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VII.

Die zweite Ehe des Herzogs Karl Leopold.

1 )

Ein Kulturbild aus Meklenburg
im ersten Viertel des 18. Jahrhunderts

von

Wilh. Paul Graff.

~~~~~~~~~~~

I. Verlobung und Beilager.

Eine problematische Natur auf dem Thron war der Herzog Karl Leopold von Meklenburg. Seinem am 31. Juli 1713 verstorbenen Bruder Friedrich Wilhelm in der Regierung folgend, leitete er diese sogleich mit, für meklenburgische Verhältnisse wenigstens bis dahin ziemlich ungewöhnlichen Maßnahmen ein.


1) Benutzte Litteratur: A. Zeitgenössische: Les anecdotes du roy des Obotrites, tirées de deux lettres écrites par M. L. B. D. B. à M. L. B. D. B. Wien, 1721. (Mser.) - Mercure historique et politique; Jahrg. 1715 u. fg. - Tractat vom Meckl. Demi=Visirat oder Memoires par B. d. B. B. 1721. (Mser.) - Journal und Briefe Peters des Großen. - [J. Rousset de Missy:] Recueil historique d'actes, négotiations et traités depuis la paix d'Utrecht jusqu'au second congrès de Cambray. - Urkunden von des Herzogs zu Meklenburg Carl Leopold Ehescheidung von seiner ersten Gemahlin Sophia Hedewig und neuen Vermählung mit der russischen Prinzessin Catharina (in Büschings Magazin für die neue Hist. und Geogr. Th. 15. Jahrg. 1781.). - F. W. v. Bergholz Tagebuch, welches er in Rußland von 1721-1725 als holsteinischer Kammerjunker geführt hat. (Ebendaselbst. Th. 19-22. Jahrg. 1785-88.) - Eine Anekdotensammlung von unbekannter Hand, wahrscheinlich bald nach dem Tode Karl Leopolds niedergeschrieben. (Mser.) - Die Schmidtsche Urkunden= und Actensammlung, und die von Langermannschen Miscellaneen über Karl Leopold [in der Großherzoglichen Regierungs - Bibliothek zu Schwerin]. - Die derzeitigen meklenburgischen Chronisten Klüver, David Franck und Samuel Buchholtz, auch Aepinus: Meklenburgische Geschichte im 18. Jahrhundert. - Charakteristik und kurze Geschichte Herzog Carl Leopolds. (Mser.) - Meckl. Conjuncturen od. gegenwärt. Zustand i. (  ...  )
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Unter Begründung durch landesväterliche Fürsorge hielt er verschiedene Veränderungen der bisherigen Verfassungszustände und Gewohnheiten in dem seiner Obhut anvertrauten, angeerbten Lande für durchaus geboten. Diese Veränderungen bestanden hauptsächlich in Erhöhung verschiedener Landesabgaben und verringerter Einschränkung seiner selbstherrlichen Gewalt und Freiheit durch die Stände, zumal bei Verwendung der öffentlichen Gelder. Diese sollten nicht, wie bisher, in den "Landkasten", sondern in die Kriegskasse des Herzogs fließen, damit dieser sein Land durch Anschaffung einer genügend starken eigenen Truppenmacht in solchen Stand setzen könnte, daß "nicht Jedermann in die Grenzen desselben eindringen und darinnen nach Gefallen wirthschaften könnte." Solches war allerdings im Verlaufe des nordischen Krieges vielfältig geschehen und geschah noch jetzt in den ersten Jahren seiner Regierung fortwährend seitens der durchziehenden dänischen, preußischen und anderen alliirten Truppen, sowie der schwedischen Besatzung in Wismar, welche häufig nach freiem Belieben in den umliegenden meklenburgischen Landen Proviantlieferungen ausschrieb und solche im Unterlassungsfalle ohne Weiteres durch Militairgewalt eintrieb.


(  ...  ) Mecklenburgischen, anno 1719. - Pfeffinger, Historie des Braunschweig=Lüneburgischen Hauses bis auf das Jahr 1733, Bd. III Hamburg 1734. - Eröffnetes Cabinett Großer Herren. Leipzig, 1733 fg. - Zschackwitz: Allerneuester Zustand von Europa, Bd. I - III. 1734. - Lettres d'une dame anglaise. Rotterdam, 1777. - Histoire de l'Empire par M. Heiss; nouvelle edit. Amsterdam, 1738. T. I. - Randbemerkungen dazu in französischer Sprache (scheinbar von Karl Leopold selbst. Mser.). Baron de Pöllnitz: Mémoires p. s. à l'histoire des 4 derniers souverains de la Maison de Brandenbourg, 1791, T. II. - B. Spätere Bearbeitungen und einschlagende Litteratur: Lisch: Graf Heinrich XXIV. Reuß zu Köstritz und Herzog Karl Leopold von Mecklenburg, Schwerin 1849, und andere Schriften desselben Verfassers. - J. Wiggers: Ein mecklenburgischer Landesvater. In Nrn. 45 - 47 der Wochenschrift "Im neuen Reich," Leipzig, 1875. - Köhler: Ueber das Treffen bei Walsmühlen 1719 (1882) und verschiedene andere Abhandlungen und Aufsätze in den Jahrbüchern des Vereins für meklenburgische Geschichte und Alterthumskunde. - M. J. Semëwskij: Zariza Praskowja 1664-1723. St. Petersburg, 1883. - Derselbe: Zariza Katherina Alexejewna, Anna i Willim Mons, 1692-1724. St. Petersburg, 1884. - Matthias: Die mecklenburger Frage in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Halle 1885. - Die Politik des Hauses Oesterreich Deutschland und dem Protestantismus gegenüber, von einem Protestanten. Göttingen, 1852. - Schneller: Oesterreichs Einfluß auf Deutschland und Europa seit der Reformation. Bd. II. Stuttgart, 1829. - Droysen: Preußische Politik. IV, 2. - Biedermann: Deutschland im 18. Jahrhundert. - Schlosser: Geschichte des 18. Jahrhunderts. Bd. I. - v. Noorden: Europäische Geschichte im 18. Jahrhundert. Bd. II. u. a. m.
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"War daher die Absicht dieses Herrn zwar Landes=väterlich," sagt ein derzeitiger meklenburgischer Chronist, "so machte doch die natürliche Lage Mecklenburgs, da es lauter große Könige zu Nachbaren hat, keine Hoffnung, solche Absicht zu erreichen, und die Mittel, welche man dazu gebrauchte, konten weder Gott gefällig noch Menschen erträglich seyn."

Solche Mittel bestanden zunächst darin, daß sich der Herzog alsbald, halb durch List, halb durch Gewalt, der Thorschlüssel Rostocks bemächtigte. Diese Stadt genoß bekanntlich von Alters her durch Verträge mit den Landesfürsten große Gerechtsame und Freiheiten. Außerdem machte er sie zu seiner Residenz, belegte sie mit einer starken Besatzung, setzte ihre alten Vertheidigungswerke wieder in Stand, ließ ihre Accise=Bude (Steuerhebestelle) durch fürstliche Beamte verwalten, 1 ) nahm ihr die Jagdgerechtigkeit in ihrer eigenen ausgedehnten Waldung und hob die städtische Miliz auf. Als der Magistrat der Stadt gegen alle diese Vergewaltigungen protestirte, auch auf seine nach Wien gerichtete Klage vom Reichshofrathe an den Herzog der Befehl erging, der Stadt ihre bisherigen Gerechtsame zu lassen, ließ Karl Leopold die drei Bürgermeister, sowie zwei Rathsherren verhaften und nach Schwerin in Gefangenschaft abführen. Die übrigen Rathsmitglieder und die unter dem Namen der "Hundertmänner" bekannte Vertretung der Bürgerschaft hielt er länger als vierzehn Tage (vom 19. Februar bis 8. März 1715) in einem Zimmer des Rathhauses eingesperrt. "Es waren ihrer über 80 beysammen," erzählt derselbe Chronist; "diese alle wurden in die eintzige so genante blaue Stube eingesperret, mit einer Wache von 6 Mann besetzet, und mit starckem Einhitzen unaufhörlich gequälet, also daß auch die Ofens davon borsten, und mancher darüber, weil kein Fenster aufzumachen erlaubet war, in Ohnmacht fiel. Man suchte ihnen durch solche Quaal abzupressen, sie solten sich der Appellation an den Kayser entsagen. Sie blieben aber allerseits


1) Unter dem allerdings nicht ganz unbegründeten Vorgeben, daß es in der Verwaltung der Accise Seitens des Magistrats nicht ehrlich und gesetzmäßig hergegangen sei. Hierauf bezieht sich eine Stelle in den "Anecdotes du Roi des Obotrites etc.", wo der Baron von Eichholtz auf seiner ersten Rückreise von Wien nach Meklenburg (1714) von seiner Begegnung mit dem herzoglichen Kurier, einem alten Stallknechte, in Magdeburg erzählt. Dieser hätte ihm gleich entgegengerufen: "Nu hebben wie de Schelms bym Koppe! Er hätte gefragt, was er damit sagen wolte, und hätte er geantwortet: de Borgermesters unde Raths=Herrn tho Rostock! Er hätte dazu die Achseln gezuckt und gesagt: daß ihm dieses sehr Leyd wäre, und daß der Hertzog damit nicht würde fort kommen, der Kerl aber hätte geantwortet: I Herr! se hebben jo stahlen!"
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dabey, obgleich einige kranck nach Hause getragen wurden. . . . Sie hatten weder Betten noch Stroh, niemand durfte sich ein Küssen aus seinem Hause kommen lassen. Sie baten um Eröfnung des grossen Kayser=Saals an der blauen Stube (damit der unleidliche Dampf etwas herausgehen mögte), aber es ward ihnen abgeschlagen; weil ein Gefangener keine Bequemlichkeit verlangen könte" u. s w.

Nachdem es dem Herzog endlich durch solche und noch weitergehende Gewaltmaßregeln gelungen war, den zähen Bürgertrotz dieser alten Hansastadt wenigstens scheinbar und vorläufig (in dem sog. Schweriner Vertrage) zu brechen, ging er daran, sich durch alles nur mögliche Drangsaliren auch den Landadel und die Landstädte kirre zu machen. Hier stieß er aber auf ein minder leicht zu fassendes und einzusperrendes Element. Eine endlose Reihe von "protestationes, gravamina und appellationes" gingen an den Hof und nach Wien, und eine ebensolche Flut von "conclusa, vota, mandata poenalia" u. s. w. erfolgten von dort an die Stände und den Herzog zurück. Doch alle Befehle des kaiserlichen Reichshofraths machten auf den Herzog einen nur sehr geringen Eindruck, und unter seinen Räthen ging das Wort: "Der Kaiser zieht sein Schwert nur langsam aus der Scheide.

Da sich aber der Herzog der offensichtlich unter dem Schutz des kaiserlichen Reichshofraths, sowie des Hannoversch=englischen Hofes stehenden und unter einander wenigstens jetzt gegen ihn, ziemlich einigen meklenburgischen Ritterschaft und Stadt Rostock wohl nicht ganz gewachsen fühlen mochte, so sah er sich unter den, sein Ländchen umgebenden "großen Königen" nach einem Bundesgenossen um. 1 )


1) Die unerquicklichen, auch Wirren oder Irrungen genannten Streitigkeiten zwischen Fürst und Ständen in Meklenburg datirten keineswegs erst von dem Regierungsantritt Karl Leopolds her, sondern waren diesem bereits von seinen beiden Vorgängern in der Regierung überkommen. Unter ihm nahmen sie nur einen mehr akuten Charakter an und führten zur Krisis. Sie hatten ihren Ursprung in einigen Bestimmungen des Westfälischen Friedens, worin den Reichsständen die unbeschränkte Landeshoheit und damit auch das vollkommene Recht auf Errichtung einer Landesvertheidigung zugestanden und bestätigt worden war. Ut autem provisum sit," heißt es dort Artikel 8, §. 1, "ne posthac in statu politico controversiae suboriantur, omnes et singuli Electores, Principes et Status Imperii Romani in antiquis suis juribus, praerogativis, libertate, privilegiis, libero juris territorialis tam in ecclesiasticis quam politicis exercitio, ditionibus, regalibus, horumque omnium possessione, vigore hujus transactionis ita stabiliti firmatique sunto, ut a nullo unquam sub quocunque praetextu de facto turbari possint vel debeant." Und Artikel 17, §. 3: "Contra h anc transactionem ullumve ejus articulum aut clausulam nulla jura (  ...  )
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Seine persönlichen Sympathien gehörten ursprünglich seinem ehemaligen Waffengefährten in Polen, dem König Karl XII. von Schweden; er hatte sogar früher gehofft, sich mit demselben durch seine Prinzessin Schwester zu verschwägern; allein seitdem diese Königin von Preußen und jener durch den Wechsel des Schlachten=


(  ...  ) canonica vel civilia, communia vel specialia conciliorum decreta, rescripta . . . . capitulationes caesareae . . . . vel ullae aliae quocunque nomine aut praetextu excogitari poterint, exceptiones unquam allegentur, audiantur aut admittantur . . . .Dasselbe besagten die kaiserlichen Wahlkapitulationen, und in dem Reichsreceß vom Jahre 1654 war den Fürsten ausdrücklich die Erhebung einer Steuer für die Landesvertheidigung zugestanden. - In demselben Westfälischen Frieden waren aber auch den Landständen alle bisherigen Rechte bestätigt worden, indem festgesetzt war, daß es in jedem Lande bei den früheren Rechten, Gesetzen, Herkommen und Gewohnheiten sein Bewenden behalten sollte. - Unter solchen Umständen entstand natürlich die Frage, ob es nunmehr den Fürsten freistände, nach ihrem Gefallen und Befinden die nöthigen Steuern von ihren Landständen einzufordern, oder ob diese das Recht hätten, nicht mehr zu bewilligen, als sie bisher an Steuern geleistet hatten. Die Sache kam 1669 auf dem Reichstage zu Regensburg zur Sprache. Da hier aber keine Einigung erzielt wurde, entschied der Kaiser zu Wien im Jahre 1671 eigenmächtig zu Gunsten der Landstände, doch sonderbarerweise nur für die, zu seiner Hausmacht nicht gehörigen Territorien; innerhalb seiner eigenen Lande hielt er sich hieran nicht für gebunden. In Folge dessen traten mehrere Fürsten und Kurfürsten, zu denen auch der damalige Herzog von Meklenburg=Schwerin, Christian Ludwig I., gehörte, zu einem Bündniß zusammen zwecks Behauptung ihrer im Westfälischen Frieden und durch den Reichsabschied von 1654 gewährleisteten landeshoheitlichen Rechte. Allein, während der Kaiser gegen die Kurfürsten nicht einzuschreiten wagte und diese in ihren Territorien frei gewähren ließ, mischte er sich doch schon im Jahre 1672 ziemlich energisch in die meklenburgischen Angelegenheiten ein, indem er auf Klage der dortigen Landstände den beiden Herzögen Christian Ludwig zu Schwerin und Gustav Ado1f zu Güstrow verbot, eine unter dem Namen von "Kreisbedürfnissen" ausgeschriebene Kopfgeldsteuer zu erheben. - Seitdem waren die meklenburgischen Landstände niemals zufrieden und beeilten sich stets, sobald ihre Herzöge irgend etwas begehrten, wodurch jene sich in ihren Privilegien beeinträchtigt wähnen konnten, sich sofort mit Klagen und Beschwerden nach Wien und an den kaiserlichen Reichshofrath zu wenden, so daß in der Folgezeit das Verhältniß zwischen Fürst und Ständen in Meklenburg nur noch wie ein einziger großer Prozeß erscheint, in welchem bald die eine bald die andere Partei mehr die Oberhand gewann. Der Wiener Hofpolitik konnte dieses natürlich nur passen. Erst der Kaiser Leopold versuchte endlich im Jahre 1701 diesen unhaltbaren Verhältnissen durch den sog. Schwerinschen Vergleich (nach dem kaiserlichen Kommissar, dem General Geschwind auch der " Geschwindische" genannt) ein Ende zu machen. In diesem Vergleich war man dahin übereingekommen, daß fortan alle Beschwerden abgethan seien und u. a. besonders von der Ritter= und Landschaft jährlich eine Steuer von 120000 Thalern zur Landesvertheidigung aufgebracht werden sollte. - So schien der Friede geschlossen. Doch alsbald fanden sich unter dem meklenburgischen Adel mehrere Unzufriedene, die gegen (  ...  )
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glücks nach der Türkei verschlagen worden war, konnte er auf Karl XII. keine Hoffnung mehr setzen. 1 ) Die Zuneigung Friedrich Wilhelms I. von Preußen hatte er zum Theil verscherzt, zum Theil auch allen Grund, dessen Freundschaft ebenso sehr zu mißtrauen, wie der des Königs von Dänemark und des von England=Hannover. So blieben, abgesehen von Frankreich (zu dem es ihm auch nicht an Beziehungen fehlte), nur noch zwei mächtige Herrscher übrig, deren Schutze er sich mit seinen weit aussehenden politischen Plänen zu unterstellen vermochte; der eine war der deutsche Kaiser Kar1 VI., der andere der Zar Peter I. von Rußland. Beiden konnte seine Bundesgenossenschaft nur angenehm und willkommen sein.

Am Kaiserhofe zu Wien war man nach der glaubwürdigen Versicherung des dortigen meklenburgischen Gesandten, des Obermarschalls Freiherrn Johann Dietrich von Eichholtz, eines eifrigen Katholiken, dem Herzoge Karl Leopold in den ersten Jahren seiner Regierung außerordentlich günstig gesinnt; man hatte dort sogar schon den Plan in Erwägung gezogen, demselben die Erzherzogin Magdalene zur Gemahlin und "ein Gouvernement in Schlesien oder Tyrol" zu geben; allein als unumgängliche Bedingung damit verbunden war der Uebertritt des Herzogs zur katholischen Kirche, wozu dieser aber, trotz zeitweiligen politischen Kokettirens mit dem Plane als "gahr zu eyfrig Lutherisch" keineswegs je ernstlich geneigt war.


(  ...  ) diesen Vergleich protestirten, obwohl die darin der Ritterschaft auferlegte Steuer als ein sehr geringer Preis schon allein durch die Befreiung von ihren vormaligen sog. Roßdiensten anzusehen war. Diese Unversöhnlichen (anfangs neun an Zahl), unter denen als Führer besonders der von Bernstorff zu Rüting, der von Bassewitz zu Walmstorff und der von Regendank zu Zierow genannt werden, "hielten sich selbst," heißt es bei Franck, "für sonderbare Patrioten, wurden auch von anderen dafür gehalten; daher sich ihre Anzahl in Jahresfrist auf 88 vermehrte." Diese, nicht nur dem Fürsten sondern auch dem übrigen Lande, besonders den Städten und Bauern,und bei diesem Vergleich von 1701 auch dem Kaiser selbst gegenüber nur ihre engherzigen Standesinteressen vertretenden "Patrioten" tragen die größte Schuld an dem Wiederausbruch dieser widerlich öden prozessualischen Streitigkeiten, die nunmehr mit neuer Heftigkeit entbrannten, das ganze Land in Schulden und politische Ohnmacht stürzten, dasselbe mit Unzufriedenheit, Kabalen und Gewaltthaten erfüllten und ihren Abschluß erst nach mehr als fünfzig Jahren in dem sog. Landesgrundgesetzlichen Erbvergleich (1755) fanden.
1) Seiner freundschaftlichen Gesinnung gegen Karl XII. gab er zwar noch einmal offenen Ausdruck, als dieser nach seinem berühmten Ritt durch Ungarn und Deutschland gegen Ende November 1714 in Stralsund anlangte. Auf die Nachricht hiervon begab sich Herzog Karl Leopold sofort zu ihm dahin und blieb einige Tage bei ihm. Doch hatte dieser Besuch wohl weiter keinen Zweck, als den einer höflichen und freundnachbarlichen Bewillkommnung.
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So entschloß sich also Karl Leopold, sich dem mächtigen Besieger des nordischen Helden, dem Zaren Peter I., in die Arme zu werfen.

Es war in den ersten Tagen des December 1715, als der Herzog zum ersten Mal diesen Gedanken seinem vertrauten Rathe, dem genannten Freiherrn von Eichholtz gegenüber zum Ausdruck brachte: "Er (Eichholtz) käme ihm allezeit mit dem Kayserl. Hofe aufgezogen, da mögte er nichts mehr von hören; der Czaar der jetzo in so großer Achtbahrkeit stände, der müßte ihm helffen. Er hätte schon lang in Moscau Correspondance, und da solte er andere Dinge sehen. Er wollte von des Czaaren Nieces eine heurathen und da wäre er hernach im Stande allen Leges vorzuschreiben."

Herzog Karl Leopold war freilich verheirathet 1 ), und zwar mit der Prinzessin Sophie Hedwig von Nassau=Dietz; allein er hatte sich mit dieser ebenso wenig vertragen, wie später mit seinen Unterthanen, und sie deshalb bereits vor seinem Regierungsantritt verstoßen, gestützt auf ein am 2. Juni 1710 gefälltes Erkenntniß des Greifswalder Consistoriums, das die Scheidung der Ehe aussprach. 2 ) Der


1) Seit dem 27. Mai 1708.
2) Ueber die Hergänge bei und namentlich vor der Scheidung des Herzogs verbreiteten sich die verschiedensten Lesarten.
In den "Mémoires par Baron de Poellnitz", 1791, T. II. pag. 56 flg. heißt es: "Cependant ce prince étoit marié depuis deux ans avec Sophie Hedvige de Nassau=Dietz. II s'avisa de dire qu'il n'avoit pu consommer son mariage, parce qu'il avoit trouvé des obstacles insurmontables à son bonheur, qu'il avoit attendu deux ans, dans l'esperance que ce défaut se corrigeroit avec l'âge de la princesse, mais qu'elle restoit toujours dans le même état; cc qui le mettoit au désespoir. J ,ignore si les plaintes ètoient fondées; mais il maltraita si fort la femme, qu'elle prit le parti de le quitter et de retourner chez ses parens. Le due se trouvant donc dans un état de viduité, quoique man.é, fit proposer à diverses universités d'Allemagne le cas où il se trouvoit. Celles - ci déclarèrent nul son mariage. II profita de ces avis, et répudia la femme. Peu de temps après il épousa à Danzic Catherine Iwanowna, fille du czar Iwan Alexiewitz" etc.
Ferner findet sich noch folgende Aufzeichnuug: "Da es einmal beschlossen war, die holländ. Gemahlin zu verstoßen, mußte darauf gedacht werden, der Sache eine gute Farbe anzustreichen. Unter direction des Reichshofrathes v. Petkum, als des Herzogs Geh. Rath, werden Verhöre angestellet; der damalige Cantor Kalliesen zu Doberan, wird als nunmehr creirter Notarius zum Protocollisten angenommen, der muß schreiben und schreibet, was Petkum haben will (er hat mir's selber erzehlet) und so kommen acta und registratura zusammen, von dem Inhalte, daß die Gemahlin sich gegen ihren Gemahl vergangen, und sie nimis angusta sey. Die acta werden nach Greifswald geschickt, und der Ausspruch erfolget in favorem des Herzogs, worauf die Gemahlin fortgeschickt wird, unter Begleitung des nachher zum Oberkammerjunker creirten Cammerjunker von Bibow und des Cantzlei Raths Grund uff der Wohrt.
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Reichshofrath erhob auf Anrufung seinen Einspruch und untersagte dem Herzog, bis nach ausgemachter Sache eine andere Ehe einzugehen. 1 ) Allein obschon der Proceß noch schwebte, erschien solches in der damaligen Zeit weder ihm, noch den Höfen, mit welchen er in Verhandlung trat, als ein unübersteigliches Hinderniß, eine neue Ehe einzugehen.

Die Zariza Praskowja, Wittwe des Zaren Iwan V. A1exejewitsch und Schwägerin Peters I., hatte drei Töchter, Katharina, Anna und Praskowja. Von diesen drei Nichten Peters, der selbst damals noch keine heirathsfähige Tochter besaß, konnte als Braut für den Herzog nur eine der beiden älteren, Katharina oder Anna, in Betracht kommen; denn die jüngste, die Zarewna Praskowja, kränkelte von Geburt her und galt für schwachsinnig; sie starb später als Gattin eines russischen Bojaren.

Die nächstjüngste, die Prinzessin Anna, war ein unliebenswürdiger, finsterer Charakter. Im Jahre 1710 mit dem Herzog Friedrich Wilhelm von Kurland vermählt, war sie bereits nach einer kaum zwei Monate dauernden Ehe wieder verwittwet; ihr Gatte starb am 9.,20. Januar 1711 auf der Meierei Duderhof, wie es heißt, in Folge unmäßigen Weingenusses. Seitdem lebte sie, weniger auf eigenen Wunsch, als auf Anordnung ihres strenggebietenden Ohms Peter, von einem deutschen Hofstaate umgeben, in Mitau.

Obwohl es dem Herzoge Karl Leopold in erster Reihe nur auf eine möglichst nahe Verbindung mit dem mächtigen Beherrscher Rußlands ankam, da er bei diesem auf eine thatkräftige Unterstützung seiner ehrgeizigen Pläne glaubte rechnen zu dürfen, strebte er doch insbesondere nach der Hand dieser verwittweten Herzogin Anna von Kurland, und zwar aus zwei Gründen: einmal, weil sie die Jüngere war, und zweitens, weil er es für möglich hielt, daß "sie ihm ihr braves Hertzogthumb könte zubringen".


1) Schon vor dem Erlaß dieses Verbotes hatte der Herzog eine zweite (morganatische) Ehe zur linken Hand geschlossen mit dem Fräulein Christine Dorothee von Lepel, die er als Hoffräulein seiner Gemahlin kennen und lieben gelernt hatte. Die Trauung fand durch Präpositus Statius zu Doberan am 7. Juni 1710, also gleich am 5. Tage nach der Scheidung, statt. Doch währte das Glück der Dame, die Ehegenossin eines Fürsten zu sein, nicht lange. Am 2. October 1711 wurde diese Ehe bereits vom Lübecker Consistorium, das man diesmal angerufen hatte, geschieden. Die Geschiedene vermählte sich mit dem Kammerjunker Hans Christoph von Bibow (s. Jahrb. L, S. 300 f.). Daß dem Herzog von gegnerischer Seite die Trauung als Bigamie ausgelegt wurde, ist selbstverständlich, ebenso auch der Umstand, daß sich ein Rattenkönig von unbewiesenen Verläumdungen dieser Sache und deren handelnden Personen anhaftete, um so mehr, als man herzoglicherseits der Sache den Mantel des Geheimnisses umzuhängen versucht hatte.
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In diesem Sinne wenigstens äußerte er sich dem Freiherrn von Eichholtz gegenüber, als dieser ihm vorhielt, daß der Hauptzweck einer Ehe doch immer der sei, Kinder zu erzeugen, "und der Hertzog wohl wüste, daß bey seiner Ehe=Scheidung die vorgegebene Unfruchtbahrkeit die Haupt=Ursache der Scheidung gewesen", daß aber ein solcher Zweck bei den russischen Prinzessinnen wohl kaum würde erreicht werden können, "weil dieselben ja zu alt zum Kindertragen seyen."

Bei dieser Gelegenheit erfuhr auch Eichholtz, daß der Herzog bereits die ersten Schritte in dieser Angelegenheit durch seinen Bevollmächtigten am russischen Hofe, den Geheimen Rath von Habichtsthal eingeleitet hatte. Aus dessen, ihm vom Herzog vorgelegten Briefen sah er, "daß der alte Leuwolde [wahrscheinlich eine Vertrauensperson der Herzogin Anna von Kurland] durch den Habichtsthal auf des Herzogs Seite gebracht worden und daß derselbe gesaget: Er sey zwar ein Lieffländer und jetziger Russischer Vasall, gleichwohl aber mögte er nicht, daß ein Teutscher Fürst betrogen würde, indem er [Leuwolde] seiner Teutschen Herkunft noch nicht vergessen hätte: qu'il falloit donc aller la bride en main, et ne s'embarquer point sans biscuit."

Der Oberhofmarschall war durchaus nicht für das russische Unternehmen und ermahnte seinen Herrn, sich nicht zu übereilen. Es schien auch anfangs, als ob dieser sich eines Anderen besonnen hätte; denn in den nächsten vierzehn Tagen ward von der Sache nicht weiter gesprochen. Eines Abends, kurz vor der Kapitulation Stralsunds [23. December 1715] saß Eichholtz bei dem Intendanten Walter am Kamin und hatte eben geäußert, "das Meer sey einige Tage her ziemlich still gewesen," als der Herzog den Walter zu sich rufen ließ und demselben erklärte: "Der Eichholtz wäre zwar ein guther Kerl, aber er machte ihn umb seinen egards Willen vor den Wiener Hoff die beste Zeit verlieren, und er wolte fort [nämlich nach Rußland] und sich nicht halten laßen. Der Walter wäre gantz erblaßet wieder gekommen, und hätte gesagt: Ja wohl das Meer still! Es brauset droben wieder gewaltig; Er wird es Morgen schon hören, ich habe Ihn heute Abend entschuldiget, daß Er schon zu Bette ist." -

In der That wurde auch Eichholtz bereits am nächsten Morgen um 5 Uhr zum Herzog gerufen. Er traf bei demselben den aus dem Lager der Verbündeten von Stralsund unverrichteter Sache zurückgekehrten Minister von Petkum an. Der Herzog erklärte, er wolle nach St. Petersburg. Petkum fand diesen Plan vortrefflich und konnte nicht begreifen, wie Eichholtz etwas dagegen haben könne. Dieser aber machte geltend: "ehe man in ein frembdes Land, und an eines unbekandten Herren Hoff käme, so müße man ja wissen, wie man würde angenehm seyn? und nicht wie ein Baur komen; der Hertzog

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mögte doch bedenken, daß man sich hüten müßte, keinen Schimpff zu hohlen, und was dergl. mehr gewesen." -

Aber seine Ermahnungen machten keinen Eindruck. Der Herzog bestand auf seinem Plan und seiner Reise nach Rußland; den ersten Weihnachtstag wollte er noch in Schwerin zubringen, den zweiten aber schon nach Neustadt fahren, "und von daraus heimlich auf der Post immer mit einer kleinen Suite sich in der Stille nach Petersburg begeben; die zurück [zu] laßende Verordnungen, wie es im Lande [während seiner Abwesenheit] solte gehalten werden, sollen nach Seiner Abreyse erstlich solenn insinuiret werden."

Zugleich schrieb der Herzog nach Hamburg und ließ sich "von Bendix Goldschmid ein Creutz, ein paar boucles doreille und einen Ring umb 28000 Rthl. schicken. Er der Eichholtz hätte als ein Pferdt gearbeitet, umb alles fertig zu machen und eine Instruction an die Regierung aufzusetzen." Doch als er am nächsten Morgen letztere seinem Gebieter zur Unterfertigung vorlegte, erkärte dieser ihm, daß er die Reise nach Petersburg "vor der Hand wieder aufgeschoben hätte, denn es wäre ihm beygefallen, daß des Czaars Favorit, der von Jagozinsky vor Stralsund wäre, mit dem wolte er sprechen, und den Czaar durch ihn sondiren laßen, ob es Ihro Czaarischen May. gelegen, daß er zu Ihro käme? Der Eichholtz hätte gesagt, daß dieses ein herrlicher Vorschlag und weit besser sey, und dankte er Gott, daß diese übereilte Reyse durch solchen Einfall rückgängig worden."

Nunmehr wurde der Intendant Walter sofort zu dem russischen Kanzler Jagushinsky nach Stralsund abgesandt. Schon nach wenigen Tagen kam von demselben ein Schreiben zurück, worin es hieß, Jagushinsky bedaure, nicht selbst zu Sr. Durchlaucht kommen zu können, denn er hätte vom Zaren den Auftrag, seinen Marsch ohne Aufenthalt fortzusetzen: falls aber der Herzog geruhen wollte, Selbst zu ihm zu kommen, so wollte er einen Tag länger in Hirschburg verweilen.

"Kaum wäre dieser Courier angekommen gewesen," heißt es nun in den Anecdotes du Roi des Obotrites weiter, "so hätte sich ein anderer von Sr. Königl. May. zu Dänemarck eingefunden, der den Hertzog zum König zu kommen, eingeladen hätte. Da wäre es an ein Berathschlagen gegangen, wie der Hertzog dem König vorbey kommen, und den Jagozinsky sprechen wolte? Endlich sey die Sache dahin ausgeschlagen: der Eichholtz solle zum König nach . . . . [der Name fehlt] gehen, und demselben hoch versichern, daß der Hertzog den Abend zu Gadebusch Sr. Königl. May. zu bewirthen die Gnade haben würde, und darnach solte der Eichholtz eine Ursach vom Zaun

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brechen, umb des Hertzogs Außenbleiben zu entschuldigen. Der Hertzog aber ließe gleich Post=Pferde kommen, indeßen mußte der Eichholtz in ein Kästlein von Eben=Holtz (welches der Hertzog allezeit mit sich herum führet) alle die mit dem Habichsthal gewechselte Brieffe einpacken, oben auf 1000 Ducaten, und in einer Neben=Schub=Lade das Etui mit dem Diamantenen Creutz und Ringen legen; da denn der Eichholtz (wie er sonsten offt zu thun pflegen) noch das Etui aufgemacht und gesagt: die muß eine Schöne haben, der das alles zu Theil werden soll, und hätte der Hertzog noch darüber gelacht. Nachdem alles fertig, setzte sich der Hertzog seines Ohrts mit dem Eichholtz zu Wagen, und reyseten an die abgeredete Oehrter. Der Eichholtz troff den König in guthen Humeur an, und sagte demselben, der Hertzog wäre ihm gleich nach gefahren, die Ordonantz=Reuther aber müßten des rechten Weges verfehlet, und den Hertzog irre geführet haben, welcher aber heute Abend gewiß die Gnade haben würde, Se. May. in Gadebusch zu sehen, und daselbst zu bewürthen. Zum guthen Glück wäre eben ein starker Frost eingefallen gewesen, und Nachricht eingekommen, daß ein starke Schwedische Parthey aus Wismar gegangen, weshalb sich der König zu . . . . . .nicht sicher geschätzet, sondern schleunigst, ohne sich auch in Gadebusch aufzuhalten, seinen Weg fortgesetzet. Er aber Eichholtz hätte des Königs Suite zu Gadebusch prächtigst tractiret, und darauf des Hertzogs Wiederkunfft in Schwerin erwartet. Alß der Hertzog angekommen, hätte derselbe gleich gefragt: wie es beim Könige abgelauffen? Da denn der Freyherr von Eichholtz geantwortet: gantz guth! und hätte erzehlet, daß seine Nothlügen perfect wären angenommen worden, und daß der König, obwohl in generalibus, doch guthe Hoffnung wegen Wismar gegeben. Er hätte darauf fortgefahren, darff ich nun auch wohl fragen, gnädigster Herr, wie es Ew. Durchl. ergangen? Der Hertzog hätte geantwortet: gantz guth! und er solte die Brieffschaften nur wieder auspacken. Als das Kästlein eröfnet worden, wären die 1000 Ducaten weg gewesen, und hätte er gesagt: das künte ich wohl dencken, daß Ihro Durchl. die nicht wieder mit bringen würden. Er hätte darauf in der Neben=Schublade nach denen Juwelen sehen wollen, wie solches allezeit seine Gewohnheit gewesen; allein der Hertzog hätte solche zugehalten, und gesagt: was er wieder daran sehen wolte? Er hätte sie ja schon oft genug betrachtet, und weiter hätte der Herzog nichts gesagt. Alß darauf er, der Eichholtz, zum Walter gekommen, hätte er demselben die Verrichtung und den Verlauff der Reyse abfragen wollen: der sich aber entschuldiget, daß ihm der Hertzog einen neuen Eyd abgefordert, daß er keiner lebendigen Seele etwas sagen wolte von dem, was vorgegangen, . . . . . nur das könte er sagen, daß wo

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der Hertzog noch eine halbe Stunde würde gesäumt haben zu kommen, so würde der Jagozinsky fortgegangen seyn; der Hertzog würde ihm kein Geheimniß von der Sache machen. Solches wäre aber doch geschehen, und hätte der Hertzog in vier Wochen nicht ein Wordt von der Sache gesprochen, und er hätte auch nicht fragen wollen. . . . . . Einsmahls da er am wenigsten darauf gedacht, wäre ein Brieff an ihn von dem Russischen Residenten Böttcher in Hamburg eingeloffen, worinnen ihn derselbe ersucht hätte, das eingeschlossene Gratulations=Schreiben wegen Sr. Durchlaucht Verlöbniß mit einer Czaarischen Niece, Sr. Durchl. zu behändigen. Er hätte beyde Schreiben lächelnd zum Hertzog hineingetragen, und gesagt: Nun, das ist schön, daß Ihro Durchl. Bräutigam seynd, und wißen nichts davon? Ich freue mich, daß ich der erste bin, der Ew. Durchl. dazu gratuliren kann. Darff ich aber wohl fragen, ob die Hertzogin von Curland die Durchl. Braut ist? Der Hertzog hätte erstlich den Brieff erbrochen und gelesen, der eben so general gelautet, als des Freyherrn v. Eichholtz seiner, und hätte also geantwortet: Er wiße ihm nichts zu sagen, welche es seyn müste. Vieleicht wäre es noch gahr nicht wahr! Der Eichholtz hätte dann den Hertzog gefraget: auf welche er es denn angetragen hätte? und damit wäre es herausgekommen, der Hertzog hätte dem Jagozinsky eine Carte blanche mitgegeben, daß der Czaar ihm diejenige, welche ihm beliebte, geben mögte, und daß der Hertzog demselben den Ring mitgegeben. Sie hätten nun mit Schmertzen auf Briefe aus Petersburg gewartet, welche aber erstlich nach 14 Tagen eingelauffen waren." -

Der Geheime Rath von Habichtsthal, der inzwischen am 6./17. Januar (1716) in St. Petersburg eingetroffen war und von dem persönlichen Eingreifen seines Herrn in die Verhandlungen nichts ahnte und nichts erfuhr, beharrte derweilen, der ihm gewordenen Instruction gemäß, darauf, daß die Herzogin von Kurland die erwählte Braut sein sollte. Eines Abends ließ ihn deshalb der Zar Peter zu sich rufen und erklärte ihm, er habe von dem Herzoge ein Blanket, wonach er demselben von seines Bruders Töchtern geben könne, welche ihm beliebe, und wenn Habichtsthal noch weiter auf die Herzogin von Kurland bestände, würde er sofort nach Sibirien verschickt werden.

Auf solche Argumente blieb freilich dem meklenburgischen Gesandten nichts weiter übrig, als zu schweigen.

Noch an demselben Abend erklärte der Zar seine älteste Nichte, die Großfürstin Katharina Iwanowna, als Braut des Herzogs Karl Leopold von Meklenburg, und Jagushinsky übergab ihr "nomine Ducis" den Ring. -

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Als Habichtsthals Bericht hierüber, mit dem Zusatz, der Zar selbst würde ehestens nach Danzig kommen und die Prinzessin Braut mitbringen, dem Herzoge zuging, klagte der Baron Eichholtz, daß ihnen nun doch "die Hertzogin von Curland entgangen, und eine noch ältere Prinzessin als selbige Fürstin Sr. Durchl. zu Theil geworden."

Der Herzog aber erwiederte: "die Fatalitaet hätte ihm die Catharinam bescheret, und müße er also zufrieden seyn, onerwegen selbige gleichwohl der Czaarin [Praskowja] ihre Favoritin wäre."

Aber er selbst schien doch nicht so ganz ruhig und zufrieden zu sein. Denn nachdem er eine Zeitlang im Zimmer auf und abgegangen, sagte er plötzlich: "Was meynet ihr Eichholtz, solte es auch wohl guth gehen?"

Eichholtz entgegnete: "Gnädigster Herr, daß weiß ich nicht, daß müßen Sie wißen, denn der Rath komt nicht von mir, also stehe ich auch nicht vor deßen Folgen." -

Wenn der meklenburgische Chronist, dem wir in dieser Darstellung zum Theil folgen, seine Meinung dahin äußert; daß der Zar Peter Alexejewitsch sich "solche Wahl hatte wohl gefallen lassen, da er wußte, was Mecklenburg für ein ansehnliches Herzogthum sey," und daß er diese seine "erste Anverwandtschaft mit einem so vornehmen deutschen Reichsfürsten hätte recht sichtbar machen wollen," so hat er durchaus Recht. Peter fühlte sich sehr geschmeichelt und war hoch erfreut über die Vortheile dieser Verbindung für ihn, sowohl was seinen Ehrgeiz, als was seine politischen Pläne anbetraf.

Es war ihm bekannt, daß sein neuer Quasi=Eidam eine keineswegs Sehr sympathische Persönlichkeit sei; er hatte von dessen Streitigkeiten mit seinen Unterthanen, von seiner rücksichtslosen Herrschsucht, von seinem noch nicht beendigten Ehescheidungsprocesse, auch von seinem Geize gehört, und daß sein Lieblingsspruch sei, "alte Schulden müsse man nicht bezahlen und neuen Zeit lassen, alt zu werden," - doch die für ihn schmeichelhafte Vorstellung, Verwandter und Schutzherr eines souveränen, deutschen Reichsfürsten zu werden und in der, damals noch von Schweden besetzt gehaltenen Stadt Wismar einen vortrefflichen Hafen und befreundeten Stapelplatz für seine, mit allen Kräften angestrebte See= und Handesflotte sich zu sichern, überwogen alle persönlichen Bedenken. War Petersburg das Fenster, aus welchem er nach Europa ausblicken wollte, so konnte Wismar die Pforte werden, durch die er in dasselbe einzutreten vermochte.

Wenn er dem Herzoge Karl Leopold nun nicht die von diesem gewünschte Anna von Kurland, sondern deren ältere Schwester Katharina zur Gemahlin bestimmte, so ist das nicht als eine Uebervortheilung, noch als ein Zeichen seiner Geringschätzung des deutschen Fürsten anzusehen,

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vielmehr als ein Zeichen seiner Zuneigung und Hochachtung. Er gönnte diese Auszeichnung mehr der Katharina, als der Anna.

Denn Katharina war nicht nur sein Liebling, sondern auch die an Körper und Geist wohlgebildetste und am petersburger Hofe beliebteste aller Großfürstinnen. Vor allem aber war die "Swjet=Katjuschka" (das sonnige Katharinchen) der Trost und die Freude ihrer Mutter, der klugen und mit ihrem Schwager Peter eng befreundeten Zarin Praskowja. Sie war nach Angabe eines ihrer Biographen "wissenschaftlich" zwar nicht ganz ausgebildet und, trotz ihres Lehrers Ostermann des älteren, nicht einmal der deutschen Sprache ganz mächtig; auch war sie trotz ihrer schwarzen Haare und Augen, sowie einer blendend weißen Gesichtsfarbe nicht eigentlich schön und wohl gestaltet zu nennen (nach dem meklenburgischen Chronisten, auch nach ihrem im Großherzoglichen Schlosse zu Schwerin befindlichen Bildnisse war sie "eine sehr wohlgebildete Printzessin von munterem Geist und leutseligem Wesen"), denn sie war von nur kleinem Wuchse und neigte schon früh dazu, "bis zur Ungeheuerlichkeit dick zu werden"; dagegen aber zog sie die allgemeine Aufmerksamkeit des Hofes durch eine unglaubliche Zungenfertigkeit auf sich, durch ihre Harmlosigkeit, ihr lautes fröhliches Lachen und durch eine besondere Fähigkeit, alles herauszuplaudern, was ihr gerade in ihr leichtfertiges Köpfchen gerieth.

Sie hatte auch schon früh angefangen, in ihrer Umgebung die schönen Hofleute, Pagen und Officiere zu bemerken. Sie zeigte sich gegen diese sehr leutselig, offenherzig und witzig, so witzig, daß die damals am russischen Hofe befindliche Lady Rondo, obwohl, oder vielleicht weil sie kein Wort Russisch verstand, der Meinung ward, Katharina "habe einen satirischen Blick, die Dinge anzusehen."

"Wenn ich einmal in Ihrer Gegenwart Bergholtz einen Ueberläufer und Verräther nennen sollte," sagte Katherina einmal zu dem Kammerjunker Bergholtz, "so brauchen Sie das nicht auf sich zu beziehen; denn ich meine nicht Sie, sondern Ihren Vetter, den Oberjägermeister, der jetzt in schwedische Dienste übergetreten ist."

Bergholtz bemerkt hierzu in seinem Tagebuch, sie habe ihm damit ein Kompliment sagen wollen, aber etwas sonderbar sei es doch herausgekommen.

Auf den Bällen und in Gesellschaften tanzte Katharina gern und viel, "schwenkte sich herum, scherzte und plauderte, und ihr lautes Gelächter erfüllte fortwährend die niedrigen, von Tabaksqualm und Branntweingeruch erfüllten Räume der Festlichkeiten."

Solch munteres Wesen gefiel sehr den russischen Aristokraten und Hofleuten jener anspruchslosen Zeit und machte diese Großfürstin zu

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Aller Liebling. Sie war nicht nur "die Sonne" ihrer Mutter, sondern auch deren Freundin und die Vertraute aller ihrer Geheimnisse.

Sehr oft wandte sich durch sie die alte Zarenwittwe mit ihren Anliegen an Peter, und durch Katjuschka auch schmeichelte sie der neuen (zweiten) Gemahlin desselben (Katharina, der früheren Martha Skowaronskaja), welche damals immer mehr Bedeutung und selbst auf das Privatleben des Hofadels einen maßgebenden Einfluß gewann. So suchte auch die kluge alte Frau sich dieselbe auf jede Weise für sich und ihre Familie geneigt zu machen.

Katharina war bereits 24 Jahre alt geworden, als sich ihr großmächtiger Oheim endlich, im Januar 1716, entschloß, sie durch den Herzog Karl Leopold von Meklenburg unter die Haube zu bringen.

Noch an demselben Tage, an dem er dem herzoglichen Bevollmächtigten seine Entscheidung mitgetheilt hatte, begann er mit ihm die Ehepacten festzusetzen. Auf Grund dieser ward der Herzog verpflichtet, baldmöglichst an einem noch genauer zu bestimmenden Orte mit der Großfürstin unter, für seinen und der Braut hohen Rang geziemenden Gepränge Hochzeit zu machen. Ihre großfürstliche Hoheit wird griechisch=orthodox bleiben, ebenso ihr Gefolge, und sie wird in ihrer künftigen Residenz eine griechische Kapelle haben. Für ihren und ihrer Dienerschaft Unterhalt wird der Herzog eine ausreichende Geldsumme zur Verfügung halten, auch sollen alle Hofdamen anständige Unterhaltsgelder empfangen und auf dem Tische Ihrer Hoheit müssen an bestimmten Tagen der Woche Fastenspeisen stehen. Im Fall seines früheren Ablebens verpflichtet sich der Herzog, für seine Gemahlin das Schloß zu Güstrow als Wittwensitz und einen Jahresgehalt von 25000 Thalern auszusetzen. Dagegen verpftichtet sich der Zar, seine Nichte mit Equipagen, Garderobe u. s. w auszustatten, und außerdem als Aussteuer 200000 Rubel zu geben, falls es ihm nicht gelingen sollte, für den Herzog mit Waffengewalt die noch von Schweden besetzten Hafenplätze Wismar und Warnemünde zu gewinnen.

Dieser Ehevertrag wurde von den beiderseitigen Bevollmächtigten, meklenburgischerseits von Habichtsthal, russischerseits von dem Vicekanzler Schasirow unterzeichnet. Später kam noch ein besonderer Artikel hinzu, durch welchen der Herzog verpflichtet wurde, vor der Trauung mit Katharina den sicheren Nachweis der vollzogenen Ehescheidung von seiner ersten Gemahlin beizubringen. - Dieser Artikel blieb freilich nur geschrieben und hatte keine weiteren Folgen.

Nach der also vollzogenen Verlobung hatte Zar Peter eine mehrstündige Unterredung mit der Mutter der Braut, der Zarin Praskowja. War sie zufrieden mit der von ihm für ihre Swjet Katjuschka getroffenen Wahl? Das ist unbekannt. Jedenfalls aber

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kannte sie den festen und schroffen Character ihres Schwagers und fügte sich. Sie bat ihn aber inständigst, da sie selbst durch Krankheit behindert war, die Hochzeit ihrer geliebtesten Tochter nur in seiner eigenen Gegenwart stattfinden zu lassen und deren künftigem Gemahle anzubefehlen, daß er sie als seine Gattin gut behandle. Sie war untröstlich, daß sie der bevorstehenden und ihrem mütterlichen Herzen so nahe gehenden Feier nicht selbst beizuwohnen vermochte, denn sie war um diese Zeit körperlich schwach und litt an der Gicht in beiden Füßen.

Bald nach dieser Unterredung Peters mit seiner Schwägerin erbat und erhielt Habichtsthal beider letzteren seine Abschiedsaudienz. Die alte Frau empfing und bewirthete ihn gastlich und aufs Herzlichste. Darnach verabschiedete er sich auch bei allen übrigen Mitgliedern der Zarenfamilie und begab sich auf die Heimreise nach Meklenburg.

Noch in demselben Monate dieses Jahres (27. Jan./7. Febr. 1716) nahm auch die hohe Braut von ihrer Mutter einen thränenreichen Abschied und begab sich mit ihrem Oheim Peter, mit dessen Gemahlin Katharina und einem großen Gefolge auf die Reise von Petersburg nach Danzig.

Auf die dem Herzoge Karl Leopold zugegangene Nachricht von der Abreise des Zaren hatte dieser inzwischen zunächst wieder nach Hamburg an Bendix Goldschmidt geschrieben, daß er ihm für 70000 Thaler Juwelen verschiedener Art zusenden sollte. Dann berief er den Geheimen Rath, um zu erwägen, was besser sei: ob der Herzog, obwohl bisher noch nicht eingeladen, gleich selbst zum Zaren nach Danzig reisen, oder vorher erst eine Gesandtschaft dahin schicken müßte. Eichholtz rieth zum letzteren, "indem es fürstlicher heraus käme, eine Gesandtschaft vorher zu senden, alß so gleich auf einen blauen Dunst hinein zu platzen, und sich selbst auf die Reyse zu begeben."

Anfangs neigte auch der Herzog selbst dieser Ansicht zu, und es waren schon die Beglaubigungsschreiben für Eichholtz als außerordentlichen Gesandten aufgesetzt, als der Herzog plötzlich meinte, es wäre doch besser, wenn er gleich selbst hinführe. Und dabei blieb es.

Gegen Ende Februar war man so weit, die Reise nach Danzig antreten zu können. Es geschah dies in vier "Reise=Chaisen". Dabei zeigte sich der Herzog wieder einmal so sparsam, daß er, wie Eichholtz klagt, ihm, dem Obermarschall, nicht hätte gestatten wollen, seinen Kammerdiener mitzunehmen. Erst nachdem der Freiherr erklärt, dann auch selbst zurückbleiben zu wollen, hätte der Herzog es geschehen lassen.

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Bei ihrer Ankunft in Perleberg erfuhren die Reisenden von dem dortigen Postmeister, daß in den letzten Tagen ein russischer Officier von Danzig her durchgekommen sei, nach dessen Aussagen man zweifeln konnte, ob der Zar in Danzig weile.

Man hielt diese Nachricht zwar für wenig glaublich, doch rieth jetzt Eichholtz dem Herzoge, um möglicherweise keine vergebliche Reise zu thun, vorläufig selbst wieder nach Meklenburg zurückzukehren und ihn, den Marschall, als Gesandten die Reise allein fortsetzen zu lassen; wenn er in Stettin oder Stargard Gewisseres über des Zaren Abreise aus Danzig vernehmen würde, wollte er einen der Stallknechte als Boten zurückschicken und dann möchte der Herzog nicht säumen, alsbald nachzukommen.

So geschah es denn auch. Der Herzog fuhr ins Meklenburgische zurück, Eichholtz aber nach Stettin weiter. Da hier nichts von des Zaren Abreise von Danzig bekannt war, sandte er den Stallknecht mit solcher Botschaft an den Herzog zurück.

Er selbst fuhr dann nach Danzig weiter und traf dort Anfang März ein. Er ließ sich beim Zar und dessen Familie melden, wurde sehr gnädig empfangen und überall mit dem Zaren zusammen eingeladen. Doch er, der die Unzuverlässigkeit seines Gebieters genugsam kennen zu lernen Gelegenheit gehabt hatte, hegte im Geheimen die Besorgniß, der Herzog könnte möglicher Weise seinen Entschluß ändern und gar nicht zur Hochzeit kommen, und daß man dann vielleicht ihn, den unschuldigen Gesandten, dafür büßen lassen und nach Sibirien verschicken könnte. Denn täglich frug der Zar: "Wann kumm Hertzog?" -

In diesen Tagen, am Abend vor der Ankunft des Herzogs, erschien am Himmel ein großes Nordlicht, dessen blutiger Schein sich vom Horizont bis an den Zenith erhob. Zar Peter schrieb darüber nach Rußland: "- - das ist zwar nur eine natürliche Erscheinung, aber doch entsetzlich anzusehen . . . ."

Diese Himmelserscheinung war auch in St. Petersburg sichtbar gewesen, und wenn schon der aufgeklärte Peter ihren Anblick entsetzlich fand, wie dann das abergläubische Volk und der größte Theil des damals nicht viel mehr aufgeklärten russischen Adels. Alle hielten sie für ein wunderbares, Unheil und schreckliche Unglücksfälle verkündendes göttliches Warnungszeichen, so daß Mentschikow es sogar für geboten erachtete, einer Reihe von vornehmen Familien anzuzeigen, daß diese Erscheinung nichts Unnatürliches, sondern etwas ganz Gewöhnliches sei: nach dem allgemeinen Urtheil der Philosophen bestände dieselbe aus schwefligen und salpetrigen Ausdünstungen, und solch Leuchten sei in nördlichen Breiten ein sehr gewohnter Anblick. Solche Erklärungen vermochten natürlich wenig gegen die Deutungen

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eines schreckhaften Aberglaubens, dem auch in hohem Grade die Zarin Praskowja unterlag. Diese, welche sich eine ganze Sammlung geistig und körperlich verkrüppelter Bettler beständig in ihrem Hause hielt, dieselben pflegte und verhätschelte und die blödsinnigen Aussprüche einiger unter ihnen für pythische Orakelsprüche und wahrhafte Prophezeiungen hielt, forschte ängstlich bei diesen ihren Hauspropheten nach der Deutung jener überirdischen Offenbarung und bestürmte mit heißen Gebeten in den Gotteshäusern die unvergänglichen Leichen der wunderthätigen Heiligen um das Wohl und Wehe ihrer angebeteten Katjuschka. -

Diese erwartete inzwischen, bei ihrem glücklichen Charakter fröhlich und wohlgemuth, um die Zukunft unbekümmert, durch Gesellschaften und Lustbarkeiten zerstreut und von dem neuen Leben, von den neuen, sie umgebenden Personen und Verhältnissen angenehm beeinflußt und angezogen, ihren Bräutigam.

Endlich, am 8./19. März, kam, wie Eichholtz erzählt, der Intendant Walter bei ihm "angestochen", der ihm meldete, der Herzog sei da; er habe ihn eine halbe Stunde vor der Stadt in einem Wirthshause verlassen.

Eichholtz fuhr sogleich hinaus, brachte den Herzog heimlich in die Stadt, meldete die Ankunft desselben dem russischen Kanzler Jagushinsky und führte ihn gegen Abend mit sich ins Haus des Fürsten Theodor Potocki, des damaligen Bischofs von Ermland, wo der Zar mit Familie zu Gaste war. Als seine Ankunft gemeldet wurde, rief Peter: "Wo ist Ober=Marschall?"

Statt des Gerufenen trat Herzog Karl Leopold selbst vor, "und der Herr v. Jagozinsky hat ihn präsentiret und gesagt: Das ist der Hertzog selbst!"

"Der Czaar ist damit demselben umb den Halß gefallen, hat ihn geküßet, und ihn zu der Czaarin so wohl als der Printzeßin Braut geführet." -

Es erschienen viele Gäste und Gratulanten, deutsche, russische und polnische Minister und Abgesandte. Gegen den Zaren zeigte der Herzog "größere Demuth als gegen Sr. Kays. May., ja fast gahr eine Sclavische Verehrung. Gegen der Czaarin und der Printzeßin hätte er sich zwar ungemein höfflich, allein auch daneben sehr frostig bezeiget, so daß auch der Freyherr von Eichholtz solches wahrgenommen, und zu der Ober=Hofmeisterin hingetreten und gesagt: "Es scheine, daß der durchl. Herr Bräutigam noch nicht bekandt genug, und von der Reyse übel aufgeräumt wäre, es würde sich aber wohl geben."

Während der Abendtafel, an die "man sich nach des Czaaren Ahrt pêle mêle gesetzet," schien es Eichholtz, als ob das Gesicht

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seines Herrn, der zur Seite des Zaren saß, wieder den ihm eigenen "kaltsinnigen, frostigen" Ausdruck angenommen habe. Er erhob sich deshalb, nahm seine Aufstellung hinter jenen Beiden und flüsterte gelegentlich dem Herzoge ins Ohr, "er solte dem Czaar ein großes Deckel=Glaß auf den Vatters und Sohns Nahmen zubringen."

Der Herzog folgte diesem Rathe; Zar Peter nahm es an, trank und küßte Karl Leopold als seinen Schwiegersohn. Dann erlaubte sich der Freiherr von Eichholtz auch an ihn das Wort zu richten:

"Ihro Czaarische May. haben nun meinen gnädigsten Herrn vor einen Sohn angenommen, und ihm eine Gemahlin gegeben, dürffte ich mir nicht auch eine erbitten?"

Der Zar sah ihn verwundert an und fragte: "Wat? bynt ghy noch niet gehouwelt?"

Dann nahm er ihm die Perrücke ab, betrachtete ihn genau und setzte hinzu: "Dar booven bynt ghy een braf keerl, ende hefft gooden Verstand, maer daer onden steit et schlicht."

Eichholtz ist darauf ganz roth geworden und sehr still geblieben, bis nach dem Essen getanzt worden ist. Da hat ihm der Zar befohlen mitzutanzen. Er aber antwortete: "Der Czaar hätte ihn so in öffentlicher Gesellschaft beschimpfft, daß er sich zu keiner dame machen dürffte."

Allein der Zar erwiederte lachend: "Er wollte ihm schon seine Gattung finden." -

Der gegenseitige Eindruck zwischen dem hohen Bräutigam, der nach meklenburgischer Ueberlieferung ein sehr schöner und stattlicher Herr gewesen sein soll, und der Familie seiner Braut an diesem ersten, dem eigentlichen Verlobungstage, war im allgemeinen ein recht günstiger.

Auch am zweiten und dritten Tage, die ebenso wie die später folgenden bis zur Hochzeit unter Besichtigung der Kirchen, sehenswerther Schlösser, Bauwerke und Kunstsammlungen, Ausflügen in die Umgegend, Veranstaltung theatralischer Aufführungen und glänzender Gesellschaften vergingen, betrug sich der Herzog sehr verständig. Doch am vierten Abende erhob sich eine Meinungsverschiedenheit, was besser sei für die Reiterei, ob zu stechen auf Schwedisch, oder zu hauen auf Russisch. Der Zar behauptete das letztere, der Herzog das erstere und zwar beide so hartnäckig und heftig, und der Streit darüber wurde so laut, daß "der Eichholtz Judas=Schweiß geschwitzet."

Zu Hause hat er deshalb zum Herzog gesagt: "Umb Gotteswillen gnädigster Herr! menagiren sie sich doch! Sie haben mit einem sonderlichen Herrn zu thun, den man nicht vor den Kopf stoßen muß. Was geht Ew Durchl. das Hauen oder Stechen an? Sie sind zwar wohl zum Stechen hergekommen, aber doch nicht auf solche Ahrt!"

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Der Herzog antwortete: "Er müßte den Czaar bey Zeiten so gewehnen, wie er ihn haben wolte."

Die Tage der Vorbereitungen zur Hochzeit und des Aufenthalts in Danzig gingen aber nicht allein unter Glanz und Festlichkeiten dahin, sondern auch unter geschäftlichen, juridischen, diplomatischen und politischen Verhandlungen, deren Mittelpunkt die ebenso mächtige, wie originelle Persönlichkeit Peters I. bildete. Es waren nicht nur Bevollmächtigte der Könige von Preußen, Hannover, England und Dänemark, ferner die Bischöfe von Ermland und Kujavien, der sächsische Feldmarschall von Flemming und andere hohe Persönlichkeiten, sondern auch der prachtliebende König von Polen, August II., in eigener Person erschienen. Hier wurde der drohende nordische Bund gegen Schweden fester geschlossen, und diese politischen Verhandlungen machten sich sogar in dem, zwischen den meklenburgischen und russischen Räthen endgültig festgestellten Ehevertrage geltend. Aber gerade der wichtigste hierin aufgenommene Artikel, betreffend Wismar, sollte, wie wir später sehen werden, nicht zu dem Ende hinausführen, welches sich Peter und Karl Leopold davon versprochen hatten.

Auch für die problematische Natur des letztgenannten Fürsten ist der Abschluß dieser Ehepacten wieder sehr bezeichnend.

Eichholtz erzählt, als der Graf Horn den Ehevertrag des letztverstorbenen Herzogs von Meklenburg und dessen Gemahlin aufgesetzt, habe derselbe weiter keine Mühe davon gehabt, als aus den älteren "Pactis Domus Serenissimae" einen Auszug zu machen und "Alles auf denselben Fuß zu reguliren", und dafür habe dieser Graf Horn "1000 Ducaten Species und noch 5000 Gulden an Silber" geschenkt erhalten. Jetzt aber wollten die Russen von jenen alten Tractaten nichts mehr wissen, sondern sagten: Es handle sich nunmehr um eine kaiserliche Prinzessin, die ganz anders versorgt werden müsse, als die früheren Herzoginnen von nicht so hoher Abkunft. Diesen, wenn sie anderen Glaubens als der Landesfürst gewesen, wäre nur gestattet worden, sich einen Beichtiger zu halten; die Russen aber verlangten außer dem Unterhalt von einem Archimandriten noch den von zwölf Vorsängern; die früheren Oberhofmeisterinnen hätten 500 Thaler Besoldung bezogen, für die jetzige würden 3000 gefordert und in gleichem Maße mehr für die übrigen Hofdamen, Beamte u. s. w.

So stritt sich der arme Eichholtz tagelang mit Golowkin, Schafirow und Tolstoj herum, so daß er "hätte mögen Blut speyen"; doch sobald der Herzog abends zur Zarin kam, vermochte er ihren Vorstellungen nicht zu widerstehen und erklärte sich mit allen Forderungen der russischen Räthe einverstanden.

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Infolge dessen fingen die russischen Hofdamen schon an, Eichholtz förmlich zu hassen, und bei seinem Erscheinen hörte er sie laut sagen: "Hu Ober=Marschall! Böß Mann, böß Mann!"

Nur der Zar Peter pflegte ihn in Schutz zu nehmen, wenn er solches hörte, und sagte: "Er hat recht, er thut, was sein Herr ihm befielet, und was er demselben zuträglich zu sein glaubet."

Ein anderer Fall:

Die russischen Unterhändler boten dem Herzoge als Brautschatz die Summe von 200000 Rubeln an, als Erbtheil der Großfürstin von ihrem verstorbenen Vater Iwan V. Allein Karl Leopold, in einer plötzlichen Anwandlung von Großmuth, schlug dies Anerbieten aus, indem er sagte: "Das würde nur seiner Familie zur Last kommen, wann die Hertzogin stürbe, daß dieselbige das wieder herausgeben müste, also wolte er solches nicht haben, sondern lieber aus das ungewiße Wismar versichert seyn."

Doch der meklenburgische Adel, der von diesem Anschlage auf Wismar Wind erhalten hatte, und dem ebenso wenig, wie den übrigen nordischen Verbündeten daran gelegen war, die Russen durch jenen trefflichen Hafenplatz in Meklenburg festen Fuß gewinnen zu lassen, wußte mit der schwedischen Besatzung ein heimliches Abkommen dahin zu treffen, daß diese die Festung an die sie bereits belagernden Truppen der Verbündeten übergeben sollte, ehe die Russen dazu kämen. So kapitulirte denn Wismar am 19. April, an demselben Tage, an welchem Karl Leopold mit der russischen Katharina in Danzig Hochzeit feierte, und ward am 23. d. M. von dänischen, preußischen und hannoverschen Truppen besetzt, um später beim Friedensschluß an Schweden wieder zurückgegeben zu werden.

"Also sind uns diese 200000 Thaler aus der Nasen gegangen", klagt Eichholtz, "die man hätte auf Abschlag der ungerechten [russischen] exactionen dereinst einbehalten können."

Freilich muß man auch dabei fragen, wer hierin politisch kurzsichtiger, selbstsüchtiger und unpatriotischer gedacht und gehandelt hat, der Herzog oder der Adel von Meklenburg? -

Neben den Ehepacten, in welchen sich der Herzog verpflichtete, seiner Gattin jährlich ein Nadelgeld von 6000 Thalern zu geben, schlossen Peter und Karl Leopold noch einen besonderen festen Bund mit einander zu Angriff wie zu Vertheidigung. In den neun Artikeln dieses Vertrages verspricht der Zar seinem schwächeren Verbündeten Unterstützung mit Geld und Truppen, um den Schweden Wismar und das dazu gehörige Gebiet zu entreißen; verlangt aber alle, in des Herzogs Macht stehende Vorschubleistung zum erfolgreichen Vorgehen des russischen Heeres. Im Falle unangenehmer Verwickelungen

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des Herzogs mit dem Kaiserhof in Wien wollte sich der Zar bei letzterem durch seinen Vertreter für seinen Verbündeten verwenden. Der Artikel 7 dieses Vertrages gab Peter das Recht, seine Kriegs= und Handelsschiffe ungehindert nach den meklenburgischen Häfen schicken zu dürfen. Auch sollten die russischen Kaufleute unter dem besonderen Schutze des Herzogs leben und handeln, Geschäftsverträge abschließen und ihre eigenen Kirchen haben dürfen. Ferner verpflichtete sich Karl Leopold, allen Truppen des Zaren stets freien Durchzug durch sein Land zu gewähren, sie daselbst Vorrathsmagazine einrichten zu lassen u. s. w.

Nachdem diese Verträge aufgesetzt und unterfertigt waren, dachte der Herzog scheinbar gar nicht mehr an den Vollzug der Ehe. Er vermied es, an den vom Zaren veranstalteten Lustbarkeiten theilzunehmen, indem er sich mit einer Unpäßlichkeit oder dringlichen Arbeiten entschuldigte 1 ); seiner Braut begegnete er kühl zurückhaltend und den russischen Hofleuten und Würdenträgern sogar hochtrabend und verächtlich, so daß er bald ganz deren frühere Zuneigung und Verehrung verlor. Doch der Zar, der wohl nicht gern die aus dieser Verbindung erhofften Vortheile wieder verlieren wollte, bestand auf einem schnelleren Vollzuge der Vermählung, obwohl die Scheidung von der ersten Frau noch immer nicht in unangefochtener Weise vorlag.

Am 7./18. April 1716, dem Vorabend des nunmehr endgültig festgesetzten Hochzeitstages, nahm Herzog Karl Leopold das heilige Abendmahl.


1) Die Lustbarkeiten an den deutschen und nordischen Höfen damaliger Zeit bestanden nach zeitgenössischen Berichten fast ausschließlich in unmäßigen Völlereien und Saufgelagen. Der Kammerjunker von Bergho1tz, der den Herzog von Holstein nach Rußland begleitete, erzählt davon sehr eingehend in seinem "Tagebuch" und sagt dabei, daß er und andere Hofleute gern jeden Vorwand benutzt hätten, sich diesen Festivitäten zu entziehen, da sie dieselben nicht zu ertragen vermocht hätten. Der Herzog Karl Leopold war nun aber, nach des Freiherrn v. Eichholtz Zeugniß, ein großer Feind "alles Gesöffs. Es hätte sich zugetragen, daß einmahl der [als Saufheld berühmte] Baron Görtz durch Schwerin passiret, da dann er [Eichholtz] an des Hertzogs Taffel die Honneurs vom Hause gemacht und nicht allein mit gedachtem Freyherrn von Görtz sich wacker voll gesoffen, sondern auch viel schmutzige Historia über Taffel erzehlet; da dann der Hertzog ihn wacker reprimandiret, daß er so unflätig sich aufgeführet, und gesagt, daß solches einem Christen und Cavallier gar nicht anstünde; daß er sich selbst geschämet, und darnach sich mehr für den überflüssigen Trinken gehütet." - Man würde sich aber irren, wollte man hiernach annehmen, daß solche Enthaltsamkeit dem Herzoge Karl Leopold von seinen Zeitgenossen und Biographen als Tugend angerechnet worden wäre, zumal in den Kreisen der russischen Hofleute. Im Gegentheil; wir werden bald weiter unten sehen, daß ihn der Zar Peter deshalb als einen "Gecken" bezeichnete.
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In der Frühe des nächsten Tages trat Eichholtz zu seinem Herrn ans Bett und fragte: "Wie stehet es umb das Hertzgen? Finden Ew. Durchl. sich fein ruhig?"

Der Herzog bejahte und kleidete sich gar prächtig an, hing sich auch seinen großen Degen mit dem breiten reich gestickten Gehänge um, legte aber keine "Handblätter" (Manschetten) an; denn diese verabscheute er.

Er mochte der schwedischen Mode nicht entsagen, obwohl sich der Zar häufig über solche zu den Hofleuten des Herzogs verdrießlich geäußert hatte. Eichholtz glaubte ihn deshalb jetzt darauf aufmerksam machen zu müssen und sagte: "Gnädigster Herr! Mit wem wollen sie fechten, daß sie einen so großen Degen und Wehrgehäng tragen, ist es nicht beßer, sich wie andere Printzen modeste und mit keiner sonderlichen Distinction zu kleiden?"

Allein er hat ihm diese schwedische Mode nie abgewöhnen können. -

Den großen Degen seines Herrn scheint Eichholtz ganz besonders gehaßt zu haben. Er hatte auch einen gewissen Grund dazu, wenigstens nach dem, was er später selbst davon in Wien erzählt hat:

Zar Peter liebte es, nur in kleinen Zimmern zu wohnen und auch in solchen seine Gesellschaften zu geben. So auch in Danzig während der Festtage. In diese engen Räume konnten deshalb nur wenig Leute aus der Gefolg= und Dienerschaft der geladenen Gäste zugelassen werden. Jeder hatte darum zu seiner Bedienung nur einen Pagen bei sich. In des Herzogs ganzem Gefolge befand sich aber nur ein solcher. Eines Abends nun, als in jenen kleinen Zimmern auf deutsche und polnische Weise getanzt werden sollte, scheint dieser Page nicht zugegen gewesen zu sein, denn als der Herzog Degen und Gehänge abschnallte, war Niemand da, der sie halten konnte. Deshalb mußte der Oberhofmarschall von Eichholtz selbst heran, den Degen nehmen und mit ihm unter den übrigen Pagen in gleicher Verrichtung stehen. Da nähert sich ihm eine der russischen Damen und fordert ihn zum Tanze auf. Er geräth in Angst und weiß nicht, wohin mit seines Herrn Schwerte, bis sich endlich der Page des Königs von Polen höflichst erbietet, dasselbe so lange zu halten, bis Eichholtz seiner galanten Pflicht Genüge geleistet. Darnach mußte er wieder den Degen halten. Zu seinem Unglück wurden jetzt aber die russischen Minister Golowkin, Schafirow und Tolstoj seiner gewahr, tranken auf des Zaren und des Herzogs Gesundheit und riefen ihm zu, er sollte ihnen aus dem Deckelglase Bescheid thun. Eichholtz, der kein Feind eines guten Trunkes war, ließ sich dazu bewegen und, indem er also vor jenen stand, den

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Degen in der einen und das Glas in der anderen Hand, meint er, müsse er "eine recht Ober=Marschallische Figur gemacht haben". Er hatte noch nicht das Glas "ausgeneiget", als es hieß: der Herzog geht weg! Da ist er denn beinahe "Halß über Kopff die Stiegen hinabgepoltert", um Sr. Durchlaucht den Degen nachzubringen.

Am Hochzeitstage speiste Karl Leopold in seinem Hause allein zu Mittag.

Darnach, um zwei Uhr, erschien der russische General Adam Weide, um in seinem Wagen den hohen Bräutigam zum Zaren abzuholen; denn der Herzog hatte keine eigene "Equipage" mitgebracht. Vor ihm her fuhr in gemietheten Kutschen sein Gefolge, nämlich der Hofintendant Walter, der Geheime Rath von Habichtsthal, der Oberhofmarschall von Eichholtz und der Kammerjunker von Bergholtz.

Der freie Platz vor dem Hause des Zaren und sogar die umliegenden Dächer waren mit neugierigem., Volk bedeckt.

Als der Herzog aus dem Wagen stieg, blieb seine Perrücke an einem kleinen Haken hängen und wollte sich gar nicht wieder ablösen lassen. So mußte ihr Besitzer einige Minuten ("wohl drei Vaterunserlang") kahlhäuptig, "gleich als außer sich" vor dem Volke stehen, ehe es dem getreuen Eichholtz gelang, die Perrücke von dem Nagel zu befreien und sie seinem Herrn wieder aufzusetzen.

Beim Zaren befand sich bereits August II. von Polen. Beide Majestäten empfingen den Bräutigam sehr herzlich. Der Zar legte ihm in Gegenwart der übrigen Ritter den St. Andreasorden an, und alle Kavaliere umarmten und küßten der Reihe nach ihren neuen Kameraden.

Dann trat man bei der Braut ein, die mit der großfürstlichen ("fast kayserlichen") Krone geschmückt war, und hierauf begab sich die ganze Gesellschaft in langem Zuge zu Fuß durch die Straßen nach der eigens zu diesem Zweck von Holz errichteten griechischen Kapelle.

Der russische Bischof vollzog die Trauung trotz der von den meklenburgischen Räthen geltend gemachten Bedenken, daß der Ehescheidungsproceß mit der ersten Gemahlin des Herzogs in Wien noch nicht entschieden sei, und daß, da der griechische Ritus im römisch=deutschen Reiche noch nicht anerkannt sei, die Gesetzlichkeit dieser neuen Ehe in der Folge möglicherweise in Frage gezogen werden könne. Eichholtz rieth deshalb dem Herzoge, nachträglich sich noch einmal von einem Geistlichen eines im Reich anerkannten Glaubensbekenntnisses trauen zu lassen. Doch Karl Leopold folgte diesem Rathe nicht.

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Die Zeremonie der Trauung dauerte zwei Stunden. Während derselben wechselte der unruhige Zar Peter häufig seinen Platz und hielt es nicht unter seiner Würde, selber den Chorsängern anzugeben, welche Psalter sie singen sollten.

Nach Beendigung dieser feierlichen Handlung begab sich die ganze Hochzeitsgesellschaft wieder in langer Prozession ins Zarenquartier zurück zur Abendtafel, welche in einem langen, schmalen Zimmer gedeckt war. Unterwegs hörte man zuweilen laut im Volke rufen: "Schau! der Herzog hat keine Manchetten an!"

Bei Tafel hat der Obermarschall zu seinem großen Verdruß wieder des Herzogs Degen halten und damit hinter demselben stehen müssen, "worüber der Feldmarschall Flemming sehr gehohnlächelt und geschmutzet [gestichelt] hätte." Endlich aber hat er den Degen an den Läufer des Herzogs, der zugleich Pagendienste verrichtete, abgeben können.

Das Hochzeitsbett befand sich in einem ganz nach japanischem Geschmack eingerichteten Zimmer. Dieses war mit japanischen Lackmöbeln und Sachen, davon, nach Eichholtz, die Russen sehr viel besaßen, ganz angefüllt. Auch die Bettstelle war daraus angefertigt, und der Obermarschall fürchtete schon, der Herzog werde sich garnicht hineinlegen, da er den Lackgeruch durchaus nicht liebte.

Nach aufgehobener Festtafel ward auf dem freien Platze vor dem Hause ein großes Feuerwerk abgebrannt. Der Zar begab sich in Begleitung des Herzogs Karl Leopold und des Königs August auf den Platz hinaus, bewegte sich lebhaft unter dem Volke umher und fand ein ganz besonderes Vergnügen daran, die Raketen selbst anzuzünden.

Auch der Herzog schien in solchem vergnüglichen Ulk den eigentlichen Zweck dieses Tages und der darauffolgenden Nacht zu sehen; er schien an nichts weiter zu denken. Endlich näherte sich ihm sein getreuer, schlaftrunkener Eichholtz und sagte, "die Braut hätte sich schon umb 10 Uhr retiriret, jetzo sey es 1 Uhr, Sr. Durchl. mögten doch belieben zu Bett zu gehen." Es war aber nicht leicht, den Herzog zu bereden; endlich gelang es, und auch unser Obermarschall legte sich todtmüde und "dick berauscht" ins Bett.

Aber es war ihm keine lange, ungestörte Ruhe bescheert. Bereits vor 4 Uhr weckte ihn jemand auf mit der Frage: "Eichholtz! Eichholtz! schlafft Ihr?"

Endlich erwachend und sich nur schwer besinnend, sieht er den Herzog vor dem Bette stehen. Er erschrak heftig und glaubte, "es wäre ebenso hergegangen, wie bey der verstoßenen Gemahlin." Allein der Herzog gebot ihm, keinen Lärm zu machen, und erklärte, sich zu

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ihm legen zu wollen. "Der Herr von Eichholtz aber hat ihm das gantze Bett überlaßen, und sich zu dem Birchholtz geleget."

Trotz dieses sonderbaren Vorganges begab sich Karl Leopold am Vormittage zu seiner neuen Gemahlin und überbrachte ihr reiche Geschenke. Darnach befahl er seinem Oberhofmarschall, sogleich der Kaiserlichen Majestät in Wien und allen Kurfürsten den geschehenen Vollzug der Heirath anzuzeigen.

"Dem Eichholtz ist zwar," heißt es darüber in den Anecdotes etc., "von dem vielen Gesöff der Kopff ziemlich toll und wüste gewesen, allein er hat doch die Schreiben gemacht, wie wohl das Churfürstl. nur ein Circulair=Schreiben, jedoch mit Unterschied der Religionen gewesen, indem man bey denen Catholicis der Sache einen andern Mantel hat umhangen müßen. Der Herr Reichs=Vice=Cantzler hat hernachmahls das Schreiben an den Kayser sehr gelobet, aber gleichwohl gesagt, daß es sehr hardy gewesen, daß der Hertzog sich unterstanden hätte, dieses so an den Kayser zu schreiben, da er doch nicht gewüst, wie Se. Kays. May. solches empfinden würden.".-

Auch Zar Peter schrieb darüber nach Rußland an den Admiral Apraxiu: "Ich benachrichtige Sie, daß am gestrigen Tage die Trauung Unserer Nichte mit dem Herzog von Meklenburg in Anwesenheit des Königs von Polen und vieler anderer vornehmer Personen unter Kanonengedonner und feierlichem Feuerwerk vollzogen worden ist, wozu Ich Ihnen gratulire." -

An diesem Tage bewirthete der König August von Polen die Neuvermählten und veranstaltete ein großartiges Fest mit verschiedenen Ueberraschungen. Der Glanz und die Verschwendung an dem sittenlosen Hofe dieses prachtliebenden, ehrgeizigen und in Entdeckung von allerlei üppiger Kurzweil so findigen, doch in der Politik so unbedeutenden Fürsten ist genugsam bekannt, um zu begreifen, daß er an diesem Tage der Held war, der seinen Gästen zu imponiren verstand. Durch die bei dieser Gelegenheit so musterhaft aufgeführte Schlacht der Sachsen gegen die städtische Miliz, durch Feuerwerk, Kanonendonner und allerhand Spiele erreichte er denn auch hier seinen Zweck, sich in des mächtigen Zaren Gunst in gleichem Maße einzuschmeicheln, wie er das Vertrauen seiner früheren Verbündeten zu verscherzen verstanden hatte. -

Am nächsten Tage war Familientafel beim Herzog. An dieser sollten außer der Oberhofmeisterin auch die drei russischen Hoffräulein der Herzogin theilnehmen. Diese waren die schöne, der Familie des Zaren nahe verwandte Saltikowa, die Balck und die Wojeckowa.

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Der Herzog erkundigte sich, wie es früher gehalten worden wäre, ob die Hoffräulein mit am Herzogstische oder an der Marschallstafel gespeist hätten. Eichholtz meinte, am Herzogstische.

Der Herzog entgegnete scherzend, das sage er nur, weil er in die Saltikowa verliebt sei.

Eichholtz erwiederte: "Wann es dem also wäre, was wäre es dann mehr?"

"So käme er alsdann in seine Verwandtschaft," sagte der Herzog.

"Eichholtz aber hat sich der Ehre bedancket und gesagt: er mögte sie jetzo nicht, es sähe so sehr wunderlich aus, wenn Mann und Frau nicht mit einander reden könten."

Es blieb also dabei, die Hofdamen sollten mit an der Herzogstafel sitzen.

Im Hause des Herzogs befand sich ein Wintergarten, an welchen die beiden Speisezimmer stießen; das obere war für die Herrschaft eingerichtet, im unteren befand sich die Marschallstafel. Kurz vor Beginn derselben ließ der Herzog abermals den Oberhofmarschall rufen und ordnete an, die Damen, mit Ausnahme der Oberhofmeisterin, sollten an der Marschallstafel speisen, und begründete diese Maßregel mit den Worten: "Man müßte die Frauen gewöhnen, wie man sie haben wolte."

Eichholtz erklärte, "daß würde sie sehr vor den Kopff stoßen. Er wolte selbst an der Marschals=Taffel bleiben, damit, wenn die Dames sehen, daß er als Geh. Rath und Ober=Marschall daran vorlieb nehme, sie sich desto ehender zufrieden geben, Birchholtz solte derweil seine Stelle vertreten."

Als nun der Herzog mit seiner Gemahlin im Wintergarten die Treppe hinaufstieg, bot Eichholtz dem Fräulein Saltikow seinen Arm und führte sie an die Marschallstafel, indem er ihr durch die Balk übersetzen ließ, "sie würden hier weit besser und zufriedener seyn, als an des Hertzogs Taffel.

"Die Soltikoff hat aber erschrecklich gerißen, geheulet und geweinet, sich auch ihren Stutzen und Windfächel nicht nehmen laßen, hat keinen Bißen eßen wollen, obgleich der Eichholtz niedergekniet, ihr die Hände geküßt, und gebethen hat, sie mögte sich zufrieden geben; da ist nichts zu thun gewesen, und die andere Beyde haben aus Furcht auch nicht essen dürffen."

Gleich nach aufgehobener Tafel "ist die Fräulein Soltikoff zur Hertzogin hingelauffen, und da ist es an ein Schreyen, Heulen und lamentiren gegangen, daß es erschröcklich gewesen anzuhören."

Zar Peter empfand stark diese That des Herzogs, und die Soltikowa ward sogleich von dessen Hofe abberufen. -

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Doch trotz alledem legte sich die Ehe der Neuvermählten in der nächsten Zeit recht glücklich an. Wenigstens findet sich in den Briefen der Herzogin Katharina an ihre Mutter keinerlei Klage oder Unzufriedenheit mit ihrem Loose. Ihr munterer, lebenslustiger Sinn fand während des Honigmonds, den sie noch weiter in Danzig zubrachten, in Tanz, Aufwand und Lustbarkeiten aller Art vollauf Gelegenheit sich auszuleben. Damit glaubte sie die Bestimmung ihres Lebens an der Seite eines regierenden Fürsten und als Landesmutter völlig ausgefüllt zu haben. Daß ihr auch noch besondere Pflichten in ihrer neuen Stellung, andere, als nur deren Annehmlichkeiten auszukosten, entstanden seien, daran scheint sie in der Harmlosigkeit ihrer Seele garnicht gedacht zu haben. Auch das politische Gebiet betrat sie, abgesehen von einem gelegentlichen, späteren und schwachen Versuche, garnicht. Hier ließ sie ihrem Gatten völlig freie Hand und glaubte ihr und sein Schicksal ganz geborgen unter dem Schutze ihres großmächtigen Ohms und Vormunds, des Zaren Peter von Rußland.

Und doch sollte diese Ehe, wenn nicht der Keim, so doch die Förderung sehr ernster und für sie selbst besonders unheilvoll ausschlagender Ereignisse werden. Es sollte und konnte auch vielleicht kein Segen auf ihr ruhen. Denn der Beweggrund zum Abschluß derselben lag beim Herzog Karl Leopold lediglich in einer, nicht nur gegen die reichseinheitliche, die kaiserliche Gewalt, sondern auch gegen einen großen, damals hauptsächlich maßgebenden Theil seiner Unterthanen gerichteten, persönlich ehrgeizigen Politik. Daß diese trotz der brutalen Unterstützung durch überwältigende russische Heeresmacht in Meklenburg nicht zum Siege gelangte, dafür sorgte in erster Reihe der zähe unbeugsame Sinn des damaligen meklenburgischen Landadels.

Daß dieser im Obotritenlande ein Wirt war, ohne und gegen den dort schlecht Rechnung zu machen, daß seine Rechte und seine Geltung von anderer Beschaffenheit waren, als die eines russischen Bojaren= und Knäsenthums, darüber sollte der gewaltsame Zar Peter 1 ) bald genügende Beobachtungen anstellen können. Schon die Kapitulation Wismars am Hochzeitstage des Herzogs auf Veranlassung und durch Vermittelung des Landdrost Joachim von der Lühe auf Pantzow mußte ihm die Tragweite der Feindschaft dieses Adels kennen lehren, und daß und wie tief er sie empfand, geht aus einem Abschnitte


1) Wie rücksichtslos er sein konnte, bewies er der Stadt Danzig, die ihn eben noch so gastlich aufgenommen hatte, bald nach der Hochzeit, als seine Armee heranrückte, indem er ihr unter dem Vorwande, schwedische Kaper in ihrem Hafen aufgenommen zu haben, eine Contribution von 200000 Thalern auferlegte und abpreßte.
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seines Tagesbuchs hervor, in welchem er sich über den damaligen hannoverschen Minister von Bernstorff, einen Meklenburger, beklagt. Es heißt dort, es sei unglaublich, wie dieser eine Mann, nachdem seine bisherigen Intriguen nichts geholfen, in der Folge den nordischen Verbündeten geschadet habe. "Und was für unnütze Feindschaft zwischen Rußland und England dieser bösartige und gewissenlose Mensch wegen seiner persönlichen Angelegenheiten hervorgerufen, das ist der ganzen Welt bekannt. Er hat solche Gewalt bei seinem Herrscher, daß dieser Alles nach seinem Willen thut. Außerdem hat dieser Bernstorff Landsleute und Helfershelfer am dänischen Hofe unter den Ministern und Generälen; bald macht er sie sich durch Geld gewogen, bald verzögert er durch seine Kabalen aus reiner Bosheit die Rüstungen zum Kriege, und ist eine gute Gelegenheit versäumt, was hat man dann noch für Möglichkeit? Daraus kann jeder Unbetheiligte und Sachverständige sehen, daß das Alles nur zu dem Zwecke geschieht, daß wir nicht in Meklenburg überwintern sollen." -

Ich werde auf diese Dinge in der Erzählung des weiteren Verlaufs der Ehe Karl Leopolds mit Katharina Iwanowna wieder zurückkommen. Hier will ich nur noch einige, die Tage der Hochzeit und des Honigmondes in Danzig abschließende Bemerkungen hinzufügen.

Bei Gelegenheit dieser Hochzeit wurden die russischen Minister und Hofleute außerordentlich reich von dem sonst als geizig verschrieenen meklenburgischen Herzoge beschenkt. Der Werth der für dieselben gekauften Geschenke belief sich, wie schon erwähnt, auf 70000 Thaler, eine für damalige Verhältnisse sehr große Summe. Alle wurden mit Ringen beschenkt, selbst die "Kammer=Mädgens und deren Mägde." Doch von russischer Seite ward den Meklenburgern nichts verehrt, wie Eichholtz sagt, nicht "eine krumme Steck=Nadel."

Für die russischen Minister waren in Hamburg drei einander ziemlich ähnliche Ringe, zwei davon im Werthe von 4000 Thaler, einer von 3500 Thalern gekauft worden. Nach der Abreise des Herzogs von Danzig vertheilte der Geh. Rat von Habichtsthal diese Ringe so, daß Golowkin und Schasirow die beiden vollwerthigen, Tolstoj aber, als jüngster der Räthe, den minderwerthen erhielt. Doch dieser, der die Ringe wahrscheinlich hatte wardiren lassen, "hat erschröcklich gegen den Ostermann loßgezogen: was sich der Hertzog einbilde, daß er ihn so schimpfflich tractirte."

Ostermann, der selbst einen Ring im Werthe von 1800 Thalern erhalten hatte, erbot sich, nur um Tolstoj zu beruhigen, ihm noch den seinigen dazu zu geben. Tolstoj nahm auch diesen an, aber gleichwohl hat "dieser grobe Mensch den Eichholtz mit so grimmigen

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Blicken angesehen, und sich so kaltsinnig und groß gestellet, daß es nicht zu sagen gewesen, auch gegen den Hertzog darnach zu Schwerin mit keinem Wort sich bedancket. Allein nachhero hätte sich gleich des Hertzogs großer Stoltz verrathen, die Rußischen Kneesen und Bojaren habe er gahr verächtlich über die Achsel angesehen." -

Ueber die Abreise des meklenburgischen Hofes von Danzig und dessen Heimkehr nach Schwerin werden in den "Anecdotes" noch folgende Einzelheiten erzählt:

Nachdem Zar Peter zu seiner Armee abgegangen, war der Herzog Karl Leopold unschlüssig, ob er noch länger in Danzig bleiben oder dem Zaren folgen sollte. "Anfangs hätte er auf Zureden des Herrn Eichholtz wollen in Danzig bleiben, darnach aber ist es ihm in der Nacht angekommen, er müße dem Czaar folgen, und hat also Eichholtz mitten in der Nacht aufstehen, und müßen laßen einpacken, und sind sie mit großer Gefahr über die Weixsel zum Czaar gegangen, und 8. Tage in einen Bauren Hause gelegen, welches dem Herrn von Eichholtz ein hartes Creutz gewesen. Endlich hat er den Hertzog beredet, daß derselbe, umb Anstalt zu der Einrückung der Rußen machen zu laßen, nach Meklenburg gegangen, und inmittelst die Hertzogin bey der Czaarin gelaßen, der Eichholtz ist mit dem Tolstoy, aber viel langsahmer, als ihm lieb gewesen, gefolget; denn alle 2. Meilen hat der Tolstoy gesagt: un poco mangiar! un poco dormir! In jedem Dorff haben sie also in einem Bauer=Hauß gegeßen, und in jeden schmutzigen Bauer Bette hat Tolstoy sich hingelegt und geschloffen, daß Eichholtz gemeynet, er müße sich Lunge und Leber ausspeyen. Selten hat er sich ein rothes Atlaßenes Küßen mit Eyder Dunen, und eine Decke, so er bey sich geführet, geben laßen; Endlich hat ihn der Eichholtz in die Krüge führen laßen, die gahr voll besoffener Bauren gewesen, damit er desto eher fort gemust, und Eichholtz also Mittag und Abends seinen Koch, der allzeit voraus fort gemust, eingehohlet, und recht manirlich gespeyset."

Am 9. Mai 1716 traf der Herzog Karl Leopold in seiner Residenz Schwerin ein. Wenige Tage darauf folgte der Zar nach, und vor, mit und hinter demselben rückten zu Wasser und zu Lande bei 50000 Russen in Meklenburg ein.


II. Zar Peter der Große in Meklenburg.

Also am 9. Mai 1716 traf nach einer mehr als zweimonatigen Abwesenheit Herzog Karl Leopold mit seinem Intendanten Walter und dem Geheimen Rath von Habichsthal aus Danzig in seiner

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Residenzstadt Schwerin wieder ein; bald darauf, wie es scheint, auch der Oberhofmarschall Baron von Eichholtz. Es wurden große Vorbereitungen zum Empfang der neuen Landesmutter und des Zaren Peter von Rußland getroffen. Die für diesen im Schloß bestimmten Gemächer waren "mit rothem Sammet und Tapis de haute lice auf das prächtigste meubliret worden."

Am 12. Mai erschien der Zar vor der Stadt und hielt an der Spitze eines Theils seiner Truppen seinen Einzug in dieselbe. Einige Tage darauf folgten auch die Zarin und die Herzogin Katharina Iwanowna. Am 14. d. M. mußten ihnen von Güstrow aus hundert Pferde mit Geschirr bis Teterow als "Vorspann" entgegengeschickt werden.

Der Zar ward mit solchen Ehren empfangen, "als wäre er der deutsche Kaiser selbst gewesen." Auf dem Platze vor dem Schlosse, dem sog. Alten Garten, empfingen ihn die von dem Herzoge theils aus kaiserlichen Diensten in Brabant zurückberufenen, theils neu angeworbenen meklenburgischen Kriegsvölker unter dem Befehl des Obersten von Vietinghoff in Paradestellung.

Als der Herzog mit dem Zaren vorüberritt, "hat der Hertzog dem Eichholtz mit den Augen und Kopff gewinckt, alß wolte er sagen: Da solte, er sehen, was er für schöne Leuthe hätte."

Zwei Güstrower Schriftgelehrte, der Subrector Thomas und der Hofprediger Georg Friedrich Stieber, ließen sich herbei, jeder eine Schrift drucken zu lassen und solche den hohen Neuvermählten zu widmen, worin sie das hohe Alterthum, die Verwandtschaft und Abstammung der beiden Fürstenhäuser, so des russischen wie des meklenburgischen, von Kaiser Karl dem Großen ebenso gelehrt wie geschichtlich nachwiesen. Auch eine ganze Reihe anderer Festschriften, Gedichte und Widmungen erschienen bei dieser Gelegenheit. 1 )

"Gantz anders aber", erzählt der meklenburgische Chronist, der derzeitige Pastor Franck zu Sternberg, "verfuhr eine Fledermauß, welche eine fameuse Schrift, ohne Meldung Orts und Zeit, drucken ließ. Desfals am 26. May aus Schwerin, an alle Magistraten in


1)

So von dem derzeitigen Rektor der Domschule zu Schwerin, Joh. Wiezius, ein Gedicht in lateinischer und deutscher Sprache, eine französische Ode von La Martinière, ein Buchstaben=Anagramm und ein Prognosticon von den Rostocker Professoren Georg Amsel und J. Carmon, ein Begrüßungspoëm von dem Studenten der Theologie Johann Joachim Simonis in Pampow. Ganz besonders zeichnete sich Güstrow aus, wo neben den beiden oben genannten Schriften noch ein "Votivus applausus" von dem Con-Rector Jacob Düefeld und eine "Cantate, Bey einer Music, nach der schönen Walterschen composition" seitens der "in dem Hoch=Fürstl. Gymnasio zu Güstrow Studirenden" erschienen. Der Kuriosität

(  ...  )
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den Städten, ein Rescript erging, solche durch den Scharf. Richter verbrennen zu lassen, wie auch geschahe, wobey die aus der Hochfürstl. Regierung ergangene Instruction, öffentlich verlesen ward."

Es scheint leider dem Scharfrichter gelungen zu sein, diese, in den damaligen allgemeinen Festjubel solchen schrillen Mißklang bringende Schrift vollständig auszurotten. Ich habe wenigstens in den mir vorliegenden, umfänglichen Sammlungen keine Spur davon aufzufinden vermocht. -

Für Zar Peter waren, wie schon bemerkt, im Schloß die besten Zimmer aufs Prächtigste hergerichtet. Doch scheinen diese seinem Geschmack wenig entsprochen zu haben. Wenigstens, als Eichholtz am Morgen nach dem Einzuge dahin kam, um den hohen Gast zu begrüßen, fand er Niemanden, weder im Vorzimmer, noch in den nächsten Gemächern. Selbst im Schlafzimmer fand er "das aufgemachte prächtige Bette so wie Tages zuvor gestanden." Endlich hört er auf einer nach Oben führenden geheimen Treppe Geräusch. Er begiebt sich hinauf und findet den Zaren in dem kleinen, für seinen Kammerdiener unterm Dach eingerichteten Gelaß, in dessen Bett er auch geschlafen hatte.

Dergleichen gehörte zu Peters Liebhabereien. In Berlin soll er auf dem Fußboden hinter der Thür auf einem untergebreiteten


(  ...  )

wegen lasse ich hier das dem Buchstaben=Anagramm angehängte Lied der Rostocker Amsel folgen:

Hab' ich / Carl Leopold / den gnad' für dir gefunden/
ich unterthänigster / komm' ich zu rechter stunden /
zu spielen dir gebunden /
gebunden / und in wunden /
soll ich den / dich zu zieren /
zu zieren / mich auffführen /
und meine Zither rühren /
so will ich / nach gebühren /
anacreoutisiren:
ich will zu deinem wallen /
dir / Hertzog / zu gefallen /
obs tausendmahl nur lallen /
ob meiner hut erschallen /
daß GOTT woll' dein verpaaren
mit der vom stamm der Czaaren /
von blüht und ersten iahren /
vor leid und streit bewahren /
damit bald von dir treten /
umb mehr daheim zu beten
vor dir und deinen Rähten /
vor Land und Vest= und Städten /
vor / sonders / deiner allerliebsten Catharinen /
der schön und aller tugend vollen Mensch=Göttinnen.

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Bärenfell geschlafen haben. Es ist zu vermuthen, daß er solches aus Mißtrauen und in dem Wunsche gethan, jede Gefahr zu vermeiden, damit Niemand wüßte, wo er schlief. -

Ueber den Einzug und Empfang der Herzogin Katharina mit ihrer Tante, der Zarin, findet sich in den mir vorliegenden Quellen soviel wie garnichts. Es scheint nur, daß ihnen schon in Güstrow ein festlicher Empfang bereitet worden ist, und daß sie dort im Schlosse die Nacht vor ihrem Einzuge in Schwerin zugebracht haben werden. Peters des Großen Persönlichkeit, die durch seine Kriegerschaaren in Meklenburg vollzogenen Maßregeln und die politischen Ereignisse ließen den Augenzeugen für andere Personen und Dinge in seiner und des Herzogs Umgebung wenig Aufmerksamkeit übrig.

Der genannte Chronist erzählt nur noch, daß die Ritterschaft, altem Brauch bei Heimführung fürstlicher Gemahlinnen und bei Ankunft fremder Herrschaften folgend, sich aus freien Stücken, ohne Wink von Oben entschlossen hätte, zwei Deputirte, nämlich den Landmarschall von Maltzahn auf Grubenhagen und den Rittmeister von Stralendorff auf Trams, nach Schwerin abzuordnen, "um Sr. Groß=Czaarischen, wie auch der Czarin Maj. Maj. im gleichen Sr. Hochfürstl. Durchl. und dero Gemahlin Hoheit zu felicitiren." Diese beiden Herren wurden zwar am 3. Juni vom Landesfürsten gnädigst empfangen; der Zar war aber an diesem Tage gerade nach Hamburg gereist, und als die Deputirten deshalb der Zarin und der Herzogin gratuliren wollten, widerrieth ihnen der Oberhofmarschall von Eichholtz, "weil sie nicht in solchem Anzuge gekommen, als dem Lustre der Czaarin convenable wäre, und man eine solennere Deputation erwartet hätte." -

Während seines Aufenthalts in Schwerin liebte es Zar Peter, bei gutem Wetter der schönen Aussicht wegen im Garten am See zu sitzen und dort auch zu Mittag zu speisen, sonst aber in den kleinsten Zimmern des Schlosses. Der Herzog, dessen Garde aus Menschen von riesigem Wuchs mit gewaltigen Schnurrbärten und von möglichst bärbeißigem Aussehen bestand, ließ von diesen nicht nur beständig die Posten des Schlosses beziehen, sondern gefiel sich auch darin, während der Mittagstafel vier von ihnen mit gezogenen Säbeln dabeistehen zu lassen. Der Zar, der auf dergleichen äußeren Pomp sehr wenig Gewicht legte, gab dem Herzoge häufig zu verstehen, ihn von dieser ganz überflüssigen Ehre, die ihm nur lästig falle, zu befreien. Doch das war vergeblich.

Eines Abends wurde die im Garten weilende Hofgesellschaft sehr von Mücken geplagt. Da wandte sich Peter an Karl Leopold und sagte: "Die großen Kerls, die da mit bloßem Degen stehen,

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wären ohne dem zu nichts nutze, man solte sie hergehen laßen, baß sie mit ihren großen Bärten die Mucken weg jagten." -

Während zu Schwerin nun "Alles in Fioribus" herging, unterzog sich Zar Peter seit dem 27. Mai in Pyrmont einer Sauerbrunnenkur, von welcher er erst am 30. Juni wieder in Schwerin eintraf. Herzog Karl Leopold war inzwischen mit Eichholtz nach Rostock gewesen, um dort Vorbereitungen zum Empfang des Zaren anzuordnen. Auf der Rückkehr nach Schwerin blieben sie im Dorfe Passee (bei Schwaan) zu Mittag, um dort die Pferde zu wechseln.

"Der Verwalter hat dem Hertzog ein Gericht Fische aufgesetzt. Da denn die 10. Rußen, so bey dem Verwalter gelegen, erschrecklich über das Brodt, so ihnen nicht guth genug gewesen, geschmählert und gesagt: er solte ihnen anderes schaffen, oder sie wolten ihm auf Rußisch prügeln. Der Verwalter hat sich damit in des Hertzogs Zimmer, wo derselbe, gegeßen, salviret, da ihm dann die Rußen das nachgeworffen."

Da erinnerte sich der Baron von Eichholtz an eine Unterredung, die er einmal während der Festwochen in Danzig mit dem Herzoge gehabt hatte. Damals war die Nachricht eingetroffen, daß die russischen Generäle Weyde und Fürst Dolgornky ihre Korps mit dem schon seit einiger Zeit in Meklenburg befindlichen Korps des Fürsten Repnin vereinigen sollten. Da will Eichholtz "dem Hertzog beständig in den Ohren gelegen, und umb Gottes Willen gebethen" haben, er möchte das doch abzuwenden und lieber zu erreichen suchen, daß die vor Wismar gelegenen russischen Bataillone ganz aus dem Lande geführt würden, "so würde das Land erst die neue Hertzogin als eine rechte Landes=Mutter empfangen können, da sie sonst bei ihrer Ankunfft nichts als Trähnen, Seuffzen und Weh Klagen sehen und hören würde, daß es einen Stein in der Erde würde müssen erbarmen." Da aber hätte ihn der Herzog zu beruhigen gesucht und gesagt, der Einmarsch der Russen in Meklenburg sei jetzt nun einmal nicht mehr zu ändern; glücklicherweise wären das aber Leute, die "mit Waßer und Graß vorliebnehmen." Auch Tolstoj hätte dies bestätigt und gemeint, die russischen Soldaten begehrten weiter nichts als nur "un poco di pane, un poco di pane." Und allerdings hätten sich auch die russischen Truppen unter Mentschikow im Jahre 1712 einer ausgezeichneten Mannszucht befleißigt und dem Lande weiter nichts gekostet, als ein kurz vorher in Paris für 1800 Thaler gekauftes Pferd aus dem fürstlichen Marstall, sowie einen Beutel mit 1000 Dukaten für den Oberbefehlshaber, Fürsten Mentschikow. - - Allein jetzt, beim Anblick der unzufriedenen und

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wüthenden Soldaten und in Erinnerung dieser Unterhaltung will Eichholtz gelacht und zum Herzog gesagt haben: "Ob das die Leuthe wären, so mit Graß und Waßer vorlieb nehmen. Hinzufügend: Vor einen solchen Schwager, deßen Leuthe so hauseten, bedancke er sich!

Se. Durchlaucht mögten bedencken, daß wenn die Rußen sich so auf des Hertzogs Güthern aufführeten, was sie erstlich bey der Ritterschaft thun würden, da sie freye Hände hätten? und ob derselben wehmüthigste Klagen nicht höchst gegründet wären. Er mögde doch bedenken, daß er als Landes=Fürst vor Gott und in seinem Gewißen schuldig wäre, dem Czaar deshalben" zuzureden, und solches Zureden hat der Eichholtz nicht nachgelaßen.

Allein als sich nach ihrer Rückkehr in Schwerin dazu eine gute Gelegenheit geboten hätte, "daß der Hertzog den Czaar gahr wohl anreden können, ist der Hertzog da gestanden, alß wenn er aufs Maul geschlagen wäre."

Es klingt etwas stark nach Selbstberäucherung oder als eine captatio benevolentiae gegenüber der Ritterschaft, wenn Eichholtz dann zu berichten fortfährt: Einmahl ist der Czaar im Garthen spaciren gegangen, da den der Eichholtz den Hertzog sehr gequählet, daß er doch mit dem Czaar hievon reden mögte. Aber da hat er nicht daran gewolt, aber endlich doch gesagt, der Eichholtz solte es ,dann selbsten thun, welches er dann auch verrichtet hat. Der Czaar hat damit das Reglement gemacht, wie viel Brodt, Speck, Fleisch, Grütze et talia 1 ) der Baur dem Soldaten geben solte . . . ."

Doch ist es nach diesem Reglement mit der russischen Einquartirung fast noch ärger geworden, wie vorher und zwar nicht allein für die Ritterschaft. Selbst in Schwerin auf dem Schloß hätten die Russen in Abwesenheit des Herzogs "gezecht und gezehret, so gahr, daß der geringste Halluncke, Schuhputzer und Stallknecht verlanget hätte, was ihm beliebt und gelüstet, sondern unten in der Stadt hätte er [Eichholtz] alle [russischen] Ministres=Häuser dergestalt vollauf versehen müßen, daß den gantzen Tag über der Tisch gedecket stehen müßen." -

Wie wir schon im ersten Theil dieses Aufsatzes gesehen haben, hegte der Zar Peter einen tiefen Groll gegen den Adel Meklenburgs, besonders weil dieser ihm die Stadt Wismar aus der Hand gespielt hatte. Es ist nicht anzunehmen, daß dieser Groll dem Herzoge Karl Leopold nicht gepaßt, und er sich der Hülfe seines mächtigen Verbündeten nicht bedient haben sollte zur Züchtigung mancher seiner Widersacher unter den Rittern. Allein ihn deshalb beschuldigen zu wollen,


1) In einer Abschrift der "Aneodotes" ist hieraus "Talg" gemacht.
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wie vielfach geschehen, daß er den Zaren hierzu ausdrücklich veranlaßt und die russische Armee nur zu dem Zwecke ins Land gezogen hätte, um die Stände, d. h. die Ritterschaft, zu quälen, das wäre nicht nur, wie schon Buchholtz in seinem "Versuch u(c)." bemerkt, eine ganz ungerechtfertigte, sondern schon geradezu abgeschmackte Annahme. Dergleichen kleinliche Rücksichten auf die persönlichen Wünsche eines deutschen, wenn auch verschwägerten Reichsfürsten konnten für einen Heerführer wie Peter den Großen nicht maßgebend werden für die Leitung eines ganzen Feldzuges. Peter hatte schon längst die Uebertragung des Krieges in Feindesland, und zwar zunächst nach Schonen, geplant; das Bündniß mit Karl Leopold konnte ihm höchstens nur den Weg dahin über Rostock und Wismar als den zur Zeit und den Umständen gemäß geeignetsten erscheinen lassen. Nur zu dem Zweck ließ er seine Völker in Meklenburg einrücken. Daß bei dieser Gelegenheit der Adel dieses Landes etwas härter mitgenommen werden konnte, mag dem Zaren ganz gelegen und dem Herzoge nicht unlieb gewesen sein. Daß solches von Letzterem sehr väterlich liebevoll gegen diesen Theil seiner Landeskinder gedacht und gehandelt gewesen, läßt sich zwar nicht behaupten; doch andererseits hatten diese es auch nicht minder an schuldigem Gehorsam und kindlicher Pietät ihrem

angestammten Landesvater gegenüber leider vielfältig fehlen lassen. Es ist hier nicht der Ort, die Bilance ihres gegenseitigen Schuldkontos aufzustellen, sondern nur soviel im Auge zu behalten, daß beide Theile durch Jahrzehnte lange Streitigkeiten zu sehr gereizt waren, um einander noch Gerechtigkeit wieder fahren zu lassen; daß beide auf die Wahrung vermeintlicher Vorrechte und Standesinteressen dermaßen versessen und durch juristisches Getüftel zu sehr verstrickt und geblendet waren, daß ihnen darüber der Blick auf das Ganze, die Rücksicht auf das Wohl und Wehe des gemeinsamen Heimathlandes, wenigstens zeitweilig, ziemlich abhanden gekommen war, und zwar den Rittern im Allgemeinen mehr, als dem doch immerhin auf einer höheren politischen Warte stehenden Fürsten und dessen Regierung. -

Am 26. Mai verließ die bisherige dänische Besatzung Rostock, und statt ihrer rückten jetzt von allen Seiten die russischen Truppen gegen die Stadt heran, um von dort aus via Seeland nach Schonen überzusetzen. Im Monat Juni befanden sich in dem unglücklichen, im dreißigjährigen Kriege durch Feuer, Schwert und Seuchen entvölkerten, darnach wiederum durch häufige Kriege seiner mächtigen Nachbaren, durch Mißernten, Hungersnoth und eigene innere Zwistigkeiten heimgesuchten Lande Meklenburg nahezu an 50,000 Mann Russen.

Gleichfalls unterm 26. Mai ging dem Herzoge aus Wien der

kaiserliche Befehl zu, den bisher erlassenen Verfügungen des Reichs=

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hofraths (sich aller Gewaltlhätigkeiten gegen die Ritterschaft und Rostock zu enthalten u. s w.) innerhalb zweier Monate Gehorsam zu leisten, widrigenfalls die von den Landständen erbetene und den beiden Kur= und Fürstlichen Häusern Hannover und Wolfenbüttel übertragene Reichsexecution auf ferneres Anhalten der Kläger gegen ihn zum Vollzuge kommen werde.

Doch Herzog Karl Leopold glaubte jetzt noch weniger als früher Ursache zu haben, sich solchem kaiserlichen Befehle unterzuordnen. Er bestand nach wie vor auf seiner, in einer Randbemerkung zu Heiss' Histoire de l'Empire (tome I, livre III, p. 449, nouvelle ed. 1738) ausgesprochenen Ansicht: "Avec combien de profond et respectueux égard on considère et honore l'étendue de la grande autorité et pouvoir de sa Maj. Imperiale Charles VI., Eile ne peut pas prétendre, que ses mandements ayent plus de force, que la Capitulation jurée Artic 16. leur accorde, de sorte que tout cela, qui lui est contraire, . . . . soit une turbation dans la supériorité territoriale, contre le repos public, et mis an ban de empire." Er setzte deshalb jetzt Alles daran, den mit dem Zaren eingegangenen Bund zu gegenseitigem Nutzen nur noch enger und fester zu schließen. An einer zu diesem Zweck angesetzten Ministerkonferenz nahmen Theil russischerseits der Vicekanzler Schafirow und der Baron von Schleinitz, meklenburgischerseits Eichholtz und Habichtsthal. Die übrigen meklenburgischen Räthe Schöppfer, Schaper und Petkum, deren letzterer besonders dem Zaren persönlich sehr unsympathisch war, wurden nicht zugezogen.

Diese geheime Konferenz fand statt im Schloß in den Gemächern und unter dem Vorsitze des Herzogs selbst. 1 ) Habichtsthal führte das


1) Da sich ein Bericht über diese geheime Sitzung nur bei Eichholtz findet, und dieser ihn ohne eine genauere Zeitangabe der S. 238 erzählten Verhaftung der beiden ritterschaftlichen Abgeordneten v. Negendank und Wangelin vorausgehen läßt, so hatte ich mich in vorliegender Darstellung ganz dem Vorgange Eichholtzens angeschlossen. Während des Druckes jedoch sind noch einige Actenstücke mir zur Kenntniß gelangt, aus denen klar hervorgeht, daß die Konferenz nicht , wie ich bisher annehmen zu dürfen geglaubt hatte, bereits im Laufe des Monats Juni, sondern erst in der Woche vom 14. bis 20. Juli stattgehabt haben kann. Unter diesen Actenstücken befinden sich nämlich besonders 1) die von Zar Peter dem Baron von Schleinitz ertheilte Vollmacht, mit Herzog Karl Leopold zu verhandeln, de dato Warnemünde, den 3./13. Juli 1716, und 2) ein Brief des Barons von Schleinitz, de dato Braunschweig, den 27. Juli 1716, worin derselbe mittheilt, daß er daselbst am 22. d. Mts. zum Kongresse wieder eingetroffen sei. Er konnte also spätestens möglicher Weise nur noch am 18. d. Mts. einer Konferenz in Schwerin beigewohnt haben. Am 13. Juli verweilte der Zar thatsächlich in Warnemünde, um am folgenden Tage mit seiner Flotte (  ...  )
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Protokoll. Karl Leopold eröffnete die Sitzung mit einer längeren Ansprache, in welcher er den Wert eines Bündnisses mit dem mächtigen Zaren beleuchtete und dann fünf Punkte zur näheren Berathung vorlegte. Der erste betraf die neu vollzogene Ehe des Herzogs und die Ansprüche der ersten, von ihm verstoßenen Gemahlin. Inbetreff dieser wurden die zu ergreifenden Maßregeln besprochen, um deren, durch ihre vielen Freunde an allen deutschen Fürstenhöfen veranlaßten "odiosen" Gerüchten entgegenzutreten. Auch über den zweiten, die Stadt Wismar betreffenden Punkt, sowie über den dritten (von den Russen an Meklenburg zu leistende Kriegskostenentschädigung) wurde man bald einig. Als er aber an den vierten Punkt kam, der das Verhältniß des Herzogs zu seiner Ritterschaft betraf, soll er sich dermaßen in Heftigkeit hineingeredet und so arge Maßnahmen gegen den Adel in Aussicht gestellt haben, daß Eichholtz, "sein selbst vergeßend, mit der Hand auf den Tisch geschlagen und geruffen" haben will: "Wenn Ihro Durchl. das thun, so kommen Sie umb Land und Leuthe!" 1 )

Schafirow enthielt sich vorerst in dieser Angelegenheit seines Urtheils. Er sagte, ihm sei die Verfassung des römisch=deutschen


(  ...  ) von dort nach Seeland überzusetzen. Die Konferenz wird also vermuthlich bald nach seiner Abreise, am 15. oder 16. Juli, in Schwerin stattgefunden haben; ihre Darstellung gehört deshalb chronologisch eigentlich nicht an diese Stelle, sondern mehr ans Ende dieses zweiten Artikels. Die zu Anfang des dritten erzählten Ereignisse gewinnen dadurch eine etwas andere, für den Herzog minder günstige Beleuchtung. Soweit als möglich habe ich dies durch einige nachträgliche Correcturen zu berücksichtigen gesucht; eine völlig entsprechende durchgreifende Umarbeitung des Textes ließ der schon zu weit vorgeschrittene Druck der Arbeit nicht mehr zu.
1) Der Wiener Interviewer des Eichholtz setzt hier hinzu: "Also muß damahls schon über die Ritterschaft und die vornehmsten derselben die Glocke gegoßen seyn gewesen." Solche Bemerkung wäre kaum von ihm gemacht worden, hätte man schon damals auf ritterschaftlicher Seite irgend hinreichenden Grund gehabt, an des Herzogs feindseliger Gesinnung gegen sie nicht mehr zu zweifeln. Wenn man nun bedenkt, daß Eichholtz seine Bekenntnisse einem Parteigänger der meklenburgischen Ritterschaft gegenüber abgelegt hat, und zwar in Wien zu einer Zeit (1722), wo er selbst eben in des Herzogs Ungnade gefallen war und ihm Alles darauf ankam, die Gunst von dessen Gegnern zu gewinnen (was ihm auch bis zu einem gewissen Grade thatsächlich gelungen ist - vergl. weiter unten), so kann man sich nicht der Ueberzeugung verschließen, daß er es au dieser Stelle in seiner Erzählung mit der Wahrheit nicht allzu genau genommen hat. Er belastet hier seinen früheren Herrn mit einem ungerechten Vorwurf, nur ad majorem Sui gloriam und um bei der damals obsiegenden Partei einen Stein im Brett zu gewinnen. Auch sein Wiener Interpellant selbst vermochte einen Zweifel in die Eichholtzschen Aussagen nicht zu unterdrücken, indem er denselben einige Zeilen später in Klammern hinzufügt: "Hic tamen dubito de fide Eichholtziana."
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Reiches nicht zur Genüge bekannt; er müsse sich deshalb die Ansicht seines Kollegen Schleinitz, der sich mehr milden Reichsgesetzen beschäftigt hätte, zu eigen machen. Schleinitz dagegen erklärte, es sei zu berücksichtigen, daß die Staatsform und Regierungsweise in den einzelnen Reichsterritorien nicht überall dieselbe sei; jedes Fürstenthum habe seine besondere Verfassung und seine besonderen Rechte; das Vorhandensein von sogenannten Reservaten in Meklenburg sei ihm nicht unbekannt; daraus müsse sich erkennen lassen, wie weit in jedem einzelnen Falle man von der Ritterschaft Gehorsam verlangen könne. Was die Vergehen anbeträfe, deren der Herzog den Adel beschuldige, so müßte man abwarten, welche Beweise Se. Durchlaucht dafür beibringen werde.

Dieser scheint auch in der That soviel Beweismaterial an der Hand gehabt zu haben, daß es ihm gelang, die russischen Räthe ganz auf seine Seite zu ziehen, besonders den Vicekanzler Schafirow. Wenigstens erzählt Eichholtz, derselbe habe ihm später im Haag gestanden, "daß ihn der Herzog damahls soweit hineingeführet, daß er um seinen Kopff hätte kommen können." Der Obermarschall Eichholtz will aber durchaus "in supposito geblieben seyn," daß wider die Ritterschaft "nichts Thätliches beschloßen worden."

Noch über einen fünften Punkt soll in dieser geheimen, bis gegen Mitternacht dauernden Konferenz verhandelt worden sein; Eichholtz hat sich aber geweigert, darüber irgend etwas auszusagen. 1 ) -


1) Ueber diesen Punkt wird man also wohl solange im Unklaren bleiben, bis vielleicht einmal das von Habichtsthat geführte Protokoll ans Tageslicht kommt. Der Wiener Interpellant des Eichholtz, unzweifelhaft wohl der bekannte Geschichtsschreiber und damaliger Strelitzer Geschäftsführer am Wiener Hof Matthias Johann von Beehr, vermuthet, daß es sich um einen Plan des Herzogs Karl Leopold gehandelt habe, unter gewissen Umständen sein Erbland Meklenburg gegen das Herzogthum Kurland umzutauschen. Welchen Anhalt er für diese Vermuthung gehabt, ist mir unbekannt. Beehr war zwar ein politischer und bei seiner großen Gelehrsamkeit und Bildung ein um so gefährlicherer Gegner des Herzogs Karl Leopold; seine Res Mecklenburgicae sind in erster Linie zu dem Zweck geschrieben, die Rechte der Stände dem Fürsten gegenüber zu unterstützen und sind deshalb als eine Streitschrift wider den Herzog zu betrachten; allein sie übertreffen an Mäßigung und Gerechtigkeit alle übrigen Schriften und Veröffentlichungen der Ritterschaft. Eine von ihm ausgesprochene Vermuthung hat also immerhin schon etwas Gewicht. Bestätigte sich dieselbe, so wäre alsdann schon damals der Herzog in die Rolle eines Prätendenten eingetreten, die er später vollauf Gelegenheit fand, zu Ende zu spielen, d. h. eines Fürsten, der durch das Verlangen nach Einmischung des Auslandes in seine Landesangelegenheiten und durch einen ohnmächtigen Protest gegen rechtsgültig bestehende Thatsachen seine persönliche Besitz= und Machtfrage über die Interessen des Staates zu stellen strebte. - Allein die Beehrsche Vermuthung kann sich auch nur (  ...  )
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Daß nach allem diesem Zar Peter in den meklenburgischen Rittern eine Zeitlang die reinen Teufel und Rebellen sah, ist nicht zu verwundern. Aber er glaubte, mit diesen Widersachern schon auf seine russische Weise fertig zu werden.

Bereits am 12. Juni hatte er durch seine Generäle eine Lieferung von 1536 Scheffel Salz und 32,400 Zentnern Zucharn (= Zwieback; also, wenn man 35 Pfund Zucharn auf einen Scheffel rechnet, im Ganzen etwa 950 Last Roggen) ausgeschrieben, welche der Ritterschaft allein auferlegt wurde; denn die Landstädte standen schon damals auf Seiten des Herzogs; darnach auch noch eine starke Lieferung von Buchweizengrütze.

"Unter solchen Umständen," heißt es bei Frank, "sandte der Engere Ausschuß den Cammerjuncker von Negendank zu Eggersdorff und den Hauptmann von Wangelin zu Dorff=Schwerin, an den Hertzog, um zu bitten, daß Sr. Durchl. geruhen wolten) bey Sr. Czaarischen Maj. wegen einer zulänglichen Moderation, Vorstellung zu thun, auch zu verfügen, daß Aempter und Städte zu dieser Lieferung mit beytragen mögten. Solche Deputirten erhielten d. 3. Julii Audience, bekamen aber zur Antwort: I.Dchl. könten ihnen nicht helfen. Sie bewurben sich also, durch den Czaarischen Cammer=Herrn Jagozinsky, um Audience bey I. Maj. selbst; eröfneten auch zuvor ihr Gesuch an den Reichs=Vice=Cantzlar Schaffiroff. Wie sie nun meinten, daß alles wohl veranstaltet, und deswegen nach der Anti=Chambre gingen, woselbst noch mehrere auf Audience warteten; so kam der Czaar unvermuthlich aus seinem Zimmer heraus, sprach mit gedachtem Cantzler, gab auch bald diesem bald jenem Bescheid. Wie die Meklenburger gleichfals hervortraten, so sagte der Czaar entrüstet: Was wolt ihr? befahl sich zu retiriren, und ließ sie auf dem Schloß, durch den General=Adjutanten, in Arrest nehmen. Von hier wurden sie durch 4 Soldaten nach ihrem Quartier geführet, und muften am folgenden Tage (d. 4. Julii) mit dem Czaar nach Rostock gehen. Sie blieben hier unter ihrer Wache von 4 Mann, beständig in Arrest, bis sie, nach 8 Tagen, auf des Hertzogs Bitt=Schreiben an den Czaar, kurtz vor dessen ob gedachter Abreise nach Seland, wieder loßgelassen wurden."


(  ...  ) auf allerlei, die damalige Zeit durchschwirrende Gerüchte über Karl Leopolds Regierungs= und Vaterlandsmüdigkeit bezogen haben. Aber irgend etwas Beglaubigtes darüber, außer dem im 1. Theil dieses Aufsatzes gelegentlich der zuerst geplanten Verheirathung des Herzogs mit der Erzherzogin Magdalena (S. 204) und mit der Herzogin Anna von Kurland (S. 206) Erwähnten, habe ich nirgends aufzufinden vermocht.
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Die Verhaftung der beiden Deputirten war auf den ausdrücklichen Befehl des Zaren gegen den Rath seines Günftlings Jagushinsky geschehen. Hierdurch zog sich der Letztere, nach Eichholtz' Meinung, die Feindschaft des Herzogs in hohem Grade zu, woraus dieser bei einer späteren Gelegenheit, wie wir weiter unten sehen werden, auch kein Hehl zu machen suchte. -

An demselben Tage, an welchem die beiden Deputirten des Engeren Ausschusses verhaftet wurden, gab der russische Minister P. A. Tolstoj einem der Pagen im Vorzimmer des Herzogs eine Ohrfeige. Eichholtz, der hiervon vernahm, stellte dem Herzoge vor, "wie dadurch nicht allein der Burg=Friede gebrochen, sondern auch Sr. Durchl. hoher Respect violiret wäre. Allein das ist so dabey geblieben, und hat der Hertzog gesagt, man müße solche Kleinigkeiten dissimuliren." -

Am 4. Juli fuhr Herzog Karl Leopold gemeinschaftlich mit dem Zaren nach Rostock. Vor dem Hafen dieser Stadt waren am Tage vorher 48 russische Galeeren mit des Zaren Leibgarde und dem Astrachanschen Regiment unter dem General Buturlin eingetroffen. Diese hatten sich, über 7000 Mann stark, am Strande vor Rostock unter Zelten gelagert und setzten die ganze Stadt in Aufregung und Schrecken. -

Eichholtz, der unter dem Vorwande einer Erkrankung in Schwerin zurückgeblieben war, will erst einige Tage später von seinem Arzte über die Verhaftung der Edelleute erfahren und sich darnach sogleich beeilt haben, ebenfalls nach Rostock zu kommen und dem Herzoge jene Gewaltthätigkeit vorzuhalten. Dieser aber erklärte ihm, es sei ohne sein Vorwissen und gegen seinen Willen auf den alleinigen Befehl des Zaren hin geschehen, und dieser werde gewiß seine triftigen Gründe dazu gehabt haben. Auch die Räthe, die der Herzog in Rostock bei sich gehabt, "hätten alle per omnia sacra geschworen, daß sie kein einziges Wordt davon gewust. Alles wäre auf des Czaars selbst eigenen Befehl geschehen, und würde derselbe schon zu defendiren wißen, worumb er dieses gethan. Acht Tage hernach sind von Braunschweig die fünff Ursachen eingelauffen, worumb Sr. Czaarischen Maj. einige von dem Meckl. Adel in Verhafft nehmen zu laßen veranlaßet worden. Eichholtz [sive serio sive ficte, setzt sein Interpeltant hinzu] hat damit die Hände gen Himmel gehoben und Gott gedankt, daß sein Herr an diesem allen unschuldig, ist auch in solchem supposito getrost hieher auf Wien gereist, und hat des Hertzogs Parthey pro aris et focis genommen, daß derselbe nichts

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hierumb gewust, biß er hier zu seiner grösten Befrembd= und Bestürtzung das Gegentheil erfahren." 1 )

Wie leicht übrigens der Zar Peter es mit seinen Rechtfertigungen selbst dem Herzog Karl Leopold gegenüber nahm, das beweist folgender Vorfall:

Eines Tages prügelte sich in Rostock zufällig der Fourier des Herzogs, der, wie dessen übrige Hofbediente, schwedische Kleidung trug, mit dem Hofnarren des Zaren. Letzterer zog den Kürzeren. Da kam Peter selbst, der dem Kampfe vom Fenster aus zugesehen hatte, herbeigeeilt, überfiel den Fourier mit höchsteigenen Faustschlägen und befahl darauf noch der herbeieilenden Wache, jenen mit Stöcken auszustäuben. Seine ganze Entschuldigung vor dem Herzoge aber bestand darin, daß er sagte, er habe den Fourier seiner Kleidung wegen für einen Schweden gehalten. -

Nachdem sich der Zar seinem herzoglichen Verbündeten gegenüber zu möglichster Bekehrung der widerspenstigen Ritterschaft durch Auflage der unerschwinglichen Salz= und Zwiebacklieferung so willfährig glaubte gezeigt zu haben, wünschte er, wie es scheint, ihm solche Wohlthat auch in Bezug auf die Stadt Rostock zu erweisen.

Diese Stadt, obwohl unlängst durch den sog. Schweriner Vergleich zur Aufgabe ihrer alten Vorrechte genöthigt, wollte diesen nach ihrer Ansicht zu Unrecht erzwungenen Vertrag doch immer noch nicht voll anerkennen, noch ihrem Rechte zur Appellation an den Kaiser entsagen. So erging denn am 9. Juli d. J. vom Fürsten Repnin, dem Befehlshaber der russischen Truppen in und vor Rostock, der Befehl an die Stadt, innerhalb 24 Stunden bei 400000 Pfund


1) An einer anderen Stelle spricht sich Eichholtz allerdings über dieselbe Angelegenheit etwas anders aus. Dort heißt es: "Währender selbigen Zeit hätten sich die beyde Deputirte der Ritterschaft, der Hr. von Negendanck und der Hr. von Wangelin bey Sr. Durchl. durch ihn melden laßen, welchen er alle Höfflichkeit, soviel in seinem Vermögen gestanden, erwiesen, und sie zur Marschals=Taffel behalten. Nachdem denen Deputirten das bekandte Tractament von Czaar begegnet wäre, hätten ihm Petckum, Schöpffer, Schaper und Walter nicht wenig damit aufgezogen, und allezeit gesagt, die Ritterschaft müste sich nur an ihn halten, er wolte vor allen des Hertzogs Bedienten den Danck allein bey der Ritterschafft verdienen, hätten auch so schimpflich geredet, daß es ihm im Hertzen wehe gethan, und er ihnen gesagt: Sie mögten sich ein wenig im Reden mäßigen, denn hier im Schlosse wäre guth sprechen. Wenn sie denen wackeren Leuthen [nämlich den Rittern] anderer Ohrten das ins Gesicht sollen sagen, was sie hier ins Gelach hinein redeten, so würden sie sich wohl 10 mahl darauf bedencken." - Darnach wären die genannten Räthe des Herzogs, wenn auch vorher in die Absichten des Zaren nicht eingeweiht, doch später mit dessen Vorgehen gegen die Ritter ziemlich einverstanden gewesen.
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Speck an ihn abzuliefern. Einem Jeden aus Magistrat und Bürgerschaft war das von ihm herzugebende Quantum an die Hausthür geschrieben. Zugleich gingen Notare und Einwohner durch die Stadt und versprachen, besonders den ärmeren Bürgern: "Wer sich zur Annehmung des Schweriner Vergleichs gestünde, dessen Quotam an Speck wolle der Hertzog übernehmen, die Häuser der anderen aber würden von den Russen ausgeplündert werden."

Man sollte meinen, diese Maßregel hätte ihrem Urheber gewiß zu seinem Zweck verhelfen müssen, denn in der ganzen Stadt befand sich nicht der vierte Theil des geforderten Specks. Allein diesmal wurden damit doch nur wenig Mäuse gefangen. Denn "es ward bald von anderen Orten ein solcher Vorraht angeschaft, daß diese Lieferung dennoch innerhalb 2 bis 3 Tagen geschahe, folglich die angedrohte Execution verhütet ward, darauf der Czaar am 14. Juli mit seinen Galeren hinüber nach Seland ruderte."

Wie Rostock vorher Tag und Nacht für die Ritterschaft "Zucharn" gebacken, so hatte ihr diese jetzt getreulich aus der Specknoth geholfen.

Nachdem der Zar Peter noch in Rostock im herzoglichen Palais mit gebührendem Pompe den Jahrestag der Schlacht bei Poltawa (8. Juli) gefeiert, verließ er am 14. Juli 1716 zu Schiff die Stadt. Sein unruhiger und unternehmender Geist ließ ihm nirgends lange Ruhe. Von Schwerin und Rostock aus war er bald nach Hamburg, bald nach der einen oder der anderen der Landstädte, Dörfer und Flecken Meklenburgs gefahren. Doch während er so immer nur wenige Tage in der Familie des ihm verschwägerten Herzogs blieb, lebte und weilte dafür seine Gemahlin, die Zarin Katharina Alexejewna, um so lieber und länger in Schwerin bei der jungen Herzogin. Es gefiel ihr hier freilich viel besser, als in dem damals noch so unwohnlichen, unfertigen und ungesunden St. Petersburg. Auch durfte und wollte sie Peter auf seinen vielen Reisen mit ihrer Person und ihrem Gefolge nicht lästig fallen.

Als auch sie endlich Schwerin und das Land verließ, erwartete Eichholtz, daß sie ihm und den übrigen Hofleuten ihren Dank und ihre Zufriedenheit durch die üblichen Geschenke ausdrücken würde; allein weder er noch irgend jemand erhielt etwas, "nicht einen Kreutzer!"

Vielmehr als der Obermarschall sie zu ihrem Wagen geleitete, meinte sie zu ihm: "Sie verbliebe in seiner großen Schuld." Eichholtz erwiderte: "Er wüßte davon sich nichts zu erinnern, wollte sich aber eine große Freude daraus machen, eine so große Fürstin auf seinem Schuld=Register zu haben: Indeß aber hätte er eine Gnade zu bitten, daß Ihro Czaarische May. eine Fürbitte bey dem Czaar

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dahin einlegen mögte, daß ein gewißer Bayerischer Cavallier, Baron Pförtner, der in Schwedischen Diensten gestanden, und bey Pultawa gefangen worden, mögte loß gegeben werden; So wolte er die etwa gehabte Bemühung genug vergolten zu seyn glauben, und die Czaarin hätte Gelegenheit, eine Fürstin des Reichs hiemit zu obligiren, denn der Bayerischer Cavallier sey der Fürstin von Nieder=Münster in Regensburg gahr nahe verwandt." 1 )

Die Zarin hätte ihm dies Versprechen zwar auch gegeben, allein, obwohl er sie später im Haag und in Aachen wiederholt daran erinnert hätte, sogar durch schriftliche Eingaben, hätte die Zarin über Pförtner doch nicht einmal Erkundigungen eingezogen und noch weniger seine Begnadigung vom Zaren erbeten. "So wenig Großmuth wohnte ihr bey," schließt Eichholtz.


III. Russen und Ritterschaft, Kaiser und Zar.

Mit Zar Peters Abgang nach Seeland war die Zeit der russischen Prüfung für Meklenburg noch keineswegs vorüber. Das Gros der Armee rückte allmählich nach Dänemark ab, es blieben aber immerhin noch etwa 9000 Mann im Lande zurück.

Drei Tage nach Abgang der Flotte von Rostock (am 17. Juli, einem Bettage) gingen plötzlich auf Befehl des Fürsten Repnin etwa fünfzig, aus je zwanzig bis dreißig Mann unter Führung eines Officiers bestehende Reiterkommandos nach allen Seiten durchs Land, um die einflußreichsten Mitglieder der Ritterschaft, besonders die Landmarschälle und Landräthe auf einmal zu verhaften.


1) Eichholtz stand in gewissen persönlichen Beziehungen zu dem kurfürstlichen Hofe von Bayern, die er bereits unter dem vorigen Herzoge Friedrich Wilhelm, Karl Leopolds älterem Bruder, angeknüpft zu haben scheint. Im ersten Theile der "Anecdotes" zum Jahre 1714 erzählt er: "Der Churfürst von Bayern hätte ihm die Gesandtenstelle zu Regenspurg aufgetragen, denn, als er noch in Regenspurg gewesen, hätte er sich in die Fräule von Zindt verliebet gehabt, und hätte derselben ihr alter Vatter sich es vom Churfürsten zur Gnade ausgebethen, daß ihm, dem Eichholtz, auf die Condition, daß er diese Dame heurathen solte, die Gesandten Stelle werden mögte." Da Eichholtz sich aber durch andere Dinge bewogen fühlte, gerade damals in Herzog Karl Leopolds Diensten zu bleiben, so zerschlug sich diese Angelegenheit, was der Freiherr später sehr bedauerte. Statt seiner wurde ein Graf Königsfeldt bayrischer Gesandter in Regensburg. Durch den Baron Pförtner bezw. durch die Fürstäbtissin von Niedermünster scheint Eichholtz wieder mit dem bayrischen Hofe anknüpfen gewollt zu haben.
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Man hoffte also mit ihnen gerade so verfahren zu können, wie vorher mit dem Magistrat und der Bürgerschaft Rostocks, d. h. sie allesammt so lange einzusperren, bis man ihnen durch einen Vergleich ihre Privilegien ebenso wie jenen die Stadtrechte abgepreßt. Allein die bedrohten Herren von der Ritterschaft waren gewarnt und beweglicher als jene, weil nicht ringsum von Wällen und Mauern umgeben. Es gelang fast allen, sich rechtzeitig außer Landes in Sicherheit zu bringen. Sie flüchteten ins Preußische und Hannoversche, nach Wismar, Lübeck und Hamburg. Nur vier von ihnen, der Kammerjunker von Petersdorff zu Hinzenhagen, der von Plessen zu Barnekow, der Oberstlieutenant von Oertzen zu Roggow und der Oberstlieutenant von Bassewitz (Sohn) zu Lütten=Walmstorf, wurden aufgehoben und nach Rostock in Verwahrsam gebracht.

Auf dies Gerücht von solchem unerhört gewaltsamen Vorgehen der Russen, welches sich mit Windeseile durchs ganze Land verbreitete, verließ fast der ganze Adel Meklenburgs das Land und seine Güter, zum Theil mit Weib und Kind. Der Engere Ausschuß des Landtages aber constituirte sich als solcher zunächst in Lüneburg, später in Ratzeburg unter dem Schutze des Königs Georg von England, Kurfürsten von Braunschweig=Lüneburg=Hannover. Von hier aus gingen ihre Klagen und Beschwerden an den Herzog, an Zar Peter und den Kaiser in Wien ab.

Herzog Karl Leopold schien von solchem eigenmächtigen Auftreten der Russen in seinem Lande selbst im höchsten Grade peinlich überrascht. Wenigstens schickte er bereits am 22. Juli den Geheimen Rath von Habichtsthal zum Fürsten Repnin nach Rostock, um diesem sein Mißfallen über den Vorgang auszusprechen und Rechenschaft von demselben zu verlangen. Der Fürst aber suchte sich damit zu entschuldigen, "daß er von I. Czaarischen Maj. ausdrücklich Ordre dazu gehabt; mit dem Anfügen, daß er davon dem Hertzoge nicht die geringste Communication geben solte."

Die Ritterschaft aber hielt dies für ein abgekartetes Spiel zwischen Zar Peter und dem Herzoge und traute dem letzteren in der Folge noch weniger, als auch der bisherige Kanzler desselben, von Klein, sein Amt niederlegte und sich selbst nach Lübeck in Sicherheit brachte. 1 )


1) Der Kanzler von Klein hatte, wie er selbst schreibt (Klein, Fortsetzung, § 87, S. 59), die unausbleiblichen mißfälligen Folgen pflichtmäßig vorgestellt, bedauerte aber auch, "daß anderer Ministrorum Beytritt zu diesem einmal beliebten Principio (willkürlich zu regieren) praevaliren müssen." Er sahe wohl die unglücklichen Fata vorher, welche darauf erfolgen mußten, legte also seine Bedienungen des Cancellariats, Geheimen Raths (  ...  )
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Zar Peter, vom Kaiser vermahnt, hielt es deshalb für nöthig, zu Braunschweig, wo gerade der Kongreß der kriegführenden Mächte tagte, dem kaiserlichen Bevollmächtigten, dem Grafen Metsch, eine Erklärung für sein Verfahren gegen die meklenburgische Ritterschaft zu übergeben. Hierin hieß es hauptsächlich, die Ritter und unter diesen vornehmlich die verhafteten, hätten es nicht nur an dem schuldigen Respekt gegen ihn und die neuvermählte Herzogin Katharina fehlen lassen, sondern auch noch auf andere, feindselige Weise gegen beide intriguirt, sie an auswärtigen Höfen verleumdet, ihm die Stadt Wismar aus der Hand gespielt und vor Allem mit Schweden gegen ihn correspondirt und conspirirt.

Die Ritterschaft erwiderte durch eine Schrift, in der sie Punkt für Punkt die ihr gemachten Vorwürfe zu widerlegen suchte, und der Wiener Hof richtete an Peter die Ermahnung, seine Truppen aus Meklenburg herauszuziehen; zugleich ertheilte er dem Könige von England als Kurfürsten von Hannover und dem Herzoge von Braunschweig=Wolffenbüttel den Auftrag, gegen Herzog Karl Leopold die schon angedrohte Reichsexekution zu vollziehen.

Weil aber inzwischen (Ende October) die russischen Kriegsvölker nach Meklenburg zurückkehrten, da es ihnen nicht gelungen war, von Seeland nach Schonen überzusetzen, so hielten die Herren Conservatoren es zunächst noch für gerathener, an den Herzog vorläufig nur ein sog. Monitorium zu richten, worin sie den Vollzug jener Exekution in Aussicht stellten.

Die vier gefangenen Edelleute waren zunächst in Rostock vors Kriegsgericht gestellt worden. Obwohl ihnen die auch hier vorgehaltenen Vergehen gegen den Zaren und die Herzogin nicht zu beweisen waren, sie solche auch nicht eingestanden, so wurden sie vorläufig in Einzelhaft gebracht und beständig unter Wache behalten, "wiewohl mit ziemlicher Freiheit und Anständlichkeit." Am 28. August brachte sie der russische Oberst Hasseni nach Güstrow, wo sie nach dreiwöchigem Aufenthalt auf Befehl des Zaren am 20. September aus der Haft entlassen wurden. Doch kaum waren sie frei, als ein herzogliches Reiterkommando von fünfzig Mann unter dem Befehl des Lieutenant Janitz in Güstrow eintraf, die eben Entlassenen wieder gefangen nahm und nach Rostock in Gewahrsam brachte. Hier hielt man sie auf dem "Weißen Collegio" eingesperrt.


(  ...  ) und Directorii im Consistorio nieder, und behieltelt allein das Praesidium im Land= und Hof=Gericht; wiewohl er auch dieses mit Ablauf des gegenwärtigen Jahres (1716) ablegte, nach Lübeck ging, und daselbst bis Ostern 1719, folglich zwei und ein halb Jahr verblieb, bis der Wind zu Rostock umgegangen war, worauf er den Tod seiner Mißgönner erlebte. (Franck.)
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Der Engere Ausschuß erbot sich vergeblich zur Stellung einer Kaution für sie. Erst am 20. October wurden sie vom Herzog nach Ausstellung eines eidlichen Reverses, nicht aus dem Lande entweichen und sich auf Erfordern jederzeit wieder stellen zu wollen, aus ihrer Haft entlassen.

Um dieselbe Zeit zog ein Theil der russischen Armee nach Polen ab, doch der Rest - immerhin noch gegen 30000 Mann stark - blieb in Meklenburg und bezog dort seine Winterquartiere fast ausschließlich auf den Rittergütern.

Durch diese Bedrückungen seitens der Russen wurde auch der Herzog Adolf Friedrich III. von Strelitz stark in Mitleidenschaft gezogen, also daß er fortan mit der Ritterschaft gemeinschaftliche Sache machte und sich sowohl in Wien am kaiserlichen Hofe, wie in Regensburg beim Reichstage über Karl Leopold und den Zaren beschwerte. Doch um diese Zeit fühlte sich der Herzog Karl Leopold so gesichert und kräftig, wie nie zuvor. Preußen, welches sich durch die Politik des Wiener Hofes sowohl, als durch die Intriguen des englisch=hannoverschen ziemlich an die Wand gedrückt fühlte, hatte sein früheres Bündniß mit ihm wieder erneuert, und Peter der Große, der sich gelegentlich seines letzten mißlungenen Unternehmens gegen Schonen mit Dänemark überworfen hatte, zeigte alle Neigung, sich nicht nur mit Karl XII. von Schweden auszusöhnen, sondern sogar mit demselben gemeinschaftliche Sache zu machen.

Bei alledem war der Herzog jetzt mehr als je gewillt, mit seinen Landständen zu einer völligen und endgültigen Einigung zu gelangen. Er schrieb deshalb zum 16. September d. J. einen Landtag nach Sternberg aus. Da dieser aber von der Ritterschaft, trotz des vom Herzoge ausdrücklich versprochenen freien und sicheren Geleites abgelehnt und nicht beschickt wurde, auch der Kaiser denselben verbot, so wurde der Landtag zunächst auf den 5. November und darauf noch weiter, auf den 5. Februar 1717 hinausgeschoben Aber auch diesmal und später gelang es nicht; der Engere Ausschuß weigerte sich ins Land zurückzukehren und mit dem .Herzoge anders zu verhandeln, als durch Vermittelung des Kaisers. Es erfolgte deshalb von Schwerin aus eine Citation an den Engeren Ausschuß zum 27. Juli (1717) nach Schwerin; der Engere Ausschuß erschien nicht. Dann ward ein sog. Convocationstag nach Schwerin auf den 1. October angesetzt, wogegen der Engere Ausschuß einen Convent nach Ratzeburg berief und dort abhielt, was aber "der Hertzog als eine allen Reichs=Satzungen schnurstracks entgegen laufende Sache empfand." Endlich, am 9. November, kam ein Landtag zu Sternberg zu Stande, doch fast ohne alle Betheiligung seitens der Ritter=

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schaft. Deswegen protestirte natürlich wieder der Engere Ausschuß in Ratzeburg, und die gefaßten Beschlüsse wurden später auch von dem Kaiser für null und nichtig erklärt. 1 )


1) Man muß hier dem Herzoge Karl Leopold Gerechtigkeit widerfahren lassen. Wie sollte er beim besten Willen mit seinen Ständen und Unterthanen zu einer Verständigung gelangen, wenn diese, wenigstens zu dem durch die Landesverfassung dazu berufenen Theile, grundsätzlich jede von auswärts unbeeinträchtigte, unmittelbare Aussprache und persönliche Uebereinkunft ablehnten, zugleich aber auf jeden ihnen zugehenden landesherrlichen Befehl wohl erklärten, sie seien gehorsame und Frieden suchende Unterthanen, während sie in der That fortwährend das Gegentheil bewiesen? Sie beriefen sich zwar mit einem gewissen Anschein von Recht darauf, daß, wenn der Herzog selbst es auch vielleicht mit dem von ihm gewährleisteten sichere" Geleit ehrlich meinte, er doch nach seiner eigenen früheren Erklärung nicht die Macht dazu besäße, sie gegen Gewaltthätigkeiten zu Schützen, so lange die Russen im Lande weilten. Jedoch sie setzten auch später, nachdem die Gefangenen freigegeben und die Russen bis auf einen kleinen, vom Herzoge als eigene Truppe angeworbenen Rest Meklenburg verlassen hatten, ihren Widerspruch und Ungehorsam fort. Daß es aber dem Herzoge um diese Zeit wirklich ernst gewesen sei mit seinem Bemühen, die Stände unter einander und mit sich zu versöhnen, um mit ihnen wenigstens zu einem erträglichen modus vivendi et regnandi zu gelangen, davon zeugen und waren schon zeitgenössische Geschichtsschreiber, wie Klüver, Aepinus und Buchholtz -vollständig, andere, wie David Franck, mehr oder weniger überzeugt. Auch bei Eichholtz finden sich Andeutungen davon. Als Beleg dafür wird besonders eine Unterredung angeführt, die der Herzog im Sommer 1716 mit dem Landrath Ehrenreich von Moltke gehabt hat. In dieser soll ihm die bewegliche Darstellung des Moltke über die harte Bedrückung der Gutsbesitzer durch die Russen bis zu Thränen gerührt, und er darauf versichert haben, daß er daran unschuldig und gern bereit sei, alle Irrungen mit der Ritterschaft zu einem gütlichen Vergleich kommen zu lassen, falls diese ihm durch ein vertrauensvolles Entgegenkommen dazu die Hand reichen würde. Zugleich beklagte er sich über den Trotz und die Feindseligkeiten derselben, besonders wie ihm Solche schon bald nach seinem Regierungsantritte durch den Geh. Rath von Bernstorff im Auftrage der Ritterschaft kundgegeben worden sei. Dieser Bernstorff, damals noch sein Vasall, habe ihm, unter Verwahrung der ritterschaftlichen Freiheiten und Vorrechte, eine von ihm eingeforderte Steuer als ein freiwilliges Geschenk der Ritterschaft angeboten, doch, als er solches Geschenk zur Wahrung seiner eigenen landesherrlichen Rechte abgelehnt, geradezu drohend erklärt: "es gäbe unter den Rittern gar wunderliche Köpfe, die ihm, dem Herzoge, genug würden zu schaffen machen, wenn er Frieden und Ruhe haben wolle." Solche Aufsässigkeit unter dem Adel hat zwar der Landrath von Moltke zu entschuldigen gesucht, aber doch nicht ganz zu leugnen vermocht. - Hält man hiergegen Aeußerungen der Ritterschaft, die sich anderwärts finden, wie z. B. die, daß man allerlei thun müsse, um den Fürsten zu Gewaltthätigkeiten zu reizen, damit er sich dadurch beim Kaiser und Reichshofrathe ins Unrecht setze, und ähnliches, so wird man nicht mehr behaupten können, daß sich alle Schuld auf Seiten des Herzogs, alle Unschuld und Friedensliebe aber auf Seiten seiner Gegner befunden habe. - Herzog Karl Leopold war (  ...  )
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Mit Beginn des Jahres 1717, und dann abermals unterm 10. Juni wiederholte der Kaiser seine Ermahnung an Zar Peter, der sich damals in Holland aufhielt, seine Völker aus Meklenburg abzuführen und den durch dieselben dem Lande zugefügten Schaden zu ersetzen. Zugleich erging an die Häupter des niedersächsischen Kreises die abermalige Aufforderung, die Russen zum Ausmarsch zu bewegen, zu welchem Zwecke auch ein Hülfsaufgebot an den obersächsischen, niederrheinischen und westfälischen Kreis erlassen wurde.

Auch Herzog Karl Leopold mochte inzwischen wohl zu der Einsicht gelangt sein, daß durch die Anwesenheit der starken russischen Kriegsmacht nicht nur sein Land vollständig erschöpft und ausgesogen wurde, sondern auch er selbst nichts weniger als Herr in demselben sei. Er entschloß sich wenigstens im Frühling dieses Jahres, ebenfalls seinen Oberhofmarschall zum Zaren zu schicken mit der Bitte, sein Heer mit Ausnahme von sieben Regimentern aus Meklenburg abrücken zu lassen, ihm, dem Herzoge, aber "Schutz gegen Alle und Jeden" zu versprechen, falls seine Widersacher, worunter er nur


(  ...  ) allerdings ein Herr von recht hartem und eigensinnigem Kopfe, auch sehr mißtrauisch und nachtragend, doch andererseits auch wieder von einer sehr großen, fast naiven Aufrichtigkeit. Man findet ihn zuweilen seine eigenen Fehler und Sünden mit der größten Unbefangenheit bekennen, freilich nicht in einer Anwandlung reuiger Selbsterkenntniß, sondern nur weil er sie von seinem fürstlichen Standpunkte aus für keine Fehler und kein Unrecht hielt. Solche Anschauungen theilte er aber doch nur mehr oder weniger mit ziemlich allen gekrönten Häuptern seiner Zeit, insbesondere mit seinen Standesgenossen im Reich. Jedenfalls lag es garnicht in seinem Charakter, sich dem Moltke gegenüber bis zu heuchlerischen Thränen zu verstellen. Außerdem hatte er um diese Zeit noch zu wenig Veranlassung, die Ritterschaft in dem Maße hart und ungerecht zu verfolgen, wie man ihm gemeiniglich zuzuschreiben pflegt, wozu es ihm aber in späteren Jahren schon weniger an Grund fehlte. Das Verhalten des Engeren Ausschusses in Ratzeburg unterm Schutze des Königs von England, bemerkt Buchholtz zum Jahre 1718, "war auch um diese Zeit so beschaffen, daß Vernünftige von Adel es nicht billigen können. Denn man setzte den, dem Hertzoge bey allem Streit gleichwol schuldigen Respect, da sie die Kaiserliche Hülfe so nahe sahen, ziemlich aus den Augen, und ließ ein Circularschreiben vom 16ten May 1718 an die gesammte Ritterschaft ergehen, darin alle abgemahnt wurden, sich in gütliche Handlung einzulassen, weil die Tractaten auf Herzoglicher Seiten so schlecht gehalten würden. [Ja, man versprach und zahlte sogar denen, die das Land verließen und verlassen wollten, 30 Thaler Diäten monatlich aus der Streikkasse, um einen modernen Vergleich und Ausdruck zu gebrauchen.] Ebenso vergingen sich auch andre von Adel in Worten und Schriften oft so, daß es Leute von mehr Einsicht unter ihnen unmöglich loben konnten. . . . . Wenn nun der Herzog solche Vergehungen einzelner Personen unter der Ritterschaft erfuhr, so rechnete er es ihnen insgesammt zu, und folglich verdarben diese Dinge die Sache, und gaben ihr bey dem Herrn eine noch schlimmere Gestalt." (Buchholtz, Entwurf, S. 617 ff.).
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England und Oesterreich verstehen konnte, ihn in Bedrängniß bringen sollten.

Dieser Botschaft, erzählt Eichholtz, hätte auch die Herzogin Katharina einen Brief beilegen müssen, "worzu Ihro der Hertzog ins geheim die Contenta an die Hand gegeben, und welchen er, der Eichholtz, der Czaarin zustellen solte. In demselben hätte die Hertzogin den Czaaren beschwören müßen, daß er den Hertzog in keiner Weise verlaßen, und darunter keinem unter seinen Ministris, die ihm deshalb das Gegentheil rathen mögten, trauen, sondern dieselbe alle vor Schelme und Verräther halten mögte. Er, der Eichholtz hätte von diesen Contentis nichts gewust, und also den Brieff in seiner Einfalt mit genommen." -

Eichholtz kam nach Holland, erfuhr hier aber, daß der Zar noch in Frankreich weile. So beschloß er, ihn in Lüttich zu erwarten. Endlich kehrte Peter zurück. Eichholtz erbat durch den Geheimsecretair Ostermann Audienz, ward gleich vorgelassen und sehr gnädig empfangen. Als der Zar aus dem Datum des herzoglichen Schreibens sah, daß dasselbe schon vor längerer Zeit ausgefertigt worden, fragte er Eichholtz, warum er sich unterwegs so lange aufgehalten habe.

Eichholtz erwiderte: "Er sey ein gebohrner Kayserl. Vasall, und hätte auch zu lange die Wiener Lufft geschöpfft, und hätte also in seinen alten Tagen nicht nach Paris kommen, sondern Sr. Czaarisch. May. hier erwarten wollen.

Der Zar antwortete: "Dobre" (Gut!), und gab ihm einen Wink, seinen Vortrag zu halten.

Als der Freiherr nun dem Zaren des Herzogs Begehren, ihm sieben Regimenter lassen und den Schutz contra quoscunque aggressores versprechen zu wollen, eröffnete, fragte Zar Peter: "Ob der Hertzog wohl wüste, daß die begehrte 7 Regimenter gegen 11000 Mann austrügen? und hätte solches der Hr. Ostermann ihm recht repliciren müßen."

Dann beauftragte er die Räthe Tolstoj und Schafirow, mit Eichholtz weiter zu konferiren und steckte den Brief der Herzogin Katharina, auf welchem er die russische Aufschrift bemerkte, unerbrochen in die Tasche. Dem Eichholtz aber befahl er, in seinem Gefolge zu bleiben und ihn auf seiner weiteren Reise durch Holland zu begleiten.

Die kaiserlichen Mahnschreiben verfehlten nicht ganz ihre Wirkung auf Peter den Großen. Schon auf das erste (vom 2. Januar 1717) hatte er im Februar zwölf weitere Bataillone unter dem Befehl des Grafen Scheremetjew aus Meklenburg abmarschiren lassen und in seinem Antwortschreiben an Karl VI. auch anerkannt, daß die

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meklenburgischen Lande alle Ursache hätten, sich über den im Norden entstandenen Krieg zu beschweren, erklärte aber zugleich, daß er sich schon verschiedene Male erboten habe und noch jetzt bereit sei, den beschwerten Ständen bei Gelegenheit des demnächst wohl zum Abschluß kommenden Friedens zu einer gerechten Schadloshaltung zu verhelfen.

Da nun auch vom Herzog Karl Leopold an ihn die Aufforderung erging, Meklenburg weiter zu entlasten, und Anfang Juni abermals ein Mahnschreiben aus Wien bei ihm einlief, so kamen die hierauf bezüglichen Verhandlungen des Baron Eichholtz mit Schafirow und Tolstoj in Spaa zu folgendem Endergebniß: Der Zar zieht den Rest seiner Truppen aus dem Meklenburgischen heraus, läßt aber nach Wahl des Herzogs bei diesem und in dessen Solde zwei Regimenter à 1500 Mann, sowie zwei Kompagnien Grenadiere zurück; "mehr Trouppen würden dem Hertzog nicht dienlich, und dieselbe nebst denen schon auf den Beinen habenden zu einer genugsahmen Verfassung und einiger Defension hinlänglich seyn, und ließe der Czaar dem Hertzog rahten, solche gleich bey denen Städten, Adel und in denen Aembtern vertheilen zu laßen. Gegen alle die den Hertzog unrechtmäßig angriffen wolten, verspräche der Czaar dem Hertzog mächtigen Schutz zu leisten."

Dieser Vertragsvorschlag ward dem Herzoge durch einen Eilboten zur Rückäußerung zugesendet.

Eichholtz fühlte sich sehr beunruhigt, wie sein Gebieter diese Botschaft aufnehmen würde. Denn derselbe hielt sehr strenge darauf, daß seine Vertreter keinen Schritt von der ihnen gegebenen Instruction abwichen. Auch Zar Peter, der inzwischen seine Reise durch Holland fortsetzte, schien auf Karl Leopolds Antwort sehr gespannt zu sein, denn so oft er dem Obermarschall begegnete, fragte er: "Hertzog noch nicht schreven?"

Endlich, in Aachen, erreichte sie die Antwort des Herzogs. Sie lautete zu Eichholtz's Glück und Beruhigung zustimmend. "Er hätte solche sub sigillo volante erhalten, und selbige dem Czaar gegeben, der nur gleich gefragt: wie der Herzog zufrieden? und als er von ihm, Eichholtz, vernommen, er wäre ungemein vergnügt, so hätte er auch dobre gesagt."

Als aber der Brief ins Russische übersetzt war, und der Zar darin las, daß der Herzog nochmals eine ausdrückliche Erklärung von ihm verlangte, daß er ihm seinen Schutz gegen "Alle und Jeden" zusagte, ward er ungehalten und beauftragte Eichholtz, dem Herzoge zu erklären, daß der Zar solchen Schutz niemals versprochen, "sondern nur in rechtmäßigen Dingen"; ausdrücklich fügte er dann noch hinzu:

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es würde ihm niemals einfallen, sich um des Herzogs willen mit Kaiser und Reich zu überwerfen.

Dementsprechend erging am 14. Juni des Zaren Befehl an den General Adam Weyde, unverweilt mit dem ganzen Rest der russischen Armee (20 Bataillone) Meklenburg zu räumen. Der General machte diesen Befehl des Zaren sofort dem Lande bekannt und gab auch unterm 18. Juni aus Güstrow dem Engeren Ausschuß in Ratzeburg in einem höflichen Schreiben Nachricht hiervon.

"So vergnügt nun die Ritterschaft über diese Zeitung war," schreibt David Franck, "so niedergeschlagen ward sie, als sie vernahm, daß Hertzog Carl Leopold eine ansehnliche Zahl von Rußischen Völckern, in seinem Lande zurückbehalten und in seine eigenen Dienste nehmen würde, wie auch geschahe. Sie bestunden in 2 Regimentern Fuß=Volck, jedes zu 1500 Köpfen, davon das eine der Obrist Wollinsky, das andere der Oberst Tylli commandirte, und 2 Compagnien Grenadiers, jede zu 150 Mann von des General=Majors Laiffey Regiment (der nachher als General en Chef in Finland commandirte); zusammen 3300 Mann. Diese hatten bisher, nebst andern, in ihre Campements bey Güstrow und Gadebusch gestanden, und sämtlich an Proviant und Bier=Geld, alles empfangen, was bis zu Ende des Monahts Julii zum Abmarsch war gefodert worden. Jetzo gaben sie die Rußischen Fahnen und Trommeln ab. Der Hertzog Carl Leopold, welcher in hoher Person zugegen war, ließ sie schweren und damit in seine Dienste treten."

Darnach verfügte dieser, mit den schon vorher von ihm angeworbenen Soldaten, über eine eigene Truppenmacht von nahezu 12000 Mann.

Am 14. Juli verließen die russischen Galeeren, nachdem sie noch "aus den adligen Höltzungen wieder ausgebessert worden," mit der Garde den Hafen Rostocks, und am 22. desselben Monats rückten die übrigen Truppen ab, allerdings unter Mitnahme von "etlichen tausenden der besten Pferde, zur Fortbringung der Bagage, bis an die Polnische Grentze." Doch diese Pferde nebst Wagen wurden auf Einschreiten des Königs von Preußen der Ritterschaft wieder zurückgegeben. Sie trafen denn auch "mitten in der Erndte, da sie am meisten nöthig thaten, zur Freude der Eigenthümer" in Meklenburg wieder ein. -

Inzwischen hatte sich in Aachen ein kleiner Vorfall zugetragen, der sehr geeignet war, dem Herzoge Karl Leopold die Sympathien seiner bisher treuesten Anhänger unter den russischen Hofleuten zu entziehen, gerade zu einer Zeit, wo es ihm auf die Erhaltung derselben am meisten ankommen mußte.

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Bei seiner Abreise von dieser Stadt hatte Zar Peter die Schatulle, in welcher er seine Familienpapiere zu verwahren pflegte, umpacken und ordnen lassen. Bei dieser Gelegenheit lernten die mit dieser Arbeit beauftragten Räthe Tolstoj und Schafirow auch den Inhalt jenes Schreibens der Herzogin Katharina, welches Eichholtz dem Zaren überbracht hatte, kennen. Aufs Höchste beleidigt, sich darin als "Schelme und Verräther" bezeichnet zu sehen, ließen sie sofort Ostermann holen und schimpften sich vor demselben weidlich über Herzog Karl Leopold und den Baron Eichholtz aus.

Letzterer, der gerade ein Bad nahm, wurde von Ostermann "blaß wie der Todt" schleunigst herausgerufen und "hätte er aus dessen verstöhrten Wesen wohl abgenommen, daß etwas sonderliches sich müße zugetragen haben." Er schwur bei Gott, von dem Inhalt jenes Briefes nicht die geringste Kenntniß gehabt zu haben, und wünschte, die beleidigten russischen Minister davon zu überzeugen. Allein, nur wer Tolstoj persönlich gekannt hätte, könnte sich vorstellen, meint er, "wie grob und verächtlich ihn derselbe angefahren, und was für Schimpf=Worte er vor sich hätte hinnehmen müßen. Sein Glück wäre gewesen, daß der Tolstoj eben fertig gestanden, hieher nach Wien zu gehen, und den unglücklichen Czaarewitz abzuhohlen, 1 ) sonsten würde er mit diesem brutalen Menschen nicht seyn ausgekommen. Jetzo aber wäre er mit denen grausamsten Betheurungen, daß er von dem Inhalt des Schreibens nicht das geringste gewust, loß gekommen."

Auch mit Schafirow hatte Eichholtz einen harten Stand; es gelang ihm aber, diesen Günstling der Zarin doch etwas mehr zu beruhigen, indem er demselben glaubte versichern zu können, daß die


1) Alexej, Peters d. Gr. ältester Sohn von seiner ersten, ins Kloster verstoßenen Gemahlin Awdotja (Eudoxia) Lapuchina, war bei seines Vaters fast beständiger Abwesenheit von Hause wenig nach dessen Herzen, sondern ganz unter den Einfluß der, diesem feindselig gesonnenen altrussischen Hofpartei gerathen. Peter hatte ihn wiederholt und strenge ermahnt, sich zu ändern und seinem ausschweifenden Leben, oder anderenfalls der Thronfolge zu entsagen. Alexej hatte auch erklärt, sich ins Klosterleben zurückziehen zu wollen, doch plötzlich im Frühjahr 1717 verließ er unter dem Vorwande, sich zu seinem Vater nach Holland begeben zu wollen, Rußland, flüchtete nach Wien und, als Peter von dort seine Auslieferung forderte, weiter nach Neapel. Dem oben genannten Tolstoj gelang es aber, ihn nach Rußland zurückzubringen. Dort wurde er vor ein strenges Gericht gestellt, der Thronfolge für unwürdig und verlustig erklärt, sogar wegen Hochverraths zum Tode verurtheilt und ins Gefängniß gesetzt. In diesem starb er aber bereits am 7. Juli 1718, wie man annimmt, in Folge der während der Untersuchung erlittenen körperlichen Mißhandlungen. Nach Anderen soll er wirklich enthauptet worden sein.
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beleidigenden Ausdrücke in dem Briefe der Herzogin sich nicht auf ihn bezögen, sondern wahrscheinlich auf den Kanzler Golowkin, den Fürsten Dolgoruky oder andere, die der Herzog im Verdacht habe, daß sie es nicht gut mit ihm meinten.

Dies war der Erfolg der ersten und einzigen Einmischung der Herzogin Katharina in die politischen Angelegenheiten ihres Gemahls. Und solches mußte sich gerade in dem Augenblick ereignen, wo Zar Peter im Begriffe stand, mit seinen Ministern und seiner Gemahlin zum Besuche des Kaisers nach Wien zu gehen. Man kann nicht sagen, daß Herzog Karl Leopold in seinen Unternehmungen viel Glück hatte. -

Zum Abschiede erhielt der Baron Eichholtz in Aachen von dem Zaren dessen Bildniß geschenkt, "welches aufs allerhöchste etwa 500 Rthlr. wehrt wäre, daß wäre alles, was er von denen Rußen aufzuweisen hätte." Dies war dem guten Eichholtz um so schmerzlicher, als er auf Wunsch bez. Befehl des Zaren denselben auf seiner ganzen holländischen Reise hatte begleiten müssen. "Er hätte also einen Hauffen Geld auf diese Reyse verthun müßen, wovon ihm der Hertzog keinen Heller wieder gegeben," klagt er. Er begab sich also auf der Heimreise zunächst nach Hamburg zu dem Rathsherrn Faber, dem Agenten des Herzogs Carl Leopold zu Hamburg, "der ihn allezeit mit Geld zu versehen pflegte."

Von diesem Rathsherrn erfuhr nun Eichholtz zu seiner Ueberraschung, "daß der Hertzog nach Abmarsch der Rußen excessive Contributiones und Portiones nach Proportion der Hufen ausschreiben wolte." Er hätte diesem Gerücht zuerst keinen Glauben geschenkt, doch als ihm dasselbe einige Tage später vom Freiherrn von Kurtzrock bestätigt worden, "hätte er sich endlich aufgesetzet und wäre nach Schwerin gereyset."

Er scheint hier Ende Juli oder Anfang August wieder eingetroffen zu sein. Denn bei seiner Ankunft im Schlosse tagte gerade unter dem Vorsitze des Herzogs und bei verschlossenen Thüren eine Conferenz des gesammten herzoglichen Geheimen Rathes, welche dieselben Regierungsmaßregeln durchberiet, die den Gegenstand der fürstlichen Mandate und Publikationen vom 31. Juli, 10. August, 30. August und 3. September 1717 bildeten. 1 ) Eichholtz erzählt


1) Es betraf dies eine, zum Zweck der "Landesdefension" zu erhebende Steuer und zwar für die Ritter= und Klostergüter insbesondere im Verhältniß zu deren eigentlichen Werth, d. h. nach der Anzahl ihrer Hufen. Zugleich war aber in den fürstlichen Erlassen ausdrücklich hervorgehoben, daß, "wenn Jemand über praegravation (daß er zu hoch angesetzt sey) zu klagen Ursach hätte, er sich bei der Regierung melden solte, da dann eine Abhelfung erfolgen würde, die der Justice und Billigkeit gemäß wäre."
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davon: "Alß er daselbst angekommen, hätte sich der Hertzog in dem Geh. Rath verschloßen befunden, wäre aber aufgestanden, hätte das Zimmer aufgemacht und den Freyherrn von Eichholtz mit den Wordten empfangen: Er hätte seine Sache gahr wohl ausgerichtet, jetzo solte er sich daher setzen und hören, was da vorginge. In dem Geh. Rath hätte sich Schoepffer, Schaper, der Land=Commissarius Sturm, Vietinghoff, Lilienstreng, Walter, und in Summa alles, was von Civil= und Kriegs= Bedienten der Hertzog gehabt, befunden und wäre endlich der Schluß dahin gefallen, daß 9000 Portiones von der Ritterschaft Monatlichen solten gefordert, und mit 3 1/2 Rthlr. bezahlet werden."

Der Geheime Rath von Eichholtz legte dagegen in einer längeren Ausführung dar, daß die Ritterschaft außer Stande sei, eine solche Steuer allein aufzubringen; dann, auf den Einwurf des Herzogs, daß in Meklenburg ebensoviele Hufen wären, als in Pommern, und daß, was dort möglich sei, auch hier durchgeführt werden könne, suchten Eichholtz und der Oberst von Lilienstreng dagegen geltend zu machen, daß die pommerschen Hufen größer wären, als die meklenburgischen, und dazu noch der Boden dort erheblich fruchtbarer. Allein der Herzog, "dem Verdruß aus den Augen zu lesen gewesen, hätte gesagt: der Eichholtz sehe aus einen blinden Eyffer vor den Kaiserl. Hoff das Werck nicht so an, wie es in der That wäre. Man solte ihm also nur eine generale Information von der Sache geben, damit er sich derselben in Wien bedienen könte." Auch auf alle weiteren Einwendungen "hätte der Hertzog endlich alle Gedult verlohren und gesagt: Es müsse so bleiben!"

Damit war diese geheime Rathssitzung beendigt, und alsbald erging, da der Engere Ausschuß in Ratzeburg seiner Vorladung nach Schwerin zum 27. Juli nicht Folge geleistet hatte, ein herzogliches Mandat d. d. 28. Juli, welches von allen Kanzeln verlesen und überall öffentlich angeschlagen ward, "daß niemand in Lehn=Güter, ohne Lehn=Herlichen Consens, Geld thun solte: weil solches wieder die üblichen Lehn=Rechte wäre, wornach auch in allen Gerichten solte gesprochen werden." Darnach (am 10. August) folgte eine militairische Execution gegen die Rittergüter zur Beitreibung der ausgeschriebenen Portionsgelder und endlich, da der Engere Ausschuß eine wiederholte Vorladung nach Schwerin abermals ablehnte, das schon in oben erwähnter Konferenz in seinem Wortlaut festgestellte scharfe Edict vom 3. September d. J. 1 )


1) In diesem gedruckt vorliegenden und an allen öffentlichen Orten ausgehängten sog. Manifest heißt es, nachdem das beharrliche Verweilen (  ...  )
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Nach Schluß jener Konferenz hatte Herzog Karl Leopold den Freiherrn von Eichholtz allein bei sich zurückbehalten. Er zeigte sich jetzt diesem gegenüber "sehr übel zufrieden, daß ihm der Czaar nicht gegen alle ohne Unterschied in allen Begebenheiten seinen Beystand hätte versprechen wollen. Er müste ein vor allemahl den Czaar selbsten [noch einmal] sprechen, damit er ihn zu anderen Gedanken bewegte. Er der Eichholtz hätte gedacht: Reyse nur hin! Der Czaar wird dir schon sagen, was zu sagen ist!"

Bald darauf gab der Herzog seinem Obermarschall den Auftrag, "eine Speciem facti aufzusetzen, wie es mit seinem Prozeß zwischen ihm und der Ritterschafft eigentl. bewand, und die wolte er dem Czaar geben, um ihn auf andere Gedanken zu bringen, und hätte er keine Rast noch Ruhe gehabt, biß er die Schrifft fertig gesehen . . . Alß aber der Hertzog die Schrifft bekommen, hätte ihm solche gar nicht gefallen, sondern er hätte sich mit seinem Walter darüber gesetzt, und eine andere zusammen geschmiedet, die hart und scharff genug. . . . gewesen."

Gegen Ende August traf die Nachricht ein, Zar Peter werde demnächst von Wien zurückkehren und über Magdeburg nach Berlin gehen. Sofort beschloß der Herzog, dem Zaren bis Magdeburg entgegenzureisen und ihn dort zu erwarten. Eichholtz rieth zwar seinem Herrn, als Ort des Stelldichein doch lieber Berlin zu wählen, da hier der Zar länger verweilen würde, als in Magdeburg, "allein da wäre wieder nichts zu thun gewesen, und der Hertzog auf seinen fünf Augen bestanden."

Der Hoffourier wurde sogleich nach Magdeburg vorausgeschickt, um dort ein geeignetes Haus zu miethen. Einige Tage darauf folgte auch der Herzog mit seiner Gemahlin, "mit Küch' und Keller" nach.

Am 4. September traf er in Magdeburg ein und ließ sich dort mit seinem Hofe häuslich nieder. Er hatte aber in der Eile seiner Reisedispositionen nicht daran gedacht, daß der derzeitige Kommandant der Festung, der Fürst von Anhalt=Dessau, ein Oheim seiner ersten, von ihm verstoßenen Gemahlin Sophie Hedwig war. "Da sie sich denn wie zwei ergrimmte Löwen angesehen, und doch hätte der


(  ...  ) des Engeren Ausschusses außer Landes als ein Vorhaben hingestellt ist, welches nur auf landesverderbliche Unruhe und unverantwortliche Weitläufigkeiten abziele: "Da wir dergleichen intolerablen einer Rebellion gantz ähnlichen Frevel und Muhtwillen nicht gestaten können; sondern auf alle Weise und ernstlich, kraft habender Reichs= Fürst= und Landesherrlichen auctoritaet, Hoheit und Befugnis, uns dagegen setzen müssen, mithin des fästen Vorsatzes seyn, es koste was es wolle, unsere Landes Fürstl. Regalia, wieder diejenige, so solche zu schmälern suchen, rechtlich, unter göttlichem Beystand zu conteniren und zu vertheidigen . . . . . . So haben wir u. s. w."
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Fürst von Anhalt das decorum observiret, dem Hertzog die Visite gegeben, und außer denen Mienen, die er nicht zu verstellen gewust, sich sehr höfflich erwiesen."

Zwei Tage später (6. September) traf auch Zar Peter in Magdeburg ein. Er stieg aber nicht in dem Königlichen Schlosse ab, obwohl dieses zu seinem Empfange aufs Prächtigste hergerichtet war, sondern legte sich sogleich beim Herzoge Karl Leopold ins Quartier, so daß also dessen Haus während dieser Tage der Mittelpunkt aller Festlichkeiten und Empfänge wurde.

Da Zar Peter schon sehr früh am Tage von seiner Reise eintraf, glaubte der Herzog ihm zum Frühstücksimbiß nichts Besseres anbieten zu können, als eine Tasse guten und heißen Thees. Der Zar aber lehnte dankend ab und erbat sich lieber eine Flasche Burgunder. Dabei fragte er, ob und wieviel Thee der Herzog denn selbst jeden Morgen zu trinken pflegte?

Karl Leopold wies auf ein vor ihm stehendes Glas und erwiderte: "So viel!"

"Wel, ghy bint een Geck!" antwortete Peter.

Um solchen ungerechtfertigten Vorwurf zurückzuweisen, erklärte ihm der Herzog, daß auch "sein Leib=Medicus der Schaper" ihm den Genuß dieses aromatischen und belebenden Getränkes anempfohlen hätte; doch Zar Peter wünschte recht zu behalten und entgegnete deshalb kurzweg: "So is he noch een grooter Geck as ghy!" 1 )

Nach eingenommenem Frühstück, erzählt dann Eichholtz weiter, "wäre endlich der Hertzog mit seiner wohl ausgearbeiteten Specie facti hervor gewischt," und hätte sie dem Zaren übergeben. Dieser beauftragte Ostermann, sie sogleich ins Russische zu übersetzen,

während er selbst sich nach dem Dom begab, um denselben und darnach noch andere Sehenswürdigkeiten der Stadt in Augenschein zu nehmen.

Nach Hause zurückgekehrt, nahm er sogleich Einblick in die inzwischen übersetzte Denkschrift des Herzogs. Dann wandte er sich an diesen: "Was er davor hätte? Das wären lauter unbillige Dinge, und gar tyrannisch. Er solle bedencken, daß der Kayser das nimmer


1) Man vergleiche hiemit das früher in der Anmerkung zu Seite 220 Gesagte. - Auch auf den "Leibmedikus" Schaper paßte eigentlich die hier von Peter d. Gr abgegebene Charakteristik sehr wenig. Derselbe war nach allen über ihn noch vorhandenen Berichten seiner Zeitgenossen nichts weniger als ein " Geck". Er galt vielmehr bei diesen, selbst bei seinen politischen Gegnern, nicht nur für einen hervorragend tüchtigen Arzt, sondern auch für einen ungewöhnlich begabten Staatsmann.
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leyden würde, und könte und wolte er ihm in solchen Dingen nicht beystehen."

Als der Herzog ihm dagegen vorzustellen suchte, daß das Reich und dessen Stände dem Kaiser gegenüber seine Sache zu der ihrigen machen würden, warf der Zar wiederholt und verächtlich dazwischen: "Fuy Reich! Fuy Reich! alß wenn er den Hertzog mit diesen Antrag ausgelacht, und wären also der Hertzog und deßen Rathgeber da gestanden, wie Butter an der Sonnen, und hätten nicht das Maul dörffen aufthun, indem ihnen der Czaar sonst gahr sein ihre Tituln würde nach einander hergesagt haben."

Man sieht also, Peter hatte etwas in Wien gelernt, und der damals auf der Höhe seiner Macht stehende Kaiser Karl VI. hatte nicht verfehlt, mit seiner schlauen Diplomatie und zielbewußten Politik auf den naiven nordischen Recken einen mindestens ebenso tiefen Eindruck zu machen, als der von ihm vorher besuchte Hof von Versailles. - Auch des Zaren Großkanzler Golowkin nahm den Baron Eichholtz auf die Seite und bat ihn, doch sein Möglichstes zu thun, den Herzog von seinen allzu weitgehenden Maßnahmen gegen seine Landstände abzubringen.

Zar Peter hatte zuerst die Absicht, noch an demselben Tage nachmittags nach Berlin weiter zu reisen, "es hätte ihn aber eine grausame Colique überfallen, so daß er die Nacht in Magdeburg bleiben müßen, und erstlich den andern Tag da es besser mit ihm geworden, sich auf den Weg machen können."

Während sich des Freiherrn von Eichholtz Bericht über Peter des Großen und Herzog Karl Leopolds Aufenthalt in Magdeburg auf Mittheilung des hier Wiedererzählten beschränkt, weiß der preußische Kammerherr von Pöllnitz in seinen Memoiren noch allerlei andere pikante Anekdoten zu berichten. 1 ) Mag nun an diesen Erzählungen irgend eine Kleinigkeit auf Wahrheit beruhen oder nicht, so hat jedenfalls der sehr scharfsichtige und offenherzige Eichholtz trotz seiner beständigen Gegenwart um die Personen der beiden Fürsten nichts davon bemerkt. Des Baron von Pöllnitz 2 ) Zeugniß kann, wie


1) Pöllnitz, Mémoires, Th. II, s. 65 ff. - In ähnlicher Beleuchtung erscheint auch Peters des Großen originelle Persönlichkeit und die Umgebung der Zarin Katharina in den " Denkwürdigkeiten aus dem Leben der königl. preuß. Prinzessin Friederike Wilhelmine (v. Bayreuth) v. 1706-42." - An beiden Orten haben wir es aber weniger mit Geschichte, als vielmehr nur mit einem, auf amüsanten und drastischen Effekt, nicht aber auf wahrheitsgetreue Schilderungen abgesehenen Hofklatsch zu thun.
2) "Gut zur Unterhaltung bei Tisch, hernach einsperren!" lautete Friedrichs des Großen treffendes Urtheil über diesen charakterlosen Hofmann und Schriftsteller. (Preuß, Friedrichs des Großen Jugend, s. 180.)
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überhaupt, so besonders an diesem Orte über den russischen Zaren und den meklenburgischen Herzog als kein klassisches angesehen werden. Daß solche Klatschgeschichten um diese Zeit gerade in Magdeburg mit größtem Vergnügen erfunden, angehört und weitererzählt wurden, erklärt sich schon aus dem Umstande, daß die in der dortigen Gesellschaft zur Zeit einflußreichste Persönlichkeit, der Fürst von Anhalt=Dessau, ein Oheim mütterlicherseits von der immer noch nicht endgültig von Karl Leopold geschiedenen Herzogin Sophie Hedwig war. Deren Familie hatte gar keinen Grund, auf den meklenburgischen und russischen Hof irgendwelche zarte Rücksichten zu nehmen, und that es auch nicht, wie wir oben (S. 235) bereits gesehen haben.

Da Herzog Karl Leopold wünschte, Zar Peter auch nach Berlin zu begleiten, andrerseits aber nicht wußte, ob seine Anwesenheit daselbst genehm sein würde, schickte er einen seiner Hofkavaliere dahin, seine Ankunft anzumelden. Es erfolgte die Antwort zurück, der Herzog würde willkommen sein; auch wurde demselben eine Wohnung in dem sog. Fürstenhause angeboten. Allein Karl Leopold zog es vor, "sich wider des Preußischen Hofes Willen in eben dem Hause einzulogiren, wo der Czaar gewesen, so daß nur ein Zimmer zwischen den beyden Gemächern, welche sie eingenommen, gewesen, denn des Hertzogs Freude wäre, wann er so à la Suedoise gleich zu, wo es ihm beliebte, sich einlogiren könte."

Das Quartier des Zaren in Berlin befand sich aber nach den Denkwürdigkeiten der Prinzessin Wilhelmine von Bayreuth in dem Schlößchen Monbijou. -

Man kann dem Herzog Karl Leopold eine gewisse Anlage zu hoher Politik nicht absprechen. Dagegen scheint es ihm andererseits wieder, wenigstens zeitweilig, an jedem diplomatischen Geschick gefehlt zu haben, jenes fürstliche Talent für sich selber fruchtbar zu machen. Man sieht ihn bei seinen Unternehmungen zuerst und im Allgemeinen fast immer, von einem richtigen Instinct geleitet, gerade aufs Ziel lossteuern und doch dasselbe nie erreichen, da er die unterwegs entgegenstehenden Hindernisse nicht zu meiden verstand, entweder weil er sie überhaupt nicht sah oder weil er sie in ihrer Bedeutung unterschätzte. Es hatte dies seinen Grund wahrscheinlich in einem Mangel an Selbstbeherrschung und seinem maßlos eigensinnigen Kopfe, aber auch in seiner ganzen Lebensanschauung und besonders in seinem Begriff von souveräner Fürstlichkeit. Eichholtz sagt an einer anderen Stelle einmal von ihm: "Des Hertzogs humeur sey so beschaffen, daß er meinet, wann nur jemand sein Dessein biß auf den letzten Augenblick behauptete, so müße doch endlich noch alles guth gehen,

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und nach Vergnügen ausschlagen. Das hätte er vom König in Schweden" und deshalb auch als "axioma" den Horazischen Spruch gehabt:

"Fortem et constantem propositi virum
nec civium ardor prava jubentium
nec vultus instantis tyranni
mente quatit solida. . . ."

Es erscheint ja freilich recht männlich, ehren= und heldenhaft, zumal für einen Fürsten, wenn man seine Absichten durch die dem eigenen Willen innewohnende sittliche Kraft allein durchzusetzen vermag; immerhin wird man daneben aber auch Klugheit und Vorsicht in Behandlung einflußreicher Menschen und Umstände zu nicht minder werthvollen Tugenden eines tapfern Mannes und Fürsten zu zählen berechtigt sein. Herzog Karl Leopold scheint aber dieser Ansicht nicht gewesen zu sein, wenigstens nicht während seines Aufenthalts in Berlin, noch auch, wie wir seinerzeit sehen werden, später in Wien dem kaiserlichen Hofe gegenüber.

Schon gleich am ersten Tage seines Eintreffens in Berlin, als er zur Abendtafel des Königs geladen wurde, beanspruchte er den Vortritt vor den Markgrafen von Brandenburg, auch daß seine vor deren Gesundheit getrunken werde, andernfalls, begehrte er, sollten die Markgrafen ganz von der königlichen Tafel wegbleiben.

Wegen des Trinkspruchs erklärte sich der König nach Rücksprache mit den Markgrafen einverstanden, den Vortritt glaubte er aber dem Herzoge nicht gewähren zu können. Doch dieser bestand dem Minister von Ilgen gegenüber auf seiner Forderung , indem er geltend machte, daß in einem ähnlichen Falle, als sein Bruder und Vorgänger in der Regierung, der Herzog Friedrich Wilhelm, in Berlin zu Besuch gewesen sei, die Markgrafen auf ihre Besitzungen abgereist seien; und er sei doch nicht weniger als sein Bruder.

Ilgen antwortete, der verstorbene Herzog Friedrich Wilhelm habe sich vor seiner Ankunft in Berlin rechtzeitig über das zu beobachtende Zeremoniell verständigt, und so hätte man die Markgrafen unter einem anständigen Vorwande entfernen können. Se. Durchlaucht geruhten aber heute so zu sagen als ein nicht erwarteter Gast ("gleichsam insalutato hospite") zu kommen, und unter sothanen Umständen könne der König doch nicht zulassen, daß die Markgrafen, die leiblichen Brüder seines hochseligen Vaters, in seinem eigenen Hause beleidigt würden. Das einzige Mittel, aus dieser unangenehmen Lage herauszukommen, wäre vielleicht noch das, "daß man Zettel zöge, und durch einander hersäße."

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Aber das gefiel dem Herzoge auch nicht, und so erschien er trotz der Zureden des Zaren und anderer Personen gar nicht an der Tafel des Königs. Und doch war der Hauptzweck seiner Anwesenheit in Berlin der, das mit dem Könige von Preußen schon vorher eingegangene Bündniß noch enger zu schließen.

Hier in Berlin kam auch der Ehescheidungsprozeß des Herzogs mit seiner ersten Gemahlin Sophie Hedwig auf dem Wege des Vergleichs zu Ende, wenn auch sehr gegen den Willen Karl Leopolds. Zar Peter, der in Wien Gelegenheit gefunden hatte, sich über den Stand dieser ganzen Sache genauer zu unterrichten, war auch mit den Sachwaltern der verstoßenen Fürstin in Verhandlungen getreten und hatte es erreicht, daß diese sich erbötig zeigte, auf einen Vergleich einzugehen, falls der Herzog ihr die eingebrachte Aussteuer herausgeben und eine, ihrem Range entsprechende Jahresrente aussetzen würde. Als der Herzog hievon nichts hören wollte, "hätte der Czaar sich grausahm ereyfert und dem Hertzog sagen laßen: Er hätte ihm zwar seine Niece auf sein des Hertzogs Gewißen gegeben, daß aber Sie dereinst vor eine Hure passiren solte, könte der Czaar nicht zugeben."

Durch die ihre Gemächer allein trennende Glasthür soll dann Zar Peter den Eindruck beobachtet haben, den diese seine Worte auf Karl Leopold hervorbrachten. Dieser erschien zuerst im höchsten Grade "desperat", Schloß dann aber doch mit den Bevollmächtigten der Herzogin Sophie Hedwig einen Vergleich dahin ab, daß er ihr eine Jahresrente von 5000 Thalern aussetzte, sowie eine einmalige Abfindungssumme von 30000 Thalern bezahlte.

Da der Herzog wohl nicht ohne Grund annahm, daß des Zaren Günstling Jagushinsky, wie schon häufig vorher, so auch in dieser Angelegenheit seinen Einfluß bei Peter gegen ihn geltend gemacht hätte, 1 ) so stieg jetzt sein Zorn gegen diesen russischen Hofmann aufs Höchste und suchte sich bei der ersten besten Gelegenheit gegen denselben Luft zu machen.

Am letzten Tage der Berliner Zusammenkunft gab der russische Gesandte am Berliner Hof, Golowkin den hohen Fürstlichkeiten


1) Man vergleiche hierüber das S. 238 Erzählte. Man darf auch wohl annehmen, daß die in dem Briefe der Herzogin Katharina enthaltenen Ausdrücke von "dem Herzoge übel gesonnenen Schelmen und Verräthern unter den russischen Räten" (s. S. 247 ff.) sich weniger, wie Eichholtz die Sache umwenden wollte, auf Golowkin und Dolgoruky, als vielmehr gerade auf Jagushinsky beziehen sollten. Denn dieser hatte schon von den Danziger Festtagen her, vielleicht weil er sich unter den damals vom Herzoge so reich beschenkten russischen Räthen nicht befand, fast stets seinen Einfluß gegen denselben geltend zu machen gesucht.
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ein Gastmahl. Als schon der Nachtisch aufgetragen war, trat zufällig Jagushinsky ins Zimmer. Da erhob der Herzog seinen Becher und rief laut: "Monsieur Jagozinsky seine Gesundheit! und daß er meiner Ritterschaft allezeit gewogen verbleibe und dem Czaar sage, daß selbige zu viel erlitten, damit ihm dieselbe unter der Hand braf schenken könne!"

Der so in großer Gesellschaft vor dem Zaren, seinem Gebieter, und dem Könige von Preußen stark brüskirte Jagushinsky "hätte zwar den Ohrt, wo er gewesen, nicht vergeßen, und wäre hinausgegangen, da er, der Baron Eichholtz ihm denn zum Unglück begegnet, und wäre leichtlich zu gedencken, wie der Hr. v. Jagozinsky loßgezogen . . ." Auch alle übrigen russischen Hofleute und Minister sahen sich in ihrem Kollegen mit beleidigt.

Als Eichholtz nach dem Essen dem Herzoge dies berichtete und ihm seine Unvorsichtigkeit vorwarf, erwiderte dies er, er bedaure zwar selbst diesen Vorfall, aber er hätte damit doch endlich einmal sein Herz erleichtert. Dann beauftragte er den Obermarschall, den Jagushinsky möglichst wieder zu versöhnen und ihn zur herzoglichen Tafel einzuladen. Doch alle Höflichkeiten und Entschuldigungen hatten nach solch einer Beleidigung begreiflicherweise eine nur schlechte Wirkung.

Man sieht, der Herzog war wie erpicht darauf und hatte ein ganz besonderes Geschick darin, sich überall ohne genügenden Grund Feinde zu machen. -

Von dieser Zeit an, seit Peters des Großen Rückkehr aus Wien, war seine Stimmung gegen seinen Schwiegerneffen merklich verändert; seit ihrem gemeinschaftlichen Aufenthalte in Berlin hören ihre gegenseitigen Beziehungen fast ganz auf, für Herzog Karl Leopold von thatsächlicher Bedeutung zu sein.

Nach Meklenburg zurückgekehrt, hoffte er noch lange auf die Hülfe Peters gegen seine immer mächtiger und, dem Zurückweichen jenes entsprechend, immer dreister auftretenden Widersacher. Vergeblich erinnerte ihn Eichholtz an das in Magdeburg Vorgefallene. Eines Tages, erzählt derselbe, betrachtete der Herzog lange das in seinem Arbeitszimmer hängende kleine Bildniß des Zaren. Dann sagte er: "Ey! er sieht gahr zu redlich aus! er wird mich nicht verlaßen!"

Diese Worte zeigen, daß dem unglücklichen Fürsten, obwohl noch im Vollbesitz seiner landesherrlichen Macht, doch jetzt schon seine Rolle als Prätendent, die er bald Allen offenbar bis zu seinem Tode spielen sollte, vor Augen stand und zum Bewußtsein gekommen war.

Um so größere Hoffnung setzte Karl Leopold nunmehr auf sein Bündniß mit Preußen. Denn trotz der keinen, in Berlin vorgefallenen Mißhelligkeiten war es ihm doch daselbst gelungen, vielleicht

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unter Befürwortung des Zaren, sich mit dem Könige Friedrich Wilhelm I. enger zu verbinden. Dieser hatte ihm sogar, "da sie einstmal mit einander lustig gewesen, heimlich ins Ohr geraunet: Er wolle ihn keinen Tort leiden laßen."

In der That hatte auch Preußen das größte Interesse daran, in der Entwickelung der nordischen und speciell meklenburgischen Angelegenheiten sich sowohl von Kaiser Karl VI., als von König Georg I. nicht an die Wand drücken zu lassen. Es hatte eben erst durch die Besetzung Stettins und seine weiteren kriegerischen Erfolge in Pommern und Rügen die Wachsamkeit seiner Politik und die Schlagfertigkeit seines Heeres aufs glänzendste bewiesen. Doch an dem jesuitischen Hofe zu Wien war man von den Waffenerfolgen des protestantischen und schon damals nicht immer sehr fügsamen Preußen ebenso wenig erbaut, als an dem welsischen, nach den schwedischen Besitzungen in Nordwestdeutschland (Bremen und Verden) ebenso, wie nach den meklenburgischen Landen lüsternen Hofe von England=Hannover. Die Rivalität zwischen den beiden mächtigsten evangelischen Reichsständen in Norddeutschland konnte der habsburgischen Politik nur passen, und man spielte deshalb dieselben gern abwechselnd gegen einander aus. Um diese Zeit nun konnte der Kaiser im Kriege gegen Spanien die Bundesgenossenschaft des ihm sonst ebensowenig als Preußen sympathischen Englands nicht entbehren. Es wurde deshalb Letzteres neben Braunschweig=Wolffenbüttel unter Uebergehung Preußens mit der Reichsexecution (dem sog. Conservatorium) gegen den Herzog von Meklenburg beauftragt (22. October 1717), obwohl Preußen als derzeitiger Director des niedersächsischen Kreises die nächste Anwartschaft darauf besessen hätte. Dies verdächtige Vorgehen des Kaisers und dazu der Umstand, daß dem Könige von Preußen nach einem, erst im Jahr 1708 erneuerten Erbvertrage im Fall des Aussterbens des meklenburgischen Fürstenhauses die Nachfolge in der Regierung zugesichert war, hatten nunmehr Friedrich Wilhelm I. veranlaßt, sich den Absichten des Herzogs Karl Leopold geneigter zu zeigen. Der König unternahm auch verschiedene Vermittlungsversuche in Hannover und Wien, sowie zwischen dem Herzoge und seiner Ritterschaft, um das thatsächliche Einschreiten des kaiserlichen Conservatoriums in Meklenburg zu hindern. Doch als alle diese Versuche an der Unversöhnlichkeit aller Theile scheiterten, und auch die groß=politischen Conjuncturen sich inzwischen wieder etwas geändert hatten, ließ er es vorläufig dabei bewenden. Dem Herzoge gegenüber aber präcisirte er, nach Eichholtz, sein demselben in Berlin gegebenes Wort auf Anfrage des meklenburgischen Gesandten von Habichsthal durch seinen Minister von Ilgen

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dahin: "Sr. Königl. Maj. hätten niemahls die Gedancken gehabt, dem Hertzog realiter, wie derselbe vermeynet, mit 30000 Mann zu assistiren, sondern Ihre Meynung wäre dahin gegangen, daß er bey dem Kayser und dem König in Großbritt. Seine Officia dahin anwenden wolle, damit dem Hertzog kein Tort geschehe, aber mit Mannschafft ihm beyzustehen, hätte der König mit Nein! Nein! Nein! beantwortet, und solches niemahls im Sinn gehabt zu haben bezeuget, welches sie ihrem Herrn wieder referiren solten."

Trotz alledem ließ sich aber Herzog Karl Leopold durch das am 22. October über ihn verhängte kaiserliche Conservatorium nicht einschüchtern. Er reichte vielmehr dagegen im November bei den in Regensburg versammelten Reichsständen ein Circular und darnach im December noch eine "Höchstgemüßigte Anzeige" ein, worin er darzuthun suchte, daß der Kaiser sich durch falsche Angaben seiner aufrührerischen Vasallen hätte täuschen lassen; diese, die Ritter, hätten einen geradezu unerhörten Ungehorsam bewiesen und ihre Pflichten als Unterthanen ihrem Landesherrn gegenüber gänzlich aus den Augen gesetzt.

Zugleich traf er auch durch Ankauf von Zelten, Pulverkarren, Granaten und sonstigem Kriegsbedarf alle Anstalten zu einer energischen Abwehr der etwa gegen ihn vorrückenden Reichstruppen. Unter seinen Offizieren ging sogar das Wort um: der Weg von Meklenburg nach Hannover sei nicht weiter, als der von Hannover nach Meklenburg. Und durch solch trotziges Auftreten erreichte er allerdings einen noch weiteren Aufschub der ihm drohenden Execution auf länger als Jahresfrist. -

Das Jahr 1717 ging also noch ungefährdet für ihn vorüber, und er ließ es sogar für sein Land gewissermaßen mit einem friedlichen Glockenwohllaute ausklingen, indem er zu Weihnachten als Bischof der Landeskirche sein Volk zum Trost für alle, zum guten Theil durch ihn selber über dasselbe heraufbeschworene Trübsal und Heimsuchung mit dem noch heute bei uns gebräuchlichen Landeskatechismus beschenkte.

Im folgenden Jahre entbrannte aber mit um so größerer Heftigkeit aufs Neue der Kampf mit der Ritterschaft. Diese schürte und erwartete mit Ungeduld das endliche Einrücken der Executionstruppen nach Meklenburg. Der sog. Engere Ausschuß in Ratzeburg erließ Proteste über Proteste wider alle Anordnungen des Herzogs und untersiegelte dieselben ohne Weiteres mit dem auf der Flucht mitgenommenen Landessiegel, als ob er im Namen der gesammten Ritter= und Landschaft handelte. Als auf diese und andere Anmaßungen der Herzog die peinliche Anklage auf Hochverrath erhob

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und von den einzelnen Mitgliedern der Ritterschaft eine eidliche Erklärung verlangte, daß sie an solchem Treiben des sog. Ausschusses keinen Antheil hätten, beeilte sich dieser, alle vom Adel aufzufordern, den Eid zu verweigern oder, wenn schon gegeben, denselben als null und nichtig zu widerrufen; ja, er versprach sogar jedem Geflüchteten eine monatliche Auszahlung von 30 Thalern an Unterstützungsgeld.

Der Herzog antwortete hierauf mit einem strengen Erlaß (vom 9. Juni 1718), worin er seine Unterthanen vor der Betheiligung an solchem "gewissen= und ehrlosen Unternehmen und höchst strafbaren Betragen, dieser Leute" warnte. Dann händigte er dem endlich am 21. Juni in Sternberg zusammengebrachten Landtage ein neues Landessiegel ein und setzte hier durch Drohungen auch ziemlich seinen Willen durch. Die Theilnahme an diesen Landtagsverhandlungen ward aber nur den Unterzeichnern jenes eidlichen Reverses zugestanden; die Schriften der Ratzeburger wurden öffentlich auf dem Marktplatz zu Sternberg vom Scharfrichter verbrannt; die Stadt Rostock unterwarf sich, während die meklenburgischen Landstädte, unter Führung von Güstrow und Parchim, welche in Ansehung der Steuererhebung u. dgl. etwas begünstigt waren, schon vorher treu zum Herzoge gehalten hatten. Die Güter der Adeligen aber, welche außerhalb Landes blieben und den geforderten Eid der Treue abzulegen sich weigerten, wurden mit Beschlag belegt, durch herzogliche Administratoren verwaltet und schonungslos zur Aufbringung der ausgeschriebenen Contributionsgelder ausgenutzt. Alle Abmahnungsschreiben befreundeter Reichsstände an den jetzt über alle Maßen gereizten Herzog, "von solchem harten Verfahren wegen der très-facheuses conséquences doch wenigstens in Rücksicht auf die Zeitumstände und Conjuncturen abzustehen," blieben erfolglos. So erklärte denn jetzt auch (4. October) König Friedrich Wilhelm dem Herzoge: "Ich habe hiedurch ein= vor allemal declariren müssen, daß ich mit E. Dchl. gegen den Adel auszuübenden Actions nicht das geringste wil zuthun haben; vielmehr aber wenn die wieder E. Dchl. obhandene schwere Begebenheiten (nämlich die Execution) anbrechen werden, mich gantz ausser dem Spiel halten."

Der König von Preußen hatte auch alle Veranlassung, sich unter den inzwischen eingetretenen "Zeitumständen und Conjuncturen" vorsichtig zu verhalten. Nachdem Peter der Große seine sämmtlichen Truppen aus dem westlichen Europa weitweg zurückgezogen hatte und neuerdings sogar mit Karl XII. von Schweden in Friedensverhandlungen eingetreten war; nachdem Oesterreich den Krieg gegen die Türken durch den Frieden von Passarowitz (21. Juli 1718) so ruhmreich beendet, und England durch den Abschluß der sog.

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Quadrupelallianz (mit Frankreich, Holland und Oesterreich, April 1718), sowie durch seinen glänzenden Sieg über die spanische Flotte bei Passaro (11. August 1718) eine sehr einflußreiche Stellung in dem europäischen Concerte erlangt hatte, stand Preußen unter diesen seinen mächtigen und abgünstigen Rivalen ziemlich isolirt da. Es wurde dieses noch mehr, als der Kaiser und England sich auch noch mit Sachsen= Polen in Unterhandlungen einließen, die bereits im Januar 1719 zu der sog. Wiener Allianz führten.

Herzog Karl Leopold hatte also gegen Ende des Jahres 1718 garkeinen Bundesgenossen, auf dessen Hülfe er irgendwie hätte hoffen können; 1 ) und das gegen ihn heraufsteigende Gewitter nahm eine


1) Wenn Herzog Karl Leopold nicht doch vielleicht noch, wofür sich allerdings einige Anzeichen finden, mit seinem alten Waffengefährten Karl XII. von Schweden in geheimer Verbindung gestanden hat. Es liegt mir u. a. eine merkwürdige handschriftliche Aufzeichnung vor unter der Ueberschrift: "Was den Herzog Carl Leopold bewogen, so viele Völcker auf die Beine zu bringen," deren unbekannter Verfasser ohne Frage längere Zeit in der nächsten Umgebung des Herzogs gelebt haben muß. Diese Aufzeichnung lautet: " Aus öffentlichen Schrifften ist genugsam bekannt, daß der Hertzog seine große armatur (er hatte an 14 mille Mann auf den Beinen) mit der Landes=defension beschönigte. Es konnte aber seine Staats=role so geheim nicht gespielet werden, daß nicht andere Staatsfalken=Augen sie entdeckt hätten. Der Czar Peter I. war bekanntlich ein Schwager des Hertzogs. Er wurde bei der Einnahme von Wismar disgoutirt, indem die übrigen Alliirten, die Dänen, Hannoveraner und Preußen einzogen, und als die Russen kamen, der Schlagbaum zugezogen wurde, so daß sie zurückbleiben musten. Dieses und wer weiß was mehr, hatte des großen Peters Rache rege gemacht und sich heimlich mit König CarI XII., der nunmehr alle teutschen Länder verlohren hatte, verbunden, ihn mit Gelde und sonst zu assistiren, um den Kön. Georg I. zu dethronisiren und den Prätendenten, der damahls noch einen großen Anhang in England hatte, einzusetzen. Eine französische [? spanische] Flotte sollte im Hafen bei Friedrichshall im Frühjahr 1719 erscheinen, den König Carl mit seinen Trouppen einnehmen, nach England überfahren um so zum zweiten Male Könige ab= und einzusetzen. Das war die Ursache, die sonst kein Mensch begreiffen konnte, daß Carl XII. im Winter nach Norwegen marschirte und Kriegsoperationen anfangen ließ. Allein da kurtz vor Weihnachten a. 1718 eine Kugel den nordischen Helden vor erwähnter Festung zu Boden legte, ging der gantze Entwurfs zusamt den Vortheilen verlohren, die der Hertz. C. L. davon tragen sollte, Dieseln hatte der Czar 2 Regimenter Russen, zusammen über 3000 Mann starck, geschencket. Er hatte die von seinem Bruder empfangenen Regimenter ansehnlich vermehret, ein neues starckes Dragoner=Regiment unter Commando des Obristen v. Lilienstreng angerichtet und um damit zu Stande zu kommen, den Vortheil gehabt, daß er die Schwedischen Gefangenen bey Einnahme der Vestungen Wismar und Stralsund in großer Anzahl anwerben konnte. Dieses corps nun sollte zufolge der geheimen Verbindung mit dem Czar, Frankreich [? Spanien] und dem Kön. Carl XII. in die nächsten Hannoverischen Provinzen einfallen, das Hertzogthum Lauenburg vornehmlich occupiren und Mecklenburg incorporiren, (  ...  )
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immer bedrohlichere Gestalt an. Allein noch immer nicht schien er diesem irgendwelche Gefahr beizumessen, sondern gab sich vielmehr,


(  ...  ) sobald Carl in Engelland den Meister spielen würde, mithin sollte das alte Wendische Königreich, wenn anders eines jemalen dagewesen, wieder errichtet werden. und so wäre Carl Leopold der erste König der Wenden geworden. - Diese Staats=Intrigue habe ich in den mir zu Händen gekommenen Geschichten vom Nordischen Kriege nicht gefunden, außer daß in dem angeblich übersetzten Roman: Azema, die schöne Russin, des Projekts, daß Carl XII. den König von Engellandt absetzen wollen, gedacht wird. Dieser Roman ist aus vielen wahren Begebenheiten damaliger Zeiten zusammengesetzet und mit dem Romanhafften in Verbindung gebracht. Die Helden darin sind würckliche Persohnen, die der autor in seiner role sehr geschickt zu bringen gewust . . . . . In Betrachtung dessen, was Hertzog C. L. gewaget, darf man sich nicht wundern, daß schnell nach Carls XII. Tode die lüneburg. Executions=Völcker in Mecklenburg einrückten. Auch dieses braucht keine große Verwunderung, daß ein ehrsüchtiger Herr, wie C. L., der einen so großen mächtigen Schwager hatte, nach dem Exempel der neuen Könige von Sardinien, Pohlen, Preußen und Engellandt auch nach einer Crone trachtete."
Diese ganze Erzählung klingt allerdings etwas stark romantisch, doch das Romantische und Romanhafte spielte in der damaligen, an Adepten, Alchimisten, Jesuiten, Abenteuerthum und Hofintriguen so reichen Zeit selbst in der Politik eine so große Rolle, lag auch so ganz in dem Charakter eines Karl XII., Karl Leopold und selbst eines Peter des Großen, daß man deshalb allein an der geschichtlichen Möglichkeit derselben nicht zu zweifeln braucht. Eine gewisse Bestätigung findet die in unserer Aufzeichnung bez. dem Roman " Azema" ausgesprochene Staatsintrigue sogar durch folgende geschichtliche Thatsachen und Berichte:
1) Bei David Frank (Alt= und Neu - Meklenburg, Buch 17, S. 107) lautet eine Stelle: "Es hatte das Ansehen, als verlasse sich der Hertzog Carl Leopold, bey so unveränderlicher Beharrung in seinem Vorhaben (wovon doch die Möglichkeit nicht abzusehen wäre), auf die ungezweifelte Beyhilfe einer auswärtigen Macht; daher er sich wohl gar der Execution des Conservatorii wiedersetzen dürfte."
2) Daß Karl Leopold auch noch im Jahre 1718 mit dem schwedischen Hofe thatsächlich in Korrespondenz gestanden, geht einmal aus dem Umstande hervor, daß der schwedische Minister Baron von Görtz eine in Schwerin bekannte Persönlichkeit war, und sodann aus einem Schreiben Karls XII., welches sich in dem "Recueil historique d'actes, negociations et traités depuis la paix d'Utrecht jusqu'au second congrès de Cambray (par J. Rousset de Missy)", Seite 34, abgedruckt findet.
3) Geschichtliche Thatsache ist, daß Schweden, durch Hannover in seinen Besitzungen Bremen und Verden bedroht, die Partei der Unzufriedenen in England unterstützte, und im Haag, in London und Schottland stark gegen den König Georg I. intriguirte. Die Verschwörung wurde aber entdeckt und der stark kompromittirte schwedische Gesandte 1717 in London verhaftet. Der Plan zu einer Landung in Schottland ward aber trotzdem festgehalten und wurde auch thatsächlich nach dem Tode Karls XII. im April 1719 seitens des Prätendenten (Jakob III.) versucht, mißlang jedoch. Die wenigen Schiffe, welche die Küste erreichten, konnten den Engländern keine ernste Gefahr bringen. Trotzdem bedurfte es mehrerer Monate, ehe es gelang, der Gelandeten und der empörten Hochlande wieder Herr zu werden.
(  ...  )
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je länger je mehr, in Ausübung selbstherrlicher und gewaltthätiger Excesse einem förmlichen Rausche hin.


(  ...  ) 4) In einer bald nach dem Tode des Schwedenkönigs in Frankfurt a. M. und Leipzig unter dem Titel: Die gantz unvermuthete und plötzliche Ankunfft Caroli XII. letzten Königs von Schweden in dem Reiche derer Todten am 12. Dec. 1718 erschienenen Biographie desselben heißt es auf S. 254 ff. der zweiten Auflage:
Gleichwie das gute Verständniß zwischen dem Czaar und dem König gäntzlich hinweggefallen war, der Erstere auch mit dem König von Engeland wegen des Hertzogs von Mecklenburg Weitläufftigkeiten und Disputen bekam, als an den er seyne Nichte verheyrathet, und ihn wider den Adel, mit welchem der Hertzog Händel hatte, derer ergangenen Verordnungen des Römischen Kaysers in dieser Sache ungeachtet, beschützen wollte, zu dem Ende derselbe dem Hertzog 2 Moßcowitische Regimenter hinter= und in seine Pflicht und Dienste überlassen hatte, die denen Edelleuten alles gebrannte Hertzleid anthaten und die hertzoglichen Befehle genau exequirten; hingegen ermelder König von Engelland auf hefftiges und vielfältiges Zurathen seines Favoriten und Ministri, von Bernsdorff genannt, der Güter im Mecklenburgischen besitzet, und als ein Land=Stand davon zu consideriren ist, trachtete, der ihm aufgetragenen Kayserl. Execution wider den Hertzog en Faveur des Adels eine Genügezu thun: als vermehrete sich dadurch das Verständniß zwischen mir (nämlich Karl XII.) und dem Czaar insoweit, daß wir einig wurden, auf der Insel Aland über einen Frieden zu tractiren. Zu diesem Ende sandte ich den Baron von Görtz nebst dem Grafen von Güllenburg dahin ab; Czaarischer Seits aber fande sich der General=Feld=Zeugmeister Brust und der Cantzley=Rath Ostermann ein. Dieweile es nun keine so leichte Sache ist, zwischen Schweden und Moskau einen Vergleich zu treffen, angesehen der Czaar die meisten Conguêten gemacht . . . : als nehmen die Conferentzien den langen Weg, und sind noch bey meinem Tod continuiret worden: ob sich gleich der Baron Görtz öffters bey mir eingefunden, Rapport erstattet, und neue Instructiones abgeholet. Die Alliirten haben dahero große Ombrage geschöpffet, auch sich theils um neue Freundschafften und Alliancen beworben. Solches ist ihnen auch keinesweges zu verargen: denn ich versichere euch, mein werthester Schwager [gemeint ist der 1702 in Polen gefallene Herzog von Holstein=Gottorp, Karls XII. Schwager], daß gar hohe und weit=aussehende Dinge auf das Tapet gebracht worden sind.- Der König von Spanien, Philippus V., hat Anno 1717 angefangen, die Staaten und Lande des Römischen Kaysers in Italien zu bekriegen, und diese Unruhen währen noch itzo [1719]. Von dem König in Engeland hat sich dannenhero, aus Liebe zum Kayser, wie nicht weniger die Ruhe in Italien wieder her zu stellen, eine starcke Flotte in dem Mittelländischen Meer eingefunden, welche im vergangenen Sommer des 1718 ten Jahres, in denen Gewässern bey Syracusa, auf eine gleichfals formidable Spanische Flotte loßgegangen, solche totaliter geschlagen und ruiniret hat. Dieserwegen ist Philippus bedacht, sich an den König von Engeland zu revangiren, und durffte gar leichtlich noch ein großes Blut=Bad daraus entstehen. Indem nun auch der Regent in Franckreich, dessen Interesse und Absichten garnicht mit Philippi seinen stimmen, mit dem König von Engeland in sehr gutem Vernehmen und Alliance stehet, Spanien aber allen denenjenigen, die sich wieder dasselbe alliiret gern die Spitze bieten möchte, hat sich der Premier=Minister Philippi, der Cardinal Alberoni, ein Mann von obscurer Herkunfft, (  ...  )
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Endlich, um dieselbe Zeit, wo die Herzogin Katharina in Meklenburg ihren Geburtstag feierte (9. November), erhielten die hannöverschen und braunschweigischen Truppen die ersten Befehle, sich bereit zu machen.

Am 11. December ging der unruhige Heldengeist Karls XII. in den Laufgräben vor Friedrichshall in Norwegen zur ewigen Ruhe ein, und am 18. December wurde Herzog Karl Leopold von seiner Gemahlin zu Rostock mit einer Prinzessin beschenkt, die in der


(  ...  ) welcher der Welt seit kurtzer Zeit erst bekannt, und darnach schon durch ihn großer Lerm darinnen gemacht worden ist, und der, zu samt der Gemahlin Philippi, die gantze Regierung von Spanien führet, an mich [Karl XII.] addressiret, und sich offeriret, grosse Summen herzuschiessen, auch considerable Subsidien zu bezahlen, wofern ich mich mit seinem Maitre alliiren und seine Feinde, insonderheit aber Engeland attaguiren helffen wolte. Wann ich nun jederzeit zu allen Unternehmungen capable gewesen bin, und mir die grösten Verwirrungen in Europa die beste Avantage versprochen, weit eben dadurch, und auf keine andere Weise der, meinem Sinn, Willen und Kopff gemäße Zweck etwa endlich hätte erreichet werden können: als trug ich die Besorgung dieser Affaire, und Richtigmachung der neuen Alliance, dem Baron von Görtzen auf, der das sitteste und bereiteste Subjectum hiezu war, und er bemühete sich nunmehr desto eyffriger, den Frieden mit Moscau zu Stande zu bringen, und den Czaar selbst mit in die Alliance wieder die Feinde des Königs von Spanien zu ziehen, wozu er sich um so viel mehr Hoffnung machte, da die Intelligence zwischen dem Hof zu Wien und dem zu Petersburg, auf sehr schwachen Füssen stunde; und daß im übrigen das Friedens=Werck mit Moscau ziemlich avanciret gewesen seyn muß, könnet ihr daraus urtheilen, weil wir beyderseits, ich und der Czaar, verschiedenen gefangenen hohen Officiers, ihre Freyheit schenckten, auch sich der Feld=Marschall Rheinschild, den ich in 9 Jahren nicht gesehen, mit vieler Ehre vom Czaar überhäufft, bey mir einfand . . . . Zu beklagen war, daß die Correspondentz mit Spanien wegen der weiten Entlegenheit so viele Zeit erforderte, und folglich sehr langsam von statten ging. Da mir nun mitlerweile schwehr fiel, müßig und in einer Inaction zu verbleiben, ergriff ich die Resolution, einen nochmaligen Einfall in das Königreich Norwegen, und durch recht nachdrückliche Operationes mein Aeußerstes zu thun, solches der Cron Dännemarck zu entreißen. Dannenhero detachirte ich, vor einigen Wochen, den General Ahrenfeld mit 9000 Mann, der auf einer Seite einbrach und gegen Drontheim avancirte; auf der andern aber that ich selbsten, à la tête einer Armee von 11000, und nahm den Weg wiederum auf Friedrichs=Hall zu, welches ich vormahls verbrennen uud plündern lassen . . . . Und eben darinnen, nemlich in denen Trenchéen, fuhr mir den 11. Decemb. des Abends ungefähr um 8 Uhr eine Kugel von einem Kartätschen=Schuß durch den Kopff, welcher verursachte, daß ich mein Leben auf der Stelle endigte -
Daß also ein ähnliches Unternehmen, wie in unserer handschriftlichen Aufzeichnung angegeben ist, von schwedischer Seite im Einverständniß mit Rußland gegen England im Werke gewesen. findet im Obigen seine Bestätigung. Ob und wie weit aber Herzog Karl Leopold in diesen Plan eingeweiht und daran betheiligt gewesen, darüber habe ich Näheres nicht aufzufinden vermocht.
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Taufe die Namen Elisabeth Katharina Christina erhielt, später in Rußland aber auf den Namen Anna Leopoldowna umgetauft wurde. 1 )

"Daß die Ritterschaft über diese Geburt sollte Freuden=Bezeugungen geäussert haben," schreibt der meklenburgische Chronist "findet sich nicht. Es war ihnen auch nicht anders als sehr beklommen ums Hertz, denn so erging d. 24. Dec. eine Fürstl. Verordnung, daß die schweren Portions=Gelder auf 3. Monaht, als December, Januarius und Februarius, doch nicht mit einmahl, sondern nur nach und nach einzusenden. Die starcken Werbungen nahmen viel weg und die Dragoner hatten noch keine Pferde, wozu Geld mußte angeschaffet werden. Darauf liessen die Administratores alles Korn für Gewalt, auch des Sontags, ausdröschen. Die auf kommenden Anthony fällige Pächte mußten vorher beygetrieben werden, und ward sonst alles, was noch etwa auf den Gütern vorhanden war, zusammen gerast, gleich als wolte man gegen Ankunft fremder Gäste, rein Haus machen.

Und so war es auch in der That. Allerdings waren die. Erwarteten weder dem Herzoge noch dem Lande sehr willkommene Gäste.


IV. Die Execution im Lande. Der Herzog in Wien.

Mit dem Jahre 1719 sollten sich die Verhältnisse in Meklenburg gänzlich umkehren. Der Kaiser zog endlich sein Schwert aus der Scheide, um es aber auch so bald nicht wieder einzustecken.

Es scheint in der That, als ob Herzog Karl Leopold im Geheimen auf die Hülfe Karls XII. bisher gehofft hatte; denn nach dem plötzlichen Tode desselben brach sein ganzer, bisher dem Kaiser


1) Prinzessin Anna Leopoldowna wurde später dem Herzog Anton Ulrich von Braunschweig vermählt, folgte dann (28. October 1740) ihrer Tante Anna Iwanowna (von Kurland) als Regentin für ihren unmündigen Sohn Iwan VI. in der Regierung. Nachdem zuerst Biron und dann auch der Graf Münich aus der Mitregentschaft zurückgetreten waren, wurde Anna am 6. December 1741 durch Elisabeth, Peters des Großen Tochter, gestürzt und mit ihrem Gatten in die Verbannung geschickt. Ihr Sohn, der Zar Iwan, wurde in den Kerker geworfen und hier später (1764) von dem Kapitän Mirowitsch erdrosselt. Die übrigen Kinder der unglücklichen Anna Leopoldowna (welche selbst im Jahre 1746 starb), also die Enkel Karl Leopolds, die Prinzen und Prinzessinnen Katharina, Alexis, Elisabeth und Peter von Braunschweig verkümmerten traurig in ihrer Gefangenschaft und Verbannung am weißen Meere. Sie liegen sämmtlich begraben zu Horsens in Jütland.
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und Hannover gegenüber gezeigter Trotz zusammen. Er setzte zwar seine Truppenwerbungen noch eine Zeit lang fort, erklärte aber dem Kaiser, sich dessen Anordnungen unterwerfen zu wollen, falls derselbe die Untersuchung seiner Streitsache einer weniger parteiischen Kommission, als der des Königs von England übertragen würde. Zugleich schickte er seinen Oberauditeur und Justizrath Tielke nach Hannover und Wolfenbüttel, um dort anzuzeigen, daß er bereits in Wien seine vollständige Unterwerfung erklärt habe, es deshalb also einer weiteren Zwangsanwendung gegen ihn nicht mehr bedürfe. Da sich aber die gegen 12000 Mann starke Executions=Armee bereits auf dem Marsche befand, ging dieselbe Anzeige seitens der meklenburgischen Regierung auch dem kommandirenden General derselben, dem Freiherrn von Bülow, in Lauenburg zu, mit dem Ersuchen, wenigstens so lange mit dem Einmarsch zu warten, bis die Kaiserliche Resolution aus Wien eingelaufen sei. Doch dies nützte jetzt ebenso wenig mehr, als die unterm 27. Februar von Rostock aus erfolgende öffentliche Erklärung "daß die Edelleute, deren Güter eingenommen, sich fordersamst wieder einfinden, solche Güter in Besitz nehmen und sie ruhig und sicher besitzen mögten", auch daß die russischen Truppen sämmtlich aus dem Dienst sollten entlassen werden. Die hannoversche Armee überschritt vielmehr am 25., 26. und 27. Februar an drei Punkten, nämlich bei Zollenspieker, Artlenburg und Boizenburg die Elbe; und am 3. März erging an "alle Fürstl. Meklenburgischen Droste, Haubt= und Ambt= Leute, Elb= und Land= Zoll= Bediente, Küchen=Meistere, Licent= Commissarien, Steuer=Einnehmern und alle übrige Bediente, so Fürstl. Recepturen bisher gehabt," der Befehl, vom 1. März an bis auf Weiteres "die von ihnen bißher berechnete Fürstl. Domanial= und Casse =Gefälle, an die von der Kayserl. Execution verordnete Receptores zu bezahlen." Damit wurden also dem Herzoge alle Einkünfte abgeschnitten ausser denen, welche er noch aus dem Dömitzer Elbzoll bezog.

Hielt nun der Herzog seine Truppen nicht für genügend ausgerüstet (in der That besaß sein neues Dragonerregiment noch Mitte Februar kaum so viel Pferde, um sich zur Hälfte beritten zu machen) oder fehlte es ihm überhaupt an entschlossenem Muthe, den unter dem Ramen einer kaiserlichen Execution in sein Land eindringenden Truppen des Königs von England bewaffneten Widerstand entgegenzusetzen, genug, er begab sich zunächst nach Rostock an das Kindbett seiner Gemahlin und von dort nach Wittstock (oder Ruppin) zum Könige von Preußen, und übertrug nur das Oberkommando seiner Truppen dem Generalmajor Kurt von Schwerin mit dem Auftrage, vor allen Dingen den Boizenburger Zoll in Sicherheit. zu

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bringen, im Uebrigen aber sich aller Feindseligkeiten zu enthalten (de dato 27. Februar). Da sollte sich nun ganz unvermutheter Weise offenbaren, daß, wenn es ihm auch an allem Anderen, so doch nicht an Macht gebrach, wenigstens vorläufig den Feind erfolgreich abzuwehren.

Der später in preußischen Diensten so berühmt gewordene, dem meklenburgischen Adel aber im höchsten Grade verhaßte Generalmajor von Schwerin marschirte auf erhaltenen Befehl sofort mit zwei Kanonen und 8000 Mann von Schwerin nach Boizenburg ab. Da er aber Stadt und Zoll bereits in den Händen der Lüneburger fand, wollte er sich seiner Instruction gemäß wieder nach Schwerin zurückbegeben. Auf halbem Wege dahin, bei Walsmühlen, fand er aber die Brücke über die Sude abgebrochen und den Paß durch ein Regiment Hannoveraner verlegt. Er bat, ihn unbehelligt und in Ehren vorüberziehen zu lassen; doch er ward sofort mit Schüssen empfangen, die fünf Mann an seiner Seite niederstreckten. So kam es, mitten in der Nacht vom 5. auf den 6. März, bei hellem Mondenschein zum blutigen Kampfe. In demselben ward fast das ganze hannoversche Regiment in die Pfanne gehauen, sein Kommandeur, der Oberst Delleur, schwer verwundet, der Nächstkommandirende, der Oberstlieutenant Holsten, getödtet, und die Fahne erbeutet. Nur zwei Hauptleute, zwei Fähnriche und 42 Unterofficiere und Gemeine entkamen dem Gemetzel. Aehnlich erging es einem zweiten, unter dem Obersten von Wend dem ersten zu Hülfe geeilten hannoverschen Infanterieregiment, sowie bei Tagesanbruch acht Schwadronen Lüneburgischer Reiter unter der persönlichen Anführung des Generals von Bülow, der sich darauf mit siner ganzen geschlagenen Armee nach Wittenburg zurückzog, während der siegreiche Schwerin noch zwei Stunden in Erwartung eines neuen Angriffs, der aber nicht mehr erfolgte, auf dem Kampfplatze stehen blieb. Dann setzte er ungestört seinen Marsch nach Schwerin fort und erreichte diese Stadt Mittags gegen 11 Uhr. ). 1 )

Dem Herzog Karl Leopold allerdings "gefiel diese Aufführung seines General=Majors gantz wohl;" trotzdem ertheilte er demselben, wohl auf den Rath des Königs von Preußen, den Befehl, den ferneren


1) Kurz und erbaulich liest sich die Schilderung dieser Kämpfe in Joh. Friedr. Pfeffingers, Königlich Groß=Britannischen Raths, Historie des Braunschweig=Lüneburgischen Hauses bis auf das Jahr 1733 (Hamburg 1734), Theil III, S. 755: "Inzwischen fielen auf beyden Seiten, da der Hertzog Carl im Lande gegenwärtig war, starcke Scharmützeln vor; und die Hannöverisch= und Wolffenbüttelschen hatten den Vortheil, die Russen und einen Theil von des General=Majors von Schwerin Leuten tapffer zu kloppfen."
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Widerstand aufzugeben und sich über Malchin bis an die preußische Grenze zurückzuziehen. Sehr beleidigt durch den Generalmajor aber fühlte sich der General von Bülow. Er beschwerte sich am 8. März von seinem nunmehrigen Hauptquartier Wittenburg aus bitterlich über jenen, daß derselbe, obwohl der angegriffene Theil, es gewagt, sich seiner Haut zu wehren und gar ihn, den im Kaiserlichen Auftrage Handelnden, aufs Haupt zu schlagen, "da solches doch der herzoglichen Erklärung vom 27. Februar zuwiderlaufe!"

Er hütete sich auch wohl, nur einen Schritt weiter ins Land hineinzuthun, so lange der gefürchtete Schwerin die Hauptstadt besetzt hielt. Erst als dieser ihm am 13. März auf Befehl des Herzogs mittheilte, daß er von seiner Seite keine weiteren Feindseligkeiten zu befürchten habe, wagte er, hinter den abziehenden Meklenburgern her, bis Sternberg vorzurücken, wo er dann aber mit seinem ganzen Generalstabe wieder volle elf Tage ruhig liegen blieb.

So ehrenvoll nun auch der Tag bei Walsmühlen für die Waffen des Herzogs ausgefallen war, so unnöthiger Weise war Blut vergossen worden. Der tapfere Schwerin führte seine Truppen über Sternberg und Güstrow, zugleich auch die Besatzung von Rostock, langsam und geordnet bis Waren und Malchin, wo sie Anfang April eintrafen, vom Herzog selbst in Empfang genommen, ihres Dienstes entlassen und den preußischen Kommissären zum Weiter geleit übergeben wurden. Am 5. und 6. April passierten sie die Landesgrenze; die Russen und ein kleiner Theil der Meklenburger zogen durch Pommern nach Polen ab, während ein anderer Theil, "so an die 150 der grösten Kerls" sofort vom König in Sold genommen wurden. Beim Herzoge blieben nur etwa 300 Mann, die sich meistens unter dem Befehl des Oberst von Bugenhagen nach der Festung Dömitz begaben. Karl Leopold selbst blieb vorläufig in Demmin; dann, Mitte Mai, ging er nach Goldbeck im Brandenburgischen nahe bei Wittstock und endlich in den letzten Tagen des Juli ebenfalls nach Dömitz. Bereits Anfang März hatten die Hannoveraner versucht, sich durch einen Handstreich auch dieser Festung zu bemächtigen. Sie hatten am jenseitigen Ufer der EIbe eine Anzahl Schiffe und Kähne zusammengebracht und gedachten zur Nachtzeit zum Werder überzusetzen und die nur schwache Besatzung der Stadt zu überrumpeln. Da sich ihre Einschiffung aber bis zum Tagesanbruch verzögerte, ward ihr Anschlag entdeckt; ihre Flotte wurde mit Kanonenschüssen begrüßt, machte deshalb sofort wieder Kehrum und seitdem kein Kehrwieder mehr. Stadt und Amt Dömitz blieben deshalb in ungestörtem Besitze des Herzogs; ebenso wurde ihm bald darnach auf Befehl des Kaisers auch Amt und Stadt

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Schwerin wieder eingeräumt. Er zog es aber vor, mit seiner Familie in dem jetzt mehr gesicherten Dömitz zu bleiben.

Die hannoverschen und braunschweigschen Truppen hatten inzwischen, ohne weiteren Widerstand zu finden, das ganze übrige Land besetzt. Die Officiere und Soldaten ließen ihre Weiber und Kinder, deren sie, wie Franck schreibt, "nicht wenig hatten", nachkommen, wodurch besonders die noch immer treu zu ihrem Herzoge haltenden Landstädte äußerst beschwert wurden 1 ), während die ritterschaftlichen Güter von der Einquartirung möglichst verschont blieben. Und die Städte waren doch, wie sie allerdings vergeblich nach Wien, Rostock und Dömitz klagten, an dem ganzen Konflikte zwischen Herzog und Ritterschaft ganz unschuldig und unbetheiligt. In Rostock installirte sich Landesregierung eine kaiserliche Kommission, bestehend aus zwei hannöverschen und zwei braunschweiger Räthen. Ihnen zur Seite stand der jetzt aus Ratzeburg wiederzurückgekehrte Engere Ausschuß und die Deputirten der Stadt Rostock. Die Landstädte, unter Führung von Güstrow und Parchim, enthielten sich auf Befehl des Herzogs der Theilnahme daran.

Wie schon vorher der General von Bülow, so berief auch diese kaiserliche Kommission zunächst alle aus dem Lande Geflüchteten unter Zusicherung des nöthigen Schutzes in dasselbe zurück, setzte die Stadt Rostock wieder in den Besitz ihrer ehemaligen Gerechtsame, stellte den Landkasten wieder her, kurz, brachte so ziemlich Alles in die, alte Verfassung des sog. Schwerinschen Vergleiches vom Jahre 1701 zurück. Der Adel ergriff nunmehr diese gute Gelegenheit, sich für alle ihm in den letzten Jahren zugefügte Unbill zu rächen. Vor Allem richtete sich zunächst sein Zorn gegen die fürstlichen Verwalter der geächteten Güter. Dieselben wurden gefänglich nach Wismar eingebracht und dort ins Stockhaus gesetzt, wo "ihrer schlecht gewartet wurde" oder,


1) So lagen nach Franck in Sternberg, wo dieser Prediger war und wo nur etwa 150 Bürger wohnten, allein drei Kompagnieen unter dem Obristleutenant von Zastrow; in Güstrow das ganze Regiment du Breville; das an dem mit Karl Leopold abgeschlossenen Vergleich festhaltende Städtchen Tessin bekam eine stärkere Einquartirung an Reitern, die Gnoien abgenommen wurden, weil dieses gesonnen schien, mit der in Rostock eingesetzten kaiserlichen Kommission zu pactiren. Auch Ribnitz erhielt 19 Reiter extra zu verpflegen u. s. w. Zu einem am 18. Juli nach Sternberg einberufenen Konvent der Städte entschuldigten die meisten ihr Ausbleiben damit, "daß sie, wegen starker Einquartierung der Executions=Völker nicht soviel übrig hätten, daß sie einem Deputierten könnten Reisegeld mitgeben." - Auf dem zum 7. October 1721 auf kaiserlichen Befehl zusammengetretenen Landtage zu Malchin gaben sogar eine Anzahl Ritter die Beschwerde ab, "sie würden von gegenwärtiger Executions=Casse härter gehalten, als vormahls von dem Hertzoge Carl Leopold selbst."
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wie es an einer anderen Stelle heißt, "wo man vergaß, ihnen frohe Tage zu machen." - Dagegen wurden jetzt die herzoglichen Domänen der Verwaltung der Kaiserlichen Kommission unterstellt und, wie schon erwähnt, die Städte durch Einquartirung der Executionsvölker in schwere Bedrängniß gebracht. Zum Director der Executionskasse war der hannoversche Landdrost v. Werpup bestellt, derselbe, welcher im Jahre 1717 durch Auspfändung seines Gutes Blücher im Boizenburger Amt durch die herzoglichen Administratoren schwer betrübt worden war; außerdem war dieser Werpup der Schwiegersohn des oft erwähnten hannoverschen Ministers Andreas Gottlieb von Bernstorff, des grimmigsten Gegners Karl Leopolds. -

Wie vorher die Ritterschaft, so war jetzt der Herzog in der Lage, ohnmächtige Proteste ins Land zu schleudern, sowie Bitten und Beschwerden nach Regensburg und Wien, an seine Mitstände und den Kaiser zu richten.

Sein Fürsprecher und Anwalt in Wien war derweilen noch immer der Obermarschall Baron von Eichholtz. Dieser hatte inzwischen mit seinem Herrn in fleißigem Briefwechsel gestanden und ihm gerathen, sich dem Kaiser zu unterwerfen, "Ihre auf den Beinen habende Trouppen Sr. Kaiserl. May. zum Türcken=Kriege zu schencken, und mit dem Adel sich in tractaten einzulaßen." Da aber letzteres, wie schon die vergeblichen Vermittelungsversuche des Königs von Preußen klar dargelegt hatten, leichter angerathen als gethan war, auch mittlerweile die Execution ins Land gerückt war, glaubte Eichholtz bei Fügsamkeit des Herzogs wenigstens noch soviel vom Reichshofrath erreichen zu können, daß in die Kommission eine oder die andere, Sr. Durchlaucht minder feindselig gesonnene Persönlichkeit hineingebracht würde. Aber obwohl er seinem Herrn an verschiedenen Beispielen aus der Geschichte darzulegen suchte, "daß wohl schon andere große Herren sich mit Rebellen in Tractaten eingelaßen, und auswärtige große Könige Mediateurs gewesen: bekandt wäre ja, wie die Kayser Leopold, Joseph und Carl VI. mit denen Hungarischen Rebellen, welche die Waffen ergriffen gehabt, und sich zu den Türcken geschlagen, dennoch tractiret, und ohnerachtet man denen selben ihre Privilegia mit Recht nehmen können, dennoch lieber mit Güthe die erbitterte Gemüther besänfftigen wollen" u. dgl. m., so erklärte dennoch der Herzog: mit seiner Ritterschaft hätte das eine ganz andere Bewandniß, mit diesen Rebellen könne er als regierender Fürst sich in keine gütlichen Verhandlungen mehr einlassen. Nur soviel vermochten die gutgemeinten Rathschläge Eichholtzens, wie auch wohl der gegenwärtige Zwang der Verhältnisse über ihn, daß er sich

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dazu verstand, sich bedingungsweise den Anordnungen des Kaisers unterwerfen zu wollen. -

Infolge der seitens des preußischen Geschäftsträgers in Wien unterstützten Bemühungen des Baron Eichholtz, nach Entlassung der Russen und Auflösung der herzoglichen Miliz, auf die beständigen Klagen und Beschwerden der Landstädte und die Submissionserklärung des Herzogs, erging (unterm 31. Mai 1719) an die Konservatoren Braunschweig und Hannover vom Kaiser der Auftrag, nunmehr die im Lande befindlichen Executionstruppen wieder bis auf 1200 Mann abzuführen, die Residenzstadt Schwerin freizugeben, als kaiserliche Subdelegirte in Rostock nur unparteiische, im Meklenburgischen nicht angesessene Leute anzustellen, sowie überhaupt möglichst schonend und behutsam aufzutreten. Allein der Welfenhof Hannover=England offenbarte jetzt, daß sein Ziel bei der Besetzung Meklenburgs ein ganz anderes gewesen, als nur die Russen daraus zu vertreiben, und daß er, ebensowenig wie vorher Karl Leopold, gesonnen war, ein nur willenloses Werkzeug in der Hand des Kaisers zu sein. Der König Georg verbat sich vielmehr dessen Einmischung in seine Angelegenheiten als "unpraktikable Dinge" und erklärte es unter Hinweis auf die bedrohliche Nähe Preußens als unthunlich, die Zahl seiner Truppen im Lande zu vermindern. Der Kaiser durfte hierbei also an die Austreibung eines Teufels durch Beelzebub denken. Allein er wünschte nicht, den König von England in Meklenburg die Rolle spielen zu sehen, die er sich selbst vorbehalten hatte; er erinnerte deshalb daran, daß derselbe in dieser Angelegenheit nur als Kurfürst von Hannover zu handeln habe, d. h. als deutscher Reichsstand, für den die Beschlüsse des kaiserlichen Reichshofrathes dieselbe Geltung besäßen, wie für jeden anderen deutschen Fürsten. Er beanspruchte also, bis auf Weiteres der eigentliche und alleinige Herr im Lande zu bleiben, und als solcher nicht allein von dem Herzoge und den Städten, sondern auch von der hannoverschen Regierung und der in deren Schlepptau befindlichen Majorität der meklenburgischen Ritterschaft anerkannt zu werden. 1 )


1) Man vergleiche hiermit das Conclusum vom 14. Mai 1720, worin der Kaiser seiner Auffassung dahin Ausdruck giebt, " daß der nexus, mit dem ein Unterthan eines Reichsstandes seinem Herrn verwandt sei, nicht pro absoluto, sondern pro subordinato zu achten sei" und an einer anderen Stelle, daß "ein jeder Mediatus im Reiche dem römischen Kaiser als Oberhaupt des Reiches verbunden sei, wodurch andererseits kaiserlicher Schutz gegen alle ungebührliche Gewalt verbürgt sei." - Kurz vorher (Ende April) war dem Herzoge ein Beschluß des Reichshofraths zugegangen: seinem Begehren, die kaiserliche Kommission in Rostock aufzuheben und sämmtliche Executionstruppen aus dem Lande zu entfernen, könne nicht eher stattgegeben werden, (  ...  )
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Mit richtigem politischen Blick erkannte Herzog Karl Leopold sofort, daß dies der geeignetste Moment sein möchte, die kaiserliche Gunst und damit auch die in seinen Erblanden verlorene Herrschaft wieder zu gewinnen. Er hoffte solches am schnellsten durch eine, von Eichholtz schon vorbereitete persönliche Zusammenkunft mit dem Kaiser erreichen zu können, und beschloß deshalb, im Frühjahr 1720 sich selbst nach Wien zu begeben. Nach Eichholtz beging er dabei aber von vornherein wieder zwei Fehler: statt sich durch seinen bisherigen Geschäftsträger Eichholtz erst genügend zu versichern, ob seine Ankunft in Wien auch zur Zeit dem kaiserlichen Hofe genehm sei, sandte er ohne Wissen jenes vorher seinen intriguanten Hofintendanten Walter mit Briefen und Aufträgen an den Prinzen Eugen von Savoyen und den Minister Grafen von Stahremberg dahin ab. Walter hatte sich bereits länger als vierzehn Tage in Wien "herumgetrieben," ehe er sich bei Eichholtz blicken ließ. Da erst erfuhr dieser, daß der Herzog in den nächsten Tagen selbst kommen werde und zwar - und dies war der zweite Fehler - in Begleitung seiner russischen Gemahlin. Dem treuen Eichholtz ist bei dieser Nachricht "zumuthe gewesen, alß ob ihn der Schlag treffen würde, und ist er gleich zum Reichs=Vice=Cantzler hingefahren, und hat ihm sein befürchtendes Unglück erzehlet, der aber den Hertzog nicht so guth, als er Eichholtz kennende gesagt: er solte sich zufrieden geben, es könte doch so schlim nicht seyn, wenn nur der Hertzog wolte klug seyn."

Darüber hat sich denn auch Eichholtz wieder etwas beruhigt. -

Doch auch sonst heftete sich auf dieser Reise wieder das gewohnte, zum Theil allerdings durch Mißtrauen und diplomatisches Ungeschick selbst veranlaßte Mißgeschick an Karl Leopolds Ferse.

Am 2. Juni 1720 traf er mit seiner Gemahlin über Breslau in Wien ein. "Hier aber," erzählt Eichholtz, "hätte der Hertzog gleich den leichtsinnigen Vogel, den Clingen, aufgeklaubet und wäre in dessen Hände gerathen, und es wäre nicht zu glauben, was dieser böse Mann vor persuasiones gebraucht, umb den Hertzog gegen ihn [den Eichholtz] in Verdacht zu bringen, und wie wenig er vor Sr. Durchl. wahres Interesse gewesen."

Mit diesem K. Preußischen Geheimen Tribunalsrath Franz Baron von Clingen, wie er sich selbst nannte [auch Kling und


(  ...  ) als bis er den bisher an ihn ergangenen kaiserlichen Erlassen vollständigen und wirklichen Gehorsam bezeigt, er sich auch mit der Kommission über die durch die Execution entstandenen Kosten durchaus verglichen habe; ebenso ward er angehalten, einen Landtag auszuschreiben, widrigenfalls der Kaiser selbst solchen veranstalten würde u. s. w.
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Klenck findet sich sein Name geschrieben], war Herzog Karl Leopold bereits seit Anfang des Jahres auf Empfehlung seines Geheimsecretairs von Casimir, 1 ) eines Verwandten des von Clingen, von Dömitz aus in Briefwechsel getreten. Derselbe "schwatzte dem zur Alchimisterei geneigten Herzoge in Wien so vieles vom Stein des Weisen" vor, daß dieser sich bewogen fühlte, ihn am 12. Juni 1720 zu seinem Geh. Raths=Präsidenten und Premier Ministre zu ernennen. Ueber ihn liegt von derselben unbekannten Hand, von der die Aufzeichnung in der Anmerkung zu S. 264 herrührt, folgende, allerdings nicht, wie es scheint, aus persönlicher Bekanntschaft geschöpfte Charakteristik vor:

"Klenk ist einer von den Herren in Wien gewesen (Ich weiß nicht ihren Character; politischer charlatan möchten sie wohl heißen), die den fremden großen Herren, welche was beym Kayser und seinen collegiis zu suchen haben, zur Hand sind, sich großer connoissance und Gnade bey den Großen des Hofs und der Collegiorum, auch wohl beym Kayser, der Kayserin u. s. w. selber rühmen und der Herren ihre Sachen zu empfehlen, consilia zu geben etc., sich wacker bezahlen laßen. Mit diesem neuen Mignon unterhält sich der Hertzog beständig, und wenn Eichholtz kommt, muß er biß auf eine andere Zeit warten. Alle Beschäftigungen zum Zweck der Aussöhnung, der Religionsveränderung und Heyrath bleiben stecken. Das macht ein großes Aufsehen beym Kays. Hofe und bey den übrigen Großen. Der Hertzog überwirft sich endlich mit seinem Klenk, läßt ihn sitzen.... Klenk hat sich durch seine geschwinde Absetzung dergestalt beleidigt gefunden, daß er eine apologie drucken laßen, die auch in Mecklenburg nicht frembd blieb . . . . " 2 ) -


1) Franz Joach. von Casimir ist erst am 24. December 1719 für den geheimen Secretair David Scharff, der um diese Zeit im Auftrage des Herzogs nach Regensburg ging, in diesen Dienst gekommen.
2) Neben der hier als Apologie bezeichneten Rechtfertigungs=Schrift Clingens, d. d. Wien, 28. October 1721, liegt noch ein unter der Adresse des Reichsagenten von Praun an die meklenburgische Ritterschaft s. d. Wien, 29. Martii 1721 gerichtetes Schreiben desselben Verfassers vor, sowie ein von Schmähsucht dictirter Kommentar zu der erstgenannten Apologie von der Hand des Geheimsecretairs von Casimir. Alle drei Schriften haben allerdings den grundsätzlichen Gegner Karl Leopolds, wie auch einigen seiner übel gesinnten Biographen, z. B. Julius Wiggers in seiner Abhandlung "Ein Mecklenburgischer Landesvater" (auch Lisch in mehreren seiner Schriften über Karl Leopold), als unverdächtige, vielleicht sogar sehr willkommene Geschichtsquellen gedient. In seiner schwer verständlichen, weil im elendesten Deutsch geschriebenen Rechtfertigungsschrift kennzeichnet sich Clingen übrigens als ein zwar nicht ungeschickter Jurist, doch auch als ein wahrscheinlich im (  ...  )
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Dieser von Clingen war dem meklenburgischen Hofe bei dessen Annäherung an Wien schon zwei Poststationen entgegengefahren und hatte mit seinem großsprecherischen Wesen den Herzog gleich so gefangen genommen, daß dieser ihn am folgenden Tage dem aufwartenden Eichholtz mit den Worten vorstellte: "derselbe wäre bey allen Kays. Ministris, insonderheit dem Grafen von Stahrenberg sehr intrant, ohngemein gelehrt, und auch sonst tapffer und beherzt in seinen Reden, dergestalt, daß er für niemanden Scheu thue."

Der Baron Eichholtz machte dem also Vorgestellten eine höfliche Verbeugung, worauf dieser erwiderte: "Er wolte Gottes Ehre, des Hertzogs Bestes und des Landes Wollfarth die Richtschnur seiner Handlungen seyn laßen." -

Noch an demselben Tage fuhr der Herzog nach dem nahen Laxenburg zum Reichs=Vicekanzler Graf Althan hinaus und wurde von demselben sehr freundlich empfangen. Er war aber kaum eine Viertelstunde bei der Excellenz allein im Zimmer gewesen, "so haben sie gahr laut zu reden angefangen, sehr disputiret, und damit fast zwo Stunden fort gefahren."

Später erfuhr Eichholtz, daß es sich um das Programm des Herzogs gehandelt hätte, den Kaiser davon zu überzeugen, daß derselbe über die Streitigkeiten mit der Ritterschaft bisher falsch unterrichtet gewesen, und daß der Reichshofrath ein in controversis inter dominum et vasallos, zumal de regalibus sen jure superioritatis nicht kompetentes Forum sei; deshalb ferner den Kaiser zu bewegen, die bisherigen Entscheidungen des Reichshofraths in dieser Sache zu annulliren, die über den Herzog verhängte Execution aufzuheben und dessen Streitsache vor seinen eigenen Richterstuhl zu ziehen, oder dieselbe durch eine kaiserliche Special= oder Hofkommission, also ähnlich wie bei Gelegenheit des Schwerinschen Vergleichs im Jahre 1701, neu untersuchen zu lassen und zwischen Fürst und Ständen ein für alle Mal rechtsverbindlich zu schlichten.

Der Reichs=Vicekanzler dagegen hatte die Kompetenz des Reichshofraths nicht in Frage stellen lassen wollen und dem Herzoge gerathen, sich mit der bereits in Rostock eingesetzten kaiserlichen Kom=


(  ...  ) Solde oder im Auftrage des Reichshofraths handelnder zweifelhafter Ehrenmann. Denn wenn auch der harmlose David Franck meint, in Wien wäre dem Herzoge Karl Leopold nichts weiter übrig geblieben, " als daß man dem Reichs=Hof=Rahts=Präsidenten, dem von Wurmbrand, der durch keine Geschencke sich verblenden ließ, durch Hochachtung liebkosete," so war es andererseits damals in Wien eine öffentliche Rede, daß, wer sein Recht beim Reichshofrath finden wolle, "seinen Weg durch die Gold= und Silbergasse nehmen müsse."
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mission in Verhandlungen einzulassen. Für solchen Rath hätte dieser aber, wie Eichholtz sich ausdrückt, "keine Ohren gehabt." -

Man kann ja nun auch gerade nicht sagen, daß des Herzogs Programm ein so ganz unbilliges oder gar unsinniges gewesen wäre, und es wäre ihm vielleicht auch gelungen, dasselbe ganz oder theilweise durchzusetzen, wenn er das Glück oder das Geschick besessen hätte, die dazu nöthigen Mittel, Wege und Menschen in Wien richtig aufzufinden und zu benutzen.

Er hatte aber gleich Unglück darin, einmal dadurch, daß er sofort in die Hände von allerlei Glücksrittern und Schwindlern geriet, und sodann, weil er schon in den nächsten Tagen in eine Krankheit verfiel 1 ), die ihn für längere Zeit hinderte, dem Kaiser seine Aufwartung zu machen.

Eichholtz begab sich deshalb vorläufig selbst nach Laxenburg, um Sr. Majestät die Ankunft des Herzogs wissen zu lassen, und seinen Herrn wegen Unpäßlichkeit zu entschuldigen, "daß er sich nicht sofort Sr. Kays. May. zu Füßen legte."

Er erhielt zur Antwort: "Sr. Liebden Ankunfft wäre Sr. Kays. May. lieb und angenehm, Sie mögten nur ihrer Gesundheit pflegen." -

Aber auch, nachdem Karl Leopold schon wieder genesen, verschob er es von einem Tag auf den anderen, dem Kaiser aufzuwarten. Endlich, und erst auf ungeduldiges Zureden des Vizekanzlers, entschloß er sich dazu und fuhr nach der Laxenburg hinaus.

Diese erste Unterredung ist auch die längste gewesen, die Herzog Karl Leopold mit dem Kaiser gehabt. Als er wieder herausgekommen, hat er Thränen in den Augen gehabt und zu Eichholtz gesagt: "Der Kayser ist gleichwohl ein sehr gnädiger Herr."

Dem dienstthuenden Oberstkämmerer hat er dabei aber nicht die geringste höfliche Beachtung geschenkt, "sondern ist gantz star und steiff wieder davon geschieden."

Sein besorgter und am kaiserlichen Hof zu Wien ganz besonders ängstlicher Obermarschall hat ihm solch Benehmen "gleich verwiesen, und mit aller Modestie gesagt: Man müste hier höfflich und gegen die gantze Welt freundlich seyn."

Der Herzog scheint dies aber sehr wenig beherzigt zu haben. Denn schon gleich darauf, als sie sich von der Audienz weg zum Reichsvicekanzler begaben, trafen sie bei diesem den wohl nicht ohne


1) "Alß der Hertzog hier einige Tage gewesen, ist ihm der Unterleib biß an den kleinen Nabel mit kleinen rothen Flecken ausgeschlagen, daß er anfangs geglaubt, der Hertzog würde die Petechien (Fleckfieber) kriegen, deshalben denn auch der Hertzog nicht sofort audientz nehmen können." (Eichholtz.)
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Zweck "zufällig" anwesenden Reichshofrathspräsidenten, Grafen von Wurmbrand. Als derselbe von Graf Althan dem Herzoge vorgestellt wurde, hat dieser "ihm kaum eine rechte Reverentz gemacht, daß der Graff von Wurmbrand vor heimlichen Verdruß gantz roth darüber geworden, und die Tobacksdose heraus genommen und Toback geschnupfft." 1 )

Daß hiernach der Graf von Wurmbrand die bald darauf erfolgenden, für den Herzog höchst "widrigen" Beschlüsse des Reichshofrathes mit einem gewissen Vergnügen dictirt und unterfertigt haben dürfte, ist deshalb wohl anzunehmen. -

Ich füge hier gleich noch einige Anekdoten hinzu, die am besten beweisen dürften, wie wenig Karl Leopold gesonnen war, sein bedrohtes Herrenrecht in Wien auf dem Wege höflicher und höfischer Formalitäten oder gar der Schmeichelei zu sichern.

Als er bei der Kaiserin zwecks Vorstellung um eine Audienz nachsuchte, beschwor ihn sein getreuer und des Lebens am Wiener Hofe kundiger Eichholtz, ja nicht zu versäumen, den beiden Oberhofmeisterinnen einige Höflichkeiten zu erweisen; die eine derselben sei eine Dame von größtem Einfluß, die andere eine Fürstin, die es gut aufnehmen würde, wenn er sie "Ihro Liebden" anredete. "Allein dazu ist er ebenso wenig, alß daß er Hand=Manschetten anlegen solte, zu bringen gewesen, sondern ist alß ein Bock mit starren Augen herausgegangen, ohne einen Menschen zu grüßen oder zu behüten." -

"An der Peruque, die der Hertzog wie einen Pfauen=Schweiff auseinander kämmen zu laßen pflegte, hat der Eichholtz nach vielen unterthänigen Bitten und Flehen etwas corrigiren, und dieselbe ein wenig drücken dürffen, daß sie der hiesigen Façon in etwas gleich geworden. Die Laquaien sind auch in der Schwedischen Livrèe fast wie Bettler aufgezogen, welches alles denn dem Hertzog gleich gahr schlechten Nachruff hier gemacht hat.".-

Es ist begreiflich, daß Herzog Karl Leopold, der bei seiner Ankunft in Wien geglaubt hatte, "mit Sr. Kays. Maj. ebenso vertraulich alß mit dem Czaren und dem König in Preußen umbgehen, mit Derselben eßen, trincken, jagen und aller Deroselben Be=


1) Nach einem anderen, weniger glaubwürdigen Berichte soll diese Scene sich beim Prinzen Eugen von Savoyen und auf etwas andere Weise abgespielt haben. Dort soll der Herzog leise, doch so, daß Wurmbrand es hat hören können, zum Hofintendanten Walter gesagt haben: "Was für ein fatales Gesicht!" Zur Erklärung wird dann noch hinzugefügt: "Wurmbrand soll klein, verwachsen, von verstellten Gesichtszügen und in eine so große Staats=Perrüque gesteckt gewesen seyn, daß man des Hertzogs Ausdruck nicht tadeln können, wenn es nur zu rechter Zeit und am rechten Orte gewesen wäre."
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lustigungen mit genießen" zu können, auf solche mehr als nur gerade und schlichte Weise an dem in spanischem Zeremoniell, steifer Würde und Grandezza erstarrten, zugleich aber von jesuitischen Umtrieben, glücksritterlichen und politischen Intriguen durchseuchten Hofe Karls VI. wenig Gunst und Beifall, auch ebensowenig Förderung seiner selbstherrlichen Wünsche zu finden vermochte. -

Was nun seine Gemahlin, die Herzogin Katharina anbetrifft, so war ihr beschieden, in Wien eine äußerst demüthigende, geradezu klägliche Rolle zu spielen.

Nach der Empfangsaudienz des Herzogs hatte der Kaiser zum Grafen Althan geäußert: "Es wäre endlich schon recht, daß der Hertzog ist hergekommen, hätte er mir nur die Moscowiterin nicht mitgebracht." Und hatte dann noch hinzugesetzt: "Ich mögte wißen, ob er es weiß?"

Infolge dessen hatte der Reichsvizekanzler eine Unterredung mit Eichholtz des Inhalts: "Es wäre wohl ein verwegenes Stück, daß der Hertzog bey jetzigen Umbständen die Gemahlin mitgebracht; das und das hätten Sr. Kais. May. im Discours davon gesagt. Sein Rath wäre, der Hertzog mögte die Gemahlin zu Rußdorff oder wann er sie da ja nicht so gahr weit wolte entfernt wißen, in die Leopold=Stadt einlegen, damit es nicht hieße: Sie sey in der Kays. Residentz

Der Obermarschall berichtete diese Worte des Reichsvicekanzlers seinem Herrn. Der Herzog ließ sofort seinen neuen, bereits zu ihm ins Haus gezogenen Kammerpräsidenten, den Baron von Clingen, kommen und fragte denselben: "Was deucht dem Herrn Präsidenten davon?"

Der Präsident "hat darauf das Maul gahr höhnisch aufgeworffen" und gesagt: "Daran muß man sich nicht nicht kehren, gnädigster Herr! ich hoffe, das Ding soll gahr bald anderst werden. Ich hoffe noch durch meinen bey den Kays. Ministris habenden Credit es dahin zu bringen, daß Ihre Hoheit [die Herzogin] bald in den Hoff=Kleiderschnirrn, und bey Ihrer Mayst. der Kayserin in sonderbahre Hochachtung gerathen sollen."

Eichholtz erwiderte: "Ich wünsche, mein Herr Präsident, daß Sie so geschickt seyn mögen, dieses durch zu treiben, ich traue mir es nicht zu thun, will auch wohlmeinentlich angerathen haben, sich mit der Spese des Hoff=Kleides nicht zu übereilen, denn sie mögte vielleicht vergeblich seyn."

Clingen entgegnete: "Die Zeit würde es geben, und wolte er davor guth seyn! Er hätte schon schwerere Dinge durchgetrieben, als des Hertzogs Sachen wären."

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Der Baron Eichholtz aber meinte: "Ja, wenn die Sache noch nicht biß zur Execution gekommen wäre, so wolte er selbst nicht zweiffeln, daß der Herr Präsident hiezu geschickt genug wäre. Diese Sache aber wäre einmahl im Reichs=Hoff=Rath ausgesprochen, und jetzo wäre dieselbe nicht mehr zu remediren. Es käme ihm mit Sr. Durchl. so vor, als mit jemand, der in die Grube gefallen, der da riefe, umb Gottes Willen helfft mir heraus! Die Mittel aber, die ihm guththätige Leuthe an die Hand gäben, wolte er nicht ergreiffen."

Der Kammerpräsiident antwortete: "Ey! Das müste mit einer Hoff=Commission aus allen Dicasteriis wohl gehen. Er wüste fünf Praejudicia, und die müsten Sr. Durchl. auch zu statten kommen."

"Die Praejudicia," erwiderte Eichholtz, "wären ihm unbekanndt, das wüste er aber wohl, daß vermöge der beschworenen Kays. Wahl=Capitulation Sr. Kays. May. es nicht frey stünde, diese Sache aus dem Reichs=Hoff=Rath zu avociren."

Der von Clingen nahm bei diesen Worten wieder "eine gar hart trabende" Miene an und entgegnete: "Da solte man ihn vor rathen laßen! Er hätte in der Sachsen=Gothaischen Sache mit dem Juden den Reichs=Hoff=Raths=Präsidenten mit einem einigen Bogen so umgewandt, wie man ein Blatt umbkehret. Denn Gottlob! hat er hinzugesetzt ich verstehe meine Sachen! und wenn es endlich auch gahr dazu kommt, so kann ich auch dieses (den Degen halb entblößend) gahr wohl gebrauchen."

Der Herzog ist während dieser Rede seiner beiden Räthe immer mit großen Schritten auf= und abgegangen und hat dabei dann und wann seinen Obermarschall so von der Seite angesehen, "alß wollte er ihm verweisen, daß er nicht auch solche Wunder wirken könte." Bei den letzten Worten aber, meint Eichholtz, hätte er sich doch wohl solcher "albernen Rodomentaden seines Clinge geschämt, und für sich niedergesehen."

Eichholtz aber hat darüber gelacht und gefragt: "So! so wollen Sie mit dem Herrn Reichs= Hoff=Raths=Präsidenten rauffen?"

Jetzt legte sich aber der Herzog selbst dazwischen und sagte: "Er wolte deswegen selbsten mit dem Herrn Reichs=Vice=Cantzler reden, und zu dem Ende morgen nach Laxenburg reysen."

Eichholtz hielt das auch für das Beste, meinte aber: "Se. Durchl. mögten dann nur den Herrn Clingen, der ohne das so viel bey allen Kays. Ministris vermögte, mitnehmen."

Dieser aber schien dazu keine Lust zu haben, sondern entschuldigte sich: "Er sei noch mit der Sr. Durchl. bewusten Arbeit beschäfftiget,

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und könnte also Sr. Durchl. nicht das Geleite dahin geben." Und darnach hat er sich entfernt. -

Am nächsten Tage ist der Herzog auch wirklich zum Vizekanzler nach Laxenburg hinausgefahren, hat aber damit so lange gezögert, von Morgens neun bis Nachmittags halb vier Uhr, daß er den Grafen nicht mehr zu Hause antraf. Derselbe war mit dem Kaiser auf die Jagd gefahren. Um nicht ganz umsonst nach Laxenburg hinausgekommen zu sein, entschloß sich der Herzog, den Hofkanzler Graf Zinzendorf zu besuchen. Ueber diesen Besuch liegen von Eichholtz keine weiteren Mittheilungen vor. Dieser erzählt nur noch, daß sich der Herzog auf der Rückfahrt in die Stadt sehr ungehalten über den Grafen Althan ausgelassen und gesagt habe, derselbe "nennete sich einen Freund, erwiese sich aber so widerlich, daß er ihn nicht ein mahl sprechen wolte."

Daheim wurde nun wieder mit dem von Clingen Rath gepflogen, wie es mit der Herzogin gehalten werden sollte. Man kam endlich dahin überein, " man solte sagen, die arme Frau wär von der gantzen Welt verlaßen, kennete hier in Wien keinen Menschen, und wüste dazu die Sprache nicht. Sie würde vor Kummer sterben, wofern Sr. Durchl. sie von sich thäten. Sr. Kays. May. mögten demnach die Gnade haben, Sie bey dem Hertzog zu laßen."

Diese Erklärung wurde von Eichholtz den kaiserlichen Ministern vorgetragen, und "hiemit ist es stille geworden," - so still, daß wir seitdem von der Herzogin in Wien soviel wie garnichts mehr vernehmen. -

Die Großsprechereien und Verheißungen des Herrn von Clingen fingen allmählich an, dem Herzoge lästig zu werden. Die Leerheit desselben konnte ihm nicht entgehen. Er suchte sich deshalb dem Einflusse dieses Rathgebers mehr und mehr zu entziehen, obwohl dieser sich bei ihm, und zwar trotz seiner nicht mehr jungen Jahre mitsammt einer vornehmen Mätresse, ganz ins Ouartier gelegt hatt, um, wie er selbst schreibt, täglich gegenwärtig zu sein. Da ihm aber der Herzog wegen dieses unsittlichen Verhältnisses (welches allerdings, seiner Ansicht nach, seine unsittliche Bedeutung für regierende Fürsten verlor) Vorhaltungen gemacht hatte, auch mehr und mehr vermied, ihn zu seinen geheimen Berathungen zuzuziehen, so entschloß er sich nach einiger Zeit unter dem Vorgeben, "es fiele ihm beschwerlich, alle Tage etliche 70 Stufen oft auf= und abzusteigen," aus der herzoglichen Wohnung wieder auszuziehen. Diese "Separation" führte nach Clingens eigenem Bericht dazu, "daß endlich mehr und mehr ich mich absentirte. Ich wußte aber nicht, daß er auf meine

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Remotion meditirte, und heimlich überall forschete, ob nicht etwas infames wieder mich aufzubringen."

An Grund dafür scheint es nun auch nicht gefehlt zu haben, wenigstens behauptet Eichholtz, Clingen auf verschiedenen Lügen ertappt und deshalb einmal zum Herzog gesagt zu haben: "Der Kerl läugt ja, daß die Balcken brechen mögten."

Seitdem hieß Clingen beim Herzog "der Balkenbrecher", und mit seinem Einfluß auf denselben war es vorbei. Er behauptet allerdings, sich freiwillig zurückgezogen zu haben, da der Herzog "bey seiner Caprice verblieb, und ward ich auch wegen überfallener Maladie einige Wochen an der Aufwartung verhindert." - 1 )

Diesen einen unsauberen Geist war der Herzog also losgeworden; es standen aber dafür schon zehn andere, noch viel unsauberere wieder in dem, an derartigen fragwürdigen Subjecten so reichen damaligen Wien bereit, sich an ihn heranzudrängen. Es wird nicht uninteressant sein, einige derselben hier näher kennen zu lernen:

Da war zuerst ein Baron Richenfels, in der Clingenschen Schrift als "Magnus orator" bezeichnet, ein Industrieritter, "von welchem der Welsche sagt:

Con arte et con inganno,
Si vivo mezzo l' anno;
Con inganno et con arte,
Si vivo l'altera parte."

Er wohnte dem Herzoge gegenüber, hatte dessen "humeur" bald eingenommen, eine raillerie nach der andern bald herausgezogen und den Herzog mit falschen conclusis und votis gräulich siloutiret".

Dann wird ein Graf Brunian genannt. Derselbe soll der Sohn eines schwedischen "Commissarius" gewesen sein, war schon zur Zeit des Kaisers Leopold aus Paris nach Wien gekommen und hatte sich "wegen seines Tanzens bei dem Frauenzimmer in credit gesetzet, auch von der alten Gräfin von Paar so reiche Almosen bekommen, daß er Carosse, Läufer, Haiducken und Laquais halten und sich in allen Gesellschaften mit goldgespicktem Beutel und magnifiquer Kleidung aufführen" konnte. Allein die Söhne der Gräfin Paar


1) So ganz und ohne Weiteres ist freilich dem Eichholtz in seinen Angaben über diesen gefährlichsten seiner Rivalen in der Gunst des Herzogs auch nicht zu trauen. Wenigsten enthält das sog. Monitum, welches Clingen noch zuletzt (14. September) von seiner Wohnung aus an den Herzog eingesandt haben will, fast genau das Gegentheil von dem Eichholtzschen Berichte, dem wir in der obigen Darstellung gefolgt sind. Wer von Beiden hier so gelogen hat, "daß die Balken brechen," müssen wir bei Mangel jedes anderen Zeugnisses dahingestellt sein lassen.
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"trugen ihm solches nach und spielten ihre Rolle so wohl, daß diesem Amanten in Hamburg durch den General Rose das Gesicht zerhauen," ihm auch später in Prag noch ein Auge ausgestochen wurde. Mit solchem "confiscirten und abscheulichen Gesichte ist er wieder nach hier gekommen und hat sich mit laboriren beschäftigt, welches dem Herzog, der da glaubet, er habe den Lapidem Philosophorum, Anlaß gegeben, ihn zu rufen, anbei zwei seiner Goldmacher aus Dömitz anhero kommen zu lassen und ein eigenes Laboratorium in seinem Quartier anzulegen, Und so lange er hier gewesen, zu unterhalten. 1 ) Auch diesen Graf Brunian wollte eine Zeitlang der Herzog zu seinem Minister ernennen; da derselbe aber "seine praetensiones oder conditiones zu hoch gespannet und schriftlich übergeben", ist nichts daraus geworden. Eichholtz erwähnt diesen Grafen Brunian nur einmal vorübergehend ohne besondere Charakterisirung; dagegen


1) Man darf die damals an alten Fürstenhöfen herrschende Neigung zum Alchimisten= und Adeptenwesen nicht viel anders und schwerer auffassen, als etwa die heutigen Tages in sog. vornehmeren Kreisen weitverbreitete Neigung zum Hypnotismus und Spiritismus. - Wie Herzog Karl Leopold zum Alchimisten wurde, darüber finde ich von der schon öfter angeführten unbekannten Hand folgende Erzählung : Als Karl Leopold als Erbprinz seinen ersten Aufenthalt in Doberan nahm (1706), hatte daselbst kurz vorher ein als Alchimist sehr bekannter Baron von Mardefeld bankrott gemacht. Dieser von Mardefeld hatte mit der herzoglichen Kammer zu Schwerin einen festen Vertrag abgeschlossen, daß er gegen Abgabe der Hälfte des von ihm zu producirenden Goldes seinen "Sitz" in dem fürstlichen Hause zu Doberan nehmen, auch gewisse Geldvorschüsse aus den Doberaner "Revenüen" erhalten solle, "um sein Werk anrichten und bis zur Erscheinung des Goldes subsistin zu können. Dieser contract," heißt es dann weiter, "soll auf Pergament, mit goldenen Buchstaben geschrieben, noch vorhanden sein. Herzog K. L. findet also den ganzen apparatum von Arsen, retorten, Kolben u. s. w. vor, welche er wegräumen lassen, und über diese Anstalten öfters zu spotten pflegte. - Es geschieht aber einst, daß wie er mit seinem Förster und Verwalter zu Hütten auf die Jagd reitet, er im Holtze daselbst eine Wohnung in dem Ufer eines Berges gewahr wird, auch vernimmt, daß ein alter Mardefeldtscher zurückgebliebener Goldmacher (der nun medicin laboriret und verkauft) darinnen stecke, er selbigen herauskommen lässet, mit ihm von seiner Goldmacherey spricht, sich von seiner Versicherung: es könne Gold gemacht werden, wann es nur recht angefangen werde, einnehmen lässet und zu ihm in die Hütte gehet, darinnen eine gute Weile bleibet und bei der Rückkunft im Weiterreiten äußert: Er hätte nicht gedacht, daß das Goldmachen eine so mögliche Sache sei, wovon ihn der alte Mann nun überführet hätte. - Bald darauf wird der alte Mann nach Doberan gerufen, und so wird der Anfang zum laboriren zum Zweck des Goldmachens gemacht, worinnen bekanntlich der Herzog sich dergestalt vertiefet, daß er bis an sein Ende davon nicht ablassen können, solches auch sogar auswärtig, zu Danzig und Wismar fortgesetzet, ohngeachtet er von so manchem vorgegebenen adepto betrogen worden."
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sagt er von den beiden Goldmachern: "Zwei hätte der Hertzog schon, wovon einer Berg=Hauptmann, und ich weiß nicht, was der andere vor eine Bergwerks=Charge hätte, da doch kein Hügel in Meckl. wäre, worin Ertz vorhanden, geschweige ein Berg".

Ein dritter war der Herr Pancquar oder Banniquard, den der Herzog nach Entlassung des von Clingen zu seinem Minister annahm. Dieser soll vorher in Graz kaiserlicher Regierungsrath gewesen, aus diesem Amte aber "de mauvaise grace" entlassen worden sein. Dem Herzoge war er als ein geschickter und gelehrter Mann von einem Chevalier Saint Martin empfohlen worden, der seinerseits ein Gewerbe daraus machte, "Häuser zu miethen, zu meubliren und hernach wöchentlich chambre garnie zu halten", sich auch daneben von Kuppelei ernährte. Von dem Herrn Bankward berichten Eichholtz und der Geheimschreiber Casimir übereinstimmend, daß er ein geschäftlich ganz unfähiger Mensch gewesen, "dem Hertzoge aber nach dem Maul geredet und zu Allem ja gesaget" habe. Derselbe soll auch den Herzog beredet haben, dem Kaiser seine Allianz anzubieten und ihm 13 - 16000 Mann zur Verfügung zu stellen, "wenn Sr. Kays. Maij. Ihn sogleich der Lüneburgischen Truppen überheben und in reliquis petitis consoliren wollten." Man wird sich freilich dabei erinnern, daß auch Eichholtz selbst früher seinem Herrn gerathen hatte, "die auf den Beinen stehenden Truppen dem Kayser gegen die Türcken zu schenken." Dieser Bankward reichte nach des Herzogs Rückreise nach Dömitz beim Kaiser sein Beglaubigungsschreiben als bevollmächtigter herzoglicher Minister ein. "Es verlautet aber, der Kaiser wolle ihn für keinen Ministre erkennen, theils wegen seiner incapacitaet, theils wegen seiner in Kaiserl. Diensten gezeigten schlechten conduite."

Ferner erzählt Eichholtz auch von einem Doctor Fritsche Folgendes: In früheren Jahren, noch ehe er in meklenburgische Dienste getreten war, hätte er sich längere Zeit in Hamburg aufgehalten, "und daselbst an einem Tisch gespeiset, alwo viele Doctores und andere Gelehrte Leuthe, und unter denen auch der Doctor Fritschius sich befunden. Der hätte nun neben denen Juristischen Wissenschaften auch fürgegeben, daß er in der Alchymisterey vortrefflich wohl erfahren wäre. Er der Herr von Eichholtz hätte darauf eine Reyse auf Schwerin gethan, und wie er wieder auf Hamburg gekommen, und bey seiner alten Tisch=Compagnie gespeiset, so hätte sich dieselbe umb den Herrn Fritsch vermindert befunden. Er hätte dann nachgefragt, wo derselbe hingekommen? und zu seiner großen Verwunderung vernehmen müßen, daß derselbe wegen Verdacht des falschen Münzens heimlich davongegangen. Er hätte darnach in vielen Jahren nichts mehr von dem

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Herrn Doctor Fritschio vernommen; allein vor einigen Jahren wäre ihm von einem seiner guthen Freunde eine Sache aus Schlesien recommendiret worden, die hier (in Wien) bey der Königl. Böhmischen Cantzeley anhängig gewesen. Da hätte er sich nach jemanden erkundigt, der ihm hierunter dienen könte, und hätte man ihm den Herrn Fritsch genannt, und auf sein Bitten denselben zu ihm geschickt. Da er nun eingetreten, hätte er ihn sofort erkannt und sich erfreuet, ihn endlich einmahl wieder zu sehen. Der Herr Fritsch hätte ihm damit erzehlet, wie er, umb mit seiner Frauen Mutter wegen seines Vaters Erbschaft Richtigkeit zu pflegen, so schleunig aus Hamburg weggehen müßen. Er wäre nachhero, ich weiß nicht an was für einem Hoffe, Hoff=Rath geworden, und hätte ihm das Glück endlich hieher geführet. Er der Eichholtz hätte alles à bon Conto genommen, und sich von dem in Hamburg erschollenen Gerüchte nichts mercken lassen. Er hätte ihm auch gute Dienste geleistet, anerwegen ihn der damalige Böhmische Referendarius Schwalbenfeld als seine andere Hand gebraucht hätte. Nach dem aber darnach bekanntermaßen der Schwalbenfeld in Inquisition gerathen, so hätte der Herr Fritschius Unrath gemerket, dem Landfrieden nicht getrauet, und sich bei Zeiten aus dem Staube gemacht. Als nachhero der Hertzog von Mecklenburg hieher gekommen, so hätte der Fritschius an ihn, den Freiherrn v. Eichholtz geschrieben, und darinnen gemeldet: Es sey ihm sehr lieb, daß er vernähme, wie Se. Durchl. hieher kämen, und durch dero hohe Gegenwart ihre Sachen in Ordnung bringen wollten. Er wüste einen schönen Vorschlag, nämlich, daß Se. Durchl. den Herrn Bürger, des Grafen von Althan Stallmeister, auf dero Seite ziehen möchte, der Alles bei seinem Herrn wäre, so würden Se. Durchl. bald in dero Sachen zurechte kommen. Er hätte diesen Brief dem Herzog nicht geben wollen; allein der Herr Bürger hätte von selbsten sich bei Sr. Durchl. eingefunden, und wäre ohne Zweifel durch den Herrn Fritsch avisiret worden, daß er sich einfinden sollte."

Außerdem ist noch die Rede von einem "kurzweiligen Holländer", der sich Doctor Bentema oder Benintema nannte, und täglich beim Herzog verkehrte, sowie von einem Juden, den, wie es scheint, der Hofintendant Walter seinem Herrn auf den Hals gebracht hatte. Wenigstens erzählt der Geheimschreiber Casimir: "Dieser [nämlich Walter] hat u. a. seinem Herrn angegeben, man müsse. sich mit Geschenken suchen allhier zu insinuiren und auf Angaben eines Juden vorgeschlagen, die verwittibte Gräfin von Fuchs (eine Hofdame der Kaiserin) könne bei der Sache viel thun. Der Jude hatte nämlich ein Juwel, welches er gern um 4000 fl. anbringen wollte, da es kaum 1000 Thlr. werth gewesen. Diese Beiden waren einig,

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und der Herzog kaufte das Juwel für 4000 fI. und ließ solches der Frau Gräfin durch den Walter präsentiren. Die verwundert sich über das praesent und sagt: Sie wisse nicht, womit sie den Herzog, den sie zu kennen die Ehre nicht habe, jemals obligiret hätte oder noch obligiren könnte; doch weil sie Bedenken trüge, Ihm das Geschenk zurückzuschicken, so wollte sie solches als ein pretiöses Andenken behalten und sich dafür gar schön bedanken. Des anderen Tages, der ein Galla=Tag war, gehet sie zur Kaiserin, hält in Gegenwart aller Damen und Kavaliere das Juwel, ein Halsband mit Kreuz, gestreckten Armes in die Höhe und sagt: "Schauet, Ew. Majestät, so hat mich der Herzog von Mecklenburg regaliret, ohne daß ich weiß, was Er will!" Worüber dann die Kaiserin und alle Anwesenden gelacht; denn die Frau Gräfin kann Ihm im Geringsten nicht helfen, hat es auch nicht Willens zu entreprenniren." -

Aber auch die Jesuiten ließen es nicht daran fehlen, ihre langen Polypenarme nach dem protestantischen norddeutschen Fürsten auszustrecken. Voran unter ihnen wird der Pater Tönnemann, der Beichtvater des Kaisers genannt, sowie der, dem katholischen Eichholtz seit Jahren befreundete Prälat von Gottweich, der bereits i. J. 1714 unter dem Namen eines Grafen von Wolffstein sammt seinem pater prior persönlich nach Mecklenburg gekommen war, den Herzog zum Katholizismus zu bekehren. Sogar der frühere Plan (vgl. Theil I, S. 204) einer Verheirathung des Herzogs mit der Erzherzogin Magdalena scheint hiebei wieder aufgenommen, wenigstens als Lockmittel in Aussicht gestellt worden zu sein. Allein, wie damals, so scheiterten auch jetzt wieder diese proselyiischen Bemühungen an dem durchaus protestantischen Geiste des Fürsten, und dieser schloß sich, wie wir weiter unten sehen werden, für seine religiösen Bedürfnisse nur um so fester dem lutherischen Geistlichen der schwedischen Gesandtschaft in Wien, einem Herrn Pilgrim, an. 1 ) -


1) Genaueres über die Beziehungen Karl Leopolds zu der katholischen Kirche findet man bei Lisch: "Graf Heinrich XXIV. Reuß zu Köstriz und Herzog Karl Leopold von Mecklenburg=Schwerin, l849." Doch man darf dem sonst hochverdienten Lisch hier nur mit Vorsicht folgen, da er in seiner ganzen, dem Wesen und Charakter des Herzogs durchaus abgeneigten Auffassung weniger bemüht ist, demselben gerecht zu werden, als vielmehr nur die gründliche Verderbtheit desselben in allen seinen Unternehmungen und Absichten nachzuweisen. Diesem Ausbund von Unzulänglichkeit und Verworfenheit gegenüber erscheinen bei Lisch die Bestrebungen all seiner Gegner oder derjenigen, die nicht mit ihm übereinstimmten, engelhaft rein, edel und gut. - Zu einem Theil, nämlich für Karl Leopolds Stellung dem halleschen Pietismus und der Landeskirche gegenüber ist Lisch bereits durch die viel objektiveren und wissenschaftlich gründlicheren Untersuchungen Wilhelmis (Jahrbuch 1883) corrigirt worden. Karl Leopolds Verhältniß zur katholischen (  ...  )
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Diesem ganzen Geschmeiß schmarotzirender und beutegieriger Hof= und Residenzfliegen stand der Herzog Karl Leopold in Wien ziemlich schutzlos gegenüber. Denn, abgesehen von dem, leider auch nicht ganz zweifellosen Eichholtz, besaß er dort nicht einen einzigen ihm wahrhaft ergebenen Freund und Beistand. Oder war ihm vielleicht doch seine Gemahlin ein solcher? Die wenigen, uns überlieferten Nachrichten über sie lassen in nichts darauf schließen. Auch ist solches wohl mehr ein eheliches Vorrecht einiger glücklichen, nicht als regierende Fürsten geborenen Menschenkinder.

Unter den von Karl Leopold aus der engeren, wenn auch durch Krieg und inneren Hader arg verstörten, so doch moralisch immerhin noch gesunderen Heimath mitgebrachten Bedienten und Hofleuten befand sich keine Persönlichkeit, die ihm von irgendwelchem Nutzen hätte sein können. Im Gegentheil, von den beiden geistig bedeutendsten derselben hielt der eine, nämlich der Geheimschreiber Casimir, zu seinen Gegnern, der andere aber, Walter, war geradezu sein böser Dämon. So schildern ihn übereinstimmend alle seine Zeitgenossen, selbst der, vorsichtigerweise mit ihm in bester Freundschaft lebende Eichholtz. "Mit dem Walter", äußert sich dieser, "würde es dermahleinst ein sehr funestes Ende nehmen, denn auch derselbige Mensch etwas fatales im Gesicht hätte." Walter war der Sohn eines Schneiders, der zugleich die Stellung eines Lakaien bei der Prinzessin Marie Elisabeth von Meklenburg, die 1712 als Aebtissin des Klosters in Gandersheim starb, einnahm. Der junge Walter wurde zuerst Laufbursch eines Kammerdieners, dann selbst Kammerdiener und später Hofintendant beim Herzog Karl Leopold. In dieser Eigenschaft haben wir ihn bereits im ersten Theil dieses Aufsatzes bei einer sonderbaren Thätigkeit 1709 in Doberan und später als Begleiter des Herzogs auf dessen Brautfahrt nach Danzig kennen gelernt. Endlich ward er in Anerkennung seiner unschätzbaren Dienste Geheimer Kammerrath und Erbherr auf Lüssow. Er war nach v. Clingen's Ausdruck "ein Ohrenbläser und Urheber alles Ihro Durchl. überfallenen Unglücks", ein mit allen Hunden gehetzter "schädlicher Fuchsschwänzer und rechter Hofteufel, der es seinem Herrn unmöglich machet, etwas Gutes beständig zu vollbringen," "ein böser Mensch, der seinen Herrn an allem Guten hindert und nicht nur die Ursache an der Scheidung von der ersten Gemahlin, sondern auch sonst sich stets bearbeitet, daß Serenissimus keine rechtschaffenen Ministros


(  ...  ) Kirche, zu der jesuitischen Politik des Kaisers, sowie die zweideutige Stellung des Freiherrn von Eichholtz hiebei ihm gegenüber, harren dagegen noch eines gleich scharfblickenden, gerecht und objektiv urtheilenden Geschichtsforschers.
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angenommen, oder, da es geschehen, dieselben dennoch über etliche Monate nicht ausdauern können, also wird alle Mühe vergebens sein, einige Vereinigung mit der Ritterschaft zu tentiren, sofern dieser Hofteufel nicht vom Hofe und aus dem Lande gejaget wird; denn er gar zu süchtig, neue Unruhe anzustiften, auch hierin so lange fortfahren wird, bis er den Herrn in totalen ruin und prostitution gestürzet." - Der Secretair Casimir schreibt: "Der Walter ist ein homme sans honneurs, der Prügel einnimmt, wenn es dem Herzog beliebet und sich zu allem gebrauchen lässet." Darnach führt er eine Reihe gemeiner Streiche dieses Menschen an, die wir zum Theil vorher schon mitgetheilt haben. In Wien hielt dieser Walter sich zu den Jesuiten, denen er beim Herzoge "Presente und Pensionen" auszuwirken suchte; besonders freund aber wurde er mit dem vorher genannten Herrn Bürger, dem Stallmeister und Favoriten des Grafen Althan. In Gemeinschaft mit diesem suchte er seines Herrn Tasche so leer als möglich zu machen. Eichholtz erzählt davon: "Alß Bürger das erste mahl zu Sr. Durchl. gekommen, so hätte er Tausend Species Ducaten in seinen Huth, und einen kostbahren Ring darzu bekommen, daß alles was derselbige empfangen 9 bis 10 mille Gulden austrüge. Der Hertzog hätte hieselbsten (in Wien) mehr als 50 mille Reichsthaler verschencket . . . . Der Herr Bürger aber hätte biß hieher noch gahr wenig fruchtbahrliches ausgerichtet" u. s. w. Dann an einer anderen Stelle klagt Eichholtz: "Der Herr Bürger und der Dr. Benintema, die zögen noch Gelder vom Hertzog; da hergegen er (Eichholtz), der noch 11,000 f1. Rückstand zu fordern hätte, wie auch der Herr Seger fast Hungers sterben müssen. Er bedauerte nur noch andere ehrliche Leuthe mehr, welche dem Hertzog das baare Geld vorgeschoßen, und jetzo am Hunger=Tuch nagen müssen, worunter in Specie auch des Hertzogs Küchenmeister befindlich, der einige Tausend Thaler zu fordern hätte." -

Unter den fürstlichen Persönlichkeiten und Standesgenossen, mit denen Herzog Karl Leopold zu Wien in Berührung kam, werden neben dem Prinzen Eugen noch die Herzöge von Holstein, von Braunschweig=Bevern und Maximilian von Hannover genannt. Doch mit Ausnahme des Erstgenannten vermied er jeden näheren Verkehr mit ihnen. Mit Hannover wollte er nichts zu thun haben, und dem Herzoge von Bevern, als dem "Bruder 1 ) der


1) Hierin irrte sich der Geheimschreiber Casimir. Ein Herzog von Braunschweig - Bevern konnte kein Bruder der Kaiserin Elisabeth Christine sein, da diese eine geborene Prinzessin von Braunschweig=Blankenburg (  ...  )
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Kaiserin", wollte er keinen Besuch machen, weil derselbe bei Maximilian von Hannover in Quartier lag. Begreiflicherweise diente auch dieses dazu, ihn am kaiserlichen Hofe wenig zu empfehlen.

Inzwischen hatte der Herzog, in der beharrlichen Verfolgung seines Zieles, noch verschiedene Audienzen beim Kaiser. Zu jeder derselben pflegte er sich, nach Eichholtz, sehr eifrig vorzubereiten, auch im Kalender nachzusehen, "ob er einen glücklichen Tag und Stunde einmahl treffen würde." Doch stets, wenn es soweit kam, "ist er nur so kurtze Zeit bey Sr. Kays. May. im Zimmer geblieben, daß er, der Eichholtz, kaum anfangen können, mit des Herrn Obrist=Cämmerers Excell. zu reden, daß nicht der Hertzog sogleich wieder da gewesen, und also kaum ein paar periodos Sr. Kays. May. sagen können. Das ist aber allezeit sein Gebrauch, daß er, wann eine Sache noch weit entfernet, von großen Dingen redet, und wann es hernach zur Execution kommet, da stehet, und kaum die Zähne von einander bringen kann."

Der Kaiser ließ es nicht an guten Vertröstungen fehlen; da aber der Herzog weder zur katholischen Kirche übertreten wollte, noch auch im Uebrigen sich recht gefügig zeigte, enthielt sich auch der Kaiser jedes eigenen Machtspruches und erklärte den Reichshofrath als den in der herzoglichen Streitsache mit seinen Ständen allein kompetenten Gerichtshof, dessen bisher erfolgte Rechtssprüche er nicht aufheben und dessen weiterem Urtheilspruche er nicht vorgreifen wollte oder konnte.

Mit diesem Gerichtshofe hatte es aber Karl Leopold so gründlich verdorben, wie er es nur verderben konnte. Er hatte nicht nur den Präsidenten von Wurmbrand, wie erzählt, persönlich tief beleidigt, sondern auch, wie Casimir schreibt, "alle Reichshofräthe, die doch seine Richter sind, hat er disjoustiret, indem er keinen Einzigen gewürdiget anzusehen oder zu sich bitten zu lassen, mit Vermelden [d. h. unter der Begründung]: das ist unserer Hoheit zuwider!" - Allein: "Man kehrt sich in Wien viel an unsere Hoheit!" hatte ironisch einmal der Herzog von Holstein zu ihm geäußert, und so war es auch in der That.


(  ...  ) war. Gemeint wird hier sein ihr Schwager, der Herzog Ferdinand Albert von Bevern, denn einen Bruder besaß sie überhaupt nicht. - Auch in "Meyers Konversations=Lexikon", Aufl. 4, im Artikel "Karl VI., deutscher Kaiser", S. 518, ist die Kaiserin Elisabeth irrthümlich als Prinzessin von Braunschweig=Lüneburg angegeben, wäre also alsdann Kurprinzessin von Hannover und Schwester des Königs Georg I. von England gewesen, was sie aber nicht war.
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Noch bei Anwesenheit Herzog Karl Leopolds in Wien, am 23. September d. I., erfolgte seitens des Reichshofraths ein "gar widriges Conclusum" gegen ihn, nämlich des Inhaltes:

Ehe eine Entfernung der Reichsexekution aus Mecklenburg verfügt werden könnte, hätte eine Bezahlung der durch dieselbe bisher entstandenen Kosten und zwar in dem vorläufig festgestellten Mindestbetrage von 600,000 Thalern, aus den Kammergütern des Herzogs allein zu geschehen. Zu diesem Zwecke sei eine genaue Abschätzung der fürstlichen Einnahmen und Aufkünfte durch den, von der kaiserlichen Kommission zu Rostock eingesetzten Administrator jener Güter (den oben genannten Werpup) zu beschaffen und solche nach Wien einzuschicken.

David Franck fügt diesem Erlaß des kaiserlichen Reichshofraths die Bemerkung hinzu: "Indessen hab' ich damahls von einem vornehmen Lüneburgischen Officianten gehöret, daß des Hertzogs Cammer=Etat derzeit noch lange nicht an 5 Tonnen Goldes gereichet." (1 Tonne Gold betrug Hunderttausend Thaler.) - Und daneben waren die von den Landstädten erhobenen Forderungen aus Ersatz der ihnen von den Exekutionstruppen auferlegten Kontributionen noch garnicht einmal mitgerechnet; sind ihnen auch niemals ersetzt worden.

Solch ein Bescheid war nicht dazu angethan, des Herzogs Stimmung freundlich zu beleben. Trotzdem hielt er noch über einen Monat in Wien aus und versuchte auf jede Weise, freilich vergeblich, den Sinn des Kaisers und seiner Räthe umzustimmen. Seinem ehemaligen Vertrauten, dem Obermarschall Freiherrn von Eichholtz, wurde aber in dieser Zeit "so viel Hertzeleid durch alle die kleine Leuthe, den Chevalier St. Martin, den Bürger und andere Kerle, an welche sich der Hertzog gehängt, angethan", daß er glaubte, seinen Platz nicht länger behaupten zu können. Er reichte deshalb seine Dienstentlassung ein, die ihm auch später vom Herzoge von Dömitz aus gewährt wurde. Als der Kaiser dieses vernahm, soll er sehr verwundert gefragt haben: "Der Aichholtz auch?" 1 )

Endlich, wohl von jeder Hoffnung verlassen, durch seine Verhandlungen mit den Jesuiten in seinem protestantischen Gewissen ge=


1) Eichholtz wurde durch herzogliches Handschreiben d. d. Dömitz, 3. Januar 1721, an den Kaiser abberufen. Das kaiserliche Recreditiv erfolgte aber erst am 31. Juli 1721. Später erhielt Eichholtz von der kaiserlichen Kommission in Rostock, bezw. dem ritterschaftlichen Landtage gegen Eid die von ihm im Dienste des Herzogs gehabten Ausgaben im Betrage von 10,545 Thalern, natürlich ans Konto des Herzogs ausgezahlt. Die betr. Schreiben und Akten befinden sich in der Großherzogl. Regierugs=Bibliothek zu Schwerin in den Miscellanea, Bd. III, unter den Nr. 2-8.
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ängstigt und scheinbar aller Existenzmittel entblößt (Casimir schreibt, daß Walter um diese Zeit sogar bei dem Vicekanzler Grafen Althan ngefragt habe, "wo doch in Wien baares Geld aufzutreiben sei?"), entschloß sich endlich Herzog Karl Leopold, heimlich und ohne Abschied beim kaiserlichen Hofe, Wien zu verlassen. Es geschah dies in aller Stille am 17. December 1720 und zwar unter folgenden, von Casimir geschilderten Umständen:

"Wie nun alle Tentamenta vergeblich waren, und der Herzog gesehen, daß nichts for Ihme allhier zu thun sey, hat er voller Ungemach resolviret, schleunig von hier zu gehen, welches Er denn folgendergestalt effectuiret. Er hatte in seinem Hause gebeichtet und communiciret, von der Hand des schwedischen Legations=Predigers Herrn Pilgrims. Hac occasione hatte dieser den Herzog ersuchet, daß, weil sein Bruder, gewesener Prediger zu Eldena in Mecklenburg verstorben, und einen einzigen Sohn, welcher bey der Mutter übel erzogen würde, hinterlassen, dieser Knabe ihm möchte ausgeliefert werden, damit er eine gute Zucht bekomme und etwas rechtschaffenes lernen könne. Der Herzog verspricht ihm dies nicht nur allein, sondern wenn er nach Mecklenburg mit Ihme ziehen wolle, wollte er ihn zum Superintendenten machen und ihm Geld zur Reyse geben. Dieser bedanckt sich for die unverdiente Gnade und acceptiret dieselbe soweit, daß er hinein reysen, den Zustand der Geistlichkeit sich erkundigen und hernach darüber resolviren wollte. Der Herzog gibt ihm also bald eine Reyse=Chaise und Geld zur Reyse, mit Befehl, er solle die Post bestellen, es würden zwei Personen von seinen Leuten mit ihm reisen, doch nicht in der Stadt, sondern in der Leopold=Stadt in einem gewissen Hause aufsitzen und in aller Stille fortfahren. Die Geistlichkeit thut das und hält destinato loco et tempore alles bereit und erwartet seine Reisegefährten. Darauf kommt der Herzog mit seiner Gemahlin selbst gefahren, setzet sich in die Chaise, und lässet den Geistlichen zu seiner Rechten, die Russische Gemahlin aber, die er rüde tractiren soll, rückwärts sitzen(?!), und also ist Er Tag und Nacht fortgefahren, so daß er den 8ten Tag zu Dömitz angelanget. Inzwischen wußte von dieser Reyse kein Mensch, als der mehrgedachte Walter und der Oberste Zülau, 1 ) welche sambt alle Domestiques hiergeblieben waren. Diese wandten vor, der Herzog würde 8 Tage mediciniren und nicht aus seiner Cammer kommen, und, um solches wahrscheinlicher zu machen, so ward diese Zeit über die Taffel angerichtet und alles übrige ging


1) Oberst von Zülow, nachmaliger Generalmajor und Stadtkommandant zu Schwerin.
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seinen ordinären Gang, bis endlich die Abreyse nach 8 Tagen public gemacht ward. Der Geistliche war innerhalb 3 Wochen schon wieder hier, und hatte ohne die freie Reise ein Recompens von 600 Thaler, auch seines Bruders Sohn Auslieferung bekommen. Uebrigens wegen der angebotenen Superintendenten=Stelle sich unterthänigst bedancket, indem er befunden, daß dieselbe in Rostock, Schwerin, Güstrau und Parchim, alle vier fast mit jungen Leuten besetzet gewesen; er auch diejenige Station [als Legationsprediger], welche gar einträglich, mit guten Gewissen, und ohne seines Königs Permission sogleich nicht abandonniren können."

Ueber diesen Legationsprediger Pilgrim erfahren wir dann noch durch Eichholtz, daß derselbe noch im Sommer 1721 von Wien aus mit dem Herzoge in eifrigem Briefwechsel stand, sich also, wie so viele andere, mit Letzterem nicht entzweit hat.


V. Ausgang der Ehe und der Herrschaft Karl Leopolds.

In Meklenburg hatten sich inzwischen die öffentlichen Zustände unter dem neuen Regiment der Subdelegirten zu Rostock immer mehr verschlechtert. Ja dieser Stadt und beim Adel herrschte zwar ein tumultuirender Siegesjubel, allein im übrigen Lande, in den Städten und im Domanium, ein trostloses Zagen und Trauern. Niemand wußte mehr, wohin er sich wenden, woran er sich halten sollte und wer im Lande zu befehlen habe, der Herzog, der Kaiser oder der König von England=Hannover. Thatsächlich Herr dort war der Letztgenannte und der unter seinem Schutz stehende sogen. Engere Ausschuß, dem Namen und Vorgeben nach der Kaiser, in der Anschauung des Landvolks, der Geistlichkeit und Städter aber war und blieb es der Herzog trotz aller Befehle des Kaisers, trotz aller Bedrückungen durch die Exekutionsvölker. Die herzoglichen Verordnungen und Erlasse besaßen deshalb, ungeachtet der ohnmächtigen Lage ihres Urhebers, immer noch Kraft genug, die von seinen Gegnern ausgehenden Befehle und Verbote, wenn auch nicht gänzlich aufzuheben, so doch in ihrer Wirksamkeit zu lähmen und zu hemmen.

Und Herzog Karl Leopold war nicht der Mann dazu, von seinen vermeinten Rechten als Souverän auch nur einen Finger breit abzuweichen. Sein Aufenthalt am Kaiserhofe hatte ihn keineswegs versöhnlicher gestimmt; im Gegentheil, er war in der denkbar übelsten

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Laune von dort in sein Erbland zurückgekehrt, und die Zustände, die er hier vorfand, waren nicht dazu angethan, jene zu verbessern.

Die jetzt in Meklenburg das Heft in Händen haltende Ritterschaft war aber gleichfalls nicht gesonnen, weder auf seine Launen, noch auf den Widerspruch und die Klagen der Landschaft die geringste Rücksicht zu nehmen. Sie war vielmehr entschlossen, ihren augenblicklichen Vortheil derartig für sich auszunutzen, daß selbst ihre Freunde in Wien darüber besorgt zu werden anfingen. Noch im Mai 1721 erklärte der Freiherr von Eichholtz seinem Interpellanten: Es hätte sich neulich ein "großer Minister" des Kaisers ihm gegenüber dahin vernehmen lassen: das Beste für den Herzog wäre der Umstand, daß die Ritterschaft so große Anforderungen machte, weil sie hiedurch verursachte, daß sie nur um so weniger erreichen würde; der Herzog wäre doch nun einmal ein Reichsfürst, dem man Land und Leute nicht nehmen könnte; auch würden schon einige Minister des Kaisers deshalb "schwierig, weil das Werck (der Commission in Rostock) so lange daurete."

Am tiefsten aber kränkte den Herzog das Ansinnen des Kaisers, sich in Rostock vor der Kommission zwecks Abrechnung mit der Ritterschaft einzulassen. Er ließ deshalb (26. Juni 1721) vor dieser eine geharnischte Erklärung ablesen, worin es hieß:

"Ihro Durchlaucht sey vermöge der Reichs=Grund=Gesetze, in denen, von Ihro wiedersetzlichen Vasallen und Unterthanen, Ihro gemachten Streitigkeiten (wobey es auf die Reichs=Fürstl. Hoheit und Regalia, so derselben, gleich andern Chur= und Fürsten des Reichs, unwiedersprechlich zu Stünden), mit einer verhengten Executions= und Untersuchungs= Commission billig zu verschonen gewesen." Zugleich protestirt er gegen Alles, was die Kommission bisher in seinen Landen vorgenommen. "Wegen Liquidation mit der Ritterschaft, die eine recht ungeheure und seltsame Rechnung geschmiedet und eingebracht, könnte er sich nicht weiter erklären noch einlassen. Er habe das unverrückbare Recht, gleich anderen Reichsfürsten sein Land in Vertheidigungszustand zu setzen, habe also nichts zu Unrecht von seiner Ritterschaft erhoben. Was sonst über diese verhängt worden sei, das hätte sie sich selbst und ihrer hochverrätherischen Widersätzlichkeit zu verdanken, dergleichen Begangenschaften zu ahnden, er sich nochmalen ausdrücklich vorbehalte."

Da aber die kaiserliche Kommission dieses nunmehr Autoritate Caesarea mit der Ausschreibung eines Landtages zum 7. October d. J. nach Malchin beantwortete, wozu die gesammte Ritter= und Landschaft geladen, aber auch dem Herzoge freigestellt wurde, den einen oder anderen seiner Räthe dahin abzuordnen, so protestirte

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dagegen der Herzog nicht nur in einer öffentlichen Proklamation d. d. Dömitz, 18. August, sondern verbot auch den Städten auf ihre Anfrage unterm 12. bezw. 27. September ausdrücklich, diesen Landtag zu beschicken.

In der That war auch die Berufung eines Landtages autoritate Caesarea gegen den Willen des regierenden Landesherrn ein Ereigniß ohne vorgängiges Beispiel in der meklenburgischen Geschichte, und fraglos ein direkter Eingriff in die landesherrlichen Rechte und Regalien des Herzogs. Es war also völlig begründet, wenn dieser in seinem Protest erklärte: "Die Sache kömmt darauf an, was das Recht eines deutschen Reichs=Fürsten mit sich bringe, worinn ich mir und meinen Nachkommen, auch Mit=Ständen, das geringste nicht vergeben kan noch werde," und wenn er weiter anführt: Als er und sein Vorgänger in der Regierung durch den nordischen Krieg in einen Schaden von einigen Millionen gesetzt worden sei, hätten sie sich mit nachdrücklichen Klagen und Bitten an die Reichsregierung gewendet, von derselben aber keine Hülfe erlangt; deshalb habe er selbst auf eine Landesvertheidigung bedacht sein müssen, habe zu dem Ende seine in Holland befindlichen Regimenter zurückkommen lassen, dazu noch einige aus eigenen Mitteln errichtet, zwei weitere vom Czaren "als seine eigene und für seiner Gemahlin Braut=Schatz zum Theil ihm angerechnete, übernommen, davon auch so wohl an Kayserl. Maj. als an den Reichs=Convent zu Regensburg ohne Zeit - Verlust, Eröfnung gegeben;" doch jetzt, wo er sich wegen der Kosten für solche nothwendige Landesvertheidigung mit seinen Landständen auseinander zu setzen habe, mische sich plötzlich die Reichsregierung dazwischen. Und auch darin konnte man ihm nicht Unrecht geben, wenn er meinte, "es werde ihm ewig schimpflich seyn, zu der Edelleute Land=Tag zu kommen, da sie doch nicht (früher) zu dem Seinigen kommen wollen."

Aber all sein Recht und Protestiren half jetzt nicht mehr. Der Landtag ward zu der angegebenen Frist zu Malchin von den Subdelegirten eröffnet und abgehalten ohne einen herzoglichen Bevollmächtigten, auch in Abwesenheit von einem Viertel der Ritterschaft sowie der ganzen Landschaft (der Vorder= und Landstädte), deren Deputirte sich zu derselben Zeit nach Dömitz zu ihrem Herzoge begeben hatten. Die Anmaßung der Landeshoheitsrechte seitens der Subdelegirten zu Rostock, wie sie in der Folge thatsächlich geschah, sowie die Anmaßung der auf diesem Landtage und dessen Fortsetzung zu Rostock versammelten Ritterschaft als Vertretung des gesammten Landes war ein rechtlich nicht zu vertheidigender Gewaltakt, der aber seine Anerkennung und Genehmigung nicht nur in Wien, sondern vor

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Allem in Hannover fand. Denn hier, in Hannover, hatte die meklenburgische Landesregierung jetzt ihren eigentlichen Sitz und zwar in der Person des leitenden Ministers von Bernstorff, des verbissensten Gegners Karl Leopolds. Seinen Vorschlag zur Einführung eines neuen Kontributionsmodus begründete der Landrath von Lehsten am 18. November mit den Worten: "Hieraus würde man einige Projecte machen können, um solche dem Geh. Raht von Bernstorff (der Sele ihrer Selen, setzt D. Franck hinzu) vorzulegen und dessen Meinung und Genehmung darüber einzuhohlen." - Die Finanzen des Landes befanden sich in dem jämmerlichsten Zustande: "alle Einkünfte wurden auf die Erhaltung der Kommission und der Exekutionstruppen verwandt, und dennoch wuchsen die Ansprüche der Konservatoren, abgesehen von denen anderer Gläubiger, 1 ) bis nahe an eine Million, ohne daß bis jetzt auf Mittel zur Abtragung der Schuld gedacht war, wenn nicht, wie die Ritter verlangten, durch Hypothecierung der fürstlichen Domänen." Memoire pour servir d'instruction au Baron de Fonseca sur les affaires de Mecklenbourg. Rousset Recueil, S. 6.)

Die Anhäufung all dieser äußersten Widerwärtigkeiten, Aufregungen, Demüthigungen, Anstrengungen und Mißerfolge in den letzten zwei Jahren, die Erkenntniß seiner völlig isolirten und immer aussichtsloser werdenden Lage, sein aufs Tiefste verletztes fürstliches Ehr= und Standesgefühl; dazu noch wirkliche Noth und Entbehrung, sowie Furcht vor heimlichen Nachstellungen seiner Feinde und Argwohn gegen seine nächste Umgebung -: alles dieses scheint um diese Zeit die Nerven des Herzogs überreizt, seinen Geist getrübt und seine Sinne eine Zeitlang gänzlich übernommen und verwirrt zu haben. Anders lassen sich die Ereignisse, zu deren Erzählung


1) uf diesem malchiner Landtage kamen auch die vom Engeren Ausschuß zu Ratzeburg an die aus dem Lande geflüchteten Ritter gezahlten Monatsgelder (vergl. S. 247, Anm.) zur Sprache. Dies Geld war von einem Hamburger Juden aufgenommen, von diesem aber die Forderung inzwischen an einen anderen Juden in Preußen cedirt worden. Der Letztere hatte nun die im Mansfeldischen gelegene und dem Obersten von Hahn, einem Mitglied des Ausschusses, gehörige Herrschaft Seefeld mit Beschlag belegt unter der Behauptung, daß alle Unterzeichner der Schuldverschreibung quilibet in solidum (solidarisch Einer für Alle) hafteten. Es wurde deshalb auf dem Laudtage beschlossen, " den König von Groß=Britannien zu ersuchen, sich derer von Hahn beim König von Preußen anzunehmen, bis man Raht schafte." Diese Schuld wurde jetzt auch dem ganzen Lande auferlegt, und mußten zur Rückzahlung "solcher angeliehenen Gelder alle hergeben, sie mogten davon genossen haben oder nicht; anerwogen das gantze Land, dem Engeren Ausschuß schon bey seiner Bestellung, Versicherung gegeben hatte, denselben schadloß zu halten".
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wir jetzt übergehen werden, nicht erklären, wenigstens nicht auf Grund der wenigen und unzulänglichen Zeugnisse, die bis jetzt darüber vorliegen. Schon Karl Leopolds halbjähriger Aufenthalt in Wien, wo die Wirklichkeit den gespenstigen Wahnvorstellungen eines wüsten und beängstigenden Fiebertraumes leibhaftige Gestalt gegeben zu haben schien, war allein dazu angethan, mit all den fratzenhaften unheimlichen Figuranten und Umtrieben, eine Nerven, sein Gefühlsleben aufs Tiefste zu erschüttern. Dergleichen Folgen davon scheint schon der von Clingen vorausgesehen und befürchtet zu haben, indem er bald nach seiner Dienstentlassung an den Reichsagenten von Praun schreibt: "Ob nun wohl diese Bedrohungen und Zorn (des Herzogs) sine effectu et viribus vana. . . . .: so ist doch hinwiederum bekand, daß der Zorn, wenn er Auffwasser oder Kräfte bekommen, in eine Furie degeneriret, wie davon die Historie verschiedene Exempel an den Tag leget, allermaßen wegen der unauffhörlich wiederholten Bedrohungen und dabey verspürten Minen und gebährden, völlig versichert und persuadiret bin, daß es auch juramento credulitatis zu behaupten mich getraue, es werde Ser. mus nicht ruhen, bis er an verschiedene der ritterschaft seine rache ausgeübet, darneben viele andere Familien in äußersten Ruin und Lebensgefahr gestürtzet, es geschehe auch quocunque modo es könne. . . ."

Daß aber Herzog Karl Leopold schon in den letzten Jahren sehr an Mißtrauen, ja, an einer Art von Verfolgungswahn litt, darüber finden sich verschiedene Zeugnisse. Ein gefährlicher Ausbruch von Argwohn wird bereits aus dem Jahre 1718 erzählt, wo er zuerst anfing, mit äußerster Strenge gegen die Rostocker und Ritter vorzugehen. Damals, heißt es, liefen verschiedene Gerüchte um, es würde dem Herzoge nach dem Leben getrachtet. Er hatte zu der Zeit gewöhnlich seinen natürlichen Sohn, den späteren Stallmeister Eggers, als Kammerburschen um sich. Dieser hörte eines Abends die beiden Kammerdiener Koch und Franck sich über das oben erwähnte Gerücht unterhalten, wobei sie sich denn auch u. A. erzählen, daß einmal ein Fürst durch seinen Koch mit der Suppe vergiftet worden sei. Eggers berichtet dies sogleich dem Herzoge, allerdings mit der Wendung: Koch und Franck hätten gesagt, die Edelleute wollten ihn mit der Suppe vergiften lassen. Die beiden Kammerdiener werden vorgerufen; der Zeuge bleibt bei seiner Aussage, während jene leugnen; der Herzog läßt sie schließen und peinlich verhören unter Anwendung der Daumschrauben. Als die Unglücklichen aber dennoch fest bei ihrer Aussage stehen bleiben, läßt der Herzog es dabei allerdings bewenden, behält sie aber nicht in seinem

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persönlichen Dienste (der Erzähler fügt hinzu: "Ohne Zweifel ans nicht erloschenem Mißtrauen") Sondern machte Koch zum Zollinspector in Warnemünde und Franck zum Licenteinnehmer und Postmeister in Warin. Man kann hieraus aber auch sehr wohl auf eine bessere Gemüthsregung Karl Leopolds schließen, nämlich auf Reue und den Wunsch, die Folgen seines unbegründeten Argwohns an jenen Beiden wieder gut zu machen.

Auch das in dieser Anekdote erwähnte Gerücht von Nachstellungen gegen den Herzog hatte einen bestimmten Grund. Es liegt ein Protokoll, "gehalten in Consilio intimo d. d. 21. April 1718 in praesentia Seremissmi, Geh. Rath v. Petkum, Geh. Rath v. Wulffraht, Geh. Rath Schöpfer, Geh. Rath Schaper," vor, betreffend eine Verschwörung gegen den Herzog zu Lübeck in der Zeit vom 22. März bis 8. April d. J. In diesem Protokoll sagt der Studiosus med. Johannes Theophilus Herold aus Wien eidlich aus, er habe sich während angegebener Zeit zur Ordnung von Familienangelegenheiten in Lübeck aufgehalten und sei hier in seinem Gasthause, dem "Großen Christoffer", unfreiwilliger Ohrenzeuge einer, gegen das Leben des Herzogs geplanten Verschwörung geworden. In dem, von seiner Stube nur durch eine dünne Bretterwand geschiedenen Nebenzimmer hätten anfangs zwei, später drei mecklenburgische Edelleute, v. Bülow, v. Plessen und v. Bassewitz mit dem Apotheker Johannes Schmolcke aus Tönningen wegen eins schnell tödtenden Giftes verhandelt, um mittels desselben ihren Herzog zu "vergeben"; zur Uebergabe dieses Giftes sei eine abermalige Zusammenkunft in Hamburg verabredet worden. Als nun aber der Herzog genannten Studiosus in Begleitung zweier Offiziere nach Hamburg schickte, um dort die vermeintlichen Verschwörer in flagranti zu ertappen, war von diesen nichts zu finden, auch der Denunziant in der nächsten Nacht heimlich und spurlos verschwunden. - Mag nun dieser Studiosus Herold ein Schwindler oder ein von der Hannoverschen Regierung oder dem Engeren Ausschuß in Ratzeburg abgesandter Agent gewesen sein, um, nach deren ausgesprochenem Grundsatz, den Herzog "durch Erregung seines Argwohns zu unüberlegten Handlungen zu treiben", oder mag auch seine eidliche Aussage auf Wahrheit beruht haben, und er selbst ein Opfer der Verschworenen geworden sein - genug, dies Vorkommniß war der Grund des oben erwähnten Gerüchtes und auch ganz dazu angethan, das zu Mißtrauen neigende Gemüth Karl Leopolds noch mehr zu verdüstern.

Auch daß dieser neben seinen gehäuften ehrgeizigen Sorgen in dem engen Dömitz zeitweilig Noth und körperliche Entbehrungen erlitten, wäre schon ohne ausdrückliche geschichtliche Bezeugungen

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anzunehmen gewesen. Genug, aus allen angeführten Gründen ist zweifellos zu vermuthen, daß Herzog Karl Leopold gegen Ende des Jahres 1721 einer sehr starken Nervenzerrüttung unterworfen gewesen sein muß.

Der Sommer des Jahres 1721 war schon mit Untersuchungen gegen zwei bis dahin stets treu erfundene Männer der nächsten Umgebung des Herzogs angefüllt gewesen, gegen den Geh. Rath von Wolffradt und den Geh. Cabinets=Secretair Scharff, dabei waren der Oberst von Bugenhagen und der Oberjägermeister von Bergholz ebenfalls in den Verdacht gezogen, hatten sich aber durch die Flucht retten können. Wolffradt mit Frau und Hausgesinde, Scharff, sowie sein Verwandter, der Bürgermeister zu Dömitz, Brasch, dessen Frau und eine Anzahl Musketiere wurden nach und nach in die Untersuchung hineingezogen, die allmählich mit peinlichen Fragen und Torturen einen Verlauf nahm, wie er seit Menschengedenken in Meklenburg nicht mehr erhört gewesen war.

Wir müssen es uns versagen, hier dem Verfahren in seinen Einzelheiten zu folgen. Es muß dieses Sache einer speciellen Untersuchung an der Hand der noch vorhandenen - allerdings lückenhaften - Acten sein. Nur soviel möge hier Platz finden, daß am 19. December 1721 die Hinrichtung zweier Musketiere durch das Schwert stattfand, daß ihre Köpfe und geviertheilten Leiber an den Landstraßen zum "abscheulichen Exempel" aufgehängt wurden, und daß auf Grund der Aussagen der Gerichteten Scharff am 20. December in Gegenwart des Herzogs einer grausamen Tortur unterworfen wurde. Die dem Gequälten durch den Schmerz entrissene Aussage war so angethan, daß Karl Leopolds geängstigtes Gemüth das Schlimmste für seine Sicherheit befürchten mußte, so daß er am 22. December früh morgens um 2 Uhr, nur begleitet von seiner Gemahlin, der kleinen Prinzessin, dem Obersten von Tilly und geringer Dienerschaft "eine weite Tour" antrat, als deren Ziel sich Danzig herausstellte. Hier traf er bereits nach Weihnachten unter dem Namen eines Obersten von Bischof incognito ein.

Die Gefangenen verblieben einstweilen in Dömitz in strengster Haft. Nur Wolffradt's Frau wurde in Schwerin im Schloß untergebracht, um die Wiederholung eines gemeinsamen Fluchtversuchs des Ehepaars zu vereiteln.

Nach Danzig folgte dann bald der neu ernannte Nachfolger Wolffradt's, der Regierungsrath Wolff, 1 ) ein intriganter Mensch,


1) Dr. Johann Konrad Wolff war vorher neben dem Hofrath Joh. Joach. Busse jüngerer Bürgermeister von Parchim gewesen. Als solcher (  ...  )
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dem Wolffradt vornehmlich die feindseligen Maßregeln gegen ihn Schuld gab. In Dömitz blieb der Regierungsrath von Bremen und der Archivar Burmeister als Vertreter der Regierung zurück. Als Vertreter der Justiz wurde der neu ernannte Justizrath Schröder, der bis dahin vergeblich Eichholtz in Wien vertreten hatte, 1 ): nach


(  ...  ) machte er sich zuerst nach dem Einzuge der Executionstruppen auf dem am 25. Mai 1719 zu Sternberg abgehaltenen und in der Folge öfter wiederholten Konvent der Städte durch sein lebhaftes Eintreten für die Rechte dieser, sowie für deren Zusammengehen mit dem Herzoge, bemerkbar. Noch in demselben Jahre hatte er Gelegenheit, zu Goldbeck und Dömitz persönlich mit dem Herzoge in Berührung zu kommen. Dieser scheint sofort großes Gefallen an ihm gefunden zu haben ("Er taumelte fast noch von der Gnade des Herzogs gegen ihn," bemerkt Franck), beauftragte ihn mit verschiedenen kleinen Kommissionen, ernannte ihn zum Hofrath und ein Jahr später, nach Verabschiedung des bisherigen Ministers von Petkum, zu seinem Regierungsrath. In Wolffs Stelle zu Parchim trat sein designirter Schwiegersohn Lembcke ein. - Aus dem stellenweise bei D. Franck geschilderten Auftreten dieses Mannes gewinnt man von demselben den Eindruck eines hellen juristischen Kopfes, eines schneidigen Redners und überzeugten Parteigängers des Herzogs, zugleich aber auch den eines sehr eitlen, servilen und rücksichtslosen Strebers.
1) Schröder, früher Advokat, dann Stadtsyndikus zu Güstrow, war neben Wolff, Busse und dem Assessor Vick einer der Hauptführer der Städte gegen die Ritterschaft. Er genoß den Ruf eines ganz hervorragenden Juristen. Nach der Dienstentlassung des Freiherrn von Eichholtz (Januar 1721) trat er an dessen Stelle in Wien. Eichholtz berichtet deshalb über Schröders Eintreffen in dieser Stadt nicht allzuherzlich: "Der Herzog hätte noch ab und zu Leuthe hieher geschickt, alß zum Exempel den Dr.Schroeder, von dessen Ankunfft aber er auch ebenso wenig etwas gewust, alß da der Herr Walter anhero geschickt worden. In dem Thor=Zettul hätte er [Eichholtz] gesehen, daß ein Holsteinscher Cavallier, mit Nahmen Rantzow anhero gekommen. Er hätte anfangs darauss kein Obacht gegeben. Nachhero hatte er erfahren, daß der so genandte Mons. Rantzow des Herzogs Laquayen, der das Bein gebrochen und sich hier curiren laßen, hätte sprechen wollen. Er hätte sich nimmermehr träumen laßen, daß der Dr. Schröder sich dieses ansehnlichen Nahmens bedienen könte. . . . . Darnach ist ihm derselbe auf der Gaßen begegnet, da er ihn denn gleich erkandt, zu sich geladen, und soviel von ihm heraus gebracht, daß der Herzog hätte hier nichts zu hoffen, wo er nicht in allen reale Parition leistete. Er hätte ihn [den Schröder] darauf beschworen, daß nach seiner Zurückkunfft er Sr. Durchl. zureden mögte, seinen Sinn zu brechen, und den Kays. Verordnungen sich zu unterwerffen. Er hätte solches versprochen, und daß er ihm sodann deswegen schreiben wolte. Weil aber kein Brieff eingelangt, schiene es wohl, es würde beym alten bleiben." - Aus späterer Zeit (1726), wo Schröder abermals in des Herzogs Auftrage nach Wien ging, wird er von anderer Seite als ein träger Schlemmer und Lebemann geschildert, "der fast weiter nichts that als essen, Bitterbrunnen trinken und sich an den Reizen einer Haushälterin erfreute, die er dort sofort angenommen hatte." Außerdem soll er neben mehreren Bedienten, die er schon mitgebracht, dort noch drei Lakaien angenommen haben, die immer Leckerbissen herbeischleppen mußten. Der Herzog ließ ihn (  ...  )
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Danzig berufen, ihm trat der Consistorialrath Carmon aus Rostock zur Seite. Diese beiden Männer griffen nicht nur durch Rechtsgutachten in aufhetzender Weise in die Untersuchung gegen Scharff und Wolffradt ein, sondern fällten auch am 29. Mai 1722 das Todesurtheil gegen Wolffradt, das aber erst am 16. September 1723 nach längerer Anwesenheit des genannten Schröder in Dömitz, um den Proceß zu "betreiben", wirklich durch Enthauptung vollstreckt wurde. Zu einer Verurtheilung Scharffs kam es bei seinen Lebzeiten nicht. Die grausamen Folterungen, die Scharff besonders seit der Anwesenheit Schröders in Dömitz zu bestehen gehabt hatte, hatten zwar seinen Muth nicht gebrochen, doch erlag er am 5. November 1723 seiner Pein. Dem todten Körper wurde das Urtheil gesprochen und die Theile desselben an eben den Punkten aufgehenkt, wo von zwei Jahren zuvor noch die Reste der beiden Musketiere den Vögeln des Himmels zur Beute dienten. Auch Brasch war am 9. October 1723 im Gefängniß gestorben und hatte ein unehrliches Begräbniß erhalten, seine Frau und mehrere Musketiere wurden in gelindem Arrest zurückbehalten, andere Arrestanten, darunter Wolffradts Hausgesinde und der gleichfalls eingezogene Secretair von Casimir entlassen. Nur Wolffradts Frau, der man schon vor ihrer Ehe mit Wolffradt intime Beziehungen zum Herzog nachgesagt hatte, kam wieder in Gnade bei dem Herzog, dem sie bald nach der Enthauptung ihres Mannes - wohl nicht freiwillig - nach Danzig folgte.

Ueber den Aufenthalt Karl Leopolds zusammen mit seiner Gemahlin in Danzig, dem Orte ihres einstigen vergnügten Beilagers, bleibt nicht mehr viel zu erzählen übrig. Sehr auf Rosen gebettet war ihr Leben dort nicht. Schmalhans Küchenmeister und Frau Sorge standen dort in ihren Diensten. Dies geht nicht nur aus dem Briefwechsel der Herzogin Katharina mit ihrer Mutter, sondern auch aus dem Umstande hervor, daß der Herzog eine Subsidialhülfe, d. h. ein freiwilliges Geldgeschenk, von dem ihm noch immer treu ergebenen Städten erbat. Diese, selbst so schwer heimgesucht, erklärten zwar ihren guten Willen dazu, mußten aber zu gleicher Zeit ihr gänzliches Unvermögen bedauernd eingestehen. Es kam bei all ihrer Willigkeit wohl viel Geklage, aber wenig Geld zusammen. -


(  ...  ) aber durch einen Diener, Hartwich mit Namen, überwachen, der über Schröders Lebensweise heimlich ein Tagebuch führen mußte. Deshalb warf er ihm auch später "sein erbärmliches Negotium" vor und forderte von ihm entweder Ergebnisse seiner Thätigkeit in Wien oder seine sofortige Rückkehr von dort. Schröder wählte das letztere und kehrte ziemlich unverrichteter Dinge nach Danzig zum Herzoge zurück.
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Die Herzogin scheint schon bald nach ihrer Ankunft in Danzig den Entschluß gefaßt zu haben, in ihre Heimath zurückzureisen, doch dauerte es noch bis in den Hochsommer, ehe sie dazu kam. Aus dem Anfang des Jahres 1722 liegen drei Briefe ihrer Mutter, der Zarin Praskowja, vor, der eine an die Herzogin, die beiden andern an die kleine Prinzeß Enkelin gerichtet. Ich lasse sie hier in Üebersetzung folgen:

(Datum fehlt.) Katjuschka, mein Licht! Die Gnade Gottes sei über Dir und der heiligen Mutter Gottes Barmherzigkeit! Schreibe, mein Licht, von Deiner, des Fürsten [Herzogs] und Deines Töchterchens Gesundheit. Und ich und die Schwester [die Soltikowa] leben noch nach Gottes Willen Lade, Katjuschka, den Fürsten zu uns ein. Dein Onkel [Zar Peter I.] hat geruht, mir zu sagen, er [der Herzog] möge zu mir kommen, und Du bitte ihn deshalb, zu uns zu kommen. Wenn Ihr hieherreist, laßt nicht das Töchterchen zurück; betrübt mich nicht in meinem Alter. Wenn Ihr kommt, werden Tante und Onkel sich zu Euch freuen, und Eure Angelegenheit wird sich besser ordnen lassen, wenn Ihr Euch persönlich mit ihnen sehet. Jetzt stehen mit Gottes Hülfe Onkels Angelegenheiten alle gut. Gott ist ihm gnädig. Vielleicht wird er bei Gott erreichen, auch Euch trösten zu können. Auch von mir lade ihn [den Herzog] ein zu uns. Der Onkel schickt Dir zehn Stück Damast, und ich schicke Dir ein Fuchsfell und ein Paar Zobeln, und die Schwester [die Soltikowa] schickt Dir einen Fuchspelz, und den Hermelin gieb dem Fürsten von der Tochter [Praskowja] und sieben Stück griechische Seife, und drei Fuchspelze zu behebigem Gebrauch, und dabei in der Kiste Näschereien [oder Kleinigkeiten] von Anderen. Die meisten Aufträge schicke ich Dir mündlich durch Okunjew; er wird Dir von Allem berichten. Daß ich nicht mit eigener Hand schreibe, so kann ich nicht wegen meines Kopfes, ich sehe auch sehr schlecht. Das sind alles Eure Kümmernisse, die mich so niedergebeugt haben. Ganz bestimmt, Katjuschka, der Onkel hat gesagt: kommen sie, so will ich ihre Sache in Ordnung bringen. Ich schreibe nie etwas Unwahres. Mit Okunjew schicke ich Dir auch einen Priester, und mit diesem einen Diaken und den Vorsänger Filka. Es scheinen ganz ansehnliche Leute zu sein. Taugen sie nichts, so werde ich Dir noch im Winter Andere schicken. Ich reise zum Winter nach Moskau und werde dort dann bessere aussuchen. Ich habe hier ein schreibkundiges Mädchen, welches auch das Heft schickt; ich behalte sie bei mir, damit sie später die Enkelin russisch schreiben lehrt. Dabei sei über Dir mein und Deines Vaters Segen. Deine Mutter Zarin Praskowja.

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Der Brief an die kleine Enkelin lautet:

Mein liebes Seelchen Enkelin, sei gegrüßt mit Väterchen und Mütterchen! Schreib mir mit Deinen eigenen kleinen Händchen von Deiner und Deines Vaters und Deiner Mutter Gesundheit, und küsse für mich Dein Väterchen und Mütterchen, das Väterchen aufs rechte Auge und das Mütterchen aufs linke. Auch schicke ich Dir, mein Licht, einige Geschenke: einen warmen kleinen Kaftan, auf daß es Dir schön warm darin ist auf der Reise zu mir. Außerdem schicke ich Dir ein Beutelchen und darinnen 100 Goldstücke - die sollen für Dich sein zum Zeitvertreib. Mach' Freude, mein Licht, Deinem Väterchen und Mütterchen, damit sie sich nicht so arg grämen in ihren Sorgen und bitte sie zu mir zu Gast, und komme Du selbst auch mit ihnen; ich glaube gewiß, daß wir uns sehen werden, denn Du liegst mir immerfort im Sinn. Zugleich übergieb einen Gruß von mir an Vater und Mutter. Auch schicke ich Dir hier meine Augen [Symbol: Augen], die alten; die sehen schon kaum mehr. Aber Dein altes Großmütterchen will Dich, ihr kleines Enkelchen sehen. - Zarin Praskowja.

Der dritte Brief trägt ebenfalls kein Datum, muß aber auch noch im Frühjahr 1722 geschrieben sein:

Enkelchen, mein Licht! Ich wünsche Dir, mein Herzchen, alles Gute von ganzem Herzen, und möchte, möchte, möchte Dich, mein Freundchen Enkelin, ich, Dein altes Großmütterchen, Dich Kleine so gerne sehen und mit Dir Freundschaft schließen; Alt und Jung verträgt sich gut miteinander. Und lade ein zu mir das Väterchen und Mütterchen, und küsse sie von mir, und daß sie nicht vergessen, Dich zu mir zu bringen; denn ich habe mit Dir über gewisse Dinge ganz heimlich zu sprechen und nachzudenken. Es grüßt Dich Deine Großmutter Z. P. -

Im August 1722 verließ die Herzogin Katharina die Stadt, die sie vor sechs Jahren zuerst und so hoffnungsfreudig betreten, und den Mann, dem sie damals hier so vertrauensvoll in die Arme geeilt war. Als sie jetzt Abschied von einander nahmen, ahnten Beide noch nicht, daß es auf immer war. Mutter und Kind sahen den Gatten und Vater niemals wieder. Trotz später häufig erfolgter Einladung zeigte dieser, der Herzog, doch niemals Lust, ihnen nach Rußland zu folgen. Auch seine, an dieses Reich noch immer geknüpften politischen Hoffnungen hörten mit dem am 8. Februar 1725 erfolgenden Tode Peters des Großen vollständig auf. So hatte denn diese Ehe, obwohl beide Gatten noch lebten, mit dem Abschiede in Danzig ihr thatsächliches Ende erreicht. -

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Wir stehen damit auch an der Grenze, die wir uns für diese geschichtliche Erinnerung vorläufig gesetzt haben. Das weitere Schicksal der Herzogin Katharina und ihr späteres Leben in Rußland gehören ebensowenig mehr in den Kreis dieser Betrachtungen, als die im Jahre 1730 erfolgte Rückkehr Karl Leopolds nach Meklenburg und seine daselbst gemachten Versuche, sich wieder der Landesherrschaft zu bemächtigen. Hier genüge die kurze Angabe einerseits, daß es in der Folge der Herzogin Katharina Iwanowna von Meklenburg vergönnt gewesen ist, in ihrer alten Heimath ein unvergleichlich mehr glückliches Leben und eine viel einflußreichere, freundlichere und höher geachtete Rolle bis zu ihrem Tode im Jahre 1733 zu führen, als während der wenigen, hier geschilderten Jahre an der Seite ihres unglücklichen deutschen Gatten, und andererseits, daß alle von diesem später unternommenen Anstrengungen gegen die in seinem Lande liegende Exekution, sowie gegen seinen, vom Kaiser als Administrator eingesetzten Bruder Christian Ludwig vergeblich gewesen, und daß Herzog Karl Leopold die letzten Jahrzehnte seines Lebens unruhig, grollend, rachsüchtig und verbittert, doch in allen seinen Unternehmungen und Bestrebungen unzulänglich und erfolglos, das Bild eines echten Prätendenten, theils in Schwerin, theils in Wismar und Dömitz zubrachte. In dieser letztgenannten Stadt starb er, 69 Jahre alt, am 28. November 1747. Seine Leiche ward in der Kirche zu Doberan beigesetzt.


So wenig Zuneigung erweckend die Persönlichkeit dieses entthronten Fürsten bei einem allgemeinen Ueberblick der durch ihn und seine Gegner hervorgerufenen geschichtlichen Begebenheiten erscheint, so kann man sich bei einer genaueren Prüfung aller Umstände doch nicht jeglicher Theilnahme für ihn entschlagen. Er erscheint alsdann als eine durchaus tragische Persönlichkeit, deren Schuld vor Allem in einer den Zeitumständen und seinen Zielen nicht gewachsenen Unschlüssigkeit seines Charakters und einer, seinem Willen nicht entsprechenden Handlungsfähigkeit und Handlungsmöglichkeit bestand. Die ihn umgebenden seinen Bestrebungen abholden Umstände waren durchweg mächtiger, zahlreicher und durch die zufällige Konstellation ferner stehender doch ausschlaggebender Verhältnisse mehr vom Glück begünstigt als die ihm holden. Er war eben wie alle erfolglosen Prätendenten, alle Sonderlinge, Märtyrer und tragischen Helden für seine Zeit ein Anachronismus. Fünfzig Jahre früher oder später geboren, wäre er vielleicht für sein Heimathland ein heilsamer, von Mit= und Nachwelt gefeierter Reformator geworden.

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Je nach dem Gesichts= und Parteistandpunkte des Urtheilenden wird er deshalb von seinen Biographen in seinem Prätendententhume bald als ein unglücklicher, von allen Seiten verkannter und ungerecht an die Wand gedrückter, freilich dabei nicht sehr geduldiger Märtyrer, bald als ein herzloser, von seinen Gegnern gerechterweise unschädlich gemachter Tyrann geschildert werden können. Ein ehrlicher Geschichtsforscher darf sich aber nicht von seinem eigenen, persönlichen Empfinden leiten lassen, sondern hat, von Liebe, Haß und Vorurtheilen gleichweit entfernt, nur die über den Gegenstand seiner Forschung thatsächlich vorhandenen Quellen freizulegen und deren Inhalt mit möglichst gewissenhafter Gründlichkeit zu analysiren. Das habe ich im Vorstehenden versucht. Doch bei dieser Arbeit ist mir auch inne geworden, daß die bisher über Karl Leopold und seine Umgebung erschlossenen Quellen, so zahlreich sie auch erscheinen mögen, lange nicht ausreichen, um zu einem endgültig abschließenden Urtheil über diese merkwürdige Persönlichkeit zu gelangen. In den geheimen Archiven zu Wien, Berlin, Petersburg, auch Kopenhagen und Stockholm mögen noch manche Aktenstücke liegen, die geeignet sein dürften, auf ihn, seine Verbindungen und Bestrebungen ein freundlicheres Licht, als bisher, zu werfen.

Andererseits hat aber die Geschichtsforschung der letzten fünfzig Jahre allerorten so außerordentlich viel Material zu Tage gefördert, daß es überall in der Vergangenheit, so besonders auch in der sonst so dunklen Zeit der letzten Hälfte des 17. und des ersten Viertels des 18. Jahrhunders heller und lichter zu werden beginnt. Dies Licht umgiebt und durchdringt auch schon den, unseren Beobachtungsgegenstand noch immer verhüllenden Nebel wenigstens soweit, daß man erkennen kann: solch' ein Ungeheuer von Schlechtigkeit, wie man bisher anzunehmen geneigt war, birgt dieser Nebel nicht.

Jeder, auch der größte Mensch, sagt Goethe irgendwo, hängt mit seiner Zeit durch eine Schwachheit zusammen. So verhielt es sich auch mit Karl Leopold. Die Fehler und Schwächen, die wir an ihm wahrgenommen, waren die Fehler und Schwächen seiner ganzen Zeit. Was ihn aber von dieser unterschied, ihn zum Anachronismus machte, das waren besondere Eigenthümlichkeiten seines Charakters, deren einige man sogar geneigt sein möchte, als Vorzüge desselben zu erkennen. Dahin gehören u. a. seine, dem Trunk und der Völlerei, den größten Lastern seiner Zeit, völlig abgeneigte Enthaltsamkeit; sein, zwar von Aberglauben nicht freier und über die starren Formen des damaligen lutherischen Protestantismus nicht hinauskommender, im übrigen aber durchaus religiöser Sinn; endlich die hohe Auffassung seines fürstlichen Berufes, wenn auch in machiavellischem Geiste.

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Was diesen letzten, den wichtigsten Punkt anbetrifft, so steht nach allen Zeugnissen fest, daß man sich beim Antritt seiner Regierung von Karl Leopolds hohem Sinne und echt fürstlichen Gaben im ganzen Lande nicht nur das Größte versprach, sondern Eichholtz u. A. berichten auch, daß dieser selbst es damals mit seinem Beruf als patriarchalischer Fürst und Landesvater sehr ernst und ehrlich gemeint hat. "Treuer Herr, treuer Knecht", das war sein Wahlspruch. Aber er wollte auch der wirkliche und einzige Herr in seinem Lande, nach außen ebenso wie nach innen sein. Und mit diesem Willen scheiterte er, besonders an dem Widerstande seiner Ritterschaft. Deren patriotischer Beruf, sollte man meinen, wäre es eigentlich gewesen, das Landes=Oberhaupt in solchen berechtigten Bestrebungen nach Möglichkeit zu unterstützen. Statt dessen starb deren Fürstentreue an ihrem Korporationsgeiste, ihr Patriotismus an der Selbstsucht ihrer Standesinteressen. Diese Ritterschaft wäre damals ebensogern dänisch und schwedisch, wie hannoverisch ober österreichisch geworden, wenn sie dadurch nur im Besitz ihrer Exemtion, ihrer Steuerfreiheiten und sonstigen Vorrechte dem übrigen Volk und dem Fürsten gegenüber zu bleiben vermochte.

Nichts erbitterte den Adel mehr, nichts wurde dem Herzoge heftiger und ganz offen zum Vorwurf gemacht, als daß er freundlich gegen das Volk gesinnt sei und sogar bürgerliche Menschen an seine Person und in seine Regierung zöge. Eine ganze umfängliche Schrift, der sog. "Tractat vom Mecklenburgischen Demi=Visirat oder Memoires des B. v. B. B." (1721), voll bombastischer Phrasen und schwülstiger Gelehrtthuerei, ist eigens dieser verdammlichen, Neigung Karl Leopolds gewidmet; und sogar der, sonst garnicht so stolze Eichholtz leitet seine Bekenntnisse mit folgenden Worten ein: "Gott mögte es des Herrn Hertzogs Frau Mutter [Christine Wilhelmine, geb. Landgräfin von Hessen=Bingenheim, Gem. des Herzogs Friedrich zu Grabow, andern Ortes wieder als eine vortreffliche, hochgesinnte Frau und Mutter geschildert] vergeben, daß sie so sehr schlechte Sorge vor Ihrer Herren Söhne Erziehung getragen, und daß sie insonderheit zugegeben, daß dieselben mit gemeinen Leuthen so gahr vertraulich umbgegangen, und denselben mehr Gehöre gegeben, auch ihnen mehr Vertrauen erwiesen, als Leuthe, die ihre Geburth und die ihnen beywohnende Gelehrsahm= und Geschicklichkeit billigst sollte in Betrachtung bringen. Gewiß wäre, daß Herzog Friedrich Wilhelm sowohl als Carl Leopold mit gemeinen Leuthen sich am allerlängsten hätten aufhalten, und ihnen ihr gantzes Hertz entdecken können. Dem Hertzog Friedrich Wilhelm hätte er [Eichholtz] gesagt, daß er sich darunter begreiffen mögte, und hätte derselbe auch endlich vor seinem Tode die Gemeine Leuthe weniger leiden können, auch

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ihm selbst gestanden, daß dieses ein Fehler seiner Erziehung wäre, und daß er solchen beßern wolte."

Daher also die treue, sogar im Aufruhr gegen die fremde Soldateska mit Waffen in der Hand (1733) bethätigte Liebe und Anhänglichkeit der Bauern= und Bürgerschaft, wie auch der Geistlichkeit an den verrufenen Karl Leopold, die sich gegnerische und vorurtheilsvolle Schriftsteller garnicht zu erklären vermögen.

Ist es nun auch schwer, oder vielmehr unmöglich, den Herzog Karl Leopold ganz weiß zu waschen - zwei dunkle Flecke, die herzlose Verstoßung seiner ersten Gemahlin, sowie die Opferung seines langjährigen treuen Dieners Wolffradt, bleiben unaustilgbare Verunstaltungen seines Bildes - so ist doch soviel mit Sicherheit nachzuweisen, daß seine Widersacher nicht besser waren als er; alle waren mindestens ebenso schlecht, ebenso selbstsüchtig, sittlich ebenso unzulänglich. Wo in jener traurigen Zeit gab es überhaupt, zumal in Deutschland, moralisch hochstehende Charaktere und politisch klare Köpfe? Sogar ganz Europa, mit wenigen Ausnahmen in England und Frankreich, war arm daran. Und nun gar die Throne - wie sah es auf denen aus? Peter von Russland und Georg I. von England waren allerdings Politiker, und Friedrich Wilhelm von Preußen war ein Biedermann; aber ihr sonstiger Charakter? Daneben der abenteuerliche Karl XII. von Schweden, der eitle August von Sachsen, der charakterschwache Kaiser Karl VI., der galante Herzog von Orleans und der träge Philipp von Spanien - wer von ihnen allen steht, abgesehen von ihrem weiteren Machtbereich, als Mensch so unvergleichlich viel höher, als der hauptsächlich nur unglückliche Karl Leopold? Besonders sein Oberherr und Richter, der nur auf Vermehrung und Sicherung seiner Hausmacht erpichte Kaiser Karl VI., war er gegen seine Reichsstände nicht ebenso ohnmächtig und zugleich, wo er es sein konnte, nicht reichlich so gewaltthätig und ungerecht, wie dieser gegen seine übermüthigen Landstände?

Selbst die Hauptfehler Karl Leopolds, sein despotisches, bis zum Größenwahn gesteigertes Gelüsten, seine erotischen Ausschweifungen, sein stiernackiger Eigensinn, verlieren an Schwärze auf dem tiefdüsteren Hintergrunde seiner Zeit. Es ist hier nicht der Raum dazu vorhanden, diesen auszumalen, aber ich kann ihn mit kurzen, flüchtigen Strichen hier an zwei, drei Stellen andeuten.

Man vergleiche z. B. den höchst frivolen, zugleich aber wieder überraschend naiven Cynismus Karl Leopolds, wie er sich in dessen öffentlichen Erklärung in Bezug auf die eigenmächtige Lösung seiner ersten Ehe ausspricht, mit dem alle Begriffe übersteigenden frivolen Obscönismus der damaligen schönen Litteratur; man lese nur einige

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der Hochzeits= oder sonstigen Gelegenheitsgedichte jener Zeit voll der schamlosesten Zweideutigkeiten, deren Verfasser oft Pastoren, oft berühmte Dichter, wie Günther von Schlesien oder der am ehrbaren preußischen Hofe hochbeliebte Oberceremonienmeister von Besser waren! Gegen diese erscheint der Herzog als ein moralisch reines Lamm. - Oder man nehme die erste, beste Chronik jener Zeit zur Hand und lese darin von den fast in jeder kleinsten Stadt vorgekommenen Verbrechen, Hinrichtungen und dergleichen: heute wird eine Hexe verbrannt oder "gesackt", morgen ein sonst ehrlicher Mensch gehenkt oder gerädert, weil man bei ihm einen Spiegel von Blech gefunden, in welchem er möglicherweise die Zukunft hätte erschauen können, u. s. w. ; und alles dieses, unter dessen ungezählter Menge die blutigen Ereignisse zu Dömitz ganz verschwinden, wird von den gewissenhaften und frommen Chronisten mit größtem Behagen gebucht und unter Hinzufügung einer moralischen Betrachtung über die Vortrefflichkeit der irdischen und göttlichen Gerechtigkeit niedergeschrieben. - Oder endlich vergleiche man auch nur den, von Lessing in seiner "Emilia Galotti" so lebenswahr und meisterhaft vorgeführten Typus eines kleinen Fürsten einer etwas späteren und schon mehr aufgeklärten Zeit mit unserem meklenburgischen Herzoge, so wird man nicht sagen können, daß dieser besonders an sittlicher Kraft seinen Zeit= und Standesgenossen so ganz minderwerthig gegenüber gestanden hätte. Einen Fürsten darf ein gerechter Geschichtsforscher nicht mit einem allgemeinen, für Jedermann gültigen Maßstabe messen, sondern nur an seiner Zeit und an Seinesgleichen.

Soviel können wir hiernach zur Erklärung der problematischen Erscheinung Karl Leopolds fest hinstellen: zeigte er auch in seinem Wesen und Gebahren als Mensch und Fürst mancherlei sonderbare Auswüchse und Ausartungen, so lebte und regierte er auch unter ganz verzweifelten und abnormen Verhältnissen. Der König von Preußen konnte seinen, ebenfalls vom Kaiser begünstigten, unruhigen Adel im Magdeburgischen kurzer Hand fast nur mit den Worten, "er liebe nicht das Räsonnieren seiner Unterthanen, so ihm schwer ankomme", zum Gehorsam zurückbringen; - hinter dem, mit seiner unbotmäßigen Ritterschaft ringenden Herzoge Karl Leopold aber standen drei andere, gewaltigere Widersacher bereit, ihn mit seinem ganzen Lande zu verschlingen: Oesterreich, Preußen und England=Hannover. Jeder von diesen hoffte im Stillen, wie Droysen in seiner "Preußischen Politik", sich ausdrückt, "diesen Braten wegschnappen zu können." - Nur ihre gegenseitige Eifersucht bewahrte damals unser Heimathland vor diesem Schicksal.

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