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II.

Das Bündniß Karls des Großen
mit den Abodriten.

Von

Oberlehrer Dr. Richard Wagner.

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D ie Generalversammlung des Vereins für meklenburgische Geschichte und Alterthumskunde, die am 12. Juli 1880 stattfand, eröffnete der damalige zweite Secretair des Vereins, Archivrath Dr. Wigger, mit den Worten: "In der Generalversammlung desjenigen Vereins, der sich die Erforschung und die Pflege der Landesgeschichte zur Aufgabe gestellt hat, ziemt es sich im Jahre 1880 daran zu erinnern, daß die quellenmäßige Geschichte von Meklenburg mit dem Jahre 780 beginnt, sie mithin eben jetzt ihr 11. Jahrhundert abschließt und ihr 12. anhebt." Die historische Thatsache, auf die Wigger hier anspielt, ist das Bündniß Karls des Großen mit den Abodriten, das in den meisten Werken und Handbüchern über meklenburgische Geschichte, so schon von Rudloff (I, 10) und Lützow (I, 16 und 18), auch von L. Giesebrecht in seinen Wendischen Geschichten (I, 97) und noch jüngst in der zweiten Auflage der Meklenburgischen Vaterlandskunde von Quade (III, 27) in das Jahr 780 gesetzt wird. Indessen findet diese Ansetzung in den Geschichtsquellen nur eine unsichere Stütze, die neuerdings dadurch noch schwankender geworden ist, daß die Quellenstellen, auf denen sie beruht, unter den deutschen Geschichtsforschern eine völlig veränderte Erklärung und Auslegung gefunden haben. Daraus erwächst unserer heimischen Forschung die Pflicht einer nochmaligen Prüfung. Zu dieser wollen die folgenden Erörterungen Gelegenheit geben, zugleich erstrecken sie sich auf die weitere Geschichte des Bündnisses, die bisher nicht die verdiente Beachtung gefunden haben dürfte, und suchen, soweit

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das vorliegende Material es gestattet, die Fragen zu beantworten, was die Veranlassung zu dem Bündniß gewesen, was der Inhalt der ursprünglichen Verabredungen gewesen sein mag, ob sich spätere Aenderungen derselben nachweisen lassen, ob überhaupt eine Entwickelung in dem Verhältniß der Abodriten zu Karl dem Großen und Ludwig dem Frommen zu beobachten sei, und wie und aus welchen Gründen sich dann der Abfall der Abodriten vom Frankenreich vollzogen habe.

I. Das Abschlußjahr des Bündnisses.

Die Quellenstellen, auf die sich die bei uns herkömmliche Ansetzung des Bündnisses ins Jahr 780 gründet, hat Wigger in seinen "Meklenburgischen Annalen" S. 1 zusammengestellt. Es sind die folgenden:

1. Annal. Laurissenses 780: Nachdem Karl bei Orhaim (Ohrum an der Ocker) die Barden und viele der Nordleute, die dort zu ihm kamen, hatte taufen lassen, zog er an die Elbe, ubi Ora confluit (Ora=Ohre, sie mündet einige Meilen nördlich von Magdeburg), ibique omnia disponens tam Saxoniam quam et Sclavos, et reversus est in Francia. Der hier in Betracht kommende Theil der Annal. Lauriss. ist erst einige Jahre nach den Ereignissen, wahrscheinlich 788, niedergeschrieben (s. Wattenbach, Deutschlands Geschichtsquellen I 6 195), beruht aber auf gleichzeitigen Aufzeichnungen, die gleich den Annal. Lauriss. selbst, am fränkischen Hofe entstanden zu sein scheinen; die Annalen sind also auch in ihrem ersten Theil eine Geschichtsquelle ersten Ranges. Leider verrathen sie uns nicht, wer die Slaven waren, auf die sich Karls ordnende Thätigkeit bezog, und worin diese bestand. In diesen Beziehungen werden sie durch die sogenannten Annales Einhardi ergänzt, in ihrem älteren Theil eine (von Einhard?) am Hofe Karls ums Jahr 801, nach dem letzten Herausgeber allerdings erst zwischen 830 und 840 (s. Kurze, Neues Archiv 21, I 9 ff.) verfaßte Ueberarbeitung der Laurissenses, die jedoch mancherlei neue, aus verloren gegangenen schriftlichen Quellen oder aus mündlicher Erkundigung stammende Nachrichten enthält:

2. Annales Einhardi 780: Profectus inde (d. h. von Orhaim aus) ad Albiam, castrisque in eo loco, ubi Oraet Albia confluunt, ad habenda stativa conlocatis, tam ad res Saxonum, qui citeriorem, quam et Sclavorum, qui ulteriorem fluminis ripam incolunt, componendas

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operam impendit. Quibus tunc pro tempore ordinatis atque dispositis in Franciam reversus est. Nach Einhard sollen es also die Slaven jenseits der Elbe gewesen sein, deren Verhältnisse Karl zu ordnen suchte.

3. Die Annales Mosellani und Laureshamenses, zwei mit einander eng verwandte kürzere Annalenwerke, die, wenn auch nicht gleichzeitig mit den Ereignissen niedergeschrieben, doch auf guten gleichzeitigen Aufzeichnungen beruhen (s. Wattenbach I 6, 143 ff.), enthalten die folgende Notiz: Ann. Mosell. 780 (die Stelle ist in Wiggers Annalen S. 129b Anm. 1 nachgetragen): nec non et Winidorum sen et Fresionum paganorum magna multitudo ad eum conversa est.

Annal. Lauresham. 780: nec non et Winidorum seu Fresonum paganorum magna multitudo credidit; für credidit setzt das Chronicon Moissiacense eine Compilatilon, für die außer andern Werken auch die Annal. Laureshamenses benutzt sind - geradezu baptizata est ein, doch kommt diese Chronik als selbständige Quellenschrift ebenso wenig in Betracht, wie die Ann. Lobienses, die die Notiz der Mosellani und Laureshamenses mit der der Laurissenses über die Nordleute in den Worten zusammenfassen: nec non et Winidorum seu et Frisonum et Nordleudorum multitudo credidit. Wohl aber verdient noch Beachtung ein Annalenwerk, das Wigger noch nicht bekannt war.

Die Annales Maximiani, eine um 811 verfaßte Compilation (s. Wattenbach I 6 146 f., Mon. Germ. S. S. XIII, 19 ff.), die zum Jahre 780 die Worte enthält: et tunc Winedorum atque Fresonum multitudo magna credere se Domino spoponderunt. Zweifellos geht diese Notiz auf dieselbe Quelle zurück, wie die der Mosell. und Lauresh., vermuthlich auf eben die verlorenen Hofannalen, die man als gemeinsame Quelle der Mosell. und Lauresh. erkannt hat. In Fassung wie Inhalt von dieser Quelle unabhängig sind dagegen

4. die Annal. Petaviani, die den Ereignissen gleichzeitig verfaßt sind, in ihnen heißt es zum Jahre 780: et venerunt ad dominum regem multa milia Winethorum hominum: ipse autem adquisivit una cum Dei auxilio. Es fehlen hier die Friesen, die in den Ann. Mos., Lauresh. und Maxim. genannt sind.

Eben diese Zusammenstellung von Friesen und Wenden hat das Befremden der Quellenforscher erregt. Nun findet sich dieselbe Zusammenstellung auch in den Fortsetzungen des Fredegar zum Jahre 747 (s. Fred. cont. c. 117), wo erzählt wird, daß dem König Pippin auf einem Feldzuge gegen die Sachsen (s. über

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diesen noch die Ann. Einh. und Mettenses) reges Winidorum seu Frisionum zu Hülse gekommen seien. Auf diesem Feldzuge rückte Pippin durch Thüringen nach Norden in den Nordschwabengau (zwischen Bode und Unstrut). Hier zwischen dem sächsischen Nord und dem fränkischen Südthüringen lagen zwei Gaue mit den Namen Frisonofeld und Winidongo. Da es nun unwahrscheinlich ist, daß Friesen von der Nordseeküste zu Pippin in den Nordschwabengau gekommen sind, so hat man unter den Wenden und Friesen bei Fredegar die Bewohner der beiden thüringischen Gaue Friesenfeld und Wendengau verstanden, so besonders Hahn, Jahrbücher des fränkischen Reiches 741-752, Berlin 1863, S. 93 und Excurs XXII. und Richter, Annalen des fränkischen Reiches im Zeitalter der Merovinger, Halle 1873, S. 213b.

Dieses Forschungsresultat ist nun auf die Friesen und Wenden des Jahres 780 übertragen worden, zuerst von Kentzler (Forschungen zur deutschen Geschichte XII., S. 348, Anm. 4). Nach dieser Auffassung sollen also im Jahre 780, als Karl an der Elbe stand, die Bewohner des Wendengaues und Friesenfeldes -.auch diese hält Kentzler mit Hahn für Wenden, durch welche die früheren friesischen Bewohner des Gaues verdrängt seien in großen Schaaren zu ihm gekommen sein, sich ihm unterworfen haben und an Ort und Stelle getauft sein. Die Nachricht der Ann. Einhardi bezieht Kentzler (S. 347 f.) auf Ordnung von Grenzstreitigkeiten zwischen den Sachsen und den Wenden jenseits der Elbe, wobei zugleich Karl den Wenden sich als ihr Nachbar im Glanze seines Heeres gezeigt habe. "Dabei, meint Kentzler, werden die Slaven dem Könige insoweit Gehorsam gelobt haben, als sie versprechen mußten, jede Ueberschreitung fränkisch=sächsischen Gebiets auf immer meiden zu wollen."

Nach Kentzler schildern also die Ann Einh. ein ganz anderes Ereigniß als die kleineren Annalen, jene die Beilegung von Grenzstreitigkeiten zwischen den Sachsen und den rechtselbischen Wenden, diese die Bekehrung zweier linkselbischen wendischen Gaue. Kentzlers Deutung der Stellen aus den kleineren Annalen billigen Richter und Kohl, Annalen der deutschen Geschichte II., S. 74 und Mühlbacher, Regesta imperii I., S. 85 f. N. 222b (s. 748, S. 27 N. 55d), in Bezug auf die Notiz der Ann. Einh. gehen sie noch einen Schritt über Kentzler hinaus, indem sie sie überhaupt für irrthümlich halten. Richter sagt: "Unter den hier (780) genannten Friesen können nur die Bewohner des sogen. Friesenfeldes zwischen Saale und Unstrut gemeint sein, unter den Wenden nur die des Wendengaues nahe der Unstrut.

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An eine Unterwerfung der Slaven jenseits der Elbe, welche aus dem Zusatz in den Ann. Einh. geschlossen werden könnte, ist durchaus nicht zu denken. Aehnlich Mühlbacher, doch mit einer kleinen Nuance in Bezug auf die Winidi der Mosell.-Lauresh.: "Die hier genannten Fresiones sind die Bewohner des Friesenfeldes, die Wenden wohl zunächst jene des Wendengaues an der Unstrut. Der Zusatz der Ann. Einh., betreffend die Slaven, der offenbar nur eine geographische Erläuterung geben will, wird in diesem Falle geradezu zu einem Irrthum; von einem Christenthum oder einer Abhängigkeit unter den Slaven jenseits der Elbe noch keine Spur". In Uebereinstimmung hiermit heißt es in Mühlbachers deutscher Geschichte unter den Karolingern, Stuttgart 1896, S. 124: Auch die noch slavischen Bewohner des Friesenfeldes und des Wendengaues, der Gegenden nördlich der Unstrut bis zur Saale, ließen sich taufen. "Nachdem er alles sowohl bei den Sachsen als bei den Slaven geordnet hatte, kehrte er zurück" - das ist der wortkarge Bericht des Reichsannalisten über die von Karl getroffenen Maßregeln."- Ueber die Frage, worin diese Ordnung der Verhältnisse bestanden haben könne, geht Mühlbacher stillschweigend hinweg und läßt den Zusatz der Ann. Einh., den er ja für irrthümlich hält, völlig unbeachtet. S. 136 heißt es dann: - "Als Karl (i. J. 789) den befreundeten Abodriten zu Hülfe zog" - wann diese Freundschaft, die doch im Jahre 789 schon bestanden haben muß, geschlossen sein mag, dieser Frage ist weder Mühlbacher noch Kentzler noch Richter näher getreten.

Entgegen diesen Forschern halten Abel und Simson, Jahrbücher des fränkischen Reiches unter Karl dem Großen, I 2, Leipzig 1888, S. 348, die Annahme, daß unter den Wenden und Friesen (des Jahres 780) lediglich die Bewohner des Friesenfeldes und des Wendengaues zu verstehen seien, für recht gewagt und nehmen keinen Anstand (S. 359 f.), das Bündniß Karls mit den Abodriten vermuthungsweise ins Jahr 780 zu setzen. Ich gestehe, daß ich mich ebenfalls der Ansicht Kentzlers nicht anzuschließen vermag, so wenig wie mich Hahns Ausführung überzeugt hat.

Was zunächst die Stelle bei Fredegar betrifft, so ist Hahn bei der Begründung seiner Ansicht in einige offenkundige Irrthümer verfallen. Er kennt Wenden nur an der Ostsee in Pommern, so wenigstens muß man aus seinen Worten schließen: "Hier wirklich Friesen anzunehmen, die nordwestlichen Nachbarn der Sachsen, und die Wenden im Nordosten dieses Landes, im heutigen Pommern (sie), wäre weit ausgeholt." Ferner

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versteht er seu= "oder", es heißt aber "und", wie schon Platner (Forschungen zur deutschen Geschichte XVII., 424) gegen Hahn richtig bemerkt hat. 1 ) Wenn Hahn ferner die duces gentis asperae Sclavorum, die sich nach den Ann. Mettenses 748 mit Pippin vereinigt haben sollen, den reges Winidorum seu Fresonum bei dem Fortsetzer des Fredegar gleichsetzt und daraus folgert, diese Friesen seien in den Sclavi der Ann. Mettenses miteinzuschließen, sie seien also selbst Slaven gewesen, so erregt diese Gleichsetzung um so mehr Bedenken, als seu eben nicht oder, sondern und bedeutet, der Chronist also Wenden und Friesen als zwei verschiedene Nationen deutlich von einander unterscheidet. 2 ) Vollends liegt nicht der geringste Grund vor, unter den reges Winidorum nur die Fürsten des kleinen Wendengaues zu verstehen. Die Ann. Mettenses sprechen von einem wendischen Heere, von pugnatores quasi centum milia. Mag diese Zahl (s. übrigens quasi) auch noch so übertrieben sein, so muß es doch ein Heer von imponirender Stärke gewesen sein, so schwerlich also nur aus den wendischen Gauen diesseits der Saale, sondern mindestens noch ein Theil der Sorben von jenseits des Flusses, und vermuthlich auch wilzische Schaaren, denn es müssen -das dürfen wir aus dem Ausdruck unanimiter schließen- Angehörige verschiedener Stämme gewesen sein, die sich sonst nicht selten befehdeten, hier sich aber zur Bekämpfung der Sachsen einmüthig unter sich und mit Pippin vereinigten, die willkommene Gelegenheit zu einem Raub= und Beutezug gegen ihrem gemeinsamen Feind, die Sachsen, zu benutzen.


1) Seu wird besonders gern für "und" gebraucht, wenn et in der Bedeutung "auch" daneben oder wenigstens in der Nähe steht, s. Ann. Lauresh. 780 et presbyteros seu et abbates (und auch -) und kurz darauf nec non et (ebenso auch) Winidorum seu (und) Fresonum-, wo die Ann. Maximiani durch ihr atque für seu die Auffassung des seu als "und" sicher stellen.
2) Ist es glaublich, daß die wendischen Bewohner eines Gaues, der früher von Friesen bewohnt und nach ihnen benannt war Friesen genannt werden, und giebt es ein zweites Beispiel, daß ein altgermanischer Gau bei der Einwanderung der Wenden seinen alten Namen behielt und sogar auf die wendischen Einwanderer als Volksnamen übertrug? Ist dies schon an sich wenig wahrscheinlich, so spricht überdies das Resultat der neuerdings angestellten Namensforschung gegen die Annahme einer stärkeren wendischen Besiedelung des Friesensfeldes. Größter (Besiedelung der Gaue Friesenfeld und Hassegau, Zeitschrift des Harz=Vereins, B. VIII., S. 113) hat unter den sämmtlichen Dorf= und Flurnamen des Friesenfeldes nur zwei unzweifelhaft wendische gefunden und schließt daraus, daß die Sorben nur an einer Stelle (bei Querfurt) (  ...  )
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Mögen also die Friesen von der Nordseeküste stammen - sie müßten dann zu Schiffe die Weser oder Elbe aufwärts gefahren sein - oder, was wahrscheinlicher ist, aus dem Friesenfeld: Die Wenden auf den kleinen und obendrein von dem Friesenfeld durch andere unzweifelhaft germanische Gaue, den Helmegau und den Nebelgau, getrennten Wendengau zu beschränken, ist gegenüber der Schilderung der Ann, Mettenses durchaus unthunlich. (Ueber diese Annalen s. Ranke, Weltgeschichte V., 2, 292 ff. und bes. S. 300, wo Ranke das Urtheil fällt: "Ohne die Ann. Mettenses würde die ganze Begebenheit (d. i. eben der Sachsenfeldzug Pippins vom Jahre 748) unverständlich bleiben. Die Erwähnung der Nordschwaben und Slaven wirft allein ein gewisses Licht auf dieselbe.")

Noch weit unwahrscheinlicher aber ist, daß die Annalen im Jahre 780 mit den Wenden und Friesen, die sie nennen, die Bewohner dieser beiden kleinen thüringischen Gaue meinen sollten.

Kentzler sagt, von den Nordsee=Friesen sei nicht anzunehmen, daß sie zu Karl an die Elbe gekommen seien. Und doch fuhr eine Heeresabtheilung von eben denselben Friesen wenige Jahre später (789) auf Schiffen die Elbe hinauf bis in die Havel hinein, um am Feldzuge gegen die Wilzen theilzunehmen (s. Ann. Lauriss. 789): warum sollte da nicht eine Abordnung friesischer Gaue, an Karl gesandt, um einen etwa drohenden Angriff auf ihre Heimath durch Versicherung ihrer Unterwerfung zuvorzu=


(  ...  ) die Ostgrenze des Friesenfeldes überschritten hätten und daß dasselbe im Uebrigen rein deutsch geblieben sei.
Im Wendengau müssen, wie der Name beweist, wendische Niederlassungen zahlreicher gewesen sein als in den umliegenden Gauen, aber ist es denkbar, daß der Wendengau, der mit seiner Ostgrenze etwa 10 deutsche Meilen von der Saale entfernt zwischen germanischen Gauen eingesprengt liegt, zu irgend einer Zeit von einem geschlossenen wendischen Stamme unter wendischen Fürsten (reges!) bewohnt gewesen ist? Die Erklärung, die Wersebe (Beschreibung der Gaue zwischen Elbe, Saale u.s.w. S. 55) von der Entstehung des Gaunamens giebt, scheint mir sehr beachtenswerth: "In diesen Gegenden können wendische Dörfer wohl nur dadurch erwachsen sein, daß sie von einheimischen Gutsherrn durch slavische Leibeigene angebaut worden; daher denn auch keine eigentlich slavische Ortsnamen, sondern nur solche, die in deutscher Sprache andeuten, daß der Ort wendisch sei (z B. Wolfeswenden), hier vorkommen, welches sich in den Gegenden jenseits der Saale umgekehrt verhält." So hat Bonifacius ums Jahr 740 im Gebiete des Bisthums Würzburg, und des Klosters Fulda Slaven angesiedelt (s. Willebaldi Vita S. Bonifacii c. 24). Zu beachten ist noch, daß der Wendengau keinem der sächsischen Bisthümer unterstellt ward, sondern, und gewiß schon vor 780, zum Sprengel des Erzbisthums Mainz gehörte.
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kommen, im Jahre 780 zu Schiffe die Elbe hinauf bis an die Ohremündung gelangt sein? Ueberdies geht meines Erachtens garnicht mit Nothwendigkeit aus den Annalen hervor, daß die Friesen 780 grade an der Elbe zu Karl gekommen seien. Die Annalen geben zunächst die Elbe als das letzte Ziel des fränkischen Zuges an und fassen dann dessen Resultat kurz zusammen, ohne Karls Aufenthalt in Ohrum von dem am Elbufer irgendwie zu unterscheiden, s. d. Lauresham.: pervenit usque ad fluvium Heilba et Saxones omnes tradiderunt se illi, es steht nicht da et ibi (an der Elbe), auch wissen wir aus den Lauriss., daß z. B. die Bardengauer und viele der Nordalbinger zu Karl nach Ohrum kamen und nicht an die Elbe. Es können also die Friesen schon in Ohrum Karl aufgesucht haben. Vielleicht sind Dithmarschen gemeint; daß diese zu den Nordalbingern gehört haben, die Karl im Jahre 780 ihre Unterwerfung anzeigten, läßt sich aus der Thatsache schließen, daß der Missionar Willehad, der eben im Jahre 780 in den Wigmodesgau (zwischen Weser und Elbemündung) gesandt ward, sehr bald darauf auch über die Elbe nach Dithmarschen Missionsgehülfen geschickt hat (s. Vita Willehadi c. 4 und 5, M. Germ. S. S. II. 382, s. auch Dehio, Geschichte des Erzbisthums Hamburg-Bremen, Berlin 1877, I. 15). Es muß dies vor 782 geschehen sein, denn 782 fällt ein Geistlicher in Dithmarschen unter dem Schwerte der Aufständischen (s. V. Willeh. c. 6). Die Sendung von Geistlichen aber setzt, wie Kentzler (a. a. O. S. 346, A. 1) richtig sagt, eine vorangegangene Unterwerfung voraus. Kentzler selbst rechnet denn auch die Dithmarschen zu den 780 vor Karl an der Ocker erschienen Nordalbingern. Warum sollten diese Dithmarschen nicht mit den Friesen der Annalen identisch sein oder wenigstens einen Theil von ihnen bilden? Denn es werden auch noch aus anderen friesischen Gauen damals Abordnungen vor Karl erschienen sein; von dem Rüstringergau (westlich der untern Weser) wenigstens müssen wir es aus demselben Grunde annehmen, wie von den Dithmarschen: auch hierhin sandte Willehad einen Gehülfen, der ebenfalls 782 dem Aufruhr erlag.

Und suchen wir einmal die Worte der Annalen in ihrem Gedankenzusammenhang zu erfassen! Die Annalen wollen einen kurzen Ueberblick geben über die gewaltigen Erfolge, die Karl im Jahre 780 in Sachsen gewonnen hat. Das ganze sächsische Volk liegt ihm zu Füßen, er ernennt Bischöfe, Presbyter und Aebte und weist ihnen ihre Sprengel zu, darin zu taufen und zu predigen. Auf den Satz, der diesen Gedanken enthält (et

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Saxones omnes tradiderunt se illi divisitque ipsam patriam inter episcopos et presbyteros seu et abbates, ut in ea baptizarent et praedicarent), folgt unmittelbar der in Frage stehende: nec non et Winidorum seu Fresonum paganorum magna multitude credidit (so die Ann. Lauresh, die andern ähnlich, s. o.). Können die Annalen in diesem Zusammenhang mit den Winidi und Fresones etwas anderes meinen als die Völker der Wenden und Friesen im Unterschied von dem Volk der Sachsen? Drei verschiedene Völker haben sich im Jahre 780 der Macht des Frankenkönigs beugen müssen, die Sachsen und von den Friesen und Wenden wenigstens ein Theil Ist es an sich schon gewagt, die Benennung Fresones von den Bewohnern eines Gaus gelten zu lassen, die (nach Hahn) garnicht Friesen, sondern Wenden waren, so weist, meine ich, vollends der ganze Zusammenhang der Stelle die Beschränkung der Winidi und Fresenes auf die zwei kleinen thüringischen Gaue zurück, die Verfasser der Annalen haben sagen wollen: Auch von den (Völkern der) Wenden und Friesen bekehrte (oder unterwarf) sich ein Theil.

Und wenn wir von der Bekehrung der Wenden, die in den Annalen behauptet wird, vorläufig absehen, besteht denn irgend ein Bedenken, eine freiwillige Unterwerfung eines Theiles der Wenden, vermuthlich der Sorben und Abodriten, im Jahre 780 anzunehmen? Stimmt nicht vielmehr diese durch die kleineren Annalen nahe gelegte Annahme vortrefflich zu dem Ausdruck der Ann. Lauriss.: Karl habe alles geordnet, tam Saxeniam quam et Sclavos, und ebenso vortrefflich zu der Behauptung der Ann. Einh., Karl hätte die Verhältnisse auch der Wenden jenseits der Elbe geordnet, wobei doch als selbstverständlich vorauszusetzen ist, daß sie vor ihm erschienen und seinen Forderungen sich - für den Augenblick wenigstens - fügten, d. h. also im Annalenstil sich ihm unterwarfen?

Einhard - oder wer sonst der Verfasser der, Ueberarbeitung sein mag - zeigt sich über den Sorbenfeldzug des Jahres 782 wie über den Wilzenfeldzug des Jahres 789 vortrefflich unterrichtet, und wenn er bei diesem auf der einen Seite nicht jede Einzelheit der Laurissenses in seine Bearbeitung aufnimmt (so die Theilnahme der Friesen), so bringt er doch aus der andern Seite - und zwar gerade über das Wichtigste, den Verlauf des Feldzuges im feindlichen Lande - selbst werthvolle und unzweifelhaft richtige Ergänzungen bei (so die ganze Erzählung von Dragowit). Ist er 782 und 789 so gut unterrichtet, warum ihn da 780 des Irrthums zeihen? Ueberdies wird sein Zusatz vom Jahre 780

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durch die Ereignisse der folgenden Jahre beglaubigt und gestützt. Denn wenn die Sorben 782 rebelles genannt werden (s. Ann. Lauriss.), so muß man doch aus dieser Bezeichnung schließen, daß sie bereits als subiecti angesehen werden. Nun haben die Thüringer und Sachsen seit Samos Zeit manchen Strauß mit ihren wendischen Nachbarn - in erster Linie also den Sorben -ausgefochten (s. Richter, Annalen I., zu dem Jahre 623, 630) und nach einer Nachricht, deren Richtigkeit allerdings bezweifelt wird, sollen sich die Sorben schon früher dem fränkischen Reiche angeschlossen haben (s. Fredeg. c. 68: Dervanus dux gentis Urbiorum, qui ex genere Sclavinorum erant et ad regnum Francorum iam olim adspexerant, s. aber Zeuß, die Deutschen und ihre Nachbarstämme, München 1837, p. 638) und erst infolge der Schlacht bei Wogastisburg im Jahre 630 zu Samo abgefallen sein. Jedenfalls aber haben sich Franken, Thüringer und Sachsen seit dieser Schlacht begnügt, ihre Grenzen gegen die Einfälle der Wenden zu schirmen, es ist, soviel wir sehen, kein Versuch zu deren Unterwerfung gemacht (s. Richter zu 632, 633 und 747), auch wird der Ausdruck rebelles vor 782 von ihnen nicht gebraucht. Die Sorben, wenn nicht alle, so doch ihre Grenzgaue, werden also 780 Friede und Gehorsam gelobt haben, sie werden zu den Wenden gehören, auf die sich Karls ordnende Thätigkeit bezog.

Man halte dem nicht entgegen, daß die Sorben ganz oder größtentheils links der Elbe wohnten, Einhard läßt unbeachtet, daß die Elbgrenze weiter nach Süden durch die Saalegrenze abgelöst wird, auch mögen die Verhandlungen Karls mit den rechtselbischen Wenden, den Wilzen und Abodriten, wichtiger erschienen sein als die mit den Sorben.

Daß Karl 780 auch zu den Wilzen und Abodriten in Beziehung getreten ist, legt uns ebenfalls der weitere Fortgang der Ereignisse nahe. Den Feldzug des Jahres 789 gegen die Wilzen unternahm Karl, wie Einhard in der Vita Caroli Magni ausdrücklich sagt, wegen der unablässigen Angriffe der Wilzen auf seine Verbündeten, die Abodriten, s. Vita c. 12: Causa belli erat, quod Abodritos, qui cum Francis olim foederati erant, assidua incursione lacessebant nec iussionibus coerceri poterant. Man vergleiche noch Ann. Einh. 789: Ea (das Volk der Wilzen) Francis semper inimica et vicinos suos, qui Francis vel subiecti (das sind die Sachsen) vel foederati (das können nur die Abodriten sein) erant, odiis insectari belloque premere ac

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lacessire solebant und Ann. Einh. 798: Nam Abodriti auxiliatores Francorum semper fuerunt, ex quo semel ab eis in societatem recepti sunt. Es hatte also das Bündniß zwischen den Franken und Abodriten schon eine Anzahl Jahre vor 789 bestanden. Der Ausdruck olim in Einhards Vita scheint nun seinen Abschluß in eine recht ferne Vergangenheit zu verlegen. Haben etwa schon vor Karls des Großen Zeit Beziehungen zwischen den Franken und Abodriten bestanden? Sollte etwa unter den Königen der Wenden, die 748 Pippin zu Hülfe ziehen, auch der Abodritenfürst gewesen sein? Wir wissen es nicht, und es ist auch nicht wahrscheinlich, denn das wendische Heer stieß zu Pippin, als er den Nordschwabengau betrat (s. Ann. Mettens. 747), noch südlich von Schöningen und Ohrum, also in weiter Entfernung vom Gebiet der Abodriten. Das olim (vor Alters) bei Einhard erklärt sich ungezwungen aus der Abfassung der Vita erst nach Karls Tod, es spricht nicht gegen das Jahr 780 als Abschlußjahr des Bündnisses.

Nun durchzog Karl nicht nur 780, sondern auch 783, 784 und 785 Sachsen bis an die Elbe (s. die Ann. Einh.), 783 nach den Siegen bei Detmold und an der Hase auf unbekanntem Wege, 784 durch Thüringen bis an die Saalemündung, 785 finden wir ihn sogar im Bardengau, dem Gebiet der Abodriten gegenüber. Hier hatte er freilich eine vortreffliche Gelegenheit zum Abschluß eines Bündnisses mit ihnen. Allein nur 780 ist in unsern Quellen von Verhandlungen mit den Wenden die Rede. Das Schweigen der Quellen ist freilich noch kein Beweis, daß nicht solche auch, 785 könnten stattgefunden haben, aber das werden wir aus diesem Schweigen schließen dürfen, daß die Verhandlungen des Jahres 780 mehr Aufsehen erregt haben und umfassender und wichtiger gewesen sind. Trotzdem führten sie nach dem Geständniß der Ann. Einh. nicht endgültig zum Ziele, dieses Geständniß blickt deutlich durch den vorsichtig gewählten Ausdruck protempore hindurch. Karl ordnete die Verhältnisse der Wenden, soweit es in der ihm noch zu Gebote stehenden Zeit möglich war; darin liegt die Andeutung, daß diese Ordnung noch nicht endgültig war, daß also seine Anordnungen nicht überall Beachtung gefunden haben, nicht dauernd bei den Sorben (s. oben) und auch nicht bei den Wilzen, die trotz der Befehle Karls die Abodriten zu bedrängen fortfuhren. Von solchen Befehlen (iussiones) ist 789 die Rede (s. oben d. Stelle aus der Vita c. 12), Der Plural iussioues ist dabei zu beachten, es scheint also mehrfach ein Befehl an die Wilzen ergangen zu sein,

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Ruhe zu halten, gewiß einer 785, als Karl in der Nähe war, der erste vermuthlich 780.

Alles in allem: Ueber einen gewissen Grad von Wahrscheinlichkeit kommen wir in dieser Frage, wie in so vielen andern historischen Fragen und ganz besonders solchen aus der von der Ueberlieferung so stiefmütterlich behandelten wendischen Geschichte, nicht hinaus, die überwiegende Wahrscheinlichkeit aber spricht für die Annahme, daß das Bündniß Karls mit den Abodriten im Jahre 780 abgeschlossen ist, als Karl an der Elbe stand und die Angelegenheiten Sachsens und seiner wendischen Grenznachbarn zu ordnen suchte. Unsere heimischen Geschichtsschreiber haben Recht, wenn sie mit dem Jahre 780 die meklenburgische Geschichte beginnen, und auch die Darsteller der deutschen Reichsgeschichte sollten, wenn sie der Beziehungen Karls des Großen zu den Wenden gedenken, kein Bedenken tragen den Abschluß seines Bündnisses mit den Abodriten ins Jahr 780 zu setzen.

II. Veranlassung und Inhalt des Bundesvertrages.

Welche Gründe und welche Erwartungen bestimmten nun Karl und welche die Abodriten zum Abschluß des Bündnisses? Wer hat die Initiative ergriffen? suchte Karl das Bündniß oder die Abodriten? War es ein Bundesvertrag mit gleichem Rechte oder schloß es von vorne herein eine Unterordnung der Abodriten in sich und welcher Art war diese?

Voll in seiner. meklenburgischen Geschichte (p 2) nimmt an, Karl habe sich jenseits der Elbe unter den Slavenstämmen Verbündete gegen die Sachsen gesucht. v. Lützow (Meklenburg. Gesch. I., 17) sagt, Karl hätte in den wendischen. Völkern das sicherste Mittel erkannt, die Sachsen an ihrer schwächsten Seite zu treffen.

In ähnlichem Sinne äußert sich auch Werner, Gründung und Verwaltung der Reichsmarken unter Karl dem Großen und Otto dem Großen, Programm, Bremerhaven 1895, S. 46: "Je länger der Kampf mit dem trotzigen Sachsenvolk dauerte, um so mehr erkannte Karl, daß es vor allem darauf ankam,. auch unter den kriegslustigen Slaven jenseits der Reichsgrenze Ruhe und Sicherheit herzustellen." Boll, Lützow und Werner nehmen also an, daß die Initiative von Karl ausging, der Verbündete gegen die Sachsen suchte.

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Dem gegenüber ist zunächst zu bemerken, daß eine unserer Hauptquellen, die Ann. Petaviani (s. o.), ausdrücklich angeben, die Wenden seien zu Karl gekommen, nicht aber, er habe sie zu sich entboten. Doch wird man darauf kein Gewicht legen dürfen. Ob die Wenden oder einige unter ihnen aus freien Stücken kamen oder ob sie alle einer Aufforderung Karls folgten, wird nicht ausgesprochen. Wenn Wigger (Annalen p. 129a gegen Schafarik, slavische Alterthümer II., 517), der die an der Ohremündung erschienenen Slaven nur für Abodriten hält, geltend macht, daß zu einer Zusammenkunft mit den Abodriten allein jener Ort sehr unpassend gewählt sei, so ist das völlig richtig, desto besser aber eignet er sich für Verhandlungen mit allen drei Hauptstämmen der Wenden, den Abodriten, Wilzen und Sorben. Es ist nun möglich, daß die Abodriten aus freien Stücken Karl aufsuchten, doch ebenso möglich, daß Karl sie einlud, es wird sich also nicht ausmachen lassen, wer von beiden Theilen die Initiative zu den Verhandlungen ergriff. Was aber beiden Theilen den Bund als wünschenswerth erscheinen ließ, liegt auf der Hand. Die Abodriten erwarteten von dem Frankenkönig Schutz und Beistand gegen ihre unaufhörlichen Bedränger, die Wilzen, den sie allein nicht gewachsen waren. Und wenn Karl ihnen diesen Schutz versprach, so hatte er dabei neben dem idealen Motiv, daß es einem mächtigen Herrscher wohl ansteht, sich Bedrängter anzunehmen, gewiß auch sehr reale. Nur wird man nicht behaupten dürfen, daß er gegen die Sachsen im Jahre 780 Verbündete gesucht habe. Deren bedurfte es damals nicht, denn Karl hielt Sachsen für unterworfen 1 ) (s. die kirchlichen Einrichtungen und besonders das Aufgebot der Sachsen gegen die Sorben im Jahre 782, Ann. Einh.). Ueberdies bedurften ja die Abodriten selbst des Schutzes, und vorläufig war von ihnen schwerlich Hülfe gegen die Sachsen zu erwarten. Es handelte sich vielmehr für Karl um die Pflicht der neu gewonnenen Provinz seines Reiches auch befriedete Grenzen zu schaffen, damit die christliche Cultur ungestört ihren Einzug halten könne, sie


1) Recht unklar ist die Auffassung von Werner (s. o.) wonach Karl in der Befriedung der Wenden eine Vorbedingung für die endgültige Unterwerfung der Sachsen gesehen haben soll. Hätte Karl vorausgesehen, daß die Sachsen sich so bald wieder empören würden, er würde es sich schwerlich haben anlegen sein lassen, ihnen an ihrer Ostgrenze Frieden zu schaffen, vielmehr konnten ihm dann wendische Angriffe auf die Sachsen, die doch mit dazu beitragen mußten, diese mürbe zu machen, nur erwünscht sein; weil er aber Sachsen für unterworfen hielt, glaubte er ihm auch an seiner Ostgrenze Frieden sichern zu müssen.
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sicher zu stellen vor den räuberischen Einfällen der Wenden, insbesondere der Wilzen. Das war der Grund, weshalb er, in unmittelbarer Nähe des wilzischen Gebietes, am Elbufer mit seinem Heere Halt machte, das war der nächste Zweck der Verhandlungen, die er dort mit den Wenden pflog. Was konnte ihm da willkommener sein, als daß er unter den Wenden selbst eine Spaltung vorfand, deren kluge Benutzung ihm die Anwendung des Grundsatzes divide et impera möglich machte? Die Spitze des Bündnisses ist also nicht gegen die Sachsen, sondern gegen die Wilzen gerichtet gewesen, die durch die Sachsen und Abodriten in Schach gehalten werden sollten. Wenn später einmal (im Jahre 798) die Abodriten auch gegen sächsische Aufrührer fechten, so konnte Karl dies im Jahre 780 nicht voraussehen.

Selbstverständlich war das Bündniß kein Bund zweier gleich stehender Mächte. Eine solche Auffassung wird von vornherein durch den unermeßlichen Machtabstand des kleinen wendische Stammes von dem fränkischen Weltreich ausgeschlossen. Gewiß treffen Abel und Simson das Richtige, wenn sie sagen (Jahrbücher I., 360): "Welcher Art die Verbindung war, bleibt ziemlich dunkel, doch scheint sie als ein Schutzverhältniß ein gewisse Anerkennung der fränkischen Ober=Hoheit eingeschlossen zu haben."

Selbst wenn der Abodritenfürst im Jahre 780 keiner Huldigung oder Treuversprrchen geleistet haben sollte, so kann er selbst darüber nicht in Zweifel gewesen sein, daß sein Verhältniß zum Frankenkönige eine gewisse Unterordnung seinerseits in sich schließe. Wenn wir aber die oben angeführten Stelle der kleineren Annalenwerke zum Jahre 780 mit Recht vorzugsweise auf die Abodriten bezogen haben, so dürfen wir aus ihnen mindestens eine ausdrückliche Anerkennung der fränkischen Oberhoheit seitens der Abodriten folgern (s. bes. die gleich noch nähe zu besprechenden Wendungen adquisivit in den Ann. Petav, ad eum conversa est in den Ann. Mos.). Ein Theil de Annalen behauptet sogar eine Bekehrung der Wenden zum Christenthum.

Was ist davon zu halten? Hat vielleicht Karl den Abodriten, als er ihnen seinen Schutz versprach, die Verpflichtung auferlegt, der Predigt des Christenthums, wenn er ihnen Missionare sende, keinen Widerstand entgegenzusetzen, oder hat der Abodritenfürst mit seinem Gefolge, als er zu Karl kam, die Taufe genommen? Letzteres ist durchaus unwahrscheinlich, denn die Abodriten werden nicht lange darauf ausdrücklich als Heiden bezeichnet, s. Ann.

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Lauresham. 798: quamvis illi Abotridi fanatici (das Wort bedeutet in der Sprache der Zeit Heiden) erant; auch daß Karl den Abodriten so wenig wie den übrigen wendischen Stämmen Missionare gesandt hat, ist zweifellos, doch könnte er im Jahre 780, als er Sachsen für endgültig bezwungen hielt, in der Hoffnung, in nicht allzu ferner Zeit auch die Christianisirung des Abodritenlandes in Angriff nehmen zu können, den Abodriten eine vorläufige Verpflichtung zur Bekehrung abverlangt haben. Ist dieses richtig, oder hat es Karl nicht verschmäht, mit offenbaren Heiden ein Bündniß zu schließen, ohne der Religion dabei auch nur zu erwähnen? Die Frage ist nicht nur für eine Reconstruktion des Bundesvertrages von Bedeutung, sondern weit mehr noch für die Beurtheilung von Karls Persönlichkeit und Politik. Prüfen wir zunächst, um zu sehen, ob sie sich entscheiden läßt, den Wortlaut und Wortsinn der Annalenstellen!

In den Ann. Petaviani heißt es: ipse auten adquisivit (Karl die Wenden) una cum dei auxilio. Adquirere, ein bei den fränkischen Schriftstellern ungemein häufiges Wort, heißt "hinzuerwerben" d. i. sich unterwerfen, seinem Reiche einverleiben (s. z. B. Ann. Petav. 785 : deinde adquisivit terram Beneventanam und viele andere Stellen dieser anderer Annalen; man vergleiche noch die unten angeführte Stelle in Alcuins Briefen); es schließt eine Bekehrung nicht ein, die Petav. also, die nur von Wenden, nicht auch von Frieden sprechen, behaupten garnicht die Bekehrung jener. Die Ann. Maxim. sagen: credere se Domino spoponderunt, die Lauresham. setzen dafür credidit. die Mosell. aber brauchen den Ausdruck ad eum conversa est. Schon Wigger hat (Annalen S. 129 b. Anm. 1) auf das Beachtenswerthe dieser Variante hingewiesen, ohne jedoch weiter Folgerungen daraus ziehen. Es heißt ad eum, nicht ad deum, man wäre versucht, dies zu conjicieren, aber es steht nun einmal nicht da: ad eum conversa es aber, eine allerdings ungewöhnliche Wendung, kann nur heißen: die Wenden und die Friesen wandten sich ihm zu, sie unterstellen sich freiwillig seiner Herrschaft. Wie ist dies Abweichung und den aus derselben Quellen geflossenen Werken zu erklären und was hat in ihrer Quelle gestanden? Habe die Lauresham. und Maxim. oder haben die Mosellani ihre Vorlage mißverstanden? Meines Erachtens ist das erste wahrscheinlicher. Hätte in der Vorlage ein unzweideutiger Ausdruck für die Bekehrung der Wenden und Friesen gestanden, so würde die Mosell. ihm schwerlich abgeschwächt haben; das Gegentheil, daß sich in der

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Vorlage ein Ausdruck fand etwa wie der, den die Mosell. brauchen, und daß die Verfasser der Max. und Lauresham. aus diesem neben der Unterwerfung auch eine Bekehrung irrthümlich herauslasen, entspricht weit besser den Charakter dieser Klosteraufzeichnungen, die sich die Unterwerfung eines heidnischen Stammes unter den Frankenkönig kaum ohne Bekehrung vorzustellen vermochten. Ich vermuthe also, daß in der gemeinsamen Quelle der Mosell., Lauresh. und Maxim. eine Bekehrung der Wenden ebenso wenig wie in den Petav. behauptet gewesen ist.

Ferner: Hätte Karl im Jahre 780 den Abodriten Verpflichtungen in Bezug auf das Christenthum auferlegt, so würde er es vermuthlich 789 mit den besiegten Wilzen ebenso gemacht haben. Wir haben über diesen Feldzug ausführliche Kunde ( s. d. Quellenzusammenstellung in Wiggers Annalen), von einem Bekehrungsversprechen der Wilzen aber ist nirgends die Rede, vielmehr läßt sich nachweisen, daß sie ein solches nicht gegeben haben können. Kurz nach dem Siege über die Wilzen schrieb Alcuin an einen Abt, der sich als Missionsprediger in Sachsen aufhielt, in dem er Grüße an Bischof Willehad sendet und zugleich um Nachricht bittet, quomodo consentiant vobis Saxones in praedicatione et si spes ulla sit de Danorum conversione (man sieht, wie weit schon damals der Gesichtskreis der hohen fränkischen Geistlichkeit reichte!) et si Wilti et Viondi, quos nuper adquisivit rex, fidem Christi accipant. 1 ) Aus diesen Worten geht hervor, daß man sich mit der Hoffnung trug, die eben unterworfenen Wendenstämme zu bekehren daß wirklich Missionare zu ihnen gesandt sind, wird man nicht daraus schließen dürfen, es kann und wird unterblieben sein (s. den unten angeführten Brief aus dem Jahre 790, in dem nur von der Unterwerfung der Wilzen neben der Bekehrung der Sachsen die Rede ist); zugleich aber ist klar, daß beim Friedensschluß selbst die Bekehrung nicht zur Bedingung gemacht sein kann, denn es wird deutlich die schon erfolgte Unterwerfung von einem hinterdrein etwa gemachten Versuch der Bekehrung


1) S. M. G. Epistolarum Tom. IV., N. 6. p. 31. Die Stelle fehlt bei Wigger, ebenso eine aus Alcuins ep. 7. (eb. S. 31 f.): Primo sciat dilectio tua, quod misenrante Deo sancta eius ecclesia in partibus Europae pacem habet, proficit et crescit. Nam antiqui Saxones et omnes Fresonum populi, instante rege Karolo, alios premiis et alios minis sollicitante, ad fidem Christi conversi sunt. Sed anno transacto idem res cum exercitu inruit super Sclavos, quos nos Vionudos dicimus, eosque suae subegit ditioni. Der Brief ist aus dem Jahre 790, die Vionudi sind die Wilzen.
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unterschieden, dessen Gelingen, Alcuin zweifelhaft erscheint und über dessen etwaigen Erfolg er Nachricht wünscht. Wenn aber Karl den Wilzen, als er ihr Schicksal in der Hand hatte, nicht das Versprechen des Religionswechsels abverlangt hat, so wird er es 780 mit den Abodriten vermuthlich ebenso gehalten haben. Es wird ihm nicht unbekannt gewesen sein, welche Macht im Wendenvolke die Religion und ihre Priester hatten. Hätte er daran gerüttelt, die Freundschaft mit den Abodriten hätte sich sicher sehr bald gelockert. Auch wäre ein solches Versprechen für lange Zeit zwecklos gewesen, durch die große Aufgabe der kirchlichen Organisation Sachsens waren alle Kräfte der fränkischen Kirche, die sich eben erst aus dem tiefen Verfall der Merovingerzeit emporzuarbeiten begann, noch auf lange hinaus völlig in Anspruch genommen, es wird auch in Sachsen über Mangel an Geistlichen geklagt. Ließ man doch selbst Nordalbingien zunächst ohne einen eigenen Bischofssitz. Wie war daran zu denken, daß vor der Lösung dieser Aufgabe auch den Wenden das Christenthum gebracht werden könne. Und wenn auch der Gedankenflug eines Alcuin von ihrer Bekehrung träumte, der große Realpolitiker auf dem fränkischen Thron hat sich mit dem zunächst Erreichbaren begnügt, das war die Befriedung der Wenden.

Erst gegen Ende seiner Regierung, als nach öfteren Auflehnungsversuchen Sachsen endlich gebändigt und bereits mit Kirchen erfüllt war und schon eine dreißigjährige Waffenbrüderschaft die Abodriten an die Franken gekettet hatte: da traf Karl die ersten Anstalten zu ihrer künftigen Bekehrung. Er ließ in Hamburg eine Kirche bauen und weihen und überwies sie einem Priester Namens Heridac, den er zum Missionsbischof für die Nordgermanen und die Slaven zu machen gedachte. 1 ) Heridacs und des Kaisers Tod schnitt jedoch die Ausführung dieser Entwürfe ab.

Doch kehren wir zu dem Bündniß vom Jahre 780 zurück! Unsere Annahme, daß der Abodritenfürst im Jahre 780 die fränkische Oberhoheit ausdrücklich anerkannt habe, findet noch eine weitere Stütze in einer Stelle der Ann. Lauresh. aus dem


1) S. Vita Anskarii c. 12 f. u. d. Stiftungsurkunde des Hamburger Erzbistums Mekl. Urkb. I, Nr. 3 und Caesar, Triapostolatus 179 ff. (hier die ächte Form wie Koppmann, die ältesten Urkunden des Erzb. Hamburg=Bremen nachgewiesen hat); s. auch Richter, Annalen II, 271 u. Dehio, Gesch. des Erzb. Hamb.=Gr. I, S. 38 Anm. 1 zu S. 36 u. Anm. 1 zu S. 65.
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Jahre 795, wo Witzan vassus domni regis genannt wird. L. Giesebrecht (Wend. Gesch. I. 98 und nach ihm Werner, a. a. O., S. 50) legen Gewicht darauf, daß dieser Ausdruck erst im Jahre 795 gebraucht wird und schließen daraus, daß etwa um 789 oder wenig später der Abodritenfürst, der bisherige Bundesgenosse, Dienstmann des Frankenkönigs geworden sei, und zwar aus eigener Wahl, um sich "an einem mächtigen Herrn einen Rückhalt zu verschaffen." Diese Begründung paßt jedoch offenbar schon auf das Jahr 780. Eben der Wunsch an dem neuen mächtigen Nachbar einen Rückhalt zu gewinnen wird für den Abodritenfürsten von vorne herein das treibende Motive gewesen sein sich dem Frankenkönig zu nähern. Ueberdies darf man aus den Ausdruck vassus nicht allzuviel Gewicht legen Nach 798 wird in den Ann. Einh. das Verhältniß der Abodriten zu den Franken eine societas genannt (s. die oben anführte Stelle), und noch nach Karls Tod nennt sie Einhard rückblickend foederati (s. o, V. Car. c. 12). Es wird hier also zwischen socius oder foederatus und vassus kein Unterschied zu machen sein, der Abodritenfürst war schon seit 780 beides zugleich, doch setz allerdings der Ausdruck vassus voraus, daß er dem Könige gehuldigt, einen Treueid geleistet hat. Dies stimmt zu den adquisivit der Annalen, es wird also schon 780 geschehen sein Ueber einen solchen allgemein gehaltenen Treueid hinaus wird man dem foedus des Jahres 780 kaum einen specielleren Inhalt geben dürfen. Eine Tributpflicht für die Abodriten ist sicher nicht in dem Bündniß festgesetzt (s. darüber unten), aber auch eine ausdrückliche Verpflichtung der Abodriten zur Heeresfolge scheint der Situation nicht recht zu entsprechen. Wenigstens ist es selbstverständlich, daß in den Jahren 780-789, wo die Abodriten alle Mühe hatten sich der Wilzen zu erwehren, ohne von den Franken die versprochene Hülfe zu erhalten, thatsächlich von ihnen weder Tribut bezahlt noch Heeresfolge, etwa in der Sachsenkriegen, geleistet oder beansprucht ist.

III. Die Abodritenfürsten als Verbündete und Vasallen der Frankenkönige

Das Band also, das die Abodriten an das Frankenreich knüpfte, war anfänglich nur lose, Karl mußte, durch die neu Empörung der Sachsen im Jahre 782 wie die mannigfaltigen andern Aufgaben, die ihm die Regierung seines ausgedehnte Reiches stellte, in Anspruch genommen, seine neuen Verbündeten

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zunächst sich selbst überlassen und sich damit begnügen, auf die wiederholten Klagen der Abodriten hin den Wilzen, ihren steten Bedrängern, Befehle zuzusenden, daß sie Ruhe halten sollten, die unbeachtet blieben. Erst 789 fand er Zeit zu einer gründlichen Abrechnung; der fränkischen Heeresmacht, der sich auch die Abodriten und selbst die Sorben zugesellten, mußten sich alle wilzischen Stämme bis an die Peene (Fragm. Chesn. 789.), nach einer andern Nachricht bis ans Meer (Ann. Guelferbit.) unterwerfen. Daraus ergab sich für die Abodriten die Folge, daß seitdem auch ihre Abhängigkeit von den Franken deutlicher hervortrat, die Consequenzen des Vasallenverhältnisses, in das sich ihr Fürst begeben hatte, begannen vom Frankenkönig gezogen zu werden. In vier Beziehungen traten sie hervor, in der Heeresfolge, in schiedsrichterlicher Entscheidung von Streitigkeiten durch den Frankenkönig, bei der Fürstenwahl und in der sich einführenden Sitte wiederholter Besuche der Fürsten am fränkischen Hofe unter Darbringung von Geschenken (Tributpflicht).

1. Die Heeresfolge.

Ob die Abodriten, als sie sich Karl auf seinem Feldzuge gegen die Wilzen im Jahre 789 anschlossen, einem Gebote des Königs folgten, wird uns nicht berichtet, doch hören wir einige Jahre später (795), daß Karl den Abodritenfürsten zu sich nach Bardowiek entbietet, s. Ann. Einh. 795: Cumque (rex) in pagum Bardengoi pervenisset, et iuxta locum qui Bardenwih vocatur positis castris, Sclavorum, quos se venire iusserat, exspectaret adventum, etc Daß es sich um ein Aufgebot zum Kampf gegen die Sachsen handelt und Witzan an der Spitze eines Heeres kam, erfahren wir aus den Ann. Mosell. 794 (b Wigger S. 148): Sclavorum rex, qui ad eius auxilium venerat. Hier liegt das erste sichere Beispiel vor, daß der Abodritenfürst den Franken auf Befehl Heeresfolge leistet. Witzan fiel allerdings beim Ueberschreiten der Elbe (s. Ann. Einh.) in einen Hinterhalt, den ihm die Sachsen legten, und ward erschlagen. Seine Mannschaft wird nach seinem Tode wieder nach Hause gezogen sein, um an der Wahl eines neuen Fürsten theilzunehmen, und wird sich an den Verwüstungszügen Karls, durch die er den Tod seines Verbündeten rächte, nicht betheiligt haben.

Drei Jahre darauf sehen wir die Abodriten unter Witzans Nachfolger Thrasco Schulter an Schulter mit den Franken gegen die Sachsen kämpfen. Die nordelbischen Sachsen hatten einige

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fränkische Königsboten überfallen, auch die auch die Gegenden zwischen der Unterelbe und der Weser befanden sich noch im Aufruhr. Karl eilte mit seinem Heerbann nach Minden und durchzog dann unter Verheerungen, das aufrührerische Gebiet links der Elbe. Zugleich sandte er eine Abtheilung mit einigen Königsboten über die Elbe zu Thrasco, dieser bot, jedenfalls auf Karls Befehl, den ihm die misse überbrachten, sein Volk auf und brach, von der fränkischen Abtheilung begleitet, in Nordalbingen ein; auch die Nordalbinger sammelten sich, und es kam zur Schlacht an einem Orte, der Sunentana genannt wird - es ist höchst wahrscheinlich das später sogenannte Zuentifeld oder Zwentinefeld an der Schwentine, die Gegend von Bornhöved. Die Abodriten, deren rechten Flügel einer der fränkischen Königsboten Namens Eburis - wie es scheint, unter dem Oberbefehl des Abodritenfürsten - führte, erfochten einen glänzenden Sieg, wobei die Sachsen schwere Verluste erlitten (s. die Quellenstelle bei Wigger, Anm. s. 4 f.). Sie sahen sich deshalb gezwungen, mit Karl in Unterhandlung zu treten und ergaben sich im nächsten Jahre (s. Ann. Laur. 799). Die siegreichen Abodriten aber kamen zu Karl, der damals in Nord=Thüringen stand, und "der König ehrte sie hoch, wie sie es verdienten."

Daß die Abodriten noch öfter an den Kämpfen gegen die Sachsen sich betheiligt hätten, ist uns nicht überliefert, doch ist es zu vermuthen, da Karl ihnen im Jahre 804 Nordalbingen überweist, aus dem er die sächsischen Bewohner (ganz oder zum Theil?) hat entfernen lassen (s. Ann. Einh. 804). Wir haben diese Verleihung gewiß in erster Linie als Lohn für gute Dienste aufzufassen. Und da Karl den Sieg an der Schwentine schon reich belohnt hatte, auch ein Zeitraum von 6 Jahren seitdem verflossen war, so liegt die Annahme einer öfteren Waffenhülfe von Seiten der Abodriten bei Bezwingung der Nordalbinger nahe. Zugleich aber wird Karl bei seiner Schenkung noch eine andere Absicht gehabt haben, die nämlich, die Sachsen durch die Abodriten von den Dänen zu trennen (S. Lamprecht, deutsche Gesch. II., S. 26). An diesen ihren nahen nordischen Stammesverwandten hatten die Sachsen bei ihren Auflehnungsversuchen einen steten Rückhalt gefunden, oft waren sächsische Empörer zu den Dänen geflüchtet, um, sobald ihnen die Zeit gekommen schien, wieder zurückzukehren und den Aufruhr von neuem zu entflammen, schon öfter hatte Karl deswegen Gesandte an die Dänen geschickt, so auch eben im Jahre 804, wo es ausdrücklich heißt (s. Ann. Einh.), sie hätten wegen "Auslieferung der Ueberläufer" ver=

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handeln sollen. Um die Flucht zu den Dänen zu erschweren und überhaupt den geographischen Zusammenhang beider Völker zu unterbrechen, setzte Karl den Abodritenfürsten nach Art der Markgrafen als Grenzwächter über Nordalbingien ein, wobei es ihm zugleich gestattet war, mit seinen Abodriten von dem entvölkerten Gebiet soviel zu besiedeln, wie sie eben wollten und konnten. Ob die Abodriten wirklich Grenzwachen gegen die Dänen aufgestellt haben, wissen wir nicht.

Es zeigte sich indessen bald, daß die Abodriten allein dieser Aufgabe nicht gewachsen waren. Im Jahre 808 erlag Thrasco einem Angriff des Dänenkönigs Gottfried, der mit einer Flotte an der meklenburgischen Küste landete und von da ins Innere vordrang. Sogleich schlossen sich den Dänen die alten Feinde der Abodriten, die Wilzen, an, auch die Smeldinger und Linonen, zwei kleinere mit den Abodriten verwandte Stämme, die zu Thrascos Reich gehörten, fielen zu den Dänen ab. Trotz tapferster Gegenwehr mußte Thrasco für den Augenblick weichen, doch that er es nicht, ohne den Dänen schwere Verluste beigebracht zu haben, und als diese und die Wilzen abgezogen waren, setzte er sich wieder in den Besitz seines Landes. Karl hatte inzwischen seinen Sohn Karl mit einem starken Heere an die Elbe gesandt. Da die Dänen schon abgezogen oder wenigstens im Abzug begriffen waren, so griff der junge Karl die Smeldinger und Linonen an, um sie für ihren Abfall zu züchtigen, ohne allerdings viel auszurichten (s. Chron. Moiss. 808 und bes. Ann. Laur. min. 808). Im folgenden Jahre zog Thrasco, von sächsischer Mannschaft unterstützt, gegen die Wenden und verheerte ihr Gebiet, wandte sich darauf gegen die Smeldinger, deren Hauptburg er mit Hülfe eines noch stärkeren sächsischen Truppentheils eroberte, und stellte so sein früheres Reich in alten Umfange wieder her. 1 ) Indessen


1) Einh. sagt (Ann. Laur. 809): his successibus omnes, qui ab eo defecerant, ad suam societatem reverti coëgit, die Linonen müssen wir allerdings bis mindestens 811 noch ausnehmen (s. Ann. Einh. 811 und Chron. Moiss. 811). Dann werden auch sie sich wieder, freiwillig oder gezwungen, Abodriten angeschlossen haben, mit denen sie im Jahre 839 und 858 (s. Wiggers Annalen) zusammen genannt werden. Die Smeldinger verschwinden ganz, doch sind sie noch dem sogenannten Geographus Bavarus, dem Verfasser eines Verzeichnisses der slavischen Völker, das aus dem Ende des 9. Jahrhunders stammt, bekannt, sie müssen in den Abodriten (Polaben) aufgegangen sein.
Außer den Smeldingern und Linonen kann man unter den omnes bei Einhard noch die Müritzer und Warnower verstehen (s. Wigger Annalen, S. 106, 108 und 113). Die Smeldingconnoburg des Chron. Moiss. darf nicht mit Konow (bei Eldena) identificirt werden, wie Lisch (  ...  )
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hatte sich dem Kaiser bei dieser Gelegenheit gezeigt, daß ein wirksamerer Schutz der Elbgrenze, als die Abodriten ihn zu gewähren vermochten, sowohl gegen die Dänen wie gegen die unruhigen Wendenstämme wünschenswerth sei. Deswegen ließ er schon 808 (s. Ann. Einh.) dem Gebiete der Witzen und Linonen gegenüber an der Elbe zwei Castelle errichten, von denen allerdings das eine, Hohbucki (wohl der Höhbeck an der Elbe bei Gartow, s. Wedekind, Noten zu einigen Geschichtsschreibern des deutschen Mittelalters II., 152 ff., Simson, Jahrbücher II., p. 390, Anm. 8 und die Generalstabskarte) 810 von den Wilzen erstürmt, aber schon 811 wiederhergestellt ward. Gegen die Dänen ward ins Jahre 810 ist Nordalbingien an der Stör die Burg Esesfelth, das heutige Itzehoe, angelegt und über sie wie über die dort angesiedelte Besatzungsmannschaft der sächsische Graf Egbert gesetzt. Wenn so den Abodriten Nordalbingien auch wieder entzogen ward, so genossen dafür auch sie den Schutz der benachbarten Feste, die gewiß weit stärker angelegt war als ihre Gauburgen, von denen Gottfried im Jahre 808 mehrere erobert hatte.

Noch zwei Mal haben in den nächsten Jahren die Abodriten Waffenhülfe geleistet. Zuerst im Jahre 812, wo ein starkes Heer, in drei Abtheilungen getheilt, die Wilzen zur Geiselstellung. und erneuten Unterwerfung zwingt. Das Chron. Moiss., das eine genauere Beschreibung des Feldzuges enthält, berichtet in seinem barbarischen Latein von der einen dieser Abtheilungen: Unus exercitus venit cum eis (hiermit können nur die unmittelbar vorher genannten Wilti gemeint sein) super Abodoritos. Der Verfasser meint ohne Zweifel: venit super eos cum Abodoritis = er überzog sie im Verein mit den Abodriten, s. aus denselben Annalen zum Jahre 808: Godofredus venit super illos Sclavos, qui dicuntur Abotriti.

Endlich erhalten im Jahre 815 die Abodriten von Ludwig dem Frommen den Auftrag, mit den Sachsen zusammen gegen die Dänen zu ziehen. Sie entledigen sich dieses Auftrages, indem sie mit ihrem Gesammtaufgebot ausziehen, ohne jedoch große Erfolge zu gewinnen, da die Feinde einem entscheidenden Kampfe ausweichen. Die Oberleitung des Zuges hatte Graf Baldrich, unter seinem Oberbefehl werden also auch die Abodriten gestanden


(  ...  ) (Jahrb. XXII., 208 s.) will; auch Wigger erklärt unrichtig (Annalen S. 111) Connoburg der Smeldinger. Der Name (Burg der Smeldinger) bedeutet nichts anderes als Smeldingorum civitas in den Ann. Einh. S. Simson, Jahrb. Karls d. Gr. II., 400, Anm. 8.
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haben. S. Ann. Einh. 815: Jussum est ab imperatore, ut Saxones et Abodriti ad hanc expeditionem praepararentur, und nachher: Tunc omnes Saxonici comites omnesque Abodritorum copiae cum legato imperatoris Baldrico, sicut iussum erat - trans Aegidoram fluvium - perveniunt etc.

Nicht um Heeresfolge zu einem Kriege, sondern um ein bewaffnetes Geleit handelt es sich im Jahre 819, wo die Abodriten auf Befehl des Kaisers den 813 zu ihnen geflüchteten Dänenfürsten Harold zu seinen Schiffen führen, s. Ann. Einh. 819: Harioldus, iussu imperatoris ad naves suas per Abodritos reductus. - Sie sind auch hier im Dienste des Kaisers thätig und folgen einem Befehle von ihm.

Unter den besprochenen Beispielen von Heeresfolge und Waffendienst sind außer 819 noch zwei (795 und 815), wo ausdrücklich versichert wird, daß sie auf Befehl des Frankenkönigs geleistet ist. Das Recht also, seine Verbündeten, ohne vorhergehende Verhandlung, durch einen bloßen Befehl zur Heeresfolge aufzubieten, ward sowohl von Karl dem Großen wie auch von Ludwig dem Frommen in Anspruch genommen, und die Abodriten fügten sich diesem Anspruch, der sich aus ihrem Vasallenverhältniß ergab, ohne Weigerung. Doch ist beachtenswerth, daß die Heeresfolge nur gegen die unmittelbaren Grenznachbarn der Abodriten, die Wilzen, Sachsen und Dänen, gefordert und geleistet wird. Ob darüber eine bestimmte Abmachung bestand, muß dahingestellt bleiben.

Ein Fall bildet vielleicht eine Ausnahme: Im Jahre 805 wird Böhmen durch einen concentrierten Angriff dreier Heeresabtheilungen niedergeworfen, die eine dieser Abtheilungen, die von Norden her über das Grenzgebirge vordringt, besteht aus den Sachsen und innumerabilibus Sclavis. L. Giesebrecht (Wend. Gesch. I., 100 f.) vermuthet, diese Slaven wären nur Abodriten gewesen. Wilzen können allerdings nicht wohl gemeint sein, denn gleichzeitig unternahm eine vierte Heeresabtheilung von Magdeburg aus einen Streifzug über die Elbe, wohl um die Wilzen in Schach zu halten und an einer Unterstützung der Böhmen zu verhindern. Auch gegen die Sorben findet schon im folgenden Jahre ein Feldzug statt (s. Ann. Einh. 806), trotzdem können sich diese 805 dem Zuge gegen Böhmen angeschlossen haben, und daß Karl bei der Unzuverlässigkeit der wilzischen Stämme und dem gespannten Verhältniß des Frankenreiches zu den Dänen den Heerbann der Abodriten so weit von ihrer Heimath entfernt haben sollte, ist wenig wahrscheinlich.

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2. Schiedsrichterliche Entscheidungen

Aus dem Schutz= und Vasallenverhältniß, in dem die Abodriten zu Karl standen, ergab sich weiter die Folge, daß sie bei äußeren und inneren Streitigkeiten seine Entscheidung anriefen. Zwei Fälle begegnen uns: Im Jahre 799 sendet Karl von Paderborn aus seinen Sohn Karl mit der Hälfte seines Heeres in den Bardengau ad colloquium Sclavorum, wie die Ann. Lauriss. schreiben. Der Bearbeiter erläutert dies mit den Worten: propter quaedam negotia cum Wiltis et Abodritis disponenda. Wir wissen nicht, welcher Art diese negotia gewesen sind, vermuthlich hatten die Wilzen wieder einmal Streit begonnen, und die Abodriten hatten Karls Entscheidung angerufen.

Deutlicher erkennbar und auch wichtiger ist der zweite Fall, der aus dem Jahre 804 stammt. In diesem Jahre schenkte Karl, wie bereits erwähnt ist, den Abodriten die nordalbingischen Gaue, aus denen die Sachsen entfernt waren. Diese Schenkung geschah, wie uns das Chron. Moiss. belehrt, in Hollenstedt. Dorthin nämlich kam dieser Chronik zufolge der Abodritenkönig Drosuc (=Thrasco) und überbrachte dem Kaiser viele Geschenke. Eben dort in Hollenstedt muß noch mit Thrasco etwas anderes vorgegangen sein. Die Metzer Annalen nämlich, die im allgemeinen über Karls Aufenthalt in Hollenstedt den Inhalt der Ann. Einhardi mit etwas veränderten Worten wiedergeben, haben hinter dem Worte Holdonstat die Einschaltung: In qibus castris etiam Sclavorum prineipes adfuerunt. Querum causis discussis et secundum arbitrium dispositis, regem illis Trasiconem constituit. Man darf diese Nachricht nicht schlechtweg verwerfen, denn die Metzer Annalen zeigen auch hier, ähnlich wie im Jahre 748 und sonst öfter, eine recht eingehende Kenntniß der Vorgänge in Sachsen, sie allein von den uns zugänglichen Quellenwerken kennen das placitum generale, das Karl in Lippspringe auch in diesem Jahre abhielt. Wer aber sind die Sclavorum principes, die vor Karl erschienen, und was bedeutet die Königswürde, die Thrasco über sie erhält? Sie ist sehr verschieden aufgefaßt worden. L. Giesebrecht (I. 100 f.) versteht unter den Sclavi der Metzer Annalen nur die Abodriten und combinirt nach Zurückweisung der Ansicht, daß Thrascos Königthum alle nördlichen Slavenstämme umfaßt habe, die Notiz der Metzer Annalen mit der Schenkung von Nordalbingien in der Weise, daß er dieses Königthum als einen Titel auffaßt, den Karl dem Wendenfürsten als seinem Bevollmächtigten über=

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tragen habe, der den nordsächsischen Gauen und der Ansiedelung der Abodriten in ihnen vorstehen sollte. Eine Machterweiterung über wendische Gaue oder Stämme, die bisher Thrasco noch nicht untergeben waren, bedeutet also hiernach dessen neue Königswürde nicht, Thrasco beherrscht nach Giesebrecht um diese Zeit noch nicht einmal den ganzen abodritischen Stamm, wenigsten wird noch ein Herzog außer ihm erwähnt - es ist Godelaib, den der Dänenkönig im Jahre 808 gefangen nimmt und aufhängen läßt, und der in den Reichsannalen alius dux genannt wird. Simson (a. a. O. II, 302) sagt: Drosuc wurde von Karl nach Prüfung der betreffenden Verhältnisse als oberster Fürst der Abodriten eingesetzt; man vergl. noch S. 147, Anm. 2. Aehnlich Werner (a. a. O., S. 49) und Wendt (Die Germanisirung der Länder östlich der Elbe, I, Pr. Liegnitz 1884, S. 19): "So entstand die fürstliche Gewalt bei den Abodriten als ein Schöpfung Karls des Großen, der sie, wie es scheint, einen schon vorher angesehenen und den Franken besonders treu ergebenen Häuptling übertrug, um durch ihn das Volk dauernd an die fränkische Partei zu fesseln". Doch läßt sich auch Wendt durch die Erwähnung Godelaibs in den Annalen zu der Einschränkung bewegen, daß Thrasco anfangs noch nicht über alle Abodriten, sondern nur über den westlichen Theil derselben geherrscht habe. Indessen 817 heißt es von Slaomir: Causa defectionis erat, quod regiam potestatem, quam Sclaomir eatenus post mortem Thrasconis solus super Abodritos tenebat, cum Ceadrago, filio Thrasconis, partiri iubebatur. Hat Slaomir nach Thrascos Tod (809) die Alleinherrschaft über die Abodriten gehabt, so muß sie doch Thrasco, mindestens im letzten Theil seiner Regierung, ebenfalls besessen haben. Diesen letzten Theil aber auf das eine Jahr 808-809, die Zeit nach Godelaibs Tod, zu beschränken, verbietet der Bericht der Reichsannalen zum Jahre 809, wonach Thrasco mit sächsischer Hülfe omnes qui ab eo defecerant, ad suam societatem reverti coegit. Thrasco hat also 809 nur wiedergewonnen, was er schon vorher besessen hatte, auch züchtigt er die Wilzen, vicinoi suos (!), folglich kann er zur Zeit ihres Einfalls, d. i. 808, vor Godelaibs Tod, nicht nur die westlichen Abodriten beherrscht haben. Daß aber etwa Godelaib im Westen und Thrasco im Osten des Landes geherrscht habe, wird durch die Schenkung von Nordalbingien an Thrasco ausgeschlossen die doch seine Grenznachbarschaft voraussetzt. Für Godelaib als selbständigen Fürsten ist neben Thrasco seit 804 über=

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haupt kein Raum im Abodritenlande, folglich wird er eben kein selbständiger Fürst, sondern ein Untergebener Thrascos gewesen sein, ein Häuptling über einen Theil des Landes, der unter Thrascos Oberherrschaft stand. Hiermit fällt jeder Grund Thrascos Königsthum vom Jahre 804 so einzuschränken, wie Giesebrecht es gethan hat, dessen Auffassung überdies dem bestimmten Wortlaut der Metzer Annalen widerspricht, Wonach Thrasco den principes Sclavorum nach Untersuchung der Verhältnisse zum König gesetzt wird. Mit Recht sind also Simson, Werner und Wendt von Giesebrechts Auffassung abgewichen, allein auch sie scheinen mir noch nicht ganz das Richtige zu treffen. Besonders scheint mir Wendt zu weit zu gehen, wenn er die Fürstengewalt bei den Abodriten für eine Schöpfung Karls des Großen aus dem Jahre 804 hält. Schon im Jahre 798 tritt Thrasco augenscheinlich als Führer der d. i. aller Abodriten auf, s. die Ann. Lauresham.: Et interim congregati sunt Sclavi nostri, qui dicuntur Abotridi in Combination mit den Ann. Lauriss.: Nordliudi contra Thrasuconen, ducem Abodritorum etc. Es war also der Heerbann der Abodriten, der sich zum Kampfe gegen die Sachsen sammelte, ihr Führer war Thrasco; die Ann. Lauresham. beweisen, daß wir den dux der Ann. Lauriss. als den Herzog der Abodriten, nicht als einen ihrer Herzöge aufzufassen haben. So hat es auch der Verfasser der Ann. Einh. verstanden, s. die Worte: Quorum (d. i. der Abodriten, der Verbündeten der Franken) dux Thrasco cum omnibus copiis suis -- occurrit. Schon Witz n erscheint im Jahre 789 in den Ann. Lauriss. (!) als Fürst der Abodriten, s. die Worte: Fuerunt etiam Sclavi cum eo (der König Karl im Feldzug gegen die Wilzen), quorum vocabula sunt Suurbi, nec non et Abotriti, quorum princeps fuit Witzan. Dasselbe Resultat ergiebt eine Prüfung der Berichte über Witzans Tod im Jahre 795: Karl wünscht von den Abodriten Waffenhülfe und bestellt sie zu sich nach Bardowiek, auf dem Wege dorthin wird Witzin, rex Abodritorum (Ann. Lauriss., Einh., Lauresham.), vassus domni regis (Ann. Lauresham.), von den Sachsen erschlagen. Sollte dieser Vasall Karls, der ihm zu Hülfe zieht, nur einer unter mehreren gleichgestellten Häuptlingen sein und nicht vielmehr der Fürst, der an der Spitze des ganzen Stammes den Bund mit Karl geschlossen hat und sein Vasall geworden ist? Die Fürstengewalt bei den Abodriten ist. also nicht erst eine Neuschöpfung Karls des Großen gewesen, hat vielmehr schon bestanden zu der Zeit, als er mit ihnen in

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Verbindung trat. 1 ) Was bedeutet denn aber die Einsetzung des Thrasco zum König im Jahre 804? Zweierlei kann sie meines Erachtens bedeuten. Die causae, die Karl discutit und disponit, sind, wie Karls Entscheidung beweist, Streitigkeiten zwischen den übrigen principes Sclavorum und Thrasco über dessen Oberherrschaft gewesen. Diese Streitigkeiten können darin bestanden haben, daß sich gegen Thrasco unter den ihm untergebenen abodritischen Häuptlinge ein Widerstand erhoben hatte, den Karl niederschlug, wobei er Thrasco als Oberhäuptling anerkannte und bestätigte. Es kann sich jedoch auch um andere Stämme handeln, denn es heißt in den Metzer Annalen Sclavorum principes, nicht Abodritorum. An alle nördlichen Wendenstämme darf man allerdings dabei nicht denken, die Wilzen erscheinen 808 als unabhängig von Thrasco, sie fallen nicht von ihm ab, sondern schließen sich aus freien Stücken wegen ihrer alten Feindschaft gegen die Abodriten dem Dänenkönig an (s. Ann. Einh. 808). Aber in demselben Jahre 808 begegnen uns die Smeldinger und Linonen als Unterthanen Thrascos, s. Ann. Einh. 808 Linones et Smeldingos, qui et ipsi ad Godofridum regem defecerant und 809 die o. a. Stelle, wo es heißt omnes, qui ab eo (d. i. Thrasco) defecerant. Zu diesen omnes können außer den Smeldingern und Linonen noch andere kleinere Stämme gehört haben, wie die Bethenzer und die Vorfahren der später auftauchenden Müritzer und Warnower. Auf diese kleineren Stämme und ihre Fürsten kann sich das Königthum beziehen, das dem Thrasco 804 verliehen wird. Mag nun 804 eine Erweiterung von Thrascos Herrschaftsgebiet unter den Wenden oder nur eine


1) Die Häuptlingswürde bei den Wenden war erblich, wie man aus der Erzählung in den Ann. Einh. 823 von den Söhnen des Wilzenkönigs Linbi ersieht (s. auch L. Giesebrecht, Wend. Gesch. I, S. 46). Es bedurfte jedoch, wie dieselbe Erzählung beweist, der Zustimmung des Volkes zur Nachfolge, und dieses hatte das Recht, die Häuptlingswürde dem ältesten Sohne des Verstorbenen, falls er nicht genehm war, zu entziehen, übertrug sie aber dann in der Regel einem andern Mitglied derselben Familie. So werden auch die Abodritenfürsten dieser Zeit aus einer Familie stammen. Daß Ceadrag Thrascos Sohn war, ist bestimmt überliefert (s. Ann. Einh. 819); daß Thrasco Witzans Sohn war, darf man schließen aus Ann. Einh. 823, wo Ceadrag Verzeihung erhält propter merita parentum suorum; Slaomir war vermutlich ein Bruder von Thrasco. Wir erhalten also folgenden Stammbaum:
                       Witzan
               --------^--------
         Thrasco                Slaomir
                |
         Ceadrag.
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Bestätigung der schon vorher in seinem Besitz befindlichen Herrschergewalt stattgefunden haben: in jedem Falle bedeutet Karls Entscheidung einen starken Eingriff in die inneren Verhältnisse seiner Verbündeten, wie er bis dahin noch nicht vorgekommen war, und wenn dieser Eingriff von den Abodriten selbst begehrt zu sein scheint, so wird damit nur um so deutlicher bewiesen, daß die Abodriten sich mehr und mehr gewöhnten, in Karl ihren Herrn zu sehen.

Sechs Jahre darauf zogen sie selbst aus dem Vorgang des Jahres 804 eine Konsequenz, durch die ihr Abhängigkeitsverhältniß zum Frankenreiche eine neue Verstärkung erhielt.

3. Die Ernennung der Fürsten.

Nachdem Thrasco im Jahre 809 dem Mörderdolche eines Dänen, den König Gottfried abgesandt, zum Opfer gefallen war, Suchten die Wenden im Jahre 810 den Kaiser in Verden auf, et dedit illis regem, so heißt es in den Ann. St. Amandi, einer gleichzeitigen Aufzeichnung, die wahrscheinlich ein Mitglied der Hofgeistlichkeit zum Verfasser hat (s. Wattenbach I 6, 143). Man könnte zweifeln, ob der Ausdruck so buchstäblich zu nehmen sei, ob nicht vielleicht Karl den von den Abodriten bereits gewählten Fürsten nur anerkannt und seine Huldigung entgegengenommen habe, allein er wird durch die Ereignisse der Folgezeit beglaubigt. Karl hat also nach Thrascos Tod den Abodriten auf ihre bitte kraft eigener Machtvollkommenheit ihren Fürsten gegeben. So war es aber bis dahin nicht gewesen, wenigstens ist bei Witzans Tod von einer solchen Einsetzung Thrascos nirgends die Rede, und wir haben keinen Grund sie zu vermuthen. Woher rührte diese Aenderung, die ohne Frage recht tiefgreifend war? Sie war, irre ich nicht, die Folge der veränderten Stellung des Abodritenfürsten seit seiner "Einsetzung" durch Karl im Jahre 804. Vorher war Thrasco kraft Erb= oder Wahlrechtes Fürst gewesen, seit 804 aber war er es kraft kaiserlichen Richterspruches. So ward denn auch sein Nachfolger nicht mehr von den Abodriten gewählt, sondern von Karl ernannt. Der Kaiser hatte also durch den Präcedenzfall des Jahres 804 das Recht gewonnen den Abodriten bei eintretender Vacanz ihren Fürsten zu setzen.

Auch Ludwig der Fromme hat dieses Recht in Anspruch genommen. Karl hatte im Jahre 810 Ceadrag, den Sohn Thrascos, übergangen, wohl weil er noch minderjährig war, und die Fürstenwürde an Slaomir gegeben. 817 befahl Ludwig (s. Ann. Einh.), - ob auf Antrag einer Partei unter den

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Abodriten, wissen wir nicht, jedenfalls aber aus eigener Machtvollkommenheit und ohne Slaomir um seine Einwilligung zu befragen - daß Slaomir die Herrschaft mit Ceadrag theilen solle.

Mit dem Recht der Einsetzung hängt das der Absetzung zusammen, auch dieses hat Ludwig geübt. Als sich Slaomir, zornig über die befohlene Theilung, mit dem Dänen verbündet, sendet Ludwig ein Heer über die Elbe, dem Slaomir sich gefangen geben muß. Er wird nach Aachen vor den Kaiser geführt, und dort wird ein förmliches Gerichtsverfahren gegen ihn eröffnet, er wird abgesetzt und zur Verbannung verurteilt, und Ceadrag erhält das ganze Abodritenreich (s. Ann. Einh. 819, es war jedoch schon 818, s. Mühlbacher, Regesta I, N. 658 g).

Auch Ceadrag beginnt sich mit den Dänen einzulassen, da wird Slaomir in sein Vaterland zurückgeschickt, um wieder an Ceadrags Stelle zu treten. Er stirbt jedoch unterwegs in Sachsen, nachdem er sich vor seinem Tode - der erste abodritische Christ - hat taufen lassen. Ceadrag behält nun die Fürstenwürde, wird aber wegen fortgesetzter Untreue im Jahre 823 aufgefordert sich dem Kaiser zu stellen. Er thut es, wird jedoch freigesprochen (Ann. Einh. 823). Ein zweites Mal (826) entgeht er der Verurtheilung nur dadurch, daß die Besseren seines eigenen Volkes seine Wiedereinsetzung wünschen, muß aber als Bürgen für sein künftiges Verhalten Geiseln stellen. Das ganze Verfahren ähnelt dem gegen abtrünnige Reichsvasallen, die ihrer Lehen verlustig erklärt oder aus kaiserlicher Gnade in ihrem Besitze belassen werden.

4. Tributpflicht und Huldigungsbesuche.

Eine ähnliche allmähliche Steigerung der Abhängigkeit tritt uns in Bezug auf die Tributpflicht entgegen.

Einhard nennt die Abodriten in seiner Vita c. 15 tributarii und stellt sie in dieser Beziehung den andern wendischen Völkerschaften völlig gleich. Allein Einhards Werk ist, so hoch man es mit Recht als schriftstellerische Leistung schätzt, in den Einzelheiten nicht immer zuverlässig. So irrt er offenkundig und widerspricht sich selbst, wenn er, von den Abodriten nicht anders wie von den Welataben (den Wilzen), Sorben und Böhmen behauptet, Karl habe sie durch Krieg unterworfen (s. c. 15), er übertreibt entschieden, wenn er sagt, Karl hätte alle slavischen Nationen bis zur Weichsel tributpflichtig gemacht, und wenn er kurz darauf fortfährt, es hätten sich außer den Welataben, Sorben, Abodriten und Böhmen auch die übrigen, deren Zahl weit größer sei, Karl unterworfen. Wir dürfen also auch seiner

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Behauptung von der Tributpflicht der Abodriten nicht ohne weiteres Glauben schenken, sondern haben uns in den übrigen Geschichtsquellen nach Erwähnung oder Andeutung solcher Tributzahlungen umzusehen. Bis 804 ist keine Spur davon zu entdecken, 804 aber heißt es, Thrasco habe, als er Karl aufsuchte, "viele Geschenke mitgebracht" (cf. Chron. Moiss.). An die Erfüllung einer von den Abodriten übernommenen Verpflichtung ist hier nicht zu denken, Thrasco folgte nur der Sitte, die selbst von Gesandtschaften fremder Völker beobachtet ward, daß, wer am Hofe erschien, Geschenke darzubringen hatte, zugleich, wird er gewünscht haben, durch seine Geschenke den Kaiser und seine Umgebung sich günstig zu stimmen. So mögen auch früher wie später Gesandtschaften der Abodriten oder ihre Fürsten selbst, wenn sie den Kaiser aufsuchten, Geschenke dargebracht haben. Unter Karl ist zwar sonst nicht davon die Rede, doch war es eine natürliche Folge der Vasallenstellung des Abodritenfürsten, daß solche Gesandtschaften Karl jedesmal aufsuchten, wenn er in der Nähe weilte, daß dann auch wohl der Fürst selbst vor Karl erschien, auch wenn er grade kein bestimmtes Anliegen hatte, und daß man dies auch von ihm erwartete. Auch fordern die Verhältnisse unter Ludwig dem Frommen, die wir sogleich kennen lernen werden, den Rückschluß, eine Tributpflicht der Abodriten in diesem beschränkten Sinne der - freiwillig dargebotenen Geschenke bei Gelegenheit von Besuchen ober Sendungen an den Hof schon für Karls Regierungszeit anzunehmen.

Nach Ludwigs Regierungsantritt kam das Abhängigkeitsverhältniß der Wenden zunächst in einer allgemeinen Huldigung zum Ausdruck. Sie ward vollzogen auf dem Reichstag zu Paderborn, den Ludwig im Juli des Jahres 815 abhielt (s. Ann. Einh. 815: Ibi ad eum omnes orientalium Sclavorum primores et legati venerunt; über die orientales Sclavi sehe man die Aufzählung in den Ann. Einh. 822 (p. 209) nach, wo auch die Abodriten zu ihnen gerechnet werden). Schon im folgenden Jahre erschien wieder eine Gesandtschaft der Abodriten vor dem Kaiser (s. Ann. Einh.). 817 jedoch fällt Slaomir ab, dabei wird ihm die Aeußerung in den Mund gelegt, er werde nie wieder über die Elbe gehen und zur Pfalz kommen (ut adfirmaret, se numquam posthac Albim fluvium transiturum neque ad palatium venturum. Ann. Einh.). Er muß folglich vorher öfter den Hof aufgesucht haben, nicht nur 815, wo er also persönlich erschienen ist, sondern schon früher zu Karls des Großen Lebzeiten, und man muß einen solchen öfter wiederholten

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Besuch erwartet haben. Seinem Nachfolger Ceadrag wird später (s. Ann. Einh. 823) vorgeworfen, er habe es versäumt zum Kaiser zu kommen, er muß sich rechtfertigen dilati per tot annos conventus sui (es sind aber nur die Jahre 819-23), und überdies hat er nicht versäumt, im Jahre 822 eine Gesandtschaft mit Geschenken zu senden (s. Ann. Einh.). Der Kaiser beanspruchte also, daß der Abodritenfürst, wenn auch nicht jährlich, so doch öfter persönlich kam. Auch dies war eine Konsequenz seiner Vasallenstellung, und sie wird schon unter Karl - vielleicht seit 804 - sich eingeführt haben, erhielt aber unter Ludwig eine veränderte Form.

Karls Hof war ein wandernder, bis in seine letzten Lebensjahre hatte Karl auch die entfernteren Provinzen seines Reiches öfter aufgesucht, bald hier, bald dort hatte er seinen Richterstuhl aufgerichtet und die Vasallen seines Reiches wie die Fürsten der abhängigen Grenzstämme um sich versammelt. Solche Reichstage betrafen dann neben den allgemeinen Reichsangelegenheiten besonders die Verhältnisse der betreffenden Provinz, die der Herrscher an Ort und Stelle am besten kennen lernen und ordnen konnte. So hatte er den Wenden seine Anordnungen stets aus der Nähe gegeben und hatte ihnen den Weg zu seinem Thron leicht gemacht, indem er zu ihnen an die Grenze kam oder wenigstens als seinen Stellvertreter seinen Sohn sandte. Ludwig hat nach 815 Sachsen überhaupt nicht wieder betreten, er regierte das Reich von dessen Centrum, den Rheingegenden aus; seine Kriege zu führen, schickte er seine Sendboten aus, so schon 815 gegen die Dänen; was vor sein eigenes Forum gehörte, entschied er von seinen Residenzen aus, wie Aachen, Frankfurt, Compiegne. Hier haben auch die Abodritenfürsten als Angeklagte vor ihm erscheinen müssen (s. o.), hier erwartete er auch ihre Huldigungsbesuche, zu denen also die Wendenfürsten eine weite, gewiß ihnen lästige Reise zu machen hatten. Nach war nicht ganz vergessen, daß die Abodriten allein von allen Wendenstämmen sich freiwillig unter Karls Herrschaft gestellt, und welche guten Dienste sie ihm geleistet hatten, Ceadrag erhält Verzeihung propter merita parentum sucrum und wird reich beschenkt entlassen (Ann. Einh. 823); in der Mitte der Huldigungsbesuche und der dabei darzubringenden Geschenke aber wird in Karls letzten Lebensjahren und jedenfalls unter Ludwig kaum noch ein Unterschied zwischen den Abodriten und den übrigen Wendenstämmen bestanden haben. So waren die anfänglichen foederati in der That unvermerkt tributarii geworden, Einhard

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hat also nicht so ganz Unrecht, wenn er sie so nennt, und ebenso bezeichnend ist es, wenn er von ihnen sagt, sie seien einst (olim) Verbündete Karls gewesen, das foedus hatte sich in eine Abhängigkeit verwandelt. Etwa ein Vierteljahrhundert später nennt der Verfasser der Vita Hludowici die Abodriten bei Gelegenheit der Erzählung des Feldzuges vom Jahre 815 geradezu olim domno Karolo subiecti: so vollständig war ihr Bundesverhältniß in Vergessenheit gerathen.

5. Das Abodritenland als Ausland behandelt.

Wir sehen also die Kaiser mannigfache Rechte über ihre wendischen Verbündeten in Anspruch nehmen, trotzdem haben sie dieselben niemals als Reichsgenossen, sondern stets als Ausländer angesehen. In der Theilungsurkunde vom Jahre 806 (s. M. G. Leges I, 126 ff., auch bei Richter, Annalen II, 167.) werden weder die Abodriten noch ein anderer der Wendenstämme genannt, ebenso werden in der Theilungsverordnung vom Jahre 817, wo die Ostslaven und Böhmen namentlich angeführt sind, die Abodriten, Wilzen und Sorben übergangen. Man sah eben in diesen Stämmen, auch in den Abodriten, keine Reichsunterthanen, sondern fremde Völkerschaften jenseits der Grenzen des Reiches, die in Abhängigkeit zu erhalten eine Aufgabe der auswärtigen Politik war.

Noch weit bezeichnender aber für die Eigenart des ganzen Verhältnisses als dieses Schweigen der Theilungsurkunden über die Wenden ist die Verordnung Karls des Großen über den Handel mit ihnen. Sie stammt aus dem Anfang des Jahres 806 (s. Richter. II, 165), bildet einen Theil (c. 7) eines ausgedehnten Capitulare, das Karl in Diedenhofen erließ, und lautet: De negotiatoribus, qui partibus Sclavorum et Avarorum pergunt, quousque procedere cum suis negotiis debeant: id est part bus Saxoniae usque ad Bardaenowic (Bardowiek), ubi praevideat Hredi; et ad Schezla, 1 ) ubi Madalgaudus praevideat; es werden


1) Schezla ist wohl nicht Scheeßel zwischen Bremen und Lüneburg an der Wümme, wie Simson (Karl d. Gr. II, S. 333, Anm. 1) und andere meinen; Wigger macht mit Recht dagegen geltend, daß Scheeßel für die Slaven hinter Bardowiek und für einen Grenzhandelsort etwas fern lag (s. Annalen S. 113a, Anm. 1). Es wird an oder in der Nähe der Elbe auf der Strecke zwischen Bardowiek und Magdeburg zu suchen sein. Sehr ansprechend ist die Vermuthung von Wigger (Jahrb. XXVIII, S. 28, Anm. 1), die von Beltz (Jahrb. LVIII, S. 187 Anm.) noch weiter begründet ist, daß es an dem Flüßchen Schetzell, dem heutigen Cateminer Bach, gegenüber Darchau bei Neuhaus an der Elbe gelegen habe.
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dann noch Magdeburg, Erfurt u. a. Orte genannt, darauf schließt die Verordnung mit den Worten: Et ut arma et brunias non ducant ad venundandum; qnod si inventi fuerint portantes, ut omnis substantia eorum anferatur ab eis, dimidia quidem pars partibus palatii, alia vero medietas inter jam dictos missos et inventorem dividatur. C. 13 wird dann bestimmt, daß von den Händlern die alten und berechtigten Zollabgaben, keine neuen und ungerechten erhoben werden sollen.

Die Stelle mit den Kaufleuten in c. 7 ist meistens auf die fränkischen Händler bezogen worden, denen befohlen werde, mit den Slaven und Avaren nur an bestimmten Orten Handel zu treiben, so erklären u. a. L. Giesebrecht (Wend. Gesch. I, 5. 24), Waitz (Verfassungsgesch. IV 2 S. 43) und Simson (Karl d. Gr. II, S. 332). Andere wie Dehio (Gesch. des Erzbisth. Hamburg=Bremen I, S. 57) und Beltz (Wend. Alterthümer, Mekl. Jahrb. LVIII, S. 187 Anm.) verstehen unter den negotiatores wendische Kaufleute, die das Innere des fränkischen Reiches nicht hätten betreten sollen. Dehio vermuthet als Grund für diese Bestimmung, daß Karl die Absicht gehabt habe, der von Seiten der Wenden, die betriebsamere Kaufleute gewesen seien als die Sachsen, drohenden Ueberflügelung entgegenzutreten. Dabei schäzt Dehio das Handelstalent der Wenden doch wohl zu hoch. Und wenn man den Anfang der Verordnung auf die wendischen Kaufleute bezieht, so muß man diese auch am Schlusse als Subject zu ducant ergänzen. Es würde also den wendischen und avarischen Händlern der Einkauf von Waffen in den Grenzplätzen zum Zwecke des Weitervertriebes an ihre Landsleute bei Strafe der Confiscation ihrer gesammten Habe verboten sein. Da wäre es doch auffällig, daß Karl das Verbot an die Fremden richtet statt an seine ihm zum Gehorsam verpflichteten Unterthanen, daß er die Fremden mit harter Strafe bedroht, während die fränkischen Händler, die ihnen Waffen verkaufen, straffrei ausgehen. Die Strafdrohung kann sich meines Erachten nur auf fränkische Reichsunterthanen beziehen, folglich sind auch am Eingang der Verordnung unter den Händlern, "die in den Gebieten der Slaven und Avaren reisen," fränkische Kaufleute zu verstehen, die an der Slaven= und Avarengrenze umherziehen: Diesen wird verboten, weiter als bis zu den genannten Grenzplätzen vorzugehen. An der Ostgrenze sah es damals wieder einmal recht kriegerisch aus, ein Feldzug gegen die Böhmen und Wilzen hatte eben stattgefunden, ein zweiter und ein Zug gegen die Sorben folgten im Jahre 806. In so unruhiger Zeit mag

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es bedenklich erschienen sein, die fränkischen Kaufleute den Gefahren von Reisen in die Wendenländer auszusetzen. Wer bürgte dort für ihre Sicherheit, und wer verschaffte ihnen Genugthuung, wenn man sie beraubte? Es empfahl sich mehr, die Wenden mit ihren Producten an die Grenze kommen zu lassen. Ein solcher Grenz=Tauschhandel aber konnte sich nur unter Aufsicht der kaiserlichen Beamten und unter dem Schutze einer bewaffneten Macht gedeihlich entwickeln. Schon deshalb mußte er auf bestimmte Plätze, Residenzen von Grafen, beschränkt werden, wo diese dann auch die Erhebung der Zölle von den Kaufleuten zu überwachen hatten. Zugleich lernten die Wenden in diesen Grenzplätzen Achtung vor der Macht des fränkischen Reiches und seiner höheren Gesittung und Cultur, sahen auch christliche Kirchen und lernten vielleicht die Gebräuche des christlichen Gottesdienstes kennen; ihre Bekehrung konnte durch solchen Grenzverkehr vorbereitet werden. Was endlich das Waffenausfuhrverbot betrifft, so ist dies nichts als die ausdrückliche Anwendung einer längst für das ganze Reich gültigen Rechtsbestimmung auf die Ostgrenze (s. das Cap. Heristallense vom Jahre 779, c. 20). Es hat also selbst den Abodriten gegenüber nichts befremdliches, da diese unmöglich in die Zolllinie eingeschlossen werden konnten. Daß sie mit den übrigen wendischen Stämmen gleich behandelt wurden, war eine nothwendige Konsequenz des ganzen Systems. Und wenn sie in der Ausdehnung des Waffenausfuhrverbotes auch auf ihr Land eine unverdiente Härte sinden konnten, so lag es doch andrerseits nicht weniger in ihrem Interesse als in dem der Franken daß durch die Aufsicht des Grafen in Bardowiek die Sicherheit des Verkehr gewährleistet ward. Aber deutlich ist, daß, alle Wendenländer bei dieser Handelspolitik als Ausländer behandelt wurden.

Daß Karl und seiner Umgebung die Elbe als die Grenze des Reiches und, was jenseits derselben liegt, als Ausland gilt, dafür liefert auch eine Stelle in den Reichsannalen einen Beweis. Nach den Ann. Einh. stellt Karl, als Thrasco im Jahre 808 von den Dänen überrannt war, seinem Sohne, den er an die Elbe sandte, zunächst keine andere Aufgabe als vesano regi resistere, si Saxoniae terminos (das ist die Elbgrenze, da Nordalbingien 804 den Abodriten überwiesen war) adgredi temptaret, er schickte ihn also nicht ins Land der Abodriten, um diesen beizustehen, sondern hieß ihn nur die Elbgrenze schützen. Der junge Karl überschritt allerdings die Elbe und griff die Linonen

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an, es scheint also, als wenn er über seinen Auftrag hinausgegangen ist. Freilich, es fragt sich, ob man sich in solchen Einzelheiten auf die Worte des Annalisten verlassen darf. Die Die Ann. S. Amandi sagen: transmisit (= er sandte hinüber ins Wendenland über die Elbe) filium suum Carolum contra eum (den Dänenkönig), ut resisteret ei; et ille reversus est in terram (er zieht sich vor dem heranrückenden fränkischen Heere zurück). Es läßt sich nicht entscheiden, welche der beiden Darstellungen die richtigere ist, doch spiegelt sich in der Auffassung der Reichsannalisten deutlich die Anschauung der Hofkreise wieder, die gewiß Karl selbst theilte, daß es vor allem darauf ankomme, die eigentliche Grenze des Reiches, die Elblinie, zu halten, daß die heidnischen Wenden nicht Glieder des christlichen Frankenreiches seien, und daß die Behauptung des fränkischen Einflusses über sie erst in zweiter Linie und eben um der Sicherheit der Elbgrenze willen Aufgabe der Reichspolitik sei. Dauernd hätte ja sicher Karl die Dänen sich nicht im Abodritenlande festsetzen lassen. Wenn Gottfried, wie der Reichsannalist (s. auch Vita Car. c. 14) sagt, C der Abodriten sich tributpflichtig (vectigales) gemacht hat, so kann dies höchstens ein leeres Versprechen bedeuten, das nicht gehalten ward, wenn es nicht etwa nur heißen soll: er erpreßte von ihnen (bei seiner Anwesenheit und nur für dies eine Mal) einen Tribut. Karl selbst sorgt durch ausgiebige sächsische Unterstützung dafür, daß ihr Herrschaftsgebiet so schnell als möglich im alten Umfange wiederhergestellt wird. Aber für den Augenblick die Abodriten preiszugeben, wo ein Zug über die Elbe - gegen Dänen, Wilzen, Smeldinger und Linonen -gefährlich war, widersprach keineswegs seiner Politik gegenüber den Wenden, deren treibendes Motiv die Sicherung der Elbgrenze war.

Und beobachten wir ein wenig genauer, was nach dem Abzuge der Dänen geschieht! Die Unterstützung, die den Abodriten geliehen wird, soll nur dazu helfen, daß die Wilzen gezüchtigt und die Smeldinger und Linonen wieder unterworfen werden, also die wendischen Grenzstämme, die Sachsen so gut wie das Abodritenland bedrohten. Sich mit dem Dänenkönig wieder ins Einvernehmen zu setzen, überläßt Karl dem Abodritenfürsten selbst, und dieser muß sich dazu verstehen, Gottfried seinen Sohn als Geisel zu stellen - wohl als Bürgschaft für künftiges gutes Verhalten, denn es scheint, als wenn er den Dänenkönig gereizt hatte (s. Ann. Einh. 809, suas ultus est iniurias etc.). -Inzwischen läßt sich Karl nicht ungerne mit Gottfried in Unter-

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handlungen ein, und als diese sich zerschlagen, trifft er keinerlei Anstalten, seinen wendischen Freunden Genugthuung und Schadenersatz zu verschaffen durch einen Kriegszug, der Repressalien übt und die Rückgabe der aus Reric weggeführten Kaufleute erzwingt, vielmehr begnügt er sich damit, in Holstein eine Feste errichten zu lassen, um Angriffen der Dänen durch Nordalbingien noch jenseits der Elbe einen stärkeren Widerstand entgegensetzen zu können. Indem nun hier ein sächsischer Graf als Markgraf eingesetzt und fränkische und sächsische Mannschaft um die Feste angesiedelt wird, beginnt die Neubesiedelung von Nordalbingien, bald - nach einer allerdings nicht ganz zuverlässigen Nachricht (in der gefälschten Urkunde Ludwigs des Frommen vom Jahre 834, M. U.=B. Nr. 3), die aber doch auf guter, alter Ueberlieferung zu beruhen scheint, nach siebenjähriger Gefangenschaft also 811 - erhalten auch die 804 fortgeführten früheren sächsischen Bewohner der Gegend die Erlaubniß zur Rückkehr, und Nordalbingien wird wieder zum Reiche gezogen, dessen Grenze sich also über die Elbe nach Norden vorschiebt. Zunächst aber war Itzehoe ein Außenposten jenseits der Reichsgrenze, und der Zweck seiner Gründung die Sicherung der Elblinie. Diese war das eigentliche Ziel, das Karl sich in seiner Grenzpolitik gesteckt hatte, und die Abodriten und ihre Schicksale interessirten ihn nur insoweit, als durch ein gutes Verhältniß mit ihnen die Sicherung Elbgrenze mitbedingt war.

Noch eine andere Maßregel, die mit der Neubesiedelung von Nordalbingien unmittelbar zusammenhängt, hat man, in diesem Falle mit Unrecht, im Sinne eines Ausschusses der Abodriten aus dem Reiche aufgefaßt, die Anlegung des sogenannten limes Saxonicus. 1 ) Unsere einzige Nachricht darüber stammt erst von Adam von Bremen, (Gesta Pontificum Hammenburgensium, die um 1075 verfaßt sind, II, 15). Allein Adam hat offenbar eine Urkunde aus dem Domarchiv von Bremen benutzt (s. Invenimus und praescriptum), seine Angaben sind also glaubhaft.

Dieser limes ist nun häufig (so von Beyer und jüngst noch


1) Man vergleiche über diesen und seine Richtung die Schrift von Beyer, der Limes Saxoniae Karls des Großen, Jansen, Bemerkungen zu Beyers Schrift in der Zeitschrift d. Ges. für Schlesw.=Holst.=Lauenb. Geschichte, B. XVI, 1886, S. 355 ff. und besonders die Arbeit von Bangert, die Sachsengrenze in Gebiete der Trave, Progr. Oldeslohe 1893. Ein Curiosum hat Werner (Progr. Bremerhaven 1895) geliefert, der S. 60 sich zu der Annahme versteigt, daß die Abroditen den limes auf Karls Befehls zum Zwecke der Grenzverteidigung gegen ihrer östlichen Stammesgenossen, die Wagrier (!), angelegt hätten.
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von Quade in Raabes Vaterlandskunde III 2, S. 29, und von Benjes in seinem kleinen Grundriß der meklenb. Gesch., S. 15) für einen befestigten Grenzwall gehalten worden, wobei man vielfach auch die Organisation einer Mark, d. h. eines militärisch besetzten Grenzlandstriches, an diesem Wall entlang angenommen hat (so auch Beyer). Man fragt nach dem Zweck einer solchen Mark, da doch Karl mit den Abodriten in Freundschaft lebte, Dehio (I, 38) antwortet: "Karl konnte wohl für den Augenblick sie (die Wenden) seinen Zwecken nutzbar machen, nie auf die Dauer ihrer sicher sein." Noch einen Schritt weiter geht Benjes, er nimmt an, daß unter Slaomir das freundschaftliche Verhältniß zwischen den Obotriten und Franken sich abgekühlt habe. "Der Kaiser bedurfte der Hülfe der Obotriten gegen die unterworfenen und beruhigten Sachsen nicht mehr (NB. wohl aber gegen die Dänen, die stets unruhigen Wilzen, Linonen u. s. w. !); die Obotriten erschienen ihm jetzt sogar als gefährliche Nachbarn des Reichs. Um die Reichsgrenze gegen sie zu sichern, errichtete Karl der Große den limes Saxonicus, einen Grenzwall" u. s. w.

Allein die Auffassung des limes als eines befestigten Grenzwalles ist unhaltbar, wie Bangert nachgewiesen hat. Eine Abodritenmark hat Karl nicht errichtet, der limes hatte nur den Zweck einer genauen Feststellung der Grenze zwischen dem Gebiete, das den Grafen von Itzehoe unterstellt ward, und dem der Abodriten (s. Bangert s. 13 ff). Er stellte höchst wahrscheinlich die damalige Grenze dar, die die Abodriten bei ihrem Vorrücken nach Westen seit 804 erreicht hatten. 1 ) Daß Karl das Gebiet, das sie schon besetzt hatten, ihnen wieder entzogen hat, ist nicht anzunehmen. Die Maßregel beweist also auch


1) Ob die Abodriten überhaupt zwischen 804 und 869 oder 811 ihre Grenze weiter nach Westen vorschoben, ob sie z.B. damals erst Wagrien besetzten und dieses vorher sächsisch gewesen war, auf diese Fragen giebt unser Quellenmaterial keine Antwort. Einhards Worte (vita c. 14) Iam Abodritos, vicinos suos, in suam ditionem redegerat beweisen nichts. Vielleicht werden sie einmal von der Alterthumskunde beantwortet, vielleicht entdeckt einmal ein glücklicher Finder auf wagrischem Boden Alterthümer, die eine germanische Bevölkerung für die Zeit von 600 bis 800 erweisen, oder es gelingt einst, wenn man gelernt hat die Hinterlassenschaft der Wenden nach Perioden bestimmter zu fixiren, ein Nachweis, daß Wagrien schon vor 800 wendisch gewesen sein muß. Einstweilen möchte man das letztere vermuthen, denn, wie Herr Dr. Beltz mir mittheilt, sind bisher germanische Alterthümer aus der Zeit von 600-800 im östlichen Holstein noch nicht ans Tageslicht gekommen. Doch es ist gewagt, aus dem bisher vorhandenen für ganz Holstein nur dürftigen Material schon Folgerungen zu ziehen.
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keinerlei Verstimmung, sondern ist nur ein neues Beispiel für Karls ordnende Thätigkeit, die mit besonderer Sorgfalt grade den Grenzen seines Reiches zugewandt war. Nicht einmal das darf man daraus folgern, daß Karl die Abodriten aus den Reiche habe ausschließen wollen. Eine solche Grenzlinie konnte doch auch zwischen zwei Gauen innerhalb des Reiches hergestellt werden, falls ihre Grenzen noch nicht fest bestimmt waren, und es ist gewiß oft geschehen. Der limes Saxonicus war allerdings zugleich Gau= und Reichsgrenze, denn Karl rechnete, wie wir gesehen haben, die Abodriten nicht zum Reiche selbst, aber nicht erst seit 809 und infolge einer Verstimmung, das Abodriten reich war vielmehr für ihn von Anfang an ein auswärtiger Klientelstaat.

IV. Die Auflösung des Bündnisses

Karl der Große hat es vermocht, länger als 30 Jahre die Abodriten in ihrem Klientelverhältniß festzuhalten und seinen Einfluß auf sie allmählich zu verstärken, zuletzt begann er auch ihre Christianisirung anzubahnen (s. o. S. 105). Sie war die Vorbedingung für ihre Aufnahme in das christliche Weltreich, und wäre Karls Wendenpolitik in gleichem Sinne und mit gleicher Energie fortgeführt worden, Slaomir wäre schwerlich so lange der einzige abodritische Christ geblieben, und es wäre schon im 9 Jahrhundert geschehen, was erst im 12. geschah: aus dem Barbarenhäuptling, der unter der Klientel des Reiches stand, wäre schon im 9. Jahrhundert ein Reichsfürst geworden. Allein es sollte anders kommen! Nur allzu schnell lockerte sich nach Karls Tode das Bündniß der Abodriten mit den Franken. Schon 817 hören wir von einem ersten Abfall, er ging von ihrem Fürsten selbst aus, der persönlich verletzt war (s. o. S. 117). Und gleich bei diesem ersten Abfall begnügten sie sich nicht damit, die Beziehungen zu den Franken einfach abzubrechen, sondern gingen sogleich zum Angriff über; mit den Dänen vereint, bestürmten sie Itzehoe, das Bollwerk der fränkischen Herrschaft in Nordalbingien (s Ann. Einh.). Noch war das fränkische Reich stark genug, ohne viel Mühe die unbotmäßigen Vasallen zu überwältigen, der Anschlag auf Itzehoe mißlang und die Streitkräfte der sächsischen Grenzgrafen genügten, den Abodritenfürsten zur Ergebung zu zwingen (718, s. Mühlbacher Regesta 658 g und Ann. Einh. 819 mit der Anm. bei Wigger p. 12, Simson, Ludwig der Fromme, I, 140 mit Anm. 6). Es

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ist auffallend, daß bei der Verhandlung vor dem Kaiser abodritische Häuptlinge als Ankläger gegen Slaomir auftreten (Quem cum primores populi sui, qui simul iussi venerant, multi, criminibus accusarent. Ann. Einh.). Noch hatten also die Franken unter den Abodriten eine starke Partei für sich. Sie begegnen uns noch einmal, im Jahre 826, wo abodritische Edle - diesmal sogar ungerufen - zum Kaiser nach Jngelheim kommen und ihren Fürsten der "Treulosigkeit" anklagen (s. Ann. Einh.). Es war nicht das erste Mal, daß auch gegen Ceadrag diese Beschuldigung erhoben ward (s. Ann. Einh. 821 u. 823). Denn kaum hatte dieser den Besitz des Reiches seiner Väter angetreten so begann auch er die Freundschaft mit den Franken zu vernachlässigen und zu den Dänen in Beziehung zu treten. Ein Grund dafür wird nicht angegeben, wir werden die Veranlassung nicht in etwaiger persönlicher Kränkung zu suchen haben, sondert in den politischen Verhältnissen. Die äußere Form, in der sich die Abhängigkeit der Abodritenfürsten vom Reich ausprägte, war drückender geworden, dabei war aber vom Reiche keine entsprechende Gegenleistung mehr zu erhoffen. Der Kaiser saß fern in seinen Residenzen, aus der Nähe drohten die Dänen. Schon unter Karl hatten sie den Abodriten einen schweren Schlag versetzt, den Karl weder hatte hindern noch wieder gutmachen können, sie hatten die abodritische Seehandelsstadt Reric zerstört, die bisher ein Küstenstapelplatz für den orientalisch = nordischen Handel gewesen war, und die Kaufleute von dort nach Schleswig verpflanzt (s. Ann. Einh. 808 u. Beltz, Wend. Alterth. S. 175.) Wenn das unter Karl möglich war, was war erst unter seinem Nachfolger zu erwarten, dessen Schwäche je länger desto mehr zu Tage trat? Kein Wunder, daß der Abodritenfürst wenig Neigung zeigte, die lange Reise zum Hofe des Kaisers zu unternehmen, um dort seine Geschenke zu überbringen, mochte auch der Kaiser, wenn er kam, noch so gnädig ihn empfangen; kein Wunder, daß er sich lieber mit den gefährlichen Nachbarn ins Einvernehmen zu setzen suchte und die Herstellung guter Beziehungen zu den Dänen für eine dringendere Sorge hielt als die Pflege der Freundschaft mit den Franken. Er vermied indessen bis kurz vor dem Ende der Regierung Ludwigs offen mit ihnen zu brechen. Noch einmal - im Jahre 831 - hören wir von slavischen Gesandtschaften, die in Diedenhofen den Kaiser aufsuchten, ja dieser hielt die Zeit für gekommen, um die Bekehrungspläne seines Vaters wiederaufzunehmen. In demselben Jahre 831 ward Ansgar zum Erzbischof von Hamburg ernannt und ihm die Mission unter den Dänen,

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Schweden und Wenden übertragen. Mit dem hingebenden Eifer eines ächten Glaubensapostels begann er sein Werk, doch entsprach der Erfolg der auf gewandten Mühe wenig, denn das Schwert stand nicht mehr dem Kreuze schützend zur Seite. Für die Bekehrung der Wenden geschah so gut wie nichts. 1 ) Noch immer galten die Abodriten als Untergebene des Frankenreiches, wir erfahren es im Jahre 838, wo der Dänenkönig Horich die Abtretung des Gebietes der Friesen und Abodriten verlangt (s. Prudent. Trec. Ann. 838). Und vielleicht hängt mit der Zurückweisung dieser Forderung der Abfall der Abodriten zusammen, der noch in demselben Jahre erfolgte. Es heißt zwar, sie seien wieder unterworfen (s. Prudent.), aber schon im nächsten Jahre war ein neuer Feldzug gegen sie erforderlich. Ueber dessen Erfolg wird nichts berichtet, er wird also keinen gehabt haben, und schnell gewannen die Abodriten unter den Franken einen bösen Ruf. Radbert der noch vor Ludwigs Tod eine Lebensbeschreibung Walas († 836) verfaßte, nennt sie eine gens indomabilis (die Stelle ist abgedruckt bei Wigger S. 105 a, Anm. 2, s. über sie Simson, Karl d. Gr. II, 387, Anm. 3), er wird die Meinung wiedergeben, die damals unter den Franken über die Abodriten herrschte. Derselbe Volksstamm, der unter Karl von den Annalisten Sclavi nostri (Ann. Lauresh. 798) und nostri Hwinidi (Chron. Moiss. 809) genannt wird, erscheint als ein unbezwinglicher Gegner, das foedus war in erbitterte Feindschaft umgeschlagen. Es ward auch nicht wiederhergestellt.

Ludwig der Deutsche ließ es zwar, als er den Besitz des Ostreiches angetreten, seine erste Sorge sein, die Wenden wieder in Abhängigkeit zu bringen. Es lebte in ihm ein Funke von der Energie des Großvaters, und mit durchgreifenden Maßregeln suchte er "das Land der Abodriten zu ordnen," nachdem ihr König Gotzomiuzl im Kampf erschlagen war (s. Ann. Fuld. 844). Der Erfolg war trotzdem nur vorübergehend, bald hier, bald dort lodert unter den Wenden der Brand des Aufruhrs wieder


1) Ansgar kaufte eine Anzahl wendischer Knaben aus der Gefangenschaft los, um sie ad servitium Dei zu erziehen, wohl, um sie später als Missionare zu benutzen. Einige davon behielt er bei sich in Hamburg andere sandte er nach dem Kloster Turholt in Flandern, das ihm zum Unterhalt angewiesen war (s. V. Ansk. c. 15, Wigger, Ann. S. 14). Bei der Theilung von Verdun aber fiel Turholt an Karl den Kahlen, der das Kloster, ohne seiner früheren Bestimmung zu gedenken, einem seiner Getreuen schenkte. Dieser verwandte die wendischen Knaben zu seinem eigenen Dienste (s. V. Ansk. c. 36, Wigger, Ann. S. 15 und 131). Ueber die ferneren Schicksale der in Hamburg Gebliebenen ist nichts überliefert.
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auf, dabei besteht kein Unterschied mehr zwischen den Abodriten und den übrigen Wendenstämmen, sie sind alle gleich unbotmäßig; und wenn sie, mit Heeresmacht überzogen, sich einmal wieder zum Gehorsam und zur Tributzahlung - auch von den Abodriten wird jetzt (seit 844) Tribut gefordert sein - verpflichtet haben, so sind sie nur allzu geneigt, ihr Versprechen zu brechen, sobald das fränkische Heer den Rücken kehrt (s. z. B Ann. Xant. 844). Zuweilen endeten die Wendenzüge mit einen offenbaren Mißerfolg, so der Zug Arnulfs gegen die Abodriten im Jahre 889 (s. Ann. Fuld. 889), der letzte, von dem wir im 9. Jahrhundert hören. Man war froh, daß sie nach einiges Jahren von selbst kamen und um Frieden baten, er ward ihnen gewährt, wobei von einer Verpflichtung zur Tributzahlung nicht mehr die Rede gewesen zu sein scheint (s. Ann. Fuld. 895 und L. Giesebrecht, Wend. Gesch. I, 130). Auch dieser Friede war nur von kurzer Dauer, aus den spärlichen Nachrichten, die wir über die Schicksale Norddeutschlands aus den Jahrzehnten an der Wende des 9. und 10. Jahrhunderts besitzen, tritt uns ein überaus trübes Bild entgegen, und zu den Bedrängern Sachsens gehören neben den Ungarn und Dänen auch die Wenden, oft und weit schweifen sie über die Elbe, die der große Karl einst so kraftvoll und glücklich mit Hülfe der Wenden selbst zu schützen gewußt hatte; damals vermuthlich nahmen sie das hannöversche Wendenland in Besitz. Erst die Könige aus sächsischem Hause vermochten die Flut des Unheils wieder einzudämmen und das deutsche Ansehen jenseits der Elbe, nicht ohne blutige Kriege auch gegen die Abodriten, wiederherzustellen. 3 A Jahrhunderte aber sollten nach Karls Tode vergehen, bis die von ihm begonnene Angliederung der ostelbischen Länder an das Deutsche Reich vollendet war, und grade der Wendenstamm der zuerst von allen zu den Franken in freundschaftliche Beziehung trat, war es, der den Widerstand gegen Christenthum und deutsche Herrschaft am längsten fortsetzte, die meklenburgischen Abodriten, die Verbündeten Karls des Großen.

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