B. XV, 9182.
3) M. U.=B. XV, 9173 u. 9174.
4) M. U.=B. XV, 9207.
5) M U.=B. XV, 9164.
6) H.=R. II, 1.
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So sandten denn auch später die Fürsten den Städten wiederholt Meldungen von ihren Fortschritten in Schweden und baten andererseits um Nachrichten aus Deutschland. 1 )

Anfang November 2 ) 1363 segelte nun Herzog Albrecht mit seinem Sohne und einer beträchtlichen Truppenzahl, vom Grafen Heinrich, dem Fürsten Lorenz von Werle und dem Grafen Günther von Ruppin begleitet, von der Warnowmündung ab, hinüber nach Schweden. Man landete zunächst in Kalmar, das dem Grafen Heinrich gehörte, der es nun den Meklenburgern übergab. Dann zog man zu Lande weiter nach der Hauptstadt Stockholm, die, von einer starken, einflußreichen deutschen Bevölkerung bewohnt, schon am St. Andreastage (dem 30. November) dem jungen Albrecht als ihrem Herrn huldigte. 3 ) Die nun folgenden 2 1/2 Monate brachte man mit Verhandlungen hin; endlich am Sonntag Reminiscere (18. Februar) des folgenden Jahres 1364 traten zu Upsala die Großen des Reiches zusammen. 4 ) Hier brachten sie ihre Anklagen gegen König Magnus, der natürlich nicht erschienen war, vor: Er habe 5 ) ein sittenloses Leben geführt, den päpstlichen Bann mißachtet, seine Eide verletzt, ungesetzliche Abgaben angeordnet, den Verlust von Schonen, Halland, Oeland und Gotland herbeigeführt und sich mit Waldemar von Dänemark zum Schaden des Reiches verbunden. Deshalb erklärten sie ihn für abgesetzt und statt seiner den jungen Albrecht von Meklenburg zu ihrem Könige; auf dem Morastein bei Upsala fand nach alter Sitte die feierliche Inthronisation statt. 6 )

Die Ansicht Styffes, 7 ) daß das Unternehmen eine verrätherische Ueberrumpelung ohne Kriegserklärung der deutschen Mächte, und ohne Aufkündigung von Treue und Gehorsam von Seiten der schwedischen Großen gewesen sei, hat schon Dietrich Schäfer 8 ) mit Recht zurückgewiesen: wenn uns auch von einer Kriegs=


1) M. U.=B. XV, 9249, 9251 und H.=R. I, 322. 323.
2) Hermann Korner nach Mag. Eilart Schonevelt S. 207 f. In dem Bericht desselben: "exeuntes Waniowe fluvium in navibus solennibus in profesto sancti Martini primum Calmarniae applicuerunt" ist nach H.=R. I, 327 a 8 das Datum, 10. November, auf die Ankunft in Kalmar zu beziehen; die Abfahrt muß also schon Anfang November angetreten sein.
3) Styffe I, 27 und M. U.=B. XV, 9215.
4) cf. M. U.=B. XV, 9237.
5) Olaus Petri: Svenska Chronika in script. rer. svec. I. 2, S. 272.
6) H.=R. I, 323.
7) Styffe I, S. XXXVI.
8) D. Schäfer S. 405 a 2.
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erklärung und einer Aufkündigung des Gehorsams nichts berichtet wird, so steht doch darum noch nicht fest, daß dieselben nicht stattgefunden haben. Und selbst angenommen diesen letzteren Fall, so kannten Magnus und Hakon ihre Großen doch wohl hinreichend, um zu wissen, daß sich diese an die Abmachungen des Vertrages vom 29. Juni 1361 halten und zum Grafen Heinrich hinübergehen würden, und daß dieser, um seine Schwester zu rächen, einen Kriegszug nach Schweden unternehmen würde. Von einer Ueberrumpelung kann also keine Rede sein, und ebensowenig von Verrath, da nach dem genannten Vertrage die Großen zu ihrem Vorgehen ja berechtigt waren. Was aber die Absetzung des Magnus betrifft, so ist hier natürlich nicht am Platze, zu erörtern, inwiefern und ob dieselbe berechtigt war; aber wenn je, so lag in diesem Falle die Beseitigung des Königs im Interesse des Reichs, und mit Recht hatten die Großen erkannt, daß in einer Verbindung mit Dänemark für Schweden kein Heil liegen konnte.

Magnus und Hakon ließen sich die Absetzung natürlich nicht ohne Weiteres gefallen, erkannten sie nicht an, und die Waffen mußten also den entscheidenden Ausschlag geben. Zunächst unterwarf sich leicht und gern das südliche Schweden dem Könige Albrecht: Mitte März bereits war das ganze Land bis auf zwei Schlösser (Warburg und Svanholm) im Besitz der Meklenburger und Holsteiner, Magnus und Hakon waren geflohen. 1 ) Da mochten sie denn wohl, angesichts dieser Thatsachen, zunächst an ihrem Kriegsglück verzweifeln, denn am 24. April (St. Markusabend) 1364 2 ) schloß in ihrem Namen der Ritter Feller Pyk mit den Gegnern einen Waffenstillstand ab, der bis zum Sonntag über drei Wochen, dem 19. Mai, dauern sollte. 3 ) Dann fand Ende Juli 4 ) eine Zusammenkunft der beiden Könige Albrecht und Magnus, sowie der anderen Fürsten und der beiderseitigen Anhänger zu Jönköping statt; 5 ) hier einigte man sich, Albrecht sollte über ganz Schweden König sein mit Ausnahme von Westgotland, dieses sollte Magnus mit Beibehaltung des Königtitels 6 ) auf Lebenszeit besitzen; weil aber Hakon, der nicht mit anwesend


1) M. U.=B. XV, 9249. 9251.
2) Nicht 24. März, wie bei D. Schäfer S. 406.
3) M. U.=B. XV, 9263 und Styffe I, 28.
4) Am 22. und 26. Juli ist König Albrecht in Jönköping, s. M. U.=B. XV, 9286. 9287.
5) Herrn. Korner S. 207 f.
6) In der Urk. M. U.=B. XV, 9287 nennt Albrecht ihn König.
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war, seine Zustimmung nicht geben konnte. So wurde eine Zusammenkunft auch mit diesem für den folgenden Sommer verabredet und der Waffenstillstand bis dahin verlängert.

Da nun das Unternehmen bis hierher gesichert erschien, so konnte König Albrecht, nachdem er seine Helfer belohnt hatte - Graf Heinrich erhielt die Insel Gotland verpfändet 1 ) - daran denken, sich auch die zu Schweden gehörenden östlichen Nebenländer unterthänig zu machen. So ging er im Herbst 2 ) des Jahres (1364) hinüber nach Finnland. Hier suchte Narve Ingwaldsson die Sache des Königs Magnus aufrecht zu erhalten. Er hatte vorher sogar einen Bund mit den livländischen Städten (Revah gegen die Anhänger der Meklenburger einzugehen versucht. 3 ) Nun mußte ihn König Albrecht in dem festen Schloß Abo belagern. Aber bis in die Mitte des folgenden Jahres 4 ) hielt sich dasselbe, und einer der treuesten Anhänger des Königs, Niklis Thuresson, fiel bei der Belagerung. Aber endlich mußte sich Narve Ingwaldsson doch ergeben und damit war der Widerstand Finnlands im Wesentlichen gebrochen.

Bevor der König noch nach dem eigentlichen Schweden zurückgekehrt war, geschah dort etwas, was die Entscheidung herbeiführte. Albrecht war abwesend in Finnland, seine Helfer, die deutschen Fürsten, nach Hause zurückgekehrt. 5 ) Da glaubten Magnus und Hakon, es sei die günstigste Gelegenheit, sich ihr Reich wieder zu erkämpfen. Sie brachen den Vertrag von Jönköping und den Waffenstillstand; mit einem norwegischen Heere rückten sie in Westermannland ein und gelangten bis nach Westeras am Mälarsee. Zu Arboga forderten sie in einem Aufruf vom 27. Februar 1365 den Erzbischof von Upsala, sowie die ganze Ritterschaft und Geistlichkeit des Erzbisthums, als ihre rechtmäßigen Herren zum Beistand gegen den fremden Usurpator auf. 6 ) Aber sie hatten vergessen, wie verhaßt sie sich bei ihren


1) M. U.=B. XV 9288.
2) Seit dem 6. October 1364 sind Briefe Albrechts datirt aus dem Lager vor der Feste Abo, s. Styffe I, S. XXXIX Anm. ††. Chronologia sv. ex cod. min. Wisb , S. 45.
3) Bunge, Liv-, Esth- und Kurländisches Urkundenbuch 11, 1006.
4) Bis zum 26. Juni sind Briefe Albrechts aus dem Lager vor Abo datirt Styffe I, XXXIX a ††.
5) Am 1. Febr. 1365 giebt Waldemar dem Herzog Albrecht einen Geleitsbrief zur Ueberkunft nach Jütland. M. U.=B. XV, 9324. Am 24. Febr. ist Albrecht wieder in Schwerin, ebd. 9329.
6) Svenska Riksarchivet Pergamentbref I, 647. cf. M. U.=B. XV, 9330.
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ehemaligen Unterthanen gemacht hatten; ihr Aufruf blieb ohne Erfolg. Vielmehr regten sich nun auch die Anhänger König Albrechts. 1 ) Sie rückten, an der Spitze die deutsche Bürgerschaft von Stockholm, den Königen entgegen, ihrem abwesenden Herrn getreu. Bei Enköpina am Mälarsee trafen sich am 3. März die feindlichen Heere. Die beiden Könige hatten nicht ihre ganze Truppenzahl beisammen; sie wurden vollständig geschlagen, Magnus gerieth selbst in Gefangenschaft, Hakon entkam noch mit genauer Noth und ging nach Norwegen zurück.

So schien, als König Albrecht nach dem 26. Juni aus Finnland zurückkehrte, die Herrschaft ihm gesichert: Schweden war ihm unterthänig bis auf Westergotland, und auch mit diesem wurden Verhandlungen angeknüpft, 2 ) Finnland war unterworfen, seine neuen Unterthanen hatten treu zu ihm gestanden, seine Gegner waren unschädlich gemacht, Magnus saß gefangen in Stockholm, Hakon war geflohen. - Da erschien ein neuer Gegner auf dem Kampfplatze: König Waldemar von Dänemark. Waldemar stand seit dem Jahre 1360 (s. o. S. 7) 3 ) mit den Meklenburgischen Fürsten in bestem Einvernehmen. Seit aber Hakon 1363 seine Tochter Margareta geheirathet hatte (s. o. S. 9), stand er sich auch mit den nordischen Königen gut. Als diese nun mit Meklenburg in Konflikt kamen, da war es für ihn die Frage, welcher von beiden Parteien er sich anschließen sollte. Mit beiden war er verschwägert; aber es war klar, daß ein Charakter, wie der seinige, sich nicht durch Rücksicht auf Verwandtschaft bestimmen lassen, sondern daß sein persönlicher Nutzen für seine Haltung entscheidend sein würde. So verhielt er sich denn zunächst abwartend, neutral. Sicher beabsichtigte er schon damals dem beizuspringen, der ihm am meisten bieten würde. So knüpfte er bereits, als die Sache noch nicht entschieden war, mit Herzog Albrecht Verhandlungen an. 4 ) Wahrscheinlich verlangte er damals als Lohn für seine Hülfe, oder auch nur für die Nichtunterstützung Magnus' und Hakons, die Abtretung von Theilen Schwedens. Aber die Sache zerschlug sich; man konnte sich wohl über den Preis, den er begehrte, nicht einig werden. Als nun König Albrecht nach dem Siege bei Enköping auf dem Gipfel seiner Macht stand, konnte


1) Chronologica sv. ex cod. min. Wisb. S. 45 und Ol. Petri Sv. Chr. S. 373.
2) M. U.=B. XV, 9426 (S. 560) und Styffe I, 36 (S. 80).
3) M. U.=B. XIV. 8775.
4) M. U.=B. XV, 9324.
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Waldemar natürlich von ihm für sich noch weniger erwarten, und so war es klar, daß er sich nach der gegnerischen Seite hinneigen würde. Da erschien Hakon bei seinem Schwiegervater und bat ihn um Hülfe gegen Albrecht, 1 ) und Waldemar war dazu gleich bereit. Zunächst beeilte er sich, mit seinen sonstigen Gegnern endgültig abzuschließen. Mit den Hansen war bereits am 21. Juni 1364 der Waffenstillstand von 1362 auf vier Jahre verlängert worden; 2 ) jetzt kam am 30. September 1365 ein Friede mit ihnen zu Stande. 3 ) Ebenso hatte er am 7. Juli desselben Jahres mit den Grafen von Holstein zu Kolding Frieden gemacht. 4 ) Nun hatte er freie Hand, in die schwedischen Verhältnisse einzugreifen, und am Anfang des folgenden Jahres 1366 fiel er mit Hakon in Schweden ein. Wir erfahren über diesen ganzen Krieg nur aus den Friedensverhandlungen, die nachher zu Ende Juli stattfanden. Aus ihnen geht namentlich hervor, daß Waldemar um Pfingsten (24. Mai 1366) nicht unbedeutende Vortheile errungen hatte, mehrere Schlösser waren erobert, kurz Albrecht scheint den Krieg ohne rechtes Glück geführt zu haben. Um dieselbe Zeit gelang es Hakon, die Insel Oeland mit der Feste Borgholm in seinen Besitz zu bekommen. Dieselbe war einst, 5 ) zur Zeit des Krieges mit Waldemar, von Magnus an die Städte verpfändet worden. Nun ließ sich der städtische Kommandant Friedrich Suderland, ein Rostocker, unvorsichtiger oder verrätherischer Weise bereden, sie an Hakon zu übergeben. 6 ) Angesichts der Verlegenheit seines Sohnes griff nun der alte Herzog Albrecht wieder ein und schloß am 28. Juli in Alholm auf der Insel Laaland einen Vertrag mit Waldemar. 7 ) Dieser sollte Theile der schwedischen Provinzen Westergotland und Smaland (die Landschaften Kind, Mark, Finweden und Wärend) erhalten, dazu die Insel Gotland mit Wisby, die halbe Insel Hysing, und endlich alle Schlösser, die er um Pfingsten in Besitz gehabt hatte. Dafür war er bereit, das übrige Reich Albrecht und seinen Nachkommen zu garantiren und es sogar gegen Hakon zu schützen, während König Albrecht Magnus nicht frei=


1) Am 8. und 25. Juni 1365 findet sich Hakon zu Aalborg bei Waldemar cf. Diplomatarium Norwegicum I, 386 und II, 265.
2) H.=R. I, 333. 336-338.
3) H.=R. I. 369. 370 u. M. U.=B. XV, 9398.
4) M. U.=B. XV, 9377.
5) Am 28. September 1362. M. U.=B. XV, 9092.
6) H.=R. I. 388. Lü. U. III, 604. 608.
7) M. U.=B. XVI, 9513; Schlesw.-Holst.-Lauenb. Urkslg. II, 275; Styffe I, 31.
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geben und mit Hakon keinen Frieden schließen sollte, wenn beide diesen Vertrag nicht anerkennen wollten. Zu Lichtmeß (2. Februar) des anderen Jahres sollte dann bei Kalmar eine Zusammenkunft zwischen König Waldemar und König Albrecht stattfinden, und beide sollten dann mit ihren Reichsräthen den Vertrag bestätigen. Nachdem König Albrecht schon im September des Jahres durch seine Gesandten Raven Barnekow, der sein Hauptmann zu Nyköping war, und Bo Jonsson Unterhandlungen mit Waldemar angeknüpft hatte, 1 ) fand wohl am 2. Februar 1367 die verabredete Zusammenkunft der beiden Könige statt; wenigstens scheint das daraus hervorzugehen, daß König Albrecht mit seinem Vater, dem Herzog, der wieder hinüber nach Schweden gekommen war, sich um jene Zeit in Kalmar aufhielt. 2 ) Jedenfalls aber sind die erwünschten Folgen ausgeblieben. Wie wir aus den Ereignissen der Folgezeit erkennen können, bestand kein Friede zwischen Waldemar und Albrecht; der Letztere hatte also den Vertrag nicht anerkannt. Sein Grund dazu war offenbar folgender gewesen: Herzog Albrecht hatte die Abmachungen mit dem Dänenkönige wohl im Interesse seines Sohnes, aber nicht im Interesse des Reiches Schweden getroffen. Die Reichsräthe, seine Großen, konnten es nicht zugeben, daß ihr König, nur um mit Waldemar Freundschaft und Frieden zu haben, unbesiegt Theile schwedischen Landes abtrete, besser mußte ihnen Waldemars Feindschaft, der Fortgang des Krieges erscheinen, der doch immerhin die Möglichkeit des Sieges und der Wiedererwerbung des verlorenen Landes bot. Hätte nun der König wider den Willen seiner Großen den Vertrag anerkannt und die Abtretungen zugegeben, so hätte er sich den Unwillen des ganzen schwedischen Volkes zugezogen. Sein eigener Thron wäre wankend geworden, und Waldemars zweifelhafte Freundschaft hätte ihm ebenso wenig genützt, wie einst dem Könige Magnus. So hatte offenbar König Albrecht bei sich erwogen und deshalb den Vertrag abgelehnt.

Die Folge war natürlich, daß der Krieg seinen Fortgang nahm. Und König Albrecht wurde jetzt von seinen Großen auf das Trefflichste unterstützt. Er hatte sich in dieser Angelegenheit so benommen, wie sie es von ihm hatten erwarten müssen, indem er nämlich ihr und des Reiches Interesse gegen Waldemars Ränke und gegen den eigenen Vortheil gewahrt hatte. In Anerkennung dessen waren nun die Großen zu den außerordentlichsten Opfern


1) Diplomatarium Norw. III, 351.
2) M. U.=B. XVI, 9601.
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bereit. So verpflichteten sich am 2. Mai 1367 1 ) die Ritter Karl Ulfsson von Ulfasa und Erik Karlsson freiwillig, dem Könige und seinem Vater die Hälfte ihrer gesammten Jahreseinnahmen zu überlassen und auch andere, allenfalls selbst mit Waffengewalt, dazu bewegen zu wollen. Und ebenso übernahmen es die sämmtlichen geistlichen wie weltlichen Stände, 2 ) die Hälfte von ihrem ganzen, bis dahin steuerfreien Einkommen, vom Priesterzehnten, und von allen Lehn= und Pfandgütern zu geben; nur mußte der König versprechen, daß diese außergewöhnliche Abgabe nicht noch öfter erhoben und auch nur zum Nutzen und zur Vertheidigung des Reiches verwandt werden sollte. Diese Einmüthigkeit zwischen Herrscher und Unterthanen ermöglichte denn auch ein Vorgehen mit frischen Kräften: schon zu Anfang des Jahres war es Albrecht gelungen, in Westergotland festen Fuß zu fassen, indem ihm König Magnus' Hauptmann Gerd Snakenborg das feste Schloß Arewall auslieferte. 3 ) Jetzt im Herbst des Jahres wurde Schloß Borgholm auf Oeland belagert und zu Schluß desselben mitsammt der ganzen Insel eingenommen. 4 ) Es gehorchten dem Könige die Gegenden des Nordens bis nach Dalarne 5 ) und darüber hinaus bis Helsingland. 6 )

Aber andererseits, daß es in einem der Landestheile, auf denen die Macht der neuen Herrschaft hauptsächlich beruhte, in dem Stifte Linköping, noch Gegner derselben gab, 7 ) mußte dem Könige zeigen, daß er sich allzu sehr auf seine Schweden doch nicht verlassen konnte. Und deshalb mußte er sich angelegen sein lassen, an auswärtigen Mächten eine Stütze gegen Waldemar und Hakon zu finden. Die besten Bundesgenossen waren natürlich diejenigen, die selbst mit dem Dänenkönige zu Feindseligkeiten Anlaß hatten, die Grafen Heinrich und Klaus von Holstein und vor allem die Hansestädte. Was die Holsteiner für Grund gehabt haben, jetzt wieder gegen das Dänenreich loszuschlagen, nachdem sie sich doch erst 1365 mit Waldemar versöhnt hatten, wissen wir nicht. Was die Städte anbelangt, so hatten sie zwar das Unternehmen gegen Schweden mit Aufmerksamkeit und, wie es scheint, mit Vergnügen beobachtet;


1) M. U.=B. XVI, 9629 und 9630 und Styffe I, 38.
2) Urk. vom 4. Juni M. U.=B. XVI, 9643 und Styffe I, 39.
3) M. U.=B. XVI, 9593. Styffe I, 35.
4) M. U.=B. XVI, 9678. 9702.
5) Svenska Riksarchivet Perg. I, 758. 793.
6) Styffe I, 47.
7) M. U.=B. XVI, 9610.
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entstand doch in der meklenburgisch=schwedischen Herrschaft ein Gegengewicht gegen das ihnen so gefährliche dänische Reich. Der Briefwechsel mit den Fürsten scheint das zu bestätigen: Graf Heinrich und Herzog Albrecht hatten ihnen Berichte über ihre Fortschritte in Schweden gesandt, und sie ihrerseits um Meldungen aus Deutschland ersucht und sie gebeten, die in ihrem Besitze befindlichen schwedischen Häfen mit Zufuhr zu versorgen. 1 ) König Albrecht hatte von dem Lager vor Abo den Städten einen Boten gesandt und ihnen seine Genugthuung aussprechen lassen wegen des zwischen ihnen und seinem Vater bestehenden guten Einvernehmens. 2 ) Mit diesem hatte nämlich Lübeck auf vier Jahre Frieden und Freundschaft geschlossen und ihm für jedes Jahr 400 Mk. lübisch zu zahlen versprochen. 3 ) Dagegen offen unterstützt hatten sie das schwedische Unternehmen nicht, vielmehr alles zu vermeiden gesucht, was den Frieden mit Waldemar hätte stören können; ja noch kurz bevor dieser zu Hakons Unterstützung gegen Albrecht ausziehen wollte, hatten sie sich bereit finden lassen, den Waffenstillstand mit ihm in einen endgültigen Frieden umzuwandeln. Doch Waldemar hatte sich schon kurze Zeit danach allerlei Vertragswidrigkeiten zu schulden kommen lassen: Fortwährend hatten sich die Städte über seine oder seiner Leute Gewaltthaten gegen hansische Kaufleute, über Nichtbeachtung der Privilegien und andere derartige Ungehörigkeiten beklagen müssen. 4 ) Infolgedessen war zuerst bei den preußischen Städten der Wunsch nach Abstellung dieser unangenehmen Zustände aufgekeimt; 5 ) denn sie waren es, die am meisten unter diesen Uebelständen zu leiden gehabt hatten, weil sich ihr Handel namentlich nach Westen, nach den Niederlanden erstreckte und sie deshalb vor allen anderen häufig den Sund, das Machtgebiet der Dänen, zu passiren hatten. Sie waren zunächst mit den süderseeischen Städten ein Bündniß eingegangen 6 ) und hatten durch Verhandlungen endlich auch die wendischen Städte mit Lübeck an der Spitze dazu bestimmt, daß man im November 1367 zu Köln eine gemeinsame Versammlung aller Städte abhalten und über Maßregeln zur Herbeiführung eines erträglichen Zustandes berathen wollte. Vom 11. bis 19. November 1367


1) M. U.=B. XV, 9249. 9251.
2) M. U.=B. XV, 9370.
3) M. U.=B. XV, 9345.
4) H.=R. I, 364. 392. 408. 410.
5) H.=R. I. 391.
6) H.=R. I, 402. 403.
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tagten die Sendboten der Städte, und am 19. schloß man die berühmte sogenannte Kölner Konföderation gegen Waldemar ab. 1 ) Jetzt waren es die wendischen Städte gewesen, die, wenn man überhaupt etwas thun wolle, ein ganz energisches Einschreiten wünschten. Und nach ihrem Vorgehen hatte man erkannt, daß nur ein gemeinsamer Feldzug im Stande sein würde, die wohlberechtigten Ansprüche der Hansen zu befriedigen. Die wendischen Städte waren es auch, die ein Bündniß mit den Fürsten von Holstein, Meklenburg und Schweden gegen den gemeinsamen Feind wünschten, 2 ) fanden jedoch darin nicht die völlige Zustimmung der übrigen preußischen und niederländischen Städte 3 ): diese erklärten sich zwar bereit, wenn ein Bund mit den Fürsten zu Stande käme, demselben auf ein Jahr beitreten zu wollen, bedangen sich aber ausdrücklich aus, daß ihnen aus diesem Bunde keinerlei Kosten und Nachtheile entstehen sollten, wofür sie dann freilich auch auf alle Vortheile verzichteten, die die Wendischen aus diesem Bündniß haben würden. Dem König Albrecht war die Absicht der Städte natürlich äußerst willkommen; schon von dem Lager vor Borgholm aus waren im November 1367 Verhandlungen mit ihnen angeknüpft worden; 4 ) jetzt schlossen sie, nachdem sie sich am 25. Januar 1368 bereits mit den Grafen Heinrich und Klaus verbunden und mit ihnen eine förmliche Theilung des dänischen Reiches verabredet hatten, 5 ) am 20. Februar einen Bund mit den Städten, 6 ) die am 5. Februar ihre Absage an Waldemar gesandt hatten. 7 ) Mit den preußisch=niederländischen Städten sollte das Bündniß bis zum 1. April 1369, mit den wendischen bis zum 14. April 1370 währen. 8 ) Mit Waldemars eifrigem Freunde Erich von Lauenburg schloß Herzog Albrecht, um sich den Rücken zu sichern, am 29. Februar einen zweijährigen Frieden hinsichtlich seiner Lande in Deutschland 9 ) und die Städte desgleichen; 10 ) ein ähnlicher Vertrag sollte auch mit dem Grafen Adolf von Holstein geschlossen werden. 11 )


1) H.=R. I, 413.
2) H.=R. I, 421.
3) H.=R. I, 411.
4) M. U.=B. XVI 9702.
5) M. U.=B. XVI, 9730. 9731 und H.=R. I, 422-424.
6) M. U.=B. XVI, 9744.
7) H.=R. I, 429 und M. U.=B. XVI, 9736.
8) H.=R. I, 437. 441. 442.
9) M. U.=B. XVI, 9743.
10) H.=R. III, 25.
11) H.=R. I, 436.
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Sogar im eigenen Lande hatte sich der Dänenkönig durch sein rücksichtsloses Auftreten Feinde gemacht: denn auch die jütischen Adligen traten auf die Seite der Verbündeten. 1 )

So zog sich eine zahlreiche Koalition erbitterter Feinde um Waldemar zusammen. Da geschah etwas Unerwartetes: Der König verließ am 6. April 1368 plötzlich Dänemark. 2 ) Man hat über die Gründe, die ihn wohl zu diesem seltsamen Schritt bewogen haben können, viel gestritten. Schon seinen Zeitgenossen ist er unerklärlich gewesen; die neueren Historiker haben seine Handlungsweise unköniglich, unmännlich und kurzsichtig genannt. Es ist hier nun nicht der Ort, darauf näher einzugehen. Aber man kann wohl mit Daenell 3 ) überzeugt sein, daß der König den Schritt für sein und des Reiches Interesse für am nützlichsten gehalten und vorher, so gut es anging, für die Vertheidigung des Reiches Maßregeln getroffen hat. Zum Reichsverweser hatte er für die Zeit seiner Abwesenheit seinen getreuen Rathgeber Henning von Putbus, einen Adligen aus rügischem Geschlecht, ernannt.

Wie man verabredet hatte, begann der Krieg um Ostern 1368. Die Hansen hatten sich mit ihren Schiffen am Gellande versammelt, 4 ) an der Südspitze der Insel Hiddensee an der pommerschen Küste. Dann gingen sie auf Kopenhagen los; nach kurzer Belagerung mußte es am 2. Mai kapituliren. 5 ) König Albrecht rückte in Schonen ein; theils allein, theils in Verbindung mit den Städtern 6 ) nahm er Falsterbo, Skanör, 7 ) Ystadt, Cimbrishamn, Lund, Malmö. 8 ) Um die Mitte des Jahres war das ganze Land im Besitz der Verbündeten; schon am 25. Juli ratifizirte Albrecht zu Falsterbo das Bündniß mit den Städten, bestätigte ihnen ihre Privilegien und gab ihnen einige neue Vortheile. 9 )


1) Schleswig=Holst.=Lauenbg. Urkslg. II, 276 u. 277; H.=R. I, 425, Urk. vom 18. März.
2) Script. rer. dan. VI, S. 631: Nicolai archiepiscopi Lundensis chronica episcoporum Lundensium.
3) E. R. Daenell: Die Kölner Konföderation u. d. schonischen Pfandschaften. Leipz. Stud. I, 1. 1894, S. 8.
4) H.=R. I, 413.
5) H.=R. I, 479 u. Obituarium ecclesiae b. v. Havnensis scr. rer. Dan. VI, S. 377.
6) Lü. U. III, 696.
7) H.=R. I, 461. 462.
8) Messenius: Scandia ill. III, S. 25.
9) Lü. U. III, 662. H.=R. I, 453-466. M. U.=B. XVI, 9808. 9824. 9825. 9829. 9830.
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Die festen Plätze in Schonen blieben vertragsmäßig, ebenso wie das Kopenhagener Schloß von städtischen Hauptleuten besetzt. Der Zug des Herzogs Albrecht zusammen mit dem Grafen Heinrich und den Städtern gegen Möen, Falster und Laland war in gleicher Weise von Erfolg begleitet; es ergaben sich die Schlösser Nykjöbing 1 ) am 15. August, Alholm 2 ) am 8. und Ravensburg 3 ) am 11. September, die alle drei von deutschen Hauptleuten befehligt wurden. Die niederländischen Hansen, die sich bei Marstrand gesammelt hatten, brandschatzten unterdeß Norwegen und zwangen dadurch Hakon zur Ruhe. Schon am 24. Juni 1368 knüpfte er Verhandlungen mit den Städten an und erlangte mit König Albrechts Genehmigung einen Waffenstillstand bis Ostern (1. April folgenden Jahres. 4 ) Jütland wurde vom Grafen Klaus in Gemeinschaft mit den jütischen Adligen den Leuten Waldemars entrissen, 5 ) und der Schwedenkönig griff im Oktober zusammen mit seinem Bruder Heinrich, - der alte Herzog Albrecht war krank nach Hause zurückgekehrt 6 ) - die Insel Gotland an. 7 )

So war nach kurzer Zeit fast das ganze Reich Waldemars im Besitz der Verbündeten. Waldemar irrte unterdeß in der Fremde umher, überall bei den Fürsten um Hülfe gegen die Feinde bittend und ihnen durch sein Geld Gegner erweckend. Seine alten Freunde, die pommerschen Herzöge Bogislav VI. von Wolgast und Wratislaw VI. von Barth, zu denen er sich zuerst auf seiner Flucht gewandt hatte, erhoben sich im Verein mit ihren Stammesvettern, den Herzögen von Stettin, zuerst gegen die Meklenburger; 8 ) es ist nicht ganz klar, aus welchem Grunde, doch, wie man wohl annehmen kann, von Waldemar dazu bewogen. Anfang November 9 ) kam es bei Damgarten an der pommerschen Grenze zu einer Schlacht, in der Herzog Albrecht aber, von seinen Vettern, den Herren von Werle, treulich unterstützt, Sieger blieb. Infolgedessen kam nicht nur ein Friede zwischen beiden Parteien, sondern unter Vermittlung der Herzöge


1) M. U.=B. XVI, 9817.
2) H.=R. I, 477.
3) H.=R. I, 478.
4) H.=R. I, 475.
5) H.=R. I, 469.
6) H.=R. I, 475.
7) H.=R. I, 479.
8) H.=R. I, Nachträge S. 501.
9) Detmar I, S. 540 hier aber ungenau: um Martini; dazu vgl. a 8 und D. Schäfer S. 493 a 4.
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von Stettin sogar ein enges Bündniß zu Stande am 7. Juli 1369, in dem sich die Herzöge von Wolgast und Barth verpflichteten, den Meklenburgern auf überseeischer Heerfahrt mit 60 Rittern und Knechten zu folgen. 1 ) Die pommerschen Herzöge glaubten offenbar genug für Waldemar gethan zu haben, und wandten sich nun auf die Seite des Siegers, auf der sie größere Vortheile für sich hoffen konnten.

In dem Feldzuge des nun folgenden Jahres 1369 sollte der Rest der Arbeit gethan werden. Vor allem galt es, das wichtige, den Sund beherrschende, feste Helsingborg, das sich unter den Hauptleuten Vicko Moltke und Hartwig Kale noch immer hielt, zur Uebergabe zu zwingen. Herzog Albrecht hatte den Hansen versprochen, am 29. April zur Stelle zu sein. 2 ) Nun schickte er, selber vielleicht immer noch kränklich, seinen ältesten Sohn Heinrich, der nun zusammen mit den Städtern die Feste belagerte; 3 ) auch König Albrecht hatte mit Zuzug herbeikommen sollen, aber wir erfahren nicht, ob er wirklich erschienen ist, wenigstens scheint er danach bei der Belagerung keine bedeutsame Rolle gespielt zu haben. 4 ) Endlich, am 21. Juli, kam nach tapferer Gegenwehr zwischen Verteidigern und Belagerern ein Vertrag zu Stande, 5 ) wonach die ersteren sich verpflichteten, das Schloß am 8. September zu übergeben, wenn nicht inzwischen Entsatz herankäme, oder Friede geschlossen würde. Da keines von beiden geschah, wurde die Uebergabe denn in der That vollzogen. Da endlich fand sich der von Waldemar mit der Regentschaft betraute Reichsrath zu Unterhandlungen mit den Gegnern bereit und schloß am 30. November einen Waffenstillstand mir den Hansen. 6 )

Unterdessen hatte sich Waldemar unverdrossen nach neuen Bundesgenossen umgesehen. Seine gefährlichsten Feinde waren die Fürsten; während die Städte nur ihre alten Rechte vertheidigen wollten, hatten jene es ja geradezu auf eine Theilung des Dänenreiches abgesehen; gegen sie mußte des Königs Thätigkeit also


1) H.=R. I, 512 u. H.=R. I, Nachträge 512 f-i.
2) H.=R. I, 489.
3) H.=R. I, 497.
4) Daraus daß er am 29. Mai und 15. Juni (Suhm XIII, 639 u. Svenska Riksarch. Perg. I, 872 u. 873) sich zu Stockholm aufhielt, zu schließen, daß er überhaupt keinen Zuzug geleistet habe, scheint unzulässig. Es ist möglich, daß er, nachdem er den Zuzug herangeführt, selber vor Helsingborg nicht nöthig, zu anderen Unternehmungen weitergezogen ist.
5) H.=R. I, 497.
6) H.=R. I, 513-516.
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besonders gerichtet sein. Da nun die großartigen Erfolge der Meklenburger bei den benachbarten Fürsten Mißgunst erweckt hatten, so wurde es Waldemar mit Hülfe seiner Schätze 1 ) leicht, eine zahlreiche Koalition gegen Meklenburg zusammenzubringen. Achtzehn Fürsten, an ihrer Spitze Herzog Magnus von Braunschweig, Markgraf Otto der Faule von Brandenburg, Herzog Erich der Jüngere von Lauenburg und Graf Adolf von Holstein, sagten dem Herzog Albrecht Fehde an. 2 ) Freilich suchten diese Herren dabei weniger Waldemars, als ihren eigenen Vortheil, 3 ) und so war es denn nicht so ganz unrichtig, wenn Herzog Magnus, um die Städte von einer Hülfeleistung an die Meklenburger abzuhalten, am 17. September 1369 an Lübeck die Erklärung abgab, der Streit sei nicht Waldemars wegen, sondern aus anderen Gründen. 4 ) schon am 13. Juli des Jahres hatte sich nun freilich schon Herzog Albrecht an die Städte gewandt, und sie, vielleicht Schon in Voraussicht der kommenden Ereignisse, um Hülfe gebeten, wenn es Noth thun sollte; 5 ) aber Lübeck stand seit einiger Zeit in einem etwas gespannten Verhältnisse zu dem Herzoge, infolge von Räubereien, die sich Diener desselben gegen Bürger der den Lübeckern verpfändeten Stadt Mölln erlaubt hatten; 6 ) und so ließen sich die Hansen in der That durch die Erklärung des Magnus bestimmen, den Meklenburgern keine Hülfe zu leisten. Aber auch ohne den Beistand der Städter blieb Herzog Albrecht Sieger. Bei Roggendorf in der Nähe von Gadebusch erfocht er am 29. November 1369 einen glänzenden Sieg über die in meklenburger Gebiet eingefallenen Feinde und nahm viele von ihnen gefangen. 7 ) Infolgedessen kam dann im folgenden Jahre ein für Meklenburg günstiger Friede mit den Herzögen Magnus und Erich zu Stande. 8 )

Hatten sich die Städte bei dieser Gelegenheit wenig schön benommen, indem sie die Unterstützung ihres Bundesgenossen


1) H.=R. I, 379, cf. ebd. S. 464 a 2 und H. Sudendorf: Urkunden zur Geschichte der Herzoge von Braunschweig und Lüneburg III, 379.
2) Sudendorf III, 401. 402. 405. 410. Schl.=Holst.=Lbg. Urkslg. II, 217. 377.
3) H.=R. I, S. 465.
4) H.=R. I. 510 und II, 49 und Lü. U. III, 697.
5) H.=R. I, S. 465.
6) Lü. U. III, 706.
7) Chronicon des Nicolaus Floreke, Capellans und Notars des Raths zu Lüneburg, in Sudendorf III, 435; Detmor I, S. 544.
8) H.=R. I, Nachträge 512 b-e (19. Juni). M. U.=B. XVI, 10070. 10071. Sudendorf IV, 31. 56. 57. Schlesw.=Holst.=Lbg. U. II, 222.
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Albrecht verweigerten, so waren sie damit doch wenigstens äußerlich im Recht gewesen. Ein direktes Unrecht aber gegen ihre Verbündeten war es, daß sie sich ohne die Fürsten mit Hakon und dem dänischen Reichsrath einließen. Schon im März 1369 hatte der Reichsrath Verhandlungen mit ihnen angeknüpft, 1 ) mit Hakon war am 3. August wieder ein Waffenstillstand zu Stande gekommen, 2 ) neue Verhandlungen mit den Dänen hatten sich den Juli und August hindurchgezogen 3 ) und am 30. November (s. o.) kam man endlich zum Abschluß: 4 ) Vorläufig sollte nur Waffenstillstand sein; förmlichen Frieden wollte man vorläufig im Hinblick auf das Bündniß mit den Fürsten, das erst am 14. April 1370 ablief, noch nicht schließen; dann aber sollte am 1. Mai zu Stralsund eine neue Zusammenkunft sein, auf der man die genaueren Bestimmungen des Friedens regeln wollte. Thatsächlich fand dann im folgenden Jahre diese Versammlung statt und führte zu dem Stralsunder Frieden am 24. Mai 1370, 5 ) der den Städten ihre alten Privilegien von neuem bestätigte, dem dänischen Reiche aber seinen Besitzstand sicherte. Als Bürgschaft wurden den Hansen die Einkünfte der schonischen Schlösser Skanör, Falsterbo, Malmö und Helsingborg auf 15 Jahre überlassen und die Schlösser selbst ihnen für diese Zeit in Verwahrung gegeben. 6 ) Scheinbar hatten also die Städte, indem sie erst nach dem 14. April den Frieden abschlossen, den Bund mit den Fürsten gehalten; thatsächlich aber war schon lange vorher (seit dem 30. November) die Ruhe hergestellt und der Verkehr wieder aufgenommen. 7 ) Mit Recht konnte Meklenburg=Schweden darob erbittert sein, hatte es sich doch schon als Herrn Dänemarks, oder doch zum mindesten Schonens, betrachtet, und nun garantirten die Hansen dem dänischen Reiche seinen Besitzstand. Daß die Städte wirklich die Rache der Fürsten dafür fürchteten. Scheint aus dem Gebot hervorzugehen, kein hansischer Kaufmann solle einen dänischen Hafen aufsuchen, der in meklenburgischem oder holsteinischem Besitze sei. 8 ) Zugleich ist diese Verordnung ein Beweis dafür, daß die Städte sich den Fürsten gegenüber im Unrecht fühlten. Aber allzu hart darf man ihre Treulosigkeit


1) H.=R. I, 489.
2) H.=R. I, 503. 505. 506.
3) H.=R. I, 495.
4) H.=R. I, 513-516.
5) H.=R. I, 523-539.
6) H.=R. I, 524.
7) H.=R. I, 495.
8) H.=R. I, 522.
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denn doch nicht beurtheilen. Kaufmannspolitik ist ja von je her egoistisch gewesen. Die Hansen hatten nach der Einnahme von Helsingborg im Wesentlichen erreicht, was sie wollten: der Sund stand ihnen offen und damit freie, ungehinderte Fahrt in Nord= und Ostsee; Dänemark war zu Boden geworfen, aber sie wollten nicht, wie die Fürsten, eine völlige Vernichtung desselben, die nur diesen, nicht ihnen Vortheil gebracht hätte. Dazu kam vielleicht, daß sie, als Herzog Albrecht in so gefährliche Verwickelungen mit seinen Nachbaren gerieth, eine Vernichtung von dessen Macht voraussahen, und daß sie, um nicht mit in seinen Sturz hineingezogen zu werden, um so eiliger mit den Dänen abschlossen und das, was sie erreicht hatten, für sich retteten; daß sich die Verwickelungen so bald und zu Gunsten Meklenburgs lösen würden, hatten sie offenbar nicht erwartet; und aus diesem Grunde wird man ihre Haltung zwar nicht billigen, aber doch erklärlich finden.

Siegreich über seine Feinde in Deutschland hätte Herzog Albrecht nun auch den Krieg gegen Waldemar wohl fortsetzen können; aber allein, ohne die Städte, versprach er sich doch wohl nicht mehr den Erfolg, den er eigentlich von dem Kriege gehofft hatte. So beschloß er denn auch seinerseits, sich mit Waldemar zu einigen. Um so leichter wurde ihm freilich dieses scheinbare Aufgeben seiner Pläne auf Dänemark, als sich jetzt ihm eine andere Aussicht eröffnete: auf friedlichem Wege zu dem Ziele zu gelangen, das er durch den Krieg hatte erreichen wollen, nämlich Dänemark seinem Hause zu erwerben. Waldemar war nämlich ohne männliche Erben; von seinen Töchtern aber war die älteste Ingeborg die Gemahlin von Albrechts ältestem Sohne Heinrich gewesen, beider Sohn, Albrecht der Jüngere, also des Dänenkönigs nächster Erbe. Ihm gedachte der Herzog nun den dänischen Thron nach Waldemars Ableben zu verschaffen, und glaubte am leichtesten dies Ziel durch gutes Einvernehmen, durch ein Handinhandgehen mit Waldemar erreichen zu können. So kam am 14. August 1371 ein Vertrag zwischen beiden zu Stande, in dem der König seinem Enkel Albrecht dem Jüngeren die Erbfolge in Dänemark zusagte, während der Herzog dafür auf alle Eroberungen, die er im Dänenreiche gemacht hatte, verzichtete. 1 ) So hatte Waldemar sein Reich wiedergewonnen. Als Preis dafür aber hatte er seinen anderen Schwiegersohn, den Norwegerkönig, ohne Bedenken fallen lassen; dessen Ansprüche


1) M. U.=B. XVIII, 10229.
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auf Schweden wurden überhaupt nicht erwähnt, sondern, wie es ja der Vertrag mit den Meklenburgern voraussetzt, stlillschweigend Albrecht als Schwedenkönig anerkannt; und auch von Dänemark sollte Hakons Gemahlin, Waldemars andere Tochter Margareta, dem Vertrage zufolge, nur soviel erhalten, "als möglich und redlich" sei. Ob zwischen Waldemar und dem Schwedenkönige auch ein förmlicher Friede geschlossen ist, wird nicht berichtet. Jedenfalls aber fanden keine Feindseligkeiten mehr zwischen ihnen statt; jeder von beiden war wahrscheinlich froh, wenn der andere ihn in Ruhe ließ. Der Hauptstreitpunkt, der zwischen ihnen bestehen konnte, nämlich wem von ihnen das Land Schonen gehöre, blieb wahrscheinlich unberührt, da dasselbe ja thatsächlich zur Zeit weder in des einen, noch in des anderen Gewalt war, sondern unter dem Einfluß der Hansen stand. 1 )

Während im Dänenreiche und an der deutschen Ostseeküste in den nun folgenden Jahren im allgemeinen Frieden herrschte, kam König Albrecht in Schweden noch lange nicht zur Ruhe. Zwar von Waldemar hatte er nichts mehr zu fürchten; aber Hakon setzte die Versuche, den Thron seiner Ahnen wieder zu erringen und seinen Vater Magnus, der noch immer zu Stockholm in der Gefangenschaft schmachtete, zu befreien, mit anerkennenswerther Beharrlichkeit fort. Zu Hülfe kam ihm dazu, daß er fast sein Ziel erreichte, ein für Albrecht höchst unheilvoller Umsand: die Erhebung eines Theils des schwedischen Volkes gegen ihren König. 2 ) Grund zur Unzufriedenheit glaubten zunächst die schwedischen Großen zu haben. Sie waren einst mit König Magnus in Zwist gerathen, weil er ihre, sei es rechtmäßigen, sei es angemaßten Vorrechte anzutasten versucht hatte. sie hatten ihn zu Fall gebracht, weil sie gefürchtet hatten, daß er mit Hülfe Waldemars ihre Macht brechen würde. In Albrecht hatten sie ein gefügigeres Werkzeug zu finden gehofft; aber sie hatten sich getäuscht. Um ihm den Thron zu erkämpfen und zu behaupten, hatten sie, die einzelnen Herren, hinter denen nicht das ganze Volk stand, natürlich nicht ausreichen können, sondern seine beste Hülfe waren hierbei die deutschen Soldtruppen und an ihrer Spitze die kriegerischen und abenteuerlustigen holsteinischen und meklenburgischen Adligen gewesen. Als Lohn für ihre Dienste hatten die Letzteren überall im Reiche die festen Burgen


1) Bis August 1372 nennt sich A. allerdings noch dominus terrae Scaniae s. M. U.=B. XVI, 1094. 10100. 10107. XVIII, 10305 und 10351.
2) Ol. Petri scr. rer. svec. I, 2, S. 274; über das Folgende s. Girgensohn, S. 56 ff.
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und weite Gebiete des umliegenden Landes zu Lehen bekommen. 1 ) So waren Raven Barnekow über das Schloß Nyköping, 2 ) Heinrich Parow über Stäkeholm und das Land Tjust gesetzt, welches später an die Brüder .Johann und Vicke Ummereise, dann an Henneke Bützow und endlich an Heinrich und Henneke Moltke überging; 3 ) Vicke von Vitzen hatte die Vogtei Kalmar inne, Arnold von Vitzen Häsleby und Henning Königsmark Oeland. 4 ) Gestützt auf diese deutschen Herren und auf seinen Vater, den alten Herzog Albrecht, hatte der König sich dem übermäßigen Einfluß des Reichsrathes, der vor allem nur seine, des Adels, Interessen, nicht die des Königthums im Auge hatte, entzogen und war dadurch mit demselben in ein gespanntes Verhältniß gerathen. Trotzdem waren beide einig gewesen, so lange sie in Waldemar den gemeinsamen Feind zu bekämpfen hatten; jetzt, da dieser nicht mehr zu fürchten war, mußte der Konflikt zwischen König und Adel ausbrechen. Es handelte sich hier also zunächst durchaus nicht um einen nationalen Gegensatz zwischen Deutschen und Schweden, im Gegentheil war, wie Girgensohn nachgewiesen hat, 5 ) das Verhältniß zwischen deutschen und schwedischen Adligen das denkbar beste und wurde vielfach noch durch gegenseitige Heirathen befestigt. Anders war es allerdings bei den übrigen Ständen, namentlich den Bauern, denen die deutsche Herrschaft nur Nachtheil gebracht hatte. Ihnen war Magnus kein harter König gewesen, sie hätten seinen Sturz nicht gewünscht; trotzdem hatten sie sich nach dem Vorgang ihrer Großen der neuen Herrschaft zunächst gefügt. Daß aber die durch dieselbe ins Land gekommenen deutschen Adligen anfingen, die freien schwedischen Bauern ebenso zu behandeln, wie sie es in ihrer Heimath mit ihren hörigen gewohnt waren, mußte allmählich eine tiefe Erbitterung hervorrufen und schließlich bewirken, daß ihnen Albrechts Regierung als eine Fremdherrschaft erschien. Obgleich also die Erbitterung des Adels zunächst nicht gegen die Deutschen, sondern gegen Albrecht gerichtet war, die der Bauern aber nicht gegen den König, sondern gegen seine deutschen Helfer ging, thaten sich doch beide zusammen; und als auch Hakon wieder gegen Albrecht auftrat, glaubten sie, der günstigste Augenblick sei gekommen, jetzt ihre gemeinsamen Interessen wahrzunehmen. Mit Hakon hatte


1) Diarium Wadstenense scr. rer. svec. I, 1, S. 102.
2) M. U.=B. XV, 9426; Styffe I, 36.
3) Styffe 41. 42; M. U.=B. XVIII, 10440.
4) Styffe I, 63. 66.
5) S. 57. 58.
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König Albrecht zwar, um die Zeit des Stralsunder Friedens, vielleicht unter Vermittlung der Städte im Anschluß an denselben, Verhandlungen angeknüpft: 1 ) Am 9. Mai 1370 hatte er die Bischöfe von Linköping und Skara und drei Ritter beauftragt, zu Lödöse im Juni mit dem Gegner zu unterhandeln. Aus irgend einem Grunde muß diese Zusammenkunft aber aufgeschoben worden sein, denn am 12. Juli hatte ebenfalls Hakon acht Herren bevollmächtigt, im August zu Lödöse seine Sache zu führen. Weiter erfahren wir nichts über diese Verhandlungen, ja nicht einmal, ob die Zusammenkunft im August wirklich stattgefunden hat. Vielleicht ist sie an Hakons übermäßigen Forderungen gescheitert; Erfolg hat sie jedenfalls nicht gehabt, denn im nächsten Jahre ging der Krieg zwischen Albrecht und Hakon weiter. Dies Mal führte ihn der Letztere mit mehr Glück, als bisher, denn schon im Winter war das Schloß Axewall in Westergotland wieder in seine Hände gekommen. 2 )

Jetzt war es, wo die Unzufriedenen in Schweden sich mit ihm verbanden. Es erhoben sich die Bewohner des mittleren Schweden und riefen in einer Proklamation ihre Landsleute auf, das Joch der Deutschen abzuwerfen und sich von der Fremdherrschaft und den Bedrückungen, die sie so lange durch dieselben erfahren, zu befreien. 3 ) Schwedische Adlige, vor allem Erik Kettilsson, und der Bischof Nikolaus von Linköping, bis vor kurzem noch ein Anhänger König Albrechts, hatten sich an ihre Spitze gestellt. Bis eine Meile von Stockholm entfernt drangen die Aufrührer vor, ließen sich hier aber in Unterhandlungen mit den Gegnern ein. König Albrecht selbst war nicht anwesend, sondern nach Deutschland hinübergegangen, wohl um neue Truppen zu dem Kriege gegen Hakon zu werben. Da schlossen denn in seinem Namen die auf seiner Seite gebliebenen Adliqen, der Marschall Karl Ulfsson, Bo Jonsson, Bengt Philippsson und andere Ritter, sowie der Bischof von Strengnäs und die stockholmer Rathsherren am 15. April 1371 mit den Aufständischen einen Waffenstillstand ab, der bis 4 Wochen nach Pfingsten, bis zum 21. Juni dauern sollte. Die Bedingungen, die die Empörten stellten, waren: im Interesse Hakons, daß sein Vater, der gefangene Magnus, mild und ehrenvoll behandelt und nicht von Stockholm weggeführt werden sollte; und im Interesse des Volkes mußte Bo Jonsson im Namen des Königs


1) S. Schäfer, S. 531 a 1.
2) Styffe I, S. LVI und a 2.
3) Olaus Petri scr. rer. svec. I, 2, S. 274.
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versprechen, daß keine neuen Steuern aufgelegt, sondern nur die erhoben werden sollten, zu denen man gesetzlich verpflichtet sei. 1 ) - Nun kam auch König Hakon heran und lagerte mit einem Heere dicht bei Stockholm. 2 ) Als nun König Albrecht um diese Zeit aus Deutschland zurückkam, sah er sich sogleich den schwierigsten Verhältnissen gegenüber: Der Waffenstillstand, den seine Anhänger mit den Empörern geschlossen hatten, war abgelaufen. Die Hauptstadt wurde von den Aufständischen und Hakon zugleich bedroht. Doch nun scheint es zu neuen Verhandlungen gekommen zu sein, die die auf des Königs Seite gebliebenen Großen in die Hand nahmen. Sie scheinen dem Könige, wie aus dem folgenden Vertrage hervorgeht, allerlei Vorwürfe gemacht und die Abstellungen von mancherlei Zuständen und die Zusicherung von verschiedentlichen Rechten verlangt und nur so sich bereit erklärt zu haben, seine Sache mit Energie zu vertreten. König Albrecht wußte sich nicht anders zu helfen: er gab gänzlich dem Verlangen der Großen nach und am 9. August 1371 stellte er ihnen in dem Minoritenkloster zu Stockholm eine Urkunde aus: Er versprach darin, seinen Ständen den Schaden zu erstatten, den seine Vögte und Untergebenen wider seinen Willen vielfach angerichtet hätten; sämmtliche Lehen und Vogteien sollten von nun an nur an Einheimische gegeben werden; die wichtigsten der Schlösser sollte Bo Jonsson entgegennehmen; allen, die Güter in Schweden besäßen, sollten diese gesichert sein, auch wenn sie selbst in Norwegen oder Dänemark wohnten; in allen Fällen wollte er sich nach dem Rathe des Reichsrathes richten. 3 )

König Albrecht hatte diesen Vertrag mit den Adligen geschlossen und zwar sowohl mit denen, die bisher seine Anhänger zu sein geschienen hatten, wie mit den Anführern des empörten Volkes; das Volk selbst aber war dabei offenbar garnicht gefragt worden. Dasselbe war ausgezogen, der Herrschaft des fremden Königs und seiner deutschen Vögte ein Ende zu machen; jetzt wo der König den Wünschen des Adels sich willfährig gezeigt hatte, war von seiner Entfernung keine Rede mehr; jetzt nachdem die Großen ihr Ziel erreicht hatten, mochte ihnen ein Fürst, den sie kannten, angenehmer sein, als irgend ein anderer, von dem sie nicht wußten, was sie von ihm zu erwarten hatten. Die einzige Bestimmung des Vertrages, die im Interesse des Volkes


1) M. U.=B. XVIII, 10185. Styffe I, 44.
2) Diarium fratrum minorum Stockholmensium in Scr. rer. svec. I, 1, S. 73.
3) M. U.=B. XVIII, 10227.
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mit aufgenommen zu sein schien, daß die Lehen und Vogteien fortan nicht mehr von Deutschen, sondern von Einheimischen besetzt werden sollten, hatte für das Volk thatsächlich wenig Bedeutung, denn einmal behandelten die schwedischen Großen ihre Untergebenen durchaus nicht besser, als die Deutschen es thaten, 1 ) und zweitens wurde diese Bestimmung in der Folgezeit überhaupt nicht einmal innegehalten. Aus dem letzteren Umstande geht also hervor, daß den schwedischen Adligen in Wirklichkeit daran wenig gelegen war, weil sie sich ja recht gut mit ihren deutschen Standesgenossen standen. Alle anderen Bestimmungen des Vertrages dagegen kamen den Adligen sehr zugute. Dadurch daß jedermann seine Güter gesichert wurden, mochte er auch in Dänemark oder Norwegen wohnen, war es dem Könige unmöglich geworden, den Uebertritt eines seiner Adligen auf die Seite der gegnerischen Könige, Waldemar oder Hakon, mit Gütereinziehung zu bestrafen; zugleich scheint damit eine Restituirung derer stattgefunden zu haben, die einst als Anhänger Magnus' ihre Güter verloren hatten. 2 ) Dadurch aber, daß Albrecht die wichtigsten Schlösser an Bo Jonsson, den Führer des Adels, gab und sich nach den Beschlüssen des Reichsrathes zu richten versprach, gab er thatsächlich so ziemlich seine ganzen Machtbefugnisse an die Großen und ihm blieb fast nur der Königsname. So hatten bei diesem Vertrage allen Vortheil die Adligen, während das Volk, dessen sie sich zur Erreichung ihres Zwecks bedient hatten, leer ausging. Man möchte daraus beinahe schließen, daß die Großen nur um ihrer eigenen Ziele willen absichtlich die Unzufriedenheit des Volkes gesteigert und zum offnen Aufruhr gereizt haben; 3 ) thatsächlich standen ja Adlige an der Spitze der Empörer. Zwar waren das Leute, die wie Erik Kettilsson und Bischof Nikolaus 4 ) nichts zu verlieren hatten, sondern im Falle des Gelingens nur gewinnen konnten; die von den Adligen dagegen, die in Amt und Besitz waren, hatten sich vorsichtig zurückgehalten und waren dem Namen nach Anhänger Albrechts geblieben, um sich, wenn die Sache mißglückte, nicht zu kompromittiren. Aber wir finden später die ersteren im besten Einvernehmen mit den letzteren, so daß


1) S. Girgensohn, S. 60.
2) Wenigstens erscheinen später einige derselben, Erik Kettilsson, Erengisle Sunesson, Ulf Jonsson u a. im Besitz derselben, selbst im Reichsrath, s. Styffe I, S. LX u. a.
3) S. Schäfer, S. 533.
4) Der Bischof war durch den Papst seines Bisthums entsetzt. Styffe I, S. LVII.
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wir wohl annehmen können, daß sie auch damals schon im Einverständniß gehandelt haben.

Ebenso wie das Volk, ließen die Adligen auch ihren Verbündeten Hakon fallen, nachdem er ihnen als Schreckmittel gegen Albrecht hatte dienen müssen. Am 14. August 1371 kam zwischen beiden Königen ein Friede zu Stande, dessen Bedingungen zeigen, daß Hakon, was er bisher erreicht, lediglich durch sein Bündniß mit dem Adel erreicht hatte, während er nun, wo ihn derselbe aufgegeben hatte, die ungünstigsten Bedingungen annehmen mußte. Das einzige, was Hakon erlangte, war die endliche Befreiung seines Vaters Magnus, wofür er aber 12000 Mk. Silber zusagen und 60 Ritter und Knappen als Bürgen stellen mußte. Alle Ansprüche auf Schweden, wie auf Schonen mußten Magnus und Hakon aufgeben und nur die Einkünfte einiger westlicher Grenzgebiete sollte Magnus auf Lebenszeit zum Nießbrauch haben. 1 ) - Mit diesem Vertrage war Schweden endgültig für Hakon und seinen Vater verloren. Und der letztere hat drei Jahre danach in einem norwegischen Fjord durch Ertrinken seinen Tod gefunden. 2 )

In den nun folgenden Jahren hatte Schweden zwar nach Außen hin Frieden, im Innern aber kam das Land noch immer nicht zur Ruhe. Der König scheint sich mit den Adligen, die ihm so große Zugeständnisse abgedrungen hatten, nicht sehr gut gestanden zu haben. Die Bedingungen des Vertrages vom 9. August 1371 waren theilweise zu unbestimmt gewesen, als daß sie hätten Streitigkeiten verhindern können, sowohl der König, wie die Großen bemühten sich, sie möglichst zu ihrem Vortheil auszulegen. Der König verlangte, daß ihm von den Gütern, Schlössern und Pfandlehen, die dem Adel überlassen worden waren, in gleicher Weise Abgaben gegeben würden, wie von allen anderen; dessen weigerten sich die Adligen, und das Verhältniß des Führers derselben, Bo Jonsson, zu dem Könige wurde infolgedessen ein so gespanntes, daß Bo nicht ohne einen ausdrücklichen Geleitsbrief zum Könige kommen wollte. 4 ) Auch sonst hatten die Großen die erlangte Macht benutzt, ganz nach ihrer Willkür zu handeln; das Volk wurde von ihnen bedrückt, Fehden, Mord und Todtschlag herrschten im Lande. So wurde


3) M. U.=B. XVIII, 10817. Styffe I, 48.


1) M. U.=B. XVIII, 10230. Libellus Magnopolensis in scr. rer. svec. III, 1, S. 197 (Detmar II, 372).
2) Ol. Petri scr. rer. svec. I, 2, S. 274.
4) M. U.=B. XVIII, 10654. Styffe I, 55.
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z. B. im Jahre 1374 der Bischof Gottschalk von Linköping wegen persönlicher Streitigkeiten von dem Ritter Matz Gustavsson auf einer Reise erschlagen. 1 ) König Albrecht war nicht im Stande, derartige Ausschreitungen zu hindern, hauptsächlich fehlte es ihm an Geld, und die Lage war so schwierig, daß der alte Herzog Albrecht es für nöthig hielt, einmal wieder nach Schweden hinüberzukommen, um seinem Sohn mit seinem Rathe beizustehen. Unter seiner Vermittelung kam zwischen dem Könige und den Großen ein Vertrag zu Stande, in welchem der Erstere in der Frage der Adelsgüter nachgab und die Auffassung des Adels zuließ, das heißt, die Adelsgüter sollten von nun an abgabenfrei sein und bleiben. Als Gegenleistung mußten dafür die Großen einen allgemeinen Landfrieden auf drei Jahre geloben, der allen Fehden und Unruhen für diese Zeit ein Ende machte. 2 ) Als nun noch Bo Jonsson, der Führer der Adelspartei, zum Reichsdrost erhoben wurde, 3 ) scheinen die Adligen mit dem, was sie vom Könige erreicht hatten, zufrieden gewesen zu sein und infolge davon auch im Wesentlichen den Landfrieden gehalten zu haben, wenigstens hören wir für die nächsten paar Jahre so gut wie nichts von Schweden, es herrschte also wohl Ruhe.

Dafür richtete sich während der nächsten Zeit die allgemeine Aufmerksamkeit auf die Ereignisse in Dänemark. Kaum war Herzog Albrecht aus Schweden nach Hause zurückgekehrt, da starb Ende Oktober 1375 König Waldemar von Dänemark, ohne Söhne zu hinterlassen; und seine beiden Enkel, Albrecht der Jüngere von Meklenburg und Olaf von Norwegen, machten Anspruch auf den erledigten Thron. Nach deutscher Anschauung hatte Albrecht, als Sohn der Ingeborg, der ältesten Tochter Waldemars, vor Olaf, dem Sohne der jüngeren Tochter Margareta ein näheres Recht; nach dänischem Gesetz aber gab ihm das keinen Vorzug, denn Dänemark war Wahlreich. Es kam also für den, der siegen wollte, darauf an, sich die Zuneigung der für die Wahl maßgebenden Persönlichkeiten zu verschaffen. Schon seit Jahren hatte der alte Herzog Albrecht daran gearbeitet, das Recht seines Enkels Albrecht auf die Nachfolge in Dänemark zu sichern. Von Waldemar selbst hatte er die Zustimmung dazu erworben. Mit dem Kaiser Karl IV. und seinem Sohne Wenzel hatte er wiederholt Verträge geschlossen (6. Juni 1373, 28. April 1374), 4 ) in


1) Styffe I, 65.
2) Styffe I, S. LXV.
3) Vor Pfingsten 1375. M. U.=B. XVIII, 10742. Styffe I, 62.
4) M. U.=B. XVIII, 10449. 10450. 10554. H.=R. I, 108-112.
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denen diese versprachen, des jungen Albrecht Ansprüche unterstützen zu wollen; nun forderte der Kaiser am 6. November in der That die Dänen auf, dem jungen meklenburgischen Herzoge als ihrem Herrn zu huldigen. 1 )

Aber Waldemar war ja, mochte er seine Zusage, durch die er sich ja den Frieden mit Meklenburg einst erkauft hatte, ehrlich gemeint haben oder nicht, nicht mehr am Leben, konnte also nichts nützen; der Kaiser aber war weit entfernt, und seine Macht reichte nicht bis über Dänemark. Die Städte, die nach den Bestimmungen des Stralsunder Friedens das Recht erhalten hatten, über die dänische Königswahl mitzureden, 2 ) schwankten zwischen beiden Kandidaten hin und her, weil ihnen eigentlich keiner von beiden angenehm war. Den Ausschlag mußte also der dänische Reichsrath geben. Waren aber die Großen Dänemarks vielleicht schon von vornherein den Meklenburgern abgeneigt im Hinblick auf die langjährige Feindschaft, so machten diese sie sich vollends zu Gegnern durch eine Unvorsichtigkeit. Indem der junge Albrecht Titel und Wappen eines Königs von Dänemark annahm, noch mehr aber, indem er ein enges Bündniß mit den den Dänen so verhaßten Holsteiner Grafen schloß und ihnen ganz Schleswig und Jütland mit den dazu gehörigen Inseln und mehreren Schlössern versprach, 3 ) erbitterte er einerseits die Großen, deren altes Wahlrecht er ganz außer Acht zu lassen schien, und andrerseits das Volk, da er über Landestheile zu Gunsten der verhaßten Landesfeinde verfügte. So neigten sie sich dem Gegenkandidaten zu, und am 3. Mai 1376 wählten sie, an ihrer Spitze der alte treue Diener Waldemars, Henning von Putbus, zu Slagelse Olaf, den Sohn Margaretas und Hakons von Norwegen, zum Könige von Dänemark. 4 ) Angesichts dieser Thatsache beschlossen die Hansen, ihr Recht, an der Königswahl mitzuwirken, aufzugeben und gegen Bestätigung ihrer Privilegien Olaf anzuerkennen. 5 ) Zugleich wandelten sie den Waffenstillstand mit Norwegen in einen endgültigen Frieden um. 6 )

So war für die Meklenburger also wenig zu hoffen; aber trotzdem war Herzog Albrecht nicht gewillt, seines Enkels Sache


1) M. U.=B. XVIII, 10792.
2) H.=R. I, 524.
3) M. U.=B.XIX, 10838-10840. Schl.=Holst.=Lbg. U. II, 244-247.
4) Annales danici ab anno 1316 ad annum 1389 in Script. rer. dan. VI, S 533.
5) H.=R. II, 120. 133.
6) H.=R. II, 123-128. 134.
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aufzugeben; mit den Waffen in der Hand beschloß er ihm sein Recht zu erkämpfen. Während die holsteinischen Grafen in Schleswig einfielen, zog der Herzog im September des Jahres (1376) mit einer starken Flotte vor Kopenhagen 1 ) und schüchterte dadurch die Königin Margareta, die für ihren unmündigen Sohn die Leitung übernommen hatte, derart ein, daß sie sich am 21. des Monats zu einem Vertrage bereit finden ließ: ein Schiedsgericht sollte über die Ansprüche der beiden Thronkandidaten entscheiden; Markgraf Friedrich von Meißen wurde zum Schiedsrichter ausersehen. 2 ) Eine Anzahl dänischer Großer verpflichteten sich, wenn für den jungen Albrecht entschieden würde, dahin zu wirken, daß er auch wirklich zu seinem Rechte käme. Da sich indessen der dänische Gesandte, Konrad Moltke, nicht unter allen Umständen dem Schiedsgericht unterwerfen zu können erklärte 3 ) so zerschlug sich diese Aussicht auf friedliche Einigung. Ebenso wenig führten Verhandlungen, die zu Mitte Juni des folgenden Jahres (1377) zu Nyborg stattfanden, zum Ziel. 4 ) Immerhin aber war es doch von Nutzen für die Meklenburger, daß eine Anzahl dänischer Adliger, die sich in dem Kopenhagener Vertrage verpflichtet hatten, für das Recht des jungen Albrecht zu wirken, sich jetzt auch gebunden fühlten, und nun, da durch dänische Schuld die Bestimmungen jenes Vertrages nicht ausgeführt waren, offen auf die Seite Meklenburgs traten. 5 ) Vor allem waren es die einflußreichen Herren Tuve Galen und der Reichsrath Anders Jakobsson, die am 4. August 1377 nach Wismar hinübergingen und dort sich dem jungen Herzog Albrecht gegenüber verpflichteten, ihm den Besitz der ererbten, widerrechtlich vorenthaltenen Krone Dänemarks zu verschaffen. 6 ) Ebenso traten am 2. Mai 1378 drei dänische Adlige, Jakob Axelsson, Peter und Jesse Duve, auf Albrechts Seite und wurden dafür mit Gütern in Schonen be=


1) Detmar I, S. 556. Libellus Magnopolensis in Scr. rer. svec III, 1. S. 199 (Detmar II, 377).
2) M. U.=B. XVIII, 10927.
3) Libell. Magn. ebd.
4) H.=R. III, 97.
5) Daenell, Köln. Konföd. S. 78 hat dieses Verhalten der dänischen Adligen damit erklärt, daß im dänischen Reichsrath eine Partei bestanden habe, die antimonarchische Bestrebungen pflegte, die die Verbindung mit den Meklenburgern nur als Drohmittel gebrauchte, um von der augenblicklich schwachen Regierung durch Zugeständnisse für sich selbst möglichst große Machterweiterung zu erlangen. - Das ist durchaus wahrscheinlich, da wir ja bei den schwedischen Adligen dieselben Bestrebungen finden.
6) M. U.=B. XIX, 11038. Styffe I, 68.
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lohnt. 1 ) Während dieser ganzen Zeit der vergeblichen Verhandlungen hören wir nichts von größeren Unternehmungen des alten Herzogs; aber keineswegs war die meklenburgische Partei unthätig, sondern in fortwährendem Kleinkrieg suchte sie dem Gegner unablässig zu schaden, ihn allmählich mürbe zu machen. Zu diesem Zwecke warfen sich meklenburgische Adlige, fehdelustig wie sie waren, und auf dem Lande durch Landfrieden in ihrer Kriegslust beschränkt, auf die See und führten hier nach Art von Piraten ein wildes Kampfleben gegen die dänischen Küstenbewohner und Seefahrer. 2 ) Daß sie es dabei nicht immer so ganz genau nahmen, sondern gelegentlich einmal sich an einem friedlichen Kauffahrerschiff vergriffen, ist nicht zu verwundern. Aber durchaus unerweislich ist es, was Girgensohn 3 ) sagt, daß sich die Meklenburger in ihrem Kampfe gegen die Dänen berufsmäßiger Seeräuber bedient hatten. Zwar gestalteten zu Johanni 1377 die Hansen den meklenburgischen Städten Wismar und Rostock, sich solange vom Kampfe gegen die "Seeräuber" fern zu halten, bis Friede zwischen Meklenburg und Dänemark geschlossen sei, 4 ) und als am 30. Mai 1378 auf dem Stralsunder Hansetage beschlossen wurde, daß jeder, der die "Seeräuber" schütze, als ebenso schuldig angesehen werden solle, wie diese, da verweigerten Wismar und Rostock ihre Zustimmung und traten offen für die "Seeräuber" ein. 5 ) Aber beides beweist doch nur, daß die Hansen keinen Unterschied zwischen den meklenburgischen Parteigängern und den eigentlichen Seeräubern machten, und was die letzteren verbrochen hatten, auch den ersteren in die Schuhe schoben. 6 ) Dagegen verwahrten sich die Bürger der beiden meklenburgischen Städte, für wirkliche Seeräuber aber traten sie schwerlich ein. Noch einmal kam es im Jahre 1378 zu Verhandlungen mit dem dänischen Reichsrathe zu Rostock, die aber wie die früheren scheiterten. 7 ) Nun erkannte der alte Herzog Albrecht, daß schließlich doch nur ein energischer Angriff von durchschlagendem Erfolg


1) M. U.=B. XVIII, 11102-11104. Styffe I, 69-71.
2) Cf. Lindner, Geschichte des deutschen Reiches unter König Wenzel II, 242.
3) S. 7.
4) H.=R. II, 150.
5) H.=R. II, 156.
6) Es wird ebenso gewesen sein, wie 1392, wo die Meklenburger den Stralsundern den Vorwurf machten, daß sie "vele bedderver lude döden leten, de deme kopmanne newerlde schaden dan hadden". H.=R. IV, 217.
7) H.=R. II, 156, III, 108.
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sein würde; mit den Herzögen Erich von Lauenburg und Albrecht von Lüneburg schloß er Bündnisse 1 ) und rüstete dann eifrig zum Kriege. Anfang 1379 gedachte er loszuschlagen, und sicher würde ihm bei dem damaligen Stande der Verhältnisse sein Unternehmen geglückt sein, - da ereilte ihn am 18. Februar 1379 der Tod. 2 ) Der junge König Olaf war von seinem gefährlichsten Feinde befreit, denn trotz seines hohen Alters war Albrecht die Seele des ganzen Unternehmens gewesen. Jetzt gerieth es sofort ins Stocken, denn des Herzogs Sohn und Nachfolger Heinrich betrat, anstatt wirklich loszuschlagen, wieder den Weg der Verhandlungen, die aber ebenso, wie die früheren, ganz ohne Erfolg blieben. So verlief das Unternehmen gegen Dänemark, das so großartig angefangen hatte, allmählich im Sande, und seit dem Jahre 1381 gab der junge Albrecht den Titel eines Königs von Dänemark, den er bis dahin noch geführt hatte, auf und nannte sich seither nur Erbe zu Dänemark. 3 )

Herzog Albrecht war bis an sein Ende geblieben, was er sein ganzes langes Leben hindurch gewesen war: ein Mann von rastloser Thätigkeit und Unternehmungslust. Sein ganzes Leben war der Sorge für das Wohl seines Landes und für die Größe seines Hauses geweiht gewesen, und mit Eifer und Geschick hatte er sich dieser beiden Aufgaben zu unterziehen gewußt. Durch den Erwerb der Grafschaft Schwerin hatte er das Gebiet seines Landes abgerundet, durch zahlreiche Landfriedensbündnisse die Ruhe und Ordnung in demselben aufrecht erhalten. Durch die Erlangung der Herzogswürde hatte er seinem Hause Glanz und Ansehen erworben, die er durch die Unternehmungen während seiner ganzen Regierung noch vermehrte. In allen Kämpfen ein siegreicher Heerführer, war er zugleich ein geschickter und einsichtsvoller Diplomat gewesen; wo er durch die Waffen nicht zum Ziele zu kommen glaubte, hatte er es durch Verhandlungen versucht. Da er wußte, was er den Kräften seines kleinen Landes zumuthen durfte, hat er niemals leichtsinnig zum Schwert gegriffen, sondern stets erst, nachdem er sich leistungsfähige Bundesgenossen verschafft hatte. Deshalb auch sein stetiges gutes Verhältniß mit den Hansestädten, deren Macht, vor allem Geldmacht, er wohl zu würdigen verstand. Sollen doch noch seine letzten Worte der Rath an seine Söhne gewesen sein, sich stets gut mit den Städten zu stellen; das hatte er sein Leben lang gethan und wäre gut


1) Sudendorf V, S. 108.
2) Detmar I, S. 564; cf. M. U.=B. XIX, 11177. 11247, S. 470.
3) M. U.=B. XX, 11344.
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dabei gefahren. - Er war es gewesen, der seinem Sohne Albrecht den schwedischen Thron erkämpft hatte; er war Jahre lang dessen beste Stütze gewesen, und stets hatte er ihm mit Rath und That zur Seite gestanden, wo er sich nicht mehr zu helfen gewußt. Bei dem letzten Kampfe gegen Dänemark hatte er noch alles geleitet. Bis nach Preußen und Livland hatte sein Einfluß gereicht. So kann man seine Unternehmungen fast als ein Streben nach dem dominium maris Baltici für das meklenburgische Haus bezeichnen. Es ist nicht abzusehen, was vielleicht noch geschehen wäre, wenn er länger gelebt hatte. Mit ihm war auch seines Hauses Größe dahin: keiner seiner Söhne hatte seine Gaben geerbt, um dieselbe aufrecht erhalten zu können. Nicht nur, daß sein ältester Sohn Heinrich das dänische Unternehmen einschlafen ließ, auch die Tage seines anderen Sohnes Albrecht als König von Schweden waren gezählt.

König Albrecht von Schweden hatte in das dänische Unternehmen nicht thätig mit eingegriffen. Zweifellos aber wird sein Vater, der sich Anfang September 1376, kurz vor dem Zuge gegen Kopenhagen, wieder nach Schweden begeben hatte, 1 ) mit ihm damals die Umstände berathschlagt haben, und König Albrecht würde, wenn es 1379 wirklich zum Kriege gekommen wäre, an die Seite seines Vaters und seines Neffen getreten sein. 2 ) Denn selbst wenn der letztere dem Könige Olaf vielleicht die Krone nicht mehr abgewonnen hätte, so hätte doch der Krieg unter allen Umständen zu einer bedeutenden Schwächung Dänemarks geführt. König Albrecht selbst hätte dabei Schonen gewinnen können, auf das er seine Ansprüche keineswegs aufgegeben hatte. Und auch die schwedischen Großen würden, trotz allem was vorangegangen war, ihren König in diesem Kriege unterstützt haben, lag es doch auch in ihrem und des Reiches Interesse, daß Olaf und damit sein Vater Hakon (infolge der Vereinigung Dänemarks und Norwegens) nicht zu mächtig wurden. Denn trotz des Friedens vom Jahre 1371 und des Verzichtes auf die schwedische Krone, hatte Hakon in Wirklichkeit seine und seines Hauses Ansprüche auf dieselbe doch noch nicht aufgegeben (wie eine Urkunde vom 26. Oktober 1376 3 ) beweist, in der sich Olaf König von Schweden nennt). Der Umstand, daß dem Reiche von Seiten Hakons Gefahr drohte, scheint nun eine Art Aussöhnung zwischen König


1) M. U.=B. XIX, 10925.
2) Anders Styffe I, S. LXVIII.
3) M. U.=B. XIX, 10935.
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Albrecht und seinen Großen zu Wege gebracht zu haben; von Albrecht hatten sie im Wesentlichen erreicht, was sie wollten, von Hakon hatten sie sich dieselben Zugeständnisse, wäre er wieder zur Regierung gekommen, erst mühsam wieder erkämpfen müssen. So wies sie ihr Vortheil auf Albrechts Seite, und wir finden, daß namentlich der mächtige Bo in dem Kriege mit Norwegen den König eifrig unterstützt (s. u.). Kleinere Grenzstreitigkeiten scheinen schon im Jahre 1374 den Frieden gestört zu haben. 1 ) vielleicht weil Hakon die westlichen Districte, die einst seinem Vater Magnus auf Lebenszeit überlassen waren, nach dessen Tode nicht zurückgeben wollte. Aber zu einem förmlichen Kriege 2 ) ist es damals wohl kaum gekommen; die Anzeichen dafür sind zu gering. Im Jahre 1379 aber scheint der Krieg wieder eröffnet zu sein. 3 ) Wahrscheinlich war zwischen König Albrecht und seinem Vater für dies Jahr ein gemeinsamer Kriegsplan verabredet worden, daß nämlich, während der Herzog gegen Olaf losschlug, der König zu gleicher Zeit gegen Hakon zu Felde ziehen sollte, um diesen an einer Unterstützung seines Sohnes zu hindern. Während nun aber dem Herzog der Tod die Ausführung seines Planes unmöglich machte, hat König Albrecht die ihm zugefallene Aufgabe in Angriff genommen. Aber schon im August ging er auf einen Waffenstillstand ein, 4 ) wohl weil sein Angriff nicht von dem erwarteten Erfolge begleitet war, da Herzog Albrechts Nachfolger Heinrich den Plan seines Vaters nicht ausführte, und so den Bruder im Stiche ließ. Aber im folgenden Jahre wurden die Feindseligkeiten wieder aufgenommen: Im März 1380 erließ König Hakon an seine Unterthanen ein Aufgebot gegen seine Feinde, "die Deutschen in Schweden", die einen Einfall in Norwegen beabsichtigten. 5 ) Der Angriff derselben, der sich aber nicht gegen Norwegen, sondern gegen Schonen richtete, blieb indessen infolge des Widerstandes der Bewohner ohne Ergebniß. Zur Vergeltung machten nun die Norweger, durch dänische Truppen unterstützt, einen Angriff auf Schweden, bei dem die Städte Skara, Jönköping, Westeras und Oerebro in Flammen aufgingen. 6 ) Hierauf ist wohl Frieden eingetreten, wenigstens hören


1) Vgl. Styffe I, S. LXIX.
2) Wie Styffe (I, S. LXX).
3) Diplomatorium Norwegicum II, 461.
4) Ebd. 459.
5) Ebd. 461.
6) Chronologia vetusta ab anno 880 ad annum 1430 in scr. rer. svec. I, 1, S. 66.
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wir in den folgenden Jahren nichts mehr von kriegerischen Ereignissen. König Albrecht und die Schweden waren wohl wegen der Mißerfolge gegen Schonen zum Frieden geneigt; König Hakon aber war im Mai 1380 gestorben, 1 ) so ging auch dessen Wittwe Margareta im Namen ihres Sohnes Olaf wohl bereitwillig auf den Frieden ein, da ihr vor Allem daran zunächst liegen mußte, ihre und ihres Sohnes Stellung in Dänemark und Norwegen zu befestigen. Davon separat schloß Albrecht mit dem Lande Schonen am 31. März 1381 einen Waffenstillstand (zu Skeninge) auf ein Jahr, der aber auch danach weitergehen, doch mit dreimonatlicher Kündigung sollte abgesagt werden können. 2 ) Um seine Stellung zu sichern, war der König in der früheren Zeit schon mit auswärtigen Mächten in Verbindung getreten; so hatte er schon 1375 mit dem livländischen Ordensmeister ein Schutz= und Trutzbündniß geschlossen, 3 ) jetzt gingen für ihn sein Bruder, Herzog Heinrich, und sein Schwager Graf Heinrich von Holstein 4 ) mit dem Könige Ludwig von Polen ein Bündniß ein. 5 ) Bedeutsamer aber als diese auswärtigen Verbindungen war es für König Albrecht, daß im Verlaufe der folgenden drei Jahre eine Anzahl schonischer Adliger auf seine Seite traten; so hielt er im Frühjahr 1384 die günstigste Zeit für gekommen, endlich seine Pläne auf Schonen zu verwirklichen. 6 ) Wieder ergriff er deshalb die Waffen. Diesmal hatte er besseren Erfolg: die Schlösser Oeresten, Oppensten und Laholm wurden erobert, die beiden ersteren vielleicht durch Bo Jonssons Unterstützung, in dessen Pfandbesitz wir sie später finden 7 ) Zwar als der dänische Reichsdrost Henning von Putbus mit einem starken Heere erschien, mußte sich König Albrecht zurückziehen; die Schlösser aber zu nehmen, gelang den Dänen nicht. Trotzdem muß es ihnen im Laufe des Jahres gelungen sein, auf dem flachen Lande das Uebergewicht zu gewinnen, denn im folgenden Jahre konnte König Olaf mit seiner Mutter und seinen Großen hinüber nach Schonen gehen und am 27. Mai 1385 zu Lund eine allgemeine Landesversammlung veranstalten, worauf er sich, nachdem er jedermann seine Privilegien und Rechte bestätigt hatte, am


1) cf. M. U.=B. XIX, 11285.
2) M. U.=B. XX, 11326.
3) M. U.=B. XVIII, 10752.
4) Heinrich war mit Albrechts Schwester Ingeborg verheirathet.
5) 7. September 1381. M. U.=B. XX, 11370. Styffe I, 75.
6) Annales danici ab anno 1316 ad annum 1389 in scr. rer. dan. VI, 534.
7) S. Styffe I, S. LXXII, 77.
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folgenden Tage, dem Trinitatissonntage, in der Kirche von Lund feierlich als dem Herrn des Landes huldigen ließ. 1 )

Inzwischen war in Meklenburg am 4. April 1383 zu Schwerin der Herzog Heinrich gestorben, und ihm folgte im gleichen Monat 1385 sein jüngster Bruder Magnus im Tode. 2 ) Es war klar, daß dadurch König Albrecht, jetzt alleiniger Herzog von Meklenburg zu Schwerin und Vormund über die nachgelassenen Kinder beider Brüder, eine größere Macht, ein freieres Verfügungsrecht über die Kräfte Meklenburgs erlangte. In Anbetracht dessen mochte er als nunmehriges Haupt seines Hauses einerseits es nun für seine Pflicht halten, sich seines Neffen Albrecht, der seine Ansprüche auf den dänischen Thron nicht aufgegeben, sondern nur auf gelegenere Zeit vertagt hatte, kräftig anzunehmen, und dies um so mehr, als er andrerseits auch um seiner selbst willen Olaf energisch entgegentreten mußte; denn dieser hatte ihm nicht nur Schonen entrissen, sondern auch, indem er seit Anfang 1385 den Titel verus heres Sveciae angenommen hatte, 3 ) seine Absicht auf Schweden deutlich kundgethan. Nun hatte König Albrecht allerdings eingesehen, daß er allein ohne Hülfe nichts würde gegen Dänemark ausrichten können; trotz aller vorangegangenen Erfolge hatte er Schonen wieder verloren; die schonischen Großen, die nur ihren eignen Vortheil im Auge hatten, hatten nicht bei ihm ausgehalten, sondern waren, als Henning erschien, sofort zu diesem übergetreten. Auf die Großen seines Reichs konnte sich Albrecht auch nicht verlassen; so suchte er Freundschaft und Bündnisse mit deutschen Mächten. Am 24. Juni 1385 erschien er mit seinem Neffen Albrecht auf dem Hansetage zu Stralsund 4 ) und bot den Städten ein Bündniß gegen Dänemark=Norwegen an. Denn auch die Städte hatten gerechten Grund zur Erbitterung gegen Dänemark. Wiederholt hatten sich die dänischen Vögte in Schonen Gewaltthaten und Bedrückungen gegen hansische Kaufleute erlaubt, 5 ) auch durch Unterstützung der Seeräuber gegen sie verschiedentlich Grund zur Klage gegeben. 6 ) Margareta hatte alle Beschwerden darüber unbeachtet gelassen und Ansprüche auf Schadenersatz hinzuhalten gewußt; als Hakon 1380 gestorben war, hatte sie immer wieder gezögert, die nor=


1) Annal. dan., S. 534.
2) M. U.=B. XX, 11506 und 11674.
3) H.=R. II, 308. 311. III, 190.
4) H.=R. II, 306.
5) H.=R. II, 232.
6) H.=R. II, 240. 254.
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wegischen Privilegien der Städte zu bestätigen, und ihre Vögte in Oslo und Tunsberg hatten, sicher mit ihrem Einverständniß, erklärt, daß die Privilegien nach Hakons Tode überhaupt aufgehört hätten. 1 ) Einen ganz bestimmten Zweck scheint Margareta bei all diesen kleinen Nichtswürdigkeiten im Auge gehabt zu haben: daß ihr die Hansen die verpfändeten 4 schonischen Schlösser vor Ablauf der Frist zurückstellen sollten. Doch dieses Ziel sollte sie nicht erreichen. Vor allem die preußischen Städte, die wegen ihrer steten Verbindung mit den süderseeischen am meisten den Sund zu passiren und deshalb am meisten von den Dänen zu leiden gehabt hatten, waren der Ansicht, daß man das einzige Mittel, durch das man einen Druck auf Margareta ausüben konnte, nicht aus den Händen geben dürfe, 2 ) bevor man nicht Schadenersatz und Bestätigung der Privilegien erlangt hätte. Willkommen war ihnen deshalb ein Schreiben des Königs von Schweden gewesen, das er zusammen mit seinem Neffen, dem "Erben zu Dänemark", erlassen hatte, daß sie die Schlösser nicht ausliefern sollten, weil er selbst Anspruch darauf habe. 3 ) In Hinsicht darauf hatten es am 12. März 1385 auf dem Hansetage zu Lübeck die preußischen Hansen durchgesetzt, daß man dem städtischen Befehlshaber in Schonen, Wulf Wulflam von Stralsund, den Befehl zukommen ließ, die Schlösser ferner auch über den eigentlichen Rückgabetermin hinaus zu behaupten 4 ) Zu Himmelfahrt 1385 war dieser Termin, und Margareta erschien mit Olaf, dem dänischen Reichsrath und großem Gefolge vor Helsingborg und verlangte die Uebergabe. 5 ) Seiner Instruktion gemäß aber verweigerte Wulf Wulflam dieselbe. Das war nun eine Provokation gegen Dänemark gewesen, die für die Hansen die ernsthaftesten Folgen haben konnte; denn obschon man nur Gleiches mit Gleichem vergolten, hatte man formell sich doch Dänemark gegenüber ins Unrecht gesetzt; ein Krieg schien die unvermeidliche Folge. Da erschien nun König Albrecht und machte die glänzendsten Anerbietungen zu einem Bündnisse gegen Dänemark: getreulich wolle er ihnen helfen, ihr Recht von den Dänen zu erlangen, und als sicheres Unterpfand versprach er ihnen dafür Schlösser und Gebiete. 6 ) Aber die Städte - es


1) H.=R. II, 240.
2) H.=R. II, 274. 290. 297.
3) H.=R. II, 297.
4) H.=R. II, 298.
5) H.=R. III, 190. 191 (11. Mai).
6) H.=R. II, 306.
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ist schwer zu verstehen, warum - ließen diese günstige Gelegenheit, ihren alten Einfluß in den nordischen Reichen wieder zu gewinnen, vorübergehen, und die preußischen Städte, die Anfangs dem Bündnisse mit Meklenburg=Schweden geneigt gewesen waren, fügten sich den anderen: man schlug das Bündniß aus und beschloß die Auslieferung der schonischen Schlösser, die dann durch die städtischen Gesandten auch vollzogen wurde. 1 ) Auch Verhandlungen, die König Albrecht mit den Grafen von Holstein, den einstigen Verbündeten seines Vaters, anknüpfte, waren ergebnißlos; Graf Heinrich lebte nicht mehr, und seinem Sohn und Nachfolger Gerhard wußte Margareta durch Zugeständnisse für sich zu gewinnen: am 14. August 1386 belehnte sie ihn zu Nyborg mit dem Herzogtum Schleswig, wofür er dem Reiche Dänemark im Kriegsfalle Beistand gelobte. 2 ) Auf dem Hansetage zu Lübeck war Albrecht im Juli 1386 noch einmal erschienen. 3 ) Hoffte er vielleicht daß die Hansen doch noch schwankend werden und seinem Werben nachgeben würden? Auch Margareta war auf diesem Hansetage anwesend; vielleicht hat er hier mit ihr persönlich Verhandlungen geführt; doch offenbar ohne Erfolg. Dann kehrte er wieder nach Schweden zurück.

Nun mußte er zusehen, wie er allein mit seinen Unterthanen sich gegen die Ansprüche des dänischen Fürstenhauses in Schweden behaupten könne. Doch noch nicht sogleich kam der Kampf wieder zum Ausbruch. Albrecht hatte jetzt begreiflicher Weise keine Lust, Krieg anzufangen, weil alle seine Bemühungen um Bundesgenossen vergeblich gewesen waren. Alle, auf die er hätte rechnen können, hatte ihm Margareta abspenstig gemacht, die Hansen, die Holsteiner. Aber auch sie wartete wohl auf noch günstigere Zeit, bevor sie den entscheidenden Schritt zum Kriege that. Sie sollte nicht allzu lange zu warten haben, bis des Königs eigene Unterthanen mit ihr gemeinsame Sache machten. Zwischen dem Schwedenkönige und den Großen seines Reichs hatte in den letzten Jahren eine Art Friedenszustand geherrscht, aber weit entfernt davon, daß es zu einer aufrichtigen Versöhnung gekommen wäre; die Großen hatten die erlangte Macht eifersüchtig zu wahren, der König im Gegensatz dazu seine wenigen ihm gebliebenen Befugnisse wieder zu mehren gesucht. Einen offenen Zwist hatte das noch nicht wieder hervorgerufen, war aber natürlich dazu ange=


1) H.=R. II, 306. 308.
2) s. Erslev, S. 131.
3) Detmar I, S. 593; M. U.=B. XXI, S. 11790.
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than gewesen, die ohnehin bestehende Spannung zu vergrößern. Ein Punkt vor allem hatte den König noch mehr erbittern müssen: Als er im August 1386 aus Deutschland nach Schweden zurückgekehrt war, war gerade der mächtige Reichsdrost Bo Jonsson gestorben und hatte ein eigenthümliches Testament hinterlassen: Von seinem ungeheuren Besitz sollte nur ein ganz kleiner Theil an seine Erben, seine Wittwe und seinen Sohn fallen; der bei Weitem größte Theil dagegen, der hauptsächlich aus Pfandlehen bestand, sollte solange unter der Verwaltung von zehn schwedischen Großen stehen, bis die darauf stehenden Kronschulden an seine Erben zurückgezahlt waren. Anstatt daß die Lehen also, wie es ohne das Testament geschehen wäre, zwar nicht direkt an den König, aber doch sicher unter seinen Einfluß gekommen waren, wodurch sich seine Macht wieder außerordentlich gehoben hätte, hatte sie Bo seinen Standesgenossen in die Hände gespielt und dadurch deren Macht gegen den König noch mehr gestärkt. Das beweist deutlich, wie wenig echt die Aussöhnung Bos mit Albrecht gewesen war. Den Letzteren mußte das natürlich ungemein erbittern. Am 23. September zitirte er die zehn Testamentsvollstrecker, die sogenannten Testamentarii, zum Dezember nach Stockholm, damit sie ihm die Berechtigung ihrer Befugnisse darlegen sollten. 1 ) Wie sehr sie sich im Gegensatze mit dem Könige fühlten, sieht man daraus, daß sie nicht ohne Zusicherung freien Geleites für sich und ihre Urkunden zu kommen wagten. Ein greifbares Resultat scheinen diese Verhandlungen nicht gehabt zu haben. Aber im Laufe des folgenden Frühjahrs gelang es dem Könige, sich eine Art Gegengewicht gegen die Testamentarii zu schaffen. Bo Jonssons Wittwe nämlich, Frau Greta Dume, mußte mit dem Testamente ihres Mannes nicht minder unzufrieden als der König sein, da es ihr und ihrem Sohne jedes Verfügungsrecht über die Hauptmasse ihres Erbes nahm und zwar so, daß sie wahrscheinlich niemals in den Besitz desselben kommen würden. 2 ) Einzig und allein lag es also in ihrem Interesse, das Testament anzufechten, und da sie dadurch mit den Testamentarii in Konflikt kommen mußte, mit dem Könige gegen den gemeinsamen Feind zu gehen. Sie trat deshalb mit Albrecht in Einvernehmen und erkannte ihn als Vormund über ihre Kinder an, damit er deren Recht gegen die Testamentarii


1) Styffe I, 79.
2) Denn daß der stets geldarme König die Pfandlehn je einlösen würde, war unwahrscheinlich.
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schütze. 1 ) Unter den Begleitern dieser Letzteren hatte sich auf der Zusammenkunft im Dezember auch Bo Jonssons Vogt zu Abo, der Lagmann von Finnland 2 ) Jäppe Abramsson Djeken, befunden. Vielleicht ist dieser schon damals mit dem Könige in Unterhandlungen getreten. Jedenfalls aber erreichte der Letztere jetzt, daß Jäppe gegen Zusicherung einer Anzahl von Rechten den König als Vormund der Kinder Bos anerkannte, daß er damit also sich von der Sache der Testamentarii, das heißt überhaupt der Adelspartei, schied und dem Könige für die Vogteien Abo, Borga und Satagunna den Lehnseid leistete, 23. Juni 1387. 3 ) Noch einmal, nur wenige Tage vor diesem Vertrage, als die Verhandlungen dazu wohl noch in der Schwebe waren, hatte Albrecht zu Konungxhamn bei Stockholm eine Uebereinkunft mit den Testamentarii herbeizuführen versucht 4 ), die aber jedenfalls ebenso ergebnißlos wie die frühere verlaufen war.

Nach dem durch die Verbindung mit Jäppe Abramsson erreichten unzweifelhaften Erfolge über die Testamentarii, meint Girgensohn, 5 ) habe der König, um seinen Sieg ernstlich auszunutzen, seinen sogenannten Reduktionsversuch angestellt, d. h. den Versuch, den Adligen einen Theil ihrer Güter zu nehmen und denselben wieder an die Krone zu bringen. In keiner der gleichzeitigen Urkunden aber findet sich eine Spur von einem solchen Versuche, und deshalb hat schon Styffe 6 ) denselben gänzlich geleugnet; wie mir scheint, mit Recht. Den ältesten Bericht darüber giebt uns die Chronologie svecica ex codice minoritarum Wisbyensium: 7 ) Nach dem Tode Bo Jonssons habe König Albrecht seinen Großen einen Theil ihrer Güter entziehen wollen, den sie und ihre Vorfahren in früheren Kriegszeiten usurpirt hatten; deswegen hatten die Großen, darüber erbittert, sich empört, unter dem Vorwande, der König wolle ihnen ihre Güter nehmen und sie an Deutsche geben. Styffe meint nun, diese ganze Angabe beruhe auf einer Verwechselung, Vermischung mit dem Streite Albrechts und der Großen wegen der Pfandgüter Bo's, und mit der später von Margareta vorgenommenen Reduktion. Das letztere hat Girgensohn 8 ) zurückgewiesen, indem


1) Styffe I, 83.
2) Vgl. Styffe I, 78. 80.
3) Styffe I, 82. 83. 84.
4) 21 Juni 1387. M. U =B. XXI, 11891.
5) S. 63. 64.
6) Styffe I, S. LXXIX Amn.
7) in script. rer. svec. I, 1. S. 45.
8) Beilage V, S. 198.
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er wahrscheinlich macht, daß die Wisbychronik von 1389-1412 gleichzeitig geschrieben sei, wodurch also ein Zusammenwerfen der sogenannten Reduktion Albrechts mit der Margaretas unmöglich scheint. Höchst wahrscheinlich ist dagegen die erstere Vermuthung Styffe's, daß nämlich die Erzählung des Chronisten von Wisby den Versuch des Königs schildert, den Testamentarii die Güter Bo's zu nehmen. Denn die Chronik bringt ihre Erzählung ausdrücklich zusammen mit dem Tode Bo's. Die Güter, die der König einziehen wollte, waren diejenigen Bo's; sie waren ein Theil der Güter, die die Großen (und zwar diese Güter Bo selbst) in unruhigen Zeiten, nämlich in und nach dem Kriege mit Hakon, an sich gebracht hatten. Der König wollte diese Güter an Deutsche geben; das ist auch richtig: nämlich an Bo's Erben, denn Greta Dume, und ihre Brüder Henneke, Klaus, Vollrath und Berthold Dume, die ihr beistanden, 1 ) waren Deutsche. So lassen sich die Angaben der Wisbychronik ungezwungen erklären, ohne daß man einen Reduktionsversuch anzunehmen braucht. 2 ) Anders freilich die um 1449 geschriebene Prosachronik 3 ) und die etwa 1452 verfaßte Reimchronik; 4 ) nach jener hatte Albrecht jeden zehnten, nach dieser gar jeden dritten Freihof sowohl des Adels, wie der Kirche einziehen wollen. Wie Girgensohn 5 ) wahrscheinlich gemacht hat, gehen beide Nachrichten auf eine um 1450 noch lebende Tradition zurück, die in verschiedenen Fassungen existirte. Diese Tradition kann nur von gegnerischer Seite ausgegangen sein, und wir brauchen deshalb nicht daran zu zweifeln, daß es sich in beiden Berichten um tendenziöse, böswillige Entstellung des Thatsächlichen handelt. Durch die Angabe, daß der König jeden zehnten, ja, jeden dritten Hof, ja, sogar von kirchlichen Besitzungen habe einziehen wollen, soll offenbar das Verfahren desselben noch gehässiger machen. 6 ) Wir werden also die Hypothese von einem Reduktionsversuche Albrechts abweisen. Wie hätte denn auch der König so thöricht sein sollen, sich seine


1) S. Styffe I, 83.
2) Auch der Umstand, daß bei der folgenden Empörung gerade die Testamentarii die Führer waren, beweist, daß gerade sie sich mit A. überworfen hatten.
3) Vetus chronicon Sveciae prosaicon in scr. rer. svec. I, 1. S. 247.
4) Förbindelsedict i. Klemming: Rimkrönikor I, S. 187. III, 289.
5) In Beilage V, S. 199.
6) Vielleicht liegt in der letzteren Angabe noch eine Reminiscenz daran, daß sich der Bischof Nikolaus von Linköping unter den Testamentarii befand.
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Großen durch eine derartige Maßregel zu unversöhnlichen Feinden zu machen, wo er einsehen mußte, daß es über kurz oder lang doch zum Kriege mit Dänemark kommen würde, und wo er ohnehin schon ohne Bundesgenossen war. Also nur das Testament Bo Jonssons wollte er ungültig machen und dessen Güter unter seinen Einfluß bringen. Aber auch das war den Großen schon zu viel. Vielleicht auch dadurch noch gereizt, daß er an Jäppe Abramsson einen Helfer erhalten, erhoben sie sich in offener Empörung gegen den König zu Anfang des Jahres 1388. Allein waren die Aufrührer aber doch noch zu schwach, um gegen den König und seine Leute auftreten zu können. Die Mehrzahl der Städte war noch in seinen Händen. Die größtentheils deutschen Bürger der Städte Stockholm und Kalmar waren ihm treu ergeben. Eifrige Unterstützung von Seiten der Meklenburger, wie überhaupt der norddeutschen Adelsherren waren ihm sicher. Da griffen die Großen wieder zu einem Mittel, das sie schon einmal, im Jahre 1371, mit Erfolg angewandt hatten: sie riefen das Volk zum Kampfe gegen die Deutschen auf, und indem sie alle Schuld an der Bedrückung der niederen Klassen von sich abwälzten, stellten sie sich als die Führer des Volkes gegen die Deutschen, die nationalen Feinde, dar. Die Folge davon war zunächst eine unerwünschte: diejenigen Adligen, die sich überhaupt noch als Deutsche fühlten und nicht völlig zu Schweden geworden waren, mußten dadurch in Gegensatz zu ihnen treten. Ehedem hatten sie sich gut mit ihren schwedischen Standesgenossen gestanden, also offenbar dieselben Ziele wie sie, das heißt, eine Erweiterung ihrer Macht, auch auf Kosten der königlichen, gehabt. Nun aber, als Deutsche durch die nationale Bewegung jeden Haltes beraubt, mußten sie ihre einzige Stütze in dem Könige, der sie ins Land gebracht hatte, suchen, und so waren sie wieder ihrerseits in den nun folgenden Kämpfen desselben beste Stützen. So wäre für die schwedischen Großen der Sieg dennoch fraglich gewesen, wenn sich die Nachbarmächte vom Streite fern gehalten hätten. Aber nun war für Margareta von Dänemark der langersehnte Augenblick gekommen. Für sie hatte zwar im vorigen Jahre eine Zeit lang alles auf dem Spiel gestanden, als am 3. August 1387 plötzlich ihr 17 jähriger Sohn Olaf gestorben war. 1 ) Mit ihm war der letzte Sproß aus dem Hause der Folkunger (und mütterlicherseits dem der Estrithiden) ins Grab gesunken, und jetzt konnte der jüngere Albrecht von Meklenburg


1) Untersuchung über das Datum s. Erslev, S. 468, Amn. 16.
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mit vollem Recht seine Ansprüche auf Dänemark erneuern, während in Norwegen, das Erbreich war, der einzige rechtmäßige Erbe jetzt König Albrecht von Schweden selbst war, 1 ) und während auf Schweden selbst jetzt jedes Recht Margaretas erloschen war. Aber es war ihr gelungen, daß der dänische Reichsrath sie als Regentin und bevollmächtigte Vormünderin über Dänemark anerkannt und sich verpflichtet hatte, nur den als König und Nachfolger anzunehmen, der auch ihr genehm sei; 2 ) und ebenso hatten die Norweger im Februar 1388, unter Hintenansetzung der allein erbberechtigten Meklenburger, sie als Regentin des Landes gewählt. 3 ) Und nun wurde ihr von den aufständischen Schweden selbst die Gelegenheit gegeben, sich auch in die Händel zwischen König Albrecht und seinen Großen einzumischen. Die Testamentarii und einige andere Adeligen erschienen bei ihr und ersuchten sie um Hülfe gegen Albrecht; schon im Januar hatte ihr einer derselben, Algot Magnusson, die Schlösser Oeresten und Oppensten übergeben und als Lehen von ihr wieder angenommen. 4 ) Nun kam es am 22. und 23. März zu einem förmlichen Vertrage zwischen ihr und den schwedischen Großen. Es war klar, daß Margareta nicht gesonnen war, umsonst ihre Hülfe zu spenden, sondern sie verlangte geradezu, daß die Großen sie als ihre und ganz Schwedens Herrscherin annehmen sollten. Auf Erik Kettilssons Schloß Dalaborg, wo diese Zusammenkunft stattfand, mußten die Großen ihr das geloben. Dazu sollten ihr dieselben alle Lehen und Schlösser Bo Jonssons, die fast die Hälfte des Reichs ausmachten, überliefern, nur Nyköping und Wiborg 5 ) mit den dazu gehörigen Liegenschaften sollten sie behalten. Dafür versprach Margareta das Reich gegen seine Feinde zu schützen, vor allem auch gegen Albrecht, und es nach Friedensschlusse in seinen alten Grenzen gegen Norwegen wiederherzustellen. Den Großen versprach sie alle Privilegien zu bestätigen, die sie unter den alten Königen vor Albrechts Regierung erworben hatten; über die Schlösser und Lehen wolle sie dann verfügen, wie das Gesetz es bestimmte. Alle Schweden, die Güter in Dänemark oder Norwegen hatten, sollten diese in Frieden besitzenen. 6 ) Es ist sonderbar, daß die Großen auf diese für sie so


1) Durch seine Mutter Eufemia von Schweden und Norwegen.
2) Vgl. Erslev, S. 153. Albrecht IV. starb im Sommer 1388. M. U.=B. XXI, 11995.
3) Ebd. S. 156.
4) Sverges traktater med främmande magter ed. Rydberg II, 462.
5) In Finnland.
6) Sver. traktater ed. Rydb. II, 411. 412.
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ungünstigen Bedingungen eingingen; denn nicht nur daß Margareta dasselbe von ihnen verlangte, was Albrecht gefordert hatte, die Pfandgüter Bo Jonssons, sondern noch dazu mußten sie alle Privilegien, die sie unter Albrechts Regierung erworben hatten, aufgeben. Man hatte meinen sollen, daß sie unter diesen Umständen die Verhandlungen mit Margareta abgebrochen hätten; aber sie waren zu weit gegangen, als daß sie noch hätten umkehren können. Den Kampf gegen Albrecht ganz aufgeben und sich ihm wieder unterwerfen, war nicht möglich; sie waren einmal gegen die Deutschen als Führer des Volkes aufgetreten; dieses würde sich nicht wieder wie 1371 haben beschwichtigen lassen, es hatte ja damals erfahren müssen, daß die deutschen Vögte trotz allen Versprechens nicht entfernt worden waren; die Großen hatten die Schuld davon auf den König geschoben, nun war es klar, daß das Volk dessen Beseitigung verlangte. Allein mit dem Volke den Kampf gegen Albrecht und seine Deutschen aufzunehmen, waren sie zu schwach, so mußten sie sich wohl oder übel Margaretas Bedingungen fügen. Anfangs scheinen sie freilich noch gezögert zu haben. Noch Ende 1387 hatten sie einen Adligen, Klaus Plate, an den Hochmeister des Deutschen Ordens geschickt, um, wie Daenell 1 ) nicht unwahrscheinlich meint, so des Ordens Hülfe, ohne Margareta, sich gegen Albrecht zu verschaffen. Der Gesandte war aber auf der Durchreise durch Pommern von dem Herzog Wratislav VII. von Stolp, dem Verwandten Margaretas, 2 ) und dann nach seiner Befreiung durch den Hochmeister selbst gefangen gesetzt worden. 3 ) Das hatte die einzige Aussicht der Großen, ohne Margaretas Hülfe auszukommen, zum Scheitern gebracht, und so hatten sie sich denn trotz jener harten Bedingungen mit ihr eingelassen, vielleicht mit dem Hintergedanken, daß eine Frau diese Ansprüche später nicht würde durchsetzen können. Eine ähnliche geringschätzige Meinung von der Königin scheint zu seinem eigenen Schaden auch Albrecht gehabt zu haben. Freilich Angaben wie die, daß er ihr spottender Weise einen Schleifstein gesandt habe, darauf sie lieber ihre Scheeren und Nadeln schärfen solle, anstatt Krieg zu führen, sind nichts als Erfindungen der Sage. Aber sie kennzeichnen jedenfalls die


1) S. 74, Anm. 2.
2) Er war mit Margaretas Schwestertochter Maria von Meklenburg verheirathet.
3) Die Gefangennahme Plates durch Wratislav geschah also offenbar im Interesse der Königin; warum aber die durch den Hochmeister, der doch nicht ihr Freund war, ist unklar.
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Stimmung der Deutschen gegen sie; und Scherzworte über sie als den "König Hosenlos" mögen in der That am Hofe Albrechts in Umlauf gewesen sein. Der Kampf zog sich das ganze Jahr über in stetigen kleinen Plänkeleien, aber ohne daß es zu einer bedeutenden Schlacht gekommen wäre, ohne Entscheidung hin. 1 ) Da entschloß sich König Albrecht im Winter von 1388 auf 1389 2 ) nach Deutschland hinüberzugehen und dort frische Truppen zu sammeln, um mit deren Hülfe im folgenden Jahre, vielleicht eine Entscheidung zu seinen Gunsten herbeizuführen. Seine Werbungen in Deutschland hatten guten Erfolg; es gelang ihm, ein starkes Heer zusammenzubringen, zahlreiche deutsche Adlige strömten ihm zu, selbst einige Fürsten schlossen sich ihm an, die Grafen Albrecht von Holstein und Günther von Ruppin, und wahrscheinlich auch Herzog BogislavVII. von Pommern. 3 ) Meklenburg sicherte er durch einen Vertrag mit dem Markgrafen Jobst von Brandenburg. 4 ) Dann ging er noch mitten im Winter 5 ) wieder hinüber nach Schweden. Hier belagerte ein dänisches Heer unter dem Ritter Niels Svarteskaning das Schloß Axewall 6 ) in Westergothland. 7 ) König Albrecht wollte es entsetzen und zog darauf zu. Unterdessen war ein zweites dänisches Heer, das unter der Leitung des Deutschen Heinrich Parow 8 ) stand, auch herangekommen und zog auf Jönköping 9 ) los, um den König abzuschneiden. An der Schnelligkeit des Königs aber scheiterte der Plan, und als das dänische Heer in Jönköping ankam, war er schon vorbei. Dadurch war Niels Svarteskaning mit seinem Heere in eine äußerst unglückliche Lage gerathen, vor sich hatte er die Besatzung Axewalls, im Rücken drohte ihn Albrecht anzugreifen. Nothgedrungen mußte also Heinrich Parow, um seinen Mitfeldherrn zu retten, nun hinter Albrecht hermarschieren, um seinerseits ihm in den Rücken zu kommen. Bei dem Dorfe Asle, eine Meile östlich von der Stadt Falköping - es war am St. Matthiastage, dem 24. Februar 1389 - erreichte die Nachricht von dem Heranrücken des zweiten dänischen Heeres den König, der sofort Halt


1) S. Erslev, S. 161.
2) Am 31. October urk. er schon in Mekl. M. U.=B. XXI, 12023.
3) S. Erslev, S. 161.
4) M. U.=B. XXI, 12031.
5) Am 6. Dez. ist er noch in Rostock. M. U.=B. XXI, 12034.
6) Zwischen Wener= und Wettersee.
7) Detmar II, S. 25.
8) Einst Anhänger Albrechts.
9) An der Südspitze des Wettersees.
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machte, um Parow zu erwarten; er hoffte wohl, ihn zu schlagen und dann ungestört sich gegen Svarteskaning wenden zu können. Zunächst gelang es ihm thatsächlich, zwei dänische Abtheilungen niederzuwerfen, aber er hatte nicht gewartet, bis seine sämmtlichen Truppen geordnet und schlachtbereit waren, und so kam die Schlacht wieder zum Stehen. Immerhin war es aber noch unentschieden, wer den Sieg behalten würde; da wandte sich plötzlich des Königs Reiterführer Gerd Snakenborg mit seiner Abtheilung zur Flucht. Das entschied nach kurzer Zeit das Schicksal der Schlacht. Snakenborgs Korps muß eine wichtige Aufgabe gehabt haben; seine Flucht mußte das übrige Heer erschrecken und in Unruhe, schließlich ins Wanken bringen, so daß es endlich den Dänen gelang, es ganz auseinander zu sprengen. Damit war der Kampf gegen Albrecht entschieden. Der König, der mit den übrigen Herren und seinen Getreuen wohl versucht hatte, die Schlacht wiederherzustellen, war nicht geflohen; so gerieth er mit seinem Sohne Erich, seinem Vetter, Bischof Rudolf von Skara und den übrigen deutschen Herren in Gefangenschaft; sein treuer Feldhauptmann Vicko von Vitzen, der Befehlshaber von Kalmar, war unter den Gefallenen; auch die Dänen hatten den Sieg mit dem Tode ihres Oberkommandanten Heinrich Parow erkauft 1 ) Aber das konnte natürlich bei der Größe des Sieges nicht in Betracht kommen. Margareta eilte auf die Kunde davon von Warberg in Halland, wo sie sich seit Anfang des Kampfes aufgehalten hatte, nach Bahus, wo ihr nun die Gefangenen vorgeführt wurden. Von dem Herzoge Bogislav erlangte sie hier gegen Entlassung der pommerschen Gefangenen, daß er sie als Herrscherin Schwedens anerkannte, ja sich sogar, wenn sie es verlangen sollte, zur Stellung von Hülfstruppen verpflichtete. 2 ) Auch der Bischof Rudolf und die Grafen Günther und Albrecht wurden gegen Lösegeld entlassen. Bei König Albrecht aber und seinem Sohne machte Margareta die Freilassung von ihrer Verzichtleistung auf die Krone Schweden abhängig. Da sich beide hierzu nicht verstehen wollten, blieben sie in der Gefangenschaft und wurden auf die Feste Lindholm in Schonen gebracht.

Durch Verrath der schwedischen Großen war Margareta ins Land gerufen worden; durch Verrath hatte der unglückliche Fürst


1) Detmar II, S. 25, annales danici ab anno 1316 ad annum 1389 in scr. rer. dan. VI, S. 535.
2) Rydberg, Sver. trakt. II, 414.
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den Sieg und die Freiheit verloren; 1 ) jetzt ergriff der Verrath noch weitere Kreise; nicht nur daß Gerd Snakenborg und sein Geschlecht jetzt offen zu der Königin übertraten, 2 ) es ließen sich auch die Söhne des gefallenen Vicko von Vitzen durch Geld bewegen, ihr Schloß Kalmar auszuliefern. Infolgedessen konnte sich auch die Stadt Kalmar nicht länger halten, sondern mußte der Dänenkönigin huldigen. 3 ) Ebenso nahm Margareta mit Hülfe der Großen ohne Schwierigkeit das ganze Land ein. So konnte sie im Oktober des Jahres zu Söderköping einen großen Landtag abhalten, wo sie förmlich die Regierung antrat; die Verträge, die sie im März des Jahres vorher mit den Großen geschlossen hatte, wurden feierlich bestätigt und diese mußten ihr eine große Steuer bewilligen. 4 ) Sie hatten also schließlich nur Nachtheil von ihrem Verrath. Auf diesem Tage scheint auch Jäppe Abramsson zu Margareta übergetreten zu sein, 5 ) er mochte an dem glücklichen Ende des Kampfes für seinen König zweifeln, ja die Herrschaft desselben für allezeit beendigt halten, und wollte nun wenigstens die Schlösser, die er inne hatte, für sich und seine Schützlinge, Bo Jonssons Wittwe und Sohn, bewahren. Margareta glaubte, daß jetzt jeder Widerstand gebrochen sei, und für wie vollständig sie ihren Sieg hielt, beweist ihre Absicht, zum Dank für denselben im folgenden Jahre eine Wallfahrt nach Rom zu unternehmen. 6 ) Daraus sollte freilich nichts werden, denn so ganz, wie sie gedacht hatte, war der Krieg keineswegs zu Ende. Von allen Städten im Lande blieb allein die Hauptstadt Stockholm ihrem rechtmäßigen Könige treu. 7 ) Die Bürgerschaft, die zum größten Theile aus Deutschen bestand, beschloß in Gemeinschaft mit dem Befehlshaber des Schlosses, Herbert Königsmark, sich nicht zu ergeben sondern den Dänen Widerstand zu leisten. Alle dänisch gesinnten Einwohner wurden durch einen Gewaltstreich ausgetrieben. Ein Angriff, der wie es scheint von den Dänen gemacht wurde, wurde abgeschlagen, 8 ) und in den


1) An dem Verrath Snakenborgs ist wohl nicht zu zweifeln; stand doch schon vorher ein Verwandter, Johann Sn., in dänischen Diensten. Daß er nachher der erste deutsche Adlige ist, der auf Margaretes Seite tritt, spricht auch nicht zu seinen Gunsten.
2) Svenska Riksarch. Rerg 2419. 2420.
3) Detmar II, S. 29; Rydberg, Sver. trakt. II, 415.
4) Rydberg II, S. 474 f.
5) S. Girgensohn, S. 92.
6) S. Codex diplomat. Pruss. IV, 111.
7) Omständelig berättelse in script. rer. svec. I, 2, S. 212.
8) Vgl. Rydbera, Sver. trakt. II, 474.
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nächsten Jahren hielt sich die Stadt, die alle Schrecken der Belagerung erleben und außerordentliche Lasten auf sich nehmen mußte, mit einer Energie und Ausdauer, die bewundernswürdig ist. Allerdings ohne Unterstützung von außen wäre das doch wohl kaum möglich gewesen. Trotz König Albrechts und seines Sohnes Gefangennahme war die Herrschaft der Meklenburger in Schweden der Idee nach keineswegs zu Ende, denn vor dem Kriege hatte der König für den Fall, daß ihm etwas zustoßen sollte, seinen Neffen Johann, Magnus' Sohn, zum Regenten Schwedens ernannt; für ihn sollte, da er noch unmündig war, so wurde am 26. August 1390 durch Familienbeschluß des meklenburgischen Hauses festgesetzt, des Königs alter Oheim, Herzog Johann von Stargard, die Leitung übernehmen, und derselbe sollte mit allen Kräften für die Befreiung des Königs wirken. 1 ) Vorher etwas zu unternehmen, war nicht möglich gewesen, da sich die Meklenburger, trotz des Vertrages Albrechts mit Jobst, im Laufe des Jahres 1389 mit Brandenburg in eine Fehde verwickelt hatten. 2 ) Als dann Markgraf Jobst selbst in der Mark erschien, wurde dieselbe beigelegt, 3 ) so daß sich Johann nun der Beschäftigung mit den schwedischen Angelegenheiten widmen konnte. Man beschloß, mit einem Heere den Stockholmern zur Hülfe zu kommen; und noch im selben Herbste ging Herzog Johann mit einer Flotte dahin ab; zwar verlor er ein Schiff durch Sturm, ein anderes durch den Verrath eines Schiffsführers, der es an die Dänen auslieferte, 4 ) die anderen aber kamen glücklich hinüber. 5 )

Im Verein mit den Stockholmern machten die Meklenburger einen Streifzug ins Innere des Landes, zersprengten ein schwedisches Heer und zerstörten die Städte Enköping und Westerås. 6 ) Nach einer späteren Nachricht sollen sie sogar bis Linköping vorgedrungen sein. 7 ) Auf diese Erfolge hin scheinen die Meklenburger mit


1) Rydberg, Sver. trakt. II, 416.
2) Detmar II, S. 33.
3) Das Bündniß von 1389 wurde am 3. Januar 1391 erneuert, M. U.=B. XXII, 12255.
4) Detmar, II, S. 38.
5) Chron. svec. Wisb. in scr. rer. svec. I, 1, S. 45 f. Nach Erslev 176 und Daennell 79 soll Johann nicht nach Stockholm gelangt, sondern umgekehrt sein. Demgegenüber hat Girgensohn S. 162 a 4, wie mir scheint mit Recht, hervorgehoben, daß die Stockholmer ohne Johann wenn dessen Anwesenheit auch nicht ausdrücklich erwähnt wird, einen so erfolgreichen Zug schwerlich hätten unternehmen können.
6) Chron. svec. Wisb. S. 45 f. ad an. 1389.
7) Erich Olai in scr. rer. svec. II, 1, S. 116.
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Margareta wegen der Befreiung der Gefangenen Unterhandlungen angeknüpft zu haben, die jedoch zu keinem Resultat führten. Da sah die Königin ein, daß sie energischere Maßregeln gegen Stockholm ergreifen müsse und sandte eine Heeresabtheilung, die, um die Stadt von aller Zufuhr abzuschneiden, an der Einfahrt zum Hafen zwei Schanzen anlegte. 1 )

Aber auch die Meklenburger blieben nicht unthätig. Im Mai 1391 schlossen die Herzöge Johann und seine Söhne Johann, Ulrich und Albrecht mit ihren Städten Rostock und Wismar, die sich bisher noch zurückgehalten hatten, sich nun aber besannen, was sie ihrem Herrn schuldig waren, ein enges Bündniß, dem alsbald die Ritterschaft der Vogteien Gadebusch, Grevismühlen und Schwerin, sowie die Städte Grevismühlen, Schwerin, Bützow, Sternberg und der Bischof 2 ) und das Stift Schwerin beitraten. 3 ) Man wollte zur Befreiung des Königs und seines Sohnes im Kriege mit Dänemark alle Mittel versuchen. So griff man vor Allem zu einer Maßregel, ähnlich der, die in den siebziger Jahren im Kampf um die Erbfolge in Dänemark gute Dienste geleistet hatte: man beschloß wieder wie damals, im Kleinkriege zur See den Dänen auf alle mögliche Weise Schaden und Abbruch zu thun; aber man ging diesmal weiter als damals; in der richtigen Erkenntniß, daß die Kräfte Meklenburgs allein nicht ausreichen würden, den Kampf mit allem Nachdruck zu führen, erließen die Herzöge mit den Städten eine Proklamation, wonach Allen, die dem Könige von Schweden helfen und für ihn auf eigene Faust den Krieg gegen die Dänen führen wollten, die meklenburgischen Häfen geöffnet sein sollten. 4 ) Dieser Aufruf hatte einen außerordentlichen Erfolg; aus ganz Norddeutschland strömten Schaaren herbei, um an dem Kampfe mit Dänemark theilzunehmen. Es ist klar, daß sich unter diesen Leuten viel Gesindel befand, das nun, unter dem Vorwande, für König Albrecht zu kämpfen, für sich möglichst viel Beute machen wollte, und es deshalb nicht so genau nahm, ob es Schiffe der feindlichen Dänen, oder die unbetheiligter Dritter, der friedlichen hansischen Kaufleute, angriff. Streng von diesen zu unterscheiden sind aber diejenigen, die sich unter den Befehl meklenburgischer Adliger oder der Herzöge selbst stellten, und die ihren ersten Zweck darin sahen,


1) Detmar II, S. 41, 42.
2) Rudolf, auch ein Sohn des alten Johann, der sein schwedisches Bisthum Skara aufgegeben hatte.
3) Urk. vom 3., 11., 15., 18., 22., 24. Mai s. Rydberg, Sver. trakt. II, 417.
4) H.=R. IV, 15.
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das belagerte Stockholm mit Zufuhr aller Art, besonders Lebensmitteln, zu versorgen, und die davon den Namen Vitalienbrüder, das ist: Viktualienbrüder, erhielten. Die Meklenburger konnten natürlich nicht in jedem einzelnen Falle unterscheiden, zu welcher von beiden Kategorien die Leute gehörten, denen sie ihre Häfen öffneten. Daß sie aber zunächst keineswegs daran dachten, mit Leuten der ersten Art, die gemeine Seeräuber waren, gemeinsame Sache zu machen, beweist der Umstand, daß im Jahre 1392 die Gerichtsvögte von Wismar einen gewissen Albrecht vom Sande und Genossen wegen Seeräuberei verfesteten. 1 ) Die hansisschen Kaufleute freilich machten keinen Unterschied zwischen diesen beiden Arten meklenburgischer Parteigänger, den echten und den angeblichen, machten vielmehr für den Schaden, den sie von letzteren, den Piraten, zu leiden hatten, auch die ersteren, die Vitalienbrüder, verantwortlich, und behandelten sie, wenn sie sie fingen, genau so wie jene. Dafür mögen dann wohl später die Vitalienbrüder aus Rache ihrerseits auch manch städtisches Schiff genommen haben, und so kam es, daß allmählich ihr Name auch auf die anderen, die Seeräuber, überging und schließlich damit identisch wurde. - Auch an die Preußen, die Städte und den Ordensmeister, die aus verschiedenen, Handels= wie politischen Rücksichten Grund zur Erbitterung gegen Margareta hatten, 2 ) wandten sich die meklenburgischen Herzöge. Am 8. Juli 1391 gaben die Herzöge Johann und Albrecht und der Bischof Rudolf den Bürgermeistern von Rostock und Wismar, Heinrich Witte und Markward Bantzkow, und zwei Rittern, Werner von Axekow und Heidenreich Bibow, Vollmacht zur Gesandtschaft an König Wenzel und an den Meister des deutschen Ordens. 3 ) Die Gesandtschaft an Wenzel konnte offenbar nur den Zweck haben, daß sich die Meklenburger ein moralisches Plus, das Einverständniß des deutschen Königs, zu verschaffen wünschten; an materielle Unterstützungen von seiner Seite konnten sie wohl kaum denken. Den Preußen aber schlugen sie ein Bündniß gegen Margareta vor und baten sie zugleich, alle Handelsbeziehungen zu Dänemark einzustellen. Sie erhielten aber eine ablehnende Antwort: Die Preußen seien beiden Freund, den Meklenburgern sollten ihre Häfen wie sonst geöffnet sein, aber die Handelsbeziehungen nach Dänemark könne man nicht abbrechen. 4 )


1) Wism. liber proscript., S. 39.
2) S. Girgensohn, S. 104 f.
3) Pötker V, S. 27, cf. H.=R. IV, 16. 217.
4) H.=R. IV, 15.
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Trotz der Ablehnung eines Bündnisses von Seiten der Preußen waren die Meklenburger doch stark genug, noch im Herbst des Jahres 1391 eine bedeutende Flotte von Vitalienbrüdern zusammenzubringen. Mit derselben segelten der alte und der junge Herzog Johann von Stargard nach Stockholm ab. Auf dem Hinwege brandschatzte man die Inseln Bornholm und Gothland. 1 ) Vor Stockholm eroberte man mit Leichtigkeit die eine der beiden die Einfahrt sperrenden Schanzen und konnte so der Stadt die Zufuhr zukommen lassen. Da die Einnahme der anderen aber, die auf einer Klippe sehr unzugänglich gelegen war, Schwierigkeiten machte, und sich nun Nahrungsmangel bemerkbar machte, so zog man es zunächst vor, sich in Unterhandlungen mit dem Feinde einzulassen. 2 ) Zu Nyköping fand im Oktober eine Zusammenkunft mit Margareta statt, die, da sie sich überhaupt in Verhandlungen einließ, offenbar in Bedrängniß durch den meklenburgischen Angriff gekommen war und keinen anderen Ausweg wußte. Wir können die Bestimmungen des Vertrages, der hier zu Stande kam, nur aus späteren Angaben entnehmen: 3 ) Für 50000 Mark sollte der König mit seinem Sohne aus der Gefangenschaft entlassen werden, wofür dem Herzoge einige Schlösser als Unterpfand gegeben wurden; am 9. Juni folgenden Jahres sollte der Vertrag endgültig auf einer Zusammenkunft zu Falsterbo abgeschlossen werden; bis dahin sollte Waffenstillstand sein. Als diese Zusammenkunft dann im Juni 1392 stattfand, 4 ) und Herzog Johann den Abschluß der in Nyborg getroffenen Vereinbarungen forderte, weigerte sich Margareta unter dem Vorwande, sie müsse erst noch darüber berathen; vielmehr verlangte sie, daß, wenn sie den König für die schon reichlich hohe Summe von 50 000 Mark freigeben solle, er dann ihr auf Lebenszeit Stockholm und was er sonst etwa noch in Schweden besaß, für 10 000 Mark verpfänden solle. 5 ) Das war in anderen Worten nichts als eine förmliche Abtretung Schwedens, worauf Herzog Johann natürlich nicht eingehen konnte; so schlug er denn seinerseits vor, ein Lösegeld für den König zahlen zu wollen, so hoch es die Städte Lübeck, Hamburg und Stralsund angeben würden. Das aber verwarf wieder die Königin, die Versammlung ging auseinander, ohne


1) H.=R. IV, 28. 29. 53-55.
2) S. Detmar II, S. 42.
3) H.=R. III, 411. IV, 38. 59.
4) Nicht, wie abgemacht zu Falsterbo, sondern zu Wordingborg.
5) H.=R. IV, 57. 59
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daß man etwas erreicht hatte. Nun lieferte Johann natürlich auch die ihm als Unterpfand gegebenen Schlösser nicht aus, weshalb Margareta sich später heftig beklagte und Johann Vertragsbruch vorwarf; 1 ) ganz mit Unrecht, nicht er, sie selbst war daran schuld, daß der Ryborger Vertrag nicht ausgeführt worden war; ja, man kann sagen, sie hatte die Meklenburger mit diesem Vertrage geradezu betrogen. Die natürliche Folge war der Fortgang des Krieges. Die Städte Wismar und Rostock meldeten den übrigen Hansen, daß sie ihre Häfen wieder den Helfern des Königs geöffnet hätten; 2 ) damit ihre Kaufleute keinen Schaden haben möchten, sollten sie doch jeden Handel nach den nordischen Reichen untersagen, denn die Helfer des Königs müßten natürlich jeden angreifen, der den Dänen Unterstützung leiste und Zufuhr brächte. 3 ) Wären die Hansen darauf eingegangen, so hätte das Aufgeben jeden Handels den armen skandinavischen Reichen, die auf Einfuhr angewiesen waren, bedeutenden Schaden gebracht und sie vielleicht nachgiebiger gemacht, auf annehmbare Friedensbedingungen einzugehen, und das wäre auch den Hansestädten, denen so viel an der Herstellung des Friedens liegen mußte, zum Vortheil gewesen. Aber die Städte weigerten sich, die nordischen Handelsbeziehungen abzubrechen; so mußten sie denn auch die Aussicht auf fortwährende Angriffe von Seiten der Vitalienbrüder mit in Kauf nehmen, und eigentlich kann man es den Meklenburgern nicht verargen, daß sie allen, die der Königin Vorschub leisteten, Abbruch thaten. Ihrer Sicherheit halber erließen die Hansen nur das Gebot, daß kein Handeltreibender anders als in größeren Geschwadern fahren sollte. 4 ) Dagegen erließ Graf Albrecht von Holland an seine Städte das von den Meklenburgern gewünschte Verbot der Fahrt nach den nordischen Reichen; wenn jemand trotzdem fahre, so stehe er für keinen Schaden ein. 5 ) Nun sammelten sich die Vitalienbrüder, und unternahmen, an 1500 Mann stark, unter ihren Führern Henning Mandüvel, Arnold Stuke und anderen einen Zug an die livische und esthnische Küste, offenbar um sich dort einen Stützpunkt für ihre künftigen Fahrten zu suchen. Andere Haufen, es mochten


1) H.=R. III, 411. IV, 220.
2) Während des Waffenstillstandes war von ihnen aus natürlich nichts gegen Dänemark unternommen, also auch allen auf eigne Hand Kämpfenden kein Schutz gewährt.
3) H.=R. IV, 59. 143.
4) H.=R. IV, 60. 124. 125.
5) H.=R. IV, 143. Dipl. Norweg. V, 257.
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dies wohl echte Piraten sein, setzten sich im Sund selbst fest und fielen dort jeden ohne Unterschied an, der in ihr Bereich kam. 1 ) Margareta konnte dagegen garnichts thun, da sie so gut wie gar keine Flotte besaß; deshalb sah sie sich sogar gezwungen, sich durch einen Friede= und Freundschaftsvertrag mit England drei große Schiffe zu leihen. 2 ) Ein Versuch dagegen, mit dem Orden in Preußen in Einvernehmen zu treten, scheiterte an der gänzlich ablehnenden Haltung der preußischen Städte. 3 ) Im Herbst 1392 hatte sie dann begonnen, die Stadt Stockholm durch ein Heer unter dem Dänen Abraham Brodersson und dem schwedischen Großen Algot Magnusson von allen Seiten einschließen zu lassen. Auf der Landseite scheint diese Abschließung einigen Erfolg gehabt zu haben, während die Absperrung von der See gänzlich mißlang. 4 )

Die Unternehmungen der Meklenburger gingen im nächsten Jahre mit gutem Erfolg weiter, aber zugleich war auch die See immer unruhiger und die Schifffahrt für die Städte immer gefährlicher geworden. So hatte der jüngere Herzog Johann 5 ) selbst bei einem Streifzuge nach Bornholm 12 preußische Schiffe erbeutet. 6 ) Die Züge der Vitalienbrüder erstreckten sich jetzt sogar bis in die Nordsee. Eine Schaar unter Anführung eines Verwandten des Königs 7 ) fuhr durch den Sund, plünderte die dänischen und norwegischen Küsten und eroberte und verbrannte die Stadt Bergen, 8 ) und ließen sogar die Einwohner dem König Albrecht huldigen.

Jetzt endlich rafften sich die Hansestädte aus ihrer langjährigen Unthätigkeit auf; sie hatten erfahren müssen, daß die Meklenburger mit ihrer Drohung, alle nach den nordischen Reichen segelnde Schiffe anzugreifen, Ernst gemacht hatten; der ganze Handel war schließlich so gut wie unmöglich geworden. Sie sahen, daß diesem unerträglichen Zustande ein Ende gemacht werden müsse, wenn nicht ihr ganzer Handel zu Grunde gehen sollte. Die preußischen Städte waren es zuerst, bei denen diese Erkenntniß aufkeimte; aber ihre Einmischung sollte sich nicht gegen


1) H.=R. III, 411. IV, 153.
2) Rydberg, Sver. trakt. II, 419.
3) H.=R. III, 411.
4) Ericus Olai in script rer svec. II, 1, S. 117.
5) Sein Vater, der alte Herzog Johann, war im Jahre 1392 gestorben.
6) H.=R. IV, 160. cf. 174. 643.
7) Der Name wird nicht genannt; vielleicht war es Albrecht von Stargard, der auch später als Anführer der Vitalienbrüder vorkommt.
8) Detmar II, S. 50, 51.
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Meklenburg, durch das sie doch all den Schaden erlitten hatten, sondern gegen Margareta richten. Sie hatten wohl erkannt, daß Meklenburg den Kampf nicht anders führen konnte und mußten ihm in ihrem Innern Recht geben; eine gewisse Sympathie für das kleine Land, das sich so wacker gegen den mächtigen Feind hielt und eine so große Aufopferung für seinen Landesherrn bewies, mochte auch dabei mitwirken. Zudem hatten die Herzöge bei allen Reklamationen um Schadenersatz stets die entgegenkommendste Haltung gezeigt. 1 ) Margareta dagegen hatte zu allen Beeinträchtigungen, die sie sich seit Alters gegen die Städte erlaubt hatte, immer neue gefügt; alle Bitten um Abstellung derselben hatte sie hinzuhalten, allen Ansprüchen auf Schadenersatz hatte sie auszuweichen gewußt, und das noch dazu mit einer Freundlichkeit, die, da ihr nichts Reelles entsprach, die Städte nicht minder erbittern mußte, als die Kaltblütigkeit, mit der sie Gewaltthaten ihrer Leute, die fast unter ihren Augen geschehen waren, ableugnete. 2 ) Deshalb hatten sie alle Werbungen 3 ) derselben um ihre Freundschaft mit unzweideutigen Worten abgewiesen. 4 ) Unter ihrem Einfluß geschah deshalb es auch wohl, daß man jetzt auf dem Hansetage zu Lübeck am 22. Juli der gerechten Forderung der Meklenburger endlich nachgab: auf ein Jahr lang wurde die Fahrt nach Dänemark und Schonen streng untersagt, 5 ) und man beschloß außerdem Boten an Margareta zu senden, um sich von ihr einen Tag und Ort angeben zu lassen, an dem sie gesonnen sei, unter städtischer Vermittelung mit den Meklenburgern Friedensunterhandlungen anzuknüpfen. Daß die letzteren sich darauf einlassen würden, wenn ihnen nur einigermaßen günstige Bedingungen angeboten wurden, war klar; aber auch Margareta konnte nicht wagen, die Einmischung der Hansen abzulehnen; das Verbot der Handelsfahrt nach ihren Ländern hatte ihr gezeigt, daß die Städte jetzt gewillt seien, ernsthafte Maßregeln zur Beendigung des Krieges zu ergreifend und der Gefahr, daß die Hansen, wenn sie sich weigerte zu unterhandeln, mit den Meklenburgern zusammen gegen sie gehen könnten, durfte sie sich nicht aussetzen; dazu war sie doch nicht mächtig genug. So kam man denn überein, am 8. September zu Falsterbo die Verhandlungen zu beginnen. 6 )


1) H.=R. IV, 160. 162. 163. 169. 172.
2) H.=R. IV, 153.
3) H.=R. III, 411. IV, 153.
4) H.=R. III, 411. IV, 154.
5) H.=R. IV, 156. 158. 160.
6) H.=R. IV, 159.
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Am 29. September 1393 - die Meklenburger und die städtischen Sendeboten hatten wegen ungünstigen Wetters die Reise nicht rechtzeitig antreten können 1 ) - trafen nun die Gesandten der Hansestädte, der Herzog Johann und die Königin mit ihren Räthen zu Falsterbo zusammen. Von vornherein erklärten aber die Meklenburger, in Sachen der schwedischen Thronfrage nicht verhandeln zu können, dazu stehe niemandem als dem Könige selbst das Recht zu; da aber dieser in der Gefangenschaft nicht die freie Bethätigung seines Willens haben könne, müsse er nothwendiger Weise erst befreit werden. Darauf konnte und wollte sich Margareta nicht einlassen, sie hatte ja sonst den ganzen Krieg umsonst geführt. Da waren es die städtischen Bevollmächtigten, die mit einem vermittelnden Vorschlage hervortraten: Der König solle auf 2 bis 3 Jahre aus der Gefangenschaft entlassen werden und nun in Freiheit weiter mit Margareta verhandeln. Zur Sicherung für letztere sollte während dieser Zeit Stockholm an vier zuverlässige Leute gegeben werden, zu halb und halb aus Albrechts und Margaretas Anhängern. Könnten sich diese beiden inzwischen nicht einigen, so sollte Stockholm den Leuten des Königs wieder gegeben werden, dieser aber in die Gefangenschaft zurückkehren; oder, falls er das nicht thäte, sollte Stockholm der Königin überantwortet werden. Da war nun zwar eine Schwierigkeit, wo vier Leute finden, die beiden Parteien gleich zuverlässig galten? So erklärte sich Johann bereit, Stockholm den Hansen zu übergeben. Nach einigem Zögern erklärte sich Margareta mit diesem Vorschlage einverstanden, doch müsse sie erst zu Hause mit ihren Reichsräthen berathen, welche Garantie sie von den Städten verlangen könne, daß diese auch wirklich unparteiisch handeln würden. Zum nächsten Hansetage wolle sie dann nach Lübeck kommen oder ihre Vertreter schicken und dann die Sache endgültig regeln. 2 ) Damit löste sich endlich zu Ende Oktober die Versammlung, in der sicheren Erwartung, daß nun im nächsten Jahre der langersehnte Friede wirklich eintreten würde, auf. Als aber am 3. März 1394 der Hansetag zu Lübeck zusammentrat, waren die Gesandten fast aller Städte erschienen, auch Herzog Johann mit seinen Räthen war gekommen, aber Margareta hatte sich nicht eingefunden, hatte auch keine Gesandten geschickt, sondern nur ein Schreiben mit nichtssagenden Entschuldigungen. 3 ) In Folge dessen kam


1) H.=R. IV, 160.
2) H.=R. IV, 167.
3) H.=R. IV, 191.
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man wieder nicht zum Abschluß. Es ist klar, daß Margareta mit diesem Hinhalten einen bestimmten Zweck im Auge hatte. Die Verhandlungen zu Falsterbo hatten kein Resultat ergeben, mit dem sie so recht hätte zufrieden sein können. Sie hatte sich offenbar größeren Vortheil von der Gefangennahme Albrechts versprochen; nun sollte sie ihn freilassen und damit das Mittel, durch das sie bei weiteren Verhandlungen einen Druck auf die Meklenburger ausüben konnte, aus der Hand geben. Ueberdies war es nicht sehr wahrscheinlich, daß der König, wenn die künftigen Verhandlungen ergebnislos blieben, in die Gefangenschaft zurückkehren würde; freilich sollte sie ja dann Stockholm erhalten; aber der König hatte dann, da er ja keines seiner Rechte auf Schweden aufgegeben hatte, immer die Möglichkeit, es ihr durch Krieg wieder abzunehmen; und außerdem, wer garantirte ihr, daß die Städte, denen sie ja so manche Schädigung gethan hatte, ihr Stockholm wirklich ausliefern würden, und es nicht vielmehr für sich behalten, und als Druckmittel, ihren Forderungen Nachdruck zu geben, gegen sie anwenden würden. Vortheil erwartete sie also, wenn sie auch den Vermittelungsversuch der Städte nicht abzulehnen gewagt hatte, nur aus einem Hinschleppen der Sache. Dabei hatte sie aber offenbar nicht bedacht, daß sie durch ein derartiges Verhalten den Unwillen der Städte, auch der wendischen, die ihr bis dahin nicht ungünstig gesinnt waren, erregen und sie den Meklenburgern, die auf die Maßnahmen der Städte eingegangen waren, günstig stimmen mußte. Das zeigte sich denn auch in den Beschlüssen dieses Tages: Die Schonenfahrt wurde wieder, außer wenn man in größerer Anzahl zusammen sei, verboten, und die Fahrt durch den Sund ganz untersagt. 1 )

Zugleich aber beschlossen die Städte, da infolge des Verhaltens der Königin für die nächste Zeit das Eintreten eines gesicherten Zustandes zur See nicht zu erwarten war, selber eine Flotte zur Befriedung der See auszurüsten. 2 ) Wäre dieser Plan zu Stande gekommen, so hätte er die Kriegführung der Meklenburger für die nächste Zeit ganz lahm gelegt; das hätte aber Niemand anders als Margareta den größten Vortheil gebracht, und da die preußischen Städte fürchteten, daß die Königin, wenn sie nicht mehr von Seiten der Meklenburger bedrängt würde, in der Schadenersatzfrage wieder den alten ungefälligen,


1) H.=R. IV, 192, cf. 204. 205.
2) H.=R. IV, 192.
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hinhaltenden Standpunkt einnehmen würde, so traten sie mit Entschiedenheit gegen den Plan einer allgemeinen Seewehr auf, 1 ) so daß derselbe thatsächlich nicht zur Ausführung kam. Es ist wohl klar, daß die preußischen Städte mehr um ihrer selbst willen, als im Interesse der Meklenburger die für diese so günstige Haltung eingenommen hatten. Aber die Meklenburger mochten glauben, daß das aus ganz besonderem Wohlwollen für sie geschehen sei, und daraufhin versuchten sie, mit den Preußen ein förmliches Bündniß gegen Margareta einzugehen; im Mai des Jahres 1394 erschienen meklenburgische Gesandte in Danzig und machten den Städten, wie dem Hochmeister ihre Vorschläge. Aber die Städte wiesen das Bündniß zurück; sie wollten sich mit ihren wendischen Genossen, mit denen sie sich nach der Ablehnung der Seewehr ohnehin nicht besonders gut standen, nicht noch mehr veruneinigen; ebenso lehnte der Hochmeister es ab, eine Vermittelung zwischen den schwedischen Großen und den Meklenburgern zu versuchen. Alles, was diese erreichten, war, daß der Hochmeister versprach, mit allen Kräften dafür eintreten zu wollen, daß König Albrecht für ein Lösegeld freigelassen würde. 2 ) Aber trotz dieses Mißerfolges war die Lage der Meklenburger keineswegs ungünstig. Im Winter 1393 auf 94 scheint Margareta den Versuch gemacht zu haben, ohne die Hansestädte in den Besitz Stockholms zu gelangen, die Stadt wurde schwer belagert, und es brach schon Hungersnoth in ihr aus; da gelang es noch rechtzeitig einer Anzahl Schiffen der Vitalienbrüder, die unter der Führung meklenburgischer Adliger, des Rambold Sanewitz, Bosso vom Kaland und anderer standen, nachdem sie sonderbare Abenteuer durchgemacht hatten, in den Hafen einzulaufen und die Stadt wieder zu verproviantiren. 3 ) Im Mai 1394 erlangten die Meklenburger auch in Finnland wieder bedeutenden Anhang, indem sich Bo Jonssons Wittwe Greta Dume ihnen völlig anschloß. 4 ) Auch Jäppe Abramsson scheint sich damals ihnen zunächst heimlich verbündet zu haben; ein öffentliches Bündniß schloß er dann im folgenden Jahre mit Bos Sohn, Knut Bosson, dem er dabei die Schlösser seines Vaters übergab. 5 ) Im Juli gelang es den Vitalienbrüdern sogar, die Stadt Malmö zu


1) H.=R. IV, 205. 212. 213.
2) H.=R. IV, 217.
3) Herrn. Korner herausgegeben von Schwalm, S. 90, 341. Reimar Kock im Grautoff, S. 495.
4) H.=R. IV, 217.
5) Styffe I, 86.
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erobern und in Brand zu stecken, 1 ) In Hinsicht auf alle diese Schädigungen sowohl, wie auf die unfreundliche Haltung der Hansen entschloß sich Margareta, die Verhandlungen doch endlich wieder aufzunehmen; zu Helsingborg sollten dieselben stattfinden. Hier trafen am 22. Juli die Sendboten der Städte, Gesandte des Hochmeisters und die meklenburgischen Räthe mit der Königin und den dänischen Reichsräthen zusammen. Man verhandelte lange, bis weit in den August hinein, mit einander und kam endlich zu dem Resultat: der König solle auf ein halbes Jahr freigelassen werden und versuchen, sich innerhalb dieser Zeit mit Margareta zu einigen; gelänge das nicht, so solle er sich wieder in die Gefangenschaft begeben oder 60000 Mark zahlen. Acht der Hansestädte sollten die Bürgschaft übernehmen und Stockholm besetzen. Am 1. November schon sollte auf einer neuen Zusammenkunft zu Alholm der Vertrag von Helsingborg ratifizirt und die Gefangenen entlassen werden. 2 ) Aber wieder machte ein unvorhergesehenes Ereigniß der Hoffnung auf ein baldiges Eintreten der Ruhe ein Ende: die preußischen Gesandten, die zu dem Alholmer Tage ziehen wollten, wurden auf der Durchreise durch Pommern plötzlich vom Herzog Wratislav VII. aus Feindschaft gegen den Hochmeister gefangen genommen, so konnte der angesagte Tag wegen des Ausbleibens derselben nicht abgehalten werden. 3 ) Man möchte beinahe vermuthen, daß Margareta auch hierbei wieder ihre Hand im Spiele gehabt habe und daß sie von einer abermaligen Verzögerung der Entscheidung Vortheil für sich hoffte. Die anwesenden Gesandten konnten nun nichts weiter thun, als eine neue Versammlung auf den 23. April des folgenden Jahres nach Falsterbo und Skanör anzusetzen. Ein neuer kriegerischer Erfolg der Meklenburger - eine Schaar Vitalienbrüder unter Führung Albrechts von Peckatel eroberten Wisby und einen Theil der Insel Gotland 4 ) - mußte Margareta endlich belehren, daß es schließlich für sie doch das Beste sein würde, baldigen Frieden zu machen. Jetzt endlich stand dem Frieden nichts mehr im Wege, und am 10. Mai 1395 hatten sich alle Gesandten der Städte und des Hochmeisters, der Herzog Johann mit seinem Sohn und Gefolge in Skanör und Falsterbo eingefunden, während die Königin noch einige Zeit auf sich warten ließ (wir wissen nicht, aus welchem Grunde) und erst zu Ende des Monats mit


1) Detmar, II, S. 56.
2) H.=R. IV, 235. 236. 237.
3) H.=R. IV, 242-244.
4) Chron. svec. Wisb. scr. rer. sv. I, 1, S. 46. cf. H.=R. IV, 438.
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ihren Räthen ankam, 1 ) Man hielt sich jetzt bei den Verhandlungen durchaus an die Bestimmungen des Helsingborger Vertrages, die jedoch in einzelnen Punkten modifizirt wurden. So mußte Margareta der gemeinsamen Ansicht der Meklenburger und der Hansen nachgeben, daß es nicht genüge, den König auf ein halbes Jahr freizugeben, und man erreichte, daß dafür drei Jahre bestimmt wurden, 2 ) auch alle anderen beiderseitigen Gefangenen sollten für dieselbe Zeit frei sein. Weiter kam man indessen mit den Verhandlungen nicht, da Herzog Johann und die Meklenburger sich wie früher weigerten, über Stockholm ohne den König etwas Endgültiges abzumachen, und so entschloß sich die ganze Versammlung, nach Lindholm zu ziehen, wo Albrecht immer noch gefangen saß. 3 ) Vom ersten bis zum siebzehnten Juni verhandelte man hier nun im Beisein des Königs und kam endlich zum Abschluß, da sich Albrecht und sein Sohn mit allen Abmachungen, die bereits getroffen waren, einverstanden erklärten. Die Städte, die die Bürgschaft übernahmen, waren: Lübeck, Stralsund, Greifswald, Danzig, Elbing, Thorn und Reval; sie versprachen: Zu Michaelis (29. September) 1398 würden sie entweder den König wieder in die Gefangenschaft ausliefern, oder 60 000 Mark Lösegeld für ihn bezahlen, oder Stockholm der Königin überliefern; doch sollten sie schon zu Trinitatis des Jahres (2. Juni) vorher melden, welche von den drei Bedingungen sie innezuhalten gedächten 4 ) Die Meklenburger sagten dafür zu, daß sie fortan nicht mehr die Piraten schützen würden. 5 ) Bis zum 8. September wollte man alle Urkunden besiegelt haben, dann sollte Stockholm den Hansen übergeben werden und darnach König Albrecht in Freiheit gesetzt werden. 6 ) Wie abgemacht, so geschah es; am 31. August 1395 übergab Herzog Johann den von den Hansen gesandten Hauptleuten Stadt und Schloß Stockholm, und ließ sie ihnen den Huldigungseid leisten. 7 ) Diese sandten die Nachricht davon nach Helsingborg, wo die Gesandten der Städte bereits versammelt waren, um den König in Empfang zu nehmen. Aber erst am 26. September war man so weit gekommen, daß man die Urkunden in Empfang nehmen und über=


1) H.=R. IV, 259-275.
2) H.=R. IV, 261.
3) H.=R. IV, 261. 275.
4) H.=R. IV, 266
5) H.=R. IV, 264.
6) H.=R. IV, 275.
7) H.=R. IV,292. 296.
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geben konnte; nun wurden König Albrecht und sein Sohn Erich herbeigeholt und hatten endlich nach langer, sechseinhalbjähriger Gefangenschaft die Freiheit wieder. 1 )

Mit bewundernswürdiger Umsicht wie im Kampfe, so in den Verhandlungen hatte Herzog Johann während dieser Jahre die schwierige Sache durchgeführt; mit Opferwilligkeit hatte das ganze Land Meklenburg hinter seinem Fürsten gestanden; mit echter Treue aber hatten vor Allem die Städte Wismar und Rostock die Sache ihres Herrn zu der ihrigen gemacht, obgleich sie ihren Genossinnen, den anderen Hansestädten, gegenüber dadurch in die schwierigste Stellung gekommen waren. Nun hatten die Meklenburger und Johann das Ziel erreicht, nach dem sie so lange gestrebt hatten; König Albrecht war frei, ohne daß er irgend eines von seinen Rechten hatte aufgeben müssen. Schweden war dem Könige keineswegs verloren, noch hatte er vollen Anspruch auf Stockholm, und Gothland, das die Meklenburger im Frieden behauptet hatten, konnte zum Ausgangspunkte werden, die ehemalige Machtstellung wieder zu erwerben; doch zunächst herrschte Ruhe.

In der nächsten Zeit suchte Königin Margareta das, was sie errungen hatte, zu ihrem Vortheil auszunutzen. Es war zu Lindholm nach der Freilassung König Albrechts zwischen ihm und Margareta eine Zusammenkunft zum 7. November nach Ryköping angesetzt worden, 2 ) dort wollten sie mit einander über ihre Streitigkeiten übereinzukommen suchen. Es war aber nichts aus diesem Tage geworden, und nachher scheint von keiner von beiden Seiten je wieder eine Annäherung versucht worden zu sein. Die Königin hatte wohl genug daran, auch ohne besondere Abmachungen thatsächlich Herrscherin in Schweden zu sein. Um aber auch ihrem designirten Nachfolger, ihrem Großneffen Erich dem Pommern, die gleiche Stellung zu verschaffen, that sie einen Schritt, der geeignet war, die Unruhe der vorigen Zeit wieder heraufzuführen. Von den Norwegern war Erich schon nach Olafs Tode zum Könige gewählt worden, nun ließ Margareta die dänischen Großen im Januar 1396 und im Juni desselben Jahres auch die Schweden ihn zu ihrem Könige wählen. 3 ) Mit Recht konnte Meklenburg das als Vertragsbruch ansehen, denn offiziell war ja Albrecht immer noch König von Schweden und


1) H.=R. IV, 298.
2) H.=R. IV, 297.
3) S. Erslev, S. 199.
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der Kampf um die Entscheidung ja keineswegs zu Ende, sondern nur durch Waffenstillstand unterbrochen, und es ist den Meklenburgern nicht zu verargen, daß sie nun den Kampf um die verlorene Krone wieder begannen. Albrecht selbst freilich scheint nicht mehr recht dazu aufgelegt gewesen zu sein, noch einmal das Kriegsglück zu versuchen, sondern überließ jetzt den Kampf seinem Sohne, Herzog Erich. Erich begab sich nach Gothland, um hier Wisby als Stützpunkt für seine Unternehmungen zu gebrauchen. 1 ) Vitalienbrüder, die nach 1395 keineswegs aufgehört hatten zu bestehen, schlossen sich ihm an. Mit ihrer Hülfe bezwang er den Sven Sture, einen schwedischen Adligen, durch den die Königin die Insel und Wisby zu erobern versucht und der sich nach dem Mißlingen dieses Planes auf eigne Hand in einem Theile Gothlands festgesetzt hatte;) 2 ) jetzt von Herzog Erich besiegt, trat er in dessen Dienste über, und damit war jetzt die ganze Insel in meklenburgischem Besitz. 3 ) Nach diesem Erfolge dachte Erich auf dem schwedischen Festlande wieder Fuß zu fassen; im Juli 1397 segelte eine Flotte auf Stockholm zu, um die Stadt zu überrumpeln; Sven Sture war selbst mit der Leitung betraut worden. Der Plan mißlang aber infolge der Aufmerksamkeit der städtischen Hauptleute, und die Flotte mußte unverrichteter Sache wieder abziehen. 4 ) Da starb am 26. Juli 1397 plötzlich Herzog Erich auf Gothland. 5 ) Seine junge Wittwe, Sophia von Pommern, überließ die Leitung ihrer Interessen an Sven Sture, der in seinen Burgen wieder den Piraten Zuflucht gewährte. Als infolgedessen sich der Hochmeister an den König Albrecht wandte, er möchte dem Unwesen, durch das den Städten wieder der größte Schaden erwuchs, zu steuern versuchen, da erklärte der König, er könne nichts dagegen thun; Meklenburg hatte keine Macht mehr über die wilden Schaaren. Doch noch einmal versuchten die Meklenburger, in geordneter Kriegsleitung sich an ihre Spitze zu stellen und so ihrer Herr zu werden; Herzog Johann ging hinüber nach Gothland und sagte dem Könige Erich Krieg an. 6 ) Aber in seiner Hoffnung auf guten Erfolg sollte er sich getäuscht haben. Es gelang ihm nicht, den Krieg wieder in geordnete Bahnen zu lenken. Die Seeräuber wurden immer


1) H.=R. IV, 438.
2) H.=R. IV, 361.
3) S. Erslev S. 207.
4) H.=R. IV. 410.
5) Scr. rer. Suec. Ia, S. 46. Detmar II, S. 93 (um Sept. 8).
6) H.=R. IV, 438.
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zügelloser, und es war deshalb kein Wunder, wenn der Versuch der Meklenburger, die Hansen und Preußen wieder für sich zu interessiren, auf kein Entgegenkommen traf. 1 ) Durch die Verhältnisse in Livland, einen Streit um das Erzstift von Riga, waren sie ohnehin mit dem Orden in Conflict gerathen, 2 ) Preußen konnte jeden Augenblick einen Angriff der gothländischen Vitalienbrüder erwarten, da beschloß der Hochmeister Konrad von Jungingen, der Gefahr durch seinen Angriff zuvorzukommen. Im Marz 1398 segelte er mit einer bedeutenden Flotte hinüber nach Gothland, griff die Raubburgen Stures an und zerstörte sie, rückte dann vor Wisby, wo sich Sture und Herzog Johann selbst aufhielten und zwang nach längerer Belagerung die Städte sich am 5. April zu ergeben. So blieb dem Herzog schließlich nichts anderes übrig, als die Insel dem Orden zu übergeben, nachdem der Hochmeister versprochen hatte, sich darüber mit König Albrecht einigen zu wollen. 3 ) Im Mai 1399 versetzte dieser für 30000 Nobel Gothland an den Orden. 4 ) Am 29. September 1398 hatten die Hansestädte bereits, da es dem Könige Albrecht nicht möglich gewesen war, die ausbedungene Summe von 60000 Mark als Lösegeld zusammenzubringen, vertragsgemäß Stockholm an die Königin Margareta ausgeliefert; 5 ) und damit war für Meklenburg der letzte Rest seiner einstigen Macht, seiner Weltstellung verloren, und es war wieder eingetreten in die Reihe der kleinen norddeutschen Territorialmächte.

Der alte Herzog Albrecht hatte Meklenburg einst hoch emporgehoben, unter seinem Sohne, dem Könige Albrecht, ging diese hervorragende Stellung wieder verloren; aber es wäre unbillig, wenn man den letzteren allein dafür verantwortlich machen wollte. In den Umständen vielmehr hatten die Ursachen gelegen, daß er sich auf dem schwedischen Throne nicht hatte halten können; oder wenn irgend jemandem. so muß man den schwedischen Großen die Schuld daran beimessen. Sie hatten ihn auf ihren Thron gerufen, weil sie gehofft hatten, durch ihn und statt seiner herrschen zu können; als er sie aber enttäuschte, als er seine Aufgabe ernst nahm und, auf seinen Vater gestützt, selbst König sein wollte, waren sie ihm Feind geworden. Das Volk hatte er sich nie gewinnen können, dessen Herz er sich von


1) H.=R. IV, 413. 425. 426.
2) Darüber vgl. Lindner: Wenzel II, 274 f.
3) H.=R. IV, 437. 438.
4) H.=R. IV, 657.
5) Detmar II, S. 105
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vornherein durch die Begünstigung der Deutschen entfremdete, die er doch als nothwendigste, sicherste Stütze brauchte. Freilich hatte Albrecht seines Vaters treffliche Gaben nicht besessen, weder sein diplomatisches Geschick, noch sein Feldherrntalent; aber einen gesunden Verstand und wackeren Muth und Entschlossenheit hatte er mehrfach gezeigt: ersteren, als er den Alholmer Vertrag, so günstig er auch für ihn scheinen mochte, als unannehmbar erkannte, letztere in den Kämpfen mit Waldemar, Hakon und noch zuletzt auf dem Schlachtfelde von Asle. Durchaus geschickt hatte er sich benommen, als er in den Kämpfen mit dem Adel die Gegner zu trennen verstand, indem er Jäppe Abramsson und Greta Dume für sich gewann. Von Charakter mag er etwas leicht gewesen sein, aber nie, so läßt sich nachweisen, hat er während seiner ganzen Regierung eine Handlung gethan, um deren Willen man ihn mit Recht verurtheilen könnte, etwa wie seine große Gegnerin Margareta mit ihrer hinterhaltigen Politik.

Unter anderen Umständen wäre er vielleicht ein glücklicher Herrscher gewesen; die Böswilligkeit und der Verrath, mit denen er zu kämpfen hatte, hätten auch einen anderen zu Fall gebracht. Und so wird unser Endurtheil über König Albrecht dahin lauten, daß er gewiß kein hervorragender, aber immerhin ein durchaus achtenswerther Fürst gewesen ist.

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II.

Die Kirchenbücher in Meklenburg=Strelitz.

Von R. Krieg,

Amtsrichter in Schlieben.

~~~~~~~~~~~~~~

I m 60. Bande dieses Jahrbuches hat Herr Dr. Friedrich Stuhr die Kirchenbücher des Großherzogthums Meklenburg=Schwerin nach den amtlichen Quellen zusammengestellt und einen Ueberblick über die Geschichte dieser für die Familienforschung höchst wichtigen Register gegeben. Die Meklenburgischen Kirchenordnungen von 1540, 1552 und 1557 enthalten danach noch keine Bestimmungen über die Führung der Register, erst die revidirte Kirchenordnung von 1602 befiehlt deren Anlegung, und im Jahre 1650 werden die Bestimmungen wiederholt und den Geistlichen neu eingeschärft. Dr. Stuhr nimmt auf Grund dieser Anordnungen an, daß im 17. Jahrhundert fast in allen Gemeinden Meklenburgs Kirchenbücher vorhanden gewesen, zum großen Theile aber in Folge von Pfarrhausbränden, sowie in den vielen Kriegen und bei den unaufhörlichen Truppendurchzügen zu Grunde gegangen seien. Die Annahme wird durch Aufzeichnungen in einzelnen Kirchenbüchern bestätigt und gilt auch für das Großherzogthum Meklenburg=Strelitz, da die beiden Länder mitsammt dem Fürstenthum Ratzeburg damals unter einer Verwaltung standen. Erst als durch den Hamburger Vergleich vom 8. März 1701 die Länder getrennt wurden, gingen die kirchlichen Verwaltungen ihre eigenen Wege und die Aufsicht über die Führung der Kirchenbücher in Meklenburg=Strelitz unterstand von da ab dem Konsistorium in Neustrelitz. Die erste selbständige Verordnung auf diesem Gebiete erging aber erst unter dem Herzog Adolf Friedrich am 19. März 1764. Es heißt darin: "Und da Wir mit Befrembden ver=

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nehmen, wie von einigen der Ern Prediger im Lande das Tauf=Trau= und Todten=Register nicht in ordentliche Bücher eingetragen und in Ordnung gehalten, sondern dasselbe vielmehr den Küstern und Schulmeistern überlassen werde, Wir aber dieses als einen großen Misbrauch nicht weiterhin zu dulden gemeynet sind, so habt Jhr zugleich gedachten sämmtlichen Ern Predigern ernstlich aufzugeben, daß sie hierzu ordentliche Bücher verfertigen, darinn alles selbst eintragen und auf das genauste verwahren, auch sofort die von den Küstern und Schulmeistern etwan darüber gehaltenen Register sich extradiren lassen, solche in Ordnung bringen und mitaufheben sollen, solchergestalt, daß auf erstes Erfordern Unseres Konsistorii alles sogleich vorgelegt werden könne." 1 )

Nach einer weiteren Verfügung des Herzogs Karl vom 9. Februar 1803 erachtete man es für zweckmäßig, von allen Kirchenbüchern zur Ergänzung in vorkommenden Nothfällen Duplikate beim Konsistorium aufzubewahren, und es wurde verordnet, von 1803 ab alljährlich zu Neujahr eine reine und leserliche Abschrift von den Kirchenbüchern des vorangegangenen Jahres an das Konsistorium einzusenden. Diese Vorschrift stimmt mit einer ähnlichen im Großherzogthum Meklenburg= Schwerin überein; dort wurde jedoch die Einsendung von Abschriften schon von 1740 an an die Superintendenturen angeordnet, und man ging in neuester Zeit in der Sicherstellung der Kirchenbücher so weit, daß 1874 vom Oberkirchenrath die Ablieferung aller geschlossenen Register des 17. und 18. Jahrhunderts mit der Grenze des Jahres 1750 an das Geh. und Hauptarchiv angeordnet wurde. In Folge dessen sind sämmtliche alten Kirchenbücher der Pfarren Großherzoglichen Patronats dem Archive zugeführt worden. Die ritterschaftlichen Kirchenpatrone können von dieser Bestimmung ebenfalls Gebrauch machen. Für Strelitz ist es bisher bei der Einsendung von Abschriften geblieben, aber vom 1. Januar 1810 ab trat zur besseren Einrichtung der Kirchenbücher ein neues Schema in Kraft, das bis ins einzelne die Regeln ordnete, die bei der Abfassung der Register zu beobachten waren. Das Geburtsregister z. B. enthielt den Namen des Kindes, Namen und Stand der Eltern, Tag der Geburt und der Taufe sowie der Impfung und endlich die Namen der Gevattern. Im Trauregister wurden die Namen der Brautleute, die der Eltern, der


1) Scharenberg u. Gentzken, Gesetzsammlung für die Meklenburg=Strelitzschen Lande. Abth. I. Kirchen= und Schulsachen. 1859.
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Tag der Trauung und der Ort des Aufgebots, und im Sterberegister der Name des Verstorbenen, sein Stand und Geburtort, sein Alter und die Zeit des Todes, sowie der Beerdigungstag und die Todesart angegeben.

Das Alter der Kirchenbücher in Meklenburg=Strelitz geht aus den von Dr. Stuhr angegebenen Gründen der Pfarrhausbrände und Kriegsunruhen ebenfalls nicht weit zurück, und es kann auch hier die allgemeine Beobachtung gemacht werden, daß die Register im nördlichen Deutschland später angelegt worden sind, als in den mittleren und südlichen Landestheilen. Während z. B. nach den kürzlich erschienenen Aufzeichnungen des Pastors Blanckmeister in Sachsen mehr als 300 Kirchenbücher aus dem 16. Jahrhundert auf uns gekommen sind, und die ersten sächsischen Register bereits 1502 beginnen, vergeht in Meklenburg=Strelitz noch ein ganzes Jahrhundert, ehe wirklich die Anlegung von Kirchenbüchern auch nur angeordnet wird - 1602. Aber auch inhaltlich sind sie dann bei weitem dürftiger, als beispielsweise eben in Sachsen: denn dort enthält fast jedes Register eine mehr oder weniger umfangreiche Ortschronik oder sonstige geschichtliche Mittheilungen; in Meklenburg=Strelitz dagegen gehören derartige Aufzeichnungen zu den Seltenheiten. Vielleicht liegt das an dem beweglicheren, mittheilsameren Charakter der damaligen sächsischen Geistlichen und an dem freieren, mit der Reformation und dem geistigen Aufschwünge enger verknüpften Wesen gegenüber dem ernsten, zugeknöpften Leben der Küstenbewohner. Die nachweisbare Registerführung in Meklenburg=Strelitz beginnt bald nach der erwähnten Verordnung von 1602, und zwar ist das älteste Taufregister in der Kirche St. Marien in Neubrandenburg vom Jahre 1611. Allerdings ist in Schlagsdorf nach Angabe des ersten evangelisch=lutherischen Pfarrers Däling im Jahre 1577 beim Brande der Pfarre das erste Kanzelregister verbrannt, aber man kann nicht ohne weiteres annehmen, daß das ein Verzeichnis der Getauften, Vermählten und Verstorbenen gewesen ist.

Das nächst älteste Kirchenbuch wird in Carlow aus dem Jahre 1614 geführt und daran schließen sich die Register von Strelitz (Alt=) 1620 und Selmsdorf 1624. Diese 4 Gemeinden bilden eine besondere Gruppe für sich. Aus dem 4. und 5. Jahrzehnt sind dann vorhanden die Kirchenbücher von Schönberg 1640, Ratzeburg 1641, Demern aus demselben Jahre, ebenso Schlagsdorf, Fürstenberg 1641, ebenso Herrnburg, Badresch 1650, Fürstenhagen 1653. Aus demselben Jahrhundert stammen noch

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die Kirchenbücher von Käbelich 1665, Dewitz 1667, Tornow 1671, Gehren 1674, Schwanbeck 1676, Schillersdorf 1679, Grünow, Rödlin und Wanzka 1680, Wesenberg 1681, Jatzke 1682, Schwichtenberg 1687, Mirow 1690, Rühlow 1693, Roga 1696 und Weitin 1699. Dabei sei übrigens bemerkt, daß nicht immer alle drei Register mit den genannten Jahren beginnen, wie sich aus dem nachstehenden Verzeichnisse ergiebt.

Schließlich sei auch an dieser Stelle dem Großherzoglichen Konsistorium in Neustrelitz der Dank für die Bereitwilligkeit ausgesprochen, mit der es die Zusammenstellung in die Wege geleitet hat; ebenso der Großherzoglichen Bibliothek in Neustrelitz, die bereitwilligst die Literatur zur Verfügung gestellt hat.


Abkürzungen: T. = Taufregister, Tr. = Trauregister, B. = Begräbnißregister; Cm. = Communikantenregister; Cfm. = Confirmandenregister; Pr. = Präpositur.

Badresch. Pr. Woldegk.

T. 1650 lückenfrei. Tr. 1650 mit Lücke von 1747-1769. B. 1650 mit Lücken von 1703-1713, 1748-1768. Cm. 1826. Cfm. 1770. Zugehörige Kirchen 1 ) Rattey, Schönhausen und Voigtsdorf ebenso. Getrennte Register.

Ballwitz. Pr. Stargard.

T. 1750. Lücke 1757-1764. Tr. 1751. Lücke 1752-1764. B. 1750. Lücke 1751-1764. Cm. 1838. Ctm. 1800. Für die Zeit vor 1750 s. unter Wanzka. Zugehörige Kirchen Groß=Nemerow und Rowa. T. 1699. Tr. 1737; Lücke 1738-1746. H. 1737; Lücke 1738-1746. Sämmtliche Register in einem Buche.

Bredenfelde. Pr. Stargard.

T. Tr. H. 1737 ohne Lücken. Cm. 1851. Cfm. 1788. Zugehörige Kirchen Cantnitz und Lüttenhagen T. Tr. B. 1755, vorher s. unter Teschendorf. Krumbeck lückenhaft von 1773-1790, ebenso Lichtenberg; im Krumbecker Kirchenbuche finden sich längere Ausführungen über die Besitzer des Gutes, über die zweifelhafte Landeszugehörigkeit (Preußen oder Meklenburg) und kurze Nachrichten über die Leiden des Dorfes 1806-1807. Bis 1810 sind alle Register in einem Buche geführt.


1) Eine nähere Bezeichnung der zugehörigen Kirchen als kombinirte Mutterkirchen oder Filialen ist hier und in folgendem unterblieben, weil sich nicht in allen Fällen Sicheres ermitteln ließ.
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Brunn. Pr. Neubrandenburg.

T. Tr. 1750 ohne Lücken. B. 1810. Cm. 1860. Cfm. 1810. Zugehörige Kirche Ganzkow ebenso. Die Register sind getrennt.

Camin. Pr. Wittenburg in Meklenburg= Schwerin (für Dodow). T. Tr. 1677. B.

1678 ohne Lücken. Cm. 1685-1715 und von 1816 bis jetzt (nur summarisch, ohne Namensangabe). Cfm. 1766. Die Register enthalten längere geschichtliche Nachrichten.

Carlow. Pr. Ratzeburg.

T. und B. 1614; Tr. 1615. In allen drei Registern Lücken von 1630-1633, 1636-1640. Cm. 1777. Cfm. 1810. In den Registern der Jahre 1700-1720 sind längere geschichtliche Nachrichten von dem pastor Joachim Ernst Bredefeldt enthalten.

Groß=Daberkow. Pr. Woldegk.

T. Tr. B. 1803; Cm. 1852; Ctm. 1811; ebenso in den Zugehörigen Kirchen Mildenitz und Holzendorf (letztere nur bis 1810 zugehörig, jetzt nach Helpt eingepfarrt). Die älteren Kirchenbücher sind 1873 verbrannt.

Dahlen. Pr. Friedland i. M., errichtet 1757, vorher in Beseritz. T. 1715. Tr. 1762. B.

1762. Cm. 1817. Cfm. 1825. Ohne Lücken; seit 1799 getrennte Register für Beseritz und Dahlen.

Demern. Pr. Ratzeburg.

T. 1723. Tr. 1641. B. 1641. Cm. 1761. Cfm. 1761. Ohne Lücken.

Dewitz. Pr. Stargard.

T. Tr. B. 1667. Lücke in allen drei Registern von 1697-1707; bei Tr. auch Lücken von 1669-1672, 1676-1681, 1683-1685. Cm. 1851. Cfm. 1811. Zugehörige Kirche Cölpin ebenso, doch in Tr. nur eine Lücke von 1695-1706; die Register sind getrennt.

Eichhorst. Pr. Friedland.

T. 1725. Lücke 1739-1749. Tr. 1750. B. 1749. Cm. 1851. Cfm. 1803. Zugehörige Kirche Liepen: T. 1725; Lücke 1735-1750. Tr. 1749. B. 1750. Cm. 1851. Cfm. 1803. Die Register sind bis 1807 in einem Buche geführt.

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Feldberg. Pr. Woldegk.

T. Tr. B. 1740; ohne Lücken. Cm. 1851. Cfm. 1819. Zugehörige Kirchen Carwitz, Conow und Wittenhagen ebenso. Die Register sind seit 1867 getrennt.

Friedland. Pr. Friedland i. M.

St. Marien. T. 1705; ohne Lücken. Tr. 1705; Lücke 1760. B. 1704; ohne Lücken. Cm. 1836. Cfm. 1835, die älteren Register sind beim großen Brand 1703 vernichtet. Zugehörige Kirche Lübbersdorf: T. Tr. B. 1810. Cm. 1851. Cfm. 1811. Aeltere Register sollen in Kotelow, wohin Lübbersdorf vorher eingepfarrt war, durch einen Brand vernichtet sein.
St. Nicolai. T. Tr. B. 1705. Cm. 1851. Cfm. 1820. Die älteren Register sind beim großen Brande 1703 vernichtet.

Fürstenberg. Pr. Neustrelitz.

T. 1649; ohne Lücken. Tr. 1646; Lücke 1690-1699 B. 1718. Cm. 1851. Cfm. 1830. Zugehörige Kirche Buchholz ebenso. Im Register sind feit 1733 Pfarr=, Kirchen= und Schulnachrichten. Die Register sind in einem Buche.

Fürstenhagen. Pr. Woldegk; verbunden von altersher mit Weggun in Brandenburg, dem Sitze des Pfarrers.

T. 1653; Lücke 1656-1663. Tr. 1654; Lücken 1663-1694 und 1764-1789. B. 1662; Lücken 1671-1692 und 1765-1789 Cm. 1888. Cfm. 1813. Im ältesten Register ist ein Anhang von einigen Seiten mit kurzen Nachrichten allgemeiner Art. Zugehörige Kirche Wrechen: T. Tr. B. 1799; Cm. 1888; Ctm. 1813; bis 1799 war es in Bredenfelde eingepfarrt.

Gaarz. Pr. Wesenberg=Mirow.

T. 1704. Tr. 1705. B. 1704. Cm. 1854. Cfm. 1792. Keine Lücken. Zugehörige Kirche Vietzen ebenso. Register in einem Buche.

Gehren, Pr. Friedland; errichtet 1659, vorher in Galenbeck.

T. B. 1674. Tr. 1677.Cm. 1867. Cfm. 1817. Zugehörige Kirche Galenbeck ebenso.

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Göhren. Pr. Woldegk.

T. Tr. B. 1745; Cm. Cfm. 1789; alle lückenlos; die Register der zugehörigen Kirchen Plath und Leppin, die seit 1892 zu Plath eingepfarrt sind, befinden sich im Göhrener Kirchenbuch bis 1837.

Grünow. Pr. Neustrelitz.

Sämmtliche Register beginnen 1680, jedoch lückenhaft bis 1725. Cm. und Cfm. 1836. Zugehörige Kirchen Dolgen und Goldenbaum ebenso. Die Register sind in einem Buche.

Helpt. Pr. Woldegk.

T. 1746. Tr. 1748. H. 1747. Cm. 1851. Cfm. 1775. Zugehörige Kirche Kreckow T. 1747. Tr. 1747. B. 1747. Cm. 1851. Cfm. 1775. Zugehörige Kirche Holzendorf T. Tr. B. 1704, mit Ausnahme der in Groß=Daberkow verwahrten Register von 1803-1810; Cm. 1851; Cfm. 1822. Das Pfarrhaus in Helpt ist 1736 mit sämmtlichen Akten durch Brand vernichtet worden. Die Register sind getrennt.

Herrnburg, Pr. Ratzeburg.

T. Tr. B. beginnen 1649. Lücken in T. 1695, 1714 in Tr. 1655, 1713-1716, 1739-1740 und in B. 1695, 1713-1716, 1739; Cm. seit 1775 Zahlenregister. Cfm. 1784-1802, dann seit 1810.

Hinrichshagen. Pr. Woldegk.

T. 1728. Tr. 1728. B. 1728. Cm. 1851. Cfm. 1810. Dasselbe gilt von den Registern der zugehörigen Kirchen Rehberg und Ballin, die getrennt von Hinrichshagen geführt sind, jedoch sind Lücken im Rehberger B. von 1745-1760, im Balliner Tr. von 1770-1773 und B. von 1751-1766.

Jatzke. Pr. Friedland.

T. 1682; unvollständig 1747-1757. Tr. 1690; Lücke 1746 bis 1757. B. 1691; Lücke 1743-1757. Cm. 1851. Cfm. 1801. In den Sterberegistern sind zuweilen kurze Aufzeichnungen über das Leben der Verstorbenen. Zugehörige Kirche Genzkow: T. 1676. Tr. 1692. B. 1690. Lücke in allen drei Registern von 1747-1757. Die Register sind getrennt.

Käbelich. Pr. Stargard.

T. 1665; Lücke 1700-1702. Tr. 1665; Lücken 1699-1702 und 1730-1756. B. 1665; Lücken 1700-1702 und

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1739-1756. Cm. 1851. Cfm. 1757. Zugehörige Kirche Petersdorf ebenso. Die Annalen enthalten eine Uebersicht über die Lebensläufe der Pastoren seit dem dreißigjährigen Kriege und die merkwürdigen Ereignisse in der Pfarre von 1806-1834. Die Register sind bis 1809 in einem Buche, seit 1810 getrennt geführt.

Kotelow. Pr. Friedland.

T. Tr. B. 1803; Cm. 1851; Cfm. 1804; ebenso in den Zugehörigen Kirchen Klockow und Wittenborn, und zwar bis 1809 in einem Buche, dann getrennt in drei Büchern. Frühere zugehörige Kirche Lübbersdorf s. Friedland, St. Marien.

Kratzeburg, Pr. Wesenberg=Mirow.

T. Ti. B. beginnen 1700, mit Lücken 1709-1711 und 1749. Cm. 1851. Cfm. 1787. Dasselbe gilt von der zugehörigen Kirche Granzin. Die Register sind von 1700-1708 in einem Buche getrennt geführt, von 1711-1748 haben beide Kirchen gemeinsame Register; von 1750-1810 sind sie wieder getrennt, jedoch in einem Buche geführt. Seitdem hat jede Kirche ihre eigenen Register in einem eigenen Buche.

Kublank. Pr. Stargard.

T. 1756. Tr. 1784. B. 1783. Cm. 1845. Cfm. 1846. Zugehörige Kirchen Golm und Neetzka: T. 1778 und 1779. Tr. 1784. B. 1784. Cm. 1845. Cfm. 1846. Ein älteres Kirchenbuch von 1736 an ist im Jahre 1783 verbrannt, als die Pfarre mit dem halben Dorfe Kublank abbrannte. In den Registern sind Nachrichten über die Pfarrer seit 1568 enthalten.

Lübsee. Pr. Gadebusch in Meklenburg=Schwerin (für Blüssen, Grieben, Lübseerhagen, Menzendorf).

T. 1653; Lücke Juli 1654 bis Juli 1683. Tr. 1680; Lücke 1683-1686 Oktober. B. 1691. Cfm. 1806. Cm. wird nicht geführt.

Mirow. Pr. Wesenberg=Mirow.

T. 1690. Tr. 1754. B. 1754. Cm. 1851. Cfm. 1770. Zugehörige Kirchen Leussow und Zirtow ebenso. Die Register sind in einem Buche.

Mummendorf Pr. Grevesmühlen in Meklenburg= Schwerin (für Papenhusen, Rodenberg, Rüschenbeck).

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T. Tr. B. beginnen 1653; bei T. fehlt 1655; bei Tr. fehlen 1675, 1684, 1693, 1715, 1719, 1735, 1737; bei B. fehlt 1736. Cm. 1869. Cfm. 1800.

Mustin im Herzogthum Lauenburg (für Lankow).

T. Tr. B. beginnen 1628, Cm. 1764 (aber lückenhaft), Cfm. 1771. In dem ältesten Kirchenbuche sind an einigen Stellen ortsgeschichtliche Nachrichten.

Neddemin. Pr. Neubrandenburg.

T. 1703; Lücke 1717-1768. Tr. 1703; Lücke 1714-1770. B. 1768. Cm. 1819. Cfm. 1810. Zugehörige Kirchen Trollenhagen und Podewall: T. 1703. Lücke 1717-1768. Tr. 1703. Lühe 1714-1769. B. 1770. Cm. 1819. Cfm. 1810. Die Aufzeichnungen vor 1703 sind angeblich durch einen Brand der Pfarre vernichtet worden. Die Register sind seit 1810 ständig getrennt.

Neubrandenburg. Pr. Neubrandenburg.

St. Marien. T. 1611, lückenhaft bis 1700. Die Jahrgänge 1636-1639 fehlen. Tr. 1702. B. 1702. Cm. 1809. Cfm. 1822.
St. Johannis. T. 1741. Tr. 1761. B. 1763. Cm. 1852. Ctm. 1844.

Neuenkirchen. Pr. Neubrandenburg.

T. Tr. B. Cfm. fangen 1729 an, Cm. 1760; dasselbe gilt von der zugehörigen Kirche Ihlenfeld. Die Register sind seit 1850 getrennt, bis dahin in einem Buche geführt.

Neustrelitz. Pr. Neustrelitz.

Schloßkirche. T. 1736 mit Lücke von 1750-1753. Tr. 1737 mit Lücke von 1738-1750. B. 1737 mit Lücke von 1738-1754. Cm. 1849. Cfm. 1810.
Stadtkirche. T. Tr. B. 1756. Cm. 1838. Cfm. 1756. Zugehörige Kirche Zierke ebenso. Die Register bis 1844 in einem Buch, seitdem getrennt. Aeltere Register für Zierke siehe bei Prillwitz. Bis 1840 auch Register für die Militärgemeinde, die seitdem ein eigenes Militärkirchenbuch führt.

Neverin. Pr. Neubrandenburg.

T., 1791, anscheinend lückenhaft. Tr. 1791, mit Lücke von 1799-1831. B. 1759, mit Lücken von 1766-1806, 1808-1831. Cm. 1851. Cfm. 1831. Zugehörige Kirche Glocksin: T. 1791, anscheinend lückenhaft, Tr. 1791, bis

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1843 fast gar keine Angaben. B. 1831. Cm. 1851. Cfm. 1831. Die Register sind getrennt geführt.

Nusse im Lübeckischen (für Hammer, Mannhagen, Panten und Walksfelde).

Die Kirchenbücher von Nusse, die auch die Eintragungen für die vier Strelitzer Ortschaften enthalten, beginnen 1614 und sind von 1625 an regelmäßig geführt. Im ältesten Band von 1614-1641 manche ortsgeschichtliche Nachrichten. Genauere Nachrichten waren von der Pfarre nicht zu erhalten.

Plath. Pr. Woldegk.

Errichtet 1892, vorher eingepfarrt gewesen in Göhren. Filiale Leppin. Alle Register beginnen auf der Pfarre 1837; die älteren Aufzeichnungen finden sich im Göhrener Kirchenbuch.

Prillwitz. Pr. Neustrelitz.

Zugehörige Kirchen: Zierke (1756 nach Neustrelitz verlegt), Usadel (1720 eingegangen), Hohenzieritz, Weisdin, Blumenholz. Prillwitz: T. 1719. Tr. 1772. B. 1755. Cm. 1805. Cfm. 1764; Zierke: T. Tr. B. 1713-1756. Cfm. 1714-1756; Usadel: T. 1701, sonst wie bei Prillwitz. Hohenzieritz: T. 1699, sonst wie bei Prillwitz. Weisdin und Blumenholz bis 1756 wie bei Zierke, dann wie bei Prillwitz. Größere Lücken finden sich anscheinend nur um 1750.

Ratzeburg. Pr. Ratzeburg.

Domgemeinde. T. 1641. Tr. 1641, mit Lücke von 1748 bis 1749. B. 1641, mit Lücke von 1728-1751. Cm. 1802. Lücken von 1831-1852 und 1858. Cfm. 1803.

Rehna. Pr. Gadebusch, Meklenburg= Schwerin (für Falkenhagen). T. 1641. Tr.

1724. B. 1724. Cfm. 1800. Cm. nicht vorhanden.

Rödlin. Pr. Stargard.

Errichtet 1679. Zugehörige Kirchen Cammin und Möllenbeck (seit 1752, vorher bei Bredenfelde). In Rödlin und Cammin T. 1680, Tr. 1680, B. 1764, lückenlos; Cm. 1826, Cfm. 1810. In Möllenbeck: T. und Tr. seit 1752, B. seit 1764, Cm. 1819, Cfm. seit 1834 für sich, vorher mit Rödlin zusammen. Die Register sind bis 1776 in einem Buche, von da an getrennt geführt worden.

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Roga. Pr. Friedland.

T. 1704, mit Lücke von 1734-1754. Tr. 1694, mit Lücke von 1728-1763. B. 1696, mit Lücke von 1728 bis 1762. Cm. 1700. Cfm. 1810. Zugehörige Kirche Bassow: T. 1702, Tr. 1696, B. 1696; Lücken in denselben Jahren wie bei Roga. Cm. 1700. Cfm. 1810.

Rühlow. Pr. Neubrandenburg.

Zugehörigen Kirchen Glienke und Sadelkow. T. und Tr. überall ohne Lücken seit 1693, B. 1716, Cm. 1851; Cfm. 1770. Die Register sind getrennt geführt.

Schillersdorf. Pr. Wesenberg=Mirow.

T. 1679. Tr. und B. 1680. Cm. 1844. Cfm. 1829. Im Jahre 1664 ist Schillersdorf mit der Pfarre abgebrannt und die meisten Kirchenschriften sind dabei verloren gegangen. Zugehörige Kirchen sind Qualzow, Babke, Roggentin und Blankenförde. Qualzow: T. B. 1679. Tr. 1682. Babke: T. 1679. Tr. 1678. B. 1685. Roggentin: T. 1679. Tr. 1678. B. 1680. Blankenförde: T. 1678. Tr. 1680. B. 1678. Cm. in allen zugehörigen Kirchen 1844. Seit 1844 getrennte Register.

Schlagsdorf, Pr. Ratzeburg.

T. 1641, Tr. 1642, mit Lücke von 1670-1673. B. 1641, mit Lücke von 1671-1672. Cm. 1732. Lücke von 1755 bis 1838. Cfm.1765.

Schönbeck. Pr. Friedland.

T. 1673, Lücke 1709-1719. Tr. 1799. B 1799. Cm. 1799. Cfm. 1800. Zugehörige Kirchen Lindow und Brohm ebenso. Die Register sind seit 1799 getrennt geführt.

Schönberg. Pr. Ratzeburg.

T. 1640. Tr. 1640; Lücken 1665-1669 und 1672. B. 1642. Cm. 1851. Cfm. 1810.

Schwanbeck. Pr. Friedland.

T. 1676. Tr. 1678. B. 1679. Cm. 1851. Cfm. 1810. Zugehörige Kirche Salow: T. 1650. Tr. 1649. B. 1650. Cm. 1851. Cfm. 1810. Die Register sind bis 1809 in einem Buche, seit 1810 in getrennten Büchern geführt.

Schwichtenberg. Pr. Friedland.

T. 1687. Tr. 1764. B. 1765. Cm. 1851. Cfm. 1810. Zugehörige Kirche Sandhagen ebenso. Zugehörige Kirche

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Bresewitz: T. 1687. Tr. 1764. B. 1775. Cm. 1851. Cfm. in Schwanbeck und Friedland geführt, wo die Bresewitzer Kinder confirmirt sind. Ein älteres Taufregister für alle drei Kirchen ist am 11. Juni 1686 bei einem Brande des Pfarrhauses zerstört worden. Register in einem Bande.

Selmsdorf. Pr. Ratzeburg.

T. 1624, mit Lücken von 1666-1667, 1697-1699, 1722 bis 1725, 1735 und 1736. Tr. 1644. B. 1644. Cm. 1875. Cfm. 1775, 1787, 1792, dann regelmäßig. Zur Pfarre gehört die Siechenhauskapelle St. Jürgen.

Stargard i. M. Pr. Stargard.

T. 1756. Tr. 1756. Lücken 1766-1767, 1722-1777 und 1788. B. 1756. Lücke 1773-1777. Cm. 1810. Cfm. 1757. Lücken 1763-1778, 1783-1792 und 1794. Zugehörige Kirchen Bargensdorf, Quastenberg und Sabel ebenso. Durch große Brände in den Jahren 1588, 1676, 1709 und 1758 ist fast die ganze Stadt und mehrmals auch die Pfarre zerstört worden. Die Register in einem Buche.

Staven. Pr. Neubrandenburg.

T. 1716. Tr. 1747. B. 1765. Cm. 1852. Cfm. 1810. Zugehörige Kirchen Roggenhagen und Rossow ebenso. Seit 1832 sind die Register getrennt.

Sterley im Herzogthum Lauenburg (für Horst und Neuhorst).

T., Tr., H., Cfm. 1735. Cm. 1768. Außer diesen Registern ist ein altes Kirchenbuch vorhanden, das sehr lückenhafte Eintragungen über Taufen, Trauungen und Beerdigungen aus den Jahren 1660-1718 enthält.

Strasen. Pr. Wesenberg=Mirow.

Zugehörige Kirchen Priepert und Wustrow. Alle Register beginnen 1803. Die Verstorbenen sind von 1803-1809 ohne Angabe des Beerdigungstages verzeichnet). DieKirchenbücher sind 1864 verbrannt und die Jahrgänge 1803-1863 sind Abschriften aus dem Duplikat des Konsistoriums. Ueber ältere Register ist nichts bekannt. Die Register bis 1835 getrennt, von 1836 an vereinigt.

Strelitz. Pr. Neustrelitz.

T. 1620, mit Lücken von 1622-1637 und 1700-1709. Tr. 1621, mit Lücken von 1622-1639, 1700-1713,

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1726-1804. B. 1621, mit Lücken von 1676-1804. Die Zahl der Cm. in den Accidentienbüchern vermerkt. Cfm. 1790, bis 1810 im Kirchenbuch von Userin.
Zugehörige Kirchen Userin und Groß=Quassow zur ersten Pfarre: T. 1639, mit Lücke von 1709-1761. Jedoch finden sich die Taufen von 1709-1761 zum Theil in den Registern der Stadtgemeinde. Tr. 1761. B. 1761. Cm. 1842. Cfm. 1790. Zugehörige Kirchen Fürstensee und Thurow zur zweiten Pfarre: In ersterer beginnen T. Tr. B. 1721, in letzterer 1731; Cm. und Cfm. in beiden 1801.

Teschendorf. Pr. Stargard.

T. und Tr. 1733. B. 1771. Cm. 1829. Cfm. 1736. Filiale Loitz: T. 1733. Tr. 1734. B. 1770. Cm. 1851. Cfm. 1736. Filiale Cantnitz (bis 1747): T. Tr. 1735 bis 1747. Cfm. 1736-1747. Für die spätere Zeit siehe unter Bredenfelde. Die Register sind von 1735-1811 in einem Buche, aber getrennt geführt; von 1810 in zwei Büchern je für Teschendorf und Loitz.

Tornow. Pr. Neustrelitz.

T. Tr. B. beginnen 1671; Cm. 1830; Cfm. 1825; die Register vor 1671 sind 1726 durch Brand zerstört worden. Zugehörige Kirchen Barsdorf, Dannenwalde und Blumenow ebenso. Die Register sind in einem Buche.

Triepkendorf. Pr. Woldegk. Errichtet 1750, vorher eingepfarrt in Carwitz.

T. 1720. Tr. 1720, mit Lücke von 1751-1755. B. 1720, mit Lücke von 1750-1755. Cm. 1850. Cfm. 1785, mit Lücke von 1813-1820. Zugehörige Kirche Mechow ebenso. Die Eintragungen sind in einem Buche durcheinander.

Wanzka. Pr. Stargard.

Zugehörige Kirchen in Rollenhagen, Zachow, Blankensee und Ballwitz (bis 1747). Ueberall: T. 1680. Tr. 1696. B. 1760. Cm. 1851. Cfm. 1782. Es sollen schon 1639 bis 1650 Verzeichnisse geführt worden sein, die aber schon im Jahre 1780 als nicht mehr vorhanden erwähnt werden. Die Register bis 1809 in einem Buche, seitdem getrennt

Warbende. Pr. Stargard.

T. 1715, Lücke 1787-1797. Tr. 1715, Lücke 1775-1797. B. 1715, Lücke 1783-1797. Cm. 1801. Cfm. 1799.

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Zugehörige Kirchen Quadenschönfeld, Gramelow und Watzkendorf: Die Register beginnen sämmtlich 1715 und 1716; Lücke von 1783-1797. Cm. 1801. Cfm. 1799. Die Register seit 1834 getrennt, bis dahin in einem Buche.

Warlin. Pr. Neubrandenburg.

T., Tr. 1711, B. 1765, Cm. 1851, Cfm. 1786, ebenso in der zugehörigen Kirche Pragsdorf. In der zugehörigen Kirche Sponholz T. 1740, Tr.1764, B. 1768, Cm. 1868, Cfm. 1786.

Weitin, Pr. Neubrandenburg.

Zugehörige Kirche Zirzow. Ueberall: T. 1699. Tr. 1713, Lücke 1736-1737. B. 1764. Cm. 1854. Cfm. 1713. Die Register sind in einem Buch geführt.

Wesenberg. Pr. Wesenberg=Mirow.

T. 1681, lückenhaft bis 1712. Tr. 1713. B. 1715. Cm. 1851. Cfm. 1760. In der zugehörigen Kirche Drosedow: T. 1742, Tr. 1743, B. 1742, Cm. 1851, Cfm. 1864. Die Register sind bis 1891 getrennt geführt.

Wokuhl. Pr. Neustrelitz.

Errichtet 1736, vorher von Grünow und Fürstenberg versorgt. Zugehörige Kirche Dabelow. Ueberall: T. und Tr. 1736. B. 1737. Cm. 1851. Cfm. 1737. Register in einem Buche.

Woldegk. Pr. Woldegk.

T. 1700. Tr. 1745. B. 1720. Cm. 1850. Cfm. 1810. Zugehörige Kirche Filiale Canzow ebenso. Zugehörige Kirche Pasenow: T. Tr. B. 1669. Cm. 1850. Cfm. 1810. Die Register von Woldegk und Pasenow stets getrennt, das von Canzow bis 1843 im Woldegker Kirchenbuch, seitdem auch getrennt.

Wulkenzin. Pr. Neubrandenburg.

Zugehörige Kirchen Gevezin und Passentin, letztere schwerinisch. Ueberall: T. und Tr. 1770. B. 1793. Cm. 1813. Cfm. 1804. Seit 1818 hat Passentin ein besonderes Buch, seit 1897 auch Gevezin.

Ziethen. Pr. Ratzeburg.

T. Tr. B. beginnen 1701; Cm. 1851, Cfm. 1810.

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III.

Mecklenburg im dreißigjährigen Kriege.

Von

Geh. Oberfinanzrath Balck. 1 )

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B ereits wiederholt habe ich in früheren Vorträgen die verderbliche Einwirkung des dreißigjährigen Krieges auf unsere Domanial=Bauern berührt. Heute beabsichtige ich weiter zu greifen und darzustellen, wie unser ganzes engeres Vaterland in jener Schreckenszeit gelitten hat. Aber die Anzahl der Kriegsjahre ist eine lange, die diesem Vortrage zugemessene Stunde bald ausgefüllt: ich muß mich deshalb darauf beschränken, den allgemeinen Wendungen des großen Krieges in Mecklenburg, den Durchzügen der verschiedenen Völker und Heere, den sich daran knüpfenden größeren Ereignissen, Belagerungen und Gefechten zu folgen, und am Schluß einige Schilderungen des damaligen, in ganz Mecklenburg herrschenden namenlosen Jammers zu geben. Von der Politik, namentlich den Verhandlungen unserer Herzöge mit dem deutschen Kaiser sowie mit deutschen und fremden Fürsten, will ich mich diesmal fern halten, denn dies würde heute zu weit führen, ist auch wenig erquicklich.

Das Material habe ich wesentlich direkt aus der Quelle, nämlich aus den überaus zahl= und inhaltsreichen Akten des hiesigen Großherzoglichen Geheimen und Hauptarchivs, geschöpft. Wenn sich, hoffentlich in nicht zu ferner Zeit, Jemand fände, am besten, namentlich auch zur Darstellung der strategischen Seiten, ein hier im Ruhestande weilender höherer Militär, welcher seine Muße zur allseitigen Erforschung und Bearbeitung des dort in einem halben Hundert dicker Aktenbündel an=


1) Vortrag, gehalten im Verein für Mecklenburgische Geschichte und Altertumskunde am 27. Februar 1902.
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gesammelten, von Anfang bis zu Ende vollständigen Stoffes verwenden wollte, so würde er sich selbst viel Anregung, manche interessante Stunde bereiten, und für Mecklenburg eine Geschichte des dreißigjährigen Krieges schreiben können, wie sie ausführlicher wohl kein anderes deutsches Land besitzt. Ueberhaupt ist nach meiner jetzigen Ueberzeugung auch eine erschöpfende und zutreffende allgemeine Geschichte des dreißigjährigen Krieges in Deutschland nur Demjenigen möglich, welcher auch die mecklenburgischen Archiv=Akten kennt.

schon zwei Jahre nach Ausbruch des großen Krieges pochten seine Boten auch an Mecklenburgs Thore. Es war im Frühling 1620, als König Jakob von England seinem von den protestantischen Ständen Böhmens zum König erwählten und von den Katholiken hart bedrängten Schwiegersohn, dem Kurfürsten Friedrich von der Pfalz, 3-4000 englische und schottische Söldner unter Lord Grey zu Hülfe sandte. Sie segelten bis Hamburg und wollten durch Mecklenburg und die Mark nach Böhmen marschiren. Sie kamen bis Boizenburg - nicht Dömitz, wie in unseren Geschichtsbüchern steht - und ließen von dortiger Grenze aus durch Kapitän Mosheim um Gestattung des Durchzuges bitten. Als neutraler deutscher Reichsfürst konnte aber Herzog Adolph Friedrich denselben den Feinden des deutschen Kaisers nicht freigeben, und jene nahmen dann ihren Marsch durchs Hannoversche. Auf alle Fälle, und wenn nöthig auch zur thätlichen Abwehr, waren die Boizenburg benachbarten Städte, Bauern und Lehnsleute aufgeboten, aber zu ihrem Glücke kam es nicht zum Kampfe, in welchem sie zweifelsohne den krieggewohnten fremden Söldnern unterlegen wären, zumal - nach des Herzogs Aufzeichnung in seinem Tagebuch - viele jüngere Edelleute nach damaliger Sitte in auswärtigen Kriegsdiensten waren. Frommer Glaubenseifer trieb sie nicht dazu, nur Begier nach Ehre und Gewinn, sie standen auf katholischer wie auf protestantischer Seite; kämpften doch selbst schon im Jahrhundert der Reformation Mecklenburger unter dem grausamen bigotten Alba gegen das protestantische Heldenvölkchen der Niederlande. Uebrigens war das in unruhigen Zeiten zusammenzurufende mecklenburgische Landesaufgebot auch für die eigene Heimath nicht ganz ohne Gefahr. Als 1621 eine Musterung des Landesaufgebots bei Parchim zur Zufriedenheit der Befehlshaber verlief, sollen ihre Leute als Belohnung die Plünderung dieser Stadt ausdrücklich verlangt haben, und dies mag wahr sein oder nicht - die Thatsache wird durch die städtische Chronik beglaubigt, daß

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damals das Aufgebot mit Gewalt in Parchim eindrang und dort die gröbsten Ausschreitungen verübte.

Auch noch in den nächstfolgenden Jahren verstanden die mecklenburgischen Herzöge durch strenge Neutralität den Frieden in ihren Landen zu wahren. Hülfs= und Unterstützungsgesuche des in der Schlacht am weißen Berge vor Prag vom kaiserlichen General Bucquoi geschlagenen böhmischen Königs Friedrich - des entlaufenen Königs, wie Herzog Adolph Friedrich ihn in seinem Tagebuche bezeichnet -, sowie des vom kaiserlichen General Tilly bei Wimpfen besiegten Markgrafen Georg von Baden, ebenso des vor Tilly bei Höchst unterlegenen Herzogs Christian von Braunschweig, auch des tapferen Grafen Ernst von Mansfeld fanden kein Gehör. - Aber näher und näher aus Sachsen, Böhmen und Bayern rückten die kaiserlichen Heere unter Niederwerfung ihrer Gegner gegen den Norden Deutschlands und erweckten in den niedersächsischen Ständen die Besorgniß vor Wiederherstellung des Katholizismus und des kaiserlichen Absolutismus. Braunschweig, Pommern, Brandenburg, Mecklenburg, die freien Städte, Holstein - letzteres in der Person des Königs Christian von Dänemark - traten trotz der kaiserlichen Abmahnungen und beruhigenden Versicherungen 1625 zu einem sogen. Defensionsbunde zusammen. Kreisoberster war der König von Dänemark, welcher gleichzeitig in seiner letzteren Eigenschaft Bündnisse mit Frankreich, England, Holland gegen den deutschen Kaiser erstrebte, und dadurch auch dem Defensionsbunde ein feindliches Gepräge gab. Mecklenburgische Truppen stießen mit zur dänisch=holsteinschen Armee; nur die Stadt Rostock, welche Sonderpolitik trieb und es mit dem Kaiser nicht verderben wollte, verweigerte hartnäckig die Entsendung ihres herkömmlichen Kontingents - 400 Mann und zwei leichte Geschütze (Falconetlein) - ins dänische Lager. Auch wurde dem Könige von Dänemark gestattet, ein Regiment Fußvolk in Mecklenburg anzuwerben, welches auf dem platten Lande manche Exzesse beging, bis es endlich über Wismar zur See weiterbefördert wurde.

Im April 1626 unterlag der letzte protestantische Kämpfer, Graf Mansfeld, der Uebermacht Wallensteins an der Dessauer Brücke, die kaiserlichen Heere drangen unaufhaltsam weiter, und ein Zusammenstoß mit dem Defensionsbunde war nun unvermeidlich. Er erfolgte Ausgangs August bei Lutter am Barenberge; der Dänenkönig wurde von Tilly besiegt. Ein Theil seiner Armee unter Schlammersdorf zog sich über die Elbe nach Mecklenburg, besetzte ohne Weiteres die Festung Dömitz, Boizen=

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burg, Grabow, Lübz, Wittenburg, auch das Stiftsamt mit Stadt Bützow, dessen Administrator gerade damals ein Sohn des Königs war, und schonte Land und Leute umsoweniger, als die mecklenburgischen Herzöge schon wenige Tage nach der Schlacht sich vom Defensionsbunde losgesagt hatten und deshalb nicht länger als befreundet angesehen wurden, obgleich dieselben noch später den dänischen König bei der Belagerung von Bleckede mit Proviant und Munition unterstützten. Besonders das platte Land wurde arg mitgenommen; die erbitterten Bauern kämpften zwischen Lübtheen und Dömitz mit den plündernden Dänen und säuberten in größeren Rotten die Landstraßen von schwächeren Streitparteien, wobei auf beiden Seiten Gefangene sofort aufgeknüpft wurden.

Im Frühling 1627 zog Tilly sich näher an die Elbe und machte Anstalten zum Uebersetzen und zum Angriff auf die Dänen. Vorstellungen der mecklenburgischen Herzöge zum Einhalten begegnete er mit der Forderung, daß sie dann selbst die Dänen aus ihren Landen herauswerfen möchten, wozu sie doch zu schwach waren, wie denn auch ihre dringenden Anträge beim König von Dänemark um Entfernung seiner Truppen unbeachtet blieben. - Im August begann nun Tilly den Uebergang über die Elbe, aber sein Rivale Wallenstein, welcher bereits sein Auge auf Meklenburg gerichtet hatte und deshalb eine vorherige Besetzung des Landes durch Tilly ungern sah, kam ihm noch zuvor. Nachdem er seinen General Graf Schlick in Eilmärschen voraufgesandt hatte, welcher am 27. August vor Dömitz erschien, folgte er selbst schon am nächsten Tage und hielt unter Pauken= und Trompetenschall mit glänzendem Gefolge seinen feierlichen Einzug in die Stadt, bankettirte auch auf offener Straße in unmittelbarer Nähe der Festung. Diese selbst war von 400 Mann mit 4 schweren und 11 leichten Geschützen unter dem Kapitän Oberberg, einem Mecklenburger, besetzt, welcher schon vorher auf eigne Hand wegen der Uebergabe verhandelt hatte, die jedoch auf sein Befragen von der zum äußersten Widerstande entschlossenen Besatzung abgelehnt wurde. Ein wackerer Konstabler Namens Warkentien, später in gleicher Stellung auch zu Rostock, bat sogar wiederhol um Erlaubniß, seine beiden mit kleinen Kugeln vollgeladenen Geschütze auf die nahe Wallensteinsche Gruppe abbrennen zu dürfen, er wolle dafür einstehen, daß auch keiner sich wieder erheben solle, und ließ erst auf Oberbergs Drohungen davon ab. selbst die Dömitzer Bürger hatten vorher schon um Aufnahme von Weib und Kind in die Festung gebeten, welche sie dann bis

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auf den letzten Blutstropfen vertheidigen helfen wollten, aber vergebens. Am dritten Tage früh rückten die Kaiserlichen - 64 Fähnlein oder Kompagnien, die Fahnentücher alle schwarz und gelb gestreift, im gelben Felde der schwarze Doppeladler - zum Sturm an, da übergab Oberberg die Festung. - Er wurde demnächst vor ein Kriegsgericht gestellt, aber nicht verurtheilt, weil längerer Widerstand doch aussichtslos gewesen wäre.

Wallenstein selbst ging ohne Aufenthalt weiter ins Holsteinsche, um den Dänenkönig im eignen Lande anzugreifen, beauftragte aber seinen Oberst Arnim mit der Okkupation Mecklenburgs. Dieser besetzte alle mecklenburgischen Landstädte, jede mit 1-2 Kompagnien, auch die Festung Plau, und eroberte nach mehrwöchentlicher Belagerung die von den Dänen hartnäckig vertheidigte Stadt Bützow; die städtischen Einwohner mußten überall ihre Waffen abliefern.

Im Oktober 1627 schifften sich die Dänen in Wismar ein. Diese Stadt wollte zuerst den Kaiserlichen Widerstand leisten, doch bewog sie der Herzog Adolph Friedrich am Ende des Oktober zur gutwilligen Uebergabe und Einnahme einer freilich bald bedeutend verstärkten Besatzung von 1000 Mann unter Oberst Hebron, welcher aber wegen Ausschreitungen bald entfernt und durch Oberst Gramb ersetzt wurde; im Dezember räumten die Dänen auch Poel und die Mecklenburger den Walfisch. Auch das gut kaiserlich gesonnene Rostock sollte kaiserliche Besatzung einnehmen, kaufte sich aber für diesmal noch mit 140000 Thlr. los.

Im Januar und Februar 1628 verfügte darauf der Kaiser die Entsetzung der mecklenburgischen Herzöge wegen angeblichen Hochverraths, auch die zunächst pfand=, dann kaufweise Ueberlassung ihrer Lande an Wallenstein, von welchem namentlich auch die hiesige Wiederherstellung der katholischen Religion erwartet wurde; die Unterthanen wurden von ihren Eiden und Pflichten gegen ihr altangestammtes Herrscherhaus entbunden, die Stände mußten im März zu Güstrow ihrem neuen Landesherrn in der Person seines Vertreters, des Oberst St. Julien, huldigen. Gleichzeitig wurde auch das bis dahin verschonte Schloß zu Schwerin durch die kaiserlichen Hauptleute Hoffmann und Heyden besetzt; Herzog Adolph Friedrich entließ seine Truppen und behielt bei sich nur 18 Mann unter einem Wachtmeister. Auf Wallensteins Drängen mußten darauf im Mai beide Herzöge ihre Heimath verlassen. Sie verweilten eine Zeitlang zu Torgau, Reinharz, endlich seit Sommer 1629 dauernd zu Lübeck auf einem bischöflich bremischen Stiftshofe, im

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Hause des Patriziers Andreas Hundt und zu Hamsfelde bei Lübeck; baare Unterstützungen kamen vom dänischen Könige und von dem verwandten holsteinischen Herzoge und Bischof von Bremen, bedeutende Naturallieferungen von Getreuen aus allen mecklenburgischen Landestheilen. Die Kinder des Herzogs Adolph Friedrich wurden nach Stockholm an den Hof seines Vetters, des Königs Gustav Adolph, gebracht. Wallenstein selbst hielt im Juli seinen Einzug in seine erwählte Residenz Güstrow, hat aber nur gerade ein Jahr in seinem neuen Herzogthum verweilt und es im Juli 1629 zu weiteren Kriegszügen wieder verlassen. - Eine seiner ersten Sorgen war die Besetzung Rostocks, wozu die Stadt sich aber erst im Oktober verstand, als die kaiserliche Armee unter Wallensteins persönlicher Führung schon zum Sturm angetreten war; vereinbarungsmäßig sollte die kaiserliche Garnison nur 1000 Mann betragen, doch wurde sie bald vervierfacht; den Oberbefehl in der Stadt führte zuerst Graf Hatzfeldt und nach dessen Ermordung durch den überspannten Licentiaten Vahrmeyer der Freiherr von Virmond neben dem Grafen Barthold Wallenstein, einem Vetter des neuen mecklenburgischen Herrschers. Uebrigens war auch schon seit Februar Rostocks Lebensader zur See unterbunden durch Anlage von Schanzen seitens des Obersten Arnim zu Warnemünde zum Schutze gegen die Dänen, welche nun den dortigen Hafen mit ihren Schiffen blokirten, auch Rostocker Fahrzeuge kaperten.

Wie sehr sich Wallenstein auch als Landesherr bewährte, wie er vor Allem die höheren Behörden neu organisirte, die bereits vom Herzog Adolph Friedrich geplante Trennung der Justiz von der Administration durchführte, Handel, Schifffahrt, Fabriken, Bauten u. s. w. begünstigte, überall hin seine fürsorglichen Blicke lenkte, ist in unseren Jahrbüchern schon wiederholt und sehr eingehend dargelegt. Selbstverständlich war er auch bestrebt, sein neues Land möglichst von den schweren Kriegslasten zu befreien. Plünderungen und sonstige Ausschreitungen seiner Truppen wurden auch Strenge untersagt und aufs Härteste bestraft; aber der baare und naturale Unterhalt der letzteren, die Festungsbauten zu Rostock, Wismar, Dömitz, Plau und Boizenburg, wozu die angrenzenden Aemter und benachbarten Städte Mannschaft, Anspannung und Fuhrwerk stellen mußten - die Verproviantirung der Festungen aus dem ganzen Lande - brachten drückende Opfer mit sich und ließen die Unterthanen nicht zur Ruhe und Erholung gelangen.

Indessen waren die mecklenburgischen Herzöge in der Ver=

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bannung nicht müßig, sondern auf den Wiedergewinn ihrer Länder bedacht. Sie setzten sich vor Allem mit ihrem Vetter, dem Schwedenkönig Gustav Adolph, in Verbindung, welcher aber zunächst noch durch seinen Krieg mit Polen in Anspruch genommen war, jedoch nach dem 1629 erfolgten Friedensschluß seine Blicke auf Deutschland richtete und dem deutschen Kaiser den Krieg erklärte. Er landete mit seinem kriegserprobten Heere im Juli 1630 in Pommern, nahm den Kaiserlichen Wolgast und Stargard ab, wandte sich Ende September nach Mecklenburg und eroberte nach wiederholten vergeblichen Stürmen auf das Marlower Thor durch nächtliches Uebersteigen der Mauern das vom kaiserlichen Kommandanten Metzeroth vertheidigte Ribnitz, dessen Besatzung theils niedergemacht, theils gefangen wurde, theils nach Rostock hin entfloh. Weil die mecklenburgischen Herzöge, welche noch nicht hinlänglich gerüstet waren, von der Lübecker Seite her den erwarteten Vorstoß nicht machten, kehrte Gustav Adolph zunächst nach Pommern zurück, gewann aber wieder im Februar 1631 durch Kapitulation des kaiserlichen Obersten Marsou Neubrandenburg, welches er durch seinen General Dodo von In= und Kniephausen und 2000 Mann besetzen und stark befestigen ließ. Bereits Mitte März erschien aber Tilly vor der Stadt, belagerte und erstürmte sie unter großen Verlusten und richtete unter den Schweden, von denen nur 60 mit ihrem Kommandanten lebend gefangen wurden, wie unter den Einwohnern ein schreckliches Blutbad an; vor gänzlicher Zerstörung rettete die Stadt wohl nur die Rücksicht auf Wallenstein, den neuen Landesherrn. Die Schweden aber waren so erbittert, daß sie eine Zeitlang bei Begegnungen mit den Kaiserlichen die Besiegten und um Pardon Bittenden mit dem Zuruf "Neubrandenburgsch Quartier" ohne Weiteres niedermachten.

Im Juni 1631 nahmen einzelne schwedische Streifkorps meklenburgische Plätze, so Oberst Pauly Güstrow, Rittmeister Moltke Malchin. Nachdem darauf Gustav Adolph die mecklenburgischen Herzöge förmlich als Landesherrn wieder eingesetzt und proklamirt hatte, brachen diese nach Vollendung ihrer Rüstungen mittelst schwedischer Gelder und Mannschaften, Ende Juli mit etwa 2000 Mann von Lübeck auf. Den Oberbefehl führten die Obersten Kalkum, gen. von Lohausen, aus dänischen Diensten übernommen, auch in der Literaturgeschichte wohl bekannt, und dü Menil; Hauptleute waren die Mecklenburger Raben, Holstein, Bülow, Zülow, Ilenfeld, sowie die Holsteiner Buchwald, Alefeld, Wisch. Am dritten Tage vor Schwerin an=

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gelangt, begann sofort der Sturm auf die von nur etwa zweihundert Kaiserlichen unter den Hauptleuten Milatz und Kelly verteidigte Stadt; unter nicht beträchtlichen beiderseitigen Verlusten brachen die Mecklenburger am schwächsten Punkte der Befestigung, nämlich durch das Spielthor - wo auch im nächsten Jahrhundert zu Herzog Karl Leopolds Zeiten die Hannoveraner eindrangen -, in die Stadt. Die Kaiserlichen zogen sich ins Schloß; die Mecklenburger führten von der alten Kanzlei aus quer über die Reitbahn auf dem alten Garten bis zur Brücke Laufgräben, von wo aus sie das Schloß unter Feuer nahmen, welches aber kräftig erwidert wurde und auch mehrere Einwohner in ihren Häusern tödtete; als aber am zehnten Tage sechs Fähnlein Finnländer mit fünf Feldstücken auf den Ostorfer Bergen schanzten und das Schloß beschossen, gleichzeitig auch alle Prähme und Kähne der Umgegend herangeschafft wurden und von allen Seiten gleichzeitig gestürmt werden sollte, ergab sich die kaiserliche Besatzung gegen freien Abzug. - Herzog Adolph Friedrichs erste Sorge nach Wiedergewinn seines Stammschlosses war dessen gehörige Befestigung und Armirung. Er erbat zu solchem Zwecke leihweise Ueberlassung einiger Kanonen vom Erzbischof von Bremen, welcher aber antwortete, daß er durch seinen Kammerdiener (!) seine Geschütze habe untersuchen lassen, von diesem aber nur wenige brauchbar befunden seien, deren er selbst bedürfe. Endlich scheint von schwedischen Schiffen vor Wismar ausgeholfen zu sein.

Schnell setzten nun Mecklenburger und Schweden vereint, letztere unter General Tott, welcher sich aber Manches gegen die Herzöge herausnahm, die Einnahme der festen Plätze fort. - Schon Ende Juni hatte sich die Burg Plau, nachdem deren kaiserlicher Kommandant zu seiner Vertheidigung die Stadt angezündet und halb niedergebrannt hatte, dem schwedischen Oberst Monroe, einem Schotten, übergeben. - Dann gings Ende Juli vor Wismar, welches aber nebst dem Walfisch von dem kaiserlichen Kommandanten Freiherrn von Gramp trotz enger Blokade hartnäckig gehalten wurde; in der Belagerungsarmee werden auch als schwedische Obersten Mitglieder der mecklenburgischen Familien Moltke, Flotow, Stralendorf, Plüskow, Dewitz, Gadow genannt. Erst im Januar 1632, als Proviant mangelte, und auf Hülfe von Außen keine Aussicht war, erfolgte die Uebergabe gegen Abzug mit allen kriegerischen Ehren, d. h. "mit 2 schweren Karthaunen und einem Feldgeschütz und 20 Schuß, fliegenden Fähnlein. und Kornets (Standarten), Ober= und Untergewehr,

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brennenden Lunten, gefülltem Bandolier, die Kugel im Munde, unter Rühren aller Kriegsinstrumente." Gramp brach aber die Kapitulation, weil er einen Offizier der ihn und seine Truppen durch Mecklenburg bis zur Grenze geleitenden Bedeckungsmannschaft, welcher jene zum Uebertritt zu werben versuchte, ohne Weiteres niederschießen ließ; er wurde noch innerhalb Mecklenburgs von einer ihm nachgesandten größeren Truppenmacht eingeholt, kaufte sich von der verwirkten Todesstrafe durch 14000 Thaler los, und seine Soldaten wurden als kriegsgefangen "unterstellt", d. h. der schwedisch=mecklenburgischen Armee eingereihet. Dies war damals bei Gefangenen überall üblich; heimliche Deserteurs wurden ohne Weiteres aufgeknüpft und die Reihen der Gefangenen immer sehr genau danach abgesucht, aber Kriegsgefangenen, Offizieren wie Gemeinen, war der Uebertritt unter die feindliche Armee gestattet. Der schwedische General Banèr klagt gelegentlich darüber, daß seine Regimenter meistens aus. "Untergestellten" beständen. - Kommandant zu Wismar wurde gegen den Wunsch der mecklenburgischen Herzöge der Schwede Ryning, welchem demnächst noch während des Krieges seine Landsleute Liljesparre und Ulfsparre folgten; so wurde Wismar thatsächlich schon damals und noch vor dem Westfälischen Frieden für Mecklenburg verloren, das Ein= und Ausgangsthor für die schwedischen Streitmächte, der Anziehungspunkt für Schwedens Feinde, und dadurch Mecklenburgs Geißel.

Nachdem schon im September 1631 die Warnemünder Schanzen von den Mecklenburgern erobert, aber auch von Schweden besetzt waren, kapitulirte nach mehrwöchentlicher Belagerung im Oktober auch Virmond zu Rostock mit kriegerischen Ehren. Eine zweimalige Freudensalve von allen Regimentern rings um die Stadt mit 49 Geschützen und Kleingewehr feierte den Sieg. Kommandant wurde hier der mecklenburgische Befehlshaber Lohausen, der auch die Stadt während des ganzen Krieges zu behaupten verstand, sodaß sie nie in Feindes Hände fiel und der sichere Zufluchtsort vieler Tausende aus den übrigen Landestheilen wurde. - Im Dezember 1631 erhielt auch der kaiserliche Oberst Straube zu Dömitz mit 500 Mann freien Abzug; die Festung wurde von Mecklenburgern besetzt. - Leider war die Wegnahme dieser festen Plätze nicht ohne den völligen Ruin der meilenweiten Umgebung derselben ermöglicht, denn die Belagerer hausten dabei wie in Feindesland. Als im Lager vor Wismar bei Trommel= und Trompetenschall verkündet wurde, daß alle Marodeurs sofort aufgehängt werden sollten, rotteten sich die

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Soldaten zusammen und riefen: "Man gebe uns, was uns gebührt, dann wollen wir schon des Fürsten Gebote befolgen."

Ende Januar 1632 waren die letzten Kaiserlichen aus dem Lande, auch die Schweden rückten demnächst ab bis auf die Garnisonen zu Wismar und Warnemünde. Am 29. Februar 1632 schlossen die mecklenburgischen Herzöge zu Frankfurt a. Main ein festes Bündniß mit Gustav Adolph, versprachen monatlich 10000 Thaler Subsidien und wiesen sogen. Lauf= und Musterplätze innerhalb Landes für schwedische Truppenwerbungen an, wodurch nur zu oft Gelegenheit zu wüsten Exzessen der Angeworbenen gegeben wurde. Immer deutlicher trat auch allmählich zu Tage, daß wohl nicht bloßer frommer Glaubenseifer den großen Schwedenkönig nach Deutschland geführt hatte, sondern auch die Absicht zur Erweiterung der schwedischen Macht. Darum auch die im Bündnißvertrage ausdrücklich vorbehaltene schwedische Besetzung von Wismar und Warnemünde, daraus auch nur die Arroganz der schwedischen Generäle erklärlich. Im Großherzoglichen Archiv liegt Abschrift eines schwedischen Geheimraths=Beschlusses von 1640, wonach die Vereinigung Dänemarks, Pommerns, Mecklenburgs mit Schweden zu einem großen nordischen Reiche erstrebt werden sollte - dies mochte auch schon dem Schwedenkönig vorgeschwebt haben. -

Waren nun auch die großen Heere abgezogen, so hatte Mecklenburg doch noch viel vom Kriegsvolk zu leiden. Zunächst von den von dem fernen Kriegsschauplatz kommenden schwedischen Regimentern, welche mehr oder weniger aufgerieben waren und nun in der Heimath wieder kompletirt werden sollten, dann auch von den frischen aus Schweden kommenden Regimentern, - welche sämmtlich ihren Weg über Wismar und durch Mecklenburg nahmen. So lange Gustav Adolph noch lebte, hielten sie leidliche Mannszucht, aber nach seinem Heldentode bei Lützen am 6. November 1632 hausten jene hier häufig wie in Feindesland. - Ganz vereinzelt erschien hier auch im März 1634 ein schwedisches Kavallerieregiment unter Oberst Bomsdorf, welches von Hildesheim nach der Mark bestimmt war, aber auf dem geraden Wege überall nur Wüsten gefunden hatte, deshalb nothgedrungen weit abweichend einzelne Oasen aufsuchte und so auch nach Mecklenburg verschlagen war; Raub und Verheerungen kennzeichneten seine Bahnen. - sehr beschwerlich waren auch die Hin= und Herreisen der schwedischen Offiziere, die Transporte der Ihrigen, auch zahlreicher Leichen Gestorbener und Gefallener durch das Land über Wismar; zur Bedeckung gingen stets Reitertrupps, zuweilen

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bis zu einigen Hundert mit, welche dann überall freie Beköstigung und Quartier verlangten und dabei an Kostbarkeiten mitnahmen, was sie fassen konnten. Die so häufige Detachirung von Kavallerie zu solchen privaten Zwecken war überall üblich, auch nur dadurch ermöglicht, daß jene damals regelmäßig bedeutend stärker war als das Fußvolk.

Auch abgesehen hiervon waren die inneren Zustände in Mecklenburg in jener Zeit nicht erquicklich. Die Herzöge waren zur Auflage hoher Steuern genöthigt und geriethen darüber mit ihren Ständen in Streit. Letztere waren ohnehin dadurch erbittert, daß die Herzöge nun sehr scharf gegen diejenigen aus ihrer Mitte, sowie überhaupt gegen alle Mecklenburger vorgingen, welche - vielfach nicht aus mangelndem Patriotismus, sondern gerade, um ihrem Vaterlande auch in schweren Zeiten zu dienen, da sie ihrem in der Ferne weilenden angestammten Landesherrn doch Nichts sein konnten - Beamte unter Wallenstein gewesen waren, dessen Streben aus naheliegenden Zweckmäßigkeitsgründen vorwiegend auf Anstellung von Landeskindern gerichtet war. Besonders die Familien Lühe, Moltke, Plessen wurden vom Unwillen der Fürsten betroffen und theilweise ihrer Güter für verlustig erklärt. Gustav Adolph nahm auch hier Bedacht, seine schwedischen Offiziere für die Dauer in Mecklenburg ansässig zu machen, indem er von den Herzögen die konfiszirten Besitzungen für jene begehrte, theilweis auch selbst ohne Weiteres willkürlich darüber verfügte. Viel Zank und Prozeß entstand nach dem Kriege über Zurückerlangung dieser Güter.

Doch war dies Alles Nichts gegen das nun Kommende. - Im September 1634 war der tapfere Herzog Bernhard von Weimar bei Nördlingen vom General Gallas aufs Haupt geschlagen und die Kaiserlichen drangen überall wieder vor. Sachsen und Brandenburg beeilten sich deshalb, mit dem Kaiser im Mai 1635 zu Prag Frieden zu schließen, dem auch die mecklenburgischen Herzöge nachträglich beitraten, ohne jedoch an dem Kampfe gegen Schweden sich aktiv zu betheiligen. Letzteres erblickte aber nun in Mecklenburg seinen Feind und der große schwedische Reichskanzler Oxenstjerna erließ Drohbriefe an die Herzöge, welchen er den "rothen Hahn auf den Dächern" ankündigte. Der schwedische General Banèr kam in Eilmärschen aus Schlesien, wo er siegreich gekämpft hatte. schwedische Leibregimenter unter den Obersten Oesterling und Wachtmeister besetzten im September Schwerin und brandschatzten; das Schloß war mit einer ausreichenden mecklenburgischen Besatzung unter

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Leutnant von Kamptz versehen, welcher vom Herzog Adolph Friedrich den Befehl hatte, es bis auf den letzten Blutstropfen zu halten, und scheint während des ganzen Krieges frei vom Feinde geblieben zu sein. Dömitz und Plau wurden von den Schweden ohne Schwertstreich genommen; die schwedische Garnison zu Wismar machte sich meilenweit durch Plünderungen und Gewaltthaten bemerkbar. Zu Bützow und Güstrow wurden mehrere Kompagnien mecklenburgischer Truppen ohne Weiteres unter schwedische Regimenter gesteckt.

Die Kaiserlichen waren noch fern, aber der Kurfürst Johann Georg von Sachsen bewährte sich als neuer treuer Bundesgenosse und überschritt mit einem stattlichen Heere Mecklenburgs Grenzen. Sein General Baudissin lagerte sich mit 7000 Mann Infanterie Ende November 1635 vor Dömitz, der schwedische Festungskommandant Jeßvitzky ließ zu besserer Vertheidigung die Stadt in Brand stecken. Banèr aber sandte seinen General Ruthven, einen Schotten, mit 4000 Reitern und 800 Musketieren, die sich auf die Sachsen warfen, während gleichzeitig Jeßvitzky aus der Festung einen Ausfall machte; die Hälfte wurde getödtet, der Rest gefangen und den Schweden eingereihet; Baudissin selbst konnte sich nur schwimmend über die Elbe retten. Merkwürdiger Weise schreibt Herzog Adolph Friedrich schon 4 Wochen früher, Ende Oktober, in seinem Tagebuche von einem schwedischen Siege bei Dömitz, der damals nicht stattgefunden hat und nur auf einem bloßen Gerücht beruhen konnte. - Andererseits errangen die Sachsen einige Vortheile, indem ihr Oberst Unger zu Grabow eine schwedische Kompagnie unter Vietinghof gefangen nahm und noch im November die Festung Plau von ihnen erstürmt wurde. - Gleichzeitig aber vernichtete Banèr zwischen Goldberg und Parchim drei sächsische Reiterregimenter, besiegte auch im September 1636 bei Wittstock den sächsischen Kurfürsten selbst vollständig; im Oktober eroberte der schwedische Oberst Mortaigne Plau zurück, wobei die Stadt zur Ruine ward.

Im März 1637 starb der letzte Herzog von Pommem, Bogislav XIV., der Kurfürst von Brandenburg hatte alte Erbrechte darauf, aber Schweden versuchte sich in Pommern zu behaupten. Banèr zog frische Truppen aus Schweden heran, und zwischen ihm, sowie auf der andern Seite den Kaiserlichen unter Gallas, den Brandenburgern unter Klitzing und Kracht und den Sachsen unter Dehne und Vitzthum wogte der Kampf hin und her ohne Unterbrechung, aber auch ohne entscheidende Schläge, bald in Pommem, bald in Mecklenburg, für beide Länder überall

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Tod und Verderben bringend. - Im Sommer 1637 machte die schwedische Garnison aus Wismar einen Ausfall nach Warin und vernichtete dort das Regiment des kaiserlichen Oberst Krikenberg, bei welcher Gelegenheit der große Brand entstanden sein wird, der um jene Zeit den ganzen Ort in Asche legte; dagegen wurde Plau wieder von den Kaiserlichen genommen. Im September lagerten sich die Brandenburger vor Dömitz, dessen Festung sich erst ergab, als zwei ihrer Bastionen in Grund und Boden geschossen waren und eine Bresche zum Sturm offenstand.

Im März 1638 eroberten die Sachsen die Warnemünder Schanzen, wobei ihr General Vitzthum fiel, konnten sie aber nur kurze Zeit behaupten. Im September rieb der schwedische Oberst Slang 3000 kaiserliche Reiter unter General Ruck bei dem "neuen Hofe" (Neuhof) Amts Grabow völlig auf; auch bei Malchin wurden 600 kaiserliche Reiter unter Münster geschlagen.

Im Juli 1639 gewannen die Schweden unter Ribbing die vielumworbene Festung Plau durch Kapitulation des kaiserlichen Oberst Warasiner zurück und behaupteten sie fortan; auch zur Wiedereroberung von Dömitz machte Banèr im Dezember einen Versuch, welcher aber wegen Hochwassers mißlang.

Im August 1640 erlagen 12 Kompagnien Schweden den Brandenburgern bei Röbel; nur wenige entkamen auf Kähnen über die Müritz nach Waren; das Gefecht zog sich auch in die Stadt, wo 85 gefallene Schweden beerdigt wurden.

Neue Kriegsfluthen überschwemmten Mecklenburg, als 1640 der Kampf auch zwischen Dänemark und Schweden ausbrach, die Schweden, nach Banèrs Tode unter Torstenson und Wrangel, wieder neue Streitkräfte über Wismar an sich zogen und den Krieg nach Holstein trugen. Auch dorthin folgte ihnen der unermüdliche Gallas, und bald in Holstein, dann wieder in Mecklenburg drängten sich die Heere. Entscheidende Schläge fanden auch jetzt nicht statt, nur zahlreiche Garnisonen in den mecklenburgischen Landstädten wurden ausgehoben. Wie es dabei zuging, davon hier ein Beispiel. Oberst Goldacker hatte von Gallas den Befehl erhalten, mit zwei deutschen und zwei kroatischen Regimentern Wittenburg und Boizenburg von den Schweden zu säubern. In der Nacht vom 2./3. Februar überrumpelte er Wittenburg. Der dortige Stadtvoigt Holstein berichtet darüber an den Herzog:

"- - keine Türken oder Heiden können es ärger machen, als allhier gehauset, insonderheit die Krabaten, und wenn der redliche Cavallier Obr. Goldacker es nicht gethan, hieselbst

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wol kein Mensch lebendig geblieben, der auch meinethalben mit dem Crabaten=Oberst Kugeln wechseln wollen - -, haben mir das Geringste nicht gelassen, Alles aus dem Hause hinweg, die Kirche ist nicht verschont, Kelche und Alles was in der Kirche gewesen, zerhauen und weggenommen, uns nicht eine Krume Brot oder Fleisch gelassen, meine Pferde sind dahin, Bürger und Rath nackend ausgezogen, verwundet, jämmerlich zugerichtet, ich habe 4 ganze Stunden die Todten bis in die finstere Nacht auf den Kirchhof auf Schlöpen nackend und bloß zusammenfahren lassen, unter den Schwangern und Säugern ein solch' Schreien und Jammern gewesen, daß es einen Stein in der Erden hätte erbarmen mögen, viele Bürger weg, man weiß nicht ob am Leben oder todt, Rathsherr Hennecke Krüger auf den Tod verwundet nackend im Stalle liegend befunden; Obr. Goldacker ist in meinem Hause gewesen, sein Quartier gehabt, aber mir Nichts gelassen, 2 Wagen voll geladen, wie sie keine Säcke gehabt, Betten aufgeschnitten und in die Bühren geschüttet, mein Haus ist über 15 mal ausgeplündert u. s. w."

Der Herzog selbst schreibt, daß die Frauen und Mädchen in die Kirche geflüchtet, die Kroaten ihnen nachgesetzt, und der Oberst selbst mehrere der letzteren auf den Leibern der Weiber mit seinem Degen erstochen habe. - Am nächsten Tage gings nach Boizenburg, wo die Schweden aber besser auf der Hut waren und den Angriff blutig zurückwiesen.

Im August 1643 lagerten die Schweden unter Ulfsparre vor Dömitz, beschossen die Festung aus 2 Batterien von 28 Geschützen, errangen sie aber erst im Oktober durch Kapitulation des Befehlshabers Morosini.

Im Sommer 1644 sprengte Gallas das feste Schloß zu Boizenburg mit seiner schwedischen Besatzung in die Luft.

Ueber die nächsten Jahre fehlen eingehendere Nachrichten. - Der Westfälische Friede zu Osnabrück vom 24. Oktober 1648 beendete den langen verderblichen Krieg, aber auch selbst seine Ausführung brachte dem gequälten Lande neue Lasten. So war dasselbe u. A. verpflichtet zum Transport von 83 Geschützen nebst Munition von Dömitz nach der den Schweden verbleibenden Festung Wismar, wozu 4-5000 Pferde gestellt werden mußten. Auch die in ihre Heimath abrückenden Truppen verursachten noch manche Beschwerden und Kosten.

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Der völlige Ruin Mecklenburgs durch den langjährigen Krieg ist in unseren Geschichtswerken oft genug beschrieben -, hier deshalb nur noch einiges bis dahin nicht Bekannte.

Der rauhe, an alle Kriegsschrecken gewöhnte schwedische General Banèr schreibt im September 1638 an seinen Reichskanzler Oxenstjern:

"in Meklenburg ist Nichts als Sand und Luft, Alles bis auf den Erdboden verheert" -

und weiter, nachdem auch die große Pest hinzugekommen, welche in den mittleren Landstädten Tausende und in den kleineren Hunderte dahinraffte:

"Dörfer und Felder sind mit crepirtem Vieh besäet, die Häuser voll todter Menschen, der Jammer ist nicht zu beschreiben."

Und die Landstände des Herzogthums Güstrow berichten schon im Dezember 1635, also noch vor den schlimmsten Kriegsjahren, an den Herzog:

"Ew. fürstl. Gnaden wollen sich in Gnaden erinnern laßen, wie das die Königliche schwedische Armee in diesem Lande nicht allein Logieret, sondern das auch selbige Soldateska, Gott sey es im höchsten Himmel geclagt, in demselben ohne alle unsere schuld und ursachen keiner Kirchen und Gotteshauses, oder deren Diener, auch der Schwangern und Seuglinge, ja der Todten Körper in Jhrem Ruhebette ganz nicht verschonet, sondern dieselben, wie auch fast alle Adeliche und andere dieses Landes Einwohnern, auch die Adelichen Wittiben, Frauen und Jungfrauen, auch die Kleinen Unmündigen Kinder ohne allen Unterschied geplündert, beraubet, geengstiget, jämmerlich geschlagen, nackend und bloß außgezogen, allen Vorrath an Viehe, Korn und was sonsten an mobilien und Fahrnißen vorhanden gewesen, von den Gütern und aus den Städten wegkgerißen, die Mühlen auff dem Lande enzwey geschlagen und zunichte gemachet, keiner lebendiger oder schriftlicher Salva Guardien, sie sein gleich von dem Herrn Feld=Marschalcken ertheilet, geachtet, sondern so elendig und erbärmlich in Kirchen, Städten, auff Adelichen Häusern und Dörffern im Lande, insonders mit nothzuchtigunge der Eheweiber, Mägden und unerwachsenen Kindern, auch Sengen und Brennen procediret und Haußgehalten, das solches alles nicht beschrieben oder für zuchtigen Ohren gemeldet werden kan, sondern mit Stillschweigen vorbey gegangen werden muß;

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dahero dan, Gott sey es geklaget, dieses entstanden, das der Gottesdienst so woll in Städten, alß auff dem Lande, in den ganz ruinirten Kirchen, biß dato nicht befurdert, sondern hindangesetzet, redliche Leute ohne Ursache, Königlicher Salva Guardien ungeachtet, auff ihren gutem erbarmlich erschoßen, deren Frauen und Kindern zu Wittiben und Weysen gemacht, die übrigen in dieser kalten beschwerlichen Winterszeit von Hauß und Hof nackend und bloß in das elend verjagt und dahero Hungers und Blöße halber mit den Jhrigen sterben und verderben; theils auch wegen großer verzweiffelunge, engsten und nöthen in Leibes und Seelen gefahr gerathen mußten.
Wie den solche und dergleichen unerhörte unmenschliche Insolentien und proceduren nicht mit Zungen außgeredet und beschrieben oder mit heißen Thränen genugsamb beklaget und beseuffzet werden können."

Zwar nicht plötzlich und unerwartet fielen die fremden Heere ins Land, sondern ihre Führer meldeten den Herzögen, welche mit dem Kaiser ihren Frieden gemacht, mit den Schweden jedenfalls nicht geradezu gebrochen hatten, auch mit dem schwedischen Herrscherhause nahe verwandt, und mit den Kurfürsten von Sachsen und Brandenburg befreundet waren, in aller Form ihre Ankunft tagelang vorher an, baten auch höflich um Quartier und Kost. Die Herzöge entsandten Kriegskommissäre, meistens aus der Ritterfchaft - worüber besonders die Städte sich beschwerten, weil angeblich die Lasten auf letztere gegenüber den Rittergütern ungleich vertheilt wurden - ins Feldlager der angemeldeten Truppen, und genaue Dislokationspläne wurden dann entworfen, auch die Gebührnisse in natura und baar genau festgestellt. Aber diese waren regelmäßig so übertrieben, daß ihre Leistung von vorn herein unmöglich war. So sollten haben ein Gemeiner täglich 2 Pfund Fleisch und 2 Pfund Brot nebst 1 Kanne Bier - ein Pferd täglich 1 Metze Hafer, 10 Pfund Heu, alle 10 Tage 4 Bund Stroh -, ein ganzes Regiment (von ungefährer Stärke eines jetzigen Bataillons) wöchentlich 46 Ochsen, 156 Schafe, 86 Tonnen Bier. Für einen Regimentsstab, nämlich Oberst, Oberstleutnant, Major, Quartiermeister, Wagenmeister, Prediger, Barbier, Profoß, Stockknecht, Scharfrichter - letztere damals vielbeschäftigt und zuweilen selbst schon einzelnen Kompagnien zugetheilt -, wurden alle 10 Tage beansprucht: 3 Rinder, 10 Schafe, 2 Schweine, 1 Scheffel Salz, viel Geflügel, und dazu täglich 1/4 Tonne Hering, 2 Speckseiten,

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1/4 Tonne Dorsch, 1 Faß Neunaugen, 2 Scheffel Erbsen, 1 Scheffel Rüben, 24 Stübchen Essig, 1 Ohm Wein, 15 Tonnen Bier, 2 Pf. Pfeffer, 16 Loth Zimmt, 6 Pfund Rosinen, 3 Pfund Mandeln, 9 Pfund Kirschen, 3 Pfund Reis, 4 Pfund Kapern, 1 Zuckerhut, 2 Pfund Oliven, viele Fische - und wöchentlich baar für Oberst 180 Thlr., Oberstleutnant die Hälfte, Major 30 Thlr., Leutnant 8 Thlr., Gemeinen 1 1/2 Thlr. Gerechnet war hierbei auf die überaus zahlreiche Dienerschaft der Offiziere, wie denn z. B. ein Oberstwachtmeister (Major) 1 Leibschützen, 1 Koch, 7 Kutscher, 4 Reitknechte, 1 Stalljungen, 2 Aufwärter um sich hatte, welche Anzahl bei den obersten Befehlshabern ins Ungemessene stieg. Dazu kamen bei den Offizieren ihre Frauen, Kinder, selbst Schwiegereltern, Hofmeister, Erzieher, Gouvernanten, bei den Gemeinen wenigstens Frauen oder Dirnen. Dazu endlich viele Pferde für die zahlreichen Equipagen und Transportwagen. So befanden sich z. B. in Schwerin bei 2 Kompagnien Kaiserlicher von zusammen 250 Mann noch 113 Weiber, 56 Kinder, 38 Pferde. Das Feldlager war eben damals die Heimath der ganzen Familie.

An Genügung so weit gehender Forderungen war in dem ausgesogenen Lande auch nicht im Entferntesten zu denken - und die Folge war Verhängung militärischer Exekution "bei Androhung von Schwert und Feuer," welche nur zu oft zur Wirklichkeit wurde. Eine Plünderung der Städte und Dörfer folgte der andern, und was nicht mitgenommen, wurde zerstört.

Den Oberbefehlshabern selbst freilich war mit der völligen Aussaugung des Landes, auf welches sie doch auf einige Zeit angewiesen waren, gar nicht gedient, und sie suchten häufig nach Kräften dem Unheil zu steuern. So erließ der vielgeschmähete Banèr 1638 folgenden Tagesbefehl:

Der. Königl. Mayest. vnd Reiche Schweden, Wie auch dero Confoederirten, respective Raht, General vnd Feldt=Marschall, Johann Banèr, Herr zu Mühlhammer vnd Werder, Ritter etc. .

"Obwohl Hochgedachte Jhre Excell. vermeinet, es wurden durch dero eine Zeit her sehr vielfältige vnd oft repetirte poenalmandata, dero Vnterhabende Soldatesca, von ihren grausahmen excessen, Raub, Mord, Plünderung, Brand, Schändung der Frawen vnd Jungfrawen, ohne Vnterscheidt des Standes vnd Alters, devastirung der Kirchen vnd Gottes Häuser, vnd beleidigung der Prediger vnd Kirchen=

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diener, Verwüstung der Gaben Gottes, vnd anderen barbarischen crudeliteten abgeschrecket worden seyn, die Herren Obersten vnd nachgesetzte Officirer auch dermassen darüber gehalten, vnd solche disciplin angeordnet vnd confirmiret haben, daß zu ihrem selbst eigenen besten, Insonderheit zu abwendung des durch solche Teufflische proceduren angezündeten Zorn Gottes, viele Land vnd Leute conserviret, die armèè also besser alimentiret, vnd nicht Noth vnd Mangel leiden dürften, geftalt die Herrn Obersten solches Jhr. Excll. hochbetheurlich versprochen und angelobet, so hat doch bißhero die Erfahrung gelehrt, daß die Soldateska einen Weg wie den andern bey ihren Unchristlichen vnd Abscheulichen enormischen excessen verharret, vnd dieselbe von Tage zu Tage zu- vnd fast überhand genommen, und itzo mit vielen greulichen und noch nie erhörten Martern die plagen des armen Landtmans vergrössert und die Arten derselben vermehret, und durch Conniventz der Officirer in vollen Schwang gerathen und darauß eine solche Gewohnheit eingewurtzelt, welche Gottes Zorn dermassen gehäuffet das dessen effect die armèè biß dato nicht wenig gespüret. Als haben Jhr Excell. aus obligender Fürsorge zur conservation dero anvertrauten armèè, protection der damit innehabenden Lande, und beybehaltung der Einwohner, Insonderheit zu beschützung der angehenden Erndte vnd Lebensmittel, vor hochnöthig erachtet, dero mandata noch einmahl zu wiederholen." - - -

Auch der kaiserliche Feldherr Graf Gallas drohet seinem übelberüchtigten Oberst Graf Götzen und dem Oberst Lossi, Befehlshaber der wilden Crabaten (Kroaten), die "weder Galgen noch Rad scheueten," daß sie "bei ferneren Excessen so lange vor dem Feinde stehen sollen, bis Einer den Andern aufgefressen."

Dazu wurden einzelnen Ortschaften und Personen häufig Sauvegarden entweder in Form von Schutzbriefen oder auch lebendige, d. i. Wachen, bestellt, diese jedoch von den eigenen Truppen nur widerwillig, vom Feinde gar nicht beachtet. -

Am ärgsten hausten umherziehende einzelne Trupps von wenigen bis zu einigen hundert Mann, welche entweder zur Fouragirung ausgesandt waren oder heimlich sich abgetrennt hatten, und auf eigene Fauft raubten und brandschatzten. Die Städte, welche damals sämmtlich mit festen Thoren, Mauern und Wällen umgeben und deren Bürger in Wehr und Waffen

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wohl geübt waren, wußten sich ihrer freilich - wenigstens in den ersten Kriegsjahren und als sie noch nicht öde und verlassen waren -, wenn sie wachsam waren, zu erwehren. Zu Röbel schwur die ganze Bürgerschaft feierlich, ihre Stadt bis auf den letzten Blutstropfen zu vertheidigen, schlug auch mehrere Angriffe tapfer zurück; ebenso zu Malchin. Vor Crivitz plänkelten kaiserliche Reuter einen ganzen Tag und zündeten, als sie sich mit Verlust zurückziehen mußten, die Stadtscheunen an. In Gnoien, Wittenburg, Boizenburg, Gadebusch waren die Feinde bereits durch die Thore und über die Mauern eingedrungen, aber die durch Lärmtrommel und Sturmglocke herbeigerufenen Bürger warfen sich ihnen auf dem Markte und in den Straßen entgegen und trieben sie wieder heraus. - Die obersten Befehlshaber schritten auch hier häufig nach Kräften ein. Banèr befahl sofortiges Tödten aller sogen. Freireuter. Auch wurden aus den Feldlagern sogen. Rumormeister mit kleineren Truppenabtheilungen ausgesandt, welche alle Marodeurs sofort aufknüpften, aber auch selbst nicht selten mit blutigen Köpfen heimgeleuchtet wurden.

Wie in den letzten Kriegsjahren Alles daniederlag, die Städte und Ortschaften theils verbrannt, theils zu Brennholz oder zu Feldlagern abgebrochen, die Bewohner theils durch Schwert und Martern, theils durch Pest und Hunger umgekommen, zum kleineren Theile nach dem festen Rostock, besonders auch nach Lübeck und Hamburg geflohen waren, ist in unseren Geschichtswerken oft und eingehend genug geschildert. Hier nur noch wenige andere Bilder aus jener Schreckenszeit. Die Städte mit festen Schlössern - Dömitz, Plau, Boizenburg - waren während der Belagerungen fast ganz in Asche gelegt, ebenso Warin, Laage, größten Theils Teterow, Röbel. In Waren drangen die Kroaten ein, marterten viele Bewohner auf jede nur erdenkliche Weise zu Tode, jagten andere in die Müritz und zündeten die Stadt an, wobei 72 Häuser und die Marienkirche verbrannten; der Rest wurde abgebrochen für Baracken eines kaiserlichen Feldlagers bei Eldenburg; die Leichen der Erschlagenen sollen von Hunden und Wölfen verzehrt und nach dem Kriege nur erst sieben Familien zurückgekehrt sein, welche das Saatkorn auf einer Schiebkarre von Wismar holten. In Malchin wurden nach Bericht des Bürgermeisters 200 menschliche Skelette von den Straßen aufgelesen, deren Fleisch von Hunden abgenagt war; auch von Schwerin wird Aehnliches berichtet. Als an einem vom Herzog wegen der traurigen Zeit angeordneten Buß= und Bettage die Gemeinde zu Ivenack in der

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Kirche versammelt war, drangen Kroaten in dieselbe, erschlugen den Prediger vor dem Altar und 40 Personen, verübten an Weibern und Kindern die schrecklichsten Dinge. Besonders die Prediger wurden verfolgt, manche, wie in Malchin, Waren, Grevesmühlen, Slate, zu Tode gemartert; massenweise flohen sie nach Rostock, verkamen auch dort in Hunger und Noth. Fliehende wurden mit Hunden gehetzt, zur Winterszeit in Brüche und Wälder gejagt, geblendet, durch Einschneiden der Fußsohlen gelähmt, voll Mistjauche und Wagenschmiere gefüllt und dann getreten. Ganz unnatürliche Dinge dienten zur Stillung des Hungers; zu Neubrandenburg wurden zwei Mädchen betroffen, welche den Leichnam eines andern bis auf die Knochen verzehrt hatten; zu Bülow bei Malchin tödtete und verzehrte eine Mutter ihren Säugling. Wie Schweden und Kaiserliche zu Doberan hausten, das schöne Gotteshaus demolirten, das Kupfer vom Dache rissen, die Thurmspitze abbrachen, die fürstlichen Gräber aufrissen, den Leichnam von des Herzogs Adolph Friedrich ersten Gemahlin zerstückten und den Hunden vorwarfen, den Prediger schwer verwundeten, in der Kirche den alten Küster auf grauenvolle Weise ums Leben brachten, ist bekannt; aber auch ein dortiger Müllerknecht wurde lebend in den Backofen geworfen und der Knochenrest in den Bach gestreuet. Auch im Amte Neustadt sind Bauern geröstet. - Die Menschen hatten sich in Bestien verkehrt!

Auf dem platten Lande war es nicht anders, Höfe und Dörfer rauchende Trümmer und weite Kirchhöfe. Gar mancher Edelmann mußte wohl bei Vertheidigung seines Hauses und der seinigen sein Leben lassen - so ein Hahn auf Hinrichshagen und Landrath Jürgen Flotow auf Burg Stuer. Ganze Adelsfamilien starben aus, manche wurden auf wenig Augen beschränkt und wuchsen erst allmählich wieder.

Wie es in den fürstlichen Domänen aussah, bezeugen die um jene Zeit aufgenommenen Amts=Inventare. Hier nur dasjenige des Amtes Lübz von 1640, als noch schlimme Jahre folgten. Da heißt es damals schon Dorf für Dorf und Gehöft für Gehöft:

N. N. todt mit allen Seinigen - todt mit der Frau, der Sohn in Lübeck - N. N. unter die Schweden gegangen, Frau und Kinder todt - N. N. und die Kinder todt, Frau beim schwedischen Leutnant - das Haus liegt nieder - sämmtliche Zimmer abgebrannt - bei diesem Dorfe sind 1 1/2 Scheffel Wintersaat gesäet - an Vieh kein

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Vorrath - bei diesem Dorfe ist Nichts gesäet, .kein Vieh, hier lebt kein Hauswirth, nur zwei Wittwen und eine Magd, - -
Dorf Retzow ganz wüste - ebenso Quaßlin - Wahlstorf - Karbow - Darß - Wilsen - diese Dörfer ausgestorben, nur Wenige weggelaufen.

Im Amte Dargun waren von 227 bäuerlichen Hauswirthen 1639 nur noch 31 vorhanden; 1640 heißt es: Alles wüst und verbrannt, kein Mensch noch Vieh; wegen der kaiserlichen Reuter zu Malchin, welche Alles unsicher machen, darf sich Niemand aufs Land wagen.

Im Amte Gnoien lebten 1639 von 82 Hauswirthen noch 6, 47 Gehöfte waren niedergebrannt, - 1644 Schlutow, Küsserow Amts Kalen, Damm, Schlakendorf ganz wüste.

Amt Neukalen von 49 Bauern 1639 noch 3, die Gesammtbevölkerung 1644 nur 8 Seelen, 1653 heißt es: lange wüst und menschenleer.

Amt Grabow zählte von 82 Bauern 1641 nur noch 12.

Im Amte Güstrow waren 1644 von 414 Bauern abgebrannt 283; noch 1701 waren 72 wüst.

Amt Goldberg mit 200 Bauern war 1638 ganz wüst und ausgebrannt.

Amt Plau heißt noch 1650 zu 3/4 wüst.

Amt Stavenhagen mit vorher 558 Bauern zählte 1638 an Jung und Alt 72 anwesende Personen, von 5000 Einwohnern waren nach dem Kriege 329 am Leben, 30 Dörfer waren ganz wüst.

Im Amt Warin waren 1639 von 93 Bauern wüst 77, 16 Bauern und 11 Wittwen am Leben; kein einziges Haupt Vieh, kein Brot, keine Saat.

Die Aemter Wredenhagen, Ivenack, Plau zählten vor dem Kriege 724 Bauern, 4300 Seelen, nachher 97 Bauern und 600 Seelen.

In den Aemtern Neustadt und Schwerin waren noch 1656 viele Ortschaften ganz und halb wüste, die Gebäude weg, die Ländereien in Rusch und Busch, die Gehöftsfamilien todt und verschollen.

Nur langsam ging die neue Kolonisation wieder vorwärts. Noch 1662 befahl der Herzog, in jedem Amte 10 Bauern auszusetzen, ihnen auf herrschaftliche Kosten die Gebäude zu errichten, die Felder zu besäen, und auch mehrere Freijahre zu geben. Nach etwa vorhandenen Kindern der früheren Bauernfamilien

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wurde überall Nachfrage gehalten, um sie, wenn nicht gütlich, so doch nach dem Recht der Leibeigenschaft mit Gewalt auf die Hufen zurückzubringen. Aus der Mark, aus Holstein, Pommern kamen zahlreiche Einwanderer, welche dort Alles verloren hatten und nun hier ihr Glück versuchen wollten. Dennoch ist die Anzahl der früheren Bauern bis auf diesen Tag bei Weitem nicht erreicht. - Nach möglichst genauer Schätzung waren vor dem großen Kriege im landesherrlichen Domanium jetzigen Mecklenburg=Schwerinschen Antheils rund 7700 Bauern, jetzt wohnen darin 5440 inzwischen vererbpachtete Bauern; der Abgang beträgt also etwa 2260, deren Ländereien nach dem Kriege aus Nothbehelf großentheils zu Hofacker gemacht sind. Rechnet man nun durchschnittlich etwa 10 frühere Bauern auf einen jetzigen Pachthof, so ergiebt dies seit dem Kriege eine Zunahme von mehr als 200 großen Höfen, welche Zahl auch der Wirklichkeit entspricht. Die Folgen des 30jährigen Krieges wirken also noch in die Jetztzeit hinein.

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IV.

Der Güstrowsche Erbfolgestreit.

Von

Oberlehrer Dr. Richard Wagner.

(Schluß.)

~~~~~~~~~~~~~~~~

IX.

Die Hamburger Kommissionsverhandlungen bis zu ihrem Abbruch im März des Jahres 1700.

Die erste und zweite Tagung der Kommission (bis Ende 1698).

Mit der Einsetzung der Hamburger Kommission trat endlich der Güstrower Erbfolgestreit, nachdem er bereits 10 Jahre gewährt hatte, in dasjenige Stadium ein, in welchem er seinen Abschluß finden sollte, freilich erst nach Verhandlungen, die, wenn man vom Erscheinen der Einsetzungs=Reskripte an rechnet, noch mehr als 3 Jahre in Anspruch nahmen. Ihren Gang zu schildern, ist die Aufgabe der letzten Abschnitte dieser Arbeit.

Die kaiserlichen Reskripte vom 27. Januar 1698 wurden den 6. März durch einen Expressen nach Schwerin überbracht, zugleich mit Kopien, durch welche der Schweriner Hof vorläufig von ihrem Inhalt Kenntniß erhielt. Von Schwerin aus sandte man die Originale den 7. an den Grafen Eck, auch gingen den 10. März schreiben an die drei bei der Kommission betheiligten Höfe, Kopenhagen, Wolfenbüttel und Eutin, ab mit dem Ausdruck der Freude des Schweriner Hofes, daß Kaiserl. Majest. die betreffenden Höfe mit der Kommission betraut habe, und mit der Bitte, sie zu übernehmen und einen Termin für den Beginn der Verhandlungen zu bestimmen.

Graf Eck befand sich gerade in Osnabrück; er meldete den 13. März den Empfang und die Wiederabsendung der Reskripte nach Schwerin, wobei er zugleich das an Adolf Friedrich und das an die Ritter= und Landschaft adressirte, außer dem für Friedrich Wilhelm bestimmten Original diesem zur Weiterbeförderung zusandte. Den 24. März erhielt Adolf Friedrich das seinige.

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Von den Mitgliedern der Kommission antwortete zuerst der Bischof von Eutin (d. 4. April), darauf der König von Dänemark (d. 9. April), die beiden Wolfenbütteler Herzöge erst den 5. Mai. Alle erklärten ihre Bereitwilligkeit, die Kommission zu übernehmen. Von Dänemark ward der Geh. Rath v. Lenthe zum Subdelegirten für die Kommission bestimmt, von Wolfenbüttel der Kanzler Probst v. Wendhausen, von Eutin der schon in den meklenburgischen Angelegenheiten bewanderte Geh. Rath John. Nachdem vorerst allerlei Präliminarfragen geordnet waren, unter denen auch eine Präcedenzfrage (zwischen Wolfenbüttel und Eutin) nicht fehlte, ward der Beginn der Verhandlungen auf den 27. September d. J. anberaumt.

Friedrich Wilhelm beeilte sich auf die Anzeige davon, zu erwidern (d. 9. August), daß er rechtzeitig Abgeordnete senden werde, und bestimmte für diesen Zweck den Geh. Rath Taddel und den Kammerdirektor Vermehren. Adolf Friedrich dagegen zögerte lange, sich der Kommission zu unterwerfen, da dies ein Aufgeben seines bisher konsequent festgehaltenen Standpunktes zu der Rechtsfrage zu bedeuten schien. Der kaiserliche Auftrag an die Kommission lautete nämlich dahin, beide streitende Theile "auf ein zulängliches dem Herzogthum Güstrow proportionirtes appanagium" zu vergleichen. Also nicht die Frage, wem das Herzogthum Güstrow zukomme, war der Gegenstand der Verhandlungen, der Kaiserhof blieb dabei, daß diese bis zu etwaiger weiterer Verhandlung im Prozeßwege zu Gunsten Friedrich Wilhelms entschieden sei, sondern es handelte sich nur um eine zulängliche Abfindung für Adolf Friedrich.

Er beklagte sich darüber in zwei Schreiben vom 4. Juni an den König von Dänemark und die Herzoge von Wolfenbüttel, wobei er zugleich auch die Beschwerde vorbrachte, daß ihm auch diesmal wieder der Katholik Graf Eck als Kommissar aufgedrungen werde, zu dem er ohnehin wegen seiner bekannten großen Vertraulichkeit und Familiarität mit Friedrich Wilhelm wenig Vertrauen hegen könne. Er fragte dann um Rath, wie er sich verhalten solle. Als aber beide Höfe zur Beschickung der Kommission riethen, vor der er sich ja seine Befugnisse reserviren könne, entschloß er sich zu einem Mittelwege. Er theilte seinen Entschluß, die Kommission zu beschicken, dem Grafen wie den drei Höfen d. 23. August mit, ersuchte um eine Erklärung vor Beginn der Verhandlungen, daß dieselben "keinen andern Vorsatz hätten, alß die gantze Sache, wie sie an sich selbst, und ihrer Natur nach beschaffen, ohne einige reflexion, was in derselben eine Zeit nach ein ander ergangen, auszunehmen, und pro ob-

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jecto Commissionis zu setzen, keineswegs aber lediglich und allein auf eine apanage die Handlung anzustellen."

Durch dieses Schreiben, über welches erst von Wien aus Entscheidung einzuholen sei, ward Wolfenbüttel veranlagt, einen Aufschub des Beginns der Verhandlungen bis zum 7. November vorzuschlagen, zog aber auf entschiedene Remonstration Friedrich Wilhelms seinen Vorschlag wieder zurück. Die Schweriner Räthe kamen den 26. September in Hamburg an, am 27. auch Graf Horn, der zwar den 7. Oktober wieder abreiste, aber bis an den Schluß der Verhandlungen häufig auf kurze oder längere Zeit wieder kam, wenn er selbst oder der Herzog es für erforderlich hielt. Die beiden Strelitzer Deputirten Gutzmer und Knegendorf langten den 7. Oktober an und traten in die Verhandlungen ein, obgleich Adolf Friedrichs Begehren, die Aufgabe der Kommission anders zu stellen, nicht erfüllt war und auch unerfüllt blieb. Aus ihrer Instruktion war das Wichtigste, daß Adolf Friedrich nicht von der Forderung der Reichsstandschaft abgehen werde.

Die Schweriner Instruktion (datirt vom 20. September) schrieb den Deputirten vor, 150000 Rth. als Abfindungssumme anzubieten, wovon 100000 nach Aussterben der männlichen Descendenz von Adolf Friedrich wieder zurückfallen, 50000 zur freien Disposition für Prinzessinnen oder sonst erblich verbleiben sollten; falls die Strelitzer Abtretung von Aemtern wünschten, so seien zu denen, die Adolf Friedrich schon habe, Fürstenberg und Wesenberg auf Abschlag der Zahlung der Abfindungssumme in Vorschlag zu bringen; sollte auch das noch nicht ausreichen, sondern Adolf Friedrich bis zur gerichtlichen Entscheidung eine Erhöhung seiner Apanage beanspruchen, so seien ihm zu den 7000 Rth., die er schon habe, noch ebenso viele anzubieten, unter der Bedingung, daß Friedrich Wilhelm der völlig freie Besitz des Herzogthums Güstrow eingeräumt werde. Von einem Reichsvotum war nicht die Rede: ein solches konnte nach Ansicht des Schweriner Hofes überhaupt nicht Gegenstand der Verhandlungen bilden. Bei dieser Sachlage war die Aussicht für das Zustandekommen des Ausgleichs im Beginn der Verhandlungen nicht eben groß.

Die Sitzungen der Kommission wurden d. 12. Oktober Morgens 10 Uhr eröffnet und fanden im Hause des Grafen Eck statt. Um die Präcedenzfrage zwischen dem regierenden Friedrich Wilhelm und dem an Jahren älteren Adolf Friedrich zu umgehen, ward das Verfahren beliebt, daß beide Parteien gesondert vorgefordert wurden; ferner traf die Kommission die Einrichtung, daß die Eingaben beider im Allgemeinen nicht dem Gegner mit=

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getheilt werden sollten. Die Kommission nahm sie zur Kenntniß und arbeitete darnach ihre eigenen Vorschläge aus.

Gleich in der ersten Sitzung schlug sie den Schwerinern vor, Adolf Friedrich eine Art von Regierung mit dem Recht der Reichsstandschaft zu geben, die Schweriner lehnten dies entschieden ab und boten eine Geldsumme an. Die Kommission versuchte darauf, die Strelitzer zum Aufgeben des Votums zu bewegen; es ward ihnen vorgestellt, "wie genereus es wäre, wenn außer dem Regierenden Herrn die anderen vom Hause sich mit einem fürstlichen Unterhalt begnügten, und das Haus zum splendor und gloire kommen ließen, als es durch divisiones zu schwächen." Die Strelitzer blieben aber derlei Erwägungen gegenüber taub. In der dritten Sitzung (d. 14. Oktober) schlug die Kommission vor, Friedrich Wilhelm möge, um Strelitz vom Votum abzubringen, jährlich 50000 Th. bewilligen, was die Schweriner ebenfalls ablehnten. Nachdem so die Kommission mündlich mit beiden Parteien einige Tage verhandelt hatte, schritt sie den 18. Oktober zur Vorlegung eines ersten schriftlichen Vergleichsprojektes (datirt vom 27./17. Oktober) mit folgender Alternative: Es möge Adolf Friedrich entweder soviel Landes angewiesen werden, daß er jährlich 30000 Th. daraus heben könnte, die 7000 Th., die er schon vom Schweriner Antheil genieße, miteinbegriffen, mit voller Landeshoheit und Jurisdiktion, ausgenommen nur die Reichsstandschaft, auch Freiheit von Steuern solle er genießen mit Ausnahme der Reichs=, Kreis= und Fräuleinsteuern oder, wenn er das Votum nicht fahren lassen wolle, so möge man ihm dieses überlassen und so viel Land, daß es, inkl. seiner jetzigen Apanage, 20000 Th. einbringe, mit allen Hoheitsrechten, doch habe er sich zu verpflichten, mit seinem Votum niemals von den übrigen meklenburgischen Votis abzugehen oder auch mit Auswärtigen in Traktaten sich einzulassen, noch weniger aber fremde Truppen in seine Residenz und sein Land einzunehmen.

Auf diese Vorschläge hin holten die beiderseitigen Deputirten erst Instruktion von ihren Höfen ein. Die Schweriner Antwort, die Graf Horn selbst (d. 24. Oktober a. St.) nach Hamburg überbrachte, ward d. 1. November in schriftlicher Form (datirt Hamburg 4. November/25. Oktober) der Kommission übergeben. In diesem Schriftstück bot Friedrich Wilhelm 20000 Th. an Einkünften, wovon die Hälfte aus den Domänen angewiesen werden solle, über diese solle, Mirow ausgenommen, Adolf Friedrich die Jurisdiktion unter Vorbehalt der Appellation an das Parchimer

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Landgericht erhalten. Ritterschaft und Städte seien nicht in die Abtretung einbegriffen, da diese nicht separirt werden könnten. Ein Votum könne nicht abgegeben werden, da das Herzogthum Güstrow überhaupt nur eins habe. Die Strelitzer beharrten indessen auf dem (Güstrower) Votum und forderten dazu wenigstens 20000 Th.

In ihrer Relation vom 1. November, worin die Schweriner Räthe dies melden, riethen sie zugleich zu größerer Härte Strelitz gegenüber, da dieses die Nachgiebigkeit nur benutze, um seine Forderungen noch weiter zu steigern. Friedrich Wilhelm, der den sehnlichsten Wunsch hatte, den ärgerlichen Handel bald beendigt zu sehen, um wieder in den Besitz des Güstrower Landes zu gelangen, entschloß sich indessen zu einem entgegenkommenden Schritte. Er schrieb den 2. November an die Räthe:

"Weil wir gemeint sein, Gott zu ehren, dem ruhestand des publici, und unserm lande zum besten, S. Kayserl. Maytt. aus der bisherigen Brouillerie mit bem Crais-directorio, so viel an unß zu ziehen, - so ist unser gnäd. wille, daß ihr, wenn die Sache nicht auf leidtlicherem wege zum ende gebracht werden mag, absque voto et sessione an Strelitz, bis an die dreyßig tausendt Rth. und cum voto, et sessione zwantzig tausendt Reichsthaler, accordiren - möget." Er sehe indessen gerne, daß das votum auf Lebzeiten des Herzogs Adolf Friedrich beschränkt und daß ihm das schwerinsche votum zugestanden werde. Sei aber auch die erste Bedingung nicht zu erreichen, so müsse es ohne Beschränkung zugestanden werden, jedoch dergestalt clausulirt, daß dadurch Herzog Adolf Friedrich kein Recht an dem Herzogthum Schwerin erlange, sondern ihm nur der Gebrauch des Votums bei dem gelassen werde, was in dem stargardischen ihm bewilligt werde, und daß auch Adel wie Städte Schwerin vorbeholten blieben. Lieber wolle er indessen 25000 oder auch 30000 Th. jährlich ohne Votum geben als 20000 mit demselben. 1 )


1) Friedrich Wilhelm kam dann einem Wunsche, den die Kommission gleich im Beginn der Verhandlungen geäußert hatte, zufolge den 7. Nov. selbst nach Hamburg. Er wohnte dort in einem Hause, das er i. J. 1694 für sich hatte kaufen lassen. Mancherlei "divertissements" verkürzten dem jungen lebenslustigen Fürsten den Aufenthalt. Auch Adolf Friedrichs Anwesenheit wünschte die Kommission, damit in Gegenwart beider Fürsten die Verhandlungen schneller gefördert werden könnten. Allein Adolf Friedrich entschloß sich damals noch nicht zu der Reise, zu der die Mittel aufzubringen ihm schwer wurde. Somit hat Friedrich Wilhelms damaliger Aufenthalt in Hamburg keinen merkbaren Einfluß auf die Verbandlungen gehabt.
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Das Schreiben bedeutete ein Nachgeben in dem entscheidenden Punkte, der bisher vom Beginn des Streites an stets der Einigung im Wege gestanden hatte, der Forderung des Reichsvotums. Allein die Räthe waren vorsichtig genug, von diesem Zugeständniß vorläufig noch nichts merken zu lassen, als ihnen in einer Sitzung am 5. November unter einigen andern Fragen auch die vorgelegt wurde, ob man schwerinischerseits von dem Votum abstrahiren werde. Auch den Strelitzern wurden an demselben Tage diese Fragen vorgelegt, sie antworteten darauf den 7./17. November in einer Eingabe, in der sie weit höhere Forderungen stellten, wie noch am 1. Sie gingen davon aus, daß das gesammte Herzogthum Güstrow Adolf Friedrich zukomme, um des lieben Friedens willen sei er erbötig, ein oder zwei Aemter davon an Friedrich Wilhelm abzugeben, und auf die Schweriner Apanage und die noch ausstehenden Schuldforderungen von über 80000 Th. zu verzichten. Obgleich dies einem Abbruch der Verhandlungen so ziemlich gleich kam, so formulirte doch die Kommission den 18./8. November einen zweiten schriftlichen Vorschlag.

Dieser stellte folgende Alternative:

1. Adolf Friedrich erhält den Stargarder Distrikt mit besonderer Investitur und mit Adel und Städten, doch ohne Votum; was an 30000 Th. Einkünften, in die die Schweriner Apanage nicht miteinzurechnen ist, fehlt, ist aus dem Boizenburger Zoll zu affigiren oder

2. er erhält das Votum mit 20000 Th. jährlich, ungerechnet die Schweriner Apanage und 8000 Th. einmaliger Zahlung zum Bau eines Residenzschlosses.

Er dürfe indessen die Appellation an das Landgericht nicht hindern, kein jus armorum, fortalitiorum et foederum ausüben, auch keiner andern Mächte Truppen ins Land einnehmen, müsse in publicis dem Interesse des Herzoglichen Gesammthauses attachirt bleiben und dürfe keine "separate mesures" nehmen und keine Allianzen schließen. Friedrich Wilhelm habe ihn in seine Schutzbündnisse einzuschließen. Streitigkeiten seien durch Deputirte zu entscheiden; das Primogeniturrecht sei durch ein Statut festzustellen.

Da die Strelitzer über diese Vorschläge wieder Instruktion einholen zu müssen erklärten, so wurden die Verhandlungen auf 14 Tage abgebrochen und her Wiederbeginn auf den 28. November verabredet. Gutzmer bat zwar den 18. November von Strelitz

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aus, bis zum 3. Dezember Anstand zu gewähren, erhielt aber auf Betrieb der Schweriner einen Abschlag (5. Dezember/25. November). Die Antworten beider Parteien wurden dann den 17./7. Dezember schriftlich übergeben, aber beide von der Kommission zurückgewiesen, da sie von ihren Vorschlägen erheblich abwichen. Strelitz besonders wird vorgeworfen, es habe sich von dem vorgesetzten Ziel weiter als vorher entfernt. In der Schweriner Antwort war die Abtretung eines Votums nicht zugestanden. Da aber im Ganzen die Schweriner doch mehr Entgegenkommen als Strelitz gezeigt hatten, so stellte sich die Kommission zunächst auf deren Seite und machte den Versuch, Strelitz zur Aufgabe des Votums zu nöthigen.

Sie stellte noch den 7. Dezember an die Strelitzer Bevollmächtigten das Ansinnen, morgen, also den 18./8. Dezember, Näheres, was zum Ziele führen könne, vorzubringen, besonders auf die Frage, ob sie in Betreff des Votums sich überwinden könnten, widrigenfalls die Kommission die Verhandlungen abbrechen und die Akten nach Wien senden werde.

Dieser Schreckschuß bewog die Strelitzer den 18./8. Dezember zu einem sehr wichtigen Zugeständniß, der Vertauschung des Güstrowschen Votums mit einem andern, etwa dem des Stiftes Schwerin. Als aber die Schweriner den 22./12. Dezember auch dies ablehnten und als ihres Herrn "positive und finale Erklärung" hinstellten, daß er weder das Güstrowsche Votum abtreten noch ein anderes dafür geben wolle, zumal die Vota, die er sonst führe, kein Gegenstand der Verhandlungen seien, da ließen sich die Strelitzer den 25./15. Dezember zu der Erklärung bewegen: Wenn ihr Herr, worüber sie nicht instruirt seien, das Votum fallen lassen sollte, so werde er von Güstrow nicht viel abgeben können; bei Abtretung des Votums werde er dagegen seine Schuldforderung an Friedrich Wilhelm wohl fallen lassen und einige Aemter mehr abtreten. Friedrich Wilhelm ließ den 26./16. Dezember 25000 Th. Einkünfte und zwar aus den Aemtern Stargard, Strelitz, Wanzka und Feldberg mit den zwei Städten Stargard und Strelitz und mit Hypothecirung des Restes aus dem Boizenburger Zoll anbieten.

Die Erklärung der Strelitzer wurde, obgleich sie ohne Instruktion abgegeben war und also nicht als bindend angesehen werden konnte, und außerdem die für Schwerin unmögliche Abtretung des größten Theiles von Güstrow verlangte, doch von der Kommission dahin aufgefaßt, daß Strelitz bereit sei, gegen

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gewisse Bedingungen, über die noch weiter zu verhandeln sein werde, das Votum aufzugeben. Somit erging den 29./19. Dezember 1698 ein "letzter" Vorschlag der Kommission: Adolf Friedrich möge den stargardischen Distrikt mit allen Pertinenzien, ausgenommen das Jus praesidii an den Orten, welche als Pässe in Kriegszeiten zu besetzen seien, jährlich 33000 Th., bei künftigem Aufhören des Güstrowschen Witthums 40000 Th. und 8000 Th. für Instandsetzung einer Residenz erhalten. Beide Theile wurden binnen vier Wochen zu einer Antwort aufgefordert; darauf trennte sich die Kommission wieder.

Fortgang der Verhandlungen bis zum Ultimatum der Kommission vom 2. Juni 1699.

Das Reichsvotum schien für Adolf Friedrich verloren. Seine Sache stand um so schlechter, als der Reichskrieg mit Frankreich zu Ende war und auch mit den Türken den 26. Januar 1699 Friede geschlossen ward. Der Kaiser war also oder schien wenigstens jetzt in der Lage, seinem Urtheile vom 12. Januar 1697 mit bewaffnetet Macht Nachdruck geben zu können. Adolf Friedrich selbst verzweifelte am Erfolg: in einem Briefe nach Berlin (Ende 1698) brauchte er den Ausdruck, er habe "blutige Thränen vergossen, weil er dasjenige, so ihm von Gott= und Rechtswegen zukomme, fallen lassen müßte." Sein Versuch, in Berlin Assistenz zu finden, scheiterte; der Berliner Hof hatte sich, nachdem die diplomatischen Beziehungen wiederhergestellt waren, eng an den Wiener angeschlossen, von dem Kurfürst Friedrich Gewährung seines Wunsches nach der Königskrone erhoffte, und wenn auch der Versuch, zu dem der kaiserliche Geschäftsträger in Wien (Anfang Januar 1699) angewiesen ward, Brandenburg zu einem Druck auf Schweden, daß es Adolf Friedrich zur Annahme der Kommissionsvorschläge vom 29. Dezember rathe, und eventuell zur Trennung seiner Truppen von denen der beiden Mitdirektoren zu bewegen, erfolglos blieb, so erhielt doch Adolf Friedrich ein Mahnschreiben aus Berlin (unter dem Datum des 5./15. Januar), auf den letzten Kommissionsvorschlag einzugehen, da der Kaiserhof seine Rechte und Prätensionen so gar nicht anerkennen wolle, auch schon ein Urtheil gegen ihn gefällt und dieses ohne Zweifel à tout prix aufrecht erhalten werde und auch jetzt nach erfolgtem Türkenfrieden Kräfte und Mittel genug dazu habe.

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Dieser Situation entsprechend gab Friedrich Wilhelm selbst seine Absicht, eventuell auch ein Votum abzutreten, wieder auf und meinte überhaupt, weitere Zugeständnisse sich sparen zu können. Seine Antwort auf den Kommissionsvorschlag vom 29. Dezember, die er den 4./14. Januar anticipando dem Grafen Eck mittheilte, bezog sich also auf seine Erklärung vom 26./16. Dezember, worin er schon weiter gegangen, als das Vermögen des Herzogthums Güstrow es vertrage und Recht und Billigkeit ihn verbinden könne. Eine ähnliche Mittheilung erging am selben Datum an die bei der Kommission betheiligten Fürsten mit dem Ersuchen, seine Erklärung anzunehmen und Adolf Friedrich ebenfalls durch kräftige Vorstellungen zur Annahme derselben zu bewegen. 1 )

Hiermit freilich waren die Kommissionsmitglieder wenig zufrieden. Das Eutiner Antwortschreiben wenigstens, das bei den Akten erhalten ist (datirt vom 9. Februar), rieth zu größerer Nachgiebigkeit, damit der Krieg vermieden werde. Auf der andern Seite ging die Abneigung Brandenburgs gegen Adolf Friedrich nicht so weit, daß es Adolf Friedrichs bewegliche Bitten, ihm aus den Erträgen des Herzogthums Güstrow eine Summe zur Bestreitung der Prozeßkosten zu überweisen, zu deren Gewährung die beiden Mitdirektoren bereit waren, hätte abschlagen mögen. 2 )

Damit war der materiellen Noth des Strelitzer Hofes, die immer dringender geworden, einigermaßen abgeholfen und Adolf Friedrich vor dem Zwange, unter dem Drucke der Noth auf jede Bedingung hin abschließen zu müssen, bewahrt. Und was


1) Adolf Friedrichs Antwort war vom 14. Januar datirt; sie ging weit über die Kommissionsvorschläge hinaus, so daß die Kommission seine Forderungen "ungereimt" fand.
2) Adolf Friedrich begründete seine Bitte neben dem Hinweis auf sein Anrecht auch damit, daß er dies Jahr (1698) Mißwachs gehabt; auch werde ihm seine Schuldforderung von 80000 Th. beharrlich von Schwerin vorenthalten. Um dieselbe Zeit erhielt die Herzogin=Wittwe mit ihren Töchtern den nunmehr wieder freien Ertrag des Zolles von Boizenburg angewiesen - 40000 Th. jährlich werden genannt -, was zu einem scharfen Briefwechsel zwischen ihr und dem Grafen Eck führte. Gegen die Zahlungen an Adolf Friedrich ließ Friedrich Wilhelm Anfang März 1699 durch den Sekretär Duve in Hamburg bei den Kreisministern einen feierlichen Protest einlegen und klagte auch wegen dieser neuen Eigenmächtigkeiten des Kreisdirektoriums beim Reichshofrath. Nach einer Uebersicht, die nach Abschluß des Streites gefertigt ist, hat Adolf Friedrich erhalten: von Joh. 1697-1698 3000 Rth., von Joh. 1698-1699 7000, von Joh. 1699-1700 30000 (!), von Joh. 1700 bis zum 25. April 1701 15000, im Ganzen also 55000 Rth.
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den Wiener Hof betraf, so kamen von dort her Anfang Februar Adolf Friedrich unerwartet günstige Nachrichten zu. Er erhielt nämlich zwei Briefe "von guter Hand" - sein Geschäftsträger, Hofrath Martens, war der Schreiber -, worin unter anderm stand, ihm, dem Briefschreiber, sei freigestellt, daß der Kaiser die Sache nochmals prüfen und einen Spruch Rechtens darüber ergehen lassen wolle, zu dem Zwecke sollten die Kommissionsakten nach Wien gefordert werden. Der Schreiber rieth dem Herzog sehr, darauf einzugehen, da er hierdurch Zeit gewinne und die Sache dann vielleicht ganz anders ausschlagen werde, denn es fingen in Wien viele an zu begreifen, daß "das Primogeniturrecht in Mecklenburg keine statt haben könnte", und wenn es anders ausfiele, werde Adolf Friedrich auch das beneficium revisionis haben. Die Schreiben wurden von Strelitz nach Berlin gesandt mit der Bitte um Rath, und in Berlin wurden sie dem kaiserlichen Geschäftsträger bekannt; dieser theilte die "verfluchte und höchst anzügliche Relation" umgehend dem Grafen Eck mit, der sie den 11. Februar dem Grafen Horn mit dem Bemerken sandte, er halte das Ganze für erdichtet. 1 )

Konnte schon dieser Vorfall auf Adolf Friedrich immerhin eine ermuthigende Wirkung üben, da doch etwas daran sein mußte, so war es doch vorzugsweise auch jetzt noch Schweden, das ihn aufrecht hielt. Er erhielt in diesen Monaten vor Wiederbeginn der Kommissionssitzungen von dort neue Zusicherungen, daß man ihn nicht im stiche lassen werde. 2 )

Der Wiederbeginn der Verhandlungen wurde, wie Eck den 20./10. Februar nach Schwerin schreibt, auf den 18./8. März anberaumt: die Kommission wolle dann noch einen letzten Versuch machen, ehe sie ihr Referat an den Kaiser abstatte; die Anwesenheit der Herzöge selbst sei erwünscht. Friedrich Wilhelm schrieb zu, während Adolf Friedrich den 28. Februar und nochmals den 6. März um Ansetzung eines späteren Termins bat, mit der Begründung, daß Gutzmer krank sei. Obgleich man diese Entschuldigung für einen Vorwand hielt, so ließ sich die Bitte nicht wohl ablehnen, somit ward der Termin auf den 30./20. April ausgesetzt.


1) Um in Wien selbst zum Rechten zu sehen, reiste Graf Horn im März wieder dorthin.
2) Den 25. März schreibt der Rath Schuckmann aus Güstrow, vor drei Tagen sei ein Brief an den schwedischen Kommandanten in Güstrow angekommen, worin gestanden, aus der Meklenburgischen Kommission werde nichts werden, weil der König nicht zugeben werde, daß Adolf Friedrich vom voto abstehe, weil er seinen Vetter nicht "en gentilhomme tractiren laßen werde."
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Die erste Nachricht über den Verlauf der Verhandlungen giebt ein ausführliches Schreiben des Herzogs selbst, der die Aufforderung der Kommission nach Hamburg zu kommen wieder befolgt hatte, an den Grafen Horn nach Wien, datirt vom 26. April, das ergänzt wird durch eine Strelitzer Relation vom 27. April. Darnach stand die Sache, da die beiden Antworten auf den Vorschlag vom 29. Dezember sehr von einander differirten, noch auf dem alten Fleck. 1 ) Ein Vorschlag, daß Friedrich Wilhelm das Votum von Güstrow für sich und seinen Vetter von Strelitz führen möchte, wie die Strelitzer aus dem Testament Johann Albrechts I. zu deduciren gesucht hatten, wurde von Friedrich Wilhelm abgelehnt, weil er für seinen Bruder, Karl Leopold, höchst nachtheilig sei. Ebenso wenig kam eine Einigung zu Stande über die Teilnahme an den Landtagen, die man Strelitz nur "in arduis", wenn des ganzen Landes Wohlfahrt in Gefahr sei, zugestehen wollte, sowie über die sonstigen Hoheitsrechte. Während die Strelitzer darauf bestanden, daß diese ganz ohne Beschränkung abzutreten seien, behaupteten die Schweriner ihren Standpunkt, daß die Landeshoheit im Ganzen Friedrich Wilhelm verbleiben müsse, und wollten sich nur zur Abtretung einiger einzelner Hoheitsrechte verstehen; gerade aus dem Grunde sei Schwerin mit dem Angebot des Geldquantums so hoch gegangen, damit man die ihm zuständigen Hoheitsrechte nicht abschwäche. Von beiden Seiten legte man Uebersichten über die Einkünfte des Herzogthums Güstrow vor, die zu sehr verschiedenen Resultaten gelangten. Auf Ersuchen der Schweriner verabfolgte ihnen die Kommission die von Strelitz eingereichte Uebersicht, die von der Kreisregierung stammte. 2 ) Dagegen trug die Kommission Bedenken, die Strelitzer "ungereimten postulata" schriftlich mitzutheilen, weil es wenig zur Sache thun und nur die Gemüther irritiren werde.

Die Kommission neigte also auch jetzt noch mehr auf die Seite der Schweriner, worin sie durch neue Nachrichten aus Wien und Berlin bestärkt wurde. In Berlin war nämlich, wie Heems d. 29./19. April an Eck schrieb, ein drohendes Schreiben des Kaisers eingelaufen, daß er in der meklenburgischen Sache bei weiterer Erfolglosigkeit der gütlichen Verhandlungen die Execution des gefällten Urtheils mit Nachdruck vornehmen lassen werde. Dies veranlaßte den Berliner Hof, seinen Gesandten in


1) Uebrigens kam der Kanzler Probst erst d. 25. April in Hamburg an.
2) Es waren darin die freien Revenüen des Herzogthums auf 80000 Rth. veranschlagt. Die Kommission legte dieses Aktenstück ihren weiteren Berathungen, soweit sie die finanzielle Seite betrafen, zu Grunde.
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Hamburg, Herrn v. Busch, anzuweisen, den übrigen Kreisministern in Hamburg nahezulegen, wie nöthig es sei, daß der Vergleich zum Schlusse gebracht werde, da es nicht im Interesse der Kreisdirektoren liege, darüber mit dem Kaiser zu zerfallen; zugleich erklärte sich der Berliner Hof mit dem Dezember=Projekt der Kommission durchaus einverstanden. Dieses kaiserliche Schreiben war die Antwort auf die klärlich unrichtigen Strelitzer Nachrichten vom 6. Februar und hatte die Wirkung, daß die Kommission den 9. Mai/29. April den Strelitzer Deputirten ein Dekret zufertigte, worin von Adolf Friedrich in Betreff der Reichsstandschaft eine "pure und schleunige Resolution" begehrt wurde.

Die Strelitzer baten um 8 Tage Frist zur Einholung der Entschließung ihres Fürsten; sie ward ihnen gewährt mit dem Bedeuten, wenn kein rundes Ja oder Nein erfolge, werde die Kommission abgebrochen und die Akten nach Wien gesandt werden.

Die Antwort Adolf Friedrichs ward den 18./8. Mai von seinen Deputirten eingegeben. Es heißt darin, Adolf Friedrich habe die Absicht gehabt, sich, wo nicht in Hamburg selbst, so doch in der Nähe einzufinden; als ihm aber das Kommissionsdekret vom 29. April zu Händen gekommen, habe er sich dieses dergestalt zu Gemüth gezogen, daß er darüber eine "ziemliche incommodität" empfunden und seine Reise deshalb habe aufschieben müssen. Er sei noch jetzt zu kommen bereit, sobald er vernehme, daß man Schwerinscherseits sich so erkläre, daß sich einige Hoffnung auf einen guten Ausgang zeige. In Betreff des Votums könne er sich noch zu keiner finalen und kategorischen Resolution herauslassen, ehe Friedrich Wilhelm sich ebenfalls finaliter erklärt, was er auf den einen oder andern Fall (mit und ohne Votum) einzugehen geneigt sei. Die Kommission möge eine solche Erklärung veranlassen.

Diese Antwort enthielt zwar nicht das einfache Ja oder Nein, was die Kommission begehrt hatte, indessen wies sie doch die Abtretung des Votums an Schwerin nicht ganz ab und schien somit einen Weg zum Weiterverhandeln zu bieten. Die Kommission ließ deshalb ein neues Projekt schon den 9. Mai im Vertrauen - datirt ward es dann vom 21./11. Mai -, Friedrich Wilhelm mittheilen. Hierin ward die Alternative gestellt: Entweder Abtretung des Fürstenthums Ratzeburg an Adolf Friedrich mit dem Votum und einer Summe von im Ganzen 25000 Th. jährlicher Einkünfte oder Abtretung des stargardischen Distriktes ohne Votum mit Adel und Städten und 35000 Th. Einkünften; in beiden Fällen exklusive

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der Schweriner Apanage und mit Hypothezirung auf den Boizenburger Zoll.

Ehe Friedrich Wilhelm hierauf antworten konnte, geschah ein Ereigniß, das die situation recht zu seinen Ungunsten veränderte. In Hamburg hielt sich ein Kapitän v. Salmuth auf, der in lüneburgischen Diensten stand, aber nach seiner eigenen Behauptung schon seit einigen Monaten keinen Sold mehr von Lüneburg erhalten hatte und sich also selbst nicht mehr als lüneburgischen Offizier betrachtete. Er hatte sich an Friedrich Wilhelm anzunesteln gesucht und dieser ihn eine Zeit lang in seiner Umgebung geduldet, sich aber schließlich seine Gesellschaft verbeten, da er sich als Falschspieler erwies. Trotzdem wagte es der Kapitän den 13. Mai, in das schwedische Gesandtschaftshotel zu kommen, während Friedrich Wilhelm dort war, und versuchte in den Saal einzudringen, in dem sich der Herzog aufhielt. Zwei Lakaien des Herzogs (geborene Schotten) suchten ihn an der Thür zurückzuhalten, und als er grob wurde und den Degen zog, thaten sie das Gleiche und trieben ihn unter fortdauernder Gegenwehr seinerseits auf die Straße, wo er zusammenbrach und starb. Die eine der Wunden, die er bei dem Gefecht erhalten, ein Stich in den Hals, war tödtlich gewesen.

Der unselige Vorfall hatte die empfindlichsten Folgen. Das erste war, daß die Leidenschaft des Volkes, gewiß nicht ohne Zuthun von Friedrich Wilhelms Gegnern, gegen ihn aufgereizt ward. Es kam zu so drohenden Zusammenrottirungen, daß der Herzog, um dem Sturm auszuweichen, noch in der folgenden Nacht heimlich abreisen mußte. selbst seine Räthe verließen auf einige Tage die Stadt, und mußten nach ihrer Wiederkunft ihre Bedienten die herzogliche Livre ablegen lassen, da sie sich in dieser nicht auf der Straße blicken lassen durften, ohne Insulten ausgesetzt zu sein. In allen Kirchen wurden scharfe Predigten gegen die Thäter gehalten und dabei auch des Herzogs Person nicht geschont. Doch der Unwille der Hamburger ließ sich ertragen; weit schlimmer war, daß durch die That, einen offenkundigen Bruch des Völkerrechtes, zwei der Mächte, von denen das Schicksal des Güstrower Herzogthums abhing, Schweden und Lüneburg, sich schwer gekränkt fühlen mußten, da der Mord in und vor dem Hause des schwedischen Gesandten geschehen war und der Ermordete von der lüneburgischen Regierung noch als in ihrem Dienste stehend angesehen ward.

Auch für die Kommissionsverhandlungen sollte dies nicht ohne Folgen bleiben, und der Eindruck des Erlebten wird schon

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dazu mitgewirkt haben, daß sich Friedrich Wilhelm in einer geheimen Rathssitzung zu Schwerin d. 17. Mai wiederum zum Nachgeben in Bezug auf das Votum entschloß und zwar in Anlehnung an die Alternative, die von der Kommission zuletzt vorgeschlagen war. Indem er die Wahl zwischen Ratzeburg oder Stargard Strelitz zuschiebt, erklärt er sich bereit, falls Ratzeburg gewählt werde, es mit dem Votum abtreten zu wollen und, da sein Ertrag auf 18 000 Th. geschätzt werde, noch 7000 Th. aus dem Boizenburger Zoll zu zahlen gegen Wiederabtretung des Amtes Mirow und der bisherigen Apanagengelder; wenn auch dies nicht angenommen wird, so will er auf den Kommissionsvorschlag, der die Schweriner Apanage Adolf Friedrich beließ, eingehen, nur daß Mirow gegen Geldentschädigung zurückgegeben werde. Das Votum sei so zu verklausuliren, daß es entweder stetig von dem Schweriner Minister im Namen des Herzogs von Strelitz mitgeführt oder auch niemals von den drei übrigen meklenburgischen Stimmen getrennt werde. Wenn Stargard gewählt werde, so frage sich, was darunter zu verstehen sei an Aemtern und Städten, und ob nur die Aemter ohne die Städte und den Adel gemeint seien. Pro ultimato erbietet sich Friedrich Wilhelm in diesem Falle zu 40000 Th. jährlich.

Mit dieser Schweriner Erklärung, die den 19. Mai vorgelegt ward, bezeugt sich die Kommission zufrieden. Die Strelitzer Antwort, die vom 30./20. Mai datirt ist, befriedigte weniger. Adolf Friedrich wählte Ratzeburg, forderte aber im Ganzen 60000 Th. jährlicher Einkünfte, und zwar an nahe belegenen Aemtern.

Nachdem einige Tage verhandelt war, ließ sich die Kommission den 2. Juni/23. Mai herbei, obgleich sie nach so vielen, bisher vergeblich angewandten Bemühungen den Bericht an den Kaiser nicht länger aufschieben könne, doch zu letzter Bezeugung ihrer Begierde zu gütlicher Entscheidung den hohen Parteien noch vor Abschickung der Relation als Ultimatum an die Hand zu geben, Friedrich Wilhelm möge an Adolf Friedrich Ratzeburg mit 30000 Th. jährlicher Einkünfte, unter Ausschluß der Schweriner Kompetenzen abtreten, in der Art, daß zu dem Ertrage des Fürstenthums so viel als zur Supplirung der Summe erforderlich sei, aus dem Boizenburger Zoll zugelegt werde und zwar mit Herrschaftsrechten über diesen bis zur Höhe der betreffenden Summe. Zureichende Antwort wurde bis zum 24. Juni erbeten, so lange solle die Notation zurückgehalten, dann aber unverzüglich abgestattet werden. Darauf ging die Kommission auf unbestimmte Zeit auseinander.

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Der erste, welcher antwortete, war diesmal Adolf Friedrich (d. 13. Juni). Er bezieht sich auf seine Schreiben vom 14. Januar und 20. Mai und spricht die Hoffnung aus, daß man auf einen ferneren Nachlaß seiner Forderungen nicht dringen werde. Es sei gegenüber den Einkünften des Güstrowschen, die zur Zeit über 100000 Rth. betrügen, nur ein Geringes, wozu er sich aus Liebe zum Frieden herausgelassen. Im Ratzeburgischen fehle es an einem Residenzschloß, deshalb werde man es billig finden, daß er die eine der beiden Residenzen, Güstrow, erhalte. Ferner müsse ihm, was er erhalte, mit Adel und Städten gelassen werden.

Hier trat also eine völlig neue, für Schwerin jedenfalls unannehmbare Forderung, die der Residenz Güstrow, auf. Die Erklärung, wie Strelitz dazu kam, sie aufzustellen, liegt in der vollständigen Schwenkung, die sich damals am dänischen Hofe vollzogen hatte, und zwar noch bei Lebzeiten des Königs Christian V., der d. 25. August 1699 starb. Der Kronprinz, Friedrich V., war der Gatte der Güstrower Prinzessin Louise, der Schwester der Herzogin von Strelitz. Diese machte bei den Ministern und dem Könige ihren Einfluß zu Gunsten ihres Schwagers geltend, mit solchem Glück, daß Adolf Friedrich von Kopenhagen unerwarteter Weise die Zusicherung erhielt, man werde ihm auf benöthigten Fall alle Assistenz gewähren. 1 )

Adolf Friedrich glaubte also den Bogen höher spannen zu können, aber auch Friedrich Wilhelm that das Gleiche, um nicht von einem Zugeständniß zum andern gedrängt zu werden. Er zog in seiner Antwort vom 23. Juni sein Angebot der Abtretung Ratzeburgs mit dem Votum wieder zurück: es sei ihm sehr schwer geworden, es mit in Vorschlag kommen zu lassen. Nun werde eine solche excessive Summe Geldes noch dazu gefordert, daß er bei sich anstehen müsse, ob auf diese Weise die endliche Erhaltung des Güstrowschen für ihn zuträglicher sei als die


1) In Schwerin erfuhr man dies durch ein Schreiben des Rathes Schuckmann aus Güstrow vom 2. Juli, der es auf einer Reise in Neubrandenburg in Erfahrung gebracht hatte. Man hatte ihm dort noch erzählt, die alte Königin sei noch für den Schweriner Herzog, doch sei der König von seinem vornehmsten Minister schon völlig für Strelitz gewonnen, und dieser gebe der Königin in dieser Sache kein Gehör. Interessant ist, daß die Vorliebe der alten Königin für Friedrich Wilhelm, nach Schuckmanns Gewährsmann, nur daher rühren soll, weil dieser die Refugiés im Bützowschen aufgenommen hatte. Von der jungen Königin ist in dem Schreiben nicht die Rede, daß aber ihr Einfluß schon damals mit ins Spiel kam, ist aus späteren Nachrichten zu schließen.
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jetzige unrechtmäßige Vorenthaltung. Der Ertrag des Güstrowschen betrage jährlich nicht mehr als 40000 Rth. Durch Annahme der Forderungen Adolf Friedrichs werde zu dem verschuldeten Güstrowschen das Schweriner Herzogthum noch dazu "verconsumiret" werden. Da seine früheren Offerten nicht angenommen seien, so wolle er ferner nicht mehr an sie gebunden sein. Es stände beim Gegner, ob er sich endlich zu "raisonnableren conditionen", insonderheit den Stargardischen Distrikt betreffend, bequeme oder aber, wie bisher, "durch unleidliche tergiversationes" die gütliche Handlung ganz ins Stocken gerathen lassen wolle. Friedrich Wilhelm sei erbötig, bis auf jährlich 30000 Th., jedoch inkl. der bisherigen Schweriner Kompetenz, zu gehen und den Stargardischen Distrikt auf die Bedingungen, die theils schon vor diesem in Vorschlag gekommen oder noch behandelt werden könnten, abzutreten, den Rest aber aus dem Boizenburger Zoll zu versichern. Dies sei seine schließliche Erklärung.

Die Zurückziehung des Angebotes von Ratzeburg führte sich auf den Einfluß des Grafen Horn zurück, der seit März d. J. wieder in Wien war und der, weil er den Kaiserhof noch immer durchaus auf Friedrich Wilhelms Seite stehend fand, das Zugeständniß des Votums für unnöthig und zu weitgehend hielt. In ähnlichem Sinne sprach sich Heems in einem Schreiben aus Berlin den 17./7. Juni aus. Strelitz habe an Brandenburg geschrieben und fordere außer Ratzeburg auch noch Stargard, 1 ) was "sehr absurd" sei. Brandenburg habe in seiner Antwort seinen Rath wiederholt, die Kommission nicht fruchtlos sich zerschlagen zu lassen. Man meine in Berlin, Schwerin möge sich entschließen, Adolf Friedrich noch ein paar Aemter zu Ratzeburg abzutreten, da die Sicherung des Restes auf den Boizenburger Zoll ihm nicht genüge. Wenn Schweden und Celle neue Intriguen anspinnen - von Dänemarks Frontwechsel wußte also Heems noch nichts - und Strelitz exorbitante Forderungen erheben sollte, so räth Heems Abbruch der Traktaten und Notation an den Kaiser. "Wenn Graf Horn wegen Ratzeburg nicht wohl zufrieden, so hat er nun jetzo gelegenheit, die Sache in Wien ganz anderß einzurichten, und wird auch unser Hof (d. i. der Wiener) jetzo ursach haben, umb einen thon höher zu sprechen, alß es wohl auch geschehen wird."

Graf Eck war indessen anderer Ansicht als Graf Horn und Heems und mißbilligte die Zurückziehung des Vorschlages wegen


1) Hier tritt die Forderung von Stargard neben Ratzeburg zum ersten Mal auf.
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Ratzeburg, und zwar, seinen eigenen Worten nach, im Interesse der Schweriner (Schreiben vom 28./18. Juli). Der Stargarder Distrikt erscheint ihm werthvoller als Ratzeburg, da dieses keinen Adel, keine Festung - aber auch Stargard hatte keine -, ja nicht einmal eine Stadt von Bedeutung habe. Von Einfluß auf diese seine Ansicht wird aber auch sein persönlicher Wunsch gewesen sein, den Ausgleich zu Stande zu bringen, was ihm Ehre und Anerkennung eintragen mußte. Die Zurückziehung der Abtretung Ratzeburgs rückte die Hoffnung auf endliches Gelingen wieder in weitere Ferne.

Von Petkums erstem Auftreten bis Ende 1699.

Auf den 16./6. oder 17./7. September ward die Kommission wieder berufen zu dem Zweck, um ihre Notation an den Kaiser zu erstatten. Schwerin und Strelitz erhielten Nachricht hiervon für den Fall, daß sie vor Abschluß der Notation noch etwas ad acta zu bringen oder anzuzeigen hätten.

Von Schwerin wurden wieder die beiden früheren Deputirten, Vermehren und Taddel, nach Hamburg gesandt mit der Instruktion (vom 2. September), auf dem Schreiben des Herzogs vom 23. Juni zu bleiben, so lange Strelitz sich nicht näher herauslasse. Von strelitzischer Seite erscheint ein neuer Mann auf den Plan, Edzard Adolf v. Petkum, den Adolf Friedrich auf Empfehlung seiner Schwägerin Louise von Dänemark in seine Dienste genommen hatte, weil Gutzmer seine Interessen nicht in der richtigen Weise zu vertreten schien und in den Verdacht gerieth, bestochen zu sein. 1 )


1) Ueber Petkum s. Buchwald, S. 103. Ebendort sucht Buchwald nachzuweisen, daß die Beschuldigung des Verrathes gegen Gutzmer gegründet war (s. S. 91-106). Zwingend erscheint seine Beweisführung nicht, und in den Schweriner Akten findet sie keine Stütze. Es steht in ihnen nicht die geringste Andeutung, daß Gutzmer bestochen oder auch nur durch Drohung mit dem Verluste seiner Güter (s. Buchwald S. 105) eingeschüchtert worden sei; dagegen finden sich einige Aeußerungen, die eine andere Erklärung an die Hand geben. In einem Schreiben aus Berlin, den 2. September 1699, heißt es: "Sonsten weiß ich nicht, ob es mit Pettkum zu Strelitz wird Bestand haben, den Gutzmer ein seltsamer Mann ist, und ungern jenen sehen wird." Graf Eck schreibt den 9. Januar 1700 an Graf Horn rückblickend, mit dem Vorschlag wegen Ratzeburg habe es sich zuerst gut angelassen, besonders da der Rath Gutzmer des Handels bereits überdrüssig zu werden angefangen. Hiermit halte man die Band LXVII, S. 375, berichtete Aeußerung Gutzmers zusammen und den folgenden vom Grafen Horn an die beiden (  ...  )
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An demselben Tage, der für den Wiederbeginn der Komissionsverhandlungen in Hamburg angesetzt war, wurden in Schwerin durch einen schwedischen Offizier aus Wismar zwei Schreiben abgegeben, eins vom König von Schweden, datirt vom 29. Juli, und eins vom Herzog von Celle, datirt vom 23. August. Beide bezogen sich auf die Salmuthsche Sache. Das schwedische Schreiben, das im Archiv erhalten ist, lautete außerordentlich ernst und drohend, es ward darin Satisfaktion und Bestrafung der Missethäter verlangt. Auffallend war, daß beide Schreiben zugleich überbracht wurden, was auf ein genaues Einverständniß beider Höfe über ihr Verfahren in der Sache schließen und noch weitere gemeinsame Maßregeln, wohl gar kriegerische, befürchten ließ, falls es nicht gelang, beide Höfe zu begütigen.

Friedrich Wilhelms Antworten sind datirt vom 12. September; dem König von Schweden erklärte er, sein Schreiben sei "das aller sensibelste, was er iemahlen in der Welt gehabt;" er könne nicht glauben, daß der König, wenn ihm die wahren Umstände des unglücklichen Renkontres bekannt wären, ein so hartes Schreiben würde haben abgehen lassen. Er wolle Jemand nach Schweden senden, der Erklärung geben solle. 1 )


(  ...  ) Schweriner Deputirten den 23. Dezember 1699 geschriebenen Brief, worin er in Bezug auf den Rath, man möge Bernstorff zu gewinnen suchen, schreibt, er halte dies für pure unmöglich und deshalb schädlich, sich per specialia darum zu bemühen. Es werde damit ebenso gehen wie mit Lissenhaim und Gutzmer, "die nachmahls sich verrühmet, alß ob Jhnen Offerten geschehen sein: um Seren. gerechte Sache dadurch zweiffelhafft; hergegen sich selber in Summo gradu Ehrlich und meritiret zu machen." Der Brief beweist, daß Gutzmer allerdings Anerbietungen gemacht sind, die er aber ausgeschlagen hat. Die Aeußerung des Grafen Eck giebt eine durchaus zureichende Erklärung für Gutzmers Neigung zum Nachgeben. Es ist ihm also höchstens Lässigkeit im Dienste seines Herrn, aber nicht Verrath vorzuwerfen. Auch die Vorwürfe, die ihm aus frühern Jahren gemacht werden, Aufgabe der Possession von Güstrow 1695 und Unterwerfung unter den kaiserlichen Spruch (s. Buchwald, S. 105), beweisen keinen bewußten Verrath. Wenn Adolf Friedrich geglaubt hat, er habe nach Gustav Adolfs Tod die Possession von Güstrow "in Händen gehabt", so geht aus der o. Darstellung hervor, daß er sich hier in einer starken Selbsttäuschung befand; er hatte wenige Tage nach dem Tode des Schwiegervaters nicht mehr davon in Händen, als höchstens die Zimmer im Schloß, die er bewohnte. Und wenn nachträglich aller Orten behauptet ist, durch die Submission unter Wien sei die Sache versehen, so ist dies schwerlich mehr als ein Vorwand, womit die betreffenden Höfe sich Adolf Friedrich gegenüber entschuldigen wollten, daß es ihnen nun nicht mehr möglich sei, ihm zu seinem vollen Rechte zu verhelfen.
1) Herr v. Koppelow ging darauf nach Schweden, und auf Bitte des Herzogs entschloß sich auch dessen Mutter, die Herzogin Christine (  ...  )
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In dem Schreiben an den Herzog von Celle heißt es, Friedrich Wilhelm habe sofort die That gemißbilligt. Georg Wilhelm werde selbst urtheilen, daß "ein großer Herr sehr unglücklich seyn werde, wenn er für jede Insolenz seiner bösen Diener solle Satisfaction geben." Salmuth habe vor vielen Zeugen öffentlich ausgesprochen, daß er nicht mehr in Lüneburgischen Diensten stände.

Wenn es auch gelang, den Sturm zu beschwichtigen, so war doch ein Stück Terrain für Schwerin verloren gegangen, auf dem sich Strelitz fester zu setzen suchte, wobei Herr von Petkum eine rastlose Thätigkeit entfaltete. Ehe er nach Hamburg kam, unternahm er Ende August eine Rundreise, die ihn nach Berlin und zu den drei welfischen Höfen - Hannover, Celle und Wolfenbüttel - führte. Von Lüneburg und Brandenburg erwirkte er die Fortzahlung der Adolf Friedrich bewilligten Gelder aus der Sequestrationskasse. Zugleich legte er ein Vergleichsprojekt vor, worin vorgeschlagen war, daß Strelitz den Wendischen Distrikt (Circulus Vandaliae) mit dem Votum erhalte. Damit war allerdings nicht das ganze alte, 1436 an die Hauptlinie gefallene Fürstenthum Wenden (Werle) gemeint, sondern nur ein Theil davon, aber mit Stadt und Amt Güstrow. Auf diese war es besonders abgesehen, doch fand Petkum schon bei seiner Rundreise mit dieser Forderung kein besonderes Entgegenkommen, trotzdem war er entschlossen, sie so energisch wie möglich zu verfechten und jedenfalls so viel wie möglich zu fordern, um möglichst viel zu erreichen.

Die Kommission begann ihre Verhandlungen mit ernsten Vorhaltungen an die Schweriner (d. 11. September), Friedrich Wilhelm setze sich in das größte Unrecht, wenn er seinen früheren


(  ...  ) Wilhelmine, zur Reise dorthin (Oktober 1699) mit einem neuen Schreiben Friedrich Wilhelms, in dem dieser erklärte, daß "zur Laesion des respects" vor dem König bei der Salmuthschen Affaire nichts beabsichtigt gewesen sei. Durch das Schreiben wie besonders die persönliche Einwirkung der Herzogin ließ sich denn auch der schwedische Hof begütigen. Den 30. Nov. schrieb der König an Friedrich Wilhelm, er "stelle seine durch das unglückliche rencontre veranlaßte Empfindlichkeit in Vergeßenheit." Die Herzogin schrieb den 13. Dez. aus Stockholm: "Jch habe ihn (den schwedischen Hof) gar kalt und wiedrig gegen unß gefunden; nun scheint es doch, daß durch göttliche Hülffe es sich endet." Das Verhältniß schlug dann - scheinbar wenigstens - ins Gegentheil um, es kam sogar April 1700 ein Bündniß zwischen Schweden und Schwerin zustande, von dem unten die Rede sein wird. Die Herzogin war Ende Mai 1700 wieder in Schwerin.
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Vorschlag wegen Ratzeburg wieder zurückziehe, die Konjunkturen würden je länger, desto gefährlicher, die Lage verschlimmere sich täglich. Man sagte den Räthen ins Gesicht, wenn der Herzog den letzten Kommissionsvorschlag jetzt nicht annehme, werde er innerhalb zwei Monaten zusehen müssen, wie ein anderer ins Güstrowsche eingesetzt werde, 1 ) das Odium wachse gegen ihn aller Orten gar zu sehr und fehle es nirgends an "schimpflichen Censuren".

Den 25./15. September trat dann die Kommission, nachdem sie beide Parteien angehört, die sich auf ihre früheren Erklärungen bezogen, mit dem Vorschlag hervor, Stargard möge abgetreten und das Ratzeburgische oder Stift=Schwerinische Votum diesem Lande beigelegt werden; die Einkünfte des Landes seien aus dem Boizenburger Zoll bis auf die Höhe von 40000 Th. zu ergänzen. Antwort mit einfachem Ja oder Nein ward auf den 25./15. November gefordert.

Auf die erste Meldung der Räthe hin entschloß sich Friedrich Wilhelm (d. 18. September) zur Wiederherstellung der Alternative zwischen Ratzeburg mit dem Votum (und im Ganzen 29000 Th. Einkünfte) und dem stargardischen Kreise ohne Hoheitsrechte (mit 35000 Th.), auch im letzteren Falle ward zugestanden, Friedrich Wilhelm könne geschehen lassen, wenn Adolf Friedrich ein (neues) Votum vom Kaiser erhalte. Die Räthe theilten diese Resolution in Hamburg vertraulich mit, wo man sie aber noch nicht ausreichend fand, Strelitz zu gewinnen und auf dem Kommissionsvorschlage beharrte. Strelitz wünschte (d. 20. September) einige Monate Aufschub und machte sich anheischig, gegen Ablauf dieser Zeit sich endgültig zu erklären, diktirte aber vorläufig zu Protokoll, daß Adolf Friedrich sich nicht mit 30000 Th. begnügen noch auch den Rest davon in baarem Gelde annehmen werde, sondern an Land und Leuten beanspruche.

Eine Vertagung ward angenommen (d. 21. September), aber nur bis zum 12./2. November. Den 22. September ward darauf der Sekretär der Konferenz, Wider, mit dem Projekt vom 25./15. September nach Schwerin an den Herzog gesandt, um ihn in persönlicher Besprechung zur Annahme zu bewegen. In der That zeigte sich der Herzog persönlich auch diesmal


1) Schwedische Truppenbewegungen wurden dahin gedeutet, daß Schweden Adolf Friedrich mit Gewalt ins Güstrowsche einzusetzen beabsichtige.
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wieder leichter bestimmbar als seine Räthe. Er erließ nach Besprechung mit Wider unter dem Datum des 23. September ein Schreiben mit seiner "endlichen und letzten" Resolution, die im Ganzen, so in Bezug aus die 40000 Th., dem Kommissionsvorschlage zustimmte, die Abtretung von Stargard guthieß, auch das wichtige Zugeständniß machte, Friedrich Wilhelm wolle das Votum von Ratzeburg so lange nicht gebrauchen, bis Adolf Friedrich für Stargard eins vom Kaiser erwirkt habe, und endlich Versicherung der Primogenitur durch Stipulation verlangte.

Des Herzogs Räthe waren mit diesen starken Zugeständnissen keineswegs einverstanden, der alte Hofmarschall v. Löwen machte seinem bedrückten Herzen in einem Briefe an Taddel (d. 23. September) durch den Stoßseufzer Luft: "die Haar stehen zu bergen einem, was nun accordiret ist, Gott mag unß helffen!" Auch Graf Horn, der noch in Wien war, billigte das Geschehene nicht. Von Wien aus sah die Situation bedeutend günstiger für Friedrich Wilhelm aus als in Hamburg, Horn hielt es sogar für möglich, daß der Kaiserhof sich zu bewaffnetem Einschreiten für Friedrich Wilhelm bewegen lassen werde. Dies erhellt schon aus zwei Eingaben, die unter dem 3. September in den Akten des Reichshofrathes verzeichnet sind. Beide bewegen sich noch völlig in dem Gedankengang der kaiserlichen Drohreskripte gegen Adolf Friedrich und die Kreisdirektoren. Das eine will ein fiskalisches Strafverfahren gegen Adolf Friedrich und Gutzmer erwirken, stellt außerdem die Anträge, daß Friedrich Wilhelm die Erlaubniß erhalte, die Schweriner Apanage Adolf Friedrichs einzubehalten und das Amt Mirow wieder zurückzunehmen, und daß Adolf Friedrich verurtheilt werde, für den Schaden und Schimpf, den Friedrich Wilhelm erlitten, die Kosten zu zahlen, und empfiehlt die Anerbietungen Friedrich Wilhelms (Stargard ohne Votum) vom 23. Juni. Das andere richtet sich gegen die Kreisdirektoren und beantragt, daß der kaiserliche Fiskal mit der Reichsacht (poena banni) gegen sie einschreite, und der Kaiser nebst den uninteressirten Gliedern des Nieder=Sächsischen Kreises mit Zuziehung der übrigen Kreise Friedrich Wilhelm wieder zum Besitz von Güstrow, auch zu völliger Satisfaktion wegen des erlittenen Schadens durch zureichliche Militärmacht ohne Verzug verhelfe und dazu als das allerhöchste Oberhaupt des heil. röm. Reiches und als Generalobrister aller Kreise selber mit Hand anlege.

Diese Eingaben wurden zu der Reichshofrathssitzung vom 13. September noch nicht herangezogen, die zu dem Beschlusse führte,

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durch Reskripte an die Kommission und die Parteien die Wiederaufnahme und Beschleunigung der Verhandlungen zu empfehlen, deren Beendigung dem Kaiser "überaus angenehm" sein werde. Als Horn dann Kenntniß von dem erhielt, was in Hamburg und Schwerin den 20. bis 23. September vorgefallen, urtheilte er, man müsse bei den einmal gemachten Zugeständnissen bleiben, und ließ d. 22. Oktober beim Reichshofrath ersuchen, über die beiden Eingaben vom 3. September einstweilen dem Plenum des Reichshofraths noch nicht referiren zu lassen, da der Anwalt erst noch den Ablauf des neu angesetzten Kommissions=Termines abwarten möchte. Seine Absicht war aber auch jetzt noch, die Kommission mit Anstand abzubrechen und die Entscheidung nach Wien zu ziehen, wo er den Kaiserhof in die von ihm gewünschte Bahn des bewaffneten Einschreitens treiben zu können hoffte.

Als die Schweriner Räthe schon unterwegs nach Hamburg waren, erhielten sie die Nachricht, daß Strelitz erkläre, es könne zum 2. November noch nicht senden, da es ein kaiserliches Reskript erhalten und darüber erst mit dem Kaiser korrespondiren müsse. Es war dies allerdings eine den Intentionen des Kaisers gänzlich entgegengesetzte Folge seines Reskriptes vom 23. September, das gerade auf Beschleunigung drang. Adolf Friedrich entnahm aber daraus einen Anlaß, sich noch einmal in einem beweglichen Bittschreiben an den Kaiser zu wenden (d. 14./4. Oktober). Er spricht hierin die Meinung aus, daß "einige seiner Bedienten und Räthe zu seiner und der seinigen äußerster Desolation es versäumt hätten, wie es die eigentliche Beschaffenheit und der Zustand seiner gerechtesten Sache wohl erfordert gehabt, den Kaiser wie seinen geheimen und Reichshofrath in etwas genauer und klärlicher über die von der Natur ihm angestammte Güstrowsche Erbfolge zu informiren", und bittet um Anweisung an Graf Eck, daß er wenigstens die Hälfte des Güstrowschen mit der vollen Landeshoheit und eines von den vier meklenburgischen votis erhalte, und um Prolongation auf einige Monate, um sich noch eingehender hierüber vernehmen zu lassen.

Der Kommission theilte Adolf Friedrich mit, er müsse erst die Antwort auf dieses Schreiben abwarten, und verlangte Aufschub bis zum 22./12. November, und Wolfenbüttel bewilligte auch diesmal wieder den Aufschub, ohne sich mit den übrigen Kommissionsmitgliedern darüber ins Einvernehmen zu setzen. Die Schweriner Räthe reisten zwar trotzdem nach Hamburg und remonstrirten von dort aus, ebenso wie auch Graf Eck, gegen die

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Verzögerung, allein da auch Wolfenbüttel abgeschrieben, so blieb nichts übrig, als zu warten.

Inzwischen ging von Wien (d. 13. November) ein neuer Erlaß aus, der für den Augenblick den Stand der Sache zu Gunsten von Strelitz verschob. Es war ein Reskript, das, wie Horn nachher in Erfahrung brachte, dem Kaiserlichen Geheimen Rath überhaupt nicht vorgelegt, sondern direkt aus dem Reichshofrath dem Kaiser zur Unterschrift unterbreitet war. Adolf Friedrichs Freunde, deren er im Reichshofrath nicht ganz entbehrte, mochten ihre Hand im Spiele gehabt haben. In dem Reskript ward Graf Eck angewiesen, dahin zu trachten, daß Strelitz sich auf die Schweriner letzte Erklärung einlasse; "dafern aber solches auf keine Weise zu erhalten, so solle der Graf die Strelitzer Vorschläge ersehen und sich neben den übrigen Komssionsmitgliedern äußerst angelegen sein lassen, die Sache auf ein oder andere thunliche Weise in der Güte zu schlichten." Das Aktenstück war nicht an die Kommission, sondern an den Grafen adressirt, der der Kommission davon Mittheilung zu machen habe.

Durch dasselbe war allerdings das Gesuch von Strelitz um die Hälfte des Güstrowschen Landes implicite abgeschlagen, aber doch nicht so "platterdings", wie der Reichs=Vizekanzler Graf Kaunitz dem Grafen Eck vor dem Erlaß dieses Reskriptes schrieb, vielmehr ließ es Strelitz die Möglichkeit offen, die letzten Schweriner Zugeständnisse zu verwerfen und weiter gehende Forderungen zu erheben.

Während es von Wien unterwegs war, begannen die Kommissionsverhandlungen wieder. 1 ) Den 17. November war die


1) Vorher war Petkum wieder in Berlin gewesen mit einer Landkarte, auf der er den geforderten "Vandalischen Distrikt" umschrieben hatte, und hatte für die Bewilligung von 50 bis 60000 Th. in Land und Leuten plaidirt. Mumme, der damals mehrere Monate in Berlin war, hielt ihm die Stange. Er wirkte in Berlin dafür, daß Brandenburg seine Truppen aus dem Güstrowschen zurückzöge und womöglich sich zu bewaffnetem Einschreiten gegen die zwei andern Mächte verpflichte, wenn diese nicht das gleiche thäten. Hieran war nicht zu denken. Ein kleiner Dienst war, daß der Kurfürst auf kaiserliche Requisition sich bei Schweden und Celle verwandte, daß sie wegen der Salmuthschen Sache nichts unternehmen möchten. Andererseits hinderte Brandenburg bei allen Freundschaftsbetheuerungen für Friedrich Wilhelm nicht die Fortzahlung der Gelder an Adolf Friedrich: es behauptete in der Sache überstimmt zu sein. Mumme schreibt d. 13. Nov.: "Brandenburg speist uns mit guten Worten ab, mahnt aber in effectu auf alles einzugehen." - Als der Erlaß vom 13. Nov. in Berlin bekannt ward, (  ...  )
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Kommission zum ersten Mal wieder vollzählig beisammen. Die Schweriner Instruktion (schon vom 29. Oktober datirt) that gegen die Zugeständnisse vom 23. September wieder einen Schritt zurück, indem sie diese dahin erläuterte, es sei Friedrich Wilhelms Meinung nicht gewesen, die Landeshoheit für den Stargardischen Distrikt per totum zu überlassen, vielmehr müsse er sich das Besteuerungsrecht vorbehalten. Adolf Friedrich möge die stargardischen Steuern sammeln und auf Abschlag der 40000 Th. behalten, vom Votum könne Friedrich Wilhelm nicht abstehen.

Der erfindungsreiche Petkum brachte eine Schrift mit, die drei Vorschläge zur Auswahl stellte:

1. Adolf Friedrich bietet aus dem Güstrowschen 65000 Th. jährlich, das bedeute zu 5 % gerechnet ein Kapital von 1300000 Th. Das Kapital dürfe abgetragen werden.

2. Oder er erhält den "sehr sterilen" Stargardischen Distrikt und etwa den halben Theil des Circuli Vandaliae mit einer jährlichen Summe von 60000 Th. Welche Theile des Wendischen Kreises Petkum meinte, zeigte er, wie schon vorher in Berlin auf einer vorgelegten Karte: es waren die Aemter Stavenhagen, Ivenack, Neukalen und Güstrow. Der Boizenburger Zoll soll Schwerin verbleiben, doch die 60000 Th., wenn es nöthig ist, daraus ergänzt werden. Nach Petkums Berechnung würde Adolf Friedrich auf diese Weise aus dem Güstrowschen 100000 Thaler weniger als Friedrich Wilhelm erhalten.

3. Will Schwerin zu diesem kleinen Streifen von dem Wendischen Kreis an Stelle des übrigen (d. h. Stargards) das "gar geringe" Bisthum Ratzeburg geben, so wird Strelitz sich auch darin überwinden.

Die Schweriner Deputirten weigerten sich, d. 18. November über dieses Petkumsche Memorial in Verhandlung zu treten, weil darin so gar nichts von dem, was der letzte Kommissions=Vorschlag diktire, enthalten sei. Die Kommission schloß sich dieser Ansicht an und bedauerte "die gegenseitige Conduite".

Noch am selben Tage aber langte das Wiener Reskript vom 13. November in Hamburg an. Welchen Eindruck es dort machte, spiegelt sich am deutlichsten in einem Postskriptum ab, das Taddel den 19. einem schreiben vom 18. beigefügt hat:

"Nun scheint der teufel alle seine macht an unß auf einmahl employren zu wollen, vigilate ergo et orate fratres, Herr


(  ...  ) stellte man sich zwar sehr verwundert darüber, erklärte aber, sich jetzt vom Kaiserhofe nicht trennen zu können, und verstärkte so den Druck auf Schwerin noch.
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Graf v. Egk ist fast unsinnig für Verdruß und chagrin, tempestiret auf H. Grafen v. Horn warumb derselbe den coup nicht pariret hat. Ich sehe kein auskommen auf solche weise, adieu, in großer confusion und Verdrießlichkeit. T." Eiligst ward Graf Horn benachrichtigt, auch Graf Eck beeilte sich, nach Wien zu berichten und um Remedur dieser schädlichen Verordnung nachzusuchen.

Herr v. Petkum triumphirte, jetzt besitze Strelitz die Gunst des Kaiserhofes, selbst der Referent in den meklenburgischen Angelegenheiten, Herr v. Andler, sehe schon seinen Irrthum wegen der Geltung des Primogeniturrechtes ein. 1 ) Ein Glück für Schwerin war es noch, daß das Reskript vom 13. November nicht an die Kommission als solche, sondern an den Grafen Eck adressirt war. Die Kommission fand sich dadurch gekränkt. Sah darin einen Beweis, daß das Reskript "erschlichen" sei und hielt bis auf weitere Aufklärung an dem vorletzten Reskripte vom 22. Oktober fest, ließ sich aber doch insoweit durch das letzte Reskript und das Auftreten von Strelitz irre machen, als sie jetzt auf Abtretung von mehr Aemtern zur Sicherstellung der 40000 Th., ferner auf Reluition der stargardischen Aemter von allen Schulden vor der Abtretung und auf uneingeschränktes Votum drang. Dazu kam, daß immer noch Gerüchte gingen, als ob aus der Salmuthschen Sache noch unangenehme Folgen für Friedrich Wilhelm erwachsen würden, was ebenfalls von Einfluß auf die Haltung der Kommission war. 2

Eine neue Fatalität entstand daraus, daß die Kommission die beiden Fürsten wieder nach Hamburg einlud und Graf Eck die Eigenmächtigkeit beging, den Subdelegirten gegenüber das Erscheinen Friedrich Wilhelms, der ja schon zweimal bereitwillig einer gleichen Einladung gefolgt war, zu garantiren. Die Schweriner Räthe wie Friedrich Wilhelm selbst hatten schwere Bedenken gegen die Reise in der damaligen ungünstigen Situation. So kam es, daß jetzt Adolf Friedrich (den 7. Dezember) in Hamburg erschien, während Friedrich Wilhelm zauderte und unter Hinweis auf sein früheres vergebliches Warten antworten ließ,


1) Von Horn zur Rede gestellt, bezeichnete Andler diese Unterstellung als "Schelmenrede".
2) "Nach welcher Gefahr man gleichsamb auch die conditiones zu reguliren scheinet, durch welche S mus. sich aus dem wercke helffen mögten," heißt es in der Relation der Räthe v. 29. Nov.; in der vom 28. schreiben sie: "Ein bekannter Minister soll gesagt haben, daß Friedrich Wilhelm um der Sallmuthschen Sache willen - noch etwa 10000 Rth. jahrlich an Strelitz mehr zu geben haben werde."
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er werde erst dann kommen, wenn er sichere Nachricht habe von seines Vetters Anwesenheit und "wahren inclination", ob er das Votum fahren lassen wolle. Dies verstimmte den Grafen Eck persönlich. Doch war man mit diesem am Schweriner Hofe wenig mehr zufrieden. In ihrer Relation vom 1. Dezember schreiben die Räthe: "Graf Egk läßt sich sonderlich angelegen seyn, daß Ew. hochf. Dchl. die Traktaten couste qui couste befodern möge, damit nur der Ksl. Hoff auß der Sache komme, es möge E. hochf. Dchl. Jhre rechnung dabey finden oder nicht", und ähnlich den 13. Dezember: "Es thut der H. Graf v. Egck wohl alles was zu ersinnen, Jhm ein meritum durch hinreumung dieser Sache am Ksl. Hofe zu machen, es geschehe durch ordentliche oder extraordinaire mittel und wege, und es finden Ser. noster Jhre convenienz dabey oder nicht, gedeyen oder gehen darüber zu trümmern."

Bestärkt mußte der Graf in dieser Haltung noch durch die kaiserlichen Reskripte werden, die den 2. Dezember in Wien unterzeichnet wurden. Es waren deren vier, eins an Friedrich Wilhelm als Erwiderung auf ein Schreiben desselben vom 28. Oktober, worin er gebeten, Adolf Friedrich zuzusprechen, daß er auf seine letzten Angebote eingehe. Der Kaiser willfahrte dem, ermahnte aber auch Friedrich Wilhelm, seinerseits ebenfalls "alle facilität" zur Beilegung der Sache zu zeigen. Adolf Friedrich erhielt zwei Reskripte, das eine tadelte, daß Petkum eine gedruckte Schrift mit allerhand scandaleusen Anzüglichkeiten gegen den Reichshofrath und den Grafen Eck diesem ins Haus geschickt 1 ) und verlangte Bestrafung Petkums, das zweite enthielt die von Friedrich Wilhelm gewünschte Ermahnung, die aber eine ganz allgemeine Fassung erhalten hat. Das vierte Reskript ist an den Grafen Eck adressirt, mit Beischluß der übrigen drei und dem Auftrage, den gütlichen Vergleich auf alle Weise zu befördern, "gestalten der Kaiser alß ein absonderliches meritum gegen ihn erkennen will, wan durch seine dexterität dieser schon so weit gebrachte gühtliche Vergleich zuwegen gebracht werde." Das Reskript spricht sich dann noch scharf gegen eine etwaige Fortdauer der Zahlungen an Adolf Friedrich aus.

Erst kurz vor Weihnachten, nachdem die Verhandlungen bereits ausgesetzt waren, entschloß sich der Herzog, um wenigstens der Form zu genügen und den Grafen nicht wortbrüchig werden zu lassen, zu einem kurzen Besuche (d. 16. Dezember) in Hamburg, bei dem er aber zu Zugeständnissen sich nicht hinreißen ließ.


1) Eine solche Schrift ist nicht bekannt.
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Adolf Friedrich hatte schon den 9. erklären lassen, er nehme den letzten Kommissionsvorschlag im Ganzen an, soweit es das Quantum der 40000 Th. betreffe, es müsse ihm aber diese Summe an Land und Leuten bewilligt werden, wofür Petkum mit Beilegung einer Landkarte wieder den Vandalischen Kreis genannt hatte. Die Kommission hatte dagegen den Westen des Landes vorgeschlagen, etwa den Strich Landes, der westlich liegen bleibe, wenn man vom Fürstenthum Ratzeburg nach Boizenburg durch die Grafschaft Schwerin eine Linie ziehe; man gönne dort Strelitz gerne eine Residenz. Den 11. hatte Petkum Adolf Friedrichs Antwort hierauf zu Protokoll gegeben: Er erkläre sich pro extremo und ultimo dahin, den Güstrowschen Antheil des Wendischen Kreises - es waren die obengenannten Aemter gemeint - nebst dem Stargardischen Distrikt anzunehmen, vorausgesetzt daß Votum und Reichsunmittelbarkeit damit verbunden sei, mit allen darauf haftenden Schulden, dergestalt, daß, wenn daraus das völlige Quantum der 40000 Rth. auch das Amt Mirow mit einbegriffen, nicht erreicht werde, zu dessen Supplement andere Stücke des Herzogthums Güstrow zu nehmen seien.

Folgende Berechnung gab Auskunft über die Einkünfte der geforderten Stücke:

1. der Stargardische Distrikt trägt an freien Revenüen 9 122 1/2 Rth.
2. der Güstrowsche Antheil des Circuli Vandaliae 16106      Rth.
------ --------- ------
25 228 1/2 Rth.
Davon geht ab wegen des Amtes Stavenhagen, das der Herzogin=Wittwe überlassen ist 1800      Rth.
------ --------- ------
Rest:    23428 1/2 Rth.

Es blieben hiernach noch etwa 16500 Rth. durch andere Landstücke aufzubringen. Unter dem Deckmantel der 40000 Rth., über die ja die Kommission mit den beiden Parteien jetzt einig war, versteckten sich also ganz exorbitante, für Schwerin völlig unannehmbare Forderungen. Die Kommission beschloß sich bis zum 18./8. oder 19./9. Februar zu vertagen, theilte aber noch, ehe sie auseinanderging, die letzte Strelitzer Erklärung den Schweriner Deputirten mit, die den 25./15. Dezember antworteten, ihr Herr bleibe bei seiner letzten Resolution, habe aber zum festgesetzten Termin sich wieder einstellen zu wollen versprochen. 1 )


1) In den letzten Tagen vor dem Schlusse erschien in Hamburg der Sohn der Landraths v. Jasmund als Vorläufer einer Deputation der meklenburgischen Ritterschaft, um die Interessen der Stände bei den Verhandlungen wahrzunehmen.
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Ueber ihre Besorgniß, daß der Kaiserhof eine Schwenkung gemacht habe, wurden die Schweriner nachträglich beruhigt durch ein neues Reskript, datirt vom 15. Dezember, des Inhalts, das Reskript vom 13. November habe nicht das Absehen gehabt, als wolle man die Kommissionsvorschläge bei Seite setzen, sondern nur das, wie diese langwierigen Streitigkeiten am Besten geendet werden könnten; man möge die Kommission nicht abbrechen. Dadurch wurden die Berichte Horns in erfreulicher Weise bestätigt, der wiederholt bestimmt versicherte: der Wiener Hof sei nicht "chancellant", der Kaiser insbesondere, der ihm gestatte, alle Woche ausführlich über die Güstrowsche Sache mit ihm zu reden, habe seine Ansicht nicht geändert. Man konnte also in Schwerin mit ruhigerem Herzen dem Wiederbeginn der Verhandlungen entgegensehen.

Die ersten Monate des Jahres 1700 bis zum Abbruch der Verhandlungen durch den Grafen Horn.

Während man von beiden Seiten auf den Wiederbeginn der Kommissionsverhandlungen sich rüstete und inzwischen auf alle betheiligten Höfe einzuwirken suchte wie auch in Wien mit Memorialien einkam, erschien d. 23. Januar 1700 eine neue Ausgabe kaiserlicher Reskripte an die Kommission und die beiden Herzöge, veranlaßt durch die letzten Relationen Ecks. Der Kaiser schreibt, es komme hauptsächlich auf die Residenz Güstrow und die Uebertragung des Votums auf den Stargardischen Distrikt an; deswegen die Traktaten nicht abzubrechen, habe er verschiedene nachdrückliche Ursachen, zumal da der Herzog von Strelitz sein Ziel wegen der 40000 Th. und des Votums auf andere Art als bei dem Vandalischen und Stargardischen Distrikte erreichen könne. Der Kommission wird aufgetragen, nochmaligen Vortrag auf das Fürstenthum Ratzeburg cum voto und irgend ein nahe angrenzendes Schweriner oder Güstrower Stück Landes zu thun, das am füglichsten zu separiren sei, und beiden Theilen nachdrücklichst zuzusprechen.

Sehr bezeichnend für die Stellung des Kaiserhofes zu beiden Parteien, die immer noch die gleiche war, ist der sehr verschiedene Ton, in dem die beiden Reskripte an Friedrich Wilhelm und Adolf Friedrich gehalten sind. Während das an Friedrich Wilhelm gerichtete in den freundlichsten Worten sein friedfertiges Gemüth und seine wohlmeinende Intention anerkennt, woran die

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Mahnung geschlossen wird, bei dieser guten Gesinnung zu verharren und den Vorschlag, den die Kommission wegen Ratzeburg thun werde, anzunehmen, ist das Reskript an Adolf Friedrich recht unfreundlich gehalten. Es heißt darin, der Kaiser könne nicht begreifen, "mit waß vor einem Grund Dero Lbd. gerathen werden könte, bey so weit gediehenen und für dieselbe sehr vortheilhafftigen Tractaten das werkh in noch größere Zeitverliehrung zu spielen, und das Güstrausche Land und Herzogthumb ohne einen rechtmäßigen Herrn und Landesfürsten, auch in gegenwertiger unrichtigkeit, bloß und allein auff der von ihro einmahl gefaßten praetension auff die Residenz Güstrau und transferirung eines Voti auff den Stargardischen district zu laßen, sonderlich da Dero Lbd., wenn sie dero intention ratione Summae et voti auff andere billige und von gedachter Unser Kays. Commission an Hand gebende wege erhalten kan, eben auff solche in sinn gefaßten und so viel schwürigkeiten nach sich ziehenden Land=Stücken, in specie das Ampt und Residentz Güstrau, im fall sie anders die Güte zu exequiren, ihro ernst seyn laßen, nicht weiter ohne ihrer ohnfehlbar zu gewarten habenden, wiewohl allzuspäten bereuung bestehen können." Diesen scharfen und drohenden Worten folgt die Mahnung, die Traktaten auf das von der Kommission zu eröffnen stehende Expedienz schließen zu helfen, woran noch die Mittheilung angefügt wird, der Kaiser habe auf die Nachricht, daß Adolf Friedrich aus dem Güstrowschen jährlich 30000 Th. gereicht würden, seine bereits vorher ergangene Verordnung wiederholen lassen, daß, er auf keine Weise solche Zahlungen vor ausgemachter Sache gestatten und solches nicht anders als für einen abermaligen Eingriff in S. allerhöchste Autorität aufnehmen könne, zumal da dieses das rechte Mittel sei, daß von Seiten Adolf Friedrichs die gütlichen Traktaten immer schwerer gemacht würden.

Eck erhielt die Reskripte den 16./6. Februar, er behielt sie bis zum Beginn der Verhandlungen, der sich in Folge Behinderung des Kanzlers Probst bis zum 26./16. Februar hinausschob. 1 ) Eine Kopie sandte er indessen sogleich den 6. nach Schwerin. Als sie dort ankam, hatten die Schweriner Räthe ihre Instruktion (d. 13. Februar) bereits erhalten. sie sollten erklären, daß


1) Auf den 18. Februar folgte im J. 1700 im protestantischen Deutschland und in Dänemark sogleich der 1. März, wegen Einführung des neuen Kalenders (s. Grotefend, Taschenbuch der Zeitrechnung, S. 24), seitdem ist die Datierung in Wien und in Norddeutschland die gleiche.
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Friedrich Wilhelm über sein Angebot vom 23. September 1699 nicht hinausgehen könne. Wenn auf gänzliche Cedirung des Ratzeburgischen Votums gedrungen werde, um dieses dem Starardischen in perpetuum zu geben, und auch wenn es auf eine fortdauernde Kommunion mit Strelitz in der Regierung sowie wegen der Landtage und Gerichte abgesehen sei, wodurch das Primogeniturrecht invertirt werde, so lasse Friedrich Wilhelm lieber geschehen, daß die Kommission zufolge des erhaltenen Befehles auf das Fürstenthum Ratzeburg mit dem Votum antrage, "weil doch der Kais. Hof so sehr aus dem embarras mit dem Kreyß-directorio zu seyn eylet, itzige forma regiminis zu Güstrow auch nothwendig geendiget werden muß und unsere umbstende absolute erfodern, denen geldfreßenden processen, abschickungen und negotiationen schleunig Ziel und maße zu setzen", doch könne sich Friedrich Wilhelm in solchem Falle bei dem Ratzeburgischen Vorschlage mit nichten an die 40000 Th. binden, noch das geringste mehr an Land und Leuten hinzuthun. Die Räthe erhalten die Erlaubniß, den Gesammtinhalt der Instruktion dem Grafen Eck und dem Kanzler Probst - mit dem die Schweriner vermittelst einer "Erkenntlichkeit" in Beziehungen getreten waren - im Vertrauen mitzutheilen, damit diese sich nicht anfechten ließen, wenn sie wegen Ratzeburg sich anfänglich etwas sträubten. Ueber die Zulassung der Landstände zu der Kommission, die damals in Wien wie in Hamburg eifrig betrieben ward, heißt es am Schlusse, daß sie zu hintertreiben sei.

Die Instruktion unterschied sich von den letzten kaiserlichen Reskripten in zwei Punkten: Friedrich Wilhelm wollte, wenn er das Votum abtreten mußte, nicht 40000, sondern rund 30000 Th. an Einkünften geben und außer Ratzeburg kein Land mehr abtreten. Ersteres war belanglos, letzteres aber von sehr großer Bedeutung für die Zukunft Meklenburgs, da die Einheit des ganzen Körpers der altmeklenburgischen Lande damit zusammenhing. Graf Horn besonders war es, der wiederholt auf die Gefahren künftiger Zwistigkeiten hinwies, die aus der Theilung des Landes bei Fortdauer der Kommunion erwachsen mußten. Aber wie sollte man Adolf Friedrich, der gegen Ratzeburg einigen Widerwillen hegte und gerade auf Ausstattung mit Besitz aus den altmeklenburgischen Landen das höchste Gewicht legte, die Zustimmung zu solchen Vorschlägen abnöthigen?

Abgesehen von dieser freilich sehr bedeutenden Schwierigkeit war indessen die Situation im Ganzen nicht ungünstig für das Zustandekommen des Vergleiches. Es war dem Wiener Hof

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gelungen. Sowohl von Stockholm wie von Berlin Anweisung an die Minister in Hamburg zu erwirken, daß sie mit dem Grafen Eck in der Erbfolgesache zusammengehen sollten, da "die Kaiserlichen sentiments zulänglich seien." Eine gleiche Instruktion von Celle traf Anfang März in Hamburg ein. 1 ) So war also ein Einvernehmen zwischen dem Kaiser und dem gesammten Kreisdirektorium hergestellt, dem gegenüber es wenig ausmachte, daß Dänemark sich jetzt völlig auf die Seite von Strelitz schlug, und der Bischof ihm, wenn auch nicht mit gleicher Entschiedenheit, folgte. Eck gab sich damals sogar der Hoffnung hin, es werde gelingen, das Kreisdirektorium zu dem Versprechen zu bewegen, die Kreistruppen abfordern und Friedrich Wilhelm das Güstrowsche Land einräumen zu wollen, falls Strelitz jetzt den Vergleich einzugehen sich weigerte.

Freilich die erste Voraussetzung dazu war, daß Schwerin zustimmte, wenn auch zunächst nur im Prinzipe, an Adolf Friedrich außer Ratzeburg noch andere Aemter abzutreten, wogegen gerade die den Räthen nach Hamburg mitgegebene Instruktion entschieden Front machte.

Hierin die Schweriner umzustimmen, war des Grafen eifrigstes Bemühen in der nächsten Zeit, während in den Kommissionsverhandlungen sogleich nach ihrem Beginn schon wieder eine Pause entstand, da die Strelitzer Antwort auf die kaiserlichen Reskripte vom 23. Januar auf sich warten ließ. Bei diesem Bestreben übte ein kaiserliches Reskript (datirt vom 9. Februar), das er den 2. März erhielt, auf ihn die in Wien nicht beabsichtigte Wirkung, als werde ihm wieder von dort her ein Stein in den Weg geworfen.

Es war veranlaßt durch eine Schweriner Eingabe, die erst nach Erstattung des Reichshofrathsgutachtens für die Reskripte vom 23. Januar (den 15. Januar) eingelaufen war und deshalb bei diesen keine Berücksichtigung mehr gefunden hatte. In diesem Memorial hatte der Schweriner Anwalt, der neuesten Wendung der Sache noch nicht kundig, angezeigt, daß sein Prinzipal über seine Erklärung vom 23. September nicht hinausgehen könne unter genauerer Darlegung der Gründe 2 ) und den Stargardi=


1) In Schweden sagte Oxenstierna schon Ende Januar dem Strelitzer Sekretär Schultze, wenn Adolf Friedrich Ratzeburg ausschlage, so habe er keine Protektion vom König mehr zu hoffen und zu befürchten, daß dieser seine Hand von ihm abziehe.
2) Es heißt in dem Memorial, daß das Herzogthum Güstrow sammt dem Boizenburger Zoll nicht mehr als 64785 Rth. eintrage, und der (  ...  )
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schen Distrikt angeboten, dem ein Votum beigelegt werden könne. Das Ratzeburgische Votum abzutreten. Sei Friedrich Wilhelm gar zu präjudicirlich, weil dieses Votum dem Fürstenthum "essentialiter annectirt" sei und die Landeshoheit einschließe. Der Anwalt hatte dann um ein kaiserliches Reskript gebeten mit dem Befehl, dem Schweriner Herzog nicht mehr zuzumuthen, sondern, wenn der Herzog von Strelitz damit nicht zufrieden sei, die Traktaten aufzuheben. Der eigentliche Autor des Memorials war Graf Horn, der die Abtretung von Stargard ohne Landeshoheit, wie er sie im Sinne hatte, für vortheilafter hielt als die von Ratzeburg mit der vollen Landeshoheit und zugleich mit dieser Eingabe den von ihm gewünschten Abbruch der Verhandlungen herbeizuführen hoffte. Darauf ging der Wiener Hof indessen nicht ein, die Eingabe erhielt die Antwort, S. Maj. lasse es bei der Verordnung vom 23. Januar bewenden, diese selbst aber gewann unter dem Einfluß der Eingabe eine etwas veränderte Gestalt, die nämlich, daß "entweder auf das Fürstenthum Ratzeburg cum voto oder auf den Stargardischen Distrikt völlig und entlich zu schließen" sei. 1 )

Eck war unzufrieden, daß hier wieder eine Alternative - zwischen Ratzeburg und Stargard - eröffnet war, wovon er eine Verschleppung der Verhandlungen befürchtete, 2 ) benutzte aber eben dies Moment, um einen starken Druck auf Friedrich Wilhelm auszuüben, jetzt abzuschließen. Er schreibt den 2. März zugleich mit Uebersendung einer Kopie des Reskriptes vom


(  ...  ) Herzog von Schwerin, wenn er 40000 Th. an Adolf Friedrich bewillige, jährlich, um die Regierungskosten und die Witthums=Abgaben zu bestreiten, 39215 Th. werde zuschießen müssen.
1) In demselben Reskript giebt der Kaiser den wiederholten Wünschen der Ritterschaft, ihre Gerechtsame mit bei den Verhandlungen beobachten zu lassen, insoweit nach, als er die Kommission anweist, sie möge auf das ritterschaftliche Ansuchen, "so viel möglich und dem gütlichen Traktat nicht hinderlich, Reflexion machen".
2) Seine Remonstration in Wien erwirkte drei Reskripte vom 23. März an Friedrich Wilhelm, Adols Friedrich und den Grafen, welche die Mahnung enthielten, auf Ratzeburg abzuschließen; der Kaiser werde dabei beharren und sich durch keine andern Vorschläge davon abbringen lassen. Eck wurde angewiesen, den schwedischen und brandenburgischen Gesandten in ihrer guten Gesinnung zu erhalten und auch mit dem cellischen zu sprechen, damit der endliche Vergleich erfolge. Es sei die kaiserliche Intention niemals gewesen, wegen einer Alternative zwischen Ratzeburg und Stargard die Traktaten zu verlängern. Eck möge nur wegen Ratzeburg weiter verhandeln. - Die Reskripte kamen erst an, als durch Graf Horns Eingreifen die Verhandlungen bereits abgebrochen waren.
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9. Februar: Da Lenthe und John gegen Ratzeburg seien, so werde die Kommission bei der geringsten Opposition gleich zu der zweiten Alternative schreiten, worauf Abschluß unmöglich erfolgen könne. Jedweder treue Diener habe jetzt Friedrich Wilhelm zu rathen, daß Er ja keinen Moment versäume, noch durch andere ungegründete Hoffnung sich zum Zaudern, was ihm bisher schon so viel geschadet, verleiten lasse. Wie bald könne durch einen und andern Vorfall das Kreisdirektorium, das jetzt mit dem Kaiser eines Sinnes sei, wieder auf andere Gedanken gebracht und sein Eifer abgekühlt werden. Bei jeder Verzögerung könne Adolf Friedrich nur gewinnen. Einen andern Grund zur Fügsamkeit gab er den Räthen den 5. März an die Hand: jetzt werde der Herzog, wenn er freiwillig nachgebe, den Kaiser noch zu Dank verpflichten können; zaudere er, werde der Kaiser mit Schweden den beiden Herzögen die Bedingungen selbst vorschreiben. Er bezeugte sich sehr unzufrieden, als die Räthe ihm widersprachen, und nannte als Beispiel für ein Amt, das zur Abtretung sich eigne, weil darin kein Adel vorhanden, das Amt Rehna.

Für Friedrich Wilhelm ward die Situation in eben dieser Zeit dadurch noch verwickelter, daß sein jüngerer Bruder Karl Leopold, der von längerem Aufenthalte im Auslande mittlerweile heimgekehrt war, nun Anstalt machte, als dritter Prätendent auf das streitige Herzogthum aufzutreten. 1 ) Falls er hiermit abgewiesen wurde, verlangte er auf Grund des großväterlichen Testamentes Ratzeburg.

Den 8. März schreibt Friedrich Wilhelm an die Räthe in Hamburg, sein Bruder liege ihm an, ihm zu erlauben, daß er sein Recht verfolge, und er habe heute soweit nachgegeben, daß er geschehen lassen wolle, daß Karl Leopold seine vermeintlichen Befugnisse beliebiger Orten vorstelle, jedoch mit dem Vorbehalt, - welcher übrigens der Zurücknahme der Erlaubniß ziemlich gleichkam - daß dadurch seinem, Friedrich Wilhelms, erstrittenem Rechte nicht geschadet werde. Karl Leopold hatte davon gesprochen, nach Hamburg reisen zu wollen. Die Räthe sollen dort versichern, daß Friedrich Wilhelm dem Bruder


1) Karl Leopold berief sich zur Begründung seiner Ansprüche auf die auch von Adolf Friedrich benutzte Wendung des Recesses von 1621, daß Meklenburg fortab nicht in mehr denn jetzige zwei Theile getheilt werden, "sondern es bey denselben einig und allein verbleiben" solle, und behauptete, daß ihm, als zweitem Sohne des Secundogenitus der Vorzug vor dem Tertiogenitus, Adolf Friedrich, gebühre.
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keinerlei Assistenz leisten wolle. Friedrich Wilhelm konnte nun freilich sicher sein, daß Karl Leopold weder bei der Kommission noch bei dem Kaiser, noch bei den Kreisdirektoren, die sämmtlich Beilegung wünschten, Unterstützung finden werde, und beeilte sich also nicht eben sehr, dem Drängen Ecks in allen Einzelheiten stattzugeben, fand aber den diplomatischen Ausweg, der die eigentlichen Schwierigkeiten umging, den 10. März der Konimission erklären zu lassen, er werde sich der kaiserlichen Verordnung wegen Ratzeburg nicht widersetzen - genau so hatte Graf Eck gerathen -, jedoch mit gewissen Bedingungen, wovon später zu reden sein werde, wenn Strelitz, das ja bisher wegen Ratzeburg Schwierigkeiten gemacht, zugestimmt habe.

Die Kommission war hiermit zufrieden, dagegen ward eine Schrift von Petkum, in der er auf dem Strelitzer Ultimatum vom 21./11. Dezember 1699 bestand, von der Kommission so wenig dienlich zum Zwecke befunden, daß sie sie nicht annahm. Trotzdem ging die Kommission an die Arbeit, ein neues Vergleichsprojekt auszustellen: da kam den 16. März ganz unvermuthet Graf Horn in Hamburg an, dessen Auftreten die Weiterarbeit an diesem Projekte zum Stehen brachte.

Graf Horn war in 7 1/2tägiger Reise von Wien nach Schwerin geeilt, wo er den 7. März ankam, mit der Absicht, durch energisches Auftreten einen schnellen Abschluß oder den Abbruch der Verhandlungen zu erzwingen. Er brachte ein Ultimatum mit, in dem Friedrich Wilhelm Ratzeburg mit dem Votum und 40000 Th. anbietet, - die Zahlung des Restes solle aus dem Zoll erfolgen, - abzüglich des Ertrages der drei Strelitzer Aemter, die Adolf Friedrich jetzt hat und die ihm als Pfandbesitz und seiner Gattin als Witthum für beider Lebenszeit verbleiben sollen.

Wenn Adolf Friedrich dies ausschlägt, ersucht Friedrich Wilhelm die Kommission, von den Kreisdirektoren die Abführung ihrer Truppen zu erwirken. Graf Horn hegte die Hoffnung, daß dies durchzusetzen sein werde, und wollte eben die Drohung, daß es geschehen werde, als Pressionsmittel auf Strelitz benutzen, um es zur Einwilligung zu bewegen. Er theilte dies Ultimatum zunächst vertraulich dem Grafen und der Kommission mit, durch die auch Petkum davon in Kenntniß gesetzt wurde. Auf seinen Wunsch kam der Herzog zum 20. selbst nach Hamburg und bestätigte mündlich den Inhalt des Ultimatums. Hofmarschall von Löwen, den er mitbrachte, reiste von Hamburg aus nach Celle, der Kammerjunker Baron v. Eichholtz ging nach Eutin, beide

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mit einer kurzen gedruckten Darstellung der Gründe, warum Friedrich Wilhelm kein Land mehr außer Ratzeburg hergeben könne. 1 ) Dasselbe Aktenstück wurde an die Bevollmächtigten in Wien, Stockholm, Berlin und Wolfenbüttel übersandt. Bei seiner Abreise aus Hamburg (d. 21.) hinterließ Friedrich Wilhelm dem Grafen eine Vollmacht, mit Zuziehung der zwei Räthe die Kommission fortzusetzen, zu differiren oder auszuheben, wie er es am Zuträglichsten finde.

ES war eine umfassende Aktion, um die Sache auf die eine oder andere Art durchzuforciren. Der Verlauf entsprach leider nicht ganz den Erwartungen. Adolf Friedrich und sein Bevollmächtigter Petkum blieben selbst in dieser anscheinend so bedrohlichen Situation fest auf dem Ultimatum vom 11. Dezember. Von den Kreisministern in Hamburg betonte der Cellische entschieden, was Horn gerade vermieden wünschte, daß Adolf Friedrich mehr Land haben müsse. Den gleichen Bescheid brachte Löwen aus Celle mit, einen etwas günstigeren, aber doch ausweichenden Eichholtz aus Eutin. Der schwedische und brandenburgische Minister in Hamburg verschanzten sich vorläufig hinter dem Mangel an Instruktion, berichteten aber das Hornsche Ultimatum sogleich an ihre Höfe. Auf der Stelle also war das Ultimatum nicht durchzusetzen; so beschritt denn Horn ohne Zögern den zweiten Weg, den Abbruch der Verhandlungen.

Am 27. März erschienen die Schweriner vor der Kommission mit einer längeren Eingabe, die nach Rekapitulirung des ganzen Verlaufes damit endet: da Strelitz bisher für die 40000 Th. unmögliche media solvendi beanspruche und auch über Friedrich Wilhelms Ultimatum hinaus noch Abtretung einiger Landstücke ihm anmuthe, Friedrich Wilhelm auch nicht das Glück gehabt habe, die Versicherung von der Kommission zu erhalten, daß die Kreisdirektoren ihn durch Zurückberufung ihrer Truppen in den ruhigen Besitz des ihm zugesprochenen Landes setzen würden, falls Adolf Friedrich das Ultimatum nicht pure acceptire, so sehe sich Friedrich Wilhelm gezwungen, die Traktaten, von denen er keinen glücklichen Ausgang abzusehen vermöge, "abzudanken". Er wolle aber an sein Ultimatum noch 6 Wochen gebunden sein; wenn in dieser Zeit seine Bedingungen nicht erfüllt seien (Annahme des Ultimatums oder Zurückziehung der Truppen), behalte er sich alle seine Rechte vor.


1) In Kopie im Syllabus Nr. 54: "Rationes, warum Jhro Durchl. der Herr Hertzog Friedrich Wilhelm - kein Land mehr - alß das Ratzeburgische hingeben kan" u. s. w.
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Die Schrift wurde in ihrer ersten längeren Fassung von der Kommission zurückgewiesen, unter der Begründung, daß Strelitz darauf eine weitläufige Antwort machen werde. In kürzerer Fassung - ohne die lange rückblickende Einleitung - wurde sie zwei Tage später - den 29. - angenommen. Die Kommission beschloß darauf, daß jedes ihrer Mitglieder gesondert seinen Bericht an den Kaiser einsenden solle. Darauf wurden die Verhandlungen geschlossen.

~~~~~~~~~~~~~~~~

X.

Wiederaufnahme und Abschluß der Kommissionsverhandlungen.

Eingänge in Wien bis zu den kaiserlichen Reskripten vom 4. August 1700.

Die Entscheidung über den weiteren Fortgang der Sache war also damit wieder dem Kaiserhofe anheimgegeben. Wir werfen einen kurzen Blick auf die dort eingehenden Aktenstücke. Graf Horn sandte schon den 30. März ein Schreiben an den Legationssekretär Christiani nach Wien mit zwei verschlossenen Schreiben von Friedrich Wilhelm an den Kaiser und ihm selbst an Graf Kaunitz und mit einer Eingabe an den Reichshofrath, die Hofrath Diettrich, ohne etwas daran zu ändern, unterzeichnen und einreichen sollte. In dem Schreiben des Herzogs wie der Eingabe an den Reichshofrath war das Ansuchen gestellt, das Hornsche Ultimatum zu genehmigen und Adolf Friedrich zur Annahme innerhalb sechs Wochen zu nöthigen. Beigefügt waren Exemplare der o. g. "rationes", dem Schreiben an den Kaiser auch ein Aktenstück mit dem Titel: "Uhrsachen warumb meinem (d. i. des Herzogs) ohnvorgreiflichen ermeßen nach, alle fernere tractaten coram Commissione in der Meckl.=Güstrowischen successions=Sache vergeblich seyen." 1 )


1) Es waren deren vier: 1. Es sei nicht zu hoffen, daß die Kommission unter sich über ein medium vere adaequatum einig werde, da der (  ...  )
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Die Eingabe ist unter dem 7. April in den Akten des Reichshofrathes verzeichnet, den 12. April ging die Relation des Grafen Eck ein (datirt vom 31. März). Sie ist entschieden Schwerin freundlich gehalten und beginnt mit einer Art von Rechtfertigung des Verfahrens der Kommission. Sie habe keiner Partei zu liebe oder zu leide gehandelt, vielmehr habe sie in dem Ultimatum vom 25./15. September 1699 eine Theilung der Einkünfte vorgeschlagen. Diese betrügen im Ganzen etwa 80000 Rth., wovon etwa ein Drittel auf den Ertrag des Boizenburger Zolles komme. Dem entsprechend sei das Absehen der Kommission gewesen, daß auch Adolf Friedrich zwei Drittel von der Abfindungssumme an Land und Leuten und ein Drittel aus dem Zolle erhalten solle. Was das Reichsvotum betreffe, so habe die Kommission früher Uebertragung des Votums auf Stargard vorgeschlagen, aber der Kaiser habe nun anders entschieden. Von Friedrich Wilhelm sei die Hauptsache zugestanden, nur daß er sich weigere, an Land und Leuten mehr als Ratzeburg abzutreten. Es sei wohl zu wünschen, daß Adolf Friedrich die von der Kommission ihm zugedachten zwei Drittel an Land und Leuten zu Theil würden, wie auch das Kreisdirektorium intendire, allein da Schwerin sich mit gewichtigen Gründen dagegen ausgesprochen, so rieth Eck, in Friedrich Wilhelm nicht weiter zu dringen und in diesem Sinne an die Kreisdirektoren, die Parteien und die Kommission zu schreiben. Den 9. April folgte Wolfenbüttel (präsentirt beim Reichshofrath d. 3. Mai mit dem von Eutin zusammen). Es rieth, Schwerin möge zur Kompletirung der zwei Drittel zu Ratzeburg, das zu 20000 Thalern Einkünften gerechnet wird, noch einige andere 6666 1/3 Rth. austragende Stücke an Land und Leuten, etwa von dem Stargardischen Distrikt, das zu dem uralten Meklenburgischen Corpus eigentlich nicht gehöre, zulegen und das übrige Drittel, also 13333 1/3 Th., jährlich aus dem Zoll geben. In Bezug auf Adolf Friedrichs Forderung der Residenz Güstrow stellte sich Wolfenbüttel auf die Schweriner seite, da Schwerin 8000 Th. für den Ausbau einer Residenz zu zahlen und Güstrow der Herzogin=


(  ...  ) dänische Subdelegirte Adolf Friedrichs Anspruch auf die Residenz Güstrow begünstige und ihm der Eutiner einigermaßen zustimme. 2. Die Sache werde alle Zeit zwischen der Kommission und den Kreisdirektoren im Kreise hin= und hergeschoben. 3. Besser, als wenn die Subdelegirten und Kreisminister unter sich konferirten, was jetzt geschehe, sei es, wenn der Kaiser die Kreisdirektoren bestimme. 4. Die Subdelegirten hätten vielfach geantwortet, es komme auf des Kaisers decisum an.
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Wittwe und den unvermählt bleibenden Prinzessinnen auf Lebenszeit zu überlassen sich anheischig gemacht habe. Beide Herzöge seien, abgesehen von der Belehnung zu gesammter Hand (simultanea investitura), völlig außer Kommunion zu setzen, zwischen beiden sei die Primogenitur= und Lineal=Succession festzusetzen.

Vom 5. April ist die Relation des Bischofs August Friedrich von Lübeck datirt. Auch er spricht sich für die zwei Drittel an Land und Leuten aus; zu Ratzeburg könne ein dabei liegendes Stück Landes oder auch, was leichter geschehen könne, ein Stück von dem Stargardischen Distrikt beigelegt werden. Als Schwager aber des Herzogs von Strelitz persönlich für ihn interessirt, fügt der Bischof dieser Möglichkeit, wenn auch in vorsichtiger Form, noch als zweite Alternative den Vorschlag bei, zu Ratzeburg Amt und Stadt Güstrow abzutreten und, was dann noch an den 40000 Th. fehle, aus dem Zoll zu assigniren; es "würde solches - schreibt er wörtlich -- zu beförderung des gütlichen Vergleichs ümb so viel mehr helffen, auch der Fürstl. Frau Wittib und dero Princesses zu besonderer Consolation, denen hohen anverwandten aber, wie auch mir zu großer vergnügung gereichen, welches alles dennoch zu Ew. Ksl. Maytt. höchsterleuchteten gutbefinden ich überlaße, und dero gdsten. fernern befehl hierüber erwarte, den ich nicht gemeint bin, deroselben hierunter Ziel und maße zu setzen."

Die Relationen waren bereits abgegangen, als der dänische Hof in Eutin und Wolfenbüttel das Ansinnen stellte, sie noch zurückzuhalten und die Traktaten nicht abzubrechen. Dänemark hatte sich damals entschieden auf die Seite von Strelitz gestellt. Die Königin wandte sich eigenhändig mit Briefen an Berlin, Wolfenbüttel und andere Höfe und hielt nachdrücklich um Assistenz für Adolf Friedrich an, besonders in seiner Forderung der Residenz Güstrow. Leichter als am Kaiserhofe, wo überdies die Sache leicht der Kommission ganz aus den Händen genommen werden konnte, war diese Forderung in Hamburg durchzusetzen. Deshalb trat Dänemark mit Strelitz in diesem Stadium für die Fortsetzung der Kommission ein. Daneben war im Strelitzer Kreise auch davon die Rede, die Sache nach Regensburg oder ans Reichskammergericht zu ziehen.

In Wolfenbüttel und Eutin kam Dänemark mit seinem Ansuchen zu spät, einen großen Erfolg aber gewann es in Berlin, wo Graf Kolbe v. Wartenberg für Strelitz gewonnen ward, der den Kurfürsten zur Unterzeichnung einer Instruktion an den Brandenburgischen Geschäftsträger in Hamburg, Herrn v. Busch,

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bewog, Strelitz in seiner Forderung des Wendischen Distrikts mit der Residenz Güstrow Beistand zu leisten und sich deswegen mit dem dortigen dänischen Minister ins Einvernehmen zu setzen.

Auf diese Parteinahme hatte ohne Zweifel der Ausbruch des Nordischen Krieges Einfluß, in dem Schweden und Celle für Holstein=Gottorp gegen Dänemark standen, während Brandenburg Dänemark zuneigte. Zugleich erklärt sich aus der allgemeinen politischen Lage die recht stolze Haltung, die Dänemark damals zur Schau trug. Im Bunde mit Peter dem Großen und August dem Starken glaubte es mit dem Herzog von Holstein=Gottorp leicht fertig werden zu können und ließ sich, als es in der That im ersten Augenblick bedeutende Fortschritte in Holstein machte, drohend vernehmen, es werde Adolf Friedrich mit gehörigem Nachdruck zu demjenigen, was er beanspruche, verhelfen. 1 ) Bekanntlich wandte sich das Blatt sehr schnell, worauf dann die Haltung Dänemarks auch wieder bescheidener ward.

Durch die Holsteinischen Wirren und den Ausbruch des Krieges ward das ohnehin recht lose Einvernehmen der Kreisdirektoren für die Güstrowsche Sache noch mehr gelockert, zum Nachtheile Schwerins, und wenn auch Herr v. Busch gegen Ende des April wieder Hoffnung gab, daß sein Herr einer kathegorischen Resolution des Kaisers zustimmen werde, so war doch diese Hoffnung recht unsicher.

Auch über die Schwenkung Brandenburgs gelangte Bericht nach Wien an den Reichshofrath als Material für die dortige Entscheidung. Von Strelitzer Seite ist unter dem 23. April eine Eingabe des Hofraths Martens verzeichnet, zu der er gleich nach dem Abbruch der Verhandlungen in Hamburg Befehl erhalten hatte, und unter dem 13. Mai ein Schreiben Adolf Friedrichs, datirt Strelitz d. 2. April, an den Kaiser als Erwiderung auf dessen Reskripte vom 23. Januar und 9. Februar. Beide Aktenstücke zeigen auf höchst charakteristische Weise, mit welcher Konsequenz Adolf Friedrich seinen Standpunkt festhielt. Es folgt deshalb hier ein Auszug.

Martens beginnt damit, sein Prinzipal habe gehofft, daß Friedrich Wilhelm bei dem letzten Kongreß "seine so vielfältig gerühmte friedliebende Intention zeigen und solche Vorschläge aufs tapis vorbringen werde, bei denen nur das geringste Aus=


1) "Nicht anderß, als ob durch die Hollsteinische progressen Es auch das Directorium über den gantzen Nieder=Sächs. Kreuyß anmaßen wollte," schreibt Heems aus Berlin an Andler in Wien den 15. Mai.
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kommen wäre zu finden gewesen." Allein er habe nur Ratzeburg abtreten wollen und dann die Traktaten abgebrochen. Anwalt sei beauftragt, dem Kaiser vorläufig anzuzeigen, daß S. Dchl. nichts schmerzlicheres widerfahren könne, als daß Sie sehen müßten, wie man "hochfürstlich Schwerinischer seiten sich so augenscheinlich bemühe, alles dasjenige, was nur zur Verhinderung eines gütlichen Auskommens, zu S. Dchl. torto und zur oppression seiner notorischen Gerechtsahme gereichen könne, beizutragen und hervorzusuchen, mithin diese an sich schwere Sache in neue Verwirrung zu setzen." Es wird dann die Richtigkeit der Schweriner Aufstellungen für die Einkünfte sowohl von Ratzeburg als von dem Güstrower Herzogthum bestritten und der - ungegründete - Vorwurf erhoben, Schwerin reize jetzt den Prinzen Karl Leopold, daß er wider die Abtretung von Ratzeburg protestire. Dies genüge hoffentlich, um zu erweisen, daß "niemahlen ein Fürst des Reichs so ungütlich tractiret und so unschuldig gedrücket worden sey", doch habe ihm sein Herr befohlen, nochmals Kais. Maj. zu Gemüthe zu führen, daß er eine gerechte Sache habe, und daß Güstrow auf ihn verstammt sei, er sich aber mit der Hälfte begnügen wolle. Der Kaiser möge das Werk dahin dirigiren, daß dieses Ultimatum zum Fundament gesetzt und die wider des Kaisers Intention und wider seines Herrn Willen und Vermuthen aufgerufene Kommission fördersamst reassumirt und Herzog Friedrich Wilhelm nachdrücklich ermahnt werde, sich mit den diesseitigen, ohnedem für ihn sehr vorteilhaften Angeboten zu begnügen.

Aehnlich schreibt Adolf Friedrich selbst den 2. April. Nach einer Rekapitulation der für ihn ungünstigen letzten kaiserlichen Verordnungen fährt er fort: "Nun bin ich zwar schon vorher durch meiner Feinde, undt übelwollende machinationes undt verfolgungen dergestalt zu Boden geschlagen, undt entkräfftet, daß im falle sich Ew. Kayl. Maytt. durch mein anhaltendes Bitten undt flehen zu anderwertiger Commiseration undt entschließung, in besonderen allerhöchsten Kayl. gnaden nicht bewegen laßen werden, ich nebst allen den meinigen auf einmahl zu grunde gehen, undt wir von dem jenigen, so durch Gott undt die natur auf unß gekommen, unß lediglich entsetzet sehen müßen, zumahlen und wan mir auch nebst übrigen die geldmitteln, so zu einem dergestalt schweren undt kostbahren process undt Handlungen beförderlich seyn, entzogen werden solten, alß dan meine gerechtsahme wol von selbst zerfallen, undt folglich ich zu sambt allen den meinigen in die eußerste miserie gerahten werden, worin wir dan auch anjetzo bireits umb so viel mehr stecken, alß es

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mir meines unvermögens halber an genugsahmer vermittel= und vertrettung bey Ew. Kaysl. Maytt. ermangelt, undt dahingegen meinem gegentheil aus denen in possession undt nießung habenden dreyen Fürstenthümern und übrigen Landen an nichts fehlet, undt dadurch allergdster Kayser undt Herr ist es auch geschehen, daß ich biß hierzu die nohturfft meiner gerechtisten Sache dergestalt nicht besorgen undt beobachten laßen können, wie solches der eigentlicher Zustandt undt die wahre beschaffenheit des werckes wohl erfordert hetten, weßhalber ich dan auch noch nicht anders, alß abermahlen hiemit vor Ew. Kayl. Maytt. geheiligten Trohn fußfällig niederzulaßen, undt aufs allerdemühtigste zu bitten vermag, dieselbe wollen doch nur in mild Kayserl. Behertzigung dieses eintzigen" - hier ist eine ganz kurze Begründung der Rechte Adolf Friedrichs aus dem Vertrage von 1621 eingeschoben - "aus mild Kayserl. Commiseration nicht zu geben, daß auf einigerley weise undt wege weiter in mich gedrungen, oder das geringste mehrers von mir gefordert werden möge, alß weßen ich mich zu bezeugung meines allerdevotisten Gehorsambs gegen Ew. Ksl. Maytt. auch besondern Fried liebenden gemühts und boni publici causa bey der allergdst verordneten Commission zur gute am 11./21. Dec. des nechtvorigen, undt 10. Martij dises Jahres mit hindansetz= undt verlaßung alles übrigen pro extremo et ultimo erklährt habe, mir auch inmittelst die zu noch einiger besorg= undt rettung meiner gerechtsahme gantz ohnentbehrliche geldhülffe, auß dem sequestro ohngehindert gelaßen werden möge." Im weiteren Verlaufe des Schreibens schiebt Adolf Friedrich die Schuld für das, was er aus dem Reskript vom 9. Februar mit äußerster Betrübniß erfahren, auf die Uebelwollenden, bestreitet, ebenso wie sein Anwalt die Schweriner Darstellung über die Einkünfte von Güstrow und schließt mit den üblichen Ergebenheitsversicherungen.

Zu diesen Eingaben gesellte sich noch drittens die ausführliche Beantwortung der Schweriner rationes, die Martens d. 10. April einreichte. 1 ) Es kam zu einem Votum den 14. Mai. In diesem wird die Frage aufgestellt, ob schon eine endgültige Entscheidung zu treffen sei, da von Holstein (Dänemark) noch nichts ein=


1) Ein zweites persönliches Schreiben von Adolf Friedrich, datirt vom 8. Juni, ähnlichen Inhalts wie das erste, ging beim Reichshofrath den 12. Juli ein und bildete erst den 11. August, als das Votum bereits erstattet war, Gegenstand einer Verhandlung im Reichshofrath; dieser faßte das Conclusum, daß Adolf Friedrich auf die Resolution vom 4. August zu verweisen sei.
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gelaufen, sondern neue Schwierigkeiten von ihm und Brandenburg sich hervorthäten. Ecks Gründe für das Schweriner Ultimatum werden nicht unerheblich gefunden, da aber dann die Kreisdirektoren, die die zwei Drittel an Land und Leuten für billig hielten, sich desto mehr opponiren und der Bischof wie Wolfenbüttel sich gekränkt finden möchten, wenn ihr Gutachten bei Seite gelegt werde, so räth der Reichshofrath, der Kaiser möge die zwei Drittel genehm halten, und empfiehlt dann trotz des Fehlens der dänischen Relation sogleich abzusendende Reskripte dieses Inhalts.

An demselben 14. Mai lief beim Reichshofrath eine Eingabe des dänischen Anwaltes Fabricius ein, die Einforderung der Relation anstehen zu lassen, bis ein Bericht von seinem Prinzipal angelangt sei, der daran durch den Krieg bisher verhindert sei. Darüber ward am 3. Juni verhandelt und beschlossen, die Eingabe dem früheren Votum beizufügen. Man zauderte dann noch zwei volle Monate, bis die schon den 14. Mai empfohlenen Reskripte wirklich erschienen (d. 4. August).

Inzwischen war Graf Horn schon Ende Mai wieder nach Wien geeilt, in der Absicht, nun die zweite Hälfte seines Planes zur Ausführung zu bringen, nämlich den Abschluß von Wien aus herbeizuführen und eventuell den Kaiserhof zu bewaffnetem Einschreiten zu veranlassen. 1 ) Er mochte um so mehr auf Erfolg hoffen, als der gefürchtetste Feind, Schweden, eben in ein Freundschaftsbündniß 2 ) mit Herzog Friedrich Wilhelm getreten


1) Friedrich Wilhelm hatte schon den 1. Mai dem Grafen Eck auf getragen, in Wien wegen Waffenhülfe anzufragen, der Reichs=Vizekanzler Graf Kaunitz antwortete d. 15. Mai: "Wegen überlaßung ein paar Regimenter wollen Jhro Maytt. im geheim überlegen lassen, ob dem Herrn Herzog von Schwerin gewillfahrt werden könne."
2) Den Bemühungen der Herzogin Christine Wilhelmine und Koppelows war es gelungen, den 13. April d. J. einen Allianzvertrag mit Schweden auf 5 Jahre zu Stande zu bringen zur Aufrechthaltung der Ruhe und des Westfälischen Friedens=Instrumentes. Darin verspricht der König, den Herzog und seine Länder wider alle "turbationes (§ 2) in Ecclesiasticis et profanis" zu schützen, ihm auch zur billigen Erstattung der durch "Invasiones, hostilitaeten, Märsche und dergleichen" verursachten Schäden zu verhelfen und der Herzog leistet für die deutschen Besitzungen des Königs das gleiche Versprechen. Zu diesem Zwecke will der König 2000, der Herzog 1000 Mann in Bereitschaft halten, nach beendigtem Successionsstreit soll diese Anzahl von beiden verdoppelt werden (§ 4). Beide wollen in Reichs= und Kreissachen durch ihre Minister vertrauliche Kommunication pflegen (§ 5). Zur Beendigung der Successionssache verspricht der König alle möglichen officia anzuwenden (§ 6). Sollte der König in einen auswärtigen Krieg gerathen, (  ...  )
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und außerdem schon durch den Krieg beschäftigt war. In Wien angekommen, reichte er dem Kaiser zwei Aktenstücke ein, von denen das eine überschrieben ist: "Ohnmaßgebliche - gedanken, wie in der Meckl. Güstrow. Successions=Sache ein glücklicher exitus zu maintenirung Jhro Kayl. Maytt. allerhöchsten Authorität und oberrichterlichen Ambts; auch zur protection der justice und des Regierenden Herrn Hertzogs v. Mecklenburg breuissima via nunmehr zu erreichen seyn kan." Darin plaidirt er zunächst für das Schweriner Ultimatum; sollte der Kaiser aber sich für die zwei Drittel entscheiden, so habe er zwar keine Instruktion, darüber etwas einzugehen, bitte aber, daß seinem Herrn dann freigelassen werde, solche Stücke Landes abzugeben, die er am füglichsten entbehren könne. Er rieth dann, die Antwort an die einzelnen Mitglieder der Kommission getrennt zu schicken und diese nicht wieder zusammentreten zu lassen, da ja klar sei, daß sie unter sich verschiedener Ansicht seien, und was Dänemark für Absichten hege, das bei den augenblicklichen Konjunkturen Wolfenbüttel und Eutin mehr als bisher auf seine Seite ziehen könne. Eine kurzgefaßte Zusammenstellung der "Fundamenta Juris, aequitatis et facti" ist beigegeben.

Ein zweites Aktenstück führt den Titel: "Geheime allerunterth. u. ohnmaßgebliche in Handtgebung mehrer dienlichen mittel zu maintenirung Jhro Kays. Maytt. auerhöchsten authoritet und Oberrichterlichen Ambts in der Meckl. Güstr. Successions-Sache, u. zu protegirung Jhro Dchl. meines gdsten Herrn bey seinem darin erlangten recht und Possession." Horn sucht hierin den Kaiser in Einklang mit der früheren Anfrage für schärfere Maßregeln zu gewinnen. Es könne den Kreisdirektoren angezeigt werden, daß der Kaiser Friedrich Wilhelm nicht länger hülflos lassen könne, falls die Kreisdirektoren ihre Truppen nicht gutwillig aus dem Güstrowschen herauszögen.


(  ...  ) So gilt die Allianz nicht weiter, als seine deutschen Provinzen und die Lande Meklenburg betrifft. Ein Geheimartikel war verabredet, nach dem der König, wenn Strelitz mit dem, was von dem Kaiser und der Kommission für billig erachtet werde, nicht zufrieden sei, versprach, mit den übrigen Kreis=Aemtern zu erwägen, wie und auf welche Weise der Sache am füglichsten zur Endschaft möge geholfen werden, und, falls die Sache unabgethan bleibe, mit den übrigen Kreis=Aemtern dahin zu sehen, daß dem Herzog von Strelitz aus den Güstrowtschen Einkünften, pendente lite, kein Vorschuß geschehen möge. Karl XII. ratiftzirte den Vertrag d. 12. Mai, aber ohne den Geheim=Artikel: die Zahlungen an Strelitz dauerten fort. Graf Horn wußte dies Ende Mai in Wien noch nicht.
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Horn kalkulirt, von Schweden sei kein Widerstand zu vermuthen, da es so viel Feinde auf dem Halse habe, vielmehr sei Begünstigung glaublich, um den Kaiser zu verpflichten. Das Haus Lüneburg habe wegen der gegen die neunte Kurwürde sich opponirenden Fürsten die gleiche Erwägung zu führen. Es könne auch allenfalls zusamb Chur=Brandenburg durch Jhro Kais. Maytt. Macht leicht (?) zu der billigkeit gebracht werden und zwar mit Jhro Kais. Mast. avantage. (!!) Dänemark habe jetzt Schweden zum Feinde und könne ebensowenig Widerstand erheben. Von Frankreich sei nicht zu befürchten, daß es sich um diese entfernten Händel bekümmern werde. Wenn der Kaiser ein Regiment oder drei in Friedrich Wilhelms Lande vorerst (!) zu senden beliebe und anordne, daß sie von Friedrich Wilhelms Willen mit Zuziehung des Grafen Eck abhängen sollten, so sei Friedrich Wilhelm erbötig, sie in Rostock einzuquartieren und sobald er sich wieder in dem ruhigen Besitz des Herzogthums Güstrow befinde, eins davon aus den Kontributionen der Güstrowschen Ritter- und Landschaft ein ganzes Jahr zu unterhalten oder statt dessen 100000 Th. dem Kaiser zu zahlen. Schweden werde dieses Eingreifen des Kaisers vermuthlich gerne sehen (?!), könne auch im voraus darüber bedeutet werden, daß es desfalls nichts zu besorgen habe. Die drei Regimenter würden mit den Truppen, die Friedrich Wilhelm selbst habe, an die 5000 Mann und mehr ausmachen, und der Kaiser bekomme auf solche Art einmal Truppen in den Niedersächsischen Kreis (!). Lüneburg könne keine ombrage zeigen, da Graf Bernstorff neulich (im Mai) an Löwen geschrieben, daß Dömitz nach Eroberung von Tönningen (durch Dänemark) in Gefahr sein werde.

Diese Bemühungen des Grafen Horn, den Kaiser zu bewaffnetem Einschreiten zu treiben, wurden durch eine starke Partei unter den Diplomaten des Kaiserhofes unterstützt, darunter auch durch den Berliner Bevollmächtigten Heems, der noch im Mai, als Petkum in Berlin wegen Weiterzahlung der 30000 Th. anhielt, ein scharfes Reskript des Kaisers empfahl, das die Drohung enthalten sollte, der Kaiser werde nunmehr einen solchen Ernst in der Sache zu zeigen wissen, wodurch dem einen und andern die Augen geöffnet werden und die Luft, die Langmuth und Güte des Kaisers länger zu mißbrauchen, vergehen könne.

Im allertiefsten Geheimniß wußte der Graf noch einen andern Hebel, von dem er sich eine ausschlaggebende Wirkung

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am Wiener Hofe und besonders auf den Kaiser selbst versprach, zu Gunsten seines Herrn in Bewegung zu fetzen: es war ihm gelungen, bei seiner letzten Anwesenheit zu Schwerin den Herzog für den Plan zu gewinnen, um eine der Töchter des Kaisers zu werben; 1 ) ja, Friedrich Wilhelm hatte sich sogar zum Wechsel des Bekenntnisses bereit erklärt, falls seine Werbung Erhörung finde, allerdings unter der Vorbedingung, daß der Kaiser mit Waffengewalt ihm Güstrow wiederverschaffe. Es war ein überaus gewagtes Spiel, in welches der Graf seinen Herrn hiermit zu verstricken suchte, ein Spiel, das selbst, wenn es für den Augenblick gelang, was ohne einen Krieg zwischen Oesterreich und den Kreisdirektoren kaum möglich war, doch für die Zukunft Friedrich Wilhelm in eine äußerst gefährdete Stellung sowohl seinen sämmtlichen Nachbarn wie auch seinen Unterthanen gegenüber bringen mußte, und nur zaudernd fand der Herzog den Entschluß, den der Graf ihm zu entreißen immer neue Anstrengungen machte. Auch Gewissensbedenken erregte ihm der Religionswechsel; der Auftrag, den er in seiner geheimen Instruktion (datirt v. 8. Mai 1700) dem Grafen gab, in Wien sich zu erkundigen, ob nicht vom Papste für ihn die Erlaubniß zu erhalten sein werde zum Gebrauche des Kelches beim Abendmahl, eröffnet einen Blick in diese inneren Zweifel. Ein anderes Bedenken betraf die vormaligen geistlichen Güter in Meklenburg, die von den Fürsten zu den Domänen gezogen waren. Um etwaigen Forderungen auf Rückgabe derselben vorzubeugen, wies der Herzog den Grafen an, einen Konsens des Papstes zu erwirken, daß alle jene Güter fürstliche Domänen bleiben sollten. 2 ) Der Konsens sei auszustellen,


1) Es war in erster Linie die zweite der vier lebenden Töchter ins Auge gefaßt, die Erzherzogin Marie Anna Josepha, geb. d. 7. Sept. 1683, die dann später im J. 1708 den König Johann V. von Portugal heirathete. Graf Horn kann sich in begeisterten Schilderungen der Tugenden und Vorzüge dieser Prinzessin nicht genug thun.
2) Aus der Instruktion ist noch der Mittheilung werth, daß Horn angewiesen wurde, die Versicherung zu geben, der Herzog werde, falls ihm die Erzherzogin bewilligt werde, nicht nur selbst die katholische Religion annehmen, sondern auch nach Möglichkeit sich bemühen, auch seine Mutter und Geschwister durch unermüdete Anmahnung dazu zu bewegen; auch eine Erbverbrüderung mit dem Erzherzoglichen Hause werde Friedrich Wilhelm gern eingehen, wenn nur der betreffende Vertrag mit Brandenburg rechtlich sich auflösen lasse. Nach § 5 soll Horn versuchen, ob vielleicht einige der hohen Wiener Geistlichkeit zu einem Vorschuß zu bewegen seien, um die Kosten der Heimfübrung u. s. w. zu bestreiten - Graf Horn berechnet sie von (  ...  )
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ehe er, der Herzog, die katholische Religion wirklich annehme. Auch die Anordnung, daß der Graf mit dem Beginne der betreffenden Verhandlungen noch warten solle, bis er ein neues Schreiben von Friedrich Wilhelm mit dem Auftrage dazu erhalte, beweist, daß der Herzog nur zögernd die Bahn betrat, auf die der Graf ihn fortzureißen sich bemühte. Auf ein Mahnschreiben des Grafen hin, in dem dieser ihm in verlockenden Farben die Vortheile der geplanten Verbindung schildert, 1 ) entschloß er sich d. 30. Juni, den Befehl zum Beginn der Verhandlungen zu senden. Allerdings stellte er die Bedingung, daß der Kaiser sofort mit der Armee nach Meklenburg komme und Friedrich Wilhelm dann einige Regimenter zu seiner Sicherheit behalten dürfe. 2 )


(  ...  ) Wien auf auf etwa 150000 Th. -, unter der Bedingung, daß Friedrich Wilhelm ihr ein oder zwei taugliche Gebäude zu Klöstern, auch so viele Kirchen zur Bezahlung gebe, wobei Horn besonders Doberan in Vorschlag bringen sollte.
1) Der Graf beantwortet in diesem Schreiben zunächst Friedrich Wilhelms Frage wegen des Abendmahls. Nach seinen Erkundigungen war es unwahrscheinlich, daß der Papst die gewünschte Erlaubniß geben werde, obgleich der päpstliche Stuhl das Recht dazu habe und von diesem Rechte bereits öfter Gebrauch gemacht habe. Dann ist von Witthum, Mitgift, Geschenken und sonstigen Kosten die Rede. Darauf fährt der Graf fort: "Vor Gott bezeuge ich, das dies werck zu Ew. Hochfürstl. Durchl. Ewigen und zeitlichen wolfahrt dienlich halte." "Denn so viel das ewige betrifft - ist in der katholischen Religion bessere aufsicht auf die gewissen als in der protestantischen." - "Was aber das zeitliche belanget, können Ew. Durchl. gn. erwegen, was vor grosse avantages auf dergleichen alliance zu hoffen, absonderlich dürften Ew. Durchl. sodan nicht fürchten, das Jemandt den diesem hoefe sich unterstehen dürffte Jhnen in billigen Dingen contrair zu sein, welches bey denen machinationen hochnötig, welche R. undt Landtschafft schon wieder Ew. Durchl. machen; undt durch dero Eigenes hochfürstl. Haus (Kark Leopold!) vielleicht ferner zu machen schon bemühet sein." Der Graf hoffte also auch für den schon seit Christian Louis' Zeit schwebenden Streit der Krone mit den Ständen Förderung der Interessen der Krone durch sein Eheprojekt.
2) Diese Bedingung so stark zu betonen, hatte Friedrich Wilhelm Grund genug. Trotz aller Verschwiegenheit waren doch Gerüchte in Umlauf gekommen von einem bereits erfolgten oder bevorstehenden Uebertritt des Herzogs und auch schon zur Zeit des Besuches seiner Mutter am schwedischen Hofe dorthin berichtet worden. sowohl der König wie die Königin=Mutter hatten ihr gegenüber davon gesprochen, und dabei war die Aeußerung gefallen, wenn Friedrich Wilhelm übertrete, so werde man ihm conjunctim mit den Andern alles wegnehmen; das möge sie ihm nur sagen. Sicherlich war diese Drohung ernst gemeint, und schon deshalb wird man es als ein Glück für Meklenburg ansehen müssen, daß es davor bewahrt geblieben ist, die (  ...  )
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schon an dieser Bedingung scheiterte der ganze Plan. Es war nicht nur das zaudernde, schnellen Entschlüssen durchaus abgeneigte, im Grunde auch friedliebende Naturell des Kaisers, das einem so durchgreifenden Auftreten entgegenstand, sondern auch die gesammte politische und finanzielle Lage des Wiener Hofes ließ es unthunlich erscheinen, daß man sich allzu tief für Schwerin engagiere. Die österreichischen Finanzen befanden sich in Folge der beiden eben überstandenen Kriege noch in stark angegriffenem Zustande. Dazu kam, daß die spanische Erbfolgefrage, die in jedem Augenblick zum Kriege führen konnte, für die Interessen des Habsburgischen Hauses unendlich wichtiger war, als der Streit um das norddeutsche Herzogthum. Graf Horn erhielt also, als er durch seinen Beichtvater, Pater Bischof, der zugleich der Beichtvater des Römischen Königs und sehr einflußreich in der Kaiserlichen Familie war, dem Kaiser die Werbung mit den Bedingungen des Herzogs vorlegen ließ, eine hinhaltende Antwort, und während er seine Bemühungen fortsetzte, erschien den 4. August 1 ) eine Anzahl kaiserlicher Reskripte über den Güstrowschen Streit, die doch wesentlich anders ausgefallen waren, als der Graf sie zu erreichen gehofft hatte. Ihr Inhalt war folgender:

In einem Schreiben an die Kommissionsmitglieder genehmigte der Kaiser in Kraft seines kaiserlichen Amtes den gemeinsamen Vorschlag von dem Grafen Eck, Wolfenbüttel und Eutin auf die Abtretung von so viel Land außer Ratzeburg, als zur Kompletirung der zwei Drittel nöthig sei. Man möge die beiden streitenden Theile zu diesem Vorschlag nachdrücklich anweisen und sich bemühen, Land und Leute herauszufinden, die nach Untersuchung des wahren Ertrages des Fürstenthums Ratzeburg zur Ergänzung der zwei Drittel noch etwa erforderlich wären, damit der Kaiser für den Fall, daß der eine oder der andere der streitenden Theile eine auf den eigensinnigen Prinzipiis der Minister gegründete Renitenz zeige, 2 ) nicht bemüßigt werde,


(  ...  ) Ursache und der Schauplatz eines neuen Religionskrieges zu werden, bei dem es auf jeden Fall, welche Partei auch siegen mochte, den allerschwersten Schaden leiden mußte.
1) Nach Graf Horn sind sie erst d. 14. August in Neustadt unterzeichnet, nachdem der Kaiser vorher Horn eine Audienz gewährt hatte. In den Tagen vorher wies Horn ein neues Anerbieten des Berliner Hofes zu vermitteln zurück.
2) Diese Wendung ist keineswegs bloß aus dem Streben entsprungen, die Herzöge selbst - aus Höflichkeit - möglichst außer Schuld zu stellen, sondern war besonders auf den Grafen Horn gemünzt, dem man öfter vorwarf, er bestehe weit eigensinniger und härter als sein Herr auf seinen Forderungen.
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solche Verordnung ergehen zu lassen, die zu Beibehaltung der Ruhe und des allerhöchsten Kaiserlichen Respekts gedeihlich sei, da der Kaiser nicht geschehen lassen könne, daß "sein in dem Werk so lange Zeit gebrauchter Glimpf und getragene reichsväterliche Vorsorge", und zumal auch der Kommission sehr große Bemühung fruchtlos bliebe. Die Fürsten möchten bei dem Kreisdirektorium nunmehr auf aue Weise anhalten, daß die Truppen ohne ferneren Anstand aus dem Güstrowschen abgeführt und dem Herzog zu Schwerin der Besitz und Genuß des Herzogthums frei und ledig überlassen werde. Die Zahlung von Geldern an Adolf Friedrich könne er auf keine Weise geschehen lassen.

Der König von Dänemark wurde durch ein besonderes Reskript auf das Schreiben an die übrigen Kommissionsmitglieder, das er in Kopie erhielt, verwiesen; der Kaiser zweifle nicht, daß er sich dem anschließen werde.

Herzog Friedrich Wilhelm wird ersucht, sich zu den zwei Dritteln zu überwinden. Seine Gründe gegen Abtretung von mehr Land außer Ratzeburg zerfielen dadurch, daß es nur ein geringes betreffe und alle Schwierigkeiten sich verhüten ließen, wenn die abzutretenden Landstücke von den Seinigen ganz getrennt würden. So daß keine Kommunion übrig bleibe.

Auf Adolf Friedrich wird ein scharfer Druck zu Gunsten des Kommissions=Vorschlages ausgeübt. Dieser sei für ihn billig und auch sehr vortheilhaft, da er ja ganz ungesichert sei, ob ihm durch einen gerichtlichen Spruch künftig so viel zu Theil werde. Seine Prätensionen, die ganzen 40000 Th. nur in Land und Leuten, und darunter Stadt und Amt Güstrow, zu erhalten. Seien ganz impracticable und wider alle Billigkeit, in der Erwägung, daß die Einkünfte des Herzogthums zu einem Drittel in dem Boizenburger Zoll beständen, weshalb der Kaiser nicht begreife, aus welchen Ursachen der Herzog sich ferner bedenken könne, diesen Vorschlag anzunehmen. Er habe ihn deshalb selbst genehmigt und ermahne den Herzog wohlmeinentlich und ernstlich, er möge seine Prätensionen gänzlich fallen lassen und den Vorschlag ohne ferneren Verzug annehmen. Der Kaiser werde diese Sache ein für alle Mal nicht mehr länger in dem verwirrten Zustande lassen, sondern auf unvermutheten widrigen Fall seine endliche und ernstliche Verordnung ergehen lassen.

Auch den Kreisdirektoren ward die kaiserliche Entscheidung mitgetheilt und dabei die Hoffnung ausgedrückt, daß sie Strelitz nachdrücklich zusprechen und eventuell Friedrich Wilhelm in den Besitz von Güstrow treten lassen möchten.

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Damit war ein etwaiges bewaffnetes Einschreiten des Wiener Hofes in unbestimmte Ferne gerückt und die Weiterführung der Verhandlungen wegen Güstrow, dem Wunsche des Grafen entgegen, wieder vor die Kommission nach Hamburg gewiesen.

Als gewandter Diplomat fand sich Graf Horn bald in die neue Lage, auch in der Fassung, die sie erhalten hatten, schienen ihm die kaiserlichen Reskripte einen gangbaren Weg zu bieten, den Güstrowschen Streit schnell zu Ende zu bringen, 1 ) wenn


1) Das Eheprojekt hatte er schon bei seiner Anwesenheit in Wien im J. 1700 von dem Güstrower Streit zu trennen gesucht, indem er die Verbindung mit einer der Erzherzoginnen, auch wenn Güstrow dadurch nicht zu erhalten sei, als die "glückselichste undt nützlichste" pries, die Friedrich Wilhelm eingehen könne (so in s. Rel. o. 9. August, und ähnlich öfter). Doch blieb die ganze Sache nach Horns Abreise aus Wien Anfang September 1700 ruhen, bis er selbst sie bei einer neuen Anwesenheit in Wien im Oktober 1701 wieder aufnahm. Es fand sich, daß Pater Bischof seit Ende 1700 krank gewesen war und den Kaiser nicht hatte sprechen können. Ende Nov. fand dann ein Gespräch des Paters mit dem Kaiser statt, in dem der Kaiser sich entschuldigte, er habe bisher mit den negotiis, die die spanische Succession beträfen, so viel zu thun gehabt, daß er auf die Vermählung mit Herzog Friedrich Wilhelm "eine vollenkommen seriöse reflexion nicht habe machen können," und eine Antwort binnen 14 Tagen in Aussicht stellte. Graf Horn meldet dies den 30. Nov., nachdem Friedrich Wilhelm ihm den 15. Nov. geschrieben, es scheine dem Kaiser nicht ernst Horn möge sich in der Sache nichts weiter merken lassen, läßt sich aber auch durch diese Weisung nicht abschrecken, in derselben Relation alle seine Ueberredungskunst aufzubieten, um den Herzog zur Fortsetzung der Verhandlungen zu bewegen. Wenn Er seine Intention ändere, so versäume Er "sein ewiges Heil undt die herliche gelegenbeit, wodurch der gütige Gott ihn dazu habe ziehen wollen." "Er beraube sich der glorie, daß Er eines so frommen undt tuegendthaften kaysers Tochter heyrahte, daß er, wie auch der gleich fals so frommen undt tuegendhaften kayserin segen nach Gottes ohnfehlbarer verheißung noch lange auf seine kinder undt nachkommen haften" müsse. Die Vortheile der Verbindung mit dem Kaiserhause für den Herzog wie seine etwaigen Nachkommen werden in den verlockendsten Farben gemalt, die Erzherzogin auch hier wieder als eine Fürstin gepriesen, welche "in Tuegendt, in schöner Gestalt, in annehmlichkeit undt in vollenkommenheit keine in der welt übertrifft noch übertreffen kan." Der Graf mahnt dann, wenn Friedrich Wilhelm zurückziehen wolle, so müsse es in vorsichtiger Form geschehen, um den Kaiser nicht zu erzürnen, und führt schließlich noch eine Anzahl Gründe an, die für die Ehe sprechen, darunter folgende: "das keine grössere zeitliche undt ewige gnade Gottes ist als das heil der Seele undt auf dieser Welt eine glückseelige vergnügte ehe; über welche Ew. hochf. Durchl. niemalen eine glückseligere als diese treffen werden, wegen der Gottesfurcht undt Tuegende der Princessin, undt wegen der katholischen Religion," und "das Ew. hochfürstl. Durchl, in gewissen verbunden sein, dero eigene, undt dero hochfürstl. familie glorie undt hochergehen durch rechtmessige mittel immer mehr undt mehr (  ...  )
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man sich dem durch sie genehmigten Vorschläge anschloß. Eben dies, Unterwerfung unter die kaiserliche Entscheidung für den Fall, daß die Kreisdirektoren ihre Truppen aus dem Güstrowschen herauszögen, rieth Graf Horn noch dem Herzog von Wien aus (d. 18. August), sobald er ungefähr Kenntniß von dem Inhalt der Reskripte erhalten hatte, und eilte dann wieder nach Schwerin.

Die abschließenden Verhandlungen.

Die Kommission ward vom Grafen Eck durch Schreiben vom 8. September auf den 9. oder 13. Oktober wieder berufen, um "den letzten, Gott gebe glücklichen Versuch zu thun".


(  ...  ) in flor undt aufnähme zu bringen: wozue sie durch diese heyraht eine erwünschte gelegenheit erlangen." Die Antwort des Kaisers erfolgte den 14. Dez. (an den Pater) und war wiederum dilatorisch; der sehr gewissenhaft denkende Mann hatte, wie er selber sagte, daran Anstoß genommen, daß Friedrich Wilhelm die katholische Religion nur annehmen wolle, wenn die Heirath vor sich gehe, was den Schein habe, daß nicht die Religion, sondern die Heirath sein hauptsächliches Absehen sei. In demselben Gespräche erklärte er übrigens, er begehre nicht, daß Friedrich Wilhelm sich gebunden halten solle, wodurch die Besorgniß Horns beseitigt ward, daß der Kaiser durch Abbruch der Verhandlungen beleidigt werden könne. Horn wußte sie noch eine Weile in Gang zu halten, und es kam sogar zu Berathungen mit den Grafen Kaunitz und Oettingen über die Ehepakten. Friedrich Wilhelm aber trat einen Schritt zurück, indem er in eine Instruktion vom 9. Dez. 1702 (§ 9) den Passus setzte, "zur annehmung der katholischen Religion für seine persohn könne er sich noch zur Zeit nicht pure erklähren." Er versprach allerdings noch, daß, wenn seine Ehe mit Kindern gesegnet sein werde, sie alle katholisch erzogen werden sollten, aber damit war man in Wien nicht zufrieden. In einem Entwurf der Ehepakten, den Graf Kaunitz den 11. Juli 1702 dem Grafen Horn in die Feder diktierte, heißt es § 9; "Die annehmung der catholischen Religion ist Conditio sine qua non." Noch einmal nahm Horn Ende 1702, als er wieder in Wien war. Seinen alten Plan wieder auf, mußte aber selbst d. 7. Jan. 1703 zugeben: "Die Hoffnung scheint mehr ab= als zuzunehmen." Der Kaiser stieß sich besonders daran, daß Friedrich Wilhelm sich zum Uebertritt noch nicht entschließen wolle, dies sei sein hauptsächlichstes Motiv gewesen, warum er sich so weit in die Sache eingelassen habe. Die Relation, in der Horn dies berichtet, ist das letzte Aktenstück des betr. Aktenfascikels (in den Acta Matrimonialia Friedrich Wilhelms). Eine Antwort, die der Kaiser durch Graf Kaunitz geben zu wollen versprochen hatte. Scheint nicht erfolgt zu sein. Von beiden Seiten gab man das Projekt endgültig auf. Ein halbes Jahr später ward Generalleutnant v. Schwerin nach Kassel gesandt, um dort Verhandlungen wegen Vermählung Friedrich Wilhelms mit der Prinzessin Sophie Charlotte anzuknüpfen, die zur ehelichen Verbindung beider führten.
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Friedrich Wilhelm sagte den 17. September das Wiedererscheinen seiner Räthe zu. Auch Adolf Friedrich erklärte sich den 18. September bereit, die Kommission wieder zu beschicken, setzte aber hinzu, wenn seine Forderungen vom 8. Juni nicht zur Grundlage genommen würden, so sehe er nicht, welchen Nutzen die Verhandlungen noch weiter haben könnten. Zu gleicher Zeit ließ er unter dem Beistand des Berliner Hofes, der sich seiner hierin annahm, bei Schweden und Celle um Weiterbewilligung der 30000 Th. nachsuchen und wandte sich kurz vor dem Beginn der Kommissionssitzungen d. 9. Oktober abermals an den Kaiser in Erwiderung des Reskriptes vom 4. August. Er führt die Entscheidung des Kaisers auf "ungleichen Bericht" zurück, wiederholt seine Bitte, daß sein Ultimatum zur Grundlage der Verhandlungen gemacht werde, und fügt die neue hinzu, daß andernfalls die Entscheidung neben der Kommission dem Kreisdirektorium übertragen und inzwischen die Zahlung der Gelder nicht verhindert werde.

Die Kommission trat also wieder zusammen, auch Dänemark, obwohl mit dem Vorgehen des Kaisers nicht einverstanden, 1 ) schied doch deswegen nicht aus, ließ aber noch vor dem Beginn der Verhandlungen bei Eutin und Wolfenbüttel erinnern, daß es die Forderung Adolf Friedrichs (Güstrow) billig finde. Zu den Verhandlungen kam den 12. Oktober neben Vermehren und Taddel auch Graf Horn nach Hamburg hinüber, wo man Petkum schon vorfand.

Bei den Besuchen und Vorbesprechungen war bereits davon die Rede, welche Aemter etwa Friedrich Wilhelm zu Ratzeburg am füglichsten zulegen könne. Probst machte eine Andeutung auf Gadebusch: in diesem Amte lagen die Güter des Grafen Bernstorff und des Herrn v. Fabricius, die beide wohl Adolf Friedrichs Regiment dem schärferen Schweriner vorzogen. Auch


1) Der König von Dänemark beantwortete das Reskript vom 4. August den 11. September, nachdem der Krieg mit Schweden d. 18. August durch den Frieden zu Travendal vorläufig beendet war: Er hoffe, daß des Kaisers Meinung nicht sei, die Handlung abzubrechen, wenn sich unübersteigliche Schwierigkeiten gegen den Vergleich auf dem Fuß des Kaiserl. Reskriptes erhöben. Sondern vielmehr beiden Parteien weiter zuzusprechen und so "dato et retento" den Vergleich zu vermitteln. Der Kaiser antwortete d. 22. Oktober, er finde keine Ursache, von seiner Resolution abzuweichen und ersucht um Mitwirkung zu ihrer Ausführung, "inmaßen Wir schon bedacht sein, Unß auch die Mittel nicht ermangeln würden, die von Ew. Lbd. gemeldete insuperable difficultäten zu überwinden"; wieder recht stolze Worte, aber welches waren diese Mittel?
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von Mirow war die Rede, was aber Friedrich Wilhelm nicht gern in Vorschlag kommen lassen wollte, da es für Karl Leopold eine gute Apanage abgeben werde, sondern lieber Zarrenthin oder Rhena.

Die erste Sitzung der neuen Tagung fand d. 16. Oktober statt. Die Schweriner Deputirten gaben hier die Erklärung ab, daß Friedrich Wilhelm sich dahin überwunden, auf das kaiserliche Reskript vom 4. August einzugehen, mit dem Vorbehalte, daß Adolf Friedrich es ebenfalls sogleich thue und das Kreisdirektorium seine Truppen auch wirklich aus dem Güstrowschen zurückziehe oder, falls Adolf Friedrich sich nicht sofort erkläre, nichts desto weniger der Besitz von Güstrow Friedrich Wilhelm frei und ledig überlassen werde.

Die Strelitzer Erklärung, die nach der Schweriner abgegeben ward, lautete dahin: Weil Adolf Friedrich in seinem Gewissen überzeugt sei, daß das Herzogthum Güstrow auf ihn und seine männlichen Nachkommen verstammt sei, könne er es nicht verantworten, sich desfalls in ein ihm fremdes Stück Landes einweisen und aus dem Seinigen entsetzen zu lassen. Er hege zu Kaiserl. Maj. das Vertrauen, daß sie sich zu milderen Gedanken entschließen werde.

Von den Mitgliedern der Kommission stellte sich der dänische Bevollmächtigte, laut seiner Instruktion, offen auf die Seite von Strelitz, die andern drei blieben unter sich einig, hielten an der Verordnung vom 4. August fest und redeten in den nächsten Tagen Petkum mehrfach eifrig zu, seine Forderungen herabzustimmen. Da er nicht nachgab, so blieb nichts übrig, als die Verhandlungen - sogleich nach diesem neuen Beginn - wieder auszusetzen und an den Kaiser zu berichten. Die Absendung des Berichtes ward indessen noch einige Tage aufgehalten durch das Eintreffen des brandenburgischen Antwortschreibens auf das Reskript vom 4. August, das zu allerlei Erwägungen Anlaß gab.

Es hieß darin, der Kurfürst sehe die Differenzen je eher je lieber aufgehoben und wolle sich bemühen, daß Adolf Friedrich sich zur Einwilligung in die zwei Drittel an Land und Leuten entschließe. Freilich sei zu bezweifeln, ob Ratzeburg dazu ausreichend sei, man müsse aber hoffen, daß so viel zugelegt werde, damit die zwei Drittel Landes sich fänden. Wegen Abführung der Truppen lasse er mit den Kondirektoren verhandeln und sei versichert, daß sie nicht weniger wie er selbst der Intention des Kaisers gerne sowohl in diesem wie in dem andern Punkt

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wegen der von Strelitz abermals verlangten Beihülfe aus dem Güstrowschen, so viel möglich, beitreten würden, wiewohl Adolf Friedrich fast kläglich vorstelle, wie unglücklich er sei, daß ihm dergestalt die zu seinem nothdürftigsten Unterhalte und zur Hinausführung der Sache unumgänglich erforderlichen Mittel auf einmal abgeschnitten würden.

Das Reskript ward in Wien als ein Schritt zum Entgegenkommen von Seiten Brandenburgs aufgefaßt, es schien die Aussicht zu eröffnen, daß Brandenburg sich von den beiden Mitdirektoren eventuell, wenn diese noch weiter Schwierigkeiten machten die Truppen zurückzuziehen, trennen und seine Truppen auf eigene Hand zurückziehen werde. Im Hintergrunde stand dann die Hoffnung, daß vielleicht Brandenburg sich bewegen lassen werde, für den Kaiser und in seinem Namen zu Gunsten Friedrich Wilhelms einzuschreiten. 1 )

Graf Horn war weniger mit der brandenburgischen Antwort zufrieden und hatte sehr recht damit, wenn er von Brandenburg nicht allzu viel Gutes für Schwerin erwartete. Sein Mißtrauen fand schnelle Bestätigung, denn wenn sich auch Brandenburg in Bezug auf Adolf Friedrichs Forderung der Stadt und des Amtes Güstrow jetzt entschieden auf die Seite Schwerins stellte, so fing doch der Gesandte in Hamburg - jetzt nicht mehr v. Busch, sondern v. Guericke - in eben diesen Tagen, wenn auch nach seiner Aussage nur von sich aus, darüber an zu sondiren, ob Friedrich Wilhelm nicht zu Ratzeburg auch den Stargardischen Distrikt geben würde. 2 )


1) In eben diese Zeit fallen die letzten Verhandlungen zwischen Brandenburg und dem Kaiserhof über die Königskrone. Der Traktat kam d. 16. Nov. zum Abschluß. Darin stand ein Artikel (art. separat. 4), daß der Churfürst verspreche, den Mitdirektoren die Deklaration zu thun, daß er sich den kaiserlichen Reskripten konformire und seine im Meklenburgischen stehenden Truppen abführen lassen wolle, und bei den Mitdirektoren wie den streitenden Theilen alle nachdrücklichen officia anzuwenden, daß auch sie sich damit konformirten. Trotz dieses Versprechens hat Brandenburg es vermieden, sich von den Mitdirektoren zu trennen.
2) Die erste Instruktion des neuen Brandenburgischen Bevollmächtigten, des Magdeburger Regierungsrathes Leberecht v. Guericke, ist datirt v. 27. Sept. 1700. Sein Vorgänger, Herr v. Busch, wird darin beschuldigt, daß er zu sehr "vor die Partey von Schwerin portirt" gewesen sei. Guericke solle sich ganz unparteiisch halten und so, daß Brandenburg ebensowenig beim Kaiser als beim dänischen Hof anstoße, da der Kurfürst "aus allerhand wichtigen considerationen" diese beiden Höfe gern zufrieden stellen oder wenigstens ihnen keine Ursache mit Fug (  ...  )
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Den 25. Oktober ging die Relation der Kommission durch einen Schwerinischen Kourier ab. Bis zum Eintreffen der Antwort blieb man auf Betrieb der Schweriner in Hamburg zusammen, nur daß Graf Horn schon den 25. wieder nach Schwerin reiste.

Die Zeit verging mit Versuchen, Petkum nachgiebiger zu stimmen, auch hatte man den Eindruck, als wenn er persönlich, ähnlich wie früher Gutzmer, nicht abgeneigt sei, die Forderung von Güstrow, das Haupthinderniß der Einigung, fallen zu lassen, allein er äußerte Starke Zweifel, ob Adolf Friedrich zum Nachgeben zu bewegen sein werde. 1 ) Den 28. ward eine Kommissions=


(  ...  ) über ihn in der Sache zu klagen geben wolle. Guericke solle versuchen, ob mit dem dänischen Vorschlag - er war in einem Schreiben vom 18. September von dem Könige dem Kurfürsten mitgetheilt -, der ihm "nicht übel stehe", auszukommen sei. Diese Instruktion, daß er den dänischen Vorschlag, also die Abtretung des Amtes Güstrow an Adolf Friedrich, unterstützen solle, verschwieg Guericke, wie er den 12. Oktober berichtet, dem Grafen Horn aus Rücksicht auf den Kaiser und Friedrich Wilhelm. Man billigte dies in Berlin und wies ihn den 26. Oktober an, jetzt von der Abtretung von Güstrow gänzlich zu abstrahiren und die Sache so zu leiten, daß Graf Eck zufriedengestellt werde, dabei aber sich nicht gänzlich auf die Seite von Schwerin zu werfen, daß der dänische Hof dadurch verstimmt werde. In derselben Instruktion spricht sich der Kurfürst über seine Stellung zu Friedrich Wilhelm und zu der Rechtsfrage des Streites aus: Er habe vor einigen Jahren Friedrich Wilhelm Assistenz versprochen, aber doch nur insoweit, als er dessen Ansprüche im Recht und in der Billigkeit gegründet finde, und da könne er nicht leugnen, daß, nachdem er von einigen unparteiischen, gelehrten und gewissenhaften Juristen sich über die Sache habe belehren lassen, er des Herzogs von Strelitz Jura weit besser fundirt gesunden habe als die des Herzogs von Schwerin; überdem habe auch der Herzog von Schwerin dem Vergleich in verschiedenen "gahr essentiellen passibus" zuwider gehandelt. Der Kurfürst wolle trotzdem bei seiner dem Kaiser gegebenen Erklärung (in dem Antwortschreiben auf das Reskript vom 4. August) bleiben, könne aber doch auch den Herzog von Strelitz nicht zwingen, die Schweriner Anerbietungen wider seinen Willen anzunehmen. - Die hierin erwähnte rechtliche Belehrung ist ein Aktenstück, datirt vom 20. August, das in Kopie ohne Unterschrift den mir übersandten Akten beilag, und das sich in der Rechtsfrage vollständig auf Seite Adolf Friedrichs stellt. (Aus den Berliner Akten.)
1) Den 26. Oktober übersandte Guericke nach Berlin ein Schreiben der Herzogin von Strelitz v. 21. Sept., die damals schon schwer krank war, worin die Herzogin die Kreisdirektoren ersucht, die Kuratel ihrer Kinder neben ihrem Gemahl mit zu übernehmen und diesem zum völligen und ungeschmälerten Besitz von Güstrow zu verhelfen. Zugleich berichtete Guericke über eine hierauf bezügliche Unterredung mit Petkum. Dieser hatte erzählt, Adolf Friedrich habe den Kaiser gebeten, die Entscheidung über die Erbfolge den Kreisdirektoren mit aufzutragen. Nach (  ...  )
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Sitzung gehalten, worin Petkum sich verpflichtete, seinem Herrn die Forderung der Kommission, er möge seinen Anspruch auf Stadt, Amt und Votum von Güstrow fallen lassen, zu übermitteln.

Den Schweriner Räthen andererseits ward aus ihrem Verkehr mit den Kreisministern und den Kommissionsmitgliedern immer klarer, daß sich zwischen diesen mehr und mehr ein Einverständniß herstellte darüber, daß die Ergänzung der zwei Drittel an Land und Leuten aus dem Stargardischen zu entnehmen sei, besonders schien man Stadt und Amt Stargard selbst ins Auge gefaßt zu haben, was für die Schweriner recht empfindlich war wegen der großen Ausdehnung dieses Amtes und des zahlreichen darin ansässigen Adels. Den 15. November 1 ) langten als kaiserliche Antwort auf den letzten Kommissionsbericht sechs kaiserliche Reskripte an, vom 4. November datirt. Drei davon waren an die Kreisdirektoren adressirt, die an Schweden und Lüneburg waren gleichlautend, während Brandenburg ein besonderes erhielt. Man las nämlich aus dem Schreiben des Kurfürsten heraus, daß er sich der Intention des Kaisers auch in Betreff der Kreistruppen anschließe und eventuell auch ohne die Zustimmung der Mitdirektoren seine Truppen aus dem Güstrowschen zurückzuziehen bereit sei, wie denn auch in der That wenige Tage später in dem am 16. November abgeschlossenen Traktat mit dem Kaiser Branden=


(  ...  ) Petkums Ansicht vertrug sich hiermit das Gesuch der Herzogin nicht, da die Direktoren nicht zugleich Richter und des Prinzen Kuratoren sein könnten. Er hatte deshalb Guericke gebeten, das Gesuch der Herzogin vorläufig zu menagiren. Petkum hatte dabei gestanden, daß es, falls der Kaiser der Bitte Adolf Friedrichs "und dem bekannten alten Fürstenrecht" nicht solle stattgeben wollen, bei Frankreich durch die Vermittelung von Dänemark schon dahin incaminirt sei, daß Frankreich auch über dieses den deutschen Fürsten zukommende Recht die Garantie leisten werde. In seiner Antwort auf diesen Bericht, dat. vom 5. Nov., mißbilligt der Berliner Hof dieses Hineinziehen Frankreichs in die Sache auf das Entschiedenste, weil dadurch in Wien alles verdorben und auch das Kreisdirektorium, das sich bisher Adolf Friedrichs so treulich angenommen, disgustirt werde. Strelitz gab darauf diese Verhandlungen mit Frankreich auf. (Aus d. Berl. Akten.)
1) Den 13. Nov. kamen zwei Reskripte an Eck und Adolf Friedrich, die eine Antwort waren auf Ecks Spezialbericht vom 16. Oktober. Eck erhielt Befehl, den Kreisministern zuzusprechen, daß auf fernere Renitenz von Strelitz doch die Kreisvölker aus dem Güstrowschen abgeführt werden möchten. Adolf Friedrich ward nochmals ernstlich zur Annahme der Verordnung vom 4. August ermahnt; eine Cession seiner Ansprüche an einen Mächtigeren - womit Petkum gedroht hatte - werde der Kaiser für null und unkräftig erklären.
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burg ein solches Versprechen gegeben hat. Der Kaiser giebt also dem Kurfürsten sein gnädiges Gefallen darüber zu erkennen und verspricht, daß Strelitz, wenn Ratzeburg so viel nicht austrage, mit andern Landstücken Satisfaktion erhalten solle.

Schweden und Celle werden benachrichtigt, daß Friedrich Wilhelm den Kommissionsvorschlag angenommen; Adolf Friedrich habe keine befugte Ursache, sich ihm zu widersetzen, auch könne der Kaiser das Werk nicht länger in diesem Zustand lassen, sondern werde gemüßigt werden, andere reichskonstitutionsmäßige Mittel vorzukehren. Beide Fürsten erhalten die dringende Aufforderung, die Truppen abzuführen, der Kurfürst von Brandenburg habe sich bereits dazu willig erklärt.

Adolf Friedrich ward auf seine Schreiben vom 8. Juni und 9. Oktober abschlägig beschieden: der Kaiser finde keinen Anlaß, von den Reskripten des 4. August abzugehen.

Das fünfte und sechste Schreiben galten der Kommission, die aufgefordert ward, die Traktaten nunmehr zu Ende zu bringen, und dem Grafen Eck.

Einige Tage vergingen unter fruchtlosen Verhandlungen mit Petkum, der noch eine neue entscheidende Instruktion erwartete. Endlich, den 22. November, legte er diese der Kommission vor. Adolf Friedrich zog darin seine Forderung von Stadt und Amt Güstrow mit dem Votum zurück und erklärte sich - "mit großer Ueberwindung", wie man ihm glauben darf - bereit, das ,"so gar schlechte Fürstenthum Ratzeburg pro fundamento zu setzen, knüpfte aber diese Zustimmung an eine ganze Reihe von Bedingungen, die zuvor festzusetzen seien: 1. Es solle zu Ratzeburg der ganze Stargardische Kreis, der jetzt nur 9024 Rth. freie Revenüen eintrage, nebst der darin belegenen Komthurei Mirow ohne weiteres Rechnen an Stelle der zwei Drittel cum omni jure gelegt werden. Zur Begründung dieser Forderung wird darauf hingewiesen, daß durch die Sequestrationsverwaltung mehrere Tonnen Goldes von den Schulden des Herzogthums Güstrow bereits abgetragen seien, daß also die Einkünfte Friedrich Wilhelms höher sein würden, als früher berechnet sei; ferner wird auf die Vermählung der Prinzessin Sophie von Güstrow 1 ) hingewiesen, durch welche Friedrich Wilhelm der Verpflichtung, ihr eine


1) Sie heirathete den 6. Dez. 1700 den Herzog Christian Ulrich zu Württemberg=Oels.
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Apanage zu zahlen, ledig werde, was ebenfalls seine finanzielle Lage verbessere.

2. Das übrige Drittel solle aus dem Boizenburger Zoll gezahlt werden, gleichfalls cum omni jure.

3. Zur Erbauung einer Residenz seien sogleich 50000 Th. baar auszuzahlen.

4. Die 40000 Th. seien noch für das laufende Jahr aus der Sequesterkasse zu zahlen.

5. Ebenso auch, was seiner Gemahlin an Dotal= und andern Geldern noch restire nebst den rückständigen Zinsen.

6. Von Friedrich Wilhelm seien die durch den Lübecker Vergleich Adolf Friedrich zugesprochenen 3000 Th. jährlicher Revenüen anderweitig anzuweisen.

7. Auch die andern rückständigen Gelder (d. s. die alten Grabowischen Forderungen) seien mit allen Zinsen zu zahlen.

8. Stadt und Amt Güstrow sei der Herzogin=Wittwe auf Lebenszeit als Witthumssitz zu lassen.

Das Aktenstück schloß mit der förmlichen und von Adolf Friedrich ohne Zweifel sehr ernst gemeinten Versicherung, daß, gleichwie er sich lediglich aus Respekt vor dem Kaiser und ihm zu Ehren, wie wohl mit "innerster Desolation und Betrübniß", zum Eingehen auf diese Bedingungen erkläre, also auch keine Extremität groß genug sein werde, die ihn und die Seinigen zur Annahme eines anderweitigen Stückes zu dem Fürstenthum Ratzeburg nöthigen könne.

Nach dem Eindruck der Schweriner Räthe war die Kommission mit dieser Erklärung nicht zufrieden und teilte die Meinung der Schweriner, daß auf diese Weise die Sache noch nicht zu heben sei, allein, wenn dieser Eindruck nicht überhaupt eine Täuschung war. So mochten doch die Subdelegirten der Kommission hinter den Worten Adolf Friedrichs allzu deutlich den bitteren, entschlossenen Ernst spüren, um nicht den Versuch zu machen, ob man nicht Schwerin zu weiteren Zugeständnissen in der Richtung der Strelitzer Erklärung bringen könne.

Sie fingen also sogleich an, den Schweriner Deputirten zuzureden, sie möchten ihrem Herrn rathen, sich noch ferner zu überwinden und wenn nicht in Allem, was sie nicht verlangten, so doch noch in Einigem nachzugeben. Die Schweriner wiesen dies zunächst ab und bestanden darauf, daß Strelitz vor der weiteren Verhandlung über Ergänzung der zwei Drittel sich bestimmt und uneingeschränkt zur Annahme von Ratzeburg mit

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Votum bereit erkläre, allein auf hartes Zureden der Kommission sandten sie ein Referat nach Schwerin zur Einholung weiterer Instruktion und baten, daß Graf Horn mit Voltmacht wieder nach Hamburg gesandt werde. Das Referat ging den 23. November ab; an demselben Tage schrieb Graf Eck einen Brief nach Schwerin, 1 ) der die allgemeine politische Lage wie auch die schlechten Aussichten für Schwerin in kurzen Strichen treffend kennzeichnet: "Horn ist jezo Noth, aut nunquam, denn die Sachen müßen nun zu ende gehen, es gehe wie es wohl (verschrieben für wolle) zu frid oder ruptur. Die Zeitten wollen vor Deutschlandt schlimmer werden, man sehe, daß man nun zu dem seinigen komme, damit mans in gutten Zeitten, welche ob gott will folgen werden, genießen kan." Der brandenburgische Minister habe "absolute" erklärt, daß er ohne den Stargardischen Kreis in nichts willigen werde, Schweden sei gleicher Meinung, 2 ) Celle, in so weit indifferent. Schließe sich doch den beiden an. "Getraut man sich nun diese zwei zu superiren, wohl und gutt, wo nicht, muß man sein Seel in gedult faßen." "Der Kaiser=Hoff, wird ohne dem genug embarassirt seyn, 3 ) also von selbigem dato wenig hilff zu gewarten."

Graf Horn befand sich gerade mit General Geschwind, dem kaiserlichen Kommissar zur Schlichtung des Streites zwischen der Krone und den Ständen wegen der Fortifikationssteuer, in Rostock, als diese Hiobsposten in Schwerin einliefen. Der Herzog sandte ihm Ordre, sobald wie möglich nach Schwerin zurückzukommen, um von dort wieder nach Hamburg zu gehen. Einstweilen erhielten die dortigen Räthe Befehl, zu remonstriren, daß Friedrich Wilhelm sich nimmer zur Abtretung des ganzen Stargardischen Distriktes entschließen werde. Sie hatten aber damit wenig Glück, man hielt ihnen entgegen, der Kreis wolle es so haben, und sei sonst kein Auskommen.


1) Der Adressat ist nicht genannt, wird aber mit Baron angeredet; es wird v. Löwen sein.
2) Es ist eine Ironie der Geschichte, daß diese für Schwerin recht drückende Bedingung ihm gerade von den beiden Mächten aufoktroyirt ward, deren Beistand es damals am meisten sicher zu sein glauben mußte. Weder ließ sich Schweden durch den Allianzvertrag, noch Brandenburg durch die Klausel in dem Wiener Vertrage hindern, um Meklenburg=Schwerin nicht bedrohlich stark werden zu lassen, Strelitz möglichst günstige Bedingungen zu verschaffen.
3) Den 15. Nov. hatte Eck schlechte Nachricht über das Befinden des Königs von Spanien Karl II. erhalten. Er äußerte sich sehr bekümmert darüber, denn wenn sie sich bestätigten. So werde es den Kaiserhof sehr behindern, mit Nachdruck für Friedrich Wilhelm zu arbeiten. König Karl war in der That schon den 1. November gestorben.
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Auch Graf Eck schloß sich unter vielen Versicherungen, an deren Aufrichtigkeit nicht zu zweifeln ist, daß er gerne für die Schweriner günstigere Bedingungen erwirkt hätte, dem allgemeinen Konzerte an; in einer Unterhaltung mit den Schwerinern, über welche diese den 30. November berichten, beklagt er lebhaft, daß der Kaiser wegen der spanischen Erbfolge nicht im Stande sei, mit gehörigem Nachdruck in der Sache zu verfahren, er brauchte dabei den unumwundenen Ausdruck: Wie s. Durchl. "auf honteuse Manier" depossedirt sei, so bleibe auch nichts übrig, als auf "honteuse Conditiones" wiederum ins Güstrowsche zu kommen. Die Räthe setzen ihrem Bericht über diese Aeußerung die bezeichnenden Worte hinzu: "Gewißlich, Wir haben solchen kläglichen außspruch von einem Kayserlichen Ministro nicht ohne sonderliche gemüthsbewegung anhören können." In der That kann man die Leistungsunfähigkeit der damaligen Kaisermacht kaum drastischer aussprechen. 1 )

Den 30. November Nachmittags kam Graf Horn in Hamburg an mit einer Instruktion, die ihm Vollmacht ertheilte, die Einkünfte des Fürstenthums Ratzeburg, wenn es nicht höher könne ausgebracht werden, zu 19000 Rth. anzusetzen und den Rest der zwei Drittel, wenn es nicht anders sein könne, auf die Aemter des Stargardischen Kreises anzuweisen, doch ohne Adel und Städte und ohne Territorialhoheit; dabei könne er jedoch "simuliren", daß man lieber geneigt wäre, die Aemter Mirow und Rehna oder Rehna und Zarrentin abzutreten.

Den 1. Dezember trat er mit der Kommission in Konferenzen ein, doch privatim und ohne Verbindlichkeit. Er bot für Ratzeburg Rehna und Zarrentin an, und zwar diese beiden sogleich mit der Landeshoheit, daneben auch Mirow, doch ohne Landeshoheit, erhielt aber die Erwiderung, Strelitz bestehe auf dem Stargarder Distrikt. Horn wünschte, daß die Kommission erst sondire, ob Strelitz mit obigem zufrieden sei, andernfalls werde Friedrich Wilhelm die Aemter Stargard und Broda nach ihrem jetzigen wahren Ertrag, doch ohne Landeshoheit und ohne Adel und Städte geben. Er machte indessen die Beobachtung, daß die Kommission außer Eck darauf abziele, daß Alles, was abgetreten werde, mit der Landeshoheit gegeben werde, und ferner,


1) Einige Tage später berichtete Eck offen nach Wien: Er habe den Schwerinern vorgestellt, daß der Kaiser nicht in der Lage sei, ihnen zu helfen, und daß unter diesen Umständen neue kaiserliche Reskripte ebenso wenig fruchten würden wie die früheren. Mit welchen Gefühlen mag Kaiser Leopold diese Worte gelesen haben?
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daß man es auf den ganzen Stargardischen Distrikt abgesehen habe; der dänische Delegirte verlangte auch Mirow, wovon aber die andern absahen.

In Erkenntniß dieser Sachlage ließ er sich dann schon den 2. Dezember in tiefstem Vertrauen gegenüber Eck, Probst und John dahin aus, daß er Friedrich Wilhelm dazu disponiren wolle, die Domänen des Stargardischen Distriktes mit der Landeshoheit Adolf Friedrich zu überlassen, doch ohne Adel und Städte. Ja, als man ihn fragte, ob Friedrich Wilhelm nicht zu disponiren sein möchte, die Städte Strelitz, Stargard und Wesenberg, welche so nahe bei den Amtshäusern lägen, was leicht zu Kollisionen Veranlassung geben könne, ebenfalls an Strelitz zu überlassen, antwortete er: Wenn es darauf ankomme, glaube er nicht, daß Hochf. Dchl. den Vergleich werde zerfallen lassen.

Er selbst berichtete dies noch am 2. Dezember und äußerte zugleich die Ansicht, Friedrich Wilhelm könne bewilligen, was er, Horn, in Aussicht gestellt. Was aber den Adel und die übrigen Städte außer den drei genannten betreffe, so könne er nicht anders sagen, als daß der Herzog sie ohne seinen unüberwindlichen Schaden nicht abtreten könne, es sei denn, daß er sie darum opfern wolle, damit er einmal zu Ruhe und Friede und aus dieser so große Spesen erfordernden, auch so viele heimliche Intriguen in sich haltenden Sache kommen möge. Es war eine Form des Abrathens, die dem Gegentheil recht ähnlich sah.

Im Schweriner Ministerrath 1 ) hatte man an Horns Verfahren Manches auszusetzen. Man war zwar mit der Ansetzung der Einkünfte von Ratzeburg auf 19-20000 Th. einverstanden, billigte auch die Abtretung von Rehna und Zarrentin mit der Landeshoheit, nicht aber, daß Horn sich sogleich zu Beginn der Verhandlungen dazu verstanden; er sei damit zu geschwind vorgegangen, ebenso mit der Abtretung von Stargard. In diesem Sinne ward ein Reskript abgefaßt, das den 5. Dezember an den Grafen abging. Darin ward außer Ratzeburg noch einmal Rehna und Zarrentin mit Landeshoheit angeboten, die Abtretung der Domänen des ganzen Stargardischen Kreises abgelehnt, aber die Geneigtheit des Herzogs ausgesprochen, eventuell die Aemter Stargard und Broda und die Stadt Stargard, ohne die übrigen Städte und den Adel und ohne Landeshoheit, abzugeben; wenn sich an der Landeshoheit dieser beiden Aemter der Vergleich allein


1) Die Sitzung fand d. 4. Dez. statt, Löwen, Koppelow und Beselin nahmen daran Theil.
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stoßen sollte, so werde der Herzog sich nach fernerer Relation entscheiden.

Darauf brach Graf Horn die privatim gepflogenen Unterhandlungen als erfolglos geblieben ab, und den 6. Dezember reichten Vermehren und Taddel eine von dem Grafen gebilligte offizielle Erklärung bei der Kommission ein, als Erwiderung auf das Strelitzsche Anbringen vom 22. November. Sie hatte folgenden Inhalt: Es sei aus der Strelitzer Erklärung nicht zu ersehen, daß Adolf Friedrich sich pure und cathegorice erkläre, Ratzeburg nach seinem jetzigen wahren Ertrage anzunehmen, sondern die desfalls abgegebene Erklärung sei ganz zweifelhaft und an zum Theil neue, zum Theil auch zu dieser Kommission nicht gehörige, unbillige Forderungen gebunden. Friedrich Wilhelm sei keineswegs gemeint, sich darüber und also auf neue Traktaten einzulassen, vielmehr beharre er fest und unbeweglich auf der kaiserlichen Verordnung vom 4. August. Als Supplement der zwei Drittel sei er erbötig, die Aemter Rehna und Zarrentin - im Ertragswerthe von 4499 und 1853 Th. - abzutreten. Die Räthe ersuchen die Kommission inständigst, dafern Adolf Friedrich nicht spätestens in 14 Tagen sich zur Annahme dieser Offerte kathegorisch erklärt, beim Kreisdirektorium ihre unablässigen und kräftigen Dienste dahin anzuwenden, daß es seine Truppen unverweilt aus dem Güstrowschen ziehe.

Bei der Abgabe dieser Erklärung stellte Graf Horn, der zugegen war, nach dem Bericht der Räthe noch einmal "gründlich und mascule" vor, daß Friedrich Wilhelm nicht weiter gehen könne, ehe nicht die Kommission von den Kreisministern in authentischer Form herausgebracht, woran sich die Evacuation von Güstrow stoße. Graf Eck sprach laut und offen vor den übrigen Subdelegirten aus, er finde und werde auch an den Kaiser berichten, daß Friedrich Wilhelm genug gethan. Darauf trat man in eine Unterhaltung extra protocollum, in der schließlich Graf Horn der Kommission anheimgab, sie möge die Forderungen der Kreisdirektoren, falls sie solche seinem Herrn quasi pro legibus anmuthen wolle, sich von diesen geben lassen und dem Herzog zuschicken. 1 )


1) Unter dem Eindruck der Verhandlungen dieses Tages entwarf Horn ein Additamentum zu der Erklärung vom 6., in dem eventuell die Domänen des Amtes Stargard angeboten werden, ohne Landeshoheit. Da die beiden Räthe sich weigerten, es aus eigene Verantwortung zu unterschreiben, so wurde es nach Schwerin geschickt, hier aber abgelehnt (d. 9.), nachdem inzwischen (d. 7.) in Hamburg schon der entscheidende Schlag gefallen war.
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Diesen Weg beschritt indessen die Kommission nicht, da sie nicht die ganze Sache aus den Händen geben und den Kreisministern überlassen wollte, vielmehr war bereits eine gemeinsame Punktation der Kommission wie des Kreisdirektoriums verabredet, die Friedrich Wilhelm zu übergeben sei mit der Versicherung, daß, im Falle er sie eingehe, die Kreistruppen sofort abberufen werden sollten. Den Inhalt dieser Punktation bildete das Resultat einer Konferenz, die am Sonnabend, den 4., von Mittag bis tief in die Nacht im Hause des schwedischen Gesandten von Lissenhaim zwischen den Kreisministern und der Kommission stattgefunden hatte, 1 ) und in der über die wichtigsten Einzelheiten Einigung erzielt war; zuerst über die Ertragsabschätzung von Ratzeburg (zu 19000), Stargard (zu 9000) und Mirow (zu 3000 Th.). Daran hatten sich Verhandlungen über Trennung des Adels geschlossen. Der Kanzler von Wolfenbüttel hatte, durch ein Gespräch mit Graf Horn am vorigen Abend bestimmt, Trennung vorgeschlagen, die aber abgelehnt ward, da unendliche Querelen des Adels zu befürchten seien. Darauf hatte man ein paar Stunden damit zugebracht, die Hoheitsrechte, die Adolf Friedrich erhalten sollte, zu untersuchen und zu Papier zu bringen. Auch von der Räumung von Güstrow war die Rede. Die Direktorialminister versprachen Ordre deswegen einzuholen. Sie erhoben dann die Forderung, daß eine Amnestie für die Zeit der Interimsregierung in den Vertrag aufgenommen werde, was die Kommission annahm. Die Punkte 5, 6, 7 und 8 der Strelitzer Erklärung vom 22. November wurden abgelehnt, weil sie nicht zu gegenwärtiger Verhandlung gehörten. Für Punkt 3 und 4, die die Kommission ebenfalls übergehen wollte, trat Guericke ein mit Rücksicht auf eine Summe von 10000 Th., die der Kurfürst Adolf Friedrich geliehen hatte; es ward verabredet, Petkum darüber zu befragen. Dies geschah am Sonntag Mittag nach dem Gottesdienst im Hause des Herrn v. Fabricius. Man theilte hier Petkum die ganze Vereinbarung mit, doch dauerte es lange, bis man ihn dazu bewogen, die verabredeten Ertragssätze wie das Uebrige anzunehmen, auch alles seinem Herrn als eine Sache, an der nichts weiter zu ändern sei, zu empfehlen. Man mußte ihm versprechen, daß das Direktorium nochmals auf 16000 Thaler zum Schloßbau antragen und wegen der diesjährigen Kompetenzgelder für Adolf Friedrich


1) Die Vorgänge vom 4. und 5. und die Bedenken der Ritterschaft am 7. nach einer Rel. v. Guericke, dat. v. 7. Dez., aus den Berl. Akten.
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unter der Hand ein ansehnliches zu thun suchen wolle. 1 ) Auch hier war wieder von der Räumung die Rede, Lissenhaim erklärte, er habe deswegen Ordre, sich den beiden andern anzuschließen, und Guericke versprach nochmals, seines Herrn Willensmeinung einzuholen, wenn man ihm ein förmliches Projekt des Vergleichs zustellen wolle. Dieses niederzuschreiben übernahm der Kanzler Probst, der seine Arbeit den 7. Vormittags der Kommission vorlegte.

Am Mittag übergaben dann die Deputirten der Ritterschaft Guericke ein Schriftstück, das die desideria des Landes enthielt. Es waren 12 Punkte, unter denen neben der Amnestie der wichtigste die Forderung war, daß die Ritter- und Landschaft des Stargardischen Kreises alle die Rechte und Privilegien, die bisher gemeinsam gewesen, auch in derselben Weise behalten solle. Nachmittags ward das Projekt den Kreisministern mitgetheilt, die noch bei jedem Punkt etwas zu erinnern fanden.

Darauf wurden die Deputirten der beiden Parteien vor die Versammlung der Kommission und der Kreisminister gefordert. Petkum machte einige unbedeutende Monita und erklärte sich im Uebrigen einverstanden. Im Namen der Schweriner erklärte nach einer kurzen Besprechung unter sich in einem Nebenzimmer Graf Horn, man halte sich ihrerseits allein an die Kommission, erbat sich aber eine Kopie des Projektes, um sie seinem Herrn zu übermitteln. 2 )


1) In dieser Verabredung liegt der Grund, weshalb Adolf Friedrich nochmals 10000 Th. aus der Sequesterkasse erhielt.
2) Die Verhandlung mit den Deputirten leitete nicht Graf Eck, der gegen die Punktation gestimmt und sich auch geweigert hatte, sie selbst vorzulegen, sondern Probst v. Wendhausen, das Projekt verlas H. v. Lissenhaim. Es enthielt bereits den Inhalt des Hamburger Vertrages in allen seinen wesentlichen Zügen, nur daß außer Unwichtigem noch die bestimmte Festsetzung des Primogeniturrechtes fehlte. - Mit dem Berichte Guerickes über diese Vorgänge kreuzte sich ein Reskript seiner Regierung, datirt v. 6. Dez., in welchem die Möglichkeit offen gelassen wird, daß vielleicht ein Theil des Stargardischen Distriktes zur Ergänzung der zwei Drittel an Land und Leuten genüge. Den 14. Dez., als dies Reskript schon in Guerickes Händen war, kamen die Schweriner Deputirten zu ihm und behaupteten, Nachricht zu haben, als wenn der Kurfürst nicht die Abtretung des ganzen Stargardischen Kreises für nöthig erachte. Guericke verwies sie, ohne von dem zuletzt erhaltenen Reskript etwas zu verrathen, auf das Projekt, über das er Nachricht erwarten müsse, und rechtfertigte sein Verfahren in seiner Relation (vom 14.) damit, daß er besorgt habe, bei neuen Schwierigkeiten würden Wolfenbüttel und Eutin die Traktaten ganz aufgeben, was der Intention des Kurfürsten entgegenliefe. (Aus d. Berl. Akt.)
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Graf Horn berichtete das Vorgefallene den 9. und 10. Dezember an seinen Herrn. In einem ausführlichen Aktenstücke wägt er sowohl den Inhalt des Projektes wie die verschiedenen Wege, die etwa von Friedrich Wilhelm eingeschlagen werden könnten, und die Aussichten, die sie darböten, gegen einander ab und überläßt die Entscheidung der fürstlichen Einsicht des Herzogs, indem er die Schriftstücke, die etwa in dem einen oder andern Falle abzufassen seien, gleich in Entwürfen beilegt. Zwei Tage darauf, den 12., räth er offen zum Nachgeben: "Faciendum est, ut quimus, quando, ut volumus, non licet", doch nimmt er an der Kommunion solchen Anstoß, daß er, wie schon den 10., davon abräth, auf dieselbe einzugehen.

Der Herzog entschied sich dafür, zunächst durch seine Räthe den 18. Dezember um Bedenkzeit von 6 Wochen zur Erwägung dieser wichtigen Entscheidung zu bitten. Bei einem neuen Aufenthalt in Hamburg 1 ) ließ er sich dann durch Ecks wiederholte Vorstellungen 2 ) zu der im tiefsten Vertrauen gegebenen Zusage bewegen, daß er auf das Projekt schließlich eingehen werde; nur bat er, daß der Kaiser, weil wegen der Kommunion mit Strelitz viel neue Weitläufigkeiten zu besorgen seien, wo nicht die Separation der Stargardischen Ritterschaft sogleich verfüge, so doch wenigstens für sich und seine Nachfolger das Versprechen gebe, quovis tempore, wenn deswegen Irrungen sich ereigneten und Friedrich Wilhelm oder dessen Nachfolger die Trennung verlangen sollten, sie aus kaiserlicher Machtvollkommenheit vollziehen zu wollen.

Dies meldete Graf Eck den 22. Dezember nach Wien, den 29. ging von Schwerin ein Schreiben Friedrich Wilhelms an den Kaiser ab, welches die gleiche Zusage und die gleiche Bitte enthielt. Eine gleichzeitige Eingabe an den Reichshofrath lautete allerdings noch dahin, daß der Kaiser das Reskript vom


1) Adolf Friedrich war mit seiner Gemahlin schon seit dem 7. Dez. in Hamburg, Friedrich Wilhelm kam am 13. und hatte die Absicht, d. 24. wieder zu reisen. Schlechtes Wetter hielt ihn bis zum 26. fest. (Berl. Akten.)
2) In diesen Gesprächen war auch von Brandenburg und dem Wiener Vertrage die Rede; Graf Eck warnte, sich nicht allzuviel darauf zu verlassen: Brandenburg habe seinen Hamburger Minister "so gar nicht positive auf die in Berlin so offtmahls gemachte Contestationes instruirt"; ja es schienen "solche Contestationes gleichsahm in favor der jüngst mit Kays. M. gemachten alliantz gegeben", heimlich aber werde wohl ein Einverständnis mit den übrigen Condirectoren bestehen.
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4. August aufrecht halten und Adolf Friedrich anhalten möge, auf Rehna und Zarrentin abzuschließen. Doch geschah dies nur, um den Rückzug vorläufig zu maskiren, damit nicht Strelitz noch mit neuen Forderungen hervortrete.

Auch das Schreiben an den Kaiser ward, wie üblich, dem Reichshofrath vorgelegt, und dieser gab sein Votum den 20. Januar 1701 ab. Darin wird empfohlen, daß der Kaiser in Gewährung des letzten beim Reichshofrath eingegangenen Schweriner Gesuches die Kommission wie die Kreisdirektoren anweise, sich mit dem Schweriner Angebot (Rehna und Zarrentin) zu begnügen. Zugleich aber seien zwei Schreiben an die beiden Herzöge mitzusenden, des Inhalts, daß der Kaiser den von der Kommission und dem Direktorium vorgeschlagenen Vergleich genehmige; dem Schreiben an Friedrich Wilhelm sei die gewünschte Deklaration beizulegen. Diese beiden Schreiben seien geheim zu halten und erst für den Fall, daß die andern Reskripte den Vergleich zurückhalten sollten, an die Oeffentlichkeit zu bringen. Die Vorschläge des Reichshofraths gelangten zur Ausführung.

In Schwerin entschloß man sich, noch einen Versuch bei Brandenburg zu machen. Koppelow, der bereits einmal im Dezember kurz vor der Abreise des Kurfürsten zur Krönung nach Königsberg in Berlin gewesen war, reiste den 5. Januar nach Königsberg. Am selben Tage zeigte Friedrich Wilhelm dem Grafen Eck und den übrigen Kommissionsmitgliedern in einem Schreiben an, er sei bereit. Seine Erklärung bei der Kommission zum 28. Januar einzubringen. Dem Schreiben war in einem Postskriptum die Nachricht von Koppelows Abreise beigefügt, der vor dem 28. Januar wieder zurück sein werde. Wie Eck den 8. antwortete, hatte ihm Guericke den 7. Abends versichert, keine neuen - etwa Schwerin günstigeren - Instruktionen erhalten zu haben, und starke Zweifel geäußert, daß sein Kurfürst seine bisherige Intention in der Sache ändern werde. In der That vermochte auch Koppelows zweite Sendung ebenso wie die erste das Einvernehmen Brandenburgs mit den zwei andern, den Niedersächsischen Kreis dirigirenden Mächten nicht zu erschüttern. 1 )


1) Koppelow hatte dreierlei anzubieten: 1. neben Ratzeburg Rehna und Zarrentin, 2. dazu noch Strelitz, Wanzka und Feldberg, 3. alle Aemter im Stargardischen ohne Adel und Städte. Es gelang ihm, eine Ordre an Guericke, dat. v. 22. Febr., zu erwirken, die den zweiten dieser Vorschläge empfahl. Guericke möge darüber mit Eck reden, und wenn derselbe sonst nichts erhebliches dabei vermisse, seine Annahme befördern. Eine Kopie der Ordre erhielt Koppelow mit nach Schwerin; wovon er aber nichts erfuhr, war ein geheimes Postskriptum, das der Ordre bei= (  ...  )
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Von den Mitgliedern der Kommission hielt sich Graf Eck dauernd in Hamburg auf, auch Lenthe entfernte sich nur auf kurze Zeit. Für seinen Rath John erbat der Bischof von Eutin (d. 17. Januar) Aufschub bis zum 6. oder 7. Februar, da er wegen anderer Geschäfte seiner so lange nicht entrathen könne. War schon in diesem Schreiben die sichere Hoffnung ausgesprochen, daß Friedrich Wilhelm nunmehr dem letzten Vergleichsprojekt beitreten werde, so wünschte die Wolfenbüttelsche Regierung sogar, ehe sie ihren Kanzler wieder nach Hamburg schicke, von Friedrich Wilhelm seiner Zustimmung zu dem Projekte versichert zu sein oder wenigstens vor weiterer Entschließung die in Aussicht stehenden kaiserlichen Reskripte abzuwarten. Auch Petkum bat um Aufschub bis zum 12. oder 16. Februar, da ihn sein Herr nicht eher entbehren könne. Die Schweriner Deputirten kamen indessen den 9. Februar mit der Instruktion, der Kommission anzuzeigen, daß Friedrich Wilhelm, sobald er sichere Nachricht über den Beginn der Verhandlungen habe, selber kommen werde, um seinen Entschluß kund zu geben.

Sie erfuhren in Hamburg, daß Guericke jetzt neue Instruktion erhalten. Es war die von Koppelow erwirkte. Obgleich das Postskriptum derselben geheim blieb, so befriedigte sie doch die Schweriner nicht. Es fehlte darin die Anweisung, daß Guericke auf keine andern Vorschläge als die in ihr genannten eingehen solle. Unter diesen Umständen war auch Graf Eck dagegen, sich bei dem Antrag auf Rehna und Zarrentin lange aufzuhalten, doch eröffnete er den Inhalt der mittlerweile - den 13. Februar - angelangten kaiserlichen Verordnungen, die den Schweriner Vorschlag empfahlen, dem dänischen und eutinischen Delegirten.


(  ...  ) gefügt ward, folgenden Wortlauts: "Auch haben Wir zwar wegen der Mecklenb.=Güstrowschen Successions=Sache also wie das beykommende original-Rescript zeiget Unsere Meinung Euch überschrieben. Wir müßen aber in dieser Sache auch nohtwendig auf den Königl. dänischen Hoff reflectiren, und deshalb habt Jhr mit solcher behutsamkeit hierunter zu verfahren, daß Jhr in dem Jhr an einer Seite Jhro Ksl. Maytt. durch Eure conduite contentiret, Jhr an der andern nicht bey Den. anstoßen, sondern die dort anwesenden Königl. Dänischen Ministros so viel immer müglich in dieser Sache contentiren möget, wie denn auch in der that Unser interesse, wan selbiges coeteris paribus nur zu erreichen, darin bestehet, daß dem Herzoge zu Schwerin seine portion nicht zu gros gemachet, sondern die Sache zwischen Jhme und Strelitz, wo nicht zur gleichheit, dennoch der gleichheit so nahe als immer möglich gebracht werde." (Aus den Berliner Akten.) Also auch bei Brandenburg spielte nachbarliche Eifersucht auf Schwerin, das durch die Kombination zu mächtig werden könne, eine bedeutende Rolle.
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Beide hielten dafür, daß die Sache dadurch nur in mehr Weitläufigkeit verwickelt würde. Auch Petkum, der ebenfalls schon anwesend war, erhielt Mittheilung von den Reskripten, ließ aber nicht die geringste Unruhe oder Besorgniß blicken, sondern sagte nur, die Kreisdirektoren würden schon dazu zu thun wissen. Es ward immer deutlicher, daß nichts anderes übrig blieb, als sich in das Unvermeidliche zu ergeben.

Den 24. Februar kam Herzog Friedrich Wilhelm, den 20. der Kanzler Probst und der schwedische Gesandte v. Lissenhaim, und es erfolgte nun, den 26. Februar, die schriftliche Erklärung der Schweriner Räthe, daß ihr Herr das Projekt vom 7. Dezember annehmen wolle bis auf einige Abänderungsvorschläge, von denen der wichtigste die Festsetzung über die definitive Einführung der Primogeniturordnung und auch über die Kombination des Landes im Falle des Erlöschens der einen Linie war. Darüber verhandelte man noch einige Tage, der gewünschte Passus über die Primogenitur ward in den Vertrag aufgenommen, dagegen mußten die Schweriner den Wunsch, daß von den landesherrlichen Rechten, die Strelitz im Stargardischen Distrikt genießen sollte, das ius belli, armorum, fortalitiorum et foederum auszunehmen sei, fallen lassen, und ein von ihnen gewünschter Passus, daß Adolf Friedrich sich verpflichte, das Ratzeburgische Votum niemals wider des Meklenburgischen Hauses Interesse zu führen, erhielt die allgemeinere, beide Herzöge verpflichtende Fassung, wie sie in § 12 des Vertrages steht.

Endlich, den 8. März, kam der Vertrag zum Abschluß, den 11. März verpflichteten sich die Kreisminister, binnen 4 bis 5 Wochen vom Datum der Ratifikation an die Räumung des Herzogthums zu bewerkstelligen. Den 12. ward die Vertrags=Urkunde von beiden Herzögen - auch Adolf Friedrich erschien zu diesem Zwecke persönlich 1 ) - durch Unterschrift ratifizirt.

Der kaiserliche Sekretär Wider, der als solcher die gesammten Kommissionsverhandlungen mitgemacht, eilte selbst mit dem Aktenstück nach Wien, um die kaiserliche Konfirmation einzuholen, die denn auch unverweilt erfolgte (d. 26. März).

Noch einmal, und nun wirklich zum letzten Mal, trat die Kommission den 14. April zusammen und überreichte dem anwesenden Herzog Friedrich Wilhelm das eine Exemplar der doppelt ausgefertigten Konfirmationsurkunde, das andere erhielt


1) Er kam am 10. Mittags. Am Nachmittag d. 12. machte Friedrich Wilhelm zum ersten Mal Adolf Friedrich einen Besuch. Guericke schreibt, "alles sei dabei wohl abgegangen." (Berl. Akten.)
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Herr v. Petkum als Bevollmächtigter seines Herrn. Eine Verzögerung in der Räumung des Herzogthums von den Kreistruppen trat jedoch dadurch ein, daß Guericke, als die Kommission mit den Vertretern der Kreisdirektoren darüber in Verhandlung trat, noch keine Instruktion dafür in Händen zu haben erklärte, vielmehr Ordre, im Namen seines Königs die ihm als Patron des Johanniterordens zustehenden Rechte auf die Komthureien Mirow und Nemerow protestirend zu reserviren und von beiden Herzögen die Versicherung zu begehren, daß sie dem Rezeß vom 21. Juli 1693, insbesondere dem darin enthaltenen Punkte wegen Anzeige bei der Landeshuldigung künftig völlig Genüge leisten würden. Friedrich Wilhelm hatte sich bereits auch in diesem Punkte zum Nachgeben entschlossen und ein dahin gehendes Schreiben, vom 12. April datirt, schon an Guericke abgegeben, 1 ) dieser aber hatte vorerst nur eine Kopie davon nach Berlin geschickt, um vorher anzufragen, ob es so recht sei. Indessen traf die Instruktion 2 ) den 19. April ein, und den 25. reisten darauf die drei Kreisminister nach Güstrow, legten hier die Rechnung nieder und entließen alle Beamten, auch die Truppen, aus der Pflicht des Kreises. Den 9. Mai setzten sich die Truppen in Marsch.

Noch verursachten die 50 Schweden, die noch immer in Boizenburg standen, eine Verwickelung. Sie waren dort nach Herzog Gustav Adolfs Tode belassen, zunächst um für den Grafen Bielke seine Forderung auf den Zoll, sodann um die Rechte der Herzogin=Wittwe zu sichern, 3 ) und standen nicht in der Pflicht des Kreises. Der sie kommandirende Offizier berief sich, als man auch ihn zum Abmarsch aufforderte, auf die Ordre, daß er ohne Befehl seines Königs oder des General=Gouverneurs von Pommern nicht abziehen dürfe. Weil aber auf diese Weise noch Schweden im Lande blieben, so beließ der brandenburgische Kapitän ebenfalls einen Fähnrich mit etlichen 20 Mann in Boizenburg, und die Lüneburgische Kompagnie, deren größter Theil in Boizenburg in Quartier gewesen war, blieb ganz dort stehen. Die Frage des Abzuges dieser Truppen verquickte sich mit einer Streitfrage, in die Friedrich Wilhelm mit der Herzogin=Wittwe von Güstrow und deren noch unvermählten Töchtern


1) Ein gleiches von Adolf Friedrich ging d. 26. April ab, s. Sachsse S. 417, Anm.
2) Sie ist datirt v. 16. April (Berl. Akten).
3) Auf Grund eines königlichen Schreibens v. 5. Nov. 1698.
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gerathen war. 1 ) Die Herzogin hatte sich an die Kreisdirektoren um Unterstützung gewandt und deren Minister bereits in Hamburg Herzog Friedrich Wilhelm und den Schweriner Räthen auf Befehl ihrer Herren angelegen, die Forderung der Prinzessinnen zu bewilligen, was diese aber abgelehnt hatten. Als nun Friedrich Wilhelm sich an den schwedischen Generalissimus, Herzog Friedrich von Holstein, wandte und um den Abzug der Schweden aus Boizenburg anhielt, antwortete dieser d. 11. Mai, der Abmarsch sei beim König selbst nachzusuchen, derselbe werde aber sehr "facilitirt werden, wenn die Sache wegen der Alimentationsgelder gehoben werde". Es blieb nichts anderes übrig, als auch hierin nachzugeben, worauf dann den 3. Juli alle Kreisvölker Boizenburg räumten.

Das Fürstenthum Ratzeburg war bereits d. 12. Mai durch den Baron von Löwen an Petkum überwiesen worden.

Der lange Streit war also endlich geschlichtet, freilich auch jetzt noch nicht endgültig. Er hatte noch zwei Nachspiele. Einmal hatte Herzog Karl Leopold trotz der erfahrenen Zurückweisung seine Ansprüche noch keineswegs aufgegeben, begann vielmehr eben gegen den Hamburger Vertrag einen neuen, freilich von vornherein hoffnungslosen Prozeß bei Kaiser und Reich, der sich mehrere Jahre hindurchgeschleppt hat, bis Karl Leopold im Jahre 1707 auf seine Ansprüche verzichtete. Zweitens entwickelten sich eben aus dem Hamburger Vertrage zwischen den beiden Herzögen neue Mißhelligkeiten, die sich noch auf ihre Nachfolger fortpflanzten und erst durch die Verträge des Jahres 1755 ihre definitive Erledigung fanden. Allein, in der Hauptsache, der Erbfolgefrage, hat der Hamburger Vertrag ein für alle Mal die Entscheidung gebracht. Nicht vollständig war der Sieg, den der Primogeniturgedanke erfochten hatte, vielmehr endete der Streit mit weit größeren Zugeständnissen von Seiten der Schweriner Linie, als ihr in den ersten Stadien desselben in so vielen Vergleichsprojekten zugemuthet waren: durch seine eigene charakterfeste Zähigkeit, auch in Folge der Eifersucht der Nachbarmächte auf die Kombination des ganzen Landes, sowie der Ohnmacht und Unlust des Kaiserhofes, seinem Urtheil zu Gunsten der Primogenitur Achtung zu verschaffen, war es Adolf Friedrich, dem Vertreter des alten Erbtheilungsprinzipes, trotz


1) Es handelte sich um die Summe von 1000 Th. jährlich für jede Prinzessin, die sie mehr beanspruchte, als Friedrich Wilhelm ihnen schuldig zu sein meinte.
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aller Anstrengungen der Schweriner Gegner, insbesondere des Grafen Horn, gelungen, noch einmal eine Theilung des Landes durchzusetzen, allein er selber gab seine Zustimmung zu § 1 des Vertrages, durch den eben das Erbrecht, auf Grund dessen er seine Ansprüche erhoben, für abgeschafft erklärt und das Primogeniturrecht, "wie daßelbe in Testamento Ducis Johannis Alberti Primi im Jahre 1573 fundiret und bestätiget, auch vom Kayser Maximiliano Secundo confirmiret worden" nicht nur für jede der beiden Linien des mecklenburgischen Fürstenhauses, sondern auch für den Fall des Aussterbens der einen oder andern Linie nochmals feierlich eingeführt und also in letzterem Falle die Kombination des ganzen Landes sicher gestellt wurde. Durch diese Bestimmungen aber wird der Hamburger Vertrag zu einem überaus wichtigen Merkstein in der Geschichte unseres Fürstenhauses wie unseres Landes: er bildet den Abschluß der fünfhundertjährigen Periode unserer Landesgeschichte, die mit der Germanisirung unseres Landes beginnt und in der unter vielfältigen Streitigkeiten zum Unsegen des Landes eine Theilung die andere ablöst.

Dank dem Hamburger Vertrage und seinen Bestimmungen über die Primogenitur wird, nach menschlicher Voraussicht, der Güstrowsche Erbfolgestreit für alle Zeit der letzte seiner Art in der meklenburgischen Geschichte bleiben.

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Fanny Tarnow
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V.

Fanny Tarnow.

Ein Lebensbild

von

Dr. Carl Schröder.

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E s ist ein langes, an einzelnen Erfolgen nicht armes, aber doch unbefriedigtes Leben, von dem diese Blätter handeln sollen. In Wohlstand und Glanz aufgewachsen, sah sich Fanny Tarnow bald in die bittere Lage versetzt, sich ihr Brot verdienen zu müssen; auf der Höhe ihrer Schriftstellerischen Thätigkeit hatte sie doch zu klagen: "Wenn man nur keine Nahrungssorgen hätte!"

- und sie starb, eine Zweiundachtzigjährige, in Verhältnissen, die von Dürftigkeit nicht weit abstanden. "Ich bin als Schriftstellerin sehr geachtet und beliebt," konnte sie mit Recht von sich sagen; es war die Wahrheit, wenn sie in ihr Tagebuch schrieb: "Ich gelte für eins der geistreichsten Weiber unseres Zeitalters" - und doch gestand sie sich selbst: "Ich bin nicht geworden, was ich hatte werden sollen." Sie hatte wohl Augenblicke, wo sie zufrieden meinte: "So leicht wüßte ich mir kein angenehmeres Leben zu denken wie mein jetziges, - umgeben von gebildeten Menschen, von ihnen werth gehalten, im Besitze ihrer Achtung" - aber häufiger waren die Stunden, wo sie seufzte: "So geht das Leben hin. Es ist das rechte nicht . . . So ohne Ziel und Zweck zu sein, wie ich, das heißt nicht leben, es ist nur ein Lebenstraum." "Ich bin allein!" - das ist der immer wiederkehrende Refrain ihrer Selbstbetrachtungen, ihr tiefster Schmerz. Denn sie hatte von ihren Mädchenjahren an das brennende und doch immer ungestillte Verlangen, einem geliebten Manne sich zu eigen zu geben, im sicheren Schoße des ehelichen und Familienlebens beglückte und beglückende Tage hinzubringen. "Müßte ich als Hausfrau für Mann und Kinder arbeiten, so wüßte ich doch

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am Abend, daß ich mein Tagewerk gethan hätte und Gottes liebes Kind wäre . . . Als Hausfrau würde ich meinen Platz ausgefüllt haben; thätig, umsichtig, verständig und sparsam hätte ich mich erwiesen" - so träumte sie, und wenn sie aus diesen Träumen erwachte und inne wurde, daß sie "kein anderes Geschäft habe als zu schreiben und zu lesen und sich und Andere zu amüsiren" - da fühlte sie sich "matter und matter werdend" und mußte sich schließlich gestehen, "daß sie zu wenig Lebensverhältnissen noch tauge".

Die solche Gedanken und Empfindungen ihrem Tagebuche anvertraute, war am 17. Dezember 1779 zu Güstrow geboren 1 ) als erstes Kind des Johann David Tarnow, der (seit 1776) "immatriculirter Hof=Gerichts=Advocat beim herzoglichen Hof= und Land=Gericht" war und 1777 auf Verwendung seines Stiefvaters, des Landeseinnehmers Sievert, die Stelle als Aktuarius des herzoglichen Stadtrichters in Güstrow bekommen hatte. Von stattlichem Aeußeren und seinem Benehmen hatte der talentvolle, aber mittellose junge Advokat die Hand des Fräuleins Amalie v. Holstein gewonnen, deren Vater, der Landrath und Besitzer von Groß=Lukow Franz Heinrich v. Holstein seit 1761 außerordentlicher Assessor des Hof= und Land=Gerichts in Güstrow war. Im Jahre 1781 wurde Tarnow zugleich Adjunkt seines Oheims, des Stadtsekretärs Andreas Felix Tarnow (gest. 1795), 1785 erhielt er den Titel eines Kommissionsraths. Daß er nicht höher stieg, lag nicht an seinem guten Willen: unermüdlich bat er den Herzog um "Anwartschaftsertheilungen" auf ihm zusagende Stellungen: 1782 die des "Secretarii beym Hof= und Landgericht", 1790 schon kühner die des Postdirektors Stockart in Güstrow, in deroselben Jahre die des Amtshauptmanns Wendt zu Lübz und zugleich um Ertheilung des Charakters eines "Cammerraths", wurde aber allemal abschlägig beschieden.

Das Ehepaar Tarnow, dem in der Folge außer Franziska (die man nur Fanny nannte) noch drei Kinder, zwei Töchter und


1) Die Hauptquelle für Fanny Tarnow's Leben ist das nach deren (jetzt nicht mehr vorhandenen) Tagebüchern bearbeitete Buch ihrer Nichte Amely Bölte: Fanny Tarnow. Ein Lebensbild. Berlin 1865. - An Ungenauigkeiten leiden die biographischen Notizen bei C. W. O. A. v. Schindel: Die deutschen Schriftstellerinnen des 19. Jahrhunderts, 2. Th., Leipzig 1825, S. 354 f., bei H. Groß: Deutschlands Dichterinen und , Schriftstellerinen, 2. Ausg., Wien 1882, S. 40, und bei Goedeke: Grundriß zur Geschichte der deutschen Dichtung, 2. Aufl., Bd. VI, S. 432. - Ein Verzeichniß ihrer Schriften s. bei Goedeke a. a. O., doch vergleiche unten S. 185 Anm.
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ein Sohn, geboren wurden, hatte sich in der leichtlebigen Stadt Güstrow auf großem Fuße eingerichtet. Der Landrath v. Holstein, der seine Frau, eine geborene v. Lefort, schon vor längerer Zeit verloren hatte, gab nach der Vermählung seiner Tochter seinen Hausstand auf und zog zu dem jungen Paare. Die kleine Fanny, ein kluges, sehr aufgeregtes, leidenschaftliches Kind mit großen leuchtenden dunkelen Augen, ward sein besonderer Liebling. Ihre Entwickelung aber wurde zeitweilig gehemmt dadurch, daß sie, damals vier Jahre alt, aus einem Fenster des zweiten Stockes der elterlichen Wohnung auf die Straße stürzte und sich eine Gehirnerschütterung zuzog. Fanny war gelähmt und begann zu kränkeln. Die Aerzte verordneten einen Landaufenthalt und Fanny wurde nach Möllenhagen geschafft zu einer Kousine ihrer Mutter, Wilhelmine v. Lefort, die dort mit drei unverheiratheten Brüdern hauste. Unter der sorgfältigen Pflege dieser Tante erstarkte ihre Gesundheit, sie lernte langsam wieder gehen und wuchs schnell, blieb aber immer ein Gegenstand des Mitleids und wurde mehr verzogen als erzogen; an einen regelmäßigen Unterricht war nicht zu denken, an Umgang mit gleichaltrigen Kindern fehlte es und eine Betätigung in Kinderspielen verbot ihre Kränklichkeit: so griff sie zur Unterhaltung der Erwachsenen, zu Büchern, und las wahllos, was ihr in die Hände fiel.

Der Aufenthalt in Möllenhagen nahm ein Ende, als Fanny dreizehn Jahre alt war. Die Tante Minna verheirathete sich, bei den drei unvermählten Oheimen konnte das Kind nicht bleiben, und so kehrte Fanny in das Elternhaus zurück, dem sie ebenso wie ihren jüngeren Geschwistern durch die lange Abwesenheit entfremdet worden war. Wie in die Familie, so mußte sie sich auch in das Stadtleben wieder hineingewöhnen, und das letztere wurde ihr nicht leicht. Mit Kindern zu verkehren hatte sie nicht gelernt, von Erwachsenen fand sie sich übersehen: so stand sie ziemlich allein, flüchtete wieder zu den Büchern, die ihre Mutter aus der Leihbibliothek der Stadt bezog, und spann sich in eine phantastische Traumwelt ein. Sie suchte und liebte das Außergewöhnliche, kleidete sich auffallend und erhob, nachdem sie konfirmirt und in die Gesellschaft eingeführt worden war, Ansprüche darauf, beachtet zu werden, was sie vielfach lächerlich erscheinen ließ. sie hielt sich für schön, ohne es doch zu sein. Ihre ewig rege Phantasie zauberte ihr romanhafte Verhältnisse vor; ihr liebeglühendes Herz ließ sie in jedem jungen Mann, der ihr näher trat, einen Freier erblicken, ihre Gedanken beschäftigten

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sich so viel mit ihm, und ihre Träume gaukelten ihr so vertraute Beziehungen zu ihm vor, daß sie sich schnell am Ziel wähnte und sich gekränkt fühlte, wenn Jener, vom Spiel ihrer Phantasie nichts ahnend, ihr beim nächsten Begegnen nur höflich gegenübertrat. Dann schmollte sie wohl mit ihm oder machte ihm Vorwürfe, deren Sinn er nicht faßte, und so kam es leicht, daß der Gegenstand ihrer Neigung sich von ihr abwandte und sie dann über abgerissene Fäden, über Verrath an ihrem Herzen klagte, wo in Wahrheit die Neigung des Anderen sich durch nichts verrathen hatte.

Trotzdem würde sie bei der gesellschaftlichen Stellung, die die Ihrigen einnahmen, vielleicht in einigen Jahren sich verheirathet und in der eigenen Familie die ihr so nöthige innere Ruhe gefunden haben, wenn nicht um diese Zeit die Verhältnisse der Eltern eine Veränderung erlitten hatten, die von traurigen Folgen für Fanny sein sollten.

Der Kommissionsrath Tarnow hatte gleich so vielen Advokaten seiner Zeit 1 ) mehr in einträglichen Geldgeschäften und lohnendem Güterhandel als in der rechtsanwaltlichen Thätigkeit die Quellen seines Erwerbs gesucht. Nun wurde er 1793 mit dem Verkauf des Gutes Neu=Poserin beauftragt und da sich nicht gleich ein passender Käufer fand, übernahm er es einstweilen selbst und verbrachte dort mit seiner Familie den Sommer. Für den Winter nach Güstrow zurückgekehrt, wußte Tarnow das Gut vortheilhaft wieder zu verkaufen, erregte dadurch aber das entschiedenste Mißfallen der Seinigen, die schon fest auf einen neuen Sommeraufenthalt auf dem Lande gerechnet hatten und die Landluft nicht mehr glaubten entbehren zu können. Um sie Zu beschwichtigen, kaufte er ein Gehöft im Amte Güstrow, welches er seiner Frau zu Ehren Amalienhof nannte. Die Freude darüber war groß. Aber Amalienhof hatte nur ein kleines Wohnhaus, das, um die Familie bequem aufzunehmen, erst vergrößert werden mußte, der Garten war bescheiden, kein Park, kein Wald stieß daran - die Familie fand, daß man sich verschlechtert habe. Um den Fehler wieder gut zu machen, pachtete Tarnow die an Amalienhof stoßende Domäne Dalkendorf und wies diese seiner Familie als Sommerquartier an, bis Amalienhof ein neues Wohnhaus erhalten haben würde. Auf seine Beschäftigung beim Stadtsekretariat hatte er schon 1793 verzichtet, nun legte er 1794


1) Ueber die Advokaten in Meklenburg zu Ende des 18. Jahrhunderts vgl. Boll: Geschichte Mecklenburgs, Bd. II, S. 378 ff.
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auch seine Stellung als Hofgerichtsadvokat nieder und verkaufte sein Haus in Güstrow, um sich ganz der Landwirthschaft zu widmen.

Mit dieser hatte er nun freilich kein Glück. 1796 mußte er Dalkendorf zurückgeben und sich auf Amalienhof beschränken, 1800 konnte er auch Amalienhof nicht mehr halten und gerieth in Konkurs. Wenige Monate zuvor war der Landrath v. Holstein gestorben, das von ihm hinterlassene Vermögen warf seine Tochter in die Masse, um den Bankerott nicht gar zu schimpflich erscheinen zu lassen, und das stimmte die Gläubiger so versöhnlich, daß sie der Frau Tarnow gestatteten, auf Amalienhof so lange wohnen zu bleiben, bis ihr Gatte einen andern Wirkungskreis gefunden habe. In der That erhielt er bald darauf die Stelle eines ritterschaftlichen Einnehmers des Amtes Bukow und nahm seinen Wohnsitz anfänglich in Kröpelin, siedelte aber im Laufe des Jahres 1801 nach Neubukow über.

Fanny hatte zuerst mit Feuereifer an der landwirthschaftlichen Thätigkeit ihres Vaters theilgenommen, als aber die erhofften glänzenden Erfolge ausblieben, kehrte sie zu ihren Büchern zurück und spann sich wieder in ihre luftigen Zukunftsträume ein. Aus diesen sah sie sich nun freilich durch die Katastrophe ihres Vaters unsanft auf den harten Boden der Wirklichkeit versetzt. Daß ihres Bleibens im Elternhause nun nicht sein dürfe, leuchtete ihr ein. Was der Vater verdiente, reichte kaum hin zur Bestreitung der Lebensbedürfnisse der verwöhnten Eltern, der beiden Schwestern und des Bruders, der 1797 Sekondlieutenant im meklenburgischen Militär geworden war. Fanny mußte sich selbständig zu machen suchen, und die Verbindungen ihrer Familie verschafften ihr bald eine Stelle als Erzieherin im Hause eines Herrn v. Schmiterlöw auf Neparmitz auf der Insel Rügen. Noch bevor ihre Mutter Amalienhof verlassen hatte, gieng Fanny an den Ort ihrer Bestimmung ab.

In einer Stelle ihres Tagebuches aus der Dresdener Zeit hat sich Fanny die Gabe Kinder zu erziehen abgesprochen. Vielleicht täuschte sie sich in dieser Beziehung über sich selbst, wenigstens ist sie vier Jahre in ihrer Stellung in Rügen geblieben, sorgsam an der Bildung der ihr anvertrauten Kinder wie an ihrer eigenen Weiterentwickelung arbeitend. Schmerzlich empfand sie freilich das Einerlei ihrer Tage. Fern von den Ihrigen fühlte sie sich doppelt liebebedürftig. In dieser Verfassung lernte sie den jungen unverheiratheten Lehrer des Ortes

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kennen, in dem sie ein Verlangen nach höherer geistiger Entwickelung zu bemerken glaubte. Sie lieh ihm gern an Büchern, was sie selbst besaß, sie war seine Begleiterin auf weiten Spaziergängen, sie gewöhnte sich an seine Gesellschaft und spielte mit dem Gedanken, wie es wohl sein würde, wenn sie zu ihm herabfliege in seine bescheidenen Verhältnisse und ihr Loos an das seinige kettete. Daß er sie liebe, daß er in ihr das Licht seines Lebens erblicke, daß nur die Scheu vor ihrer überlegenen Geistesbildung ihn hindere, seine Gefühle für sie offen zu bekennen - das stand ihr außer Frage, und sie war fest entschlossen, ihm das Opfer zu bringen. Wer beschreibt nun ihr Entsetzen, als eines Tages der junge Mann ihr ganz unbefangen ankündigte, daß er sich mit einem Landmädchen verlobt habe, das ihm ein paar hundert Thaler mitbringe und ihm sein Hauswesen gut versorgen werde. Fanny war sprachlos. Sie fühlte sich in tiefster Seele gekränkt und beleidigt, sah den nichts Ahnenden mit einem unbeschreiblichen Blicke an und ließ ihn stehen.

Die ihr hier geschlagene Wunde vernarbte schnell. Tiefer und nachhaltiger war ein anderer Liebesschmerz, den Fanny jahrelang mit sich herumtrug und mit dem sie - man kann es wohl nicht anders ausdrücken - zu kokettiren liebte. Sie hatte im Jahre 1802 Ernst Moritz Arndt kennen gelernt, der, in Rügen geboren, damals als Dozent in Greifswald lebte und nach kurzem Eheglück 1801 Wittwer geworden war. Daß eine Persönlichkeit wie Arndt auf Fanny's leicht entzündbares Herz tiefen Eindruck machte, ist begreiflich. Zu einer mehr als oberflächlichen Bekanntschaft zwischen Beiden kam es anscheinend nicht, aber Fanny phantasirte sich, wie das so ihre Art war, in eine heiße Liebe zu Arndt hinein, die von diesem wahrscheinlich gar nicht bemerkt wurde. "Warum mußte in Arndt mir der einzige Mann erscheinen, dem ich mich ganz hätte hingeben mögen?" - So sprich sie, nachdem sie Rügen bereits verlassen hatte, in ihr Tagebuch; sie war hochbeglückt, als Arndt, dem sie beim sammeln von Subskribenten auf die Sammlung seiner Gedichte (1811) behülflich gewesen war, einen freundlichen Brief an sie richtete: "Mein Herz war den ganzen Tag reiner Harfenton, der in jeder Empfindung leise wechselte, - ich war sehr glücklich - aber ich mußte vor Freude, Dank und Rührung viel weinen." Sie antwortete ihm in einem langen, sehr hübschen Briefe, der aber in dem Empfänger unmöglich die Vorstellung hätte wecken können, daß die Schreiberin eine glühende Liebe für ihn gehegt habe. War es vielleicht aus diesem Grunde, daß sie,

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nach einer Bemerkung ihres Tagebuches, unzufrieden mit ihrem Briefe war? Daß sie Arndt später, als sie Schriftstellerin geworden war, mit einer Rolle in ihrer "Natalie" bedachte, dem Roman, der die intimsten Selbstbekenntnisse enthält und in dem sie sowohl dem Ganzen wie einzelnen Abschnitten Aussprüche von Arndt als Motto vorsetzte, ist nicht erstaunlich. "Wird Arndt das Buch lesen?" fragte sie sich, "und wird er sich sagen: ja, sie hat mich geliebt und ich habe sie verkannt? Wird er Reue empfinden?" Immer wieder kam sie in ihren Briefen auf ihr eingebildetes Verhältniß zu Arndt zurück. Als sie gehört hatte, daß Arndt in Begleitung einer Baronin Munck in die Schweiz gegangen sei - wovon die Biographen Arndts nichts berichten - Schrieb sie an Rochlitz: "Das Gefühl, von Arndt nicht so zart behandelt worden zu sein, als mein Herz glaubte es um ihn verdient zu haben, hat mich in einer Art und in einem Grade erschüttert, für das ich früher keinen Maßstab hatte, und ich habe bis aufs Aeußerste gekämpft, ehe ich mir eingestanden habe, daß dem so sei. Jetzt, wo ich auf den Punkt früherer Resignation zurückgekommen bin, jetzt, wo nur noch ein stiller Schmerz in meiner Seele ist, wo ich ohne Heftigkeit, ohne Bitterkeit gegen mich still in dem Gefühle versenkt lebe, ihn mit voller Wahrheit geliebt zu haben, jetzt bitte ich sie, mein edler Freund, verkennen sie mich nicht in dem Ungestüm, den vielleicht mein letzter Brief ausgesprochen hat . . . Jch weiß freilich nicht mehr, was ich Jhnen letzthin geschrieben habe - aber es quält mich, daß es verworren gewesen sein muß, weil ich mich durchaus nicht überwinden konnte, Jhnen zu gestehen, daß ich mich von Arndt verletzt fühlte. Jch trage das jetzt still und ruhig - ein solches Unrecht lastet nur auf ein weibliches Herz als Schuld. - Arndt ist als Mann, als Bürger und Mensch so trefflich, so durchaus achtungswerth und edel, daß mein Geschick auch nicht den leisesten Schatten auf sein Bild werfen kann. - Und hätte er mich selbst da zertreten, wo er jetzt nur kalt vorüberging, so käme das nicht in Anschlag - was bin ich, ich armes, unbedeutendes, geknicktes Wesen neben solchem Manne? - Es gab einst eine Zeit, wo ich wähnte, auch den edelsten Menschen durch meine Freundschaft ehren zu können - aber wie lange ist das her! und welchen Spott hat das Schicksal mit diesen stolzen Träumen getrieben!" - Noch im Jahre 1836 schrieb Fanny an Gustav Kühne: "Wenn Sie meine Natalie gelesen haben, so wissen Sie, wie ich E. M. Arndt in meiner Jugend geliebt habe. Zehn Jahre lang war mein Leben ein stiller Gottesdienst

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dieser Liebe; da erfuhr ich, mein Jdeal sei nur ein Jdol gewesen." -

Es war nicht eine Unzufriedenheit mit den sie umgebenden Verhältnissen, sondern die Sehnsucht nach der Heimath, der Wunsch, ihrer Mutter nahe gerückt zu sein, was Fanny bewog, gegen das Jahr 1804 nach Meklenburg zurückzukehren. Sie fand zu Hause manches verändert: ihre Schwester Amalie hatte sich verheirathet mit dem Bürgermeister Johann Christoph Bölte in Rehna (gest. 18. Mai 1827), die jüngste, Betty, eben erwachsen, war allein noch um die kränkelnde Mutter; den Vater hatte das selbstverschuldete Unglück mißmuthig und verdrießlich gemacht, er verkehrte wenig mit seiner Familie. An Umgang fehlte es den Frauen nicht; besonders eng hatten sich die Beziehungen der Frau Tarnow zu der Landräthin v. Oertzen in dem nahen Roggow gestaltet, dort war auch Fanny bald ein häufiger und gern gesehener Gast, von der Landräthin wurde sie mit mütterlichem Wohlwollen behandelt, mit der Erzieherin der jüngeren Töchter, einer Französin Namens Charlotte Hochecorne, schloß sie eine enge Freundschaft. Aber so angenehm diese Verhältnisse waren, Fanny mußte doch wieder auf einen Erwerb bedacht sein und entschloß sich, eine Stelle als Erzieherin anzunehmen, die ihr in Rohlstorf im Hause des Herrn Christian Friedrich v. Both angeboten wurde, eines Mannes, der von seiner Frau, einer geborenen v. Barner, getrennt lebte und von seinen vier Kindern zwei Töchter, Sophie und Charlotte, bei sich hatte. Die Beziehungen zu Herrn v. Both wie zu dessen bei ihm lebendem unvermähltem Bruder Fritz, anfänglich förmlich und kalt, gestalteten sich bald freundlicher, als die Brüder, nicht ohne Sinn und Verständniß für Litteratur und Kunst, die ungewöhnlichen Eigenschaften der neuen Hausgenossin erkannten. Gemeinsames Lesen neuer Dichtwerke füllte die Abende, zu den Festen und Bällen, die im Winter den Landadel nach dem benachbarten Wismar führten, wurde Fanny mitgenommen, und es gelang ihr bald, sich in der dortigen Gesellschaft ihren Platz zu sichern. Zum Besuche des Rostocker Pfingstmarktes wurde ihr ein Urlaub gewährt, sie traf dort mit der Landräthin v. Oertzen zusammen, konnte mit ihrem in Rostock in Garnison stehenden Bruder verkehren und die lange entbehrten Vergnügungen einer größeren Stadt genießen. Herr v. Both trieb die Aufmerksamkeit so weit, Fanny's Mutter zum Besuche nach Rohlstorf einzuladen - kurz Fanny begann sich recht wohl zu fühlen und konnte sich der Täuschung hingeben, als sei sie der Mittelpunkt dieses Familienkreises.

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In diese Zeit fallen auch Fanny's schriftstellerische Anfänge. 1 ) Sie war darauf verfallen, Beurtheilungen neu erschienener Bücher und Aufsätze, die sie in stillen Stunden niedergeschrieben hatte, anonym durch Vermittlung der Stillerschen Buchhandlung in Rostock an verschiedene Zeitschriften einzusenden, und die wohlwollende Aufnahme, die diese Erzeugnisse ihrer Feder in den Redaktionsstuben gefunden hatten, ermuthigte sie nun mit einer größeren Erzählung "Allwina von Rosen" hervorzutreten. Sie sandte das Manuscript an Friedrich Rochlitz, der mit Wieland, Schiller und Seume das "Journal für deutsche Frauen" herausgab und konnte einige Zeit darauf in ihrem Tagebuch vermerken: "Der gestrige Tag war zu Ueberraschungen bestimmt. Spät Abends kam noch ein Brief mit einem R. im Petschaft; vorahnend öffnete ich ihn und fand, daß er von Rochlitz sei. Zum Anfang meiner schriftstellerischen Laufbahn brachte er mir den Kranz, welchen am Ziele zu finden ich mir kaum schmeichelte. Eine Badereise hatte ihn abgehalten, meine Allwina früher zu lesen; - er nennt sie meine seelenvolle treffliche Allwina, die er unter das schönste zähle, was nur jemals in Deutschland geschrieben sei. Wenn er sich hierin irre, so müßte sein Urtheil von seiner Empfindung bestochen worden sein, und das glaube er nicht befürchten zu dürfen. . . Grundsätzlich ermuntere er nie eine Dame zum Schreiben; ich sei die Zweite, der er seinen Glückwunsch sende und die Hand biete." Ihre Freude über diese Zuschrift wird man Fanny nachempfinden können. Die "Allwina" erschien wirklich in dem genannten Journal, fand vielen Beifall, und damit war der erste Schritt gethan auf einer Lauf=


1) Die Angabe bei v. Schindel a. a. O. S. 356, 359, die leider auch Goedeke a. a. D. übernommen hat, daß Fanny Tarnow in der Neuen Monatsschrift von und für Meklenburg, Jahrg. 1794 und 1795 "kleine Lieder und Aufsätze; auch über die Einführung eines neuen Gesangbuchs, von einem alten Landprediger" veröffentlicht habe, ist ganz thöricht. Einmal versichert Amely Bölte S. 50 ganz ausdrücklich, daß Fanny erst in Rohlstorf, und zwar um das Jahr 1804, angefangen habe zu Schriftstellern. Sodann ist es mehr als naiv anzunehmen, daß die Redaktion einer ernsthaften Zeitschrift, wie es die Neue Monatsschrift ist, über die Frage "Wie wir hier in Mecklenburg gar leicht zu einem neuen Catechismus und Gesangbuch kommen können" (denn so, und nicht wie Schindel angiebt, lautet der Titel des Aufsatzes im Jahrg. 1794 S. 311 ff.) einem dreizehnjährigen Mädchen das Wort ertheilt haben sollte. Der Aufsatz ist unterzeichnet - T. Gesetzt nun wirklich, der abgekürzte Name bedeute Tarnow, so könnte nur der 1812 gestorbene Oheim Fanny's, der Pastor Andreas Friedrich Tarnow in Klaber in Frage kommen. Vgl. F. Walter: Unsere Landesgeistlichen von 1810-1888. Penzlin 1889, S. 136.
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bahn, auf der Fanny noch viele Erfolge erringen und doch, Alles in Allem, keine volle innere Befriedigung finden sollte.

Es ist unnöthig und würde ermüden, hier von dem Inhalt der vielen einzelnen Werke Fanny's zu reden. Ihre Erzählungen sind durchaus Kinder ihrer Zeit, einer Zeit, die im Ganzen nicht zu den erfreulichsten Perioden der deutschen Litteratur zählt und in der zuerst die Frauen in großer Anzahl auf dem Plan erscheinen. Die fast unübersehbare erzählende Litteratur dieses Zeitraums kennt kaum einen anderen Zweck, als für müßige Stunden eine leichte Unterhaltung zu bieten. Kleine, aus dem Alltagsleben geschöpfte Vorgänge bilden den Hauptinhalt dieser Romane, Novellen und Erzählungen, die meist aller großen Gesichtspunkte ermangeln; mehr oder minder geistreiches Gerede soll über die Erfindungsarmuth hinwegtäuschen. Zu dieser Gattung gehören im Ganzen auch die Schriften von Fanny Tarnow; meist sind es Erzählungen, für die Wolfgang Menzel das bezeichnende Wort "Entsagungsromane" gefunden hat: ein edles Mädchen liebt, aber sie opfert die Befriedigung ihrer Neigung einer höheren Pflicht der Ehre auf und entsagt freiwillig; oder sie liebt, wird verrathen und rächt sich durch edelste Großmuth. Aber innerhalb dieses Genres ragt Fanny Tarnow hervor. Zwar sind auch bei ihr, wie sie selbst erkannte und bekannte, Neuheit und Reichthum der Erfindung die schwache Seite, aber in der psychologischen Entwicklung übertrifft sie die meisten ihrer schriftstellernden Mitschwestern. Eine gewisse kräftige Anlage ist unverkennbar; die Tugend erscheint bei ihr am anspruchlosesten, die Zärtlichkeit am wenigsten durch Prüderie bemäntelt. Im Mittelpunkt der Handlung steht in der Regel ein natürlich fühlendes, zärtlich gestimmtes Mädchen, das durch die Art, wie es sein Unglück edel erträgt, eines besseren Glückes werth zu sein beweist und uns ein herzliches Mitleid einflößt. In allen ihren Erzählungen steckt ein gutes Stück von Selbstbekenntnissen und Selbsterlebtem, und das bewahrt sie vor dem Schattenhaften und Wesenlosen so vieler anderer Werke jener Zeit; ihre Helden und Heldinnen sind lebendige Personen von Fleisch und Blut, mit denen man verkehren kann. Fanny selbst sah den Hauptwerth ihrer Schriften darin, "daß sie das Eigenthümliche weiblicher Sinnes= und Empfindungsweise in der vollen Wahrheit des selbstgedachten und selbstempfundenen aussprechen" - man wird diese Selbstkritik als treffend anerkennen müssen und begreifen, daß die Verfasserin Jahrzehnte hindurch eine Lieblingsschriftstellerin der weiblichen Lesewelt war.

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Als Fanny die erwähnte Zuschrift von Rochlitz erhielt, hatte sie bereits von einer zweiten größeren Erzählung oder einem Roman, wie man will, "Natalie" betitelt, einen Theil vollendet. Sie gieng jetzt ihr Manuscript noch einmal wieder durch und suchte das, was Rochlitz an der "Allwina von Rosen" gerügt hatte, zu verbessern; dann ließ sie die Blätter von einer Freundin zur andern gehen, damit deren Beifall oder Tadel ihrem eigenen kritischen Urtheil zu Hülfe komme. Was diese daran aussetzten, wurde abermals ausgemerzt, und nun erst unterbreitete sie das Werk den Augen eines männlichen Richters. Am Neujahrstage 1807 sandte sie den ersten Theil der "Natalie" an Rochlitz mit einem langen freundschaftlichen Brief, 1 ) an dessen Schluß es heißt: "Wenn sie einmal eine Stunde übrig haben, so bitte ich Sie die beigehenden Blätter zu lesen. . . Verübeln Sie mir diese Bitte nicht - Sie sind der Einzige zu dem ich das Vertrauen habe ihn um Belehrung zu bitten und wenn der Zirkel meiner kunstrichterlichen Bekannten auch noch so groß wäre, möchte doch wohl schwerlich Einer darunter sein, dessen Beifall mich so freuen, dessen Tadel mir so nützlich sein würde, als es mir der Jhrige ist. Wenn dieser Brief nicht schon so lang wäre, würde ich Jhnen Einiges über den zweiten Theil sagen, den ich schon ganz fertig im Kopfe habe. Mir ist diese Natalie lieb und sie muß es mir im zweiten Theil noch mehr werden - aber wenn Sie Jhnen mißfällt, wird es mir weiter keine Ueberwindung kosten sie zu vernichten." Wie ehrlich dieser letzte Satz gemeint ist, bleibt dahingestellt, denn wohl keiner ihrer Romane war Fanny so ans Herz gewachsen wie dieser. "Es sind stellen darin," schrieb sie in ihr Tagebuch, "die ich unter heißen Thränen geschrieben habe und die ich nie ohne Thränen werde lesen können. Jch bin nicht Natalie, - ihr Leben ist nicht das meinige - und doch kennt der, der sie gelesen hat, mein inneres Leben genauer, als Jemand, der Jahre lang mit mir, so wie ich jetzt bin, verkehrt."

Indessen verstrichen Jahre, bis die "Natalie" vollendet vorlag. Die Zeit war ruhigem, gesammeltem Arbeiten nicht günstig. Nach der Schlacht bei Jena drangen fliehende preußische Truppen, von den Franzosen verfolgt, in das neutrale Meklenburg ein, welches nun mit in das Verderben hineingerissen wurde. Kämpfend durchzog Blücher's Corps einen großen Theil des Landes und mußte am 7. November 1806 bei Ratkau die Waffen strecken;


1) Brief in meinem Besitz.
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an demselben Tage wurde der preußische General v. Usedom bei Wismar geschlagen. Die Franzosen häuften in Meklenburg wie in einem eroberten Lande, das 29. Bulletin der französischen Armee constatirte kaltblütig: "Meklenburg ist gleichmäßig von den französischen und preußischen Truppen verwüstet." Am 27. November rückte die Vorhut des VIII. französischen Armeecorps in das westliche Meklenburg ein, an demselben Tage übergab der bei den niedersächsischen Ständen beglaubigte französische Minister Bourrienne in Schwerin eine Note des Inhalts, daß Meklenburg von Frankreich nicht als neutrales Land angesehen werde, sondern wegen der Hülfe, die es den Feinden Frankreichs im dritten Koalitionskriege geleistet habe, so betrachtet werde, als wenn es mit denselben gemeinschaftliche Sache gemacht habe; am 28. nahm der General Michaud auf Befehl des Marschalls Mortier im Namen des Kaisers Napoleon Meklenburg=Schwerin in Besitz; am 13. Dezember traf General Laval als Gouverneur des Landes in Schwerin ein, am 8. Januar 1807 verließ der Herzog mit seiner Familie das Land und begab sich nach Altona. "Aller Herzen und Thränen begleiten ihn und Tausende unter uns würden mit Freuden den ärmlichen Rest ihrer geretteten Habe hingeben, um sein Schicksal zu erleichtern," schrieb Fanny und sprach damit allen ihren Landsleuten aus der Seele. Zwar wurde auf Verwendung des Kaisers Alexander im Tilsiter Frieden der Herzog in seine Staaten wieder eingesetzt und hielt am 11. Juni seinen feierlichen Einzug in Schwerin, aber bis zum Juni 1808 behielten die Seehäfen französische Garnisonen. 1809 durchzog Schill das Land; als seine Schaar auf dem Marktplatz in Wismar lagerte und Schill zu den seinen redete, befand sich unter der zuschauenden Menge auch Fanny Tarnow mit ihrer Freundin, der Schwester von Friedrich Christoph Dahlmann. "Mir ward wohl bei seinem Anschauen," berichtet sie in ihrem Tagebuch. "Jch stand lange neben ihm. . . Sein Blick faßte mich - es war ein Geistesgruß." Mit leidenschaftlicher Theilnahme verfolgte sie die weiteren Schicksale des Schill'schen Corps und schrieb, als dasselbe in den Straßen von Stralsund geendet hatte, wie vernichtet: "Schill ist todt - mit ihm fielen seine Braven. Keiner wollte den tapferen Anführer überleben. Warum kann ich nicht Blut statt Thränen weinen!" 1810 ließ Napoleon Meklenburg wieder besetzen, auch im folgenden Jahre wurde das Land nicht frei von ab= und zuziehenden fremden Truppen, im Frühjahr 1812 begann der Durchmarsch starker Corps, die sich gegen Rußland in Bewegung setzten, und im

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März brach auch das Kontingentsregiment dahin auf, von dem am Schlusse des Jahres nur ein paar Offiziere - darunter Fanny's Bruder - und nicht viel mehr Mannschaften beisammen waren. Am 14. März sagte der Herzog Friedrich Franz als der erste der deutschen Fürsten sich vom Rheinbunde los, am 25. März rief er sein Volk zu den Waffen; zwar mußte er im August nach Stralsund flüchten und die Hauptstadt seines Landes Davout und seinen Schaaren überlassen, aber im Herbst war Meklenburg wieder frei, seine Truppen kämpften jenseit der Grenze mit für Deutschlands Befreiung.

Die ganze Zeit der Erniedrigung und der Erhebung verlebte Fanny Tarnow in Meklenburg. Ihre Tagebuchblätter beweisen, daß sie ein Bewußtsein hatte von dem, was um sie her vorging. Trat ihr doch auch manches persönlich nahe. Bei dem ersten Einrücken der Franzosen waren ihre Eltern geflohen, sie wußte nicht wohin. Auch Fritz v. Both hatte das Weite gesucht, sein Bruder sah sein Rohlstorf geplündert und mit schwerer Einquartierung belegt; Fanny hatte ihr Zimmer räumen müssen, "an meinem friedlichen Schreibtisch," schrieb sie, "ruhen nun die Adler des Bataillons." Zwar die Einquartierung war nicht von Dauer, aber ungeheure Lieferungen für die Truppen wurden dem Lande auferlegt, der allgemeine Druck ließ auch in Rohlstorf kein rechtes Behagen aufkommen. Immerhin hatten die traurigen Zeitläufte das Gute, daß sich zusammenschloß, was zusammengehörte, daß die Bande der Familien und Hausgenossenschaften sich enger zogen, die Glieder des Hauses einander näher traten, als sonst wohl geschehen wäre. Fanny hatte trotz ihrer gelegentlichen Heftigkeit die Herzen ihrer beiden Zöglinge gewonnen; Herr v. Both hatte sich an ihre Gesellschaft so gewöhnt, daß er sie nicht mehr entbehren mochte, mit seinen Schwestern, der Frau v. Behr auf Greese, der Frau Oberstleutnant v. Preen in Wismar und der damals noch unverheiratheten Susanne v. Both, die sich oft Wochen lang in Rohlstorf aufhielt, stand sie auf dem vertraulichsten Fuße. Eine verständige Tageseintheilung gestattete ihr einige Stunden des Tages für sich zu erübrigen. Sie las viel, wieder ziemlich wahllos, damals griechische Dichter und Prosaiker, mit rührendem Eifer; sie war von den Reden des Lysias begeistert, erhob sich die Seele an Plato, aber schämte sich der Lektüre des Aristophanes "gerade so als wenn sie in schlechter Gesellschaft von einem Bekannten getroffen würde". Ihrer Feder gönnte sie mehr Ruhe - es entstanden zwar kleine Sachen wie "die Jllusionen" und

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"Lucie", aber "Natalie" rückte ihrer Vollendung nur langsam näher.

Für Fanny's damalige Stimmung ist bezeichnend, was sie um jene Zeit ihrem Tagebuch anvertraute:

"Es giebt Stunden, in denen man den Blick tief in sein Inneres richtet - solche Stunden sind jetzt keine Seltenheit für mich und jede verschönert und erheitert mir den Genuß meiner inneren Ruhe."

"Frieden mit der Vergangenheit, Zufriedenheit mit der Gegenwart, heiteres Vertrauen auf die Zukunft - wie genieße ich das Alles doppelt durch die kindliche Dankbarkeit, durch die allerinnigste Liebe gegen den, der es mir gab. Um keinen Preis möchte ich mein jetziges Alter wieder gegen die Jugend vertauschen, deren Verlust ich seit meinem achtzehnten Jahr nicht überleben zu können meinte."

"Unruhiges Streben, schmerzliche Sehnsucht zehrten stets an mir und raubten mir allen Frohsinn. Jch wollte das Gute, wollte es um jeden Preis, ohne alle Rücksicht auf Glück; zugleich aber hegte ich in mir ein Jdeal von Mädchenwürde und Mädchenreiz, das ich im Aeußern wie im Innern darzustellen bemüht war, und in dem Bestreben, es zu erreichen, gieng mir die naive Unbefangenheit verloren. Jetzt hat sich mein Charakter gebildet und ich lasse mich frei gehen. Früher wünschte ich zu gefallen, wie jedes Mädchen es wünscht, jetzt erlasse ich mir die Anstrengung, es zu wollen: es kommt von selbst. Jch genieße im ganzen Kreise meiner Bekannten die größte Achtung, man weist mir eine Stellung an, wie meine Verhältnisse sie nicht begehren durften, alles will mir wohl und das beglückt mich."

"Die schmerzende, zerstörende Sehnsucht nach Liebe schweigt. Mein Herz ist nicht kälter geworden, sondern es schlägt ruhiger. . . Jch danke Gott jetzt, daß er mich ehelos ließ, denn ich sehe in jeder Ehe eine Beschränkung der inneren Bildung, die ich jetzt ungestört zum höchsten Zwecke meines Lebens machen kann und die in einer Verbindung mit einem Manne - so wie die Männer sind - gehemmt werden muß."

"Dieser ungestillten Sehnsucht verdanke ich es, meinen Pflegebefohlenen mein ganzes Herz widmen zu können, das jetzt in dieser Liebe eine Befriedigung sucht und findet." -

Der Aufenthalt in Rohlstorf nahm ein unerwartetes Ende, es traten andere Aufgaben an Fanny heran. Frau v. Preen erkrankte schwer, und als sie ihr Ende kommen sah, sprach sie Fanny den Wunsch aus, diese möge sich nach ihrem Tode ihrer

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Kinder annehmen. Bald darauf lief die Nachricht von ihrem Hinscheiden (27. Dezember 1807) ein, und Herr v. Both mußte es geschehen lassen, daß Fanny Tarnow nach Wismar zu seinem Schwager zog.

Ihre neue Lage bot große Schwierigkeiten. Von den ihrer Obhut anvertrauten Kindern entwirft sie ein unerfreuliches Bild, sie begegneten ihr kalt, ja unfreundlich. Das ängstigte und quälte Fanny, ihre Stimmung war nicht mehr die innerlich befriedigte, wie in Rohlstorf. Dafür boten manche Annehmlichkeiten ihrer Stellung als Vertreterin der Frau vom Hause, die Bälle, Assembleen, Liebhabertheater und sonstigen gehäuften Vergnügungen, in denen sich jene Zeit besonders gefiel, als wollte sie sich berauschen und so hinwegtäuschen über das Elend des Vaterlandes - dafür bot das alles keinen vollen Ersatz. "Meine gesellschaftliche Stellung," lesen wir in Fanny's Tagebuch, "ist beneidenswerth, man sucht mich, vergöttert mich, bewundert mich, allein Liebe werde ich, so wie ich hier stehe, Niemand einflößen, es sind die Annehmlichkeiten meines Geistes, welche man bei mir sucht, sonst nichts. Und welchen Werth hat Bewunderung, wenn wir auf Liebe verzichten müssen." Bisweilen floh sie auf einige Tage nach Roggow zu der geliebten Frau v. Oertzen und fand dort momentan den Frieden wieder, allein dann kehrte das alte Unbehagen mit doppelter Gewalt zurück. Ihre Erholung waren die spärlich gemessenen Stunden, in denen sie lesen und schriftstellern konnte: "Bianca" und "Fanny Buttler", auch die "Blätter aus dem Nachlaß einer Frühvollendeten" und kleinere Sachen entstanden um diese Zeit und fanden willige Aufnahme in verschiedenen der zahllosen belletristischen Zeitschriften, Taschenbücher und Almanachs jener Tage. Aber Fanny betrachtete diese litterarische Thätigkeit nur als ein Nebenher; sie war damals noch weit entfernt davon zu denken, daß sie die Schriftstellerei je als Beruf betreiben könne. "Es ist gut," heißt es in ihrem Tagebuch, "daß meine Lage mich vom Schriftstellern abgehalten hat, denn ich tauge nicht dazu, ich habe kein schaffendes Genie, keine neuen Jdeen, es ist alles nur angeeignet. Das Interesse an Gegenständen zur Uebung der Denkkraft ist in mir, aber die Resultate derselben vermag ich nur anzunehmen, nicht hervorzubringen. Das Angeeignete kann ich aber, gut eingekleidet, für Andere wieder darstellen. Anders ist es mit dem, was sich auf Empfindungen bezieht! Hier bin ich Reich in mir selbst, durch mich selbst. Was ich denke, denke ich mir durch Empfindungen, und was ich nicht auf diesem Wege weiß, ist todtes Kapital." -

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Zu Anfang des Jahres 1811 schloß Herr v. Preen eine zweite Ehe, und damit war Fanny wieder auf sich selbst gestellt. Was sollte sie nun beginnen? Erspart hatte sie nichts in den zehn Jahren, seit sie von Hause gegangen war. Sie mußte also einen neuen Wirkungskreis suchen, ohne Neigung ihn suchen, bloß um das Leben zu fristen. Kein Wunder, wenn eine tiefe Muthlosigkeit sich ihrer bemächtigte. Ein Lichtblick in dieser trüben Zeit war es, daß Eduard Hitzig, der bekannte Schriftsteller und Kriminalist, der damals einige Jahre hindurch Besitzer einer Buchhandlung in Berlin war, in artigster Weise sich bereit erklärte, den Verlag ihrer "Natalie" zu übernehmen. So bot sich denn doch eine Aussicht. Fanny reiste nun zunächst zu verschiedenen Freunden, und nach einiger Zeit fand sie auch wieder eine Stellung als Erzieherin im Hause des Herrn Johann Andreas v. Müller auf Rankendorf, der den Winter in Lüneburg zu verleben pflegte und nur den Sommer auf seinem Gute zubrachte. Zu Pfingsten 1811 siedelte Fanny dorthin über.

Der Eintritt in diese Stellung in Rankendorf bedeutete für sie nun freilich ein Herabsteigen von früherer Höhe. In Rohlstorf wie in Wismar hatte sie die fehlende Hausfrau zu ersetzen gehabt, hier war sie nur die Erzieherin, die keine besonderen Rechte beanspruchen durfte. Man behandelte sie mit Güte, ihre Schülerin Adolphine wurde ihr sehr lieb, gleichwohl fühlte sich Fanny in diesem glücklichen Familienkreise unbehaglich, sie kam sich hier überflüssig vor. So zog sie sich denn gern zu ihren Büchern und an ihren Schreibtisch zurück. "Natalie" wurde nun vollendet; Fanny schrieb den zweiten Theil in wenigen Wochen nieder, "unter strömenden Thränen" wie sie sagt; sie nannte den Roman als litterarisches Produkt werthlos, meinte aber doch, er müsse, weil aus dem Herzen geflossen, auch zum Herzen sprechen; "ich habe nicht Nataliens Reize," schrieb sie in ihr Tagebuch, "nicht ihren Geist, nicht ihre Talente, aber ich habe ihr mein Herz und meine Liebe gegeben." Sie zitterte vor dem Tage, wo das Buch erscheinen sollte; als sie die ersten Exemplare erhielt, war sie sehr unzufrieden mit sich selbst, fand sich durch "die fehlerhafte Zusammensetzung des Ganzen und eine gewisse Ueberladung des Stils" unangenehm berührt, "kurz," schrieb sie, "meine Freude daran ist mir verkümmert worden!" Aber sie tröstete sich angesichts der glänzenden Aufnahme, die das Werk in der Lesewelt fand. Das sei kein Buch, schrieb ihr Hitzig das sei ein Herz. und welch ein Herz! Mit Befriedigung las sie eine begeisterte Rezension der "Natalie" aus der Feder

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Fouqué's, der sich dahin äußerte, daß er die Verfasserin unbekannter Weise wegen dieses Buches liebe. Auch Rochlitz, ob er gleich mancherlei Bedenken aussprach, meinte doch: er könne das Buch als Buch nur loben, er würde davon als von einer der interessantesten Erscheinungen unserer Litteratur tief ergriffen worden sein, auch wenn er die Verfasserin nicht gekannt hätte. Nun trat man auch von allen Seiten an sie heran und verlangte von ihr Beiträge für Zeitschriften: Cotta warb sie zur Mitarbeiterin an seinem hochangesehenen "Morgenblatt", Fouqué wünschte ihre Theilnahme an seinem Almanach. Wie hätten solche Lobsprüche von Männern, die in der Litteratur etwas galten, sie nicht erfreuen, nicht zu neuer Thätigkeit anspornen sollen? Sie ließ jetzt ihre schon 1807 geschriebene "Thekla", wohl die schönste ihrer Erzählungen, und die um diese Zeit entstandenen "Erinnerungen aus Graf Gustavs Jugendleben" hinausgehen und vermerkte mit Befriedigung in ihrem Tagebuch den Inhalt eines Briefes der Frau v. Fouqué, die unter dem Pseudonym Serena selber eine Reihe von gern gelesenen Romanen verfaßt hatte und die ihr schrieb, "Thekla" habe ihr einen Ehrenplatz unter Deutschlands Dichterinnen erworben; sie selbst urtheilte viele Jahre später in einem Briefe an Gustav Kühne über dieses Buch: "Jn Thekla werden sie die freudigste Todeslust ausgesprochen finden, die vielleicht je das Herz einer Frau bewegt hat. Meine ganze Jugend liegt in Thekla - so war ich." Für Fouqué, der sich noch viel enthusiastischer als seine Frau über die "Thekla" geäußert hatte, schrieb sie auf dessen Drängen "in zwei Tagen", wie sie sagt, "Augustens Tagebuch". Als sie im Frühjahr 1812 von Lüneburg aus eine Reise nach Meklenburg gemacht hatte, glaubte sie bemerkt zu haben, daß ihre Schriften ihr viel Anhang in der Heimath verschafft hätten und konstatirte mit Genugtuung, daß die Erbprinzessin Caroline, die Tochter Karl Augusts von Weimar, sie hatte sehen wollen. -

Inzwischen hatte Fanny ihre Aufgabe in Rankendorf, die Erziehung Adolphinens, gelöst. Den Antrag, auch deren jüngere Schwestern zu unterrichten, lehnte sie ab. Sie war nicht warm geworden in diesem Hause. "Jch lebe einsam, ohne allen Umgang," heißt es in einem Briefe an Rochlitz; "meine Hausgenossen sind liebe, achtungswerthe Menschen, mit denen ich aber nie von meinen Empfindungen und Schicksalen werde reden können." Und in ihr Tagebuch schrieb sie in jenen Tagen - frei nach Goethe's "Iphigenie" -:

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"Noch immer bin ich, wie am ersten Tage, fremd,
Und es gewöhnt sich nicht mein Geist hierher."

So schied sie im Herbst 1812 von Rankendorf und zog nach Neubukow zu ihrer Mutter, die, an unheilbarer Krankheit dahinsiechend, ihrer Hülfe bedurfte. Mit ihrer jüngsten Schwester Betty theilte sie sich nun in die Pflege der Kranken und die Leitung des Hauswesens, zugleich aber mußte sie die Geldmittel herbeischaffen, um bei der Familie mit fortleben zu können und den durch die Fortschritte der Krankheit verursachten Mehrbedarf zu decken. Von früh bis tief in die Nacht war sie nun thätig, in häuslichen Verrichtungen, mit der Nadel - denn sie war eine Meisterin in feinen Handarbeiten - und mit der Feder. Sehr zur rechten Zeit setzte ihr in diesen Tagen die Erbprinzessin ein kleines Jahrgeld aus, und wenn doch Hülfe noththat, so half die Landräthin v. Oertzen, "Mutter Oertzen", wie Fanny sie nannte. Es war eine entbehrungsreiche Zeit für Fanny angebrochen, und doch fühlte sie sich wohl in ihrer unermüdeten Thätigkeit, in ihrer Hingabe, Liebe und Aufopferung, ihr Leben hatte einen ihr bis dahin unbekannten Inhalt bekommen. "Jch habe nun nicht umsonst gelebt," schrieb sie an eine Freundin, als ihre Mutter gegen Ende 1814 nach langer Qual dahingegangen war, "mein Leben hat einen würdigen Zweck gehabt und Gott hat es mir vergönnt, das Glück treuer Pflichterfüllung zu kosten."

Ihr war mancher Trost, manches Zeichen der Teilnahme an ihrem Verlust geworden, aber sie sah sich nun wieder einmal vor die bange Frage gestellt: was nun? Eine leise Hoffnung für ihre Zukunft hegte sie wohl. Hitzig stand mit ihr in lebhafter Korrespondenz, sie glaubte zu fühlen, daß seine Briefe immer herzlicher wurden; nach dem Tode der Mutter sandte er ihr ein Gedicht von warmen Mitgefühls und kündigte ihr seinen Besuch an - Sollte seine Empfindung für sie nur Freundschaft sein? Er hatte seine Buchhandlung aufgegeben, war Kriminal= und Pupillenrath in Berlin geworden, war Wittwer und Vater von Töchtern - vielleicht daß er diesen wieder eine Mutter geben wollte. Hitzig kam; Fanny brachte ihm ein Herz voll Dankbarkeit und Verehrung entgegen, aber sie fühlte sich beengt in seiner Gegenwart, das Maßvolle, Gehaltene seines Wesens stand in scharfem Gegensatz zu ihrem leidenschaftlichen, sprühenden Geist, ihrer hingebenden Zärtlichkeit. Fanny und er verlebten einige Tage mit einander, sie führte ihn zu Oertzens nach Roggow, wo damals ihr Vetter Julius, späterer Domprediger in Güstrow, Hauslehrer war, sie zeigte ihm Doberan; dann trennten sie sich,

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warm wie sie sich begrüßt hatten, ihre Freundschaft blieb die gleiche, aber Fanny sagte sich, auch diese Hoffnung sei dahin.

Der Vater war für seine Familie immer unzugänglicher geworden, 1 ) bei ihm konnten und wollten die Schwestern nicht bleiben. Für Betty fand sich einstweilen ein Unterkommen: Ida v. Oertzen, die Tochter der Landräthin, hatte 1812 den Forstmeister v. Behr geheirathet, sie nahm Betty zu sich. Fanny richtete ihre Blicke ins Ausland. Ihre Herzensfreundin Charlotte Hochecorne lebte in Petersburg als Gattin eines Kaufmanns Henschel, zu der gedachte sie zunächst zu gehen, bis sie ein weiteres Unterkommen gefunden hätte; daß ihr das gelingen werde, daran zweifelte sie nicht, denn Kotzebue, der ein Verehrer ihrer Schriften war und sich vieler Verbindungen und großen Einflusses in Petersburg wohl nicht ganz mit Recht rühmte, hatte es übernommen, ihr dort eine Stelle als Gesellschafterin oder Vorleserin auszumitteln und dafür zu sorgen, daß sie sich durch Stundengeben ihren Unterhalt sichern könne. Aber bis zur Ausführung dieser Reise verstrich fast ein Jahr; mußten doch erst die Mittel zur Fahrt beschafft werden, was theils durch die Güte der Erbprinzessin, theils mit Hülfe eines von Cotta bereitwillig gewährten Vorschusses gelang. In der Zwischenzeit war für Betty Tarnow eine Stelle als Gesellschafterin in Hamburg gefunden, und Fanny begleitete ihre Schwester um so lieber dahin, als sie in der ihr bis dahin unbekannten Stadt einen Anhalt hatte an Susette v. Oertzen, die an den Handelsherrn Godeffroy verheirathet war. Es konnte nicht fehlen, daß Fanny hier in größere Kreise eingeführt wurde; sie machte die ihr wohlthuende Erfahrung, daß ihr Ruf weithin gedrungen war und Viele sich bemühten, ihre Bekanntschaft zu machen. Sie erhielt sogar eine Einladung zu längerem Verweilen von der Frau Elise Schleiden auf Ascheberg am Plauer See, einer schönen und geistvollen Frau, an deren gastlichem Tische die besten Männer der Kieler Universität und die Führer des Schleswig=holsteinischen Adels in heiterer Geselligkeit Zusammenzutreffen liebten. "Jch habe in Holstein die glücklichsten Tage meines Lebens verlebt," schrieb sie im Juni 1816 an ihren Bruder, "habe unvergleichliche Gegenden und herrliche Menschen gesehen und bin in ganz Holstein so achtungsvoll aufgenommen und als berühmte Schriftstellerin so gefeiert worden, daß es eine wahre Probe für mich gewesen ist, ob ich Anlage habe, von Lob


1) Der Kommissionsrath Tarnow starb 1827, der Ort seines Todes war nicht festzustellen.
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und Huldigungen aller Art schwindlich zu werden." Daß sie sich, wie das so ihre Art war, von Elisens Gatten, der ihr höflich begegnete, geliebt glaubte, sei hier nur beiläufig erwähnt. 1 )

In Ascheberg harrte Fanny der Nachricht, daß das Schiff nach Petersburg segelfertig sei. Auf die Kunde davon nahm sie thränenreichen Abschied von Schleidens und gieng in Travemünde an Bord. "Sehr glücklich trifft es sich jetzt mit meiner Reise," theilte sie ihrem Bruder mit, "einer der Reichsten und angesehensten Bankiers von Petersburg, Herr Schwarz, geht mit seiner Frau, mit der er eine große Reise gemacht hat, nach Petersburg zurück und nimmt mich mit, weil es ihm Spaß macht, sagen zu können, daß er mit Fanny Tarnow gereist ist. Er hat die Kajüte für uns ganz allein genommen, hat einen deutschen Koch und alle möglichen Bequemlichkeiten bei sich und so habe ich die Aussicht, die Reise so angenehm und bequem wie möglich machen zu können, ohne daß sie mir kostbarer wird; denn Schwarzens haben mich ein für allemal eingeladen, mit ihnen zu essen als ihr Gast, und ich bezahle also bloß meine Ueberfahrt. Es thut aber auch noth, daß sich alles so freundlich fügt, da mir das Herz jetzt bei der Nähe des Abschiedes von Deutschland viel, viel weher thut, als ich glaubte, daß es der Fall sein würde."

Als das Schiff in Kronstadt vor Anker gegangen und Fanny in Schwarz' Boot die Newa hinauf nach Petersburg gefahren war, da erlebte sie die erste Enttäuschung auf russischem Boden. Sie sandte gleich nach ihrer Landung einen Boten zu Henschel, um ihre Ankunft zu melden, und erfuhr nun, daß Henschel nicht in der Stadt sei, sondern auf dem Lande bei seiner Familie und erst am folgenden Tage zurück erwartet werde. so lange mußte ihr ungeduldiges Herz auf die Umarmung der Freundin warten. Dann fand sie zwar bei Charlotte innige Freundschaft, bei Henschel achtungsvolle Herzlichkeit und erfreute sich am Anblick von Charlottens Töchterchen, dessen Pathe sie war und das ihren Namen trug, aber sie fand auch beschränkte Verhältnisse, eine sehr enge Häuslichkeit, und darauf war sie nicht gefaßt gewesen. Sie war darauf angewiesen zu sehen und zu erleben, denn ihr war von Cotta die Korrespondenz aus Petersburg für das "Morgenblatt" übertragen worden - was sollte sie auf dem einsamen Landhause erleben und sehen?


1) Vergl. dazu Rudolf Schleiden: Jugenderinnerungen eines Schleswig=Holsteiners. Wiesbaden 1886, S. 93.
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Und als Henschels in die Stadt zogen, vermochten sie Fanny kein eigenes Zimmer zu bieten, "keinen Platz", wie sie in einem Briefe an Hitzig klagte, "wo ich einmal eine Stunde einsam lesen, einsam schreiben, einsam träumen kann, und diese Entbehrung wird mir immer neu, immer fühlbar bleiben." Es kam endlich so weit, daß sie eine eigene Wohnung miethen mußte, und diese Ausgabe lastete schwer auf ihr, zumal da einige Honorare, deren sie so dringend bedurfte, ausblieben. Diese fortdauernde Unruhe und die Sorge um die nächste Zukunft wirkten verderblich auf ihre reizbaren Nerven. "Jch habe hier mehr auf Erholung als auf Arbeit gerechnet," schrieb sie an Hitzig; "Sie glauben nicht, wie müde und matt mich die erlebte Trübsal gemacht hat. Jch habe das Gefühl eines Rehes, das nach kurzer Rast wieder zum Parforcejagen aufgehetzt wird."

Zum Glück gab es für Fanny aber auch des Interessanten und Anregenden eine Fülle. Ihre Petersburger Korrespondenzen im "Morgenblatt", ihre "Briefe auf einer Reise nach Petersburg an Freunde geschrieben", die sie nach ihrer Rückkehr 1819 erscheinen ließ, beweisen, daß sie auch gute Stunden an der Newa verlebte. Sie lernte die Stadt gründlich kennen, die Stadt und das Leben in ihr, das Leben auch der gelehrten und künstlerischen und der vornehmen Kreise. Es gab Monate, wo sie von Genuß zu Genuß eilte, sie wollte nichts von dem ungekostet lassen, was ihr geboten wurde. Sie lernte bedeutende Menschen kennen und freute sich der Aufmerksamkeiten, die man ihr, der geistvollen Fremden, erwies, der unleugbaren Erfolge, die sie in der vornehmen Welt errang. Unter den hervorragenden Männern, welche sie aufsuchten, machte ihr begreiflicher Weise den nachhaltigsten Eindruck Friedrich Maximilian Klinger, einer der charaktervollsten und markigsten deutschen Dichter, der sich aus den Verirrungen der Genialitätsepoche, aus der Sturm= und Drangperiode, die nach einem seiner Dramen ihren Namen bekommen hat, herausgearbeitet, der vom Sohn eines armen Frankfurter Stadtsoldaten und vom Theaterdichter der Seiler'schen Truppe aufgestiegen war zum russischen General, zum Direktor des Kadettenkorps in Petersburg und zum Kurator der Universität Dorpat. Ein freundlicher Zufall hatte ihm eine deutsche Litteraturzeitung in die Hände gespielt, die eine Recension von Fanny's damals eben erschienenem Roman "Thorilde von Adlerstein" enthielt, und er, der in stolzer Einsamkeit lebte, nie Besuche machte und in keiner Gesellschaft erschien, fand sich doch bewogen, die junge deutsche Schriftstellerin aufzusuchen. Dem ersten zwei=

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stündigen Besuche Klinger's folgten weitere, und bald wurde es Regel - wie Fanny behauptet -, daß er mehrmals in der Woche kam und einige Stunden blieb. Es bildete sich ein freundschaftliches Verhältniß zwischen ihnen beiden; "am Abend meines Lebens", äußerte er, "wird mir noch die nicht mehr gehoffte Freude, mich von Jhnen verstanden zu fühlen, wie mich nie ein Mann verstanden hat," und nach Fanny's Fortgang von Petersburg verschmähte er nicht, "ihre Briefe mit Auslassungen zu beantworten, die zu dem Werthvollsten gehören, das sich brieflich von ihm erhalten hat" und die zugleich dafür Zeugniß ablegen, wie hoch er Fanny schätzte: "Wahr ist es", schrieb er ihr am 2. April 1818, "ich rechne Sie zu den seltensten und edelsten Frauen, die mir begegneten, und danke Jhnen herzlich für das, was Sie mir geworden sind und mir immer bleiben werden." 1 )

Schon bei seinem ersten Besuche hatte Klinger ihr gesagt: "Jetzt, da ich Sie gesehen habe, muß ich Jhnen bei Jhrem zarten Aeußern, bei Jhrer poetischen Lebensansicht sagen: wenn Sie noch irgend eine Aussicht wissen, in Deutschland leben zu können, so gehen Sie dahin zurück. Sie dürfen hier nicht bleiben. Sie finden hier nichts, nichts, was Jhnen zusagt. Naturen, wie die Jhrige, bedürfen Sonnenlicht und Luft. Sie verschmachten in dieser dumpfen Atmosphäre." Dergleichen hatte sich Fanny ohne Zweifel schon selbst eingestehen müssen. Wir sind über ihre Erlebnisse in der Zarenstadt nicht völlig unterrichtet; sie hätte zweifelsohne, wenn sie gewollt hätte, verwunderliche Dinge berichten können, und ihre "Briefe aus Petersburg" deuten an, daß sie um die Jahreswende viel durchgemacht habe, und wohl das Herbste, das ihr im Leben auferlegt worden, daß Sie aber auch edle Menschen gefunden habe, deren Liebe und Theilnahme ihr, "todeswund und todesmatt" wie sie war, den nöthigen Trost schenkte. Ein in ihrem Nachlasse aufgefundener, überaus zärtlicher Brief des Grafen Sivers an sie, 2 ) dessen Einzelheiten freilich nicht alle verständlich sind, spricht von dem Antheil, den Kaiser Alexander an ihr nahm und wie sie seines Schutzes bedurfte, erwähnt die Absicht der Kaiserin=Mutter, ihr die Direktion des Katharinenstiftes anzutragen - ein plan, den


1) Briefe von Klinger an Fanny Tarnow s. bei M. Rieger: Friedrich Maximilian Klinger. Th. II, Briefbuch S. 196 ff. 199 ff. 203 f. 206 f. 215 f.
2) Abgedruckt bei Rieger a. a. O. Th. II, S. 557 ff. Vergl. überhaupt ebenda S. 556-565.
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Klinger, gerade weil er Fanny herzlich wohlwollte, zu durchkreuzen bemüht war, da er die schlimmen Seiten der Kaiserin kannte - und läßt erkennen, daß Fanny von allerlei Gefahren bedroht war. Sie ist diesen Gefahren glücklich entgangen, aber sie konnte das vielleicht nur, wenn sie Petersburg verließ, und der Entschluß, das zu thun, wurde ihr erleichtert, da sie unter dem Klima litt. So kehrte sie denn nach einjährigem Aufenthalt an der Newa, überhäuft mit Geschenken von Freunden und Freundinnen, nach Deutschland zurück.

sie nahm ihren Weg wieder über Travemünde, hielt sich nach der Landung kurze Zeit bei Elise Schleiden in Ascheberg auf, besuchte ihre Schwester Amalie in Rehna, ihren inzwischen zum Hauptmann aufgerückten Bruder Friedrich in Wismar, die Familie v. Oertzen in Roggow, wurde überall liebevoll aufgenommen und kam sich doch aller Orten so entbehrlich vor. "Wer bedarf überhaupt meiner?" fragte sie traurig. Da war es wieder der getreue Hitzig der ihr zu Hülfe kam und sie aufforderte, zu ihm nach Berlin zu kommen und mit ihm zu berathen, wie sie ihre Zukunft zu gestalten habe, damit Herz und Kopf und Kasse gleichmäßig zu ihrem Rechte kämen. Berlin zu sehen hatte Fanny längst gewünscht und doch nie ermöglichen können; so folgte sie gern der freundlichen Einladung, an die sie vielleicht nach ihrer Art wieder allerlei Hoffnungen knüpfte. Hitzig bewohnte ein eigenes Haus am Ende der Friedrichstraße, Fanny bezog in seiner Nähe ein Monatszimmer und wurde nun in seinen häuslichen Kreis eingeführt. Hitzig war, wie erwähnt, Wittwer; eine Freundin seiner verstorbenen Gattin, nicht jung, nicht hübsch, nicht geistreich, aber gut und verständig, stand dem Hauswesen vor und erzog die Kinder, Fanny erkannte bald, daß "Tante Lotte" von Hitzig geschätzt, von den Kindern geliebt wurde und Alle sich unter ihrer warmen selbstlosen Fürsorge wohl fühlten. Fanny empfand tiefen Schmerz darüber, daß sie wieder einmal eine Andere an der Stelle sehen mußte, die sie selbst so gern eingenommen hätte, und ihr Schmerz war um so herber, weil sie sich sagen mußte, sie habe sich mehrfach in gleicher Stellung befunden, aber nicht mit gleichem selbstvergessen ihre Aufgabe gelöst, sie sei weder im Bothschen noch im Preenschen Hause so bescheiden auf getreten, wie "Tante Lotte" und habe sich in der Rolle einer Gesellschaftsdame, die die Bewunderung der Männer herausforderte und jede erübrigte Minute zur Ausbildung ihres Geistes benutzte, schwerlich ebenso unentbehrlich gemacht.

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Hitzig wollte mit Fanny nicht nur rathschlagen, er wollte ihr auch helfen, für einige Jahre wenigstens. Er hatte eine Stieftochter, Betty Meyer, ein schönes, aber verwöhntes und eigensinniges Mädchen, das sich in seine häuslichen Verhältnisse nicht fügen wollte. Er schlug Fanny vor, dieses Mädchen mit sich irgendwohin zu nehmen und zu erziehen, gegen ein reichlich bemessenes Kostgeld, welches im Verein mit ihren Schriftstellerhonoraren ihr ein behagliches Hauswesen sicherte, und Fanny willigte ein. Einstweilen aber blieb sie noch ein paar Wochen in Berlin und gefiel sich in dem von allen litterarischen Größen der Stadt gern aufgesuchten Hitzig'schen Hause, wo man noch die heute selten gewordene Kunst übte, mit sehr geringem Aufwande doch eine reiche Geselligkeit zu pflegen.

Zu den Berühmtheiten, mit denen Fanny bei Hitzig in Berührung kam, gehörte auch Helmina v. Chézy. Die war eine Enkelin der Karschin; ihre Mutter hatte in zweiter Ehe, unglücklich wie die erste, einen Freiherrn v. Klencke geheirathet; als Helmina 1783 zur Welt kam, waren die Eltern schon wieder getrennt. Bei ihrer Großmutter aufgewachsen, eine frühreife Schriftstellerin, verheirathete sie sich 1799, noch nicht siebenzehnjährig, mit dem Freiherrn v. Hastfer, doch wurde die Ehe schon 1801 geschieden. Der Mittellosen nahm sich Frau v. Genlis an und lud sie zu sich nach Paris. Hier lernte sie im Hause Friedrich Schlegel's den Orientalisten Antoine Léonard de Chézy kennen, reichte diesem 1803 die Hand, trennte sich aber 1810 von ihm und führte nun ein unstetes Wanderleben. Die beiden geistreichen Frauen, Fanny und Helmina, schlossen alsbald eine begeisterte Freundschaft, trotz ihres völlig verschiedenen Wesens, eine Freundschaft freilich, die, wie wir sehen werden, wenige Jahre darauf ein jähes Ende nahm.

Fanny hatte als denjenigen Ort, wo sie mit ihrer Pflegebefohlenen sich niederzulassen gedenke, Lübeck bezeichnet und Hitzig war damit einverstanden. Ausschlaggebend war für Fanny bei dieser Wahl die Nähe von Ascheberg gewesen, sie legte Werth darauf, Elise Schleiden nahe zu sein. Ihre Schwester Betty nahm sie jetzt zu sich, die sollte dem Hauswesen vorstehen; so war sie nicht mehr allein und gewann dabei Zeit für ihre litterarischen Arbeiten. Glücklich fühlte sie sich auch in Lübeck nicht, aber wo gab es für sie überhaupt ein Glück, wenn ihr das eine, so glühend ersehnte nicht wurde? Gleichwohl würde sie wohl nicht daran gedacht haben, Lübeck zu verlassen, wenn ihr nicht in Hamburg die Aussicht auf eine Lebensstellung eröffnet worden wäre. Fanny

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hatte dort auf der Reise nach Lübeck einige Zeit verweilt und bei der Gelegenheit Amalie Schoppe, geb. Weise, kennen gelernt. Diese, damals 27 Jahre alt und im Begriff stehend, sich von ihrem Manne scheiden zu lassen, hatte kurz zuvor ihre litterarische Laufbahn begonnen, in deren Verfolg sie es dahin brachte, zwar durchaus nicht die beste, aber wenigstens die fruchtbarste deutsche Schriftstellerin zu werden. Mit überströmender Zärtlichkeit hatte sie sich der gleichfalls leicht erregten Fanny in die Arme geworfen, die Beiden hatten sich ewige Freundschaft geschworen und einen intimen Briefwechsel begonnen, vereint ließen sie 1820 einen Band "Erzählungen" erscheinen. Amalie empfand bald den Wunsch, ihre Freundin sich näher gerückt zu sehen; sie plante die Gründung eines Erziehungsinstituts für junge Mädchen, verbunden mit Pensionat, wie sie es später wirklich einrichtete, und machte Fanny den Vorschlag, sich zu diesem Zwecke mit ihr zu verbinden. Fanny verhielt sich nicht ablehnend und zog, um alle Einzelheiten des Unternehmens bequemer mit Amalie besprechen zu können, einstweilen mit ihrer Schwester und ihrem Pflegling nach Hamburg. Aber bei längerem Beisammensein mußten die beiden Freundinnen die Erfahrung machen, daß sie im Grunde doch nicht für einander geschaffen seien. Ohne die Verhandlungen noch abgebrochen zu haben, traf Fanny doch Anstalten zur Rückkehr nach Lübeck. Amalie mochte darin eine endgültige Absage erblicken und leidenschaftlich wie sie war ließ sie sich zu einem Benehmen hinreißen, welches allerdings den Bruch unvermeidlich machte. Dann kam ihr freilich die Reue. "Seien Sie menschlich, seien Sie vergebend," schrieb sie an Fanny. "Jch bekenne mit tiefster Zerknirschung mein Unrecht. . . Kann Reue Versöhnung bringen, so giebt Gott sie mir, und Sie, sein sterbliches Geschöpf, wollten sie mir versagen?" Ein offenes Schuldbekenntniß gewinnt leicht den Gekränkten. Auch Fanny, allezeit versöhnlich gestimmt, trug Amalie ihr Unrecht nicht nach, aber sie hielt es doch für besser, durch offene Aussprache einer etwaigen ferneren intimen Annäherung vorzubeugen. "Mit wehmüthiger Rührung", antwortete sie, "habe ich gestern Deine . . . Zeilen gelesen. Du bist mir sehr klar in Deiner Stimmung - aber daß die Verschiedenheit unserer Individualität so verletzend zwischen uns steht, ist tieftraurig und unabänderlich, da Du so wenig aufhören kannst Du zu sein, wie ich aufhören kann ich zu sein. Wäre ich Dir klar, wie Du es mir bist, so wäre alles ausgeglichen; aber ich bin es Dir nicht und werde es Dir in einigen Jahren vielleicht erst werden. . . Das gesellige Leben ist für mich immer ein

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glänzender Schauplatz gewesen und keine Art des Ueberdrusses hat mich je von ihm geschieden, nur das tief innere Bedürfniß von Einsamkeit und Liebe. Jch besuche daher keine großen Gesellschaften, erscheine an keinem öffentlichen Ort, vermeide alle neuen Bekanntschaften, fliehe allen gleichgültigen Umgang und fühle mich glücklich im Jdeenaustausch, im traulich geselligen Zusammenleben mit einigen geist= und gemüthvollen Menschen. Aber der Umgang mit diesen ist für mich unentbehrlicher geistiger Nahrungsstoff; ich verkümmere, wenn er mir fehlt. Die große Freiheit der Lebensgestaltung, die mir die Verhältnisse meiner letzten Lebensjahre vergönnt haben, hat mich durchaus unfähig zum Umgang mit gehaltlosen Menschen gemacht. . . Darin bist Du milder und weicher als ich - Du kannst bei aller Tiefe in Dir Dich doch einer leeren Unterhaltung weit mehr hingeben als ich; bedenkst Du aber, wie ich durch den Umgang mit den bedeutendsten Menschen verwöhnt worden bin, so vergiebst Du mir diese Ungeschicklichkeit gewiß . . . Jch glaube nicht eitel darauf zu sein; allein ich weiß es, daß mein Umgang, meine Unterhaltung für die geistreichsten Menschen eine Quelle der Erholung ist. Wollte ich mich also dem geselligen Umgange ganz entziehen, so hieße das mein geistiges Wesen selbst verkrüppeln. Mein Geist bedarf vielfacher Nahrung, vielfacher Anregung - zwischen Dir und mir giebt es sehr wenig geistige Berührungspunkte und daher diese Dürftigkeit des Stoffes zur Unterhaltung zwischen uns, die mich drückt und ängstigt. Mich interessiert das ganze unermeßliche Reich des Gedankens, das ganze Gebiet der Litteratur, doch vorzüglich und zunächst Geschichte der Menschheit - mir ist noch nie ein kenntnißvoller, gebildeter Mann vorgekommen, mit dem ich nicht einen uns Beide interessierenden Gegenstand zur Unterhaltung aufgefunden hätte, und magst Du gleich über meine ehrfurchtsvolle Werthschätzung der Philosophie lächeln, so ist sie doch unvertilgbar in mir. Jch bedarf erhabener Jdeen, um mein mattes Herz zu kräftigen, um mir Flügel zu geben, die mich über das Erdenleid und den Erdenschmutz emporheben - ich höre gern Männer über solche Gegenstände reden - es thut mir wohl, mich mit meiner Sehnsucht und den Ahnungen meiner dürstenden hoffenden Seele um einen höheren Geist, wie Epheu um die Ulme, zu ranken . . . Jch fühle es, ich müßte in keiner Beziehung ich sein, ich müßte durchaus und entschieden das, was alle meine Freunde und ich selbst auch als das Bezeichnendste und Beste meines Wesens achten, von mir sondern, um so zu sein, wie Du wünschest, daß

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ich sein möge, und das kann ich nicht und möchte es auch nicht wenn ich es könnte; denn woher sollte mir Ersatz kommen? . . . Liebste Amalie, wir können Beide nicht anders sein und werden wie wir nun einmal sind; aber wir lieben uns und wollen Beide das Gute. Laß uns also in Liebe und Frieden unsern gemeinschaftlichen Weg fortsetzen, ohne Klage, ohne Belehrungssucht, jede an der Anderen ehrend, was ihr fremdartig ist. Vielleicht macht es Dir doch noch einst Freude, an meinem geistigen Leben und den Freuden meines Umganges theilzunehmen und Du wirst mich dann auch in dem, was ich nicht aufgeben und entbehren kann, verstehen. So viele Menschen haben Freude an mir, so viele finden mich warm und liebevoll und nur Du, die Liebevolle, die wahrhaft Gute, Du solltest Recht haben über mich zu klagen? - Das verhüte Gott! Es quält mich unendlich, daß ich Dich nicht glücklich mache - das Uebel liegt eben in meiner Gesinnung, nicht in der That - über die letztere bin ich Herr - allein was die erstere anbelangt, kann Gott selbst wohl die Form zerbrechen, doch ohne mich zu vernichten nicht ändern, daß ich Jch bleibe. - Auch habe ich mich Dir von dem ersten Augenblick unserer Bekanntschaft an nie anders gezeigt."

Damit war wieder ein Faden abgerissen, an den Fanny einen dauernden Lebensplan anzuknüpfen gedachte, und das bedrückte ihre Seele um so schwerer, als nun auch die zwei Jahre zu Ende giengen, die Hitzig für die Erziehung seiner Stieftochter durch Fanny bestimmt hatte. Die Schwester Betty wurde damit überflüssig und nahm die Stelle einer Gesellschafterin an. Was aber sollte Fanny beginnen? Diese Frage legte sich auch Hitzig vor; er bat Fanny, ihm persönlich seine Tochter zurückzubringen, sie wollten dann gemeinsam überlegen, was zu thun sei. Das Ergebniß dieser Ueberlegungen war, daß Fanny im Frühjahr 1820 nach Dresden zu Helmina v. Chézy gieng, zu der sie freundschaftliche Beziehungen aufrecht erhalten hatte und mit der sie um diese Zeit "Jduna. Schriften deutscher Frauen" (1820) herausgab.

Helmina hat später, als sie ihre Denkwürdigkeiten schrieb, die zwei Jahre nach ihrem Tode (1858) unter dem Titel "Unvergessenes" herausgegeben worden sind, sich sehr hart über Fanny ausgesprochen. "Jch hatte bei Eduard Hitzig", heißt es dort (Bd. II, S. 239 f.), "die beliebte Schriftstellerin Fräulein Fanny Tarnow kennen gelernt. Franz Horn nennt sie in seinem vielverbreiteten Werke über ,Deutsche Litteratur', und zwar zumeist wegen ihren Romans ,Thorilde von Adlerstein', eine

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nothwendige Schriftstellerin, Fanny Tarnow hat bekanntlich im Fach der kleinen Romane Ausgezeichnetes geleistet, dessen hat Franz Horn nicht erwähnt, dagegen die ,Thorilde von Adlerstein' sehr hoch gestellt. Fanny Tarnow ist eine der wenigen Personen, von denen ich mich wegwenden mußte, weil ich nichts in ihnen fand, was ihre störenden Eigenschaften versöhnend ausgewogen hätte. Jch will sie nicht schildern; ihr Bild kann Diejenigen, welche sie nicht kennen, nicht in hohem Grade interessiren, und denjenigen, welche sie kennen, würden ihre Züge nichts Neues bezeichnen. Es sind nun bald vierzig Jahre, daß ich sie kennen lernte und mich von dem Zauber ihrer Beredsamkeit hinreißen ließ. Jch trug sie wie ein Kleinod im Herzen. Jch möchte ihre Briefe, die ich noch besitze, 1 ) mit einem süßen Saft vergleichen, dessen Bestandtheile man nicht kennt und ohne Untersuchung hinunterschlürft."

Im Frühjahr 1820 stand die Freundschaft der beiden Damen noch in voller Blüthe. Helmina hatte sich, wie sie selbst sagt, unbeschreiblich gefreut, als Fanny ihr die Absicht ankündigte, sich mit ihr zusammenzuthun, sie hatte sogar, um der Freundin die Reise zu ermöglichen, namhafte Opfer gebracht, denn Fanny war wieder einmal ohne Mittel. Sie wohnte bei Helmina, wurde von dieser "gebührendermaßen zur Schau geschleppt", genoß mit ihr vereint, was Dresden an Schönheiten der Natur und der Kunst bot, und als Helmina bald darauf einen Sommeraufenthalt in Schandau nahm, begleitete Fanny sie dorthin. "Wir hatten", erzählt Helmina, "eine sehr freundliche Wohnung, ganz von Waldung umgeben, am Eingang des Kirnitzschgrundes, der heue schmale Fluß strömte an dem Fenster vorbei und spiegelte den Kirchthurm und die Tannenhügel an seinem Ufer anmuthig ab . . . Unser Wohnhaus stand angelehnt am Waldhügel, so daß wir gemächlich aus den Fenstern in den Wald gehen konnten." In dieser Umgebung fühlten sich die Freundinnen außerordentlich wohl, sie theilten ihre Zeit zwischen weiten Wanderungen durch die schönen Thäler der Sächsischen Schweiz und dichterischen Arbeiten: Helmina hatte eben "Die drei weißen Rosen" gedichtet, Fanny den "Connetable von Montmorency" geschrieben und schon giengen sie, jede in ihrer Weise, mit neuen


1) Die Briefe scheinen später doch vernichtet zu sein, wenigstens befindet sich, wie mir Herr Dr. G. Meisner freundlichst mittheilt, unter den überaus zahlreichen an Helmina gerichteten Briefen, die mit ihrem Nachlaß vor einigen Jahren von der Litteraturarchiv=Gesellschaft in Berlin erworben wurden, keiner von Fanny Tarnow.
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Plänen um. Die gesellschaftlichen Verhältnisse waren zwar einfach, denn Schandau war noch nicht wie heute ein großer Badeort und eine berühmte Sommerfrische, aber angenehm, die Honoratioren des Städtchens wußten die Ehre, zwei vielgenannte Schriftstellerinnen unter sich zu sehen, zu würdigen, luden sie zu ihren kleinen Festen und überhäuften sie mit Artigkeiten, was Fanny aber nicht hinderte, in ihrem Tagebuch ein boshaftes Wort eines Bekannten zu verzeichnen, der behauptet hatte: sie sei in Schandau ein Gegenstück zu Apollo unter den Schäfern, nämlich Minerva unter den Gänsen.

Das schöne Verhältniß zwischen Fanny und Helmina blieb nicht lange ungetrübt. Helmina's oft so wunderliches Wesen, ihre unglückselige Gabe zu verletzen, ihre Rücksichtslosigkeit auf mancherlei Vorschriften des gesellschaftlichen Herkommens - lauter Eigenschaften, die ihr eigener Sohn ihr nachsagt -, wohl auch litterarische Eifersüchteleien, das Alles mag zusammengewirkt haben, kurz, nach einer heftigen Szene zwischen Fanny und Helmina verließ Fanny die gemeinsame Wohnung, ließ ihre Siebensachen durch einen Träger abholen und miethete sich in einem andern Hause ein. Nach einiger Zeit vermißte sie ihr Tagebuch, in welchem sie ihre intimsten Gedanken niederzulegen pflegte, ihre Erlebnisse verzeichnete, sich über die Personen, mit denen sie in Berührung trat, in wohlwollender oder auch abfälliger Weise äußerte. Das Buch wurde gesucht und wieder gesucht, aber nicht gefunden. Da erfuhr Fanny, daß Helmina in einem kleinen vertrauten Kreise aus einem ihr wohlbekannten roth eingebundenen Buche vorgelesen und das Gelesene mit nicht sehr wohlwollenden Kommentaren begleitet hatte. Kein Zweifel: Helmina, bei der nach dem Zeugniß ihres Sohnes die Neugier eine wahre Leidenschaft war, die nichts verschweigen konnte und der ein erschnapptes Geheimniß vollends für gute Beute galt, hatte sich Fanny's Tagebuches bemächtigt, sei es durch Erbrechen von Fanny's Schreibtisch, wie diese behauptet hat, oder auf irgend eine andere Weise, und hatte den Inhalt des Buches unberufenen Augen preisgegeben. 1 ) Durch Vermittelung des Predigers an der reformirten Gemeinde in Dresden, Girardet, der in Schandau einen Sommeraufenthalt genommen hatte, kam sie zwar wieder in den Besitz ihres Eigenthums und hatte die Genugthuung, daß Helmina's Vertrauensbruch die schärfste Ver=


1) Vgl. die Darstellung dieses Ereignisses bei Wilhelm Chezy: Erinnerungen aus meinem Leben, 1. Buch, Schaffhausen 1863, S. 213 ff.
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urtheilung fand, daß man Fanny mit verdoppelter Freundlichkeit begegnete und der Kreis ihrer Bekannten sich immer mehr vergrößerte. Aber um das rechte Behagen war es doch geschehen. Beide Frauen flohen sich nun geflissentlich, aber in dem kleinen Orte konnten sie sich doch nicht ganz vermeiden, und jedes zufällige Zusammentreffen erhöhte dann die Mißstimmung.

Mit dem Vorrücken der Saison kamen allerhand Bekannte, auch Hitzig verweilte längere Zeit in Schandau. Als er wieder abgereist war, schrieb Fanny in ihr Tagebuch: "Jch tauge heute zu nichts in der Welt, ich kann nicht lesen, nicht schreiben, nicht arbeiten. Eine Stelle aus den Blättern, die ich jetzt für junge Mädchen schreibe, liegt mir sehr im sinn: ,Fühlst Du, daß die Liebe Dich lau und unfähig macht zum Gebete, daß das Bild des Geliebten der Götze jeder Deiner einsamen Stunden wird, so sei fest überzeugt, daß Deine Liebe das Unglück Deines Lebens gründet.' Dem Gesetze Gottes ist es nicht entgegen, zu lieben und Liebe zu suchen; nur Menschensatzungen sind es, welche hier hemmend ihre Linien ziehen. Willig würde ich mein Leben in Dresden mit allen seinen Kunstgenüssen, dem Kreise zahlreicher Menschen, den Huldigungen, die mir dargebracht werden, aufopfern und in diesem einsamen Thale leben, mit Jemand, dessen Herz mir gehörte, der durch das meinige beglückt sein sollte. Vielleicht ist es eine Jllusion - vielleicht nur ein schöner Traum - vielleicht blüht uns Frauen kein solches Glück auf Erden, wie wir es in unserer Sehnsucht danach hoffen; allein wo ist die Gewißheit, daß es kein solches gibt? Und nun die Furcht, es versäumt zu haben!" "Jch will nun wieder fleißig arbeiten", heißt es an einer anderen Stelle, "und einsam spazieren gehen. Das stimmt mich wehmüthig, verleiht mir aber mehr innere Ruhe." so gieng sie denn mit vermehrtem Eifer wieder an ihr Schriftstellerisches Tagewerk. Die "Erinnerungen aus Franziska's Leben", die sie natürlich "mit tausend Thränen" niederschrieb und von denen sie sagte: "Sie sind aus meinem innersten Leben und Empfinden genommen", in denen man aber doch sehr mit Unrecht eine Autobiographie hat erblicken wollen, wenngleich man in zwei Hauptpersonen der Erzählung unschwer Fanny's Mutter und Hitzig wiedererkennt, entstanden damals. Um dieselbe Zeit hatte sie die Freude, berichten zu können, daß die Rein'sche Buchhandlung in Leipzig eine Sammlung von Erzählungen, schon Gedrucktes mit Neuem vermischt, in Verlag nehmen wolle; die vier Bändchen erschienen demnächst unter dem Gesammttitel "Lilien" (1821-1823). "Gott hat mir wiederum

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geholfen", schrieb sie, "das sichert meine Existenz auf die beiden nächsten Jahre, und wie viel ist eine solche Gewißheit werth!"

Als der Herbst ins Land kam, verließ Fanny Schandau und ließ sich in Dresden nieder. Der Abschied wurde ihr trotz allem, was sie erlebt hatte, nicht leicht: "Liebes, liebes Schandau", meinte sie, "werde ich dich wiedersehen? Mit dankbarer Erinnerung Scheide ich von deinen Thälern, deinen Felsen, deinen quelldurchrauschten Gründen, deinen gutmüthigen Bewohnern! . . . Der Tag ist herrlich - in Duft und Schimmer glüht alles zum Abschied noch einmal. Ahnungen ziehen durch meine Brust, Ahnungen der Zukunft. Was wird, was kann Dresden mir bringen? Zerstreuungen, Genüsse, Erfolge? Jst das aber Glück - jenes Glück, wie es ein Frauenherz bedarf. Sucht, ewig sucht, und wenn nicht gefunden, ewig vermißt?"

In Dresden miethete sich Fanny eine bescheidene Wohnung. Der "Dreßdner Adreß=Calender" auf das Jahr 1823 verzeichnet sie als in der Moritzstraße wohnhaft. In den größeren Dresdener Verhältnissen konnte sie Helmina leichter aus dem Wege gehen, und 1823 siedelte diese ohnehin nach Wien über.

Bis zum Jahre 1829 hat Fanny in Dresden gelebt. Es war vielleicht ihre beste Zeit. Schon vor der Schandauer Reise war sie durch Helmina in die litterarischen und künstlerischen Kreise Dresdens eingeführt, hatte Einlaß gefunden in diejenigen aristokratischen Zirkel, die Werth legten auf den Verkehr mit Schriftstellern und Künstlern, und wußte sich in dieser Umgebung nicht nur zu behaupten. Sondern Anerkennung zu verschaffen. Zwar waren es keine Geister ersten Ranges, die sich in Dresden zusammengefunden hatten; außer Ludwig Tieck, der sie alle überragte, und vielleicht noch Christoph August Tiedge, dem vielgefeierten Sänger der "Urania", giengen sie über die behagliche Mittelmäßigkeit nicht hinaus. Aber es war ein angeregter geselliger Kreis, der diese gewandten federfertigen Talente umschloß: Leute, wie Graf Heinrich v. Loeben, der unter dem Namen Isidorus Orientalis mancherlei in Vers und Prosa geschrieben hatte und neben Fouqué der allseitigste Vertreter der neuesten Romantik war; Ernst v. d. Malsburg, der feinsinnige Uebersetzer Calderon's und Lope's; Karl Förster, der als Dichter wie als Uebersetzer des Petrarca und Tasso ein nicht unbedeutendes Formtalent zeigte; der Konferenzminister Gottlob Adolf Ernst v. Nostitz, in der schönen Litteratur als Arthur v. Nordstern bekannt, "ein Lyriker und Epiker von Phantasie, Vielseitigkeit des Geistes, schöner und reiner Empfindung und

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Feinheit des Geschmacks"; Friedrich Kind, von dessen Dichtungen heute wohl nur noch das Textbuch zum "Freischütz" bekannt ist; Graf Friedrich v. Kalkreuth, der mancherlei im romantischen Ton geschrieben hat; Wilhelm v. Schütz, "als Dichter und Aesthetiker auf den Bahnen Friedrich Schlegel's wandelnd und die Ueberschwänglichkeit der jüngeren Romantiker noch überbietend"; der Lutspiel= und Vaudevilledichter und Kritiker Theodor Winkler, bekannt unter dem Pseudonym Theodor Heu; Karl August Böttiger, der geraume Zeit hindurch wenn auch nicht der bedeutendste, so doch der bekannteste Kunstgelehrte in Deutschland war, u. A. Und neben den Schriftstellern standen Karl Maria v. Weber, die Malerinnen Gräfin Julie Egloffstein, Goethe's Liebling, und Therese aus dem Winkel, die zugleich Virtuosin auf der Harfe war, und ein Kranz vornehmer geistvoller Frauen, wie Tiedge's Herzensfreundin Elise v. d. Recke, Frau v. Quandt, die Gräfinnen Dohna, Finkenstein, Jaraczewska. Daß es an interessanten fremden Besuchern nicht fehlte, braucht nicht hervorgehoben zu werden; mit Rochlitz konnte Fanny alte Beziehungen erneuern, Friedrich Schlegel, Jean Paul, Wilhelm Müller, die unglückliche Dichterin Luise Brachmann lernte sie kennen.

Das ungefähr waren die Menschen, mit denen Fanny verkehrte. Einen gemeinschaftlichen Mittelpunkt bildete der "Liederkreis", ein litterarisch=geselliger Verein, der alle 14 Tage sich versammelte um sich die neuesten Erzeugnisse seiner Mitglieder oder Gäste vortragen zu lassen. Auch hier fand Fanny Eingang, sie las zuerst ihre "Eudoria" vor. "Jch war", berichtet ihr Tagebuch, "als ich mich niedersetzte, so furchtsam, daß ich das Blatt nicht in der zitternden Hand zu halten vermochte. Allmählich wurde meine Stimme jedoch sicher, ich las gut und erhielt ausgezeichneten Beifall."

Es gab für Fanny jetzt wieder, wie einst in Petersburg, Wochen ununterbrochenen Genusses: Diners, Soireen, Konzerte, Theater, Dilettantenaufführungen, bei denen sie mitwirkte; sie freute sich der Aufmerksamkeiten, die man ihr mit Einladungen und Besuchen erwies, freute sich jeder Art der Huldigungen und vergaß nicht anzumerken, daß "die Hasse" jetzt ihr Portrait male, 1 ) daß bei einem Feste des Liederkranzes der Minister


1) Wer "die Hasse" war, habe ich nicht ermitteln können; vielleicht eine Familienangehörige des Fr. Chr. Aug. Hasse, der 1803-1828 Professor am Kadettenhause in Dresden war. S. Allgem. deutsche Biographie, Bd. 10, S. 754. - Das lebensgroße Oelbild Fanny's ist jetzt im Besitz ihrer Nichte, der Stiftsdame Fräulein Fanny Bölte; eine Nachbildung desselben ist diesen Blättern beigegeben.
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v. Nostitz sie zu seiner Dame erwählt, daß Graf Egloffstein und Tieck ihr die Hand geküßt hatten. Sie machte einzelne Ausflüge und Reisen: zu einer Freundin, der Frau von Zobeltitz auf Eichow bei Cottbus, und verzeichnete, mit wie viel Aufmerksamkeit man sie in der Lausitz aufgenommen habe; im Herbst 1821 nach Teplitz, wo sie mit Varnhagen von Ense und seiner Rahel zusammentraf, im Hause des Fürsten Clary die große und vornehme Welt sah und wiederum manches Angenehme erfuhr; 1822 zu Hitzig nach Berlin auf einige Wochen, die ihr in anregendstem Verkehr und in lebhaftester Geselligkeit im Umsehen verrauschten; um die Wende der Jahre 1825/26 nach Frankfurt und Weimar, wo sie über viele interessante Bekanntschaften berichten konnte und wie sie an letzterem Orte "durch die Bitten einer mich mütterlich liebenden Frau, der Oberkammerherrin v. Egloffstein, drei Wochen lang festgehalten wurde". Aber schon fand Fanny wohl: "Das gesellige Leben ist mir zuweilen zu lustig, es sind der Einladungen zu viele," und ein anderes Mal: "Diese Zerstreuungen tödten mein Talent." Sie zog allmählich kleine Kreise den rauschenden Festlichkeiten vor; über einen Abend bei Tieck schrieb sie zufrieden: "Es war recht angenehm und nur wenige Menschen, so daß man dazu kam mit Tieck zu sprechen und ihn sprechen zu hören." Sie hatte sich für ihre bescheidene Wohnung dieses und jenes kleine Hausgeräth angeschafft, sah jeden Sonnabend Abend ein paar nähere Bekannte bei sich und begleitete einmal die Notiz, daß Tieck, Frau v. Quandt und Gräfin Egloffstein bei ihr Thee getrunken hätten, mit der Bemerkung: "Es ist nirgends so gemüthlich wie bei mir."

Beruhigt würde sich Fanny diesem Eindruck des Behagens und der Gemüthlichkeit haben hingeben können, wenn nicht oft genug bald leise bald lauter die Sorge bei ihr angeklopft hätte. Sie sollte ihre sämmtlichen Bedürfnisse vom ersten bis zum letzten Pfennig von dem bestreiten, was ihre Feder ihr einbrachte, und das war nicht immer leicht. Sie mußte sich mehr als einmal eingestehen, daß sie Schulden habe, und sann und rechnete, wie sie diese durch gesteigerten Fleiß abtragen könne. "Jch habe kein Geld und werde auch vor dem Schluß der Messe nichts erhalten," klagt sie einmal, "so muß denn Manches unterbleiben, was ich sonst gern thäte." Eine gesicherte Existenz war ihr heißer Wunsch; "eine bestimmte jährliche Einnahme von 200 Thalern" schien ihr dazu genügend: "vielleicht hilft Gott mir auch dazu noch," schrieb sie. Diese Hoffnung sollte sich

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vorläufig nicht erfüllen. Zwar fanden sich Freunde, die ihr dann und wann großmüthig über dringende Verlegenheiten hinweghalfen, aber ein sorgenfreies Leben vermochten ihr Einzelne auf die Dauer nicht zu bieten, Fanny blieb nach wie vor auf ihre eigene Kraft angewiesen, und diese fühlte sie allmählich erlahmen. "Wie ängstigt mich diese Armuth an produktiver Kraft!" Schrieb sie in ihr Tagebuch. Mit Angst und Sorge merkte sie, daß nach und nach "eine grenzenlose Unlust zum Schreiben" sie beschlich, und was sollte werden, wenn diese einzige Quelle des Erwerbes ihr versiegte?

In diesen Aengsten richtete sich ihr Blick mehr und mehr nach innen. Das hatte sie nicht immer geliebt. "Jn sich selbst darf man auch nicht viel blicken", schrieb sie noch in der Dresdener Zeit, "besser, man gleitet darüber hinweg." Aber daß sie so dachte und empfand, wollte ihr selbst immer weniger gefallen. Noch hieng sie mit allen Fasern am Leben, sie wußte es, aber in diese Erkenntniß mischte sich doch hie und da ein Gefühl des Bedauerns darüber, daß es so sei. "Jch bin mit dem Leben mehr und inniger befreundet, denn je," bekannte sie. "Der gesellige Verkehr tritt zwischen Gott und mich und schadet meiner Seele; dennoch kann ich ihn nicht entbehren. Jch vergeude manche schöne Stunde, mein innerer Friede leidet dabei, und dennoch setze ich dies Spiel der Eitelkeit fort. Soll mich das nicht verdrießen?" "Es ist nicht mehr der rechte Ernst in mir, ich verlerne das leise Aufmerken auf das Flüstern des Gewissens." "Alles gut und angenehm in diesen Tagen, welche Rechenschaft soll man aber einst Gott von solchem Leben ablegen?" So stritten die Lust an der Welt und das Erkennen der Nichtigkeit des weltlichen Treibens in ihrer Seele. Wenn schließlich ihr Gottverlangen sich durchrang und nach schweren Kämpfen den Sieg behielt, so scheint das wesentlich dem Einfluß der Erbgroßherzogin Auguste von Meklenburg=Schwerin zuschreiben zu sein. Wann und wo Fanny's Beziehungen zu dieser bedeutenden und frommen Frau sich knüpften, vermag ich nicht zu sagen; auf mehr als flüchtige Berührungen deuten und tiefgreifende Einwirkungen der Prinzessin auf Fanny's Seelenzustände bekunden zwei erst kürzlich aufgefundene Briefe von ihrer Hand 1 ) an die Erbgroßherzogin, aus deren zweitem vom 25. Februar 1829 hier einige Stellen mitgetheilt seien:

"Jn meinem Herzen lebt die Ueberzeugung, daß der frommen Jüngerin unseres Heilands, an die ich diese Zeilen zu richten


1) Jetzt in der Regierungs=Bibliothek zu Schwerin.
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wage, das Heil meiner Seele nicht gleichgültig geworden ist und daß ich mich ihr in der Gemeinschaft des Glaubens und des Strebens getrost nahen darf, so groß auch für das äußere Leben die Kluft ist, die uns scheidet. Jhnen, verehrteste Herzogin und Frau, Jhnen allein danke ich nächst Gottes Gnade und durch diese, das unaussprechliche Glück, Zuversicht und Glauben an meinen Erlöser gewonnen zu haben. Oft habe ich den Wunsch empfunden, Jhnen von der Umgestaltung meines inneren Lebens und der allmählichen Entwickelung desselben Nachricht zu geben und es Jhnen auszusprechen, mit welchen heißen Dankesthränen, mit welcher Inbrunst ich Jhrer oft segnend und dankend vor Gott im Gebete und in einsamen Stunden stiller Sammlung gedacht habe - allein auf dem Wege, den ich geführt worden bin, war es mir viele Monate lang unmöglich Schreiben zu können. Auch jetzt kehrt mir erst auf einzelne Stunden die Fähigkeit dazu zurück, und von dem Vielen, Vielen, was ich Jhnen so gerne sagen möchte, wird nur Weniges Wort werden."

"Sie wissen um meinen früheren Seelenzustand - ich sehnte mich, klagte, irrte, fühlte daß ich nicht auf dem rechten Wege sei, daß alles das, was ich Tugend, Weisheit, Religion nannte, nicht ausreichte für die namenlose Sehnsucht meines Herzens nach einem unbekannten Etwas, von dem ich ahnend fühlte, es sei das Eine, was Noth sei. - Die Botschaft war an mich ergangen, aber der Glaube fehlte - da führte mich Gott Jhnen zu. Sie kamen mir mit der erbarmenden Liebe einer ächten Jüngerin des Heilands entgegen, und Gottes Gnade ließ Jhre Worte Eingang in mein Herz finden. Doch das Saatkorn konnte die harte Rinde nicht durchdringen, ich ahnte, wie unaussprechlich es beseeligen müsse, an den Herrn zu glauben und ihn zu lieben über alles, die Welt zu lassen, um sein zu werden mit allen Trieben, Wünschen und Hoffnungen - ich hatte auch Augenblicke, in denen meine Seele sich ihm zu nähern vermochte in einer ganz unaussprechlichen Freude und Andacht, von der ich mit vollster Verstandesklarheit fühlte, daß es etwas viel Höheres und Zuversichtlicheres mit ihr sei, als mit allem, was irdische Weisheit und natürliche Religion zu geben vermochten - doch diese Augenblicke erhellten nur flüchtig mein Dasein, und es zogen dann wieder schwere trübe Wolken auf, die alles um mich her finster machten und mich der Pein des Trotzes und der Verzagtheit preisgaben; ich konnte es nicht fassen, daß ich mich nicht frei fühlte von der Gewalt der Sünde, daß der Wille, der

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sich gläubig zu ihm gewandt hatte, wieder abzuweichen vermochte, daß Christus, wenn er mein Herz zu seinem Tempel eingeweiht hatte, nun noch die Verkäufer darin duldete. - Jch versündigte mich schwer - da sandte Gott mir Leiden mancherlei Art - ich wurde lahm, und davon geheilt verlor ich den Gebrauch meiner Augen - in der kurzen Zeit von fünf Wochen versank in sechs Gruben fast Alles, was ich auf dieser Erde am meisten geliebt hatte - ich mußte viel Unrecht erdulden - durch meine Krankheit außer Stande, mir mein Brot länger erwerben zu können, verarmte ich allmählich und hatte mit dem Druck von Nahrungssorgen zu kämpfen - durch alle diese Schmerzen von der Welt gewaltsam losgerissen, wandte sich das Auge, das bisher von ihr festgehalten worden war, nun auf mich selbst, die künstliche Färbung schwand, ich sah mich wie ich war, und entsetzte mich vor dem Verderben, vor der Sündhaftigkeit meines ganzen Wesens - ich erkannte, wie tief ich gefallen war und schrie in dieser hülflosen Noth zu Gott um Rettung und erkannte erst jetzt ganz, wie ich, ohne eine Erlösung durch Christi Blut, auf keine Gnade hoffen dürfe. - Jch habe in diesem Seelenzustand viel Jammer durchfühlt - aber es zogen durch diese Erkenntniß meines Elendes Ahnungen himmlischer Liebe und Gnade und sie umleuchteten mich heller und heller und ich weiß es jetzt, ich glaube und empfinde es mit jeder Ader meines Herzens: ich bin erlöset! ich darf ihn, den Sohn Gottes, ihn an den meine ganze Seele glaubet und allein auf ihn hofft, meinen Heiland, meinen Erretter und Erlöser nennen. Jeder andere Bewegungsgrund zum Guten, jeder andere Antrieb zur Besserung gilt mir nichts mehr gegen die heilige Macht der Liebe zu dem versöhnenden Jesus. Jch möchte laut jauchzen, indem ich diese Worte Schreibe und kann doch nur verstummen, weinen und anbeten." . . .

"Könnte ich doch statt dieses Briefes meine Seele vor Jhnen ergießen! Könnte ich doch Jhre Hand fassen und sie mit Thränen meines Dankes benetzen und an Herz und Lippen drücken! - Aber wenn wir uns einst dort vor dem Thron der Herrlichkeit wiedersehen und ich es dort vor unserm Herrn laut ausrufen und bekennen werde: Diese, o Herr, hat meine Seele gerettet! Diese hat mich gelehrt Dich zu suchen und Dich zu lieben! - dann - o dann! -"

Ein Stück Lebens= und Leidensgeschichte enthüllt uns dieser Brief. "Nur den Schmerz fürchte ich noch, und die Noth und das Unglück" hatte Fanny vor nicht langer Zeit in ihr Tage=

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buch geschrieben - nun war ihr auch davon ein redliches Theil geworden. Das Leben in Dresden war ihr allmählich verleidet. Sie hatte dort als Schriftstellerin und als Weltdame geglänzt - nun, da ihre Kraft zum Schaffen im Schwinden, da sie gebrechlich und innerlich eine andere geworden war, trieb es sie fort. Sie hatte schon 1828 daran gedacht, sich in Herrnhut niederzulassen, "nicht als Mitglied der Gemeine", wie sie schrieb, "aber ich würde dort unter Christen leben, würde ungestört dort aufmerken können auf den leisesten Ruf meines Herrn und hoffe auch mich dort durch die Stille und Einfalt des äußeren Lebens in Erkenntniß und Liebe gefördert zu fühlen." In Herrnhut aber verlangte man als Vorbedingung der Erlaubniß zur Niederlassung den Nachweis eines bestimmten Einkommens, und den konnte Fanny nicht erbringen. Auf Rath des Oberlanddrosten v. Lehsten in (Schwerin, der in dritter Ehe 1824 eine Jugendbekannte Fanny's, Susanna v. Both, geheirathet hatte, wandte sie sich mit einem Gesuch um Verleihung eines Jahrgehaltes an den Großherzog Friedrich Franz von Meklenburg, aber dieser Bitte scheint nicht willfahrt worden zu sein, denn Fanny gieng nicht nach Herrnhut. Dagegen regten sich nun ihre Freunde in Dresden und Leipzig: sie veranstalteten eine Subskription auf eine "Auswahl aus Fanny Tarnow's Schriften" und - ein Beweis dafür, welcher Beliebtheit sich Fanny als Erzählerin erfreute - diese Subskription hatte einen solchen Erfolg, daß der Verfasserin die Summe von 5000 Thalern eingehändigt werden konnte. Außerdem setzte ihr ein damals in Dresden lebender Freund, der Engländer Charles Wigram, eine Rente von 50 Thalern aus.

Wir sahen, wie Fanny über das Nachlassen ihrer Erfindungskraft zu klagen Grund hatte. Ihre Schriftstellerische Thätigkeit war von je her von ihrem eigenen Leben und Empfinden ausschließlich bestimmt worden, und als sie keinen Stoff mehr behandeln konnte, in den sie nicht Selbsterlebtes hineinzulegen vermochte, sah sie schließlich davon ab, mit eigenen Schöpfungen hervorzutreten. Im Vorwort zu der "Auswahl", die in 15 Bänden 1830 in Leipzig erschien, nahm sie Abschied vom Publikum. "Mit wehmuthsvoller Rührung", heißt es darin, "sehe ich jetzt am Ende meiner schriftstellerischen Laufbahn auf diese Erzählungen zurück, welche ich als ein Vermächtniß der Dankbarkeit und der Liebe in die Hände der mir Wohlwollenden und Befreundeten lege, die sich für die Beförderung ihrer Herausgabe mit eben so edler als mich ehrender Theilnahme verwendet haben. Wie gern hätte ich Manches darin geändert!

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Wie Vieles scheint mir einer Verbesserung benöthigt! Aber ein ganzes Leben liegt zwischen der Jugendzeit, wo ich den größten Theil derselben schrieb, und dem Zeitpunkt, wo sie jetzt wieder erscheinen, und es war mir in meiner jetzigen Stimmung nicht möglich, mich wieder in jene reiche Vergangenheit mit ihren Täuschungen, mit ihren Schmerzen und Freuden so lebhaft zurück zu träumen, daß ich in dem eigenthümlichen Geist dieser Darstellungen etwas daran zu ändern vermocht hätte. . . . Meiner Ueberzeugung nach habe ich keinen Anspruch auf dichterisches Talent zu machen. Mein Gefühl war meine Muse: daß ich tiefer und wahrer empfand als manche Andre; daß in jeder Beziehung und in jedem Verhältniß des Lebens Treue der Grundton meines Daseins blieb, gibt meinen Schriften den einzigen Werth, den sie in meinen Augen haben."

Dieses Vorwort ist aus Weißenfels datirt. Dort lebte seit einiger Zeit Fanny's Schwester Betty, die Mutterstelle an zwei verwaisten Kindern vertrat, und dorthin siedelte Fanny im Dezember 1829 über. Sie hatte gute Tage in Dresden verlebt und doch sich nie so recht von Herzen glücklich gefühlt. "So viele Menschen um mich", schrieb sie einmal, "ein so großer Kreis von Bekannten, so viele Freundlichkeit, und doch in der Tiefe meiner Seele das Gefühl dieser grenzenlosen Einsamkeit!" Aber wo wäre diese arme Seele jemals ganz glücklich gewesen, da ihr das Schicksal dasjenige Glück, welches sie am heißesten ersehnte, hartnäckig versagte?

Neben ihrer selbständigen Produktion hatte Fanny schon gelegentlich mit Beifall Uebersetzungen oder freie Bearbeitungen ausländischer Litteraturwerke veröffentlicht, und sie that sich etwas zu Gute auf diese Fertigkeit: "ich übersetze wirklich gut", heißt es in einem Briefe an Gustav Kühne, "und darf dies von mir selbst sagen, da ich das Verdienst, dies zu thun, nicht höher anschlage, als daß ich eine gute Naht genäht oder eine hübsche Stickerei gemacht hätte." Dieser Uebersetzerthätigkeit widmete sie sich in den nächsten Jahren, seit ihr schweres Augenleiden sich gebessert hatte, überwiegend, und da diese Uebersetzungen leidlich bezahlt wurden, so sah sich Fanny jetzt, wo sie in das Alter eingetreten war und von jüngeren Schriftstellern ihrer Bekanntschaft schon "Tante Fanny" genannt wurde, der Sorgen entledigt und konnte sich mit einer gewissen Behaglichkeit umgeben. Auch in Weißenfels gewann sie bald einen Kreis wohlwollender Menschen, besonders schloß sie sich mit mütterlichem Wohlwollen der Jugend an. An einem Abend jeder Woche empfieng sie junge Leute bei sich, die sich für Litteratur interessirten, und las

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mit ihnen. Zu ihren jungen Freundinnen, mit denen sie auf diese Weise verkehrte, gehörte Luise v. François, die nachmals eine große Schriftstellerin werden sollte.

Es kam mit den Jahren doch mehr Ruhe und Stille in Fanny's Seele. Sie fürchtete sich nicht mehr vor der "grenzenlosen Einsamkeit", die sie noch in Dresden empfunden hatte. "Mir ist unbeschreiblich wohl zu Sinn", schrieb sie um diese Zeit, "wenn ich so in guter Jahreszeit und in schöner Naturumgebung Tage und Wochen allein mit Gott und mit mir selbst verleben kann. Es ist um uns alle im Leben zu laut - die schönsten, feierlichsten Melodien bleiben unvernommen." Ihr quälendes Gichtleiden, zu dessen Linderung sie ab und an die Quellen in dem anmuthigen Freienwalde aufsuchte, ertrug sie mit großer Geduld. Nach einem besonders schweren Anfall ihrer Krankheit schrieb sie: "Nun ist es überstanden. Wenn Gott einem nicht das stille Glück des inneren Friedens und der zufriedenen Genügsamkeit schenkte, so wäre man zuweilen wohl übel daran; allein alle diese Dissonanzen des äußeren Lebens lösen sich für mich in einer namenlosen seeligen Stille auf, die mich auch körperlich immer wieder wunderbar kräftigt."

Wenn Fanny sich auch an größere selbständige Arbeiten nicht mehr recht heranwagte, so mochte sie doch nicht darauf verzichten, gelegentlich kleinere Aufsätze für Zeitschriften zu liefern, und diese Thätigkeit führte sie mit Gustav Kühne zusammen, den man gemeinhin dem jungen Deutschland zuzurechnen pflegt. Der hatte 1835 die Leitung der damals einflußreichen "Zeitung für die elegante Welt" übernommen und suchte sich Fanny's Mitarbeit an diesem Journal zu sichern. "Sie haben erst vor kurzem, hochverehrte deutsche Dichterin und Denkerin", so schrieb er ihr, "der ,Zeitung für die elegante Welt' einen so vortrefflichen Beitrag mit der Parallele zwischen Rahel und Bettina zugewandt, daß der Wunsch, sie zu größerer Theilnahme an dem Blatte zu gewinnen, um so lebhafter in mir entstehen mußte . . . Als Jhr gedachter Aufsatz erschien, war ich in Berlin und konnte Zeuge sein von der Wirkung, den derselbe auf die dortigen, für Rahel und für Bettina leidenschaftlich getheilten Zirkel hatte. Varnhagen ließ sich mehrere Exemplare Jhrer Abhandlung schicken und verbreitete sie, wie es seiner ausgebreiteten Connaissance möglich ist, nach allen Himmelsgegenden. Es giebt in Berlin ganze Gesellschaften, die sich einseitig und auf das Bestimmteste für Rahel oder für Bettina erklären: zur Ausgleichung solcher exorbitanten Stimmungen ist in der That Jhre feinsinnige Parallele zwischen beiden Erscheinungen

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wie geschaffen. Jch bin ein sehr eigennütziger Mensch, und so erlaube ich mir denn nochmals die ganz dringende Bitte, mir und meiner Zeitung Jhre Gunst recht reichlich zu schenken." Aus diesen geschäftlichen Beziehungen entspann sich ein lebhaft geführter Briefwechsel 1 ) und ein sehr freundschaftlicher Verkehr, der sich noch herzlicher gestaltete, als Kühne in verwandtschaftliche Beziehungen trat zu einer Freundin Fanny's, der Frau Auguste Harkort, der Gattin eines Leipziger Handelsherrn, einer hochgebildeten Frau, in deren Hause alle bedeutenden Persönlichkeiten Leipzigs verkehrten. Nicht nur von der lebendigsten Theilnahme an allen litterarischen Ereignissen zeugen Fanny's Briefe an Kühne, sondern auch eine wohlthuende Herzenswärme, eine treue Anhänglichkeit Fanny's an ihre Freunde spricht aus ihnen. Wie freut sie sich über jeden Erfolg ihres jungen Genossen, dem sie aber auch als erfahrene Rathgeberin und, wo es Noth thut, als Warnerin zur Seite tritt, wie sie denn einmal dem heißspornigen Kritiker die beherzigenswerthen Worte zuruft: "Schneiden Sie so tief Sie wollen in faules Fleisch hinein - lassen Sie aber die Lust an der Schärfe Jhres Messers und an der geschickten künstlerischen Handhabung desselben Sie nie dazu verleiten, auch in frisches Fleisch behaglich hinein zu schneiden. Jhnen sind mächtige, aber auch gefährliche Waffen anvertraut." Sie sparte dem Freunde gegenüber auch den Tadel nicht, wo sie ihn für nützlich hielt. Als Kühne später die "Europa" redigirte, schrieb sie ihm eines Tages: "Die Europa erhalte ich alle Sonntage ganz neu - sie haben sich die Sache aber auch mitunter leicht gemacht - lassen Sie es mich sagen: wohl zu leicht. Uebersetzungen französischer Erzählungen, die man gleichzeitig in 3-4 anderen Journalen fand, - Auszüge aus Büchern, die man selbst lesen wollte - darüber beklagen sich die Leser und Sie haben Recht, von Jhnen etwas Besseres zu erwarten." -

Einmal noch raffte sich Fanny zu einem größeren Werke auf. Im Jahre 1833, zwei Jahre nach Klinger's Tode, ließ sie erscheinen "Zwei Jahre in Petersburg. Ein Roman aus den Papieren eines alten Diplomaten" - anonym, weil sie sich selbst jetzt mißtraute. Als Roman betrachtet hat das Buch alle Schwächen der früheren Schriften der Verfasserin; eine Menge von Beschreibungen, Betrachtungen und Dialogen, an sich geistreich und die Schreiberin von ihrer besten Seite zeigend, sind durch


1) Einige der Briefe Fanny's an Kühne sind abgedruckt bei E. Pierson: Gustav Kühne, sein Lebensbild und Briefwechsel mit Zeitgenossen. Dresden und Leipzig 1890. Eine große Anzahl derselben besitzt Fräulein Fanny Bölte, die mir die Benutzung freundlichst gestattet hat.
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den losen Faden einer nicht eben spannenden Erzählung verbunden. Trotzdem brachte das Werk es zu einer zweiten Auflage, die dann 1848 unter dem Namen der Verfasserin erschien.

In dem "Zum Lebewohl an alle mir Wohlwollende" überschriebenen Vorwort der zweiten Auflage trat Fanny "mit ernster Wehmuth aus der stillen Abgeschiedenheit von allem litterarischen Verkehr, in der ich seit Jahren lebe, noch einmal hervor. . . . Auf einer mehr denn fünfzigjährigen" - wie sie mit einiger Uebertreibung sagt - "literarischen Laufbahn ist mir so viel Liebes und Freundliches zu Theil geworden, daß ich sie nicht verlassen kann, ohne den Lesern zum Abschied ein Wort des Dankes zu sagen, die sich meiner noch aus ihrer eigenen Jugendzeit erinnern. Das Lesepublikum, zu dessen Lieblingen ich einst gehörte, hat einem jüngeren Geschlecht Platz gemacht; die Zeit ist zur dauernden Theilnahme an einfachen Darstellungen aus der Gemüthswelt zu ernst geworden; die Jugend hat jetzt andere mächtigere Interessen, andere Sorgen, Schmerzen, Hoffnungen und Jllusionen als zu meiner Zeit; mir ist aber noch keine tiefe Kluft zwischen ihr und meinem Alter fühlbar geworden, und dankbar erkenne ich die Rücksicht - ich möchte es Pietät nennen - an, mit der mehrere unserer jungen Litteraten das Andenken an eine der Lieblingsschriftstellerinnen ihrer Mütter geachtet haben. Im Alter, wo man keine Hoffnungen für das eigne irdische Dasein mehr hat und nur auf Erinnerungen beschränkt ist, bedarf man mehr als in irgend einem früheren Zeitpunkte des Lebens der Kräftigung durch große Jdeen, und die Begeisterung für altes schöne und Große, die seit frühester Jugend die Seele meines Daseins war, ist für mich noch nicht versiegt und ich hoffe, daß sie bis zu meiner Todesstunde mir wie ein vermittelnder Pulsschlag mit den edlen Bestrebungen und Dichtungen der Neuzeit treu bleiben wird. Jch bin alt geworden, allein mein Herz bewahrt noch die Kraft zu glauben, zu hoffen und zu vertrauen, und so verklärt sich mir das Abendroth meines Lebens zum Morgenroth einer schöneren Zukunft für Deutschland und seine Söhne und Töchter."

Diese Worte schrieb Fanny in Dessau, wo sie seit dem Frühjahr 1842 ihren Wohnsitz genommen hatte. Als ihre Schwester Betty ihr Erziehungswerk in Weißenfels beendet hatte und nach Berlin gegangen war, um bei Hitzig's Enkeln, den Kindern des Generals Bayer, gleiche Pflichten zu übernehmen, mochte auch Fanny nicht in Weißenfels bleiben. Zwanzig Jahre noch hat sie in Dessau gelebt. Ihrer Feder gönnte sie nun Ruhe, im Jahre 1846 erschien die letzte ihrer Uebersetzungen.

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Allmählich wurde es still um sie her. 1855 schrieb sie an Kühne: "Ach Lieber, sie thun wahrlich ein gutes Werk, wenn sie mich wieder mit einiger Lektüre versorgen. Jch lebe ganz abgeschieden von der Welt, habe gar kein Geschick mehr zu alltäglicher Gesellschaftskonversation und bin in mir ganz heiter und zufrieden, wenn ich einsam bin und zur Abwechselung von ernster Geistesnahrung etwas Leichtes, Anmuthiges lesen kann." Ihr Gichtleiden fesselte sie mehr und mehr ans Zimmer; "ich muß mich darauf gefaßt machen", schrieb sie im Juni 1858, "ganz contract zu werden. . . . Ach wie sehne ich mich oft hinaus - wie herrlich müßte es sein, in diesen schönen Abenden einmal im Freien den Nachtigallen lauschen zu können." Aber sie murrte nicht, in ihr war Ruhe geworden: "Nie kann ich es dankbar genug anerkennen, welcher stille schöne Friede mich beglückt." Fanny hatte in Dessau die "heimliche Sterbestätte" gefunden, die zu suchen nach ihren eigenen Worten jedes lebende Wesen durch das Naturgesetz, durch den Instinkt angetrieben wird. Als am 20. Juni 1862 1 ) ein Gehirnschlag ihrem Leben ein Ende machte, war wohl auch ihr "der Tod nur die höchste, letzte Gabe des Vaters, der Bote, der die mühebeladene Seele emportrug zur himmlischen Freiheit" - so hatte sie einst an Kühne geschrieben. An ihrem Sterbelager stand die getreue, Betty, die inzwischen die Gattin des Kriegsraths Kauffmann in Berlin geworden war. Das kleine Kapital, welches seinerzeit für sie zusammengebracht worden war, hatte Fanny, seit ihre schriftstellerische Thätigkeit abgeschlossen war, ziemlich aufgezehrt; der Rest desselben und eine Spende der Schillerstiftung zu ihrem letzten Weihnachtsfeste reichte aus, um die Kosten der Beerdigung zu decken. Das Sandsteinkreuz auf ihrem Grabe ließ Mr. Wigram errichten.

Als eine "Verschollene" hatte sich Fanny in dem Vorwort zu den "Zwei Jahren in Petersburg" nicht mit Unrecht bezeichnet. Ihr Tod gieng ganz unbemerkt vorüber, selbst in Dessau, dem Ort ihres Hinscheidens, widmeten die öffentlichen Blätter ihr kein Wort des Nachrufs.

Vignette

1) Die Angabe bei Goedeke a. a. O. und in der Allgemeinen deutschen Biographie Bd. 37, S. 401, daß Fanny am 4. Juli gestorben sei, ist irrig. Der 20. Juni ist gesichert durch die von Fanny's Schwester und Schwager unterzeichnete Todesanzeige im Anhalter Staats=Anzeiger 1862 Nr. 94 vom 21. Juni.
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VI.

Die Grenze des Bisthums Schwerin
gegen Kamin

Von Ort zu Ort fortschreitend beschrieben

von

Geh. Archivrath Dr. Grotefend.

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W enn ich trotz des Aufsatzes in Jahrgang 66 dieser Jahrbücher über die Grenzen des Bisthums Kammin noch einmal die Grenze des Bisthums Schwerin gegen Kammin zum Gegenstande einer eingehenden Untersuchung mache, so gebe ich hier den elften Theil einer größeren Arbeit über die geistlichen Grenzen in Meklenburg, dem hoffentlich, wenn mir die Zeit dafür bleibt, eine oder mehr der Fortsetzungen folgen werden, um so das ganze Netz dieser Grenzen, von Ort zu Ort fortschreitend, endlich einmal sicher festzulegen.

Ueber die Art der Forschung und die Quellen, auf die sie sich stützen konnte, darf ich mich in kurzem folgendermaßen äußern: Ein Bischof kann in dreierlei Beziehungen zu einem Orte stehen: 1. in privatrechtlicher als Eigenthümer oder Besitzer des ganzen Ortes, einzelner Theile davon oder einzelner Rechte daran, 2. in Staatsrechtlicher als Landesherr und als Inhaber der obrigkeitlichen Befugnisse, 3. in kirchenrechtlicher als oberster Seelsorger seines Bezirks. Die in erster Beziehung entstehenden (grundherrlichen) Hebungen eines Bischofs sind Grundlasten (census) oder Pächte (pactus, pensio) oder Renten (redditus); die in zweiter Beziehung entstehenden (landesherrlichen) Einnahmen sind die Beden (precaria, petitio, exactio), und in mehr slavischen Gegenden auch Hundekorn, Muntegeld etc. .; daneben die zahlreichen Dienste (servitia) zu gemeinem Nutzen, als

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Kriegsdienst, Burgdienst, Brückendienst etc. .; die in kirchenrechtlicher Beziehung entstehenden Gefälle sind die Zehnten (decima, auch decima episcopalis), oder in slavischen Gegenden dafür die Biskupnitza, oder denarii episcopales.

Da uns bei dem Versuche, die Grenzen der geistlichen Sprengel festzustellen, nur die kirchenrechtlichen Beziehungen interessiren, so können uns demnach von den oben aufgezählten Gefällen nur die zuletzt genannten, der Zehnte und die Biskupnitza behülflich sein, daneben alle die, Urkunden, in denen Bischöfe etwas auctoritate ordinaria, d. h., als zuständige geistliche Oberbehörde vornehmen, also kirchliche Stiftungen, Bewidmungen und Bestätigungen, Einsetzungen von Geistlichen 1 ), prozessualische Entscheidungen (sofern sie nicht auf Delegationen beruhen) und ähnliches. Hierzu treten dann noch als besonders kräftiges Beweismaterial die zahlreichen Urkunden, meist geistlichen Ursprunges, in denen durch ausdrücklichen Beisatz die Sprengelzugehörigkeit der genannten Orte festgelegt wird.

Alle Gefälle aber der beiden erstgenannten Arten sind für die Sprengelzugehörigkeit nicht maßgebend, und alle nicht auctoritate ordinaria (oder allenfalls durch einen Stellvertreter accedente consensu ordinarii) vorgenommenen geistlichen Handlungen sind ebenfalls für die Diöcesangrenzen nicht beweiskräftig. Zu diesen letzteren Urkunden gehören namentlich die zahlreichen Ablässe, die zumeist für fremde Sprengel gegeben sind, ebenso auch die Weiheurkunden, wenn nicht die Zuständigkeit ausdrücklich darin angegeben oder begründet ist.

Nach diesen Gesichtspunkten sind die Untersuchungen der folgenden Blätter zu beurtheilen. Indem ich nicht nur von Pfarre zu Pfarre, sondern nach der Art der alten Grenzbegehungen von Feldmark zu Feldmark fortschreitend die Grenze festzustellen suchte, kann ich hoffen, etwas Abschließendes geleistet zu haben, da ich nicht glaube, daß mir etwas Wesentliches an Quellenmaterial entgangen ist, es sei denn, daß der Fortgang des pommerschen Urkundenbuches noch neues, ungeahntes zu Tage förderte. Hiervor aber ist man bei derartigen Forschungen nie gesichert. Nur noch einige Worte muß ich sagen über die Stellung meiner Untersuchung zu dem schon oft berührten Streite


1) d. h. nur die institutio canonica oder die investitura, nicht die praesentatio oder die collatio, die Ausflüsse des Patronatsrechtes, also eines privatrechtlichen Anspruchs sind.
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der Bischöfe von Kammin und Schwerin wegen der Grenzen ihrer Diöcesen. 1 )

Was ich darstellen will, ist die Grenze, wie sie sich nach Beendigung dieses Streites (um 1260) zeigt, und wie sie dann das ganze Mittelalter hindurch geblieben ist. Auf den Streit selber und die in ihm aufgeworfenen Fragen näher einzugehen, als es in einzelnen wenigen Spezialfällen nothwendig erschien, konnte nicht meines Amtes sein, da ich lediglich die Darstellung der kirchlichen Geographie des Mittelalters bezweckte, nicht eine Schilderung ihrer geschichtlichen Entwicklung. -

Die Begehung der Schweriner Bisthums=Grenze beginnt man am passendsten beim Einfluß des Rieck in die Ostsee, wo Schwerinsches und Kamminsches Gebiet sich scheidet.

Auf der Schwerinschen Seite, also nördlich vom Rieck, liegt dort das Pfarrdorf Wieck , im Mittelalter in die Theile Dänisch Wieck (mit der Kirche) und Wendisch Wieck zerfallend. Beide gehören dem Sprengel von Schwerin an, ebenso auch das nördlich davon belegene Pfarrdorf Neuenkirchen mit seinen zugehörigen Dörfern. Den Beweis für beide findet man in der Zehntverleihung des Bischofs von Schwerin an das Kloster Eldena von 1285 und deren Bestätigung durch Papst Bonifaz VIII. von 1298. 2 ) Für Neuenkirchens Zugehörigkeit zum Schweriner Sprengel zeugt außerdem die Gründungsurkunde der Heilig=Geistkapelle vor Greifswald von 1329, worin diese geradezu als in dem Bisthum Schwerin und der Pfarre Neuenkirchen liegend bezeichnet wird, sowie auch die Eintragung in ein Buch der Nikolaikirche in Greifswald, das dem Pfarrer in Neuenkirchen (parrochialis ville Nigenkerke Zwerinensis diocesis rector) einst zugehörte. 3 ) Die bereits genannte Zehntverleihung von 1285 erweist auch zugleich die Zugehörigkeit von einigen Dörfern der beiden Pfarren zum Schweriner Sprengel, nämlich von Ladebow zur Pfarre Wieck und von Wackerow, Steffenshagen und Petershagen und den uns weniger angehenden Hennekenhagen, Leist, Wampen und der Insel Koos zur Pfarre


1) Bei Schlie, Denkmäler IV, 266, Anm. 6 sind alle Urkunden, die sich darauf beziehen, zusammengestellt.
2) So muß es heißen statt 1297, wie alle Drucke vor Potthast, regesta pontificum (Nr. 24621), auch das M. U.=B. Nr. 2435, das Datum sachlich bestimmten. Vollständig gedruckt findet man die beiden Urkunden in M. U.=B. Nr. 1803 (1285) und P. U.=B. Nr. 1829 (1298).
3) Pyl, Kloster Eldena S. 646 (1329, Mai 15) und S. 193.
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Neuenkirchen. Auch Wackerdal bei Wackerow wird 1285 als Schwerinisch bezeugt, wenigstens beweist Pyl überzeugend, daß es identisch ist mit dem in der Zehntverleihung von 1285 erwähnten Stutinghof. 1 ) Rosenthal und Vogelsang, die 1285 gleichfalls genannt werden, sind von Pyl der unmittelbaren Umgebung Greifswalds (nördlich vom Rieck) zugewiesen, fallen also, wie es durch ihre Stellung im Texte der Urkunde an sich schon hervorgeht, auch unter die Pfarre Wieck. 2 ) Die 1631 abgebrochene neue Heilig=Geistkapelle vor dem Steinbecker Thore bei Greifswald, zwischen dem Stadtgraben (fossatum) und dem Rieck belegen, ist in der bereits für Neuenkirchen herangezogenen Gründungsurkunde der Heilig=Geistkapelle von 1329 als zur Diöcese Schwerin gehörig bezeichnet, ein weiterer deutlicher Beweis, daß das ganze nördliche Ufer des Rieck um Greifswald herum zu dem Schwerinschen Bisthum gerechnet wurde. 3 )

Die zunächst an die Pfarre Neuenkirchen sich anschließende Schwerinsche Pfarre war Horst . Sie erscheint mit 3 Vikareien in dem Registrum ecclesiarum et vicariarum archidiaconatus terre Tribuses, das der Zeit kurz nach 1364 entstammt, und das ebenso auch Nygenkerken und Wyck enthält. 4 ) Von den zur Horster Pfarre gehörenden Dörfern interessiren für unsere Untersuchung besonders Gerdeswalde, Willerswalde und Eldenow 5 ) durch ihre Lage nahe dem Rieck, der bis hierher die Grenze her beiden Sprengel bildete.

Mit der nun folgenden Schwerinschen Pfarre Grimmen überschreiten wir südwestwärts gehend den Rieck. Aus dem Jahre 1279 ist ein Auszug erhalten, der über den der Kirche zu Schwerin schuldigen Zehnten aus Grimmen spricht. 6 ) Im Registrum ecclesiarum von etwa 1364 erscheint Grimme mit 3 Vikareien. Im bischöflich Schwerinschen Zehntregister des Archidiakonats Tribsees von 1370 7 ) werden als zur Parrochia Grymmis zugehörig aufgezählt: die Feldmarken Lubbyn, Roxin und Bobelitz, und die Dörfer Karscowe, Clevena, Berkow, Vitelubbe, Gersin, Borghestede, Grellenberg, Smachtes-


1) Pyl, Kloster Eldena S. 179.
2) Pyl, Greifswalder Kirchen S. 11 ff.
3) Pyl, Greifswalder Kirchen S. 1208.
4) Abschrift im Archiv zu Schwerin.
5) Eine Kapelle daselbst erwähnt Biederstebt, Beiträge zur Gesch. der Kirchen in Neuvorpommern I, 101.
6) M. U.=B. Nr. 7201.
7) Abschrift im Archiv zu Schwerin.
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hagen. Diese Dörfer (mit Ausnahme von Vietlübbe) enthält auch die im Original auf uns gekommene Hebungsliste der bischöflich Schwerinschen Zehnten in Pommern aus den Jahren 1411/12. 1 ) Hinzu ist noch in jüngerer Zeit getreten das anscheinend jüngere, jetzt zu Grimmen eingepfarrte Vorwerk Bartmannshagen. Für die Festlegung der Grenze gegen das Bisthum Kammin sind wichtig: Bartmannshagen, Kaschau, Barkow, Clevena, Vietlübbe, Gessin und Borgstedt.

Die nächstgelegene Pfarre im Bisthum Schwerin ist Kirch=Baggendorf . Im Registrum von etwa 1364 erscheint sie mit einer Vikarei. Das Zehntregister von 1370 enthält sie nicht, dagegen giebt das Hebungsverzeichniß von 1411/12 als zugehörige Dörfer an: Bronekow, Gransebit, Strelow, 2 ) Bertzin, 3 ) Voghedesdorp, Slavica Bagghendorp. Wir dürfen aus späteren Nachrichten als neben Strelow für unsere Zwecke von Werth noch hinzufügen Oelsdorf, Thurow und halb Bretwisch. Von diesem Dorfe Bretwisch heißt es in einem Berichte von 1554 im königlichen Staatsarchive zu Stettin: 4 ) "Die Loizer Seite ist Camminischen Stiftes und gehört zur Kirche Rakow, die Triebseer Seite gehört zur Kirche Baggendorf und ist Schwerinschen Stifts". Diese Zweitheilung besteht noch bis auf den heutigen Tag. Nicht aber kommt es von dieser Zweitheilung, daß 1273 der Bischof von Schwerin den halben Zehnten aus Bretwisch dem Kloster Doberan bestätigt. 5 ) Es liegt das nur daran, daß er die andere Hälfte der Zehnten in der Herrschaft Loiz den Herren derselben zu Lehn gegeben hatte. 6 ) Wizlaw erwähnt 1242 auch den ihm zustehenden Zehnten von Bretwisch. 7 ) Wenn trotzdem 1286 von der dem Kloster zustehenden integra decima in Pritwisch gesprochen wird, 8 ) so ist mit Pritwisch eben nur der Schwerin zuständige Theil des Dorfes gemeint,


1) Archiv zu Schwerin. Daß zu Barkow, Gessin, Kaschau und Clevena Kapellen waren, lernen wir aus Biederstedt, Beiträge zur Gesch. der Kirchen in Neuvorpommern I, 94.
2) Das im M. U.=B. Nr. 1445 erwähnte Strelow liegt südöstlich von Demmin.
3) Die Quelle, eine für die Verzeichnung der Hebungen durch den Kollektor gemachte Abschrift hat Ghertzin, doch ist nur Bassin (1583 Barsin genannt) möglich.
4) Nach Mittheilung des Herrn Professor Dr. Wehrmann in Stettin.
5) M. U.=B. Nr. 1297.
6) M. U.=B. Nr. 458 und. Soweit Wizlaw von Rügen in Betracht kommt, M. U.=B. Nr. 278.
7) M. U.=B. Nr. 538.
8) M. U.=B. Nr. 1862.
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das Wort integra aber heißt nicht "ganz" im Gegensatz zu halb (das würde durch tota ausgedrückt sein), sondern es bezweckt nur die Ausdehnung des Ausdrucks auf Zehntgefälle aller Art, Korn wie Vieh und Flachs etc. . 1 ) 1235 hatte auch der Bischof von Kammin den Zehnten von Bretwisch, das durch die mehrfachen Schenkungen der Rügischen und Pommerschen Fürsten ganz das Eigenthum von Doberan geworden war, dem Kloster bestätigt, so daß auch hierdurch die Zweitheilung des Dorfes erwiesen erscheint. 2 )

In der Iwitz, die die beiden Pfarrsprengel genau abgrenzt, überschreiten wir auch die Grenze der Pfarre Glewitz , mit der seit 1683 die Pfarre Medrow durch Einverleibung verbunden war. 3 ) Glewitz wird schon 1293 als filia der Kirche von Triebsees genannt. Medrow aber kommt neben Glewitz 1300 in der gleichen Eigenschaft vor, als es sich um Lostrennung der Tochterkirchen zu Glewitz, Medrow, Drechow und Leplow von ihrer Mutterkirche Triebsees handelt. 4 ) Beide Pfarren enthält dann auch das Registrum von etwa 1364, das bei Medrow den Abt von Neuencamp (Franzburg) als Patron nennt. Das Zehntregister von 1370 giebt als zu Glewitz gehörige Orte an: Grammendorp, Siverstorp, Zarnekow, Rekentin, Janekendorp. 1411/12 erscheinen davon nur Grammendorp und Janekendorp, 1583 in dem Zehntenverzeichniß des Amtsbuchs von Bützow: Glevitz, Grammendorf, Zarnekow, Janekendorf. 5 ) Letzteres, das uns allein für die Grenzlinie interessirt, ist das heute Jahnkow genannte Dorf, das noch auf der kleinen Karte des Grafen Schmettau von 1794 die deutsche Namensform zeigt.

Zu Medrow , das die beiden Zehntregister nicht aufführen, wahrscheinlich, weil der dortige Zehnten auf den geistlichen Patron, das Kloster Neuencamp, durch Kauf übergegangen war, gehörten unzweifelhaft die Höfe Woldhof und Langenfelde, die heute der kombinirten Pfarre untergeordnet sind, also auf jeden Fall, d. h. auch wenn sie aus Glewitzer Bestande stammen sollten, dem Schweriner Sprengel angehörten. Woldhof allein


1) Vgl. das Register im M. U.=B. IV S. 499 b.
2) M. U.=B. Nr. 427. - Vgl. Fabricius, Urkunden zur Gesch. des Fürstenth. Rügen II, Abh. S. 34.
3) Ueber die Vereinigung handelt Biederstedt, Beiträge zur Gesch. der Kirchen Neuvorpommerns II, 11.
4) 1293: R. U.=B. Nr. 1630. - 1300: Quellen zur Pomm. Gesch. II, S. 43.
5) Archiv zu Schwerin.
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ist neben dem Pfarrdorfe Medrow für die Grenzbestimmung von Nutzen.

Als letzte Pfarre Schwerinschen Sprengels am östlichen Ufer der Trebel erscheint Dorow , nunmehr nach dem heutigen Sitze der Pfarre Nehringen genannt. Das Schweriner Archiv besitzt eine gleichzeitige Abschrift des Dokuments, durch das die Verlegung der Pfarre von Dorow nach Nehringen ausgesprochen wurde. Am 30. Juni 1498 erklärte Bischof Conrad von Schwerin, daß er auf Bitten Degeners Buggenhagen, der in castro Neringhe sub parrochia S. Wilhelmi ville Dorowe nostre Zwerinensis diocesis wohnte, die Pfarre von dieser Wilhelmskirche in Dorow fortnähme und die St. Andreaskapelle beim Schlosse Nehringen zur Pfarrkirche erhöbe.

Als Dorowe kommt diese Pfarre daher noch in dem Registrum von etwa 1364 vor, das Zehntregister von 1370 enthält sie garnicht, dagegen führt die Hebungsliste von 1411/12 die Parrochia Dorowe mit den Dörfern Besekouw (Fäsekow), Bouwerstorpe und Cambur auf. Camper erscheint auch in einem Zehntrestantenverzeichniß von 1529 als zehntpflichtig nach Schwerin, ebenso, neben Bauersdorf und Vesekow, in dem Geldzehntenverzeichniß des Amtsbuchs von Bützow von 1583. 1 ) Auch Bassendorf gehörte im Jahre 1403 zum Dorower Kirchspiel. "Barnitzendorf im Caspel Dorow" heißt es in einer Urkunde. 2 ) Die spätere Zeit weiß zu berichten, daß, wie es ja heute noch der Fall ist, auch der Forsthof Stubbendorf zu diesem Kirchspiel gehörte.

Camper mit dem dabei liegenden, kirchlich auch zu Nehringen gehörigen Gute Rodde macht also den Schluß der Ortschaften des Schwerinschen Bisthums auf diesem westich verlaufenden Grenzzuge jenseits der Trebel. Von da ab folgt die Grenze Schwerins nach Norden gehend dem Zuge dieses Flüßchens, an Nehringen, Dorow, Bassendorf und Stubbendorf her, und alsdann an der Feldmark der Schwerinschen Archidiakonatsstadt Triebsees entlang bis zum südlichen Ende des Sülzer Moors, wo sie an diesem her sich nach Westen wiederum wendet. 3 )


1) Beide im Archiv zu Schwerin.
2) Pyl, Greifswalder Kirchen, S. 1184. - Vgl. P. U.=B. Nr. 1016 von 1275, das allerdings keinen ganz zwingenden Beweis für Bassendorf darbietet. Bassendorf ist übrigens jetzt zu Deyelsdorf eingepfarrt.
3) Triebsees als Schwerinisch nachzuweisen ist unnöthig, da es als Archidiakonatsort dieses Bisthums hinreichend bekannt ist.
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Alles nördlich von Nehringen und dem bislang geschilderten westlichen Grenzzuge östlich von der Trebel Gelegene ist in geistlicher Hinsicht dem Bisthum Schwerin unterworfen gewesen, war "Schwerinscher Diöcese".

Betrachten wir nun die Kamminschen Pfarren und Ortschaften, die dieser westlich ziehenden Grenzlinie gegenüber liegen, so ist über die beiden zuerst uns entgegentretenden Pfarren Eldena (im Mittelalter Hilda ) und Greifswald nichts weiter zu bemerken. Ihre Zugehörigkeit zur Kamminer Diöcese steht, denke ich, unzweifelhaft fest; ganz skeptischen Gemüthern gegenüber möge ein Hinweis auf Pyls schon genannte Werke über diese beiden Orte genügen.

Den Rieck aufwärts folgt am südlichen, Kamminschen, Ufer das Kirchspiel Lewenhagen . Lewenhagen, Jarmershagen und Boltenhagen erscheinen in einer Urkunde des Bischofs von Kammin als Zubehör der ihm untergebenen Pfarre im erstgenannten Orte. 1 ) Lewenhagen allein wird nochmals vom Papste VIII. in der schon erwähnten Bestätigung der Zehnten des Klosters Eldena im Jahre 1298 als zur Kamminer Diöcese gehörig bezeichnet. Wie Boltenhagen sich in Heilig=Geisthof und Ungnade umwandelte, kann man in Pyls Werken über Kl. Eldena und die Greifswalder Kirchen nachlesen; daß auch Krauelshorst auf Boltenhäger Gebiet entstand, steht nach Pyls Buch über Eldena fest. 2 ) Das sind aber die Ortschaften, deren man zur Festhaltung des Grenzzuges bedarf.

An die Pfarre Lewenhagen schließt sich die 1570 oder 1578 mit ihr vereinigte Pfarre Creutzmannshagen an 3 ) der das nahe dem Rieck liegende Willershusen angehört.

Ihr folgt die Pfarre Bisdorf mit den Dörfern Neuendorf und Benkenhagen, sowie Wüstney, das zur Pfarre Sassen gehört. 4 ) Daß die Pfarre Bisdorf zu Kammin zu rechnen ist, geht daraus hervor, daß der eingepfarrte Ort Candelin 1277


1) P. U.=B. Nr. 1171, vergl. Pyl, Eldena S. 605, S. 277 und S. 320.
2) Pyl, Eldena S. 317 ff. und Greifswalder Kirchen S. 1202 f. - Wegen Krauelshorst: Eldena S. 322 ff.
3) ueber die Vereinigung s. Biederstedt, Beiträge II, 7.
4) Bei Klempin, Beiträge zur Gesch. Pommerns S. 312 heißt es in den Statuten des Bisthums Kammin unter Nr. 2: Item in Gultzow super curia Wostenighen . . . Das bezieht sich nicht auf das oben genannte Wüstney, sondern nach dem Genitiv Wostenighen auf einen Hof, den ein Mitglied der Familie Wüstney in Gülzow bei Wüstney besaß. In dieser Gegend waren die Wüstney nach Klempin und Kratz, Matrikel, mehrfach ansässig.
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dem Bischof von Kammin unterworfen war. 1 ) Auch für Neuendorf steht die gleiche Zugehörigkeit fest. Es geht 1276 durch Schenkung des Fürsten Wizlaw von Rügen in den Besitz des Klosters Ivenack über, und der Zehnte dieses neuen Besitzes wird 1283 vom Bischof von Kammin dem Kloster bestätigt. 2 ) Die Zugehörigkeit der Pfarre Sassen zu Kammin geht daraus hervor, daß nach dem Registrum administr. episc. Cam. 1490 ein neuer Vikar an der ecclesia parrochialis ville Sasszen von Kammin aus eingesetzt wird. 3 )

Die nächstgelegene Pfarre ist Rakow , in Gr. Rakow seßhaft, das auf der kleinen Schmettauschen Karte fälschlich Gr. Parckow genannt wird. Für Kammin ist diese Pfarre bewiesen durch eine Besetzung aus dem Jahre 1494, die in dem Registrum admin. ep. Cam. als Nr. 1026 aufgeführt wird. Schon 1235 hatte der Bischof von Kammin seine Rechte an Gr. und Kl. Rakow sowie Bretwisch, von dem ihm, wie wir schon sahen, die südliche Hälfte zukam, durch Verleihung des Zehnten daraus geltend gemacht. 4 ) Daß außer dem halben Dorfe Bretwisch auch die anderen in Rakow eingepfarrten Orte zum Bisthum Kammin gehörten, ist selbstverständlich. Zu diesen zählten Boltenhagen, Grischow und Dönnie. Daß das letztere zu Schwerin zu rechnen sei, behauptete zwar Wiesener in seinem Aufsatze über die Kamminer Bisthumsgrenzen, und ich wiederholte es, ohne die angegebene Beweisstelle nachzuprüfen, bei meinem Abdruck der Wiesenerschen Arbeit. 5 ) Doch es ist ein Irrthum. Die Belegstelle, eine Urkunde von 1307, zeigt nur, daß der Fürst von Rügen in Dönnie von 7 Hufen Bede erhob. 6 ) Für die geistliche Zugehörigkeit Dönnies läßt sich aber weder daraus, noch aus dem Umstande, daß Dönnie damals mit unzweifelhaft Schwerinschen Orten (Baggendorf und Vorland) zusammen genannt wird, irgend etwas schließen. Wie hier über Dönnie, so verfügt z. B. im M. U.=B. Nr. 1405 im Jahre 1276 Wizlaw von Rügen in gleicher Weise über Neuendorf im Lande Loiz, 7 ) und so noch öfter, ohne daß man daraus auf die kirchliche Zugehörigkeit


1) P. U.=B. Nr. 1060.
2) 1276: M. U.=B. Nr. 1405.-1283: M. U.=B. Nr. 1666.
3) Klempin, Beitr. zur Gesch. Pommerns I, S. 17, Nr. 114.
4) M. U.=B. Nr. 427.
5) Baltische Studien, Bd. 43, S. 117 ff.; ergänzend wiedergegeben Jahrbuch 66, S. 2.
6) Fabricius, Urkunden zur Gesch. des Fürstenth. Rügen IV, Nr. 572, Urk. S. 54.
7) M. U.=B. Nr. 1405.
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der betreffenden Orte einen Schluß zu machen berechtigt wäre. Eine von Biedermann 1 ) uns überlieferte Nachricht über die Rakower Kirche: 1461 in villa hujus parochie Dönnige Hinricus Nake ecclesie S. Nicolai Gryphisw. decanus simul et vicarius fuit scheint im Gegentheil die Zugehörigkeit Dönnies zu Kammin bestimmt zu beweisen.

Jenseits der Iwitz liegt Zarnegia oder Zarneglow, ein Dorf, das 1242 der Stadt Loiz verliehen wurde, 2 ) das aber später der Pfarre Gülzow zugetheilt worden ist. Dieser Pfarre gehört auch das zwischen Wüstney und Boltenhagen liegende Dorf Poggendorf an, das 1277 als Zubehör der Kamminschen Diöcese erscheint. 3 ) Die in dem Registrum admin. ep. Cam. unter Nr. 847 mitgetheilte Pfarrbesetzung ad ecclesiam ville Gultzouw vom Jahre 1493 bezieht sich auch auf dieses Gülzow, nicht auf das gleichnamige Schloß. Aus allen dem geht mit Sicherheit hervor, daß auch Zarnegia ein Theil der Kamminer Diöcese gewesen ist.

Die nun noch folgenden Dörfer bis an die Trebel: Toiz, Nossendorf, Volksdorf sind Filialdörfer der Pfarre Wotenick, die schon 1277 mit diesem ihrem Mutterdorfe vom Bischof von Kammin an Herzog Barnim I. von Pommern und 1292 von diesem an die Stadt Demmin übergingen. 4 )

Das Kamminsche Gebiet überschritt nunmehr die Trebel; die Pommerschen Dörfer westlich der Trebel, Beestland und das südöstlich davon liegende Drönnewitz waren Kamminisch. Mehrfache Beurkundungen Kamminischer Bischöfe über diese Dörfer bezeugen es. 5 )

Das an diese beiden Dörfer grenzende erste Meklenburgische Kirchspiel Kamminschen Sprengels ist Levin (seit Alters Mutterkirche von Beestland) mit ihrem dicht dabei liegenden Zubehör Zarnekow und den eingepfarrten Orten Wolkow und


1) Beiträge zur Gesch. der Kirchen in Neuvorpommern II, 36.
2) M. U.=B. Nr. 539. - Aus Biedermann, Beiträge zur Gesch. der Kirchen in Neuvorpommern II, 15 lernen wir, daß vordem eine Kapelle zu Zarnekla stand.
3) P. U.=B. Nr. 1060.
4) P. U.=B. Nr. 1060 und 1615; M. U.=B. Nr. 2177.
5) Für Beestland: M. U.=B. Nr. 489 von 1235, Nr. 613 von 1248 und Nr. 758 von 1255, außerdem Urkunden Bischofs Siegfried von Kammin von 1439 und Bischofs Henning von Kammin von 1447 über den mit den Hoben streitigen Zehnten von Beestland (im Archiv zu Schwerin, Domstift Güstrow, Clandrians Registratur). Für Drönnewitz M. U.=B. Nr. 715 von 1253, Nr. 908 von 1261 und Nr. 1629 von 1282.
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Warrenzin. Levin ist durch zahlreiche Urkunden als Kamminisch bezeugt, ebenso Wolkow und Warrenzin. 1 )

Daß Levin sich am Ende des 14. Jahrhunderts eine Präpositur anmaßte und damit ein Aufsichtsrecht über die benachbarten Kirchen, lernen wir aus einer Urkunde von 1395, durch die den Pfarrherren von Livin, Alt=Kaland, Rokenitz, Polchow, Brodersdorp, Gülzow und Ducow, die omnes in diocesi Camynensi constituti genannt werden, angezeigt wird, daß diese angemaßte Präpositur nicht rechtsbeständig sei, sie alle vielmehr der geistlichen Jurisdiction und dem Banne des Klosters Dargun unterworfen seien. 2 )

Die zunächst auf dem Gange nach Norden folgende meklenburgische Pfarre Brudersdorf grenzt mit dem Dorfe Barlin 3 ) und dem Pfarrdorfe selbst an das pommersche (aber auch noch Kamminsche) Gebiet. Auch für Brudersdorfs Zugehörigkeit zu Kammin sprechen wie für die Barlin's mehrere Urkunden. 4 )

Nach Norden schließt sich das Pfarrdorf Gr. Methling unmittelbar an die Brudersdorfer Gemarkung an als erstes mit dem bischöflich Schwerinschen (Pommerschen) Trebelufer sich berührendes Meklenburgisches Dorf. Daß Groß=Methling unter dem Bisthum Kammin stand, beweist die Urkunde vom 24. Aug. 1312, laut derer die dos dieser Kirche vor dem Bischof von Kammin verändert wird; dasselbe bezeugt diese Urkunde auch für das eingepfarrte Klein=Methling, das als Grenzort nordwärts folgt, und das übrigens auch durch mehrere andere Urkunden als Kamminisch sicher erwiesen wird. 5 )

Die dann kommenden Orte Bobbin, Wasdow und Quitzenow lassen sich als Kamminisch direkt nicht nachweisen. Das dahinter liegende Warbelow ist jedoch durch eine Zehntverleihung an Dargun, die der Bischof von Kammin 1288 bestätigt, als Kamminisch festgestellt, auch zahlte es in den Jahren


1) Levin durch M. U.=B. Nr. 613, 715, 779 (Weihe), 799, 914, 1248, 1629, 2561, 3049, 3201, 3286. - Wolkow durch M. U.=B. Nr. 613. - Warrenzin durch M. U.=B. Nr. 613, 715, 908, 1161, 1629.
2) Archiv zu Schwerin. Kl.-Dargun.
3) Das früher (1248) wie auch Darbein zu der Pfarre Levin gehörte (M. U.=B. 613).
4) Für Bruderstorf M. U.=B. Nr. 226 (mit dem alten Namen Dobromuzle), 1629 (Dobermoizel quod alio nomine Broderesdorpe nominatur) und 3298; für Barlin M. U.=B. Nr. 443, 613 und 1629.
5) Für Groß=Methling M. U.=B. Nr. 3555; für Klein=Methling M. U.=B. Nr. 439, Nr. 758, Nr. 1971 und, wie schon im Text gesagt, Nr. 3555.
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1511 bis 1513 episcopalia an den Kamminer Bischof. 1534 aber hielt sich nach dem Visitationsprotokolle zu Warbelow kirchlich auch Quitzenow, das vordem direkt zu Gnoien gehört hatte. 1 ) Warbelow aber wie Wasdow und Bobbin (zu dem der jüngere Friedrichshof als Pertinenz gehört) werden in diesem Protokoll von 1534 als damals noch Meßkorn gebend, also als eingepfarrt in Gnoien , angegeben. Gnoien nun gehörte nach dem Zeugnisse mehrerer Urkunden, 2 ) nach zahlreichen Anführungen in dem von Klempin gedruckten Registrum admin. ep. Cam. und nach der Thatsache der Zahlung der episcopalia an den Bischof von Kammin in den Jahren 1511-1513 sicher der Kamminer Diöcese an.

Es ist auf diese Weise also die Zugehörigkeit aller drei für die Grenze mit dem Bisthum Schwerin in Betracht kommenden Orte Bobbin, Wasdow und Quitzenow zum Bisthum Kammin indirekt bewiesen.

Von der benachbarten Pfarre Lübchin , seit 1877 Behren=Lübchin genannt, wird 1541 in dem Visitationsprotokolle berichtet, daß sie außer dem Pfarrorte noch die Orte Boberitz (Bäbelitz), Vichel, Grambow, Schabow, Dolcze, Nutzkow, Bresen und Tangerem umfasse. 3 ) Bresen und Nütschow werden 1282, und ebenso schon 1232, unter Kamminschen Dörfern vom Bichofe aufgezählt; 4 ) Tangrim ist als Kamminisch direkt nicht zu erweisen, dagegen werden aus dem Pfarrdorfe Lübchin ebenso wie aus Bolendorf, Grammow, Bresen, Schabow und Viecheln in den Jahren 1511 bis 1513 episcopalia an den Bischof von Kammin gezahlt.


1) Zehntverleihung aus Warbelow von 1288. M. U.=B. Nr. 1971. - Die Mittheilungen über die episcopalia der Jahre 1511 bis 1513 verdanke ich Herrn Prof. Dr. Wehrmann in Stettin, der sie dem dortigen Kgl. Staatsarchiv entnahm. Ein Verzeichniß der Kamminschen Zehnten aus dem Lande Gnoien ebendaher, etwa derselben Zeit entstammend, bezeichnet Warbelow geradezu als parrochia. - Visitationsprotokoll von 1534 im Archiv zu Schwerin.
2) M. U.=B. Nr. 7084, 10441, 10498.
3) So nach dem Manual des Visitationssekretärs, der ersten Aufzeichnung an Ort und Stelle (Geh. und Haupt=Archiv); das Protokoll ist bei Schröder, Evang. Mecklb. (I, S. 452) schlecht und lückenhaft wiedergegeben. - Was Dolcze ist, wissen wir nicht. Vielleicht ist es eine falsche Niederschrift für das fehlende Böhlendorf, die dann aus dem Manual in alle Ausfertigungen überging. Dölitz war eine eigene Pfarre und wird auch 1541 als solche aufgeführt.
4) M. U.=B. Nr. 402 (1232) und Nr. 1629 (1282).
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somit sind also die Grenzdörfer Tangrim (indirekt), Bresen, Nütschow, Böhlendorf und Schabow als Kamminisch festgestellt.

So sind wir dem vorhin auf der Schweriner Seite der Trebel gemachten Wege bis zur Wendung der Grenze nach Westen auch auf dem westlichen (Kamminschen) Trebelufer nachgegangen und haben dieses Gewässer seit der Brudersdorf=Methlinger Scheide als genau eingehaltene Grenze zwischen den Bistümern Schwerin und Kammin auch auf dieser Seite erprobt.

Wir wollen nunmehr wieder auf der Nordseite, den letztgenannten Kamminschen Orten Böhlendorf und Schabow gegenüber, beginnen und die Schweriner Grenzdörfer nach Westen gehend weiter bestimmen. Wir werden finden, daß die Grenze sich von Böhlendorf ab, solange sie in westlicher oder südwestlicher Richtung verläuft, genau an den Lauf der Recknitz hält, so daß alles, was nördlich des Flusses liegt, Schwerinisch ist, das südlich liegende aber dem Bisthum Kammin zufällt.

Die Stadt Sülze ist der erste Grenzort und die erste Schweriner Pfarre, die wir zu berücksichtigen haben. Lisch giebt bei Gelegenheit einer Arbeit über die Gründung der deutschen Stadt Rostock 1 ) einen Auszug aus einem Zehntregister von 1470 wieder, nach dem Sülze zum Rostocker Archidiakonate des Schweriner Bisthums gehörte. 2 ) Beyer erwähnt in seiner Geschichte von Laage 3 ) ein Zehntregister von 1570, aus dem sich ohne Zweifel das Gleiche ergeben würde. Aber beide Quellen haben sich im Schweriner Archiv trotz allem Suchen nicht auffinden lassen. Wir müssen annehmen, daß Lisch nach dem Gedächtniß seine Angabe über das Jahr machte und daß bei Beyer sich ein Schreib= oder Druckfehler eingeschlichen hat und ihm nur Lischens Mittheilung vorlag, über deren Inhalt ja seine Angaben auch nicht hinausgehen.

Was sich aber im Schweriner Archiv vorfand und was sicherlich Lischens Quelle war, das war ein Registrum decime de clero archidiaconatus Rozstokensis collecte de anno MCCCCLXX tercio etc. ., also ein Hebungsverzeichniß des Zehnten


1) Jahrb. 21, 21, Anm. 3.
2) Auch das von Wigger in den Annalen S. 118, Anmkg. 10, benutzte Verzeichnis der Pfarrlehne aus der Schweriner Matrikel enthält Sultze.
3) Jahrb. 52, 222.
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aus dem Jahre 1473. 1 ) Hier ist Sülze allerdings auch aufgeführt (suite, taxa XXIIII marce), ebenso auch in den Zehntregistern des 16. Jahrhunderts, voran dem des Archidiakonats Rostock vom Jahre 1560. 2 ) 1527 wurde dem Archidiakon von Rostock der Pfarrer zur Bestätigung präsentirt. 3 ) Außer diesen Beweisen wird durch die direkte Bezeichnung Zwerinensis diocesis in zahlreichen Urkunden 4 ) die Zugehörigkeit zum Schwerinschen Sprengel über alle Zweifel erhoben. Als eingepfarrte Dörfer lernen wir aus der Visitation von 1534 und aus einer Einzelvisitation des Jahres 1535 kennen: Dudendorp, Emekendorp, Kuksdorp und Redickestorp, sie alle müssen dem Pfarrer von Sülze Meßkorn geben. 5 ) Alle vier Orte liegen am nördlichen Ufer der Recknitz und zwar in der Reihenfolge Reddersdorf, Kucksdorf, Dudendorf und Ehmkendorf.

Benachbart mit Ehmkendorf ist mit einem schmalen Uferstreifen an der Recknitz das Gut Stubbendorf. Es ist als alte Pertinenz von Detmannsdorf, von dem es erst 1787 abgetrennt wurde, in Kölzow eingepfarrt, das seinerseits wieder durch das Verzeichniß der Pfarrlehne aus der Schweriner Matrikel und durch das im Original erhaltene Zehntenschuldregister von 1531 und das Zehnthebungsverzeichniß von 1473 als zur Schweriner Diöcese gehörig bewiesen ist, dessen Zehnten auch schon im Jahre 1233 dem Bischof von Schwerin urkundlich zustehen. Ditmersdorp (Detmannsdorf) ist aber nach dem Verzeichniß der Bischofszehnten des Archidiakonats zu Rostock von 1560 außer dem Pfarrdorf Kölzow das einzige Dorf dieses Kirchspiels. 6 ) Direkt wird Stubbendorfs aber auch als Schwerinisch bewiesen durch die Urkunde von 1371, in der Herzog Albrecht dem Bischof von Schwerin Sülze und Marlow mit vielen dazu


1) Archiv zu Schwerin. Der Lisch'sche Auszug ist lückenhaft und nicht ohne Fehler, was das Citat nach dem Gedächtniß oder flüchtiger Notiz nur wahrscheinlicher macht.
2) Schildt nahm bei seiner Darstellung der Verhältnisse der Officialei Rostock in Jahrb. 51, S. 183 f. nur Rücksicht auf das Landbuch des Stifts Schwerin von 1581, nicht auf die älteren Heberegister. Daher auch verschiedene Fehler in den Ortsbestimmungen (Warnnstorf ist Wohrenstorf, Peryede verschrieben für Perperde), die durch Heranziehung der anderen Register wohl vermieden worden wären.
3) Archiv zu Schwerin (Orig. Stift Schwerin).
4) So z. B. M. U.=B. Nr. 808, 5644, 8108 II, 10902, 10903, 11519.
5) Archiv zu Schwerin (1535: Pfarre Sülze).
6) Die Verzeichnisse im Archiv zu Schwerin, das zuerst genannte gedruckt in Wigger, Annalen S. 118, Anm. 10, die Urkunde von 1233 M. U.=B. Nr. 421.
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belegenen Orten verpfändet. Hier wird auch Stubbendorf neben Detmannstorf und Kölzow aufgeführt, die, wie es scheint, damals alte noch zu der Pfarre Sülze gehörten. 1 )

Gleich an das Gut Stubbendorf stößt das Kirchspiel Tessin . Das "Verzeichniß der Pfarrlehne", das Hebungsverzeichniß des Archidiakonats Rostock von 1473, das Zehntenschuldregister des Bisthums Schwerin von 1525, die Zehntregister des Archidiakonats Rostock von 1560 und den Folgejahren 2 ) enthalten auch diese Pfarre, die somit als bischöflich Schwerinsche unzweifelhaft feststeht. Auch Urkunden bezeichnen die Pfarre von Tessin ausdrücklich als Zwerinensis diocesis. 3 ) Von ihren eingepfarrten Ortschaften ist Gnewitz die zunächst an Stubbendorf anstoßende. Das Zehntenschuldregister von 1531 enthält auch Leistungen des Gutes Gnewitz, das von dem Visitationsprotokoll von 1541 als eingepfarrt in Tessin (Groten Tessin) aufgeführt wird. 4 ) Gleiches ist mit dem benachbarten Zarnewanz der Fall, dessen Zehnten bereits 1286 vom Bischofe von Schwerin an das Kloster Doberan abgetreten werden, und das dadurch als Bestandtheil des Schwerinschen Sprengels bewiesen ist. 5 )

Ihm folgt die Stadt Tessin, über die das Nöthige bereits erwähnt ist; und dann schließt sich gleich die Pfarre Cammin an mit den an der Recknitz liegenden Orten Wohrenstors und Deperstorf. Cammin, im späteren Mittelalter auch Kemmin genannt, gehörte sicher zum Bisthum Schwerin, und zwar zum Rostocker Archidiakonat. Als Zubehör des letzteren wird es 1473 in dem schon erwähnten Zehntregister und ebenso im "Verzeichniß der Pfarrlehne" genannt. Das Zehntschuldregister von 1525 führt es ebenfalls unter den Pfarren des Rostocker Bezirks aus, und 1534 wird bei der Visitation berichtet, daß der gegenwärtige Pfarrer 1531 durch den Archidiakon von Rostock eingesetzt worden sei. 6 ) Zudem machte Schlie in den Kunst= und Geschichtsdenkmälern mit Recht auf den vom M. U.=B. übersehenen Ablaßbrief für


1) M. U.=B. Nr. 10153. - Auch Ehmkendorf (Tenekendorp), Dudendorf (Tutendorp), Kuckstorf und Redderstorf werden als Zubehör des Schlosses Sülze genannt. Das Register bezieht das Tutendorp irrthümlich auf Teutendorf. Das gehört aber zur Pfarre Sanitz und liegt jenseits des die Grenze der Vogtei Sülze bildenden Baches.
2) Alle im Archiv zu Schwerin.
3) M. U.-B. Nr. 10441 und Nr. 10498.
4) Schröder, Evang. Meklb. I, S. 451.
5) M. U.=B. Nr. 1862.
6) Schröder, Evang. Meklb. I, S. 186.
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Cammin von 1357 aufmerksam, der ausdrücklich sagt: ecclesia parochialis in villa Cammyn, Zwerinensis diocesis. 1 )

Auch Wohrenstorf ist durch das Zehntschuldregister von 1531, ebenso durch das schon erwähnte Landbuch des Stifts Schwerin von 1581 und mehr noch durch die Worte einer Urkunde von 1425: villa Wurlstorp, Zwerinensis diocesis, parochie Camyn als Schwerinisch bezeugt. 2 ) Das gleiche gilt von Deperstorp, das auch im Zehntschuldregister des Bisthums Schwerin von 1531 erscheint. Die eben genannte Urkunde von 1425 giebt leider bei Duberstorp nicht den Zusatz diocesis Zwerinensis, es ist aber seine Selbstverständlichkeit dem ganzen Inhalt nach außer Zweifel.

Die nun folgende Pfarre besteht heutzutage nicht mehr als solche. Gr.=Ridsenow ist mit seinem ganzen Pfarrsprengel seit etwa 1560 aufgegangen in Polchow, das wir später unter den Kamminschen Pfarren kennen lernen werden; vorher aber hatte sich das gesammte Kirchspiel Gr.=Ridsenow eine Zeit lang, wohl noch von katholischen Zeiten her, zu Laage gehalten. Schon 1531 scheint dieses der Fall gewesen zu sein, da Kl.=Wardow und Gr.= und Kl.=Ridsenow mitten unter den Laager Dörfern im Zehntschuldregister aufgeführt werden. 1534 und 1541 zählt das Visitationsprotokoll 3 ) Gr.=Ridsenow mit Kl.=Ridsenow und Spotendorf als Zubehör der Pfarre Laage auf. Den vollen Umfang des Groß=Ridsenower Pfarrsprengels lernen wir schon bei der Gründung der Kapelle des Ortes im Jahre 1304 kennen, wo außer dem Kapellendorfe selbst auch die 5 Dörfer Kl.=Ridsenow, Depzow mit der Mühle, Spotendorf, Vipernitz und Kl.=Wardow dazu gerechnet werden. 4 ) Noch heute können wir fast denselben Umfang feststellen durch die zu dem Kirchhof von Gr.=Ridsenow berechtigten Ortschaften: Groß= und Klein=Ridsenow, Spotendorf, Trotzenburg, Goritz und Depzower Mühle. 5 ) Vipernitz ist nach dem Vorgang der alten Visitationsbücher hierbei nicht mit genannt, es war über ein Jahrhundert wüst und unbewohnt. Goritz ist oder umfaßt das alte Depzow. 1742 taucht der neue Name


1) Schlie I, 447 nach Schröder, Papistisches Meklb. S. 1375.
2) Schröder, Papistisches Meklb. S. 1878 S. Es bedarf also der Regeste von 1462 aus dem Jahrbuch 9, S. 477, Nr. 16 nicht erst, um diese Zugehörigkeit zur Pfarre Cammin zu erweisen.
3) Das letztere im Original im Archiv zu Schwerin, nicht in dem lückenhaften Auszuge in Schröders Evang. Meklb. I, S. 430.
4) M. U.=B. Nr. 2954.
5) So aufgezählt von Schlie, Kunst= und Gesch.=Denkmäler I, 473.
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(der sich wohl an einen früher bestehenden Ort dieses Namens 1 ) anlehnt) zuerst auf: Goritz oder Depzow heißt es da, während schon 1751 gesagt wird: Goritz mit Schäferei Depzow und 1757: Goritz c. p. Depzow. Trotzenburg ist eine erst 1782, ursprünglich als Theerofen, angelegte Neugründung. Klein=Wardow aber ist inzwischen ganz bei der Pfarre Laage, trotz vieler Klagen der Polchower Pastoren, verblieben. Für Gr.=Ridsenow beweist uns noch eine Urkunde von 1340, daß der Zehnten dem Bisthum Schwerin zustand, während für Vipernitz eine Urkunde von 1288 das Gleiche ergiebt. 2 ) Ridsenow wird außerdem in dem Hebungsverzeichniß des Rostocker Archidiakonates von 1473 aufgeführt. 3 ) Die für unsere Bisthumsgrenze in Betracht kommenden Orte Goritz, Depzower Mühle, Groß=Ridsenow, Spotendorf und Vipernitz sind somit als unzweifelhaft Schwerinisch erwiesen.

Durch die Reihenfolge dieser Orte wird die später auch aus den gegenüberliegenden Kamminschen Grenzorten zu erweisende Thatsache festgestellt, daß beim Einlauf der Polchow in die Recknitz, da wo die Grenze von Drüsewitz im rechten Winkel von der Recknitz abbiegt, auch die Bisthumsgrenze diesen Fluß verläßt und sich dem Laufe der Polchow, aufwärts gehend, anschließt, und zwar so, daß sie bei der Depzower Mühle dem alten, jetzt anscheinend versiegten nördlichen Laufe der Polchow folgt, den die große Schmettausche Karte (1792) noch angiebt, die heutigen Meßtischblätter dagegen nicht mehr aufweisen. Die Hälfte der Depzower Mühle gehörte schon zu alten Zeiten nach Drüsewitz, das wir später als Bestandtheil der Kamminer Diöcese kennen lernen werden. Möglich wäre es also auch, daß die Grenze dem Hauptlaufe der Polchow gefolgt wäre und, die Mühle selbst nebst dem Mühlenhofe Schwerin lassend, den nordwärts der Polchow belegenen Theil ihrer Feldflur mit Drüsewitz der Kamminer Diöcese zugewiesen hätte.

Bis zum südlichen Ende der Grenze von Vipernitz ist der Lauf der Polchow deutlich nachzuweisen. Weiter südlich folgt die Bisthumsgrenze der Mitte des Moors, also dem früher dort befindlichen, bei Schmettau noch verzeichneten Wasserlaufe, um


1) M. U.=B. Nr. 952: Im J. 1262 schenkt Borwin Herr zu Rostock einem Altar zu Altkalen eine Hufe in Ghorez. Bei dem gänzlichen schweigen der Quellen bis 1742 über Goritz läßt sich ein Zusammenhang der beiden Orte nicht behaupten, aber auch nicht leugnen.
2) M. U.=B. Nr. 6087 (1840) und Nr. 1983 (1288).
3) Lisch hat im Jahrb. 21, 21, Anm. Ridsenow übersehen.
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am Südende der Grenze von Wozeten mit Prebberede im spitzen Winkel nach Westen umzubiegen, indem sie die Orte Wozeten und Gr.=Wardow sowie, dann nach Süden gehend, Bresen und Schweez zu dem Bisthum Schwerin zieht. Alle vier genannten Orte gehören seit Alters der Pfarre Laage an. Für Wozeten und Gr.=Wardow (heute nur Wardow genannt) besitzen wir den direkten Beweis der Zugehörigkeit zur Schweriner Diöcese durch ihr Vorkommen im Schweriner Zehntenschuldregister von 1531. Wozeten wird auch in dem Zehntenschuldregister von 1525 unter den Laager Dörfern genannt, und die Verbindung, in der der Bischof von Schwerin nach dem Visitationsprotokolle von 1552 mit einem in Wozeten begüterten geistlichen Lehne von Laage stand, weist dies Dorf (jetzt Gut) auch dem Schweriner Sprengel zu. 1 ) Bresen wird in einem Hebungsregister des Stifts Schwerin von 1535 aufgeführt, und Schweez kennen wir durch die Visitation von 1541 als Bestandtheil der Pfarre Laage und können es danach dem Schweriner Sprengel zutheilen, ohne die Zugehörigkeit dazu direkt nachweisen zu müssen. 2 ) Die Pfarre Laage dem Schweriner Sprengel zuzuteilen, dafür genügen die bekannten Zehntregister und anderen Verzeichnisse, die alle Laage enthalten, außerdem der Hinweis auf eine Urkunde von 1367, wo es geradezu heißt: ecclesia Lawys, Zwerinensis dyocesis, und auf eine weitere Urkunde von 1426, in der gesagt wird: in opido nostro Lawe Zwerinensis diocesis. 3 )

Wir kämen nunmehr in dem Schwerinschen Gebiete an die Pfarre Recknitz. Hier werden die Verhältnisse Schwierig, da große Veränderungen in den Begüterungen dieser Gegend unter Eingehen ganzer Ortschaften und Verlegen anderer stattgesunden haben, so daß es besser scheint, dieses Kirchspiel zugleich mit dem ihm gegenüberliegenden Kamminschen Kirchspiel Warnkenhagen zu betrachten, und inzwischen die Kamminschen Pfarren und Orte von Lübchin bezw. Schabow ab, wo wir das Kamminsche Gebiet verließen, bis zum Beginn des Kirchspiels Warnkenhagen nachzuholen.


1) Jahrb. 52, S. 246 unten. Es war die in der Urk. von 1367, Aug. 24 (M. U.=B. Nr. 9674) bestätigte Vikarei.
2) Jahrb. 58, S. 10 unten (1535); Schröder, Ev. Mekl. I, S. 430 (1541).
3) M. U.=B. Nr. 9674 (1367) und Archiv zu Schwerin, Heil. Blut=Kapelle in Güstrow (1426). Vgl. Jahrb. 52, S. 233 und S. 242. An letzterer Stelle ist die Urkunde von 1367 mit dem Jahre 1366 herangezogen und auf Schröder, Papist. Meklb., verwiesen, der aber (S. 1441) 1365 druckte.
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Die Lübchin benachbarte Pfarre Kamminschen Stifts ist Thelkow. Im Visitations=Protokoll von 1541 finden wir darin eingepfarrt Liepen, Starkow, Stassow. Das letztere kommt für die Grenze nicht in Betracht; Liepen und das auf seinem Gebiet erwachsene Neuhof, dann das Pfarrdorf Thelkow selbst, zum Schluß Starkow mit dem aus ihm entstandenen Sophienhof bilden die Grenze, die sich nach Norden noch immer der Recknitz genau anschließt. Für Kammin zu erweisen ist von den genannten Orten außer dem Pfarrdorfe nur Stassow, über dessen Zehnten schon 1253 und dann wieder 1282 zu Gunsten des Klosters Dargun vom Bischof von Kammin bestimmt wird. 1 ) Thelkow selbst können wir als Kamminscher Diöcese zugehörig dadurch nachweisen, daß Herzog Heinrich von Meklenburg, als er 1475 dem Otto Moltke zum Strietfelde das Patronat über Thelkow (Telekow) wiederum verleiht, den Bischof von Kammin um Bestätigung dieser Verleihung bittet. 2 ) Ebenso müssen wir Thelkow auch erkennen in dem Dorfe Telekendorp in einer Urkunde vom Jahre 1381, in der ein Rostocker Bürger einen Hopfengarten vor dem Petri=Thor von Rostock für den Fall, daß der von ihm damit bedachte Jüngling nicht Priester wird, der Pfarrkirche des genannten Dorfes (ecclesie parrochialis in villa Telekendorp, dyocesis Camynensis) schenkt. 3 ) Es ist dieselbe Umformung des Namens, wie wir sie bereits bei Jankendorf und Jahnkow sahen. Daß vor 1381 schon die heutige slavische Form Telekow erscheint, 4 ) steht der Gleichsetzung der deutschen Form nicht im Wege. Wie wir bei Sührkow, das schon 1314 Surekowe heißt, noch im Jahre 1297 die deutsche Form Surekendorf finden, so heißt andererseits das seit 1269 als Zulestorp erscheinende Sülstorf bei Schwerin 1217 und 1227 Zulowe. 5 ) Auch bei Wesselstorf werden wir eine ältere slavische Form wahrnehmen.

Wir kommen sodann zur Pfarre Vilz . Heute stoßen von Ortschaften dieser Pfarre an die Grenze gegen das Schweriner Bisthum Vilz selber, Reddershof und Drüsewitz mit seiner im Jahre 1802 durch Bauernlegung gebildeten Meierei Christianenhof. Reddershof ist ebenfalls eine Neugründung,


1) 1253: M. U.=B. Nr. 715; 1282: M. U.=B. Nr. 1629.
2) Archiv zu Schwerin. (Emt. vend. 84 g Nr. 100.)
3) M. U.=B. Nr. 11368.
4) M. U.=B. Nr. 8453 (S. 116) und 10105.
5) Sührkow, M. U.=B. Nr. 2431, 2432 und Nr. 3721 (S. 116). Sülstorf M. U.=B. Nr. 230, 340 und Nr. 1172.
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im Jahre 1860 so benannt, als es Hauptgut wurde, aber auch als Neuhof erst kurz nach dem Beginn des 18. Jahrhunderts entstanden, als Meierei für den Hof Selpin. Vilz ist nach der 1560 in dem dortigen Altar aufgefundenen Weiheurkunde im 13. Jahrhundert im Kamminer Sprengel gewesen, da der Bischof von Kammin die erste Weihe des Altars" vollzogen hat. 1 ) Auch das in Vilz eingepfarrte Kowalz, das für unsere Grenze aber nicht in Betracht kommt, läßt sich durch zwei Urkunden als Kamminisch nachweisen. 2 )

Daß bei dem Einfluß der Polchow in die Recknitz die Bisthumsgrenze den letzteren Fluß verläßt, um sich eine Zeit lang dem Laufe der Polchow anzuschließen, ist bereits an der betreffenden Stelle bei der Aufzählung der Schweriner Grenzorte gesagt.

Als Kamminsche Grenzorte sind nach Drüsewitz anzuführen zunächst: Wesselstorf, Polchow, Griewe. Alle drei gehören zur Pfarre Polchow , die in mehreren Urkunden genannt wird, in denen der Bischof von Kammin dem Kloster Dargun Zehnten und andere geistliche Gerechtsame zuerkennt. 3 ) Auch Wesselstorf kommt in dreien dieser Urkunden vor, wenn wir nämlich berechtigt sind, das in ihnen genannte Wosdelsow, Woldelsow als Wesselstorf anzusprechen. 4 ) Das oben über Telekendorf und Thelkow Gesagte läßt es allerdings gerechtfertigt erscheinen, so daß wir das Fragezeichen bei Wesselstorf im Register IV zum M. U.=B. wohl streichen dürfen. Griewe ist in älterer Zeit, jedenfalls aber schon 1587, Pertinenz von Kl.=Dalwitz, seine Bauerstellen sind aber niedergelegt, worüber damals die Prebbereder Klage führen, da ihnen auch deren Dienste zugemuthet wurden.

Vielleicht ist diese Bauernlegung der Grund dafür, daß 1541 im Visitationsprotokoll außer Polchow und Wesselstorf nur Kl.=Dalwitz, nicht aber dessen gelegte Pertinenz Griewe, als in Polchow eingepfarrt genannt werden. Kl.=Dalwitz wird durch zwei Urkunden von 1235 und 1255, durch die dem Domstifte zu


1) M. U.=B. Nr. 11269, Anm. Vgl. Schlie, Kunst= und Gesch.=Denkmäler I, 406.
2) M. U.=B. Nr. 402 und Nr. 1629.
3) M. U.=B. Nr. 226, 401, 402, 1629.
4) M. U.=B. Nr. 226, 402, 1629. 1216 heißt es: ecclesia que est in villa Polchowe cum decima . . . duarum villarum videlicet Turinitz et Wosdelsowe ad ipsam ecclesiam assignata (Nr. 226). 1232 steht nur statt Turiniz-Beelz (Belitz) und Woldelsowe statt Wosdelsowe (Nr. 402).
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Güstrow Zehnten auch aus Parvo Dalewitz vom Bischof von Kammin verliehen werden, als Kamminisch gesichert. 1 )

Die nächste Pfarre auf Kamminscher Seite ist Belitz . Daß es Kamminisch war, geht unzweifelhaft aus der uns erhaltenen Besetzung der Pfarrkirche zu Belitz durch den Bischof Henning von Kammin aus dem Jahre 1450 hervor. 2 ) Wenn auch 1232 noch Belitz zur Kamminschen Pfarre Polchow gehörte, also noch nicht selbstständig dastand, so hatte es sich doch wohl schon im 14. Jahrhundert zu einer selbstständigen Pfarre großen Umfangs entwickelt. Zwölf Orte zählt außer dem Pfarrorte selbst das Visitationsprotokoll von 1541 als Pfarrsprengel von Belitz auf. 3 ) Nur Prebberede, Jahmen und Klein=Bützin kommen davon für die Grenze in Betracht. Für Prebberede's Zugehörigkeit zu Kammin spricht eine Urkunde von 1228, durch die Herzog Wartislaw von Pommern der Kirche zu Polchow auf Veranlassung des Bischofs von Kammin und in Gegenwart des dortigen Propstes das Dorf Prebberede (Priberaze) schenkt. 4 ) Wir müssen bedenken, daß dieses 4 Jahre vor der Ausstellung der Urkunde war, durch die auch Belitz noch als Bestandtheil der Pfarre Polchow bezeichnet wurde. Es ist nach Lage des Ortes nicht anzunehmen, daß der Vertrag der Bisthümer von 1247 an dem Besitzstande Kammins um Prebberede herum etwas geändert habe. Sowohl Polchow, wie wir sahen, als auch das spätere Pfarrdorf Belitz blieben wenigstens in unbestrittenem Besitze von Kammin. Die schon bei Wesselstorf angeführte Zehntverleihung aus Belitz durch den Bischof von Kammin im Jahre 1232, die Bestätigung darüber aus dem Jahre 1282, die Bestätigung einer Altarstiftung für die Pfarrkirche zu Belitz durch den Bischof von


1) M. U.=B. Nr. 439 und 758. Die letztere Urkunde ist mit besonderer Beziehung auf den endlichen Sieg in der Sprengelgrenzsache ausgestellt. Wenn der Bischof zu Schwerin sich noch 1257 lehnten zu Wendischen Dalevitz zuschreibt (M. U.=B. Nr. 808), so muß dieses ein anderer Ort sein, der etwa im Land Marlow untergegangen ist, oder es muß ein Schreibfehler Clandrians (etwa für Carlewitz) angenommen werden. Der Zehnten von Kl.=Dalwitz gehörte nach Güstrow.
2) Archiv zu Schwerin, Pfarre Belitz.
3) Nach dem Manual im Archiv zu Schwerin. Alle Ausfertigungen lassen Schwießel aus. Die zwölf Namen sind: Kl.= und Gr.=Bützin, Gr.=Dalwitz, Jahmen, Matgendorf, Prebberede, Rensow, Schwießel, Stierow, Tellow, Vietschow, Wüstenfelde. Der Neue Krug, Rabenhorst und Neu=Heinde sind jüngere Gründungen, letzteres entstammt erst dem Jahre 1810.
4) M. U.=B. Nr. 354. Schon 1296 wird der Name Preberede und Prebere geschrieben. M. U.=B. Nr. 2398.
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Kammin "auctoritate ordinaria" im Jahre 1417 und zuletzt der direkte Zusatz diocesis Caminensis zum Namen Belitz in einer Urkunde von 1450, und die Bezeichnung villa districtus nostri Slavie nomine Belitze Caminensis diocesis in einer herzoglichen Urkunde von 1501, die Belitz mit dem Domstifte zu Rostock vereinte, das sind, denke ich, genügende Beweise für seine Sprengelzugehörigkeit. 1 )

Jahmen zählt zu den Dörfern, deren Zehnten 1235 dem Domstift zu Güstrow geschenkt und 1255, also nach dem Grenzvertrage mit Schwerin, bestätigt werden, beide Male durch den jeweiligen Bischof von Kammin. 2 )

Für Klein=Bützin ist beweisend die Eintragung in das Registrum administrationis episcopatus Camin. vom 17. Jan. 1494, wonach für die Weihe der Kapelle in Klein=Bützin (in minori Butczin) 4 Gulden in die bischöfliche Kasse flossen. Diese wohl damals erst gebaute Kapelle wird noch in der Visitation von 1534 als der Pfarre zu Belitz inkorporirt bezeichnet. 3 )

Wir sind zu der Stelle gelangt, bei der wir oben bei den Schweriner Ortschaften Halt machten, wo auf Schwerinscher Seite die Pfarre Recknitz , auf Kamminscher Seite die Pfarre Warnckenhagen einsetzt.

Hier nimmt die sogenannte Diekhöfer Begüterung zunächst unsere Aufmerksamkeit in Anspruch. Der Hof, nach dem sie ihren Namen trug, seitdem sie in den Händen der Familie Hahn vereint war, erscheint im Mittelalter nur als ein geringes Gut: - "eine kleine Feldscheide, auf 6 1/2 Hufen geachtet", wie es noch 1548 heißt. Aus der Hand der Familie vom Dike vor 1422 in die der Voß gekommen, wurde es seit der Mitte des 15. Jahrhunderts nach und nach Besitz der Familie Hahn. 1480 war der Besitzübergang endgültig vollzogen. 4 ) Das dabei gelegene Lussow, jetzt Lissow, schon 1334 im Besitze der vom Dike, 5 ) hat auch bei den späteren Besitzveränderungen das Schicksal des Hofes zum Dike getheilt. Erst unter den Voß kam als weiterer Bestandtheil Drölitz (früher Drolze u. ähnl.)


1) M. U.=B. Nr. 402 (1232); Nr. 1629 (1282); Schröder, papist. Meklb. S. 1796 (1417); Archiv zu Schwerin, Pfarre Belitz (1450); Jahrbuch 12, S. 379 (1501), vgl. S. 383.
2) M. U.=B. Nr. 439 und 758.
3) Klempin, Beiträge I, Nr. 1023; 1534: Vis.=Prot. im Archiv zu Schwerin.
4) Lisch, Hahn III, S. 29.
5) M. U.=B. Nr. 5539, im Register Bd. XI fälschlich auf Lüssoro bezogen.
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hinzu, und gar erst 1649, als das übrige schon in Hahnschem Besitze war, Rampeschendorf, ein alter Besitz der Oldenburgschen Familie. 1 ) Rampeschendorf, im Mittelalter Dudeschen (oder Groten) Rampeschendorf (im Gegensatz zu dem später Wendorf genannten Wendeschen Rampeschendorf) war ein großes Bauerndorf von 21 Hufen. Der 30jährige Krieg mag die Bauernstellen vernichtet haben, man half dem Verfalle dann noch etwas nach; kurz, die Bauern von Rampeschendorf verschwanden, und an der Stelle des ehemaligen Bauerndorfs erhebt sich im 18. Jahrhundert das heutige Schloß Diekhof, während die Stelle des ehemaligen Hofes zum Dike, bei der Mühle an dem Bache Kurleput gelegen, in ein bäuerliches Anwesen umgewandelt wird.

Wir haben hier mit den älteren Verhältnissen, also mit dem Bauerndorfe Rampeschendorf und bem kleinen Hofe zum Dike zu rechnen. Von diesen lag Rampeschendorf (und auch Drölitz) sicher im Kirchspiel Recknitz . Das Visitationsprotokoll von 1541 sagt bei Recknitz: zum Karspel gehören Rossewitz, Litzow (d. i. das jetzt Liessow geschriebene Dorf bei Laage), Parperde, Korleput, Czapkendorp, Plawitze, Droitze, Wentdorp, Rampeschendorp, Mirendorp, Glasewitze, Spotkendorp. 2 ) Außerdem sind uns drei Urkunden von 1496 und 1500 erhalten, in denen geradezu gesagt wird: an deme dorpe Groten Rampeschendorpe yn deme Kaspel tor Rekenitze. 3 )

Diekhof dagegen und das dabei liegende Lissow gehörten zur Pfarre Warnkenhagen . Im Visitationsprotokoll von 1541 (und zwar im Manual) finden sich zu dieser Pfarre aufgezählt: "Gottin, Dalekendorp, Bartelshagen, Crassow, Dultzin, Poltze, Luningsdorp, Strisenow, 1 Hof zum Dike, Lussow." "Vom Hof zum "Dike soll er (der Pastor) jährlich 4 Scheffel heben, hat Christoffer "Hane zu Basedow in 16 Jahren nicht geben." Wenn man nun etwa das Protokoll von 1541 nicht als ganz beweiskräftig für die katholische Zeit ansehen wollte, so würde der Zusatz, der uns für den Hof zum Dike um 16 Jahre zurück, also in sicherlich noch katholische Zeit, versetzt, die Zugehörigkeit Diekhofs zur


1) Lisch, Hahn, III, S. 314.
2) Knegendorf ist entweder versehentlich ausgelassen oder war damals gerade vorübergehend nicht besetzt. Schon in dem Amtsregister von 1445 erscheint Kneghendorp mit 10 1/2 Hufen. (Archiv zu Schwerin.) - 1512 wird Ließow genannt: das Dorf zu Lytzow in dem Kaspel Rekenisse (Clandrian, Domstift Güstrow).
3) Archiv zu Schwerin, die Urk. bei Domkapitel zu Güstrow und Pfarrkirche zu Güstrow.
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Pfarre Warnkenhagen auch für diese Zeit belegen. Ganz unwiderleglich aber erfahren wir, daß der Hof zum Dike im Bisthum Kammin gelegen war, aus einer Urkunde des Bischofs Martin von Kammin von 1517, durch die er dem Suffragan des Bischofs von Schwerin erlaubt die Kapelle im Schloß zu Güstrow, die Franziskanerkirche daselbst, die Kirche zu Basedow und "die Capelle thom Dike dyth mael tho consecrerende". 1 ) Daß aber Lissow zum Kirchspiel Warnkenhagen auch in katholischen Zeiten gehört hat, lehrt uns eine Urkunde von 1501, wo Reimer Lehsten zu Gottin dem Dom zu Güstrow eine Hebung "in dem dorpe tor Lussow ynn dem Kerspel tho Wernekenhagen" schenkt. 2 ) Lussow und zwar "Lussow beim Dike" wird Lissow noch 1562 genannt. 3 )

Daß die Pfarre Recknitz zum Bisthum Schwerin gehört, steht durch viele Belege fest. Recknitz erscheint in den Zehntenschuldregistern dieses Bisthums von 1525 und 1526; es steht nach dem von Lisch benutzten Verzeichniß von 1473 unter dem Archidiakonate Rostock, was auch durch das Archidiakonatsheberegister von 1560 und seine Nachfolger bezeugt wird. 1500 wurde durch die Vieregges dem Archidiakon zu Rostock ein Geistlicher für ein offenes Lehn in Rekenisse präsentirt, und 1516 wurde nach dem Visitationsprotokoll von 1534 der Inhaber des zweiten geistlichen Lehns zu Recknitz durch den Archidiakon zu Rostock eingesetzt. Schließlich wird noch in zahlreichen bereits gedruckten Urkunden des 14. und 15. Jahrhunderts Recknitz als zu der Schweriner Diöcese gehörig ausdrücklich bezeichnet. 4 )

Von den genannten Ortschaften des Recknitzer Pfarrsprengels kommen für die Grenze in Betracht Rampeschendorf, von dem schon oben die Rede; sodann ein anderer ausgegangener Ort Parper, der durch einen Schreibfehler in dem Landbuch des Stifts Schwerin von 1581 in einen Ort Peryede umgewandelt wurde, und den als solchen unterzubringen Schildt bei der Aufzählung der bischöflich Schwerinschen Geldhebungen in seiner Arbeit über das Bisthum Schwerin Schwierigkeiten hatte, während


1) Archiv zu Schwerin, Or. Franziskaner Güstrow. - Die Kapelle lag sicherlich bei der Mühle und ist nicht mit der jetzigen Diekhöfer Schloßkapelle gleichzusetzen.
2) Archiv zu Schwerin, Or. Dom Güstrow.
3) Archiv zu Schwerin, Güstrow, Clandrian.
4) M. U.=B. Nr. 9325, 9350, 9391, 9728, 9873, 9879, 10721 von 1365, 1368, 1369 und 1375; Schröder, papist. Meklb., S. 1878 ff. von 1425. Alle vorher im Texte genannten Quellen beruhen im Archive zu Schwerin.
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er in seiner Arbeit über die Wüstungen das sonst an der Stelle von Peryede stehende Parperde richtig deutete. 1 ) Ich führe es mit auf, weil seine und Rampeschendorfs Grenzen nicht mehr ganz festzusteuen sind, und daher die Angabe auch der muthmaßlich in zweiter Linie liegenden Ortschaft (Parpert) hier wohl geboten erscheint.

Es folgen dann Drölitz, Plaaz (früher Plawetze), Wendorf (wie schon erwähnt, früher - noch 1498 - Wendeschen Rampeschendorf genannt), Mierendorf und Glasewitz, aüe bereits genannt als Bestandtheile der Pfarre Recknitz. Nur Glasewitz allein von diesen Orten wird direkt als in der Schweriner Diöcese gelegen bezeichnet, und zwar in mehreren Urkunden des Jahres 1365, von denen einige auch für das auf Glasewitzer Feldmark untergegangene Pruzekendorp, das also eigentlich auch unter den Grenzorten aufgezählt werden müßte, den gleichen Beweis der Zugehörigkeit zum Schweriner Bisthum erbringen. 2 )

Für das der Recknitzer Pfarre auf Kamminscher Seite entgenzustellende Kirchspiel Warnkenhagen sind wir nicht in der glücklichen Lage, so zahlreiche Beweise seiner kirchlichen Zugehörigkeit zu besitzen. Es ist nur eine Urkunde, auf die wir für Warnkenhagen selbst uns stützen können, aus dem Jahre 1424 stammend, in der Gerhard Isermenger, Pfarrherr zu Recknitz, dyocesis Zwerinensis, neben Renten aus Güstrow und Teterow auch Hebungen in villa Wernekenhaghen, dicte Caminensis diocesis, einem Altare in der Malchower Stadtkirche zuwendet. 3 ) Und dann haben wir, wie wir oben sahen, für den Hof zum Dicke einen direkten Beweis seiner Zugehörigkeit zu Kammin in der Urkunde von 1517 über die Kapellenweihe gefunden.

Vielleicht daß uns auch über Lissow, Striesenow, Lüningsdorf und Tolzien, die alle in Betracht kommen, der Zufall einmal einen gleichen Beweis in die Hände spielt. So=


1) Jahrb. 51, S. 184, dem Rudloff im Jahrb. 58, S. 14, folgte. Jahrb. 56, S. 204. Zu letzterer Stelle bemerke ich, daß Plaweße Rampeschendorf bei Schildt zwei durch ein Komma zu trennende Ortschaften Plaaz und R. sind. - Zum Landbuche bemerke ich, daß die von Schildt (S. 183) als Geldhebungen bezeichneten Gefälle Geldzehnten waren, daß also ihre Entrichtung die Zugehörigkeit der pflichtigen Orte zum Bisthumsprengel von Schwerin bedingte.
2) Die Urkunden M. U.=B. 9325, 9326 und 9391; die erste und letzte auch für Pruzekendorp sprechend.
3) Rudloff, handschr. Diplomatar im Archive zu Schwerin.
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lange müssen wir uns mit der schon durch das Visitationsprotokoll von 1541 bezeugten Zugehörigkeit all dieser Orte zur Pfarre Warnkenhagen begnügen.

Das nächstfolgende Kamminsche Kirchspiel Wattmannshagen ist als solches besser belegt als sein Vorgänger. Das Visitationsprotokoll von 1534 erzählt, daß 1519 Herr Volrad Wolder als Pfarrherr durch den Propst zu Güstrow eingesetzt worden sei, eine Nachricht, der wir wiederum zum Jahre 1513 in Schröders papistischem Meklenburg (nach gleicher Quelle?) begegnen. Im Jahre 1354 aber wird die parrochia ville "Wademmaneshagen mit dem Zusatze Caminensis diocesis versehen, und der Stifter einer Vikarei an dieser Kirche muß sich verpflichten, die Genehmigung des Bischofs von Kammin zur Aufrichtung einzuholen. 1 )

Zierhagen und Niegleve sind von den 1541 als Zubehör der Wattmannshäger Pfarre genannten Orten die für die Grenzbestimmung wichtigen. Ersteres, 1541 noch Sierowe und ähnlich, nunmehr aber Schlieffenberg genannt, hat jetzt als Pfarre die Orte Tolzien und Niegleve zugetheilt erhalten, früher war Niegleve - von Tolzien sahen wir schon seine Zugehörigkeit zur Pfarre Warnkenhagen - der Pfarre Wattmannshagen unterworfen: villa Nychlebe syta in parrochia Wademshaghen heißt es in einer Urkunde von 1372. 2 ) Gehörten diese Dörfer aber zur Pfarre Wattmannshagen, so waren sie auch ohne Weiteres mit dieser Bestandtheile des Kamminschen Sprengels.

Auch für die nun folgende Pfarre Reinshagen können wir, wie für Wattmannshagen, direkt die Zugehörigkeit zum Bisthum Kammin beweisen. 1380 bestätigt Bischof Philipp von Kammin auctoritate ordinaria den Tausch von Ländereien, die einer unter Oldenburgschem Patronat stehenden Vikarei zu Reinshagen gehören; im Jahre 1457 bestätigt Bischof Henning von Kammin die durch Herzog Heinrich von Meklenburg im Vorjahre vorgenommene Uebertragung des Patronatsrechts über die Kirche zu Reinshagen an Claus von Oldenburg auf Gremmelin und seine Erben. Zum Beschluß kann ich dann noch ein Regest anführen, auf dessen Beweisfähigkeit ich allerdings kein großes Gewicht zu legen im Stande bin, nämlich das folgende dem Jahre 1500 zugeschriebene:


1) M. U.=B. Nr. 7921.
2) M. U.=B. Nr. 10376.
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"Herr Henning von Lehsten zu Wardow, Claus von Oldenburg zu Gremmelin und Hartmann von Oldenburg zu Vietgest werden angeführt in einem Briefe, in welchem Hinrich Reberg presbyter und Sophie, Hr. Hermann Oldenburgs Wittwe, nebst ihrem Bruder Henrich Ramelsberg zu Reinshagen eine Vikarie gestiftet; diese ist von Henrico, Bischofen zu Camin confirmiret worden." 1 ) Im Jahre 1500 saß aus dem Kamminer Bischofsstuhl Martin von Carith. Der einzige Bischof Heinrich von Kammin regierte von 1299 bis 1317. Hierfür aber passen die Persönlichkeiten gar nicht. Ich glaube, daß die Urkunde dem Jahre 1450 entstammt und daß der Irrthum durch ein mißverstandenes anno etc. quinquagesimo entstanden ist. Wir haben dann denselben Claus von Oldenburg vor uns, der 1456 und 1457 erscheint, wir müssen aber statt Henrico Henningo lesen.

Von den für die Grenze erforderlichen Orten Gremmelin, Kussow und Dehmen wissen wir ihre Zugehörigkeit nicht anders zu erweisen als durch ihre Einpfarrung in Reinshagen. Auf Gremmelin ruhte auch, wie wir sahen, das Patronat von Reinshagen, was durch das Visitationsprotokoll von 1541 nochmals bestätigt wird.

Von da, wo an der südlichsten Spitze der Grenze von Glasewitz (mit Dehmen) der Augraben nach Westen umbiegt, folgt auch die Bisthumsgrenze diesem Bache, der Nebel zu, um dann dem Laufe dieses Flüßchens treu zu bleiben, bis, nach Berührung der Lüssower Scheide, die Grenze der Güstrower Stadtgemarkung sich südwärts dem Parumer See zuwendet. Ihr geht auch die Bisthumsgrenze nach, die somit der Schweriner Seite die Feldmark der ehemaligen Altstadt Güstrow und das dahinter liegende Suckow, sodann Strenz, Lüssow, Parum, Boldebuck und Karcheez zuweist, während dem Kamminer Bisthum das der Kirchrosiner Pfarre angehörige Klueß (ehemals Pustekow), dann die Stadtfeldmark der neuen Stadt Güstrow, einschließlich der eingegangenen Feldmark Glin und das Dorf Bülow verbleiben.

Die Altstadt Güstrow war im Mittelalter, bis in das 16. Jahrhundert hinein, eine eigene Pfarre, der das Dorf Suckow angehörte. Schon in seiner Topographie der Länder Schwaan und


1) 1380: M. U.=B. Nr. 11255; 1457: Archiv zu Schwerin (Pfarre Reinshagen, Patronat); 1500: Schröder, papist. Meklb. S. 2607.
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Laage hat A. Rudloff über diese Pfarre einiges mitgetheilt: daß 1258, also noch in der Zeit der strittigen Diöcesangrenzen gegen Kammin, der Bischof von Schwerin gegen die Zehntenerhebung in Alt=Güstrow und Suckow etc. . durch das Kollegiatstift zu Güstrow Einsprache erhoben hat, daß er 1270 dem Dekan des Bützower Kollegiatstifts den Bann oder die Archidiakonatsgewalt auch über Alt=Güstrow verliehen hat, daß 1346 vom Bischof von Schwerin die Pfarre der alten Stadt Güstrow geradezu in der Diöcese Schwerin belegen genannt wird (Jacobus dictus Weitendorp rector ecclesie antique civitatis Guzstrowe, nostre Zwerinensis dyocesis), und daß dieselbe Urkunde auch das am nördlichen Nebelufer liegende domus beati Georgii extra muros Gustrowenses nostre diocesis, also Schweriner Sprengels, bezeichnet. Wir können dem noch hinzufügen, daß 1381 der rector ecclesie in Antiqua Gustrowe, Zwerinensis dyocesis sowie 1405 der Geistliche in S. Jürgenskapelle bei Güstrow Schwerinschen Stiftes genannt wird, und 1534 von ihm gesagt wird, daß er von dem Dekan zu Bützow vor 10 Jahren instituiert sei. Wenn aber Rudloff hinzufügt, daß zu der Kirche von Alt=Güstrow auch das Dorf Suckow (jetzt zur Pfarrkirche Güstrow) gehört haben "wird", so können wir das, und konnten es damals schon, urkundlich erhärten durch ein Regest aus dem Jahre 1459, wonach ein Bürger zu Güstrow an Claus Mierendorf und Claus Ratken, Bauersleute zu Suckow und Vorsteher der Kirche der alten Stadt Güstrow, Schwerinschen Stifts, eine Pacht aus seinem Hause verkauft. Dann weiter durch ein Regest von 1485, nach dem ein anderer Baumann zu Suckow "dem Pfarrherrn der Kirchen der alten Stadt Güstrow und Capellen zu Suckow" eine Geldhebung aus seinem Hofe käuflich abtritt. Wann die Altstadt Güstrow eingegangen ist, die wir auf jeden Fall am nördlichen Ufer der Nebel, nach örtlichen Forschern etwa in der Gegend der heutigen Röwer Tannen, zu suchen haben, wissen wir nicht. Noch 1534 wird "die Oldestat vor Gustrow" als eigene Pfarre behandelt und ihr Pfarrer als durch den Dekan von Bützow 1523 eingesetzt bezeichnet. Noch bis 1552 hin erscheinen die Kirchgeschworenen der Kirche zu der Alten Stadt vor Güstrow, wenn sie auch schon 1536 einmal Gottshausleute zu Suckow genannt werden. Die Kirche stand sicher noch 1538. In diesem Jahre wird ein den Vikaren der Pfarrkirche verkaufter Acker vor dem Mühlenthore "achter der Kirchen der alten Stadt Gustrow" liegend genannt. Von der Stadt dagegen stand 1542 gewiß nichts mehr, denn man bezeichnete damals Acker vor dem Mühlenthor als "in

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dem Schlage der Oldenstadt" und andere als "achter der Oldenstadt" gelegen. 1 )

Mit Strenz betreten wir das Kirchspiel Lüssow, dessen Pfarrdorf der darauf folgende Schwerinsche Ort ist. Lüssow ist als Schwerinisch vielfach bezeugt. 1229 verleiht der Bischof von Schwerin Zehnten aus Lüssow an die Kirche zu Bützow; 1237 schenkt Nicolaus von Werle mit Genehmigung des Bischofs von Schwerin die Kirche zu Lüssow an das Domstift zu Güstrow; 1248 erscheint wieder der Bischof von Schwerin als Schenkgeber von Zehnten aus Lüssow an das Kollegiatstift Bützow; 1270 verleiht er dem Dekan zu Bützow den Archidiakonats=Bann auch über Lüssow, und 1327 wird das jus patronatus ecclesie Lussowe Zwerinensis dyocesis endgültig an das Domstift zu Güstrow Caminensis dyocesis abgetreten. 2 )

Strenze erscheint in dem Visitationsprotokoll von 1541 als eine der zahlreichen Ortschaften des Lüssower Pfarrsprengels. 3 ) Es muß uns das als Beweis seiner Zugehörigkeit zum Schweriner Bisthum genügen.

Parum , das nun folgende Pfarrdorf, ist schon durch das Verzeichniß der Pfarrlehne als Schwerinisch gekennzeichnet. Im Archiv befindet sich eine Urkunde des Bischofs Peter von Schwerin von 1508, die einen Pfarrer ville Parum Zuerinensis diocesis einsetzt, aber bereits im Jahre 1233 tritt es uns als Pfarrkirche Schweriner Sprengels entgegen, da Bischof Brunward von Schwerin bei der Bewidmung des Klosters Rühn unter den seinem Banne zugewiesenen Kirchen auch Parme nennt. 1328 erscheint Johannes, Pfarrer von Parum, als Zeuge (Petro in Schonenberghe et Johanne in Parem, Raceborgensis et Zuerinensis


1) 1258: M. U.=B. Nr. 826; 1270: Nr. 1178; 1346: Nr. 6701 (daß der hier und in Nr. 6592 als Pfarrer von Alt=Güstrow genannte Priester mit dem Jahrb. 58, S. 3, Anm. 3 aus Nr. 5511 angeführten identisch ist, hat Rudloff nicht beachtet, sonst hätte er die Anm. anders gefaßt); 1381: Nr. 11378; 1459: Schröder, papist. Meklb. S. 2125; 1405 und 1485 Archiv zu Schwerin (Clandrian), ebenso auch die Nachrichten von 1536 bis 1552; 1534: Visitationsprotokoll im Archiv zu Schwerin, gedruckt bei Schlie, Denkmäler IV, 189, Anm. 3. Auch im "Verzeichniß der Pfarrlehne" kommt Gustrow vor.
2) 1229: M. U.=B. Nr. 365; 1237: Nr. 464; 1248: Nr. 610; 1270: Nr. 1178; 1327: Nr. 4872. Außerdem erscheint Lüssow auch im "Verzeichniß der Pfarrlehne".
3) Schröder, Evang. Meklb. I, S. 428, wo "1 mole 1 hoff zu Bredentin und Coselow" bei der Aufzählung der zugehörigen Orte ausgelassen sind. 1495 wird Großen=Strentze erwähnt, was auch ein Lütten=Strentze für alte Zeit voraussetzen läßt (Archiv zu Schwerin, Clandrian).
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diocesium ecclesiarum rectoribus), und 1370 bezeichnet Bischof Friedrich von Schwerin seine Erbgüter Parym, Ghetze, Nigenhagen, Gultzow, Boldebuck als im Lande Bützow und im Stift Schwerin belegen. 1 ) Hiermit ist zugleich auch von Boldebuk und Karcheez die Zugehörigkeit zur Schweriner Diöcese bewiesen.

Die Pfarre Karcheez wird bereits 1234 dem Banne des Klosters Dobbertin, Schwerinschen Stiftes, unterworfen; Botdebuck Töird auch 1362 als villa Boldebuk Zwerinensis dyocesis aufgeführt. 2 )

Das auf Karcheez folgende und auch dort eingepfarrte Hägerfelde macht eine kleine Abschweifung nothwendig. Im Mittelalter bestand es unter diesem Namen noch nicht, erst seit 1612 erscheint es, wie die abgewandelte Form des Namens es heute noch verräth, als "auf dem Hager Felde". Es läge nun nahe, das Nienhagen in Bezug zu nehmen, das mehrfach mit den Dörfern dieser Gegend (zuletzt 1370) erscheint, allein dieses ist wohl mit dem Nienhagen zu identifiziren, das 1233 als bei Rühn liegend genannt wird. Dagegen erscheint (zuerst 1362) ein Bartrammeshagen in der Nähe von Karcheez, das entschieden zur Bildung von Hägerfelde gedient hat. 1362 nahmen die Fürsten von Werle bei einer Verpfändung ihrer Antheile der Seeen von Parum und Karcheez einen Fischzug in dem See zu Geez aus, der Machorius Brusehaver zustand und der zu dem Bartrammeshagen gehörte. Hieraus lernen wir, daß Bartramshagen an den Karcheezer See stoßen muß. Das thut an dessen südlichster Spitze die Feldmark von Hägerfelde. 1375 giebt ein Vikar der Güstrower Domkirche einer Bruderschaft daselbst eine Pacht aus der Mühle zu Bertrameshagen. Wenn auch heute keine Mühle aus dem Hägerfelder Gebiete mehr vorhanden ist, die Akten des 17. Jahrhunderts erwähnen sie, und noch die Schmettausche Karte (1792) beweist uns, daß sie nahe dem kleinen Teich gelegen hat, der südlich des nach Prützen führenden Weges noch heute vorhanden ist. Dann erscheint Bertrameshaghen im Jahre 1386 als Wohnsitz eines Heinrich von Bülow,


1) 1233: M. U.=B. Nr. 420; 1328: Nr. 4988; 1370: 10045. Die Urkunde Nr. 5472, die Rudloff im Jahrb. 58, S. 3, Anm. 1 für bie kirchliche Zugehörigkeit Parums und Gülzows zu Schwerin anführt, ist nicht beweiskräftig dafür, da es sich darin nur um grundherrliche Rechte handelt, die der Bischof auch in anderen Diöcesen auszuüben vermochte.
2) Karcheez, M. U.=B. Nr. 425. Boldebuck: Nr. 9015, für beide Nr. 10045 von 1370. Auch das Verzeichniß der Pfarrlehne des Bisthums Schwerin enthält Karcheetz. (Vgl. M. U.=B. Nr. 425, Anm.)
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genannt Prutze, wofür das die Urkunde überliefernde Diplomatorium des Stifts Bützow von Prutzen verbessert. Prützen ist auf der ganzen Westseite von Hägerfelde mit diesem angrenzend. Es kann uns also auch nicht wundern, wenn es sich 1419 um eine gemeinsame Verpfändung "der beiden Stücke Guts Rrutzen und Bertrameshagen" durch Joachim von Bülow an das Kloster Dobbertin handelt. 1 ) Hägerfelde hat, soweit wir seine kirchlichen Verhältnisse zurückverfolgen können, stets zu Karcheez gehört, demnach ist es sicher zur Schwerinschen Diöcese zu rechnen.

Kehren wir zum Kamminschen zurück! Der erste Ort Kamminschen Gebiets, der uns begegnet, sobald wir das Kirchspiel Reinshagen verlassen haben, ist heute der Forsthof und Zubehör Klueß. Dicht dabei lag nach Lischens Forschungen im Mittelalter und noch bis in das 18. Jahrhundert der fürstliche Hof Pustecowe. 2 ) Ursprünglich ein Wilden=Gestüt, wurde Pustekow allmählich ein Meierhof und erscheint im Anfang des 18. Jahrhunderts als Wohnort des Forstbeamten, der bald darauf als zur Klues wohnhaft bezeichnet wird.

1534 war Pustekow in Kirch=Rosin eingepfarrt wie es heute noch Klueß ist. Der Hof Pustekow giebt jährlich 3 Scheffel Mischkorn dem Pfarrer zu Kirch=Rosin. Kirch=Rosin aber ist Kamminisch nach der Urkunde von 1233, in der Bischof Konrad von Kammin dem Kloster Michaelstein den Zehnten der Rosinschen Güter, den die Herren von Rostock lehnsweise von ihm erhalten hatten, zu Eigen schenkt. 3 )

Daß die Stadt Güstrow , zu der wir nunmehr gelangen, im Jahre 1229 noch zum Schweriner Bischofsprengel gerechnet wurde, und des Schweriner Bischofs Bestätigung für das Kollegiatstift in Güstrow erforderlich war, während schon 1235 der Kamminer Bischof von diesem Stifte sagen durfte: in nostra dyocesi plantata, wenn auch noch 1258 der Schweriner Bischof Anstrengungen machte, seine Sprengelanrechte wieder geltend zu machen, das ist schon mehrfach in den Jahrbüchern ausgesprochen. 4 ) Ich will hier nur einige Urkunden mehr heranziehen, die geeignet sind, die Grenzen der Kamminschen Sprengelsgewalt für die Zeit


1) 1362: M. U.=B. Nr. 9100; 1375: Nr. 10685, beide Male im Register auf Bartenshagen bei Doberan bezogen; 1386: Nr. 11783, in der Regeste Bartenshagen genannt; 1419: Dobbertiner Regeste Clandrians.
2) Jahrb. 26, S. 60, namentlich S. 65.
3) M. U.=B. Nr. 411.
4) Zuletzt von Rudloff, Jahrb. 58, S. 3, Anm. 3 unter Anführung der Beweisstellen.
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des späteren Mittelalters zu erläutern. Für Domstift, Pfarrkirche und Heilig=Geistspital möge statt vieler Urkunden die eine von 1308 sprechen, in der Bischof Heinrich von Kammin die Union dieser drei Kirchen ausspricht, die Grundlage der späteren kirchlichen Verfassung Güstrows, die keine Kirchsprengel, sondern nur freie Wahl des Beichtvaters kennt. Für die Kapelle des heil. Bluts, die früher als selbstständiger Bau bestand, die Bestätigungen des Bischofs Siegfried von Kammin von 1427, des Generaladministrators von Kammin von 1484 und des Bischofs Benedikt von Kammin von J491 für Schenkungen an diese Kapelle, die uns theils im Original, theils in Auszügen durch Clandrians Registratur der Güstrowschen Kirchenbriefe aufbewahrt sind. Für die Gertrudenkapelle vor der Stadt die Bestätigung des Bischofs Siegfried von Kammin von 1430 für eine Stiftung ad capellam et altare beate Gertrudis virginis perpetue prope et extra muros opidi Gustrowe dicte nostre Caminensis dioceseos; ebenso eine Einzeichnung in das Registrum administrationis episcopatus Caminensis vom Jahre 1493 über die Bestätigung eines Lehns in capella Sancte Gertrudis extra muros opidi Gustrowe. Für den Kaland zu Güstrow und die Brüderschaft der heiligen Gregor und Augustin daselbst führe ich die Bestätigungen der Kamminer Bischöfe von 1349 und 1508 an. 1 ) Für die Schloßkapelle endlich und die Kirche des Franziskanerklosters den bei Diekhof angezogenen Brief Bischofs Martin von Kammin, der die Weihung dieser Kirchen ausnahmsweise dem Weihbischof von Schwerin übertrug.

Daß das ausgegangene Dorf Glin dem Bisthum Kammin angehört hat, wird durch seine Lage zur Nebel von vornherein angedeutet, auch sein Nachbardorf Bülow (zum Güstrower Pfarrsprengel gehörig, wie eine Urkunde von 1490 es bezeugt, 2 ) ist sicher, wie sein Pfarrort dem Kamminschen Sprengel unterworfen gewesen, seitdem dieser seinen Besitz in Circipanien erstritt.

Mit dem an Bülow grenzenden Schönwolde betreten wir das Pfarrgebiet von Badendiek . Um das Jahr 1525 sagen die Bauern von Gantschow, sie hätten von Hans von Bülow (auf


1) 1308: M. U.=B. Nr. 3211; 1430 auch angeführt bei Schlie, Denkmäler IV, 253, sonst Clandrian, im Archiv zu Schwerin, eben daher auch die anderen angezogenen Urkunden. Vergl. Jahrb. 44, S. 7, 17 für die Brüderschaft. Das Reg. ep. Garn. ist bei Klempin, Beiträge, I (Nr. 965) gedruckt.
2) Archiv zu Schwerin, Güstrow, Clandrian: Bulow im Kerspel zu Gustrow.
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Prützen) eine wüste Feldmark "Schonewolth in usem Karspel Badendik" gepachtet gehabt. 1 ) Also auch Gantschow, das sehen wir hieraus, lag in dem Kirchspiel Badendiek. Daß dieses aber Kamminisch ist, zeigt uns das Visitationsprotokoll von 1541 mit seiner Bemerkung: "die Kercke hat der Probst zu Gustrow zu verlohnen", sie stand demnach auch unter dem Archidiakonatsbanne, den der Güstrower Propst namens des Kamminer Bischofs ausübte. 2 )

Ueber die nun auf Kamminscher Seite folgende Pfarre Zehna sind uns nicht viel Nachrichten aus älteren Zeiten überliefert. Aus einer Urkunde von 1298, in der Bischof Peter von Kammin auctoritate ordinaria die Verleihung des Patronats der Kirche von Zehna an das Domstift zu Güstrow bestätigt, können wir entnehmen, daß sie zum Kamminschen Sprengel gehörte, über ihren Umfang erfahren wir aber erst durch das Visitationsprotokoll von 1565 etwas, nämlich, daß außer Hohen=Zehna nur Klein=Bresen dazu gehört habe. 3 ) Wendorf und erst recht Neuhof werden wir uns also als neuere Gründungen, und zwar wohl aus der Zehnaer Feldmark, zu denken haben. Das Hohen=Zehna des Protokolls von 1565 ist noch ein Ueberrest der Mehrgestaltigkeit der Zehna benannten Anlage. 1357 erscheint major Gene neben slavica Gene, letzteres wohl identisch mit Hohen=Zehna und der Vorgänger von Wendorf.

Das gegenüberliegende Schwerinsche Kirchspiel war Lohmen . Im Verzeichniß der Pfarrlehne erscheint es als im Dobbertiner Archidiakonat belegen, dem es schon von Bischof Brunward von Schwerin 1234 zugetheilt war. 4 ) Im Jahre 1649 waren im Lohmener Pfarrsprengel belegen Gerdshagen als Tochterkirche, und daneben Oldenstorf, Klein=Upahl, Garden, Altenhagen und Nienhagen. Daß dieses nicht von Alters her so gewesen, das anzunehmen liegt kein Grund vor. Für Gerdshagens Zugehörigkeit zu Schwerin dürfte auch seine Anführung in dem Restantenverzeichniß der Schweriner Bischofszehnten von 1531 sprechen, wenn damit nicht eher das gleichnamige Gut im Amte Bukow gemeint ist.


1) Archiv zu Schwerin, Lehnakten. Hans von Bülow hatte die (unbebaute) Feldmark Schönwolde erst 1511 zu Lehn erhalten.
2) Archiv zu Schwerin. Der Abdruck bei Schröder, Evang. Meklb., S. 426, verändert den Wortlaut willkürlich.
3) 1298: M.U.=B.Nr.2511; 1565: Visitationsprotokoll, ebenso heißt es auch 1662.
4) M. U.=B. Nr. 425.
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Wir sind nun an eine Stelle der Grenze gelangt, wie sie sich bislang noch nicht darbot, und wie sie auch im weiteren Verlaufe der Grenzbegehung glücklicher Weise sich nicht oft findet, wo wir nämlich gezwungen sind, zu sagen: Wir wissen nichts sicheres. Es handelt sich um das Kirchspiel Kirch=Kogel . Schwerinisch oder Kamminisch? Lisch nimmt bei seinen von ihm so genannten "ungefähren, jedoch sicheren Andeutungen" über die Kammin=Schwerinsche Grenze in seiner Grenzübersicht nach Pfarren Kirch=Kogel als Schwerinisch an, setzt aber der Vorsicht halber ein Fragezeichen dabei. 1 ) (gleichzeitig aber nimmt er an, als er vorher über die Strecke von Rambow bis Zehna spricht, daß gerade "hier die Grenze des Bisthums Kammin in den Amtsgrenzen lag". Krakow und Bellin werden von ihm denn auch als Kamminisch angesehen. Für beide liegt der Beweis vor in einer leider ohne Datum aus uns überkommenen Urkunde des Bischofs Sigfried von Kammin, die nach einem Clandrianschen Auszuge einer anderen Urkunde verwandten Inhaltes wohl in das letzte Jahr dieses Bischofs, 1446, oder kurz zuvor gesetzt werden muß. In dieser Urkunde wird sowohl die parochialis ecclesia opidi Crakow Caminensis diocesis genannt, wie auch von Bellin et Ludershagen 2 ) villarum parochialibus ecclesiis eiusdem Caminensis diocesis gesprochen. Lisch, dem diese Urkunde noch nicht vorgelegen zu haben scheint und der für Krakow die Zugehörigkeit zur Kamminer Diöcese nur aus Kirchbergs Erzählung über die Krakower Judenschlacht schließen mochte, 3 ) nahm, gemäß seiner Ansicht über die Gleichheit der Bisthums= und Amtsgrenzen auf dieser Strecke, die Zugehörigkeit zur Krakower Vogtei bei Bellin als genügend für die Zuweisung zur Kamminer Diöcese an. 4 ) Er scheint dabei noch nicht einmal die Stelle des Visitationsprotokolls von 1534 im Auge gehabt zu haben, die uns berechtigt, die Zugehörigkeit gerade der um Krakow liegenden Ortschaften dieser Vogtei zur Kamminer Diöcese als sicher anzunehmen. Sie steht am Ende des Abschnittes: "tho Gustrow" an einer Stelle, wo man sie allerdings nicht sucht, und lautet: Ock tho allen kercken und lenen in der prowestie belegen, alse Teterow, Krackow mit allen andern kercken dar bynnen und ummeher belegen hefft de prawest de institution tho.


1) Jahrb. 12, 34 (Uebersicht), 33 (Besprechung).
2) Hiernach ist Schlie, Denkmäler IV, 328, Anm. 1 zu verbessern.
3) Vgl. Jahrb. 32, S. 107. M. U.=B. Nr. 5250 Anm.
4) Bellin lag in der Vogtei Krakow nach dem gleich anzuführenden Heberegister dieser Vogtei von 1445.
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Können wir aber somit die um Krakow belegenen Theile der Vogtei Krakow für das Güstrower Archidiakonat, also für den Kamminer Bischofssprengel, ohne Weiteres in Anspruch nehmen, so liegt auch Kirch=Kogel in diesem Sprengel, denn auch Kirch=Kogel gehörte zur Krakower Vogtei. Als Herzog Heinrich der Aeltere dem Kloster Dobbertin das Patronat von Kirch=Kogel im Jahre 1440 verleiht, wird ausdrücklich von der "Kirchen zu Kerckowalk belegen in der voigtei zu Cracow" gesprochen. So wenigstens sagt es das uns vorliegende Regest Clandrians aus der vermuthlich in dem leider unzugänglichen Klosterarchiv von Dobbertin vergrabenen Urkunde. Auch ein im Schweriner Archiv vorhandenes Heberegister der Vogtei Krakow aus dem Jahre 1445 enthält sowohl das Kirchdorf Kowalk, als auch das als wüst bezeichnete Wendischen Kowalk (Rumkogel) und außerdem die in Kirch=Kogel eingepfarrten Ortschaften: Remperdeshagen (Reimershagen), Gellandt. 1 ) Sukewitz. Schon 1303 gehören diese Orte nebst Groß= und Klein=Bresen den Bellins, ebenso noch 1369. 2 ) Erst im 15. Jahrhundert (Kirch=Kogel und Rumkogel 1435, Jellen erst 1455) vollzieht sich der dauernde Erwerb dieser ehemals Bellinschen Begüterungen durch das Kloster Dobbertin aus den Händen der Bellinschen Rechtsnachfolger. Ebenso kaufte das Kloster erst 1460 das wüste Dorf Schwinz, das wohl in der Gegend des heutigen Forsthofes gelegen haben mag. Die Zugehörigkeit von Dobbertin zur Schweriner Diöcese hat also auf diese späten Erwerbungen bezüglich der Sprengelzugehörigkeit von keinem bestimmenden Einfluß sein können. 3 )

Auf Schweriner Seite folgt auf das Kirchspiel Lohmen die Pfarre Dobbertin . 1649, das erste Mal, wo wir über Dobbertins Sprengelausdehnung etwas erfahren, werden Dobbin, Kläden, Klädener Mühle (eingegangen) und Neuhof als eingepfarrt erwähnt, 4 ) also ganz der jetzige Zustand, wenn wir mit unserer Vermuthung Recht haben, daß der Hof Spendin erst später entstanden ist. 5 ) Der Name für den nahe liegenden See kommt ja freilich schon früh (1274) vor, wir können für 1649 aber an=


1) In Jellen hatte das Kloster bis dahin nur 2 Hufen, die Familie Bellin aber 12.
2) M. U.=B. Nr. 2861 und 9989.
3) Ein anderes ist es mit Kleesten, das schon sehr alter Klosterbesitz ist. Hier aber ist die alte Zugehörigkeit Kleestens zur Pfarre Kirch=Kogel wohl entscheidend genug für Kammin.
4) Visitationsprotokoll.
5) Nach den Beichtkinderverzeichnissen im Archiv ist er erst in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts angelegt.
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nehmen, daß die Ortschaft, wenn sie schon existirt hatte, wüst geworden war. Für Dobbertin, dem Archidiakonatsorte des Schweriner Bisthums, brauchen wir wohl nicht erst die Zugehörigkeit zu dieser Diöcese zu erweisen. Es genügt zu sagen, daß bereits 1234 dem Klosterpropst der Bann der Kirchen Goldberg (Gultce), Lohmen, Ruchow, Karcheez (Gethce) und Woserin vom Bischof Brunward von Schwerin übertragen und dadurch das Archidiakonat Dobbertin begründet wurde. 1 ) Das Verzeichniß der Lehne, das einen späteren Zustand darstellt, fügt noch die Kirchen zu Upahl, Zidderich und Wosten hinzu.

Dobbertin benachbart an der Grenze liegen die Pfarren Goldberg, Woosten und Gr.=Poserin. Goldberg (früher Gulcze) ist bereits bei Dobbertin als zu dessen Archidiakonat gehörig angeführt. Dasselbe geht für 1261 für die villa Goltberg aus einer Urkunde hervor, 1426 heißt es geradezu in opido nostro Goltberch Zwerinensis diocesis und von 1539 sind uns Urkunden erhalten, die über die Bestätigung eines Geistlichen für die Pfarrkirche durch den Bischof Administrator Herzog Magnus handeln. 2 ) Woosten (Wutzen) wird, wie wir sahen, von dem Verzeichniß der Schweriner Lehne als zum gleichen Archidiakonat gehörig bezeichnet.

Groß=Poserin gehört bereits seits 1235 zur Pfarre Kuppentin und hat sich dieses Verhältniß noch bis in die Reformationszeit (1534, 1541, 1564) unverändert erhalten. 3 ) Erst 1582 kommt es als eigener Pfarrsitz vor. Kuppentin aber ist sowohl durch die schon angezogene Urkunde von 1235 und zwei weitere von 1298 und 1347, als auch durch das Verzeichniß der Schweriner Lehne als unzweifelhaft Schwerinisch beglaubigt. 4 ) Auf Groß=Poserin folgt Karow , früher eigene Pfarre, jetzt mit Groß=Poserin vereinigt. Karow ist unzweifelhaft Schweriner Bisthums. Nicht nur der Umstand, daß 1339 sein Pfarrer zugleich Vizepropst von Waren ist und auf der Synode zu Jabel (Schweriner Bisthums) als Vertreter seines Propstes, des Archidiakon von Waren, erscheint, 5 ) auch der Umstand, daß die Bewidmungsurkunde des Fürsten Pribislaw für Karow aus dem Jahre 1254 im Jahre 1529 von dem Archidiakonus des Schweriner Stifts Peter Boye zu


1) M. U.=B. Nr. 425.
2) M. U.=B. Nr. 923 (1261); Schweriner Archiv, Heil. Blutskapelle Güstrow (1426), Rudloff, diplom. msc. im Archiv (1539).
3) M. U.=B. 436. Visitationsprotokolle.
4) M. U.=B. Nr. 436 (1235); 2485 (1298); 6712 (1347).
5) M. U.=B. Nr. 5921.
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Rostock in dem Meßbuche der Kirche vidimirt wurde, läßt dieses erkennen. 1 )

An die Pfarre Karow schließt sich auf Schweriner Seite die Pfarre Kieth . Gleich die erste Erwähnung eines Pfarrers zu Kieth, 1256 nämlich zugleich mit denen von Malchow und Jabel, läßt auf Schwerinsche Zugehörigkeit schließen; 1258 erscheint der Pfarrer von Kieth ebenso unter Geistlichen Schweriner Diöcese als Zeuge des Bischofs von Schwerin, 2 ) und auch im Verzeichniß der Schweriner geistlichen Lehne ist der Name Kieth enthalten. Wir können daher auch Drewitz unbedingt dem Schweriner Sprengel zuweisen, obschon wir es erst 1650 (als wüste Schäferei) als Zugehör der Kiether Pfarre antreffen. Wir können es um so eher, als der Fürst von Werle Neu=Drewitz bei seinem Verkauf an das Kloster Malchow (1353) in nostra advocatia Malghowe jacentem nennt, und Olden=Drewitz, ehe es an das Kloster Malchow kam (1423), zu dem im Bisthum Schwerin gelegenen Gute Lütgendorf gehörte. 3 )

Außer Drewitz waren in Kieth eingepfarrt Linstow, Malkwitz 4 ) und Bäbelin. Das letztere, nunmehr in Gr.= und Kl.=Bäbelin getheilt, zerfiel schon seit Alters her in einen Linstow'schen und einen Grubenhagenschen Antheil. Der erstere (jetzt Kl.=B.) gehörte dann wohl, wie auch Linstow, nach Schwerin, der letztere (jetzt Gr.=B.) mit Grubenhagen nach Kammin.

So kommen wir denn zur Pfarre Hohen=Wangelin . 1541 finden wir Liepen und Cramon darin eingepfarrt. 5 ) Letzteres wird auch durch eine Urkunde des Bischofs Heinrich von Schwerin von 1429 als in dessen Diöcese gelegen bestätigt; der Bischof genehmigt darin eine Schenkung aus Wendeschen Cremon dicte nostre diocesis an die Johanniskirche in Alt=Malchow. 6 ) Das nächste nach Cramon uns entgegentretende Dorf ist Kirch=Lütgendorf . Es ist ein Schwerinsches Pfarrdorf, wenn es auch (wie Wangelin) nicht im Verzeichniß der Lehne sich findet, das gerade in dieser Gegend lückenhaft zu sein scheint. Aber sowohl


1) Anm. zu M. U.=B. Nr. 732.
2) M. U.=B. Nr. 763; 823.
3) Urkunden des KIosters Malchow, erstere gedr. M. U.=B. Nr. 7840.
4) Malkwitz erscheint im Zehntschuldregister des Archidiakonats Waren von 1531 und späteren Verzeichnissen dieses Archidiakonats.
5) Visit.=Prot. Schröder, Evang. Mekl. I, S. 460.
6) Rudloff, Dipl. msc. im Archiv. Das Verzeichnis der Lehne enthält Wangelin nicht.
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ein Zehntschuldregister des Schweriner Archidiakonates zu Waren von 1531 führt Lütkendorp als zehntpflichtig auf, wie auch das Amtsbuch des Stiftsamtes Bützow von 1583 und ein Verzeichniß der Zehntpflichtigen des Archidiakonats Waren von 1603.

Auch zwei Urkunden bestätigen Lütgendorf als Schwerinsche Pfarre. 1304 wird der Bischof von Schwerin um Bestätigung einer Vikarei in der Pfarrkirche zu Lütgendorf gebeten, und 1331 vergiebt er Zehnten aus Lütgendors. 1 ) Der benachbarte Ort Sapshagen wird 1649 schon als zum Kirchspiel Lütkendorf gehörig bezeichnet. Ebenso Glans, das in Lütgendorf ausgegangen ist, und dessen Flur jetzt in der Feldmark Blücherhof steckt. Glans wird durch Urkunden von 1289 und 1304 als zu Schwerin gehörend bewiesen. 2 ) Sapshagen wurde im 18. Jahrhundert als Bauerndorf gelegt, und Sophienhof mit der jetzt ganz abgetrennten Meierei Neu=Sapshagen entstand aus seiner Feldmark.

An die Pfarre Lütgendorf grenzt Sommerstorf . Im Jahre 1289 giebt wie von Glans so auch von Sommerstorf der Bischof Hermann von Schwerin die Zehnten an das Domkapitel, und noch 1583 sowie 1603 erscheint Sommerstorf unter den zehntpflichtigen Dörfern des Schweriner Archidiakonates Waren.

Mit dem im Grenzzuge folgenden Orte Panschenhagen betreten wir, der heutigen kirchlichen Eintheilung nach, das Gebiet der mit der mater vagans Sommerstorf vereinigten Pfarre Vielist. Nicht immer war dies so. Im Mittelalter war Panschenhagen (Palzenhagen) eigene Pfarre und wird als solche in dem Verzeichniß der Schweriner Pfarrlehne aufgeführt. Wohl nicht mit Unrecht ficht Wigger in dem Indago (Hagen), der neben Vielist im Jahre 1289 in der Urkunde über die Verleihung der Schweriner Zehnten an das Domkapitel erscheint, Panschenhagen. 3 ) Großen Umfang hat dieses Kirchspiel aber sicher nicht gehabt, da selbst nach der Vereinigung mit Vielist nur das schon 1534 zu Vielist eingepfarrte Baumgarten noch zu dem so vergrößerten Kirchspiele gehörte. Auf die mit Panschenhagen im


1) M. U.=B. Nr. 2935 (1304); 5233 (1331). Letztere ist aus schlechterer Quelle nochmals als Nr. 7296 wiederholt mit falschem Datum und Irrthümern in den Namen.
2) M. U.=B. Nr. 2016 und 2935. - Die beiden Gaarz, die auch schon 1649 zu Lütgendorf eingepfarrt waren, kommen für die Grenze nicht in Betracht. Das Amtsbuch des Stiftsamts Bützow von 1583 führt Garz aber auch unter dem Archidiakonat Waren auf.
3) Anm. zu M. U.=B. Nr. 2016.
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Laufe der Zeit vorgegangenen Veränderungen, die zur Abtrennung von Antheilen zu Marxhagen und Hinrichshagen führten, brauchen wir hier nicht einzugehen. Bewohnt waren diese Stücke der Panschenhäger Feldmark sicher niemals.

An Panschenhagen stößt das Kirchspiel Schönau . Jetzt in Alt=Schönau (früher Gr.=Schönau, mit der Kirche) und Neu=Schönau (Kl.=Schönau) getheilt, machte Schönau anscheinend im Mittelalter nur eine Feldmark aus, die 1531 und 1533 in Zehntregistern des Archidiakonates Waren erscheint und deshalb sicher Schwerinisch ist, obschon sie nicht im Verzeichniß der Pfarrlehne dieses Sprengels aufgeführt ist. Die heutige Vereinigung mit der gleichfalls Schwerinschen Pfarre Gr.=Giewitz (Giwertze des Lehnverzeichnisses) stammt erst aus neuerer Zeit. 1 ) sowohl Kl.=Giewitz als auch Hungerstorf, beide in Gr.=Giewitz eingepfarrt, kommen in den Warener Zehntregistern von 1531 und 1533 sowie im Bützower Amtsbuch von 1583 als zehntpflichtig vor.

Doch zwischen Schönau und Giewitz schiebt sich örtlich, einen Ausläufer nach Norden bildend, das jetzt kombinierte Kirchspiel Rittermannshagen und Lansen , im Mittelalter zwei selbstständige Pfarren darstellend. Doch als Rittermannshagen uns zuerst (als indago) begegnet, da erscheint (nach dem Wortlaut der einen Urkunde wenigstens) nicht dieses, sondern Mertensdorp als Pfarrort. Beide Orte, das steht unzweifelhaft nach den beiden Fassungen fest, werden damals, 1260, von dem Bisthum Kammin an das von Schwerin abgetreten. Was Mertensdorf ist, wird sich wohl nie feststellen lassen; daß es in der terra Malichowe liegen soll, während Rittermannshagen der terra Zlone zugehöre, macht die Sache nicht verständlicher. Jedenfalls haben wir in den beiden Urkunden einen der letzten Akte der lange zwischen Kammin und Schwerin schwebenden Streitigkeiten über die Grenze ihrer Sprengel vor uns. 2 )

Lansen fehlt wie Rittermannshagen in dem Verzeichniß der Pfarrlehne, ist aber als Schwerinisch durch die Zehntregister von 1531 und 1533 und das Stiftische Amtsbuch von 1583 bezeugt.

Oestlich von Hungerstorf an der Grenze liegt Clausdorf, schon 1541 nach Varchentin eingepfarrt, das gleich südlich daranstößt. Das Lehnregister enthält Varchentin, ebenso das stiftische


1) Schlie, Denkm. V, 372. Vordem gehörte Schönau nach Lansen. So noch 1648.
2) M. U.=B. Nr. 857 und 858. Nur eine Urkunde fällt später, in das Jahr 1269 (Nr. 1157).
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Amtsbuch von 1583 und das Warener Zehntverzeichniß von 1603. In einer Urkunde von 1333, von Bischof Ludolf von Schwerin ausgestellt, giebt dieser Einkünfte aus dem Dorfe Craze, Sita in parrochia Verkentin an eine von ihm gestiftete Domherrnpfründe in Bützow. 1 ) Und ebenso bestätigt 1360 ein Schwerinscher Generalvikar eine mit Einkünften aus Verghentin begabte Vikarei an der Marienkirche zu Waren. 2 )

Gleich an den Pfarrsprengel Varchentin stößt der von Gr.=Varchow , in das schon 1541 außer Lehsten auch das nördlich von Gr.=Varchow liegende Bredenfelde eingepfarrt ist. 3 ) Varchow kommt sowohl in dem Verzeichniß der Pfarrlehne als auch in den Zehntregistern des Warener Archidiakonats von 1531, 1532 und 1533, sowie in dem stiftischen Amtsbuche von 1583 als zehntpflichtig vor. Außerdem ist uns noch eine Urkunde von 1326 erhalten, in der Bischof Johann von Schwerin die Stiftung einer Kirche in Lehsten als Tochterkirche von Varchow (unsers bischopdomes) bestätigt. 4 )

Es ist das die Urkunde, die zugleich einen Beweis für die Zugehörigkeit des letzten Grenz=Pfarrortes von Schwerin gegen Kammin, Luplow , mit abgiebt, in der nämlich gelegentlich dieser Bestätigung, die sich zu Lehsten zutrug, als Zeuge des Bischofs neben den Pfarrern von Varchow, Falkenhagen, Varchentin, den Kaplanen von Varchentin und Varchow auch der parner to Lupelow erscheint. Nehmen wir hierzu noch die Thatsache, daß 1510 wegen eines Streites über Luplow zwischen Erbinteressenten der Official zu Waren (der geistliche Richter des Warener Bezirkes) Nicolaus Manteufel als Schiedsrichter angerufen wird, 5 ) so können wir uns der Thatsache nicht verschließen, daß auch Luplow, trotzdem es nicht im Verzeichniß der Schwerinschen Pfarrlehne steht, dem Sprengel von Schwerin angehört. Fehlen doch, wie wir sahen, gerade aus diesem äußersten Winkel des Schweriner Bisthums mehrere Pfarren in dem Verzeichniß, das somit auf Vollständigkeit durchaus keinen Anspruch machen kann.

Das letzte Kamminsche Pfarrdorf, das wir in der Reihenfolge betrachteten, war Zehna, und sodann das benachbarte


1) M. U.=B. Nr. 5433. Heute ist Kraase zur Tochter von Varchentin, Deven, eingepfarrt.
2) M. U.=B. Nr. 8777 und 8810.
3) Vis.=Prot.
4) M. U.=B. Nr. 4749.
5) Schweriner Archiv, Lehnakten Luplow. Nic. Manduvel ist danach nicht, wie Schlie V, 217 annimmt, Pfarrer zu Varchow.
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Kirch=Kogel, das wir gleichfalls der Kamminschen Kirche zutheilen konnten. Darauf folgt nach der heutigen Pfarreintheilung Krakow, für dessen Zugehörigkeit zu Kammin auch bereits der Beweis erbracht wurde. Bossow und Glave gehörten bereits 1541 der Krakower Pfarre an. 1 ) Das noch vor dem Krakower Gebiete die Grenze berührende Sammit war aber damals und demnach auch im Mittelalter eigene Pfarre. Im Jahre 1534 war die Pfarre durch die Vögte von Güstrow verliehen, also herzoglichen Patronates, mehr kann man nicht daraus entnehmen. Aber Johann Babe hatte sie inne, der auch 1541 im Besitze genannt wird, damals zugleich aber auch die Pfarre zu Krakow hatte, bei welchem Orte er als vormaliger Pfarrer von Bellin bezeichnet wird. Beide Orte, Krakow und Bellin, sind als Kamminisch bereits nachgewiesen, ein Grund mehr, für Sammit das gleiche Bisthum anzunehmen. Auch die Lage von Sammit deutet entschieden auf Kamminer Diöcese hin.

Auf Glave folgt Dobbin mit Zietlitz. Bei Dobbin ist der Beweis für Kammin leicht geführt durch die Angabe des Visitationsprotokolls von 1534, daß der Pastor dort durch den Propst von Güstrow eingesetzt war. Wollte man dem Register zum Urkundenbuche (Bd. XI) trauen, so gäbe es zwei Urkunden, die dieses Zietlitz bei Dobbin dem Bisthum Schwerin zuwiesen. 2 ) Allein erstens ist die letztere Urkunde nur eine schlechte Ueberlieferung der ersteren, besitzt also eine eigene Beweiskraft überhaupt nicht, was im Urkundenbuche übersehen wurde, sodann aber ist dieses Citlist, das zwischen Loppin und Jabel (in Cussin) aufgeführt wird, nicht Zietlitz bei Dobbin, sondern das bei Loppin und Jabel belegene Silz bei Malchow, das noch 1531 als Silste, 1541 als Czileste. 1554 als Silitz erscheint und als Schwerinisch gar nicht anzufechten ist. 3 )

Die nächstgelegene Pfarre Kamminschen Bisthums ist Grubenhagen . Ihr gehörte, wie wir bereits sahen, der an Zietlitz grenzende Antheil von Bäbelin (jetzt Gr.=Bäbelin) an, der von jeher mit dem Gute Grubenhagen verbunden war. Ihr gehörte ferner schon 1648 das seit dem 14. Jahrhundert allmählich in den Besitz des Klosters Malchow übergehende Gr.= und Kl.=Rehberg an und ebenso als Filiale Klocksin, das sich an


1) Visitationsprotokoll. Schröder, Evang. Meklb. I, S. 428.
2) M. U.=B. Nr. 5233 und 7296.
3) Lisch liest Jahrb. X, 40 richtig in Cussin Jabel, wie Clanbrian schrieb; Wigger setzt im M. U.=B. ein Komma zwischen Cussin und Jabel.
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Rehberg unmittelbar anschließt. Wenn wir auch, wie schon Lisch im Jahrbuch 1 ) hervorhebt, über Grubenhagen nicht viele Nachrichten haben, so wissen wir doch, daß es eine Pfarre von großer Ausdehnung war, die zu katholischer Zeit vier Vikare erforderte, und können daher nicht annehmen, daß ihre Ausdehnung kleiner war, als die jetzige, in der wir die genannten Dörfer vorfinden. Die Pfarrkirche Grubenhagen aber war nach der vom Bischof Benedict von Kammin 1494 auctoritate ordinaria ausgestellten Bestätigung einer geistlichen Stiftung an ihr unwiderleglich Kamminisch. 2 )

Moltzow, das an Klocksin angrenzende Gut, gehört schon 1648 zur Pfarre Rambow . Ebenso das alsdann örtlich folgende Marxhagen. Nicht immer war es so. Einst war Rambow ein kirchenloses Dorf, das im Jahre 1271 der Bischof von Kammin von Schwinkendorf, wozu er es gelegt gehabt, zu Domherrenhagen einpfarrte. 3 ) Domherrnhagen oder, wie sein späterer Name lautete, Papenhagen war ein Kirchdorf, das mit Marxhagen zugleich im Jahre 1240 den Domherren zu Güstrow vom Fürsten Nicolaus zu Werle geschenkt wurde, der zugleich von den 44 Hägerhufen der beiden Dörfer der Kirche (ecclesie ville, nämlich Domherrnhagen) 4 Hufen verlieh. 4 ) 1458 gingen beide Dörfer als wüste Feldmarken von dem Domkapitel an die Maltzans zu Grubenhagen über. 5 ) Auch 1512 sind sie noch wüste Feldmarken. Domherrnhagen, dessen Kirche heute noch als Ruine auf Rambower Feldmark steht und dessen Feldmark in dem um 1562 begründeten Ulrichshusen aufgegangen ist, umfaßte also sicher Rambow und Marxhagen, und war nach der Urkunde von 1271 dem Bischofe von Kammin kirchlich unterworfen. Daß auch Moltzow und Dahmen dazu gehört hat, ist mehr als wahrscheinlich. 6 )

Die an Papenhagen=Rambow sich anschließende Pfarre ist Schwinkendorf . Außer der schon eben genannten Urkunde, durch die Rambow von Schwinkendorf abgetrennt wurde, ist letzteres als Kamminisch bezeugt durch eine Urkunde von 1342, worin es geradezu als Caminensis diocesis aufgeführt wird. 7 ) Die


1) Jahrb. 24, S. 54 f.
2) Jahrb. 24, S. 63.
3) M. U.=B. Nr. 1229.
4) So sagt der Fürst selbst in der von ihm 1273 für das Domstift ausgestellten Urkunde M. U.=B. Nr. 1292.
5) Lisch, Maltzan III, S. 261; IV, S. 412.
6) Für Dahmen beweist M. U.=B. Nr. 758 die Zugehörigkeit zu Kammin.
7) M. U.=B. Nr. 6198.
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älteste Visitation dieser Pfarre ist von 1541. Da heißt es: zum Kerspel gehort Fulenrostke. 1 ) Das heute zur Pfarre Rittermannshagen eingepfarrte Faulenrost gehörte also damals zu Schwinkendorf und ist somit als zu Kammin gehörig gekennzeichnet. Weiter aber können wir schließen, da Rambow ehemals (bis 1271) zu Schwinkendorf eingepfarrt und ebenso wie Marxhagen Kamminisch war, so müssen auch die zwischen Schwinkendorf und Rambow bezw. Marxhagen gelegenen Tressow, Hinrichshagen und Levenstors Kamminisch sein. Von Lupendorf wissen wir es durch eine Urkunde von 1309, in der es geradezu als Caminensis diocesis bezeichnet wird. 2 ) Schon 1648 finden wir alle diese Orte in Schwinkendorf eingepfarrt, früher mögen sie zur Pfarre Papenhagen gehört haben, über deren Ausdehnung wir leider wenig wissen. Daß Langwitz, aus dessen Feldmark Christinenhof gegründet wurde, früher auch zu Papenhagen gehört hat, ist wahrscheinlich, seine Zugehörigkeit zu Schwinkendorf ist erst aus protestantischer Zeit nachweisbar, als Papenhagen nicht mehr bestand.

Im Grenzzuge folgt nun die preußische Enklave, speziell Rützenfelde in der Pfarre Zettemin . Schon aus dem Jahre 1261 liegt eine Urkunde vor, nach der der Bischof von Kammin Zehnten von 13 Hufen aus Zettemin dem Kloster Dargun vergiebt, 1273 erwirbt dieses auch Zehnten aus Rottmannshagen von dem Kamminer Domkapitel, und aus 1276 haben wir vier Urkunden, die den Uebergang des Eigenthums an Zettemin mit Rottmannshagen und Rützenfelde vom Herzog von Pommern an den Bischof von Kammin und von diesem mit Zustimmung des Domkapitels an das Kloster Dargun schildern. 1282 werden diese Begabungen Darguns nochmals von dem Bischof von Kammin bestätigt. 3 ) Noch sind aus dem Jahre 1332 zwei Urkunden erhalten, in denen der Bischof von Kammin Besitzvergebungen aus der parrochia Zethemin bestätigt. 4 )

Gleich an die Enklave schließt sich die Pfarre Kittendorf an mit ihrer Filiale Sülten. In diesem Verhältnisse standen sie schon 1541, und das läßt vermuthen, daß es schon vor der Re=


1) Was bei Schröder, Ev. Mekl. I, 282 über den Pastor Stritt zu Schwinkendorf steht, ist aus der Vis. von 1541. Schw. kommt überhaupt in der Vis. von 1534 nicht vor. Zum Kirchspiel gehörte 1541 aber nur Faulenrost.
2) M. U.=B. Nr. 3327.
3) M. U.=B. Nr. 908; 1269; 1392, 1393, 1403, 1404; 1629.
4) M. U.=B. Nr. 5298, 5299.
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formationszeit so gewesen. Für Kittendorf liegt kein direktes Zeugniß vor, daß es Kamminisch war. Für Sülten sagt es eine Urkunde aus dem Jahre 1349 geradezu: villa dicta Sulte, in terra Tucen, dicte Caminensis diocesis, 1 ) während eine andere Urkunde von 1274 dasselbe bezeugt, indem dort der Bischof von Kammin eine Zehntvergebung aus Sulta prope Stovenhaghen an das Kloster Reinfeld (Lübecker Diöcese) bestätigt. 2 )

Dem gegenüber müssen wir schließen, daß die aus den älteren Urkunden zu entnehmende Regel, daß die Peene die Grenze zwischen Kammin und Schwerin bildet, 3 ) auch für die s. g. Kittendorfer Peene gilt und daß, was nördlich von dieser liegt, Kamminisch ist. Bei Kittendorf trifft es seiner Lage zur Peene nach zu, ebenso bei Sülte, daß es aber ein richtiger Schluß sei, wird dadurch zur Gewißheit erhoben, daß der von der Peene südlich gelegene Teil der Kittendorfer Feldmark, auf dem heute der Mittelhof liegt, Schwerinisch gewesen sein muß. Denn dieses ist die schon früh (im 15. Jahrh.) wüst gewordene Feldmark Haselow, deren Zugehörigkeit zum Schweriner Sprengel das stiftische Amtsbuch von 1583 deutlich bezeichnet, indem es Zehnten daraus für das Bisthum Schwerin in Anspruch nimmt. So beschreibt Cleemann in seinem Güstrowschen Archivlexikon die Lage von Haselow als von Kittendorf nach Clausdorf zu, so nennt Schildt in seiner Arbeit über die untergegangenen Ortschaften nach Urkunden von 1503 und 1551 4 ) Haselow eine Pertinenz von Kittendorf, und so erklärt es auch eine ungedruckte Urkunde des Klosters Ivenack vom 6. Januar 1443, indem sie sagt: . . . penninge vp deme velde to der Hazelowe . . . de wy . . . van den buren to Kyddendorpe, de de Hazelowe . . . vnder hebben . . . geven scholen. 5 )

Als letzte Orte Kamminschen Bisthums, die mit dem Schweriner Sprengel grenzen, erscheinen Briggow und Schwandt.

Wenn wir die Kittendorfer Peene als Grenze der beiden Bisthümer festhalten wollen, so hat schon Schlie in seinem Denkmälerwerk darauf hingewiesen, daß alsdann Briggow wie Schwandt nach Kammin gehören müsse, denn wir können diesen Wasserlauf zwischen Briggow (nördl.) und Bredenselde (südl.)


1) M. U.=B. Nr. 6980.
2) M. U.=B. Nr. 1309.
3) M. U.=B. Nr. 446, 458.
4) Jahrb. 56, S. 214.
5) Archiv Schwerin, Kl.=Ivenack.
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aufwärts verfolgen, dann weiter zwischen Bredenfelde (westl.) und Carlshof (östl.), darauf schräg durch die Feldmark Luplow hindurch, dieses südlich, die Pertinenz Carlshof nördlich lassend, und endlich bis zum Ausfluß aus dem Schwandter See, wobei Schwandt nördlich, Marienhof südlich verbleibt.

Carlshof wie Marienhof sind neuere Anlagen, auf sie brauchen wir bei der Betrachtung mittelalterlicher Verhältnisse keine Rücksicht zu nehmen, und somit würde als Resultat dieses Aufwärtsschreitens am User der Kittendorfer Peene bis zum Schwandter See sich das ergeben, daß Briggow und Schwandt mit den dahinter liegenden Tarnow und Kleth zum Kamminschen Bisthum zu rechnen sind. Daß Bredenfelde, Luplow und Groß=Varchow Schwerinisch sind, haben wir ja oben (s. 258) gesehen. Schwandt wie Briggow gehören heutzutage als vagierende Mutterkirchen zu Mölln. Früher war das anders und es hat mehrfach gewechselt. Im Jahre 1273 hören wir von der Kirche zu Kleth, daß sie eine filia zu Tarnow habe und mit drei Hufen ausgestattet sei, deren eine zu Kleth, die andere zu Tarnow, die dritte zu Schwandt gelegen war. Auch 1312 wird dasselbe, wenn auch in einer der Fälschung hochverdächtigen Urkunde, gesagt. 1 ) Von Briggow's kirchlichen Verhältnissen im Mittelalter wissen wir nichts. 1541 erscheinen beide, Briggow und Schwandt, im Tochterverhältniß zu Großen=Helle. 2 ) Aber auch Gr.=Helle muß Kamminisch sein. Das südlich davon belegene Wrodow, das östlich daran stoßende Gewezin, auch Chemnitz, 3 ) sie alle sind Kamminisch. Da kann es um Gr.=Helle auch nicht anders stehen. Doch von diesen zuletzt genannten Dörfern können nur Gr.=Helle und Wrodow als Nachbardörfer des Schwerinschen Kirchspiels Gr.=Varchow in Betracht kommen, sie grenzen gleichzeitig mit dem Havelbergschen Kirchspiele Gr.=Lukow, und wir sind somit an dem Ende der Aufgabe angelangt, die Grenze des Bisthums Schwerin gegen Kammin zu suchen.


1) M. U.=B. Nr. 1300, 3538.
2) Was Schröder, Evang. Mekl. I, 282, als von 1534 stammend ausgiebt, ist von 1541, aber völlig verderbt wiedergegeben.
3) Für Wrodow beweist es M. U.=B. Nr. 1666; für Gevezin Nr. 3609 und 3643; für Chemnitz die Gründungsurkunde Nr. 3004 und zahlreiche Urkunden des 15. Jahrh. aus dem Brodaer Klosterarchive.
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Verzeichniß

der

erwähnten Orte mit Angabe der Bisthumszugehörigkeit.


Orte mit Angabe der Bisthumszugehörigkeit
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Orte mit Angabe der Bisthumszugehörigkeit
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Orte mit Angabe der Bisthumszugehörigkeit
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VII.

Das Amt der Fuhrleute zu Rostock.

Von

Postinspektor Karl Moeller
in Frankfurt (Oder)

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U nter den Zünften und Aemtern, die früher in Rostock bestanden haben, nimmt das ehemalige Amt der Fuhrleute, spätere Reihefuhramt, insofern eine eigenartige Stellung ein, als seine Wirksamkeit sich nicht auf das Weichbild der Stadt beschränkt hat, sondern auch außerhalb der Stadtmauern, soweit wie der Rostocker Handel zu Lande Beziehungen unterhielt, in die Erscheinung getreten ist. Es hat länger als fünf Jahrhunderte bestanden, ausgestattet mit zahlreichen Gerechtsamen, die ihm eine sichere, aber auch für das Verkehrsleben von Stadt und Land verhängnißvolle Stellung verliehen; seine Aufhebung gelang erst in der Mitte des abgelaufenen Jahrhunderts, als seine veraltete Verfassung mit ihren zahlreichen Fesseln für den kräftig aufblühenden Verkehr den Anforderungen der neuen Zeit nicht mehr entsprach.

In Rostock waren schon bald nach der Gründung der Stadt Fuhrleute (aurigae, vectores) ansässig. Ihr Betrieb beschränkte sich in ältester Zeit auf das Weichbild der Stadt, namentlich den Verkehr mit dem Strande, höchstens besuchte der Fuhrmann nahe gelegene Orte, die in ihren Bedürfnissen auf die aufblühende Seestadt angewiesen waren. In die Ferne zog der Rostocker Kaufmann als Eigenthümer des Frachtgutes noch selbst, um den Verkauf zu besorgen, Güter einzutauschen und in Rückfracht heimzubringen. Als aber am Ende des 13. und im 14. Jahrhundert unter dem fördernden Einflusse des Hansebundes Handel und Verkehr kräftig aufblühten und die Beziehungen

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nach auswärts sich lebhafter gestalteten, erhielt auch das Fuhrgewerbe erhöhte Bedeutung für Handel und Handwerk. Die Zahl der Genossen mehrte sich, ihr Selbstgefühl hob sich, und wie die übrigen Erwerbskreise Zünfte und Aemter bildeten, um ein Amt oder Handwerk gemeinsam zu betreiben, so schlossen sich auch die Angehörigen des Fuhrgewerbes im 14. Jahrhundert zu einer Genossenschaft, dem Fuhramte, zusammen. Das Jahr der Gründung ist nicht bekannt. Die Verfassung des Amtes war zunftartig gestaltet.

Wie bei den Zünften sollte das Amt zunächst nicht ein Monopol der Genossen bilden; es war lediglich eine wirthschaftliche Vereinigung, der alle Personen angehören mußten, welche das Fuhrwesen gewerbsmäßig betreiben wollten. Der Zutritt stand jedem Fuhrmann frei, sobald er das Rostocker Bürgerrecht erworben hatte und gut beleumundet war. Sonst bestanden für die Ausübung des Gewerbes keine Beschränkungen. Im 15. Jahrhundert hatte das Amt zur Vertheidigung der Stadt vier Bewaffnete zu stellen, allerdings eine geringe Zahl, man muß aber berücksichtigen, daß die Fuhrleute mit ihren Knechten häufig auf Reisen abwesend waren. Ueber die Mitgliederzahl des Amtes geben die Quellen keine Auskunft, auch nicht über die Zahl der Knechte, die dem Fuhrgewerbe angehörten.

Mit der fortschreitenden Ausbreitung des Verkehrs zu Lande und damit im Zusammenhange mit der wachsenden Verbesserung und Sicherheit der Landstraßen nahm der Geschäftskreis des Fuhramts allmählich an Umfang zu. Die Reisen des Kaufmanns zur Begleitung seines Gutes wurden immer seltener; an seine Stelle trat endlich ganz der Fuhrmann mit festen Aufträgen für Hin= und Rückfracht. Auch der Reiseverkehr mittels Frachtwagens begann aufzublühen, ein ungewöhnlicher Fortschritt im Kulturleben der Ostseeküste.

Schon im 15. Jahrhundert hatte der Fracht= und Reiseverkehr mittels Frachtwagens so große Bedeutung erlangt, daß die Hansestädte zu seiner Regelung besondere Ordnungen verabredeten in der zwiefachen Absicht, die pünktliche und schnelle Beförderung der Reisenden und Güter sicher zu stellen und das heimische Fuhrgewerbe vor dem fremden Wettbewerbe zu schützen. Die Städte Rostock, Wismar und Lübeck hatten vereinbart, daß die Fortschaffung der Reisenden und Güter in bestimmter Ordnung von einer Stadt zur anderen stattfinden sollte, dergestalt, daß die Fuhrleute der einzelnen Städte einer um den andern täglich mit ihren Wagen von einer Stadt zur anderen

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hin= und herfahren sollten, damit Jedermann an seiner Reise und sonst an Ueberführung der Kaufmannsgüter nicht verabsäumt werde. Rostocker Fuhrleute sollten zwischen Rostock und Wismar, Wismarsche zwischen hier und Lübeck den Frachtverkehr besorgen; Lübeck besorgte wahrscheinlich den Verkehr westlich auf Hamburg zu. Vermuthlich bildete diese Theilung nur Abschnitte für den Handelsverkehr auf der großen Straße von Danzig nach Brügge, und alle Anzeichen sprechen dafür, daß die ganze Strecke in gleicher Weise unter die anliegenden Städte vertheilt war. Es bestand also schon jetzt aus den Landstraßen eine Art Reihefahrt, die im Landverkehr erst erheblich später in größerem Umfange in Aufnahme kam. Wenn die Rostocker Fuhrleute in Wismar angekommen waren, wurden ihre Wagen entladen, und Wismarsche Fuhrleute besorgten die Weiterbeförderung nach Lübeck. Die Rostocker Fuhrleute nahmen die in Wismar angesammelte Fracht an Reisenden und Gütern mit zurück. Dieser Umladezwang, ein Merkmal der mittelalterlichen Stadtwirthschaft, war für den Verkehr zwar lästig und störend, bildete aber ein werthvolles städtisches Vorrecht, das eifersüchtig von den betheiligten Städten und vor allen Dingen von dem Fuhrgewerbe dieser Städte gehütet wurde. Auch landeinwärts zog der Rostocker Fuhrmann, nach Mittel= und Süddeutschland, besonders nach Frankfurt (Main); von einer Wegtheilung auf dieser Straße melden die Akten nichts. Für die gute Regelung des Fuhrwesens der Hansestädte spricht auch eine gelegentliche Aktennachricht, in der von einer festen Lieferungsfrist die Rede ist, ein Beweis dafür, daß schon zu damaliger Zeit der Kaufmann bis auf wenige Tage genau berechnen konnte, wann er sein Gut verfrachten mußte, um es rechtzeitig zur Messe in Frankfurt zur Stelle zu haben.

Im Frachtverkehr des Rostocker Fuhramts handelte es sich hauptsächlich um die Beförderung der Rohprodukte, die zu Schiff nach Rostock gekommen waren, die Rückfracht bestand in Industrieerzeugnissen. Nebenbei besorgte der Fuhrmann Briefe, Gelder und Aufträge oder trieb für eigene Rechnung einträglichen Hausirhandel. Die Frachtwagen waren, wie es alte Bilder zeigen, plump und roh gearbeitet, große, schwere Holzlatten auf ungefüger Achse, aber den schlechten Straßen in ihrer soliden Bauart angepaßt. Die Bespannung bildeten in der Regel vier kräftige Pferde. Frühmorgens, wenn die Stadtthore geöffnet waren, begann die Fahrt; vor Einbruch der Dämmerung, wenn es gelang, den nächsten Ort vor Thorschluß zu erreichen, wurde

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die Reise unterbrochen. In der Nacht ruhte die Fahrt. Der Weg, den der Fuhrmann zu nehmen hatte, war durch Gesetz und Herkommen von altersher fest bestimmt. Eigenmächtiges Verlassen der uralten Landstraße, die verbotwidrige Benutzung von Nebenwegen war streng verboten und für den Fuhrmann mit Gefahr für sich und sein Gespann verbunden, wie es manches Mal die Rostocker Fuhrleute zu ihrem Leidwesen erfahren mußten. So abwechslungsreich der Beruf des Rostocker Fuhrmanns auch war, so gefährlich und schwierig war er auch, denn unterwegs traten manche Ansprüche an den Fuhrmann und seine Ladung heran, deren Abwehr Muth und Umsicht, eine harte und zähe Natur erforderten.

Die Strecke von Rostock nach Wismar, rund 6 Meilen, wurde im Sommer in einem Tage, d. h. in einer Tagesfahrt von 12-14 Stunden, im Winter in 1 1/2 Tagen, oder 18-20 Stunden, zurückgelegt eine Meile also in 2-3 Stunden. Die Zugkraft eines Pferdes schätzte man auf 3-4 Schiffspfund (zu 3 Ctr.), also 9-12 Ctr., bei 4 Pferden hatte eine Wagenladung ein Gewicht von rund 40 Ctr. Die Fracht betrug von Rostock nach Wismar für 40 Ctr. 6 Thaler, für 1 Meile 1 Thaler; zu diesen Kosten traten aber noch zahlreiche Abgaben hinzu, an den Stadtthoren für Ein= und Durchfuhr, unterwegs an Zollstellen - zwischen Rostock und Wismar lagen zwei herzogliche Zollstellen -, Brückengeld u. s. w. Der Landtransport war daher verhältnißmäßig kostspielig, sodaß auf weite Entfernungen nur werthvolle Fracht die Versendung auf dem Landwege lohnte. Der Wochenverdienst von einem Pferde betrug nach einer Aktennachricht aus späterer Zeit 3 Thaler; diese Schätzung, der ein unfreiwilliges Stilllager eines Rostocker Fuhrmanns in Wismar zu Grunde liegt, mag übertrieben sein, immerhin kann man den Reinverdienst von einem Gespann zu 4 Pferden ziemlich richtig auf 3-400 Thaler jährlich annehmen, wenn kein Verlust an Pferden oder Haftleistung für beschädigtes oder verlorenes Gut den Verdienst schmälerte. Das Fuhrgewerbe war mithin recht einträglich, und es ist begreiflich, wenn aus diesem Grunde schon die Theilhaberschaft an dem Rostocker Fuhramte in einer Familie von Geschlecht zu Geschlecht forterbte.

Mit dem Niedergange des Erwerbslebens der Ostseestädte am Anfange des 16. Jahrhunderts begann für das Fuhrgewerbe, das bisher aus dem blühenden Handel Reichliche Nahrung gezogen hatte, eine allmähliche Abnahme von Arbeit und Verdienst sich fühlbar zu machen. In gleicher Weise wie die Handwerker=

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zünfte schon lange vorher zu den nachtheiligen Wirkungen der veränderten Wirthschaftslage Stellung genommen hatten, so suchte man nun auch im Fuhramte mit künstlichen Mitteln, Gesetzen und verschärftem Zwange den sich stetig mindernden Gewinn wieder einzubringen. Das Fuhrgewerbe durfte fortan nicht länger als bloßes Amt gelten, sondern als ein Privileg, dessen Nutznießung allein den Angehörigen des Fuhramts vorbehalten bleiben müsse. Diese Bestrebungen wurden bald zur That, indem das Fuhramt im 16. Jahrhundert von Bürgermeister und Rath geschriebene Satzungen, die sogen. Fuhrordnung, erwirkte. Diese älteste Ordnung ist nicht erhalten geblieben. Dagegen findet sich im Rostocker Rollenbuche eine Fuhrordnung von 1611, die in niederdeutscher Mundart abgefaßt ist und auf die ältere Ordnung mit den Eingangsworten Bezug nimmt, "dat mit Erloffnis der Herren der Gewette de Olderlude und Amtbroder der Fohrlude tho Rostock datjenige, wat darsulvest von oldershero in ehren Ambte gebrücklik gewesen vnd se in ehrer olden Rulle, de ehre Vorfahren verfattet gehat, wedderumb up Papier bringen tho loten erlangt ond wolgemelten Herren avergewen".

Wie bei den Zünften standen zwei vom Rathe erwählte Aelterleute an der Spitze des Fuhramts. Sie führten jährlich abwechselnd bei den Versammlungen des Amtes das Wort und mußten am Schlusse ihres Amtsjahres über ihre Amtsführung berichten und über die Einnahmen und Ausgaben des Fuhramts Rechnung ablegen. Die Schriften des Amtes wurden in einer mit zwei Schlössern versehenen Lade verwahrt, die der wortführende Aeltermann im Hause hatte; den einen Schlüssel führte der andere Aeltermann, den zweiten Schlüssel ein Amtsbruder. Das jüngste Mitglied war Bote des Amtes. Jeder Genosse, der zu Hause war und sonst keine erhebliche Entschuldigung hatte, mußte auf die Ladung des Boten zur Versammlung des Amtes erscheinen bei 4 ßl. lüb. Strafe. Die Genossen mußten den Weisungen der Aelterleute in Amtssachen Gehorsam leisten bei 10 ßl. Strafe. Alles Fluchen, Schwören und Schelten war den Amtsbrüdern verboten; bei Streit sollten die Aelterleute vermitteln oder die Streitenden an das Gewett verweisen.

Ueber das Fuhrprivileg bestimmte die Ordnung, daß der Fuhrverkehr innerhalb der Stadt und mit dem Strande allein den Fuhramtsgenossen vorbehalten sei, "also dat nemandt buten ehren Ambte ebnen Impass dorin dohn schall vnd moth by straff der Herren Indracht vnd dem Ambte eine Tonne Beers". Den Frachtverkehr nach auswärts berührte die Ordnung nicht; er fiel

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aber gleichfalls unter das Monopol, da ja ohnehin jede Konkurrenz im Fuhrgewerbe innerhalb der Stadt und auf dem flachen Lande fehlte oder rücksichtslos niedergehalten wurde. Während die Fuhramtsmitglieder aber früher bei Ausübung ihres Gewerbes völlig freie Hand hatten und durch beschränkende Amtsbestimmungen nicht gehindert waren, legte die Ordnung den Mitgliedern mannigfache Beschränkungen in ihrem Gewerbe auf. Jeder Genosse durfte, damit keiner ohne Verdienst blieb, zur Zeit nur einen, Wagen an den Strand schicken, wo die einlaufenden Schiffe anlegten, besonders wenn hier nicht viel zu thun war. Erst wenn die Arbeit drängte, konnten zwei Wagen geschickt werden, aber auch nur deshalb, damit die Bürgerschaft nicht gezwungen war, fremde Fuhrleute aus anderen Hanseorten zu dingen. Die Aelterleute mußten für angemessene Vertheilung der Arbeit sorgen, sodaß der Emsige nicht mehr Fuhren erhielt als der Lässige. Angenommene Fuhren mußten ausgeführt werden. Niemand durfte einen Genossen aus einer bestellten Fuhre ausstechen oder sich in eine Bestellung eindrängen. Ein Genosse, der vom Böttcheramte zum Holzfahren angenommen war, durfte nur mit zwei Wagen anfahren; bei Mehrbedarf an Wagen mußten von den Aelterleuten andere Amtsangehörige herangezogen werden.

Da der Nutzen der einzelnen Mitglieder aus dem Fuhrprivileg um so geringer war, je mehr Berechtigte an ihm theil hatten, so wurde die Aufnahme neuer Genossen möglichst erschwert. Beim Tode eines Genossen durfte kein Fuhrmann, der anderswo ansässig war, in seine Stelle einrücken. Wer Mitglied werden wollte, mußte das Rostocker Bürgerrecht erwerben und gut beleumdet sein. Bei der Aufnahme mußte der Neuling jedem Aeltermann 8 ßl. lüb. "tho verdrinken" und an das Amt 33 Thaler geben, zahlbar in drei Jahresraten zu 11 Thalern. Eine Wittwe durfte das Amt Jahr und Tag nach dem Tode ihres Mannes behalten; wenn sie keinen Sohn hatte, so mußte sie das Amt nach Ablauf der Frist aufgeben. Falls ihr Sohn aber eintreten wollte, so mußte sie das Amt für ihn neu gewinnen und durfte es für ihn so lange ausüben, bis er sich verheirathete und selbst das Amt nutzen wollte. Die Amtsgenossen hatten also Mittel genug, die Mitgliederzahl nach Belieben zu beschränken. Thatsächlich gehörten dem Amte jahrzehntelang nur 8 Fuhrleute an.

Uebrigens hatten die Amtsgenossen auch einzelne Pflichten zum allgemeinen Besten zu übernehmen. Sie mußten in Feuers=

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noth Wasser und Leitern heranschaffen. Geldpreise waren für die Fuhrleute ausgesetzt, die zuerst zur Stelle waren (der erste erhielt 2 Thaler). Ferner mußten die Genossen bei feindlichem Angriff die städtischen Geschütze nach dem Walle schaffen und zur Ausbesserung des Strandes und der schlechten Wege vor der Stadt unentgeltlich Sand- und Schuttfuhren leisten.

ES muß billig bezweifelt werden, ob diese dem starren Zunftzwang entspringende Amtsordnung die Wünsche und Hoffnungen der Genossen in Erfüllung gebracht hat. Jeder Wettbewerb fehlte allerdings, und die Zahl der Amtsangehörigen wurde in engen Grenzen gehalten, sodaß Arbeit und Verdienst unter Wenigen zur Theilung kam, dabei wurde aber übersehen, daß mit der neuen Ordnung jedem Mitgliede eine Fessel angelegt war, die niemand abstreifen durfte, wenn er nicht der Mitgliedschaft am Amte und damit am Gewerbe verlustig gehen wollte. Diese Fessel lähmte auch jede Unternehmungslust, Fleiß und emsiger Eifer verloren an Geltung, denn jeder Fuhrmann fand bei der neuen Einrichtung Verdienst, mochte dieser auch gering sein; der Gedanke, daß es dem Nachbarn nicht besser erging, machte dem Einzelnen Pflicht und Zwang erträglicher.

Je mehr im Laufe der Zeiten der Handel der Ostseestädte abnahm, um so geringer wurde auch das Gefühl der Zusammengehörigkeit, das bisher die Städte verbunden hatte; die Noth der Zeit lehrte jede Stadt, selbst auf Kosten der anderen mehr an den eigenen Vortheil zu denken und die eigenen Interessen in den Vordergrund zu stellen; für die kleineren Städte begannen schlechte Zeiten, da sie bei dem Wettbewerb mit den größeren Städten unterliegen mußten. Auch im Fuhrgewerbe trat dieser Wettbewerb zu Tage. Bisher hatten die Fuhrgewerbetreibenden von Rostock, Wismar und Lübeck auf der Straße nach Danzig und Hamburg getreu den alten Ueberlieferungen das Fuhrgewerbe ausgeübt. Aber zu Anfang des 16. Jahrhunderts begann man schon in Rostock und Lübeck, die Rechte der Wismarschen Fuhrleute zu schädigen. Im Jahre 1534 wurden, wie aus einem Schreiben des Lübecker Rathes vom 1. Februar nach Wismar erhellt, die regelmäßigen Fahrten zwischen Rostock, Wismar und Lübeck nicht mehr in verabredeter Weise ausgeführt. Die Fuhrleute hielten sich nicht mehr an die herkömmliche Ordonnanz; sie fuhren auch nicht täglich, sondern über den andern, dritten und vierten Tag, d. h. sie warteten jedesmal, bis sie volle Ladung hatten, was denn männiglich zum merklichen Hinderniß und Schaden gereichte.

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Der Rath verlangte deshalb, daß man in Wismar die Fuhrleute anhalten möchte, täglich mit ihren Wagen wie von altersher gebräuchlich zu fahren, damit der gemeine reisende Mann in seinem Gewerbe und Geschäft unversäumt bleiben möchte. Gegen Ende des 16. Jahrhunderts war die ganze Verabredung schon in Vergessenheit gerathen. Jeder Fuhrmann nahm Frachten, wo er sie fand, und fuhr wie und wann es ihm beliebte. Die Rostocker Fuhrleute fuhren über Wismar hinaus auf Lübeck, erhoben aber gleichzeitig laute Klage beim Rathe, als die Wismarschen Fuhrleute nun auch auf der Straße nach Rostock Frachten besorgten. Der Streit war gewissermaßen eine Lebensfrage für das Fuhrgewerbe, denn der um diese Zeit gerade aufblühende Reiseverkehr bot dem Fuhrgewerbe eine neue erwünschte Einnahmequelle und annehmbaren Ersatz für den Verlust beim Frachtgeschäft. Das Rostocker Fuhramt strebte mit allen Kräften danach, den Reiseverkehr von und nach Rostock allein in seiner Hand zu behalten. Es mußte die Rostocker Fuhrleute daher aufs Höchste verdrießen, als im Jahre 1594 eines Tages Wismarsche Fuhrleute Reisende und Frachtsachen nach Rostock brachten auf sogen. "Kutschen", leichten, mit Verdeck gebauten, in Riemen hängenden Wagen, deren Gebrauch aus Westdeutschland übernommen war, während in Rostock noch die alten Frachtwagen, die sogen. Vorwagen, Verwendung fanden.

Die Rostocker Fuhrleute wandten sich mit einer Bittschrift an den Rath. Dieser vermittelte für sie in Wismar (9. April 1594). Von altersher seien die Wismarschen Fuhrleute - der Aeltermann Niebuhr und seine Konsorten - auf der Straße von Wismar nach Rostock nicht gefahren, sondern nur nach Lübeck; auch hatten sie keine Kutschen sondern nur große Vorwagen gehalten. Wenn Rostocker Fuhrleute helfende nach Wismar gebracht hätten, so wären die Reisenden hier auf Wismarsche Wagen umgeladen worden. Diesem alten Gebrauche handelten die Wismarschen nun zuwider; sie führen auch auf der Straße nach Rostock und hätten sogar verlauten lassen, daß sie Kutschen genug halten wollten, davor die Rostocker sich verkriechen könnten, sodaß man nicht wissen sollte, wo sie geblieben. Es wurde deshalb gebeten, die Angelegenheit durch einen Vergleich beider Städte zu ordnen.

Von Wismar kam in wenigen Tagen Antwort. Die Wismarschen Fuhrleute hätten nach Ausweis der Stadtzeugenbücher seit 50 und mehr Jahren die Straße nach Rostock benutzt. Jederzeit seien zwei Wagen von Wismar nach Rostock und

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Lübeck gefahren, ebenso sei den Rostocker Fuhrleuten gestattet worden, in Wismar Reisende und Fracht zu laden. Noch kürzlich hätte ein Rostocker Fuhrmann in Wismar 5 Personen aufgenommen und nach Rostock befördert. Immerhin war in Wismar Geneigtheit, die Sache mündlich zu verhandeln. Ein Erfolg wurde aber nicht erzielt. Augenscheinlich suchten die Rostocker Fuhrleute mit aller Kraft den Wettbewerb der Wismarschen "Kutscher", wie die Fuhrleute seit dieser Zeit in den Akten genannt werden, niederzudrücken. Jedes Mittel, auch Gewalt war ihnen recht. Zahlreiche Klagen der Wismarschen Fuhrleute beim Rath der Städte und bei der Regierung in Schwerin über ihre Beeinträchtigung durch die Rostocker füllen fortan die Akten: stets drehte sich die Klage aber um den Reiseverkehr, während des Frachtgeschäfts immer nur nebenbei gedacht wurde. Auch in Lübeck suchte man den Wettbewerb der Wismarschen Fuhrleute zu beschränken, während die Lübecker und Rostocker Fuhrleute einander Hand in Hand arbeiteten. Im Jahre 1619 war den Wismarschen Fuhrleuten wohl noch gestattet, Reisende nach Lübeck zu bringen, sie mußten dann aber sofort leer von Lübeck zurückfahren. Ausdrücklich wurde ihnen vom Lübecker Rath verboten, in Lübeck auf Ladung zu warten oder gar von Lübeck Reisende nach Travemünde, Lüneburg, Frankfurt (Main), Hamburg, Wismar oder Rostock aufzunehmen, wenn Lübecker Fuhrleute anwesend waren, eine bequeme Handhabe für das Lübecker Gewerbe, jede Konkurrenz der Wismarschen Kutscher abzuschütteln. Einige Jahre später (1623) war es auch in Rostock mit Wissen, auch aus Vergünstigung und Anlaß der Obrigkeit unter den Rostocker Fuhrleuten Gebrauch, daß kein fremder Kutscher, der Reisende nach Rostock gebracht hatte, länger als eine Nacht in Rostock stillliegen, auch kein Volk, weder Einheimische noch Fremde, weiterfahren durfte, sofern einheimische Kutscher anwesend waren, "so in Rostock gewöhnet und daselbst Feuer und Rauch gehalten, auch das Bürgerrecht besitzen, allerwege auch ihre Wagen auf dem Markte Tag und Nacht in Bereitschaft halten." Die Rostocker Fuhrleute hätten ebenso wie die einheimischen in Lübeck, Hamburg und Wismar den Vorzug, zuerst und vor den Fremden Leute zu fahren und dürften an jenen Orten auch nur eine Nacht stillliegen. Diese Maßregel war natürlich gegen die Wismarschen Fuhrleute gerichtet, die angeblich oft mit leeren Wagen nach Rostock gekommen waren und unter einander verabredet hatten, daß der zuerst Angekommene auch zuerst wieder abfahren sollte, "dadurch, wie die Rostocker klagten,

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also jahraus jahrein fremde Kutscher in den Herbergen liegen und der Haber uns vor dem Maule weggekaufet und vertheuert wird."

Wenn die Rostocker Fuhrleute mit diesen Klagen auch stark aufgetragen haben mochten, um ihre Absichten gegen die Wismarsche Konkurrenz destomehr zu verdecken, so hatten sie doch Erfolg, denn der Rath verlieh ihnen zu ihrem Schutze eine besondere Ordonnanz. Nun begann der Kampf gegen die Wismarschen Fuhrleute mit verstärkter Kraft; denn diese wandten sich im Jahre 1624 um Hülfe in ihrer Noth an die Regierung. Sie verwehrten, hieß es in der Vorstellung, keinem Hamburger, Lübecker und Rostocker Kutscher, Reisende nach Wismar zu bringen und wieder wegzufahren, dürften aber dafür bei 10 Thlr. Strafe nur eine Nacht in Rostock liegen und müßten anderen Tages wieder leer zurückfahren. Die Rostocker nähmen ihnen mit gewehrter Hand Leute und Sachen vom Wagen und schreckten auch nicht vor einem Ueberfall zurück. Obendrein sei ihnen die Möglichkeit genommen, die Rostocker in Wismar mit gleicher Münze zu zahlen, denn jene hätten auf einen derartigen Versuch der Wismarschen hin die Straße über Wismar verlassen und einen Nebenweg an Wismar vorbei eingeschlagen, "und also uns, die wir zur Wismar gleich sie zu Rostock das jus civitatis haben vnd die onera tragen helfen, in unserm eigen Vaterland das Brot summa injuria für dem Maule intercipiren." Sie hätten sich schon an den Rath zu Wismar gewandt, dieser hätte aber auf sein Schreiben an den Rostocker Rath nur ein bloßes Recepisse zurückbekommen. Von einem alten Gebrauche, wie die Rostocker vorgäben, sei ihnen nichts bekannt, und wenn auch dieser vorhanden sei, so dürfe er nicht bestehen bleiben, "nam rei non bonae consuetudo pessima est". Die Bitte ging dahin, die freie Fahrt auf der alten Heerstraße zu schützen, "damit von keinem Theile der reisende Mann übersetzet, den Commercien gewehret, andere Abwege gemachet, die uralte Landstraße gehindert und die Krüge, so an der alten Landstraße liegen und darauf sich eingerichtet und das Ihre spendiret haben, herunterkommen und verarmen."

Uebergriffe, wie sie Rostocker Fuhrleute gegen andere Landesangehörige sich erlaubten, konnte die Regierung nicht dulden; sie ordnete unter dem 10. Juli 1624 an, daß Gleichheit gehalten werden solle, denn "was den Rostockern zu Wismar Recht, möge den Wismarschen zu Rostock nicht Unrecht sein." Die herzoglichen Beamten hatten streng darauf zu halten, daß die Rostocker

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Fuhrleute bei Verlust ihrer Wagen und Pferde die rechte Landstraße über Wismar benutzten.

Auch jetzt ließen die Rostocker von ihrem Beginnen nicht ab. Es wurde deshalb auf die erneuten Klagen der Wismarschen Fuhrleute im Jahre 1634 die herzogliche Verordnung von 1624 erneuert, aber ohne Erfolg. Die Rostocker benutzten ruhig die an Wismar vorbeiführende Landstraße weiter, obgleich an derselben vier herzogliche Zollstellen lagen, die von jedem Wagen Abgaben erhoben. Trotz der andauernden Klagen aus Wismar trat keine Aenderung ein, denn bei dem herrschenden Kriegselend konnte Niemand helfen. Am Ende des Krieges, im Jahre 1648, kamen wieder Klagen: Die Rostocker erdächten immer Neues, um die Wismarschen Fuhrleute zu schädigen; "es ist zum Erbarmen, daß sie uns so feindselig sind und dagegen den Stralsunder, Lübecker und Hamburger Fuhrleuten alle Hülfe thun, und wenn wir Leute fahren, müssen wir für jeden 2 Thlr. Strafe geben." Jetzt nahmen sich die herzoglichen Beamten ihrer an und ließen wiederholt Rostocker Fuhrleute mit ihren Wagen und Gütern festnehmen. Dessenungeachtet trieben es die Rostocker nur noch ärger, ja, sie beschwerten sich obendrein bei der Regierung über die Wismarschen, die angeblich schon auf die Krone Schweden pochten und im Vertrauen auf deren Schutz sich allerlei Uebergriffe zum Nachtheil des Rostocker Fuhramts herausnähmen. Dieser Einwand hatte die Wirkung, daß den Rostocker Fuhrleuten die Straße wieder freigegeben wurde. Bis zur endgültigen Regelung der Angelegenheit sollte zwecks Beförderung der Kommerzien überall die Durchfahrt frei und ungehindert bleiben. Als die Wismarschen Fuhrleute diese Verordnung nicht beachteten und Rostocker Wagen in Wismar anhielten, verfügte die Regierung, "daß sie solche mutwillige Contemption ihrer zur Erhaltung der Commercien und Landstraßen Freiheit gereichenden und wohlgemeinten mandata ungeahndet nicht hinpassiren lassen könne; wenn die Wismarschen Fuhrleute nicht von ihren Gewaltthätigkeiten abließen, sollten ihnen die Landstraßen ganz verboten werden."

Diese Drohung hatte keinen Erfolg. Einige Tage nach Veröffentlichung der Verordnung traf ein Wismarscher Wagen mit 14 Reisenden (darunter 3 schwedischen Offizieren) in Rostock ein. Er durfte nicht weiterfahren; die Rostocker Kutscher ließen auf Geheiß des Gewetts Alles vom Wagen reißen, Personen und Güter; nur die Offiziere durften weiterreisen. Der Regierung kam die Angelegenheit aus politischen Gründen sehr ungelegen,

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denn sie fürchtete, daß durch den Zank der Fuhrgewerbe "den Schwedischen allerhand ombrage gegeben werde, daß man jetzt der Stadt Wismar nehmen wolle, was man ihr 1624 gegeben." Man entschied sich jetzt dafür, lieber alles beim Stande von 1624 zu lassen, wodurch den Schwedischen auch keine offension geschähe und die Freiheit, durchs Land zu reisen, beibehalten, auch der reisende Mann damit befördert würde." Gleichzeitig wurden die streitenden Parteien nach Schwerin zur Verhandlung geladen. Sie zeigten sich aber bei dieser Gelegenheit auf einander so erbittert, daß in Güte nichts zu erreichen war, weil Niemand nachgeben wollte. Die Streitsache wurde daher von der Regierung unter dem 1. Mai 1648 durch einen bündigen Machtspruch geregelt, da zu befürchten stand, daß, wenn die Sache länger unentschieden blieb, leicht Mord und Todtschlag daraus erfolgen könnte. Künftig sollte jedem Wismarschen Fuhrmann freistehen, mit Gütern und Personen nicht bloß auf Rostock, sondern auch durch Rostock nach Stralsund, Greifswald und Stettin und weiter zu fahren, auch von diesen Orten Personen und Güter zurückzubringen und durch Rostock auf Lübeck und weiter zu befördern. In gleicher Weise durften Rostocker Fuhrleute in der Dichtung auf Lübeck über Wismar und zurück verkehren. Wismarsche und umgekehrt Rostocker Fuhrleute durften 1 1/2 Tage nach der Ankunft in Wismar und Rostock verweilen und Personen und Güter sammeln. In einer Tabelle war genau nach Zeit und Stunde festgesetzt, wann die Kutscher nach ihrem Eintreffen wieder weiterfahren mußten. Es war aber verboten, daß z. B. die Rostocker Kutscher leer nach Wismar fuhren, um hier Ladung zu suchen und umgekehrt. Wer gegen diese Verordnung verfließ, hatte ernstliche, willkürliche, auch nach Befinden Leibes= und Lebensstrafe zu befürchten.

Die Maßregel half nur auf kurze Zeit; bald war der alte Streit wieder im Gange. Auf einlaufende Klagen wies die Regierung nur auf den Abschied von 1648 hin, ohne etwas zu erreichen, denn aus Wismar kamen in den folgenden Jahren noch mehrfach bewegliche Klagen. Inzwischen war aber Wismar schwedisch geworden; deshalb hatte die Regierung auch wohl kein rechtes Interesse mehr an der Sache, zumal da die schwedische Regierung noch im Mai 1649 den Rostocker Kutschern verboten hatte, überhaupt durch Wismar zu fahren.

Durch den langen Krieg hatte der Handel der Ostseestädte schwere Einbuße erlitten. Um das Geschäft nach Möglichkeit zusammenzuhalten, erwirkte das Rostocker Fuhramt im Jahre

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1652 vom Rath für die Fahrt nach Wismar, Lübeck und Hamburg eine neue Ordnung. Diese war im Einvernehmen mit dem Lübecker Rath zu Stande gekommen. In dieser waren die einzelnen Bestimmungen über das Fuhrmonopol noch schärfer als früher gefaßt. Die Ordnung berücksichtigte indessen nur die Personenbeförderung, während das Güterfrachtgeschäft vom Fuhramte nach alten Grundsätzen betrieben wurde. Künftig sollte jeder auf die neue Ordnung angenommene Kutscher einen überdeckten Wagen und einen kleinen Nebenwagen, beide mit Stühlen und Bänken bequem eingerichtet, sowie die nöthige Zahl guter Pferde halten. Fuhrleute, die nicht zum Amte gehörten, hatten an dem Personentransport keinen Antheil, es sei denn, daß Jemand im eigenen Wagen fuhr, oder daß die ordentlichen Kutscher, denen es aber vorher angeboten sein mußte, ablehnen würden, zu fahren. Kein Kutscher durfte Personen und Güter zusammen auf einem Wagen befördern; auf Personenwagen durften nur Reisende mit ihren Koffern und Laden aufgenommen werden. Der einzelne Reisende hatte bis 5 Liespfund Gewicht frei. Die Beförderung schwereren Gepäcks wurde besonders bezahlt. Auf einem Güterfrachtwagen durfte nur der Eigenthümer des Gutes mitfahren, oder arme Leute, die das Reisegeld auf den Personenwagen nicht erschwingen konnten. Zwecks besserer Kontrolle des ganzen Fuhrbetriebes und der einzelnen Fuhramtsmitglieder wurde ein besonderer Wagenmeister bestellt, der von jedem Reisenden 3 ßl. Schreibgeld erhielt. Der Kutscher bekam für einen großen Wagen 12 ßl., für einen kleinen 6 ßl. Die Reise nach Lübeck mußte im Sommer in 2, im Winter in 3 Tagen, nach Hamburg in 3 bezw. 4 Tagen zurückgelegt werden. Sie begann im Sommer früh 6 Uhr, im Winter um 10 Uhr. Wenn Personen, die sich zur Reise angemeldet hatten, bei der Abfahrt nicht pünktlich zur Stelle waren, sollte der Wagen ohne sie abfahren, und das vorausbezahlte Reisegeld verfiel. Wer sich nicht vorher beim Wagenmeister angemeldet hatte, durfte von den Kutschern nicht mitgenommen werden. Ein kleiner Wagen zu 1-2 Personen nach Lübeck kostete 7, zu 3-4 Personen 9, zu 5-6 Personen 12 Thaler, nach Wismar die Hälfte dieser Sätze, nach Hamburg 9, 14 bezw. 20 Thaler. Der Preis für die Meile schwankte je nach der Zahl der Personen zwischen 1/2 und 1 Thaler. Mehr als 8 Personen durften auf einem Wagen nicht befördert werden.

Außer einheimischen Fuhrleuten konnten auf die Ordnung auch fremde Kutscher, wenn sie für die Personenbeförderung

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ordentlich eingerichtet waren, und wenn Rostocker Kutscher an deren Heimathsort ebenso behandelt wurden, angenommen werden. Unter fremden Kutschern wurden nur hansestädtische, nicht etwa Fuhrleute aus umliegenden Städten und Dörfern des Landes verstanden, denn diese galten nicht als ordentliche Fuhrleute und durften in Rostock das Fuhrgewerbe nicht treiben. Die Namen aller Betheiligten wurden auf ein Verzeichniß gesetzt; diese Reihenfolge mußte von den Fuhrleuten bei ihren Fahrten pünktlich eingehalten werden. Der Kutscher, der an der Reihe war zu fahren, mußte Wagen und Pferde stets bereit halten. Wenn ein Rostocker Fuhrmann weggefahren war, folgte ein Lübecker und Hamburger, falls diese anwesend waren, sonst trat der nächstfolgende Rostocker ein. Ein Kutscher, der wohl an der Reihe war, aber sich nicht zur Abfahrt einstellte, ging der Reise verlustig, und der Folgende sprang vor.

Damit war die Reihefahrt, die vorübergehend im Frachtverkehr der Hansestädte schon im 15. und 16. Jahrhundert bestanden hatte und die in der Flußschifffahrt 1 ) noch früher in Aufnahme gekommen war, endgültig im Landverkehr eingeführt, alterdings nur für die Personenbeförderung. Das Rostocker Fuhramt hieß fortan das Reihefuhramt, seine Angehörigen Reihefuhrleute.

Die neue Einrichtung hatte manche Vortheile, zunächst für das Publikum, das jetzt den Vorzug einer täglichen Reisegelegenheit besaß und nicht mehr nöthig hatte, mit dem Aussuchen eines Fuhrmannes und dem üblichen Feilschen um Reise= und Zehrgeld nutzlos Zeit und Mühe zu opfern. Auch die Fuhramtsmitglieder zogen Nutzen aus der neuen Einrichtung. Jeder Fuhrmann hatte einen gleichen Antheil an der Personenbeförderung. Er fand zu festgesetzter Zeit ohne eigene Bemühungen Arbeit und Verdienst. Der freie Wettbewerb hätte vielleicht bewirkt, daß sich gleichzeitig mehrere Fuhrleute für die Reise angeboten hätten, und daß in Folge dessen wahrscheinlich die Frachtgebühren auf geringe Sätze heruntergedrückt worden wären; zum Ausgleich des entstehenden Verlustes hätte jeder Fuhrmann möglichst viele Reisende für seinen Wagen aufsprechen müssen, naturgemäß auf Kosten der Schnelligkeit der Beförderung und zum Schaden des Publikums. Diese Nachtheile fielen jetzt


1) Vornehmlich auf der Elbe und ihren Nebenflüssen. (Vergl. Töche=Mittler, Der Friedrich=Wilhelmskanal und die Berlin=Hamburger Flußschifffahrt, Leipzig 1891.)
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allerdings fort, dafür legte die Ordnung der Thatkraft und Unternehmungsluft der Fuhrleute schwere Fesseln an. Der emsige und umsichtige Fuhrmann hatte vor dem lässigen und sorglosen keinen Vortheil mehr. Im sicheren Bewußtsein, Ladung zu erhalten, brauchte er die pflichtgetreue Erfüllung seiner Obliegenheiten nicht zu sehr zu beherzigen und den Klagen der Reisenden, die gezwungen waren, dem gerade in der Reihe liegenden Fuhrmann sich anzuvertrauen, gleichviel, ob er als unzuverlässig bekannt war, kein Gehör zu schenken.

Zum Betriebe des Reihefuhramts gehörten jetzt auch schon vier besondere Auflader - die geschworenen "Litzenbrüder" -, die das Heranschaffen und Aufbinden des Reisegepäcks zu besorgen hatten; sie erhielten für jede Dienstleistung 4 ßl., für die Herbeischaffung von Reisegepäck aus dem St. Marien=Kirchsspiel aber nur 2 ßl. Gleiche Entlohnung stand ihnen für das Abladen und Abbringen der Sachen zu. Jeder Reisende konnte auch durch sein Gesinde seine Koffer zum Wagen bringen lassen, mußte es aber durch die Litzenbrüder auf= und abbinden lassen, "auf welchen Fall die Litzenbrüder kein Trinkgeld von den Reisenden fordern, viel weniger sich mit trotzigen Worten zu ihnen nöthigen sollen bei ernster willkürlicher Strafe; wobei aber auch in Acht zu nehmen, daß solche Laden zuvörderst dem Kutscher selber, so da fahren wird, geliefert werden, und derselbe, im Fall davon unterwegs etwas verloren würde, dafür gehalten und solches den Leuten hinwieder zu erstatten schuldig sein soll." Uebrigens hatten sich die Kutscher, deren Knechte und die Litzenbrüder alles Fluchens und Schwörens, auch Zankens und Schlagens bei Strafe des Gefängnisses gänzlich zu enthalten.

In einer zu der Ordnung im Jahre 1663 aufgestellten Rolle 1 ) sind genannt 8 Rostocker, 4 Lübecker und 3 Wismarsche Kutscher. In Lübeck verlieh der Rath 1658 dem dortigen Fuhramte eine ähnliche Fuhrordnung mit gleichem Inhalt für die Personenfahrt nach Rostock.

Nur kurze Zeit konnte das Rostocker Fuhramt sich des ungestörten Besitzes seines Privilegs erfreuen. Unter den Aufgaben der Landesherrschaft zur Hebung von Wohlstand und Verkehr kamen zu Ende des 17. Jahrhunderts verkehrspolitische Bestrebungen in Aufnahme, die natürlich Sonderrechte, welche den


1) Sie war auf Pergament in Fraktur geschrieben und auf einer hölzernen Tafel, 1 1/2 Ellen lang und 1/2 Elle breit, befestigt.
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Verkehr zu Gunsten Einzelner und zum Nachtheil der Gesammtheit leiten sollten und den Maßnahmen der Regierung zur Hebung des daniederliegenden Verkehrs zuwiderliefen, einzuschränken und möglichst zu beseitigen suchen mußten. Es war die Zeit des Aufkommens staatlicher Posten, die in den ersten Jahrzehnten ihres Bestehens Frachtanstalten im wahrsten Sinne des Worts waren und neben Personen, Briefen und Geldern auch Güter jeden Umfangs beförderten, also in wirksamster Weise den Wettbewerb mit dem Fuhrgewerbe begannen.

Es konnte nicht ausbleiben, daß die Interessen der herzoglichen Staatspost und des Rostocker Fuhramts bald an einander geriethen. In Rostock war ein herzogliches Postamt eingerichtet worden, das, gestützt auf herzogliche Verordnungen, für sich allein die Brief= und Personenbeförderung beanspruchte und jede Konkurrenz des Fuhramts auf diesem Gebiete zu unterdrücken suchte; auch Frachtsachen jedes Umfangs nahm das Postamt zur Beförderung mit den Posten an. Das Alles bedeutete allerdings einen Eingriff in hundertjährige, wohlerworbene Vorrechte, den das Fuhramt mit größter Erbitterung zurückwies. Der Rath zu Rostock nahm sich des städtischen Fuhramts mit Nachdruck an. Er machte die private Sache des Amts zu seiner eigenen und richtete im Interesse desselben eine eindringliche Vorstellung an die Regierung in Schwerin. Er hätte, heißt es in derselben, der Einrichtung des Postamts in Rostock zwecks Beförderung von Briefen ruhig zugesehen. "Wie aber aus den Rechten bekannt ist, daß das eigentliche Postregale mit dem Fuhrwerk des reisenden Mannes keine Gemeinschaft hat, sondern bloßer Dinge auf die Briefe gerichtet ist, so will zumal höchstpräjudicirlich fallen, wenn der hiesige Postverwalter sub praetextu des Postwesens im Fuhrwerk ein monopolium einführen und den reisenden Mann necessitiren könnte, an einen gewissen Wagen sich zu verdingen, damit er sein unbilliges lucrum desto höher treiben möge." Wenn dem Postverwalter freistände, einen Fuhrmann für die Postfahrten "allein zu beneficiren und ihm die Abfuhr der Leute zuzuschanzen", so wäre das Schlimmste zu gewärtigen, "da solches der wohlhergebrachten Fuhrordnung, so mit den Städten Wismar und Lübeck beliebet, ausdrücklich entgegenlaufet, da denn unsere Fuhrleute gar übel daran sein würden, weil sie schon von dem Güstrow'schen Fuhrwerk durch die Post daselbsten contra libertatem commerciorum abgestoßen sind, daß sie auch nach Wismar und Pommern nichts abführen dürfen, weil auf solche

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manier das ganze Fuhrwerk zu der trafiquen größtem Schaden und dieser Stadt höchstem Präjudiz ganz niedergelegt werden muß, da doch die Fortschaffung des reisenden Mannes weit besser durch gesammte Fuhrleute nach ihrer gemachten Vereinigung kann befördert werden, als wenn einem Fuhrmann allein solche Abfuhr unter die Hände gegeben wird, weil allemal praesumirlich, daß viele Interessenten ihre Pferde und Wagenzeug besser im Stande halten können als ein Kerl allein, insonderheit da die Fuhrleute bei Tag und Nacht parat sein und, es finden sich viele oder wenige Personen ein, dennoch um den gesetzten Preis fahren müssen, zu geschweigen der nothwendigen Beibehaltung und Vermehrung des Fuhrwerkes, als welches bei ereignenden Feuersbrünsten, dann auch bei Kriegeszeiten und Ausfällen sehr nutzbar in Darstellung einer guten Anzahl der Pferde zu halten, welches aber nicht conserviret werden mag, wenn man den Leuten alle Mittel nimmt, ihre Hantirung zu treiben."

Auch die Vermittlung der Stadt hatte für den Augenblick keinen Erfolg. Die Regierung verhängte mehrfach empfindliche Strafen gegen die Fuhramtsgenossen, die gegen das Postregal verstießen. Trotzdem blieb der Wettbewerb des Fuhramtes in der Personen=, Brief= und Sachbeförderung ruhig im Schwange, denn die Ueberwachung der Frachtfahrer unterwegs war unter damaligen Verhältnissen schwer durchzuführen. Das einzige Zugeständniß, zu dem die Regierung sich nach Verlauf einiger Zeit herbeiließ, bestand darin, daß den Postämtern untersagt wurde, große Frachtsachen und schweres Kaufmannsgut mit den Postwagen befördern zu lassen.

Bei den trüben politischen Verhältnissen, die zu Ende des 17. Jahrhunderts in Meklenburg herrschten, hatten die jungen Postanlagen eine schwere Krisis zu bestehen, die das Fuhramt zu Rostock benutzte, um das Verlorene wieder zu gewinnen. Im Jahre 1691 ließ es sich zu dem Zweck vom Rath für die Beförderung von Personen auf der Straße nach Hamburg eine neue Ordnung verleihen, die mit der Ordnung von 1652 im Wesentlichen gleichlautend war. Die Höchstzahl der mit einem Wagen zu befördernden Personen, früher 8, wurde jetzt auf 6 beschränkt. Die den Lübecker Fuhrleuten gewährten Vorrechte wurden auch auf die Hamburger ausgedehnt, unter der Voraussetzung allerdings, daß den Rostocker Fuhrleuten in Lübeck und Hamburg gleiche Rechte eingeräumt würden. Von Wismarschen ist nicht mehr die Rede. Die Frachtsätze waren unverändert ge=

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blieben. Fuhrleute mit schlechten Pferden und Wagen sollten in der Rolle gestrichen werden. Um den ganzen Betrieb noch mehr unter Aufsicht zu stellen und Nebenfuhren zu verhindern, mußten die Wagen eine Stunde vor der Abfahrt am Neuen Hause sich einstellen; es war den Fuhrleuten besonders verboten, Reisende vor den Herbergen, Thoren und bei den eigenen Häusern aufzunehmen. Das Güterfrachtgeschäft gehörte nach wie vor zum Monopol des Fuhramts, unterlag aber nicht den Bestimmungen der Reihefahrt.

Auf der neuen Grundlage betrieb das Fuhramt die Personenbeförderung ungestört weiter, obgleich seit einiger Zeit zwischen Rostock und Hamburg neben den herzoglich meklenburgischen Postanlagen auch noch hamburgische und schwedisch=dänische Postkurse eingerichtet worden waren, die nicht bloß die Beförderung von Personen und Briefen, sondern auch von Frachtsachen betrieben. Um das Fuhrgewerbe war es somit schlecht bestellt, da von Gewalt gegenüber den Staatsposten keine Rede sein konnte, wenn nicht der Bestand des Fuhramts überhaupt gefährdet werden sollte.

Noch mehr verschlechterten sich die Lebensbedingungen des Fuhramts, als Herzog Friedrich Wilhelm von Meklenburg=Schwerin im Jahre 1710 mit Ausdauer und Geschick die Staatspost neu organisirt hatte. Fortan war die Fortschaffung von Personen, Briefen und kleinen Sachen im ganzen Lande Vorrecht der Postanstalten. Dagegen wurde die Personenbeförderung mittels Beiwagen und Extraposten, der Kurier= und Estaffettendienst dem Fuhrgewerbe unter der Aufsicht der Postanstalten überlassen. Ueberall in den Städten an den großen Postkursen nach Hamburg wurden Reihefuhrämter eingerichtet, deren Mitglieder die Postnebenfuhren an den einzelnen Orten in einer bestimmten Reihenfolge leisten mußten. Niemand sonst durfte die Personenbeförderung betreiben. Auch das Rostocker Fuhramt mußte sich jetzt in die veränderten Verhältnisse finden. Es behielt aber seine selbsttändige Stellung als städtische Anstalt auch fernerhin bei und führte nur auf Ersuchen des Postamts die erforderlichen Nebenfuhren aus. Neben diesem minder wichtigen Dienstzweige blieb dem Fuhramte mithin nur das Lohnfuhrwesen in der Stadt und das Frachtgeschäft übrig, soweit an letzterem nicht auch die Posten Theil hatten.

Unter solchen Umständen konnte von besonderen Vorrechten des Fuhramts kaum noch die Rede sein, aber die Sache hatte in Wirklichkeit eine weniger ernste Bedeutung, denn einmal

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setzten die Fuhrleute die Personenbeförderung im Geheimen ruhig fort, weil sie den Rath ihrer Stadt stets als Stütze hinter sich hatten, dann war Meklenburg vom Jahre 1715 ab auch wieder auf mehrere Jahrzehnte hinaus der Schauplatz kriegerischer Ereignisse, während deren die mißliebigen Postverordnungen bald in Vergessenheit geriethen.

Bei der Gunst der Umstände konnte es deshalb das Fuhramt wagen, sich im Jahre 1717 vom Rath eine neue Ordnung und Rolle verleihen zu lassen, in der die alten Vorrechte des Amts bestätigt und neue hinzugefügt wurden. Der Rath erließ die neue Ordnung, weil die Fuhrleute ihm beweglich vorgestellt hätten, "daß sie durch die eine Zeitlang im Fuhrwerk eingerissene Unordnung fast zu Grunde gegangen und, dafern durch eine anzurichtende gute Fuhrordnung nicht solchem Unwesen bei Zeiten vorgebeugt werden würde, ihr totaler Untergang unfehlbar erfolgen müßte." Den Bestrebungen von Reich und Staat, die Zunftgerechtsamen, die sich längst als ein Hemmschuh der wirthschaftlichen Entwicklung erwiesen hatten, zu beseitigen, wurde die Rolle insofern gerecht, als sie bestimmte, daß das Fuhramt fortan nicht mehr ein geschlossenes Amt sein sollte; vielmehr konnte jeder Fuhrmann nach Prüfung durch Gewett und Aelterleute als Amtsgenosse gegen Zahlung der üblichen Gebühren an Gewett, Gericht, Wagenmeister und an das Amt (10 Thaler) aufgenommen werden, wenn er wenigstens 4 Pferde und einen bequemen Wagen besaß und das Rostocker Bürgerrecht erworben hatte. "Und damit nun das Fuhrgewerbe soviel aufrecht erhalten und ein jeder fremde Passagier desto besser mit Vorspann bedient werden möge, so soll das Personenfahren wie vordem jederzeit gebräuchlich gewesen nach voriger Fuhrordnung von 1691 unter den Fuhrleuten nach der Reihe umgehen." Zwei Fuhrleute mit je 1 Wagen und 4 Pferden mußten sich in steter Bereitschaft halten und durften ohne Wissen der Aelterleute keine anderen Fuhren übernehmen. Uebertretungen oder Verabsäumungen wurden von Amtswegen mit 1 Thaler Strafe geahndet. "Und weil diese Fuhrleute solchergestalt obligiret, jederzeit Pferde und Wagen auf ihre Kosten vor fremde ankommende und abfahrende Passagiere in Bereitschaft zu halten, so soll dagegen keiner, er sei auch, wer er wolle, auch nicht einmal ein Amtsfuhrmann, an welchem die Reihe nicht ist, solches Personenfuhrwerk bei Verlust der accordirten und gehobenen Fracht anzunehmen und zu fahren befugt sein."

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Zur Reihefahrt gehörte auch die Leistung der Postnebenfuhren, das Einzige, was das Fuhramt von den herzoglichen Verordnungen beibehalten hatte, da es günstig war und den Anschein landesherrlichen Dienstes erweckte. Da Rostocker Fuhrleute jetzt auch nicht mehr in Hamburg, Lübeck, Greifswald und Stralsund mit Personen durchfahren durften, sondern diese an den genannten Orten den einheimischen Fuhrleuten zur Weiterbeförderung überlassen mußten, so sollten die Fuhrleute aus diesen Städten in Rostock hinsichtlich der Personenfahrt ebenso behandelt werden. Um eine bessere Aufsicht über die fremden Kutscher zu haben, waren diese gehalten, durch die Litzenbrüder einen Passierzettel zu lösen, damit sie bei der Rückfahrt an den Thoren ungehindert passieren konnten. Alljährlich um Martini sollte zum Schutze des Publikums vor Benachtheiligungen eine Fuhrordnung mit den jeweiligen Fahrtaxen, deren Höhe nach dem Hafer= und Fouragepreise festgesetzt wurde, veröffentlicht werden; wer andere Sätze forderte, mußte 2 Thaler Strafe zahlen. "Und weil es höchst billig, daß einem jeden Bürger die Nahrung, worauf er sein Bürgerrecht genommen und worauf er sich häuslich niedergelassen, davon er auch seine Beschwerden den Nachbarn gleich tragen muß, gelassen und von anderen, so ihr Bürgerrecht nicht darauf gewonnen, sondern eine andere Profession gewählet, darin nicht beeinträchtiget werden, als soll kein Bürger und Einwohner zu seiner Ausfahrt, es sei wohin es wolle, ander Vorspann als von diesen ordentlichen Fuhrleuten - kleine Lustreisen auf einige Meilen Weges und wovor keine ordentliche Bezahlung geschiehet, item das Jahrmarktfahren ausgenommen - zu gebrauchen, auch keiner sonsten zu fahren bei Vermeidung willkürlicher Strafe befuget sein." Gleichzeitig wurde dem Reihefuhramte das gesammte Frachtfuhrwesen mit Gütern, Kaufmannswaaren u. s. w. als alleiniges Vorrecht übertragen; es wurde den Bürgern, die keine ordentlichen Fuhrleute waren und ihr Bürgerrecht nicht darauf gewonnen hatten, ebenso den Bauern streng verboten, Frachtsachen gewerbsmäßig zu befördern. Hamburger und Lübecker Fuhrleute durften ungehindert Güter befördern, da die Rostocker Fuhrleute in Hamburg und Lübeck das gleiche Recht ausübten; doch durften die Wagenmeister und Litzenbrüder für die fremden Fuhrleute zum Nachtheil des heimischen Fuhrgewerbes nicht Waaren und Güter aufsprechen, sondern mußten nach Kräften im Interesse des Fuhramts thätig sein.

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Damit waren die alten Zunfterinnerungen wieder zu neuem Leben erwacht. Der Zunftzwang war straffer durchgebildet als je zuvor, und rücksichtslos machte das Fuhramt von seinen Vorrechten Gebrauch. Länger als 30 Jahre hindurch blieb das Monopol des Fuhramts unangetastet. Dann begannen die Kämpfe mit der Staatspost von Neuem. Als um die Mitte des 18. Jahrhunderts im Postwesen geordnete Verhältnisse geschaffen worden waren, verloren auch die alten Sonderrechte des Rostocker Fuhramts an Geltung. Nachdem im Jahre 1759 wieder in allen größeren Orten Reihefuhrämter zum Betriebe der Postnebenfuhren eingerichtet worden waren, mußte auch das Rostocker Fuhramt die gleichen Dienste übernehmen. Seine Vorrechte in Bezug auf die Personenbeförderung hörten auf. Es unterstand aber auch jetzt nicht dem herzoglichen Postamte, sondern war als rein städtische Anstalt selbständig neben dem Postamte unter städtischer Polizeigewalt thätig, ein Zwitterverhältniß, das den Dienst des Postamts erschwerte und für das Publikum manche Unbequemlichkeiten im Gefolge hatte. Denn das Postamt hatte keine Gewalt über die einzelnen Fuhramtsgenossen, und bei Klagen über die Leistungen des Amtes waren Bürgermeister und Rath der Stadt immer geneigt, sich des Fuhramts anzunehmen, nicht selten mehr, als sich mit den öffentlichen Interessen vertrug. Die Schwierigkeiten, die sich aus dieser Sachlage ergaben, wurden noch dadurch gesteigert, daß die Regierung bei Abschluß des landesgrundgesetzlichen Erbvergleichs von 1755 (mit den Ständen des Landes) der Stadt Rostock alle alten Privilegien neu bestätigt hatte, darunter auch die Privilegien des Fuhramts, wie der Rostocker Rath stets hervorhob, während die Regierung diese Auffassung wiederholt, aber stets ohne Erfolg, bestritten hatte.

Den Fuhramtsmitgliedern waren diese Umstände nicht fremd. Sie hielten deshalb auch noch Jahrzehnte lang im Geheimen den Wettbewerb mit den Posten in der Personen= und Sachbeförderung aufrecht. Bei der wachsenden Verbesserung des Landespostwesens und in Folge scharfer Ueberwachung der Fuhrleute durch die herzoglichen Behörden nahm der Wettbewerb des Fuhramts aber allmählich ab. Am Ende des 18. Jahrhunderts hatte das Fuhramt sich mit den neuen Verhältnissen abgefunden und beschränkte sich fortan auf das Güterfrachtgeschäft und die Leistung der Postnebenfuhren, aber auch jetzt noch als rein städtische Anstalt. Diese Doppelstellung des Fuhramts führte je länger je mehr zu ernsten Unzuträglichkeiten. In Folge der mangelnden Aufsicht und der Unnachgiebigkeit der Fuhramtsmitglieder gegen

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jede Anregung des Postamts, den Forderungen der neuen Zeit im Fuhrbetriebe sich mehr als bisher anzupassen, hatte allmählich im Rostocker Fuhrwesen eine grenzenlose Mißwirthschaft Platz gegriffen, die beim reisenden Publikum den schlechtesten Eindruck machte. Nach dem Urtheil Aller war im Anfang des 19. Jahrhunderts nach Beendigung der Freiheitskriege die Einrichtung des Extrapostwesens in der lebhaften See= und Handelsstadt Rostock schlechter bestellt als selbst in der kleinsten Stadt irgend eines Landes. Die ankommenden Reisenden wandten sich wegen der Weiterreise zuerst an das herzogliche Postamt, das sie an das städtische Fuhramt verweisen mußte. Der Wagenmeister lief nun zu dem Fuhrmann, der an der Reihe war, und wenn diesem zufällig die Fuhre nicht paßte, so lehnte er sie unter irgend einem Vorwande ab. Dann mußte der bejahrte Wagenmeister den in der Reihe folgenden, vielleicht im entgegengesetzten Stadttheil wohnenden Fuhrmann aufsuchen; wenn dieser seine Pferde zu Hause hatte, so besaß er doch kaum einen schicklichen Wagen, und wenn die Reisenden im eigenen Wagen fuhren, dann kam der Fuhrmann erst aus der Vorstadt herein, musterte Wagen und Reisende, und nun entstand erst Verhandlung und Streit darüber, wieviel Pferde vorzulegen waren. Die Amtsältesten betrachtete jeder Fuhrmann als seines Gleichen und achtete ihrer Einreden nicht, und die Furcht vor der Aufsichtsbehörde, dem Gewett, kam überhaupt nicht in Frage. "Wird nämlich, wie es in einer zeitgenössischen Schilderung heißt ein Fuhrmann bei dem Gewett besprochen, daß er seiner Verpflichtung nicht genügt habe, so wird erst eine gerichtliche Kognition begonnen, protokollirt, geleugnet, gestritten, auf Beweis erkannt, appellirt und Gott weiß was sonst noch Alles gethan, um die Kontrolle zu schwächen und somit möglichst ungebundene Hände zu behalten."

Unzählige Klagen von hoher und niedriger Seite waren schon erhoben worden, aber immer vergeblich. Jeder Klage wurden die alten verbrieften Rechte des Amts entgegengehalten, die doch von den Genossen selbst täglich verletzt wurden. Jeder bemühte sich, möglichst zahlreiche Fuhren zu erhalten, auch wenn er nicht an der Reihe war, schaffte die Reisenden heimlich aus der Stadt und suchte an sich zu ziehen, was möglich war. Die Mißstände wurden umsomehr im Publikum empfunden, als der Reiseverkehr sich sehr lebhaft entwickelt hatte, und besonders wohlhabende Reisende dem ersten Ostseebad Doberan auf dem Wege über Rostock zuströmten. Es kam hinzu, daß jeder mit beson=

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derem Fuhrwerk in Rostock eintreffende Reisende sich dem Pferdewechsel unterwerfen und frische Pferde vom Fuhramte nehmen mußte. Wenn der Reisende Miene machte, diesem Gebrauch zuwiderzuhandeln, so wurde sofort mit Pfändung und gerichtlichen Strafen vorgegangen, sodaß er schließlich, um Weiterungen in der fremden Stadt zu vermeiden, immer nachgab, auch wenn das Recht klar auf seiner Seite war. In besonders üble Lage gerieth der Reisende, der wegen frischer Pferde mit Fuhrleuten verhandelte, welche nicht dem Fuhramte angehörten: sofort war das ganze Fuhramt zur Stelle, und nur ruhiges Nachgeben konnte vor Thätlichkeiten schützen.

So allgemein die Klagen waren und so rückständig der Betrieb des Stadtfuhramts jahrzehntelang blieb, so war bei der Regierung ersichtlich geringe Neigung vorhanden, mit fester Hand einzugreifen, weil die Stadt Rostock sich stets warm des Fuhramts annahm, wie mehrfache Versuche der Regierung gezeigt hatten. Auch betrachtete der Rostocker Rath die Sache nicht als Angelegenheit eines einzelnen Amts, sondern als Bestandtheil seiner Stadtgerechtsamen, die ohne angemessene Entschädigung nicht aufgegeben werden konnten. Mannigfache Vorschläge wurden im Laufe der Zeit gemacht, aber immer ohne Erfolg. Der beklagenswerthe Zustand des Fuhramts dauerte fort, wie jeder Reisende, der Rostock einmal berührt hatte, erzählen konnte. "Die Schuld an diesem Uebelstande fällt aber," wie die Regierung sich selbst zu trösten suchte, "nicht auf die Großherzogliche Postverwaltung, sondern die Rostocker tragen den Schimpf und die Schande ihrer Einrichtung selbst."

Nachdem wieder lange Zeit verstrichen war, und da der Zustand des Fuhramts dem Rath zu Rostock selbst unhaltbar erscheinen mochte, ließ dieser im Jahre 1841 bei einer wiederholten Erörterung der Angelegenheit mit der Regierung durchblicken, daß die Auflösung des Fuhramts gegen eine angemessene Entschädigung wohl in Erwägung gezogen werden könnte. Diese Andeutung griff die Regierung sofort auf. Sie ernannte einen Kommissar in Rostock, der mit dem Rathe und Fuhramte unterhandeln sollte. In der Instruktion des Kommissars kam zum Ausdruck, daß die Regierung der Stadt Rostock zwar kein besonderes Recht auf das Postnebenfuhrwesen einräume, daß es auf diesen Punkt bei der jetzigen Haltung des Rathes auch nicht ankomme, und das Prinzip umsomehr auf sich beruhen könne, als vor allen Dingen die augenblickliche günstige Stimmung be=

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nutzt werden müsse, um den bisherigen unleidlichen Zustand zu beendigen, wenn das ohne große Opfer möglich sei.

Beide Parteien zeigten bei der Verhandlung Entgegenkommen. Man einigte sich schließlich dahin, daß jedes aktive Mitglied des Reihefuhramts eine baare Abfindung von 125 Thalern, jedes inaktive Mitglied (frühere aktive Mitglieder, die in Folge Verarmung den Fuhrbetrieb eingestellt, aber die Mitgliedschaft behalten hatten) von 20 Thalern erhalten und dem Amte außerdem der Betrag von 50 Thalern zur Bestreitung seiner Unkosten gezahlt werden solle. Bei einem Bestande von 17 aktiven und 7 inaktiven Mitgliedern betrug mithin die ganze Entschädigung 2315 Thaler. Sie war nicht übertrieben. Durchschnittlich waren bis zum Jahre 1840 etwa 320 Extraposten u. s. w. jährlich, jede auf etwa 3 Meilen Entfernung, geleistet worden. Jeden Genossen hatte 15-20 Mal im Jahr die Reihe getroffen, und sein Verdienst betrug gering gerechnet 20-30 Thaler jährlich aus dem Fuhramte. Eine einmalige Entschädigung von 125 Thalern war daher eine sehr bescheidene Forderung.

Die Stadt Rostock, die mit der Preisgabe des Fuhramts auf ein städtisches Privileg verzichtete, nahm keine Geldentschädigung in Anspruch. Sie sprach aber die Erwartung aus, daß die Regierung ihr eine günstige Gegenkonzession zu Theil werden ließe, allerdings ohne sich über Gegenstand und Umfang derselben des Näheren auszulassen.

Die ganzen Abmachungen wurden in Form eines Vertrages zwischen dem Kommissar und Bürgermeister und Rath zu Rostock zusammengestellt. Der Vertrag wurde am 15. Dezember 1841 vollzogen und von der Regierung genehmigt. Nach Erfüllung der verabredeten Bedingungen stellte das Fuhramt am 1. Januar 1842 seinen Betrieb ein, und seine Befugnisse gingen von diesem Zeitpunkte ab auf das Großherzogliche Postamt über.

Damit hatte ein Institut aufgehört zu bestehen, das länger als ein halbes Jahrtausend im Handels= und Verkehrsleben der Stadt Rostock eine bedeutsame Rolle gespielt hatte. Es fand sich aber Niemand, der sein Ende bedauerte, selbst nicht die Angehörigen des Amts, denen endlich eine Fessel abgenommen war, unter der ihre Vorgänger im Fuhramte schon vor 100 Jahren und mehr geseufzt hatten.

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VIII.

Die Sternschanze bei Kleinen.

Von

Archivar Dr. Friedrich Stuhr.


N ordöstlich vom Dorfe Kleinen, nicht fern von dem Gabelpunkt der Eisenbahnlinien Kleinen — Wismar und Kleinen — Bützow liegt auf einer mit hohen Kiefern bestandenen Anhöhe am Schweriner See eine alte Befestigung. Im Süden und Osten wird sie von Wiesenflächen begrenzt, die sich an den See und den Schiffgraben anlehnen; im Norden und Süden fällt die Schanzenanhöhe zu festem Ackerland ab. Dichtes Gebüsch bedeckt die Abhänge, sodaß schon zu der Zeit, als der Fahrweg von Kleinen nach Warin unmittelbar an der Schanze vorüberführte (s. Meßtischblatt 845, aufgenommen in den Jahren 1877/79), wenige Vorübergehende auf das Werk aufmerksam geworden sein werden. Aber noch stiller ist es auf der Schanze geworden, seitdem der Weg geradegelegt und durch den Damm der Eisenbahn Kleinen — Bützow von der Schanze geschieden ist. Nur weidendes Vieh betritt sie noch hin und wieder. Und doch knüpfen sich auch an dieses weltvergessene Fleckchen Erde historische Erinnerungen, die einen Besuch der Schanze wohl verlohnen. Man kann sie vom Bahnhof Kleinen aus in 1/2 stündiger Fußwanderung bequem erreichen.

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Die Schanze ist in Form eines regelmäßigen sechsstrahligen Sterns erbaut, wie es die aus der Kartensammlung des Großherzoglichen Archivs stammende Zeichnung verdeutlicht. Sie ist noch heute vollständig erhalten, nur fehlen die Bauten im Innern.

Sternschanze bei Kleinen
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Drei Strahlen sind schmal und spitz, drei Strahlen laden an den Seiten noch etwas aus und verlaufen dann im stumpferen Winkel. Ein Erdwall, der oben abgeplattet ist, umzieht die ganze Anlage; er fällt in den Wallgraben etwa 6 m, nach dem Innern der Schanze etwa 2 m tief hinab. Man betritt die Schanze durch einen auf der Westseite befindlichen Walleinschnitt, in den früher der Weg vom Dorfe Kleinen her einmündete. Die Größenverhältnisse der Schanze entsprechen den Maßangaben auf der Zeichnung.

Um die Zeit der Erbauung dieser Befestigung zu bestimmen, war man bislang im Wesentlichen auf die Form der Anlage angewiesen. Die Schanze ist in Bastionsform aufgeführt, eine Befestigungsart, die in Italien zwar schon im 16. Jahrhundert weit verbreitet war, in Norddeutschland aber, aus den Niederlanden kommend, erst im 17. Jahrhundert üblich ward. So hat in Meklenburg Gerd Evert Piloot sie zur Anwendung gebracht, als er 1618 für den Herzog Adolf Friedrich einen Grundplan der Festung Poel entwarf. Auch der Befestigungsplan von Rostock, der 1624 von Johann v. Valkenburg gezeichnet, aber zum Schaden der Stadt nicht ausgeführt ist, weist einen Kranz von Bastionen aus und in den Jahren 1631-1646 hat Schwerin zu seiner Sicherung eine bastionirte Front vor dem Mühlen= und Schmiedethor erhalten. Daraus ließ sich mit Recht abnehmen, daß auch die Schanze bei Kleinen der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts angehören mußte, eine Folgerung, deren Richtigkeit noch durch die Bezeichnung der Schanze im Volksmunde als Schwedenschanze und durch den Charakter der Schrift auf der Zeichnung bestätigt ward.

Aber wozu konnte die Schanze gedient haben? Es konnte keinem Zweifel unterliegen, daß man eine Kunstanlage vor sich hatte, die auf längeren Gebrauch berechnet war. Eine Schanze zu vorübergehender Vertheidigung oder Angriff, wie etwa die Tillyschanze vor Neubrandenburg, wäre nicht in solcher Regelmäßigkeit und Höhe nach bestimmtem Plan erbaut worden. Schlie bringt die Schanze in seinem Denkmälerwerk (II, 295) mit dem alten Schiffgraben in Verbindung und deutet an, daß sie vielleicht berufen gewesen wäre, Ein= und Ausfahrt aus dem Kanal zu schützen oder zu verhindern. Aber abgesehen davon, daß in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts der Kanal bereits wieder verfallen war und nicht mehr benutzt wurde, wird diese Ansicht doch auch ins Wanken gebracht, wenn man an Ort und

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Stelle sieht, daß die Schanze mehrere hundert Meter von dem Graben entfernt liegt. Es wäre zum mindesten der Platz unzweckmäßig gewählt. Und ebenso wenig will es nach der Lage der Schanze einleuchten, daß sie einem feindlichen Uebergang über den Schiffgraben hat wehren sollen. So würde man denn weiter im Unklaren bleiben, wenn nicht einige vor Kurzem aufgefundene Schriftstücke im Archiv über Bedeutung und genaues Alter der Befestigungsanlage helles Licht verbreiteten.

Am 18. Juni 1638 ertheilte Herzog Adolf Friedrich dem Leutnant Christoph von Kamptz den Befehl, sich nach der neu (also wohl Frühjahr 1638) verfertigten Schanze zu Kleinen zu begeben, und, "weil die Schanze mit beider kriegenden Teile Vorbewust und Belieben dahin gelegt, damit die reisenden Handelsleute zwischen Wismar und Kleinen desto sicherer reisen und, was sie zu Wismar kaufen, zu Schiff vollends anhero (nach Schwerin) bringen können", die Waarenzüge nach Wismar und wieder zurück auf die Schanze zu geleiten. * ) Der Herzog hatte bei der Erbauung der Schanze vor Allem eine bessere Verproviantirung Schwerins im Auge gehabt, wie es denn in einer anderen Verordnung von ihm heißt, daß der Residenzstadt an der Konservation der Schanze zum höchsten gelegen sei.

Die Besetzung der Schanze erfolgte von Schwerin aus. Es stellten der Oberstleutnant Johann Friedrich Eminga und der Major Hartwig v. Reden aus den beiden damals in Stadt und Schloß Schwerin liegenden Kompagnien je 24, zusammen also 48 Mann unter einem Offizier (Leutnant oder Fähnrich), die alle 14 Tage abgelöst werden sollten. Zur Aufnahme des Kommandos war die Schanze, wie sich aus der Zeichnung ersehen läßt, mit einem Offiziershaus von 24 Fuß Front ausgestattet, um das sich im gleichseitigen Dreieck zwei kleinere Häuschen von 12 Fuß Front, vielleicht zur Unterbringung der Unteroffiziere und der Munition bestimmt, und 20 niedrige Mannschaftszelte von je 6 Fuß Breite gruppirten.

Für ihre von Herzog Adolf Friedrich bezeichnete Aufgabe wird die Schanze als zweckmäßig erbaut gelten können. Sie lag gerade vor der Stelle am See, wo vermuthlich die Einschiffung


*) Akten des Geh. und Hauptarchivs, Civ. Schwerin, Militaria. Der Erbauer des Werkes ist vielleicht Gerrit Gerritz (Gerd Gerds), ein Niederländer, gewesen, der um 1638 als Ingenieur in herzoglichen Diensten stand und aus der Renterei besoldet wurde.
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der Waaren stattfand, konnte dabei also wirksamen Schutz gewähren. Ueberdies war das Lager selbst durch die Schanze zu erfolgreichem Kampf gegen herumstreifende Schaaren und Marodeure befähigt.

Daß Kamptz schon die Schanze bezogen hat, ist unwahrscheinlich, weil unter seinem Nachfolger die Einrichtung des Offiziershauses erst beendet wurde. Der am 14. Juli 1638 zum Kommandanten der Schanze ernannte Leutnant Bastian Molstorff fand darin weder Thüren noch Fenster vor und mußte bei der Regierung um Abstellung der Mängel vorstellig werden. Es ward darauf am 29. Juli der Hofglaser Brand Eickhorst beauftragt, die Fenster einzusetzen, und inzwischen dem Molstorff Quartier vom Magistrat zu Schwerin angewiesen. Vor dem August 1638 wird demnach die Besetzung der Schanze nicht erfolgt sein.

Leider wissen wir nichts darüber, wie die Befestigung sich bewährt und zur Sicherung des Verkehrs zwischen Wismar und Schwerin beigetragen hat. Auch wie lange sie bewohnt gewesen ist, vermögen wir nicht zu erkennen. Sehr lange kann es nicht gewesen sein, denn als die Schanze mehrere Jahrzehnte später nochmals aus dem geschichtlichen Dunkel auftaucht, da hatte man nur noch unklare Vorstellungen von ihrer Bedeutung. 1674 ward, nachdem schon mehrere frühere Versuche, die Vichelsche Fahrt wieder zu eröffnen, fehlgeschlagen waren, wieder einmal zwischen Wismar und der Regierung in dieser Sache verhandelt. Da erklärte sich die Regierung u. A. bereit, in Viecheln ein gutes Packhaus zur Niederlage der hin= und hergehenden Waaren zu erbauen, und stellte dabei zur Erwägung, ob es nicht zweckmäßig sei, das Packhaus "in eine daselbst beim See schon befindliche und vermutlich vor vielen Jahren zu diesem Zwecke schon aufgeworfene Redoute" zu legen. 1 ) Und in der Wismarschen Rathssitzung vom 27. Juli 1674 gab der Bürgermeister Caspar Schwartzkopf in seinem Bericht über den Erfolg seiner Schweriner Reise an, daß die Regierung ein Kaufhaus "na bei der gelegenen Schantze" bauen wolle. 2 ) Aber keins von beiden gelangte zur Ausführung. Schon im Frühjahr 1675 lag es in der Luft, daß es bald zum ernsten Kampf zwischen Schweden und Brandenburgern kommen werde, was sich für die Stadt Wismar in einem sinken des Kredits alsbald fühlbar machte. Da ließ man


1) Wism. Rathsarchiv Tit. VI., Nr. 2, Vol. 2.
2) Mekl. Jahrb. X, A 199.
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denn, wie in den Kanalakten des Wismarschen Rathsarchivs am 5. Mai 1675 notirt wurde, das Werk vor der Hand stecken und beschloß auf künftige bessere Zeiten zu warten.

Später ist, soweit man bis jetzt sehen kann, die Schanze zu Kleinen nicht wieder aus ihrer Ruhe aufgestört worden. Sie bleibt aber trotz ihrer kurzen Dienstleistung ein ehrwürdiges Denkmal aus den schlimmsten Jahren des dreißigjährigen Krieges, die mit Verwüstung, Hungersnoth und Pest über das Land dahinzogen.

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