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Mittheilungen

über den

Hochseligen Großherzog Friedrich Franz II.
von Meklenburg - Schwerin,

nach meist zu seinen Lebzeiten niedergeschriebenen Aufzeichnungen

von

Dr. C. Mettenheimer , Geh. Med.=Rath.


N icht leicht gelingt es, das Leben eines Menschen, selbst wenn er eine hohe, von allen Seiten sichtbare Stellung eingenommen hatte, auch von allen Seiten gleichmäßig zu beleuchten. Es giebt nun freilich ausgezeichnete Persönlichkeiten, die nur eine einseitige Beleuchtung vertragen, welche sie im hellsten, strahlendsten Licht erscheinen läßt, während sie, von andrer Seite betrachtet, nur dunkelste Schatten darbieten. Diesen gegenüber stehen Persönlichkeiten, die desto mehr unsre Verehrung und Liebe gewinnen, von je mehr Seiten ihr Wesen ins Licht gesetzt wird. Je klarer und lebendiger uns solche Persönlichkeiten entgegentreten, je mehr sie uns nicht bloß als Vollbringer großer Thaten, als Träger glänzenden Ruhms erscheinen, je näher sie uns in ihrer Menschlichkeit gebracht werden, eine desto größere Anziehungskraft üben sie aus, selbst auf diejenigen, die sie im Leben nur von ferne oder gar nicht beobachtet haben.

Zu den Charakteren der letzteren Art gehört auch der ausgezeichnete Fürst, der vor nun zehn Jahren, am 15. April 1883, 60 Jahre alt, viel zu früh für Alle, die ihn verehrten, tief betrauert von seiner Familie und dem ganzen Lande, sein thatenreiches Leben beschloß. Daß eine so hervorragende fürstliche Persönlichkeit, die schon bei Lebzeiten Fülle des Ruhms genoß, nach dem Tode

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berufene Biographen finden werde, ließ sich erwarten. War doch das allgemeine Verlangen, das Bild des so tief Betrauerten für alle Zeit, nicht bloß durch ein Standbild von Erz festgehalten zu sehen, viel zu groß. So ist denn der Hochselige auch mit vielem Talent als Fürst, Politiker, Krieger und Familienvater geschildert und sein Bild den Annalen der Geschichte Meklenburgs und Deutschlands für alle Zeiten einverleibt worden.

Aber reich und vielseitig, wie die Persönlichkeit war, hat sich doch noch Manches gefunden, was das von dem Großherzoge entworfene Bild zu vervollständigen und zu beleben geeignet sein wöchte.

In den 22 Jahren, die ich die Ehre hatte, dem hochseligen Herrn als Leibarzt zu dienen und in welchen ich mich Seiner Gnade erfreute, bot sich mir ungesucht die Gelegenheit dar, denselben in so manchen Lagen zu sehen und zu beobachten, die von Andern gar nicht oder nicht aus so unmittelbarer Nähe beobachtet werden konnten, vielleicht auch Andern nicht von der Wichtigkeit erschienen, die sie eigentlich besaßen. Im Allgemeinen darf sich ja der Arzt des Vorzugs rühmen, das Wesen des Menschen zuweilen ganz unverschleiert und von den Hüllen befreit zu sehen, mit welchen Stellung und Convenienz ihn umgeben.

Es mag vielleicht für manches Ohr fremdartig klingen und von den Historikern der Schule vielleicht gar angefochten werden, wenn ich sage, daß erst die Schilderung der körperlichen Seite eines menschlichen Lebens, die Kenntniß der Lebensweise, der Krankheiten, die erduldet und wie sie ertragen wurden, die Kenntniß der Art, wie ein Mensch gestorben ist, zu einer vollgültigen Beurtheilung seines ethischen Werthes berechtigt. Es hat daher auch der ärztliche Gesichtspunkt für die biographische Schilderung hervorragender Persönlichkeiten seine Bedeutung, die uns als eine dreifache erscheint. Einmal liegt es auf der Hand, daß Persönlichkeiten in ganz exceptioneller Lebensstellung auch in ihrer körperlichen Entwickelung ein besonderes ärztliches Interesse darbieten müssen. Ferner wird sich vielfach zeigen, wie bei dem bestehenden Wechselverhältniß zwischen Leib und Seele, Körper und Geist die in den historischen Darstellungen gewöhnlich einseitig bevorzugte geistige Seite des Menschen ganz eigenthümliche Beleuchtung erfährt, wenn die Persönlichkeit als ein Ganzes aufgefaßt, d. h. auch ihre leibliche Seite, berücksichtigt wird. Drittens endlich ist wohl für Alle die geistige und körperliche Diätetik belehrend, welche eine Persönlichkeit befolgte, die in ihrem Leben Vieles und Großes erreicht, viel gelitten und die Verehrung der Zeitgenossen mit ins Grab genonnnen hat.

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Schilderungen berühmter Männer, besonders hervorragender Fürsten, von der Hand ihrer Aerzte haben schon wiederholt zur Charakteristik der betreffenden Persönlichkeiten, wie sie im allgemeinen Bewußtsein leben, nicht wenig beigetragen. Ich darf hier an die Schilderung Friedrichs des Großen aus der Feder von Zimmermann und noch mehr an das Journal du Roi erinnern, welches die Leibärzte Ludwigs XIV. von 1647 - 1711 über diesen König führten, und darf wohl hoffen, daß es mir nicht als ein zu dreistes Unterfangen ausgelegt werde, wenn ich von meinen Erlebnissen im Dienste des verehrten hochseligen Herrn dasjenige veröffentliche, was dazu dienen kann, die Beurtheilung dieses so edlen, reinen Charakters zu vervollständigen, zu vertiefen. 1 )

Dies ist die Aufgabe, die ich mir gesetzt habe. Ich wünsche, daß es mir gelingen möge, die Erinnerung an den hochseligen Herrn bei der zehnjährigen Wiederkehr seines Todestages - wenn dies überhaupt nöthig sein mag - aufs Neue zu beleben und sein Wesen von einer bisher weniger berücksichtigten Seite dem öffentlichen Bewußtsein nahe zu bringen. Eine Biographie des allverehrten Fürsten zu liefern, bin ich nicht in der Lage; eine solche würde auch nach dem, was bereits über ihn geschrieben worden ist, ganz überflüssig sein. Wohl aber sehe ich in einem 22 jährigen Dienst, welcher die inhaltreichste und schwerste Lebensperiode des geliebten Fürsten umfaßt, nicht allein das Recht, sondern, ich möchte fast sagen, eine Art von Verpflichtung, so manches Beachtenswerthe mitzutheilen, was Andere nicht so genau wissen können und was in der Länge der Zeit Gefahr läuft, immer weniger beachtet zu werden, schließlich vielleicht der Vergessenheit anheimzufallen.

Und nun möge der Geist der Wahrheit über meinem Versuche walten, ein getreues Bild der Persönlichkeit des verewigten Fürsten in seiner zweiten Lebenshälfte zu entwerfen.



1) Ueber Friedrich den Großen und meine Unterredungen mit ihm kurz vor seinem Tode. Von dem Ritter von Zimmermann, k. großbritt. Leibarzt und Hofrath, Leipzig 1786. - J. A. Leroi, Journal de la santé du Roi Louis XIV. de l'année 1647 á l'année 1711, écrit par Vallot, d'Acquin et Fagot, tous trois ses premiers médecins, Paris 1862.
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A ls ich meinen Dienst bei Seiner Königlichen Hoheit antrat, - es war am 1. October 1861, - dachte ich nicht daran, daß es mir beschieden sein sollte, mit dem hohen Herrn so schwere Zeiten zu durchleben, wie es thatsächlich der Fall war.

In den Zeitraum vom 1. October 1861 bis zu dem Tode des hochseligen Herrn, am 15. April 1883, fällt für denselben nicht allein der Verlust zweier Gemahlinnen und einer geliebten Tochter, sondern auch die politische Neugestaltung Deutschlands, aus welcher der hohe Herr zwar mit unvergänglichem Ruhm, aber doch nicht ohne sehr große, wenngleich willig dargebrachte Opfer hervorging. Es war also eine höchst ernste Zeit, in der ich seiner Königlichen Hoheit dienstlich nahestand, eine Zeit, die gerade für das ärztliche Dienstverhältniß voll der schwersten Sorgen war und dem Arzte des Großherzoglichen Hauses nur die wehmüthigsten Erinnerungen hinterlassen mußte.

Der Großherzog stand, als ich zum ersten Mal die Ehre hatte, ihm mich vorzustellen, in seinem 39. Lebensjahr, eine jugendliche, männliche Erscheinung, voller Kraft und Frische und von natürlichem höchst gewinnendem Wesen. Wer ihn damals sah, konnte nicht ahnen, daß ihm ein verhältnißmäßig so kurzes Leben beschieden sein, daß diese anscheinend so kräftige Natur die Schwelle des Greisenalters nicht überschreiten werde. Für mich, der ich in seinen Dienst treten sollte, war der erste Eindruck seiner Vertrauen erregenden Persönlichkeit entscheidend. Ich sollte aus einer recht günstigen und ganz unabhängigen Stellung in meiner Vaterstadt in völlig neue Lebensverhältnisse eintreten, an die mich nur wenige persönliche Beziehungen knüpften. Daß die Vorzüge einer unabhängigen Stellung gegenüber einer abhängigen lange Zeit große Bedenken in mir erregten, dem ergangenen Rufe Folge zu leisten, wird mir Niemand verargen. Sprachen aber schon die neue, höhere Lebensschule, die Ehre, einem hervorragenden deutschen Fürstenhause zu dienen, sehr zu Gunsten der Annahme der neuen Stellung, so wurden alle Zweifel bei der ersten

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persönlichen Berührung mit dem Großherzog niedergeschlagen. Ich kann den ersten Eindruck, den ich von dieser einzigartigen Persönlichkeit hatte, und der ein bleibender war, nicht besser bezeichnen, als mit den 5 Worten: mens sana in corpore sano.

Eine solche Erscheinung war der hochselige Großherzog, sie würde auch in einer niedrigeren Lebensstellung eine höchst anziehende gewesen sein. In der Stellung eines regierenden Fürsten aber, umgeben von dem Glanze eines fast königlichen Hofes, mußte der hohe Herr von einem Nimbus umgeben erscheinen, der ihn für jedes empfängliche Gemüth geradezu idealisiren konnte.

Diesem edlen, vornehmen und in seinem ganzen Wesen durchaus deutschen Fürsten meine Dienste zu widmen, entschloß ich mich nun ohne weiteres Bedenken, voll Hoffnung und Zuversicht.

Aber gleich am Tage nach dem Antritt meines Dienstverhältnisses begann die Reihe ernster Erlebnisse, die mehr als 20 Jahre hindurch den Großherzog und sein Haus trafen. Am 2. October 1861, auf einer Jagd im Buchholz bei Schwerin, an der heute noch durch eine Inschrift gekennzeichneten Stelle traf ein unglücklicher Schuß den Großherzog in den Oberschenkel. Der Schuß war nicht lebensgefährlich, die Kugel war zwischen Haut und Fleisch hindurchgegangen, indem sie einen Schußkanal von 8 Zoll Länge bildete. Aber es folgte doch auf diese Verwundung ein mehrwöchentliches Krankenlager, und man mußte sich sagen, daß der Großherzog nur wie durch ein Wunder der größten Gefahr entgangen war, indem die Kugel, wenn sie nur einen halben Zoll tiefer eingedrungen wäre, die große Arterie und die Nerven des Beines zerrissen haben würde. Eine unangenehme Rückwirkung auf die Gesundheit und das Gehvermögen des Großherzogs hatte die Verwundung glücklicherweise nicht. Sehr bald sah man den hohen Herrn wieder in gewohnter Bewegung, auf kleinen Reisen im Lande, auf militairischen Besichtigungen, bei Einweihungen von Kirchen und Schulen, aufs Neue die Freuden der Jagd genießend und seinen Regierungsgeschäften mit gewohnter Pünktlichkeit und gewohntem Eifer hingegeben.

Schon im Winter 61 auf 62 zog sich ein neues Gewitter am Himmel der Großherzoglichen Familie zusammen. Dieser war schon seit mehreren Jahren getrübt durch die zunehmende Kränklichkeit der vielgenannten, vielgepriesenen und vielbeklagten ersten Gemahlin des Großherzogs, Auguste, geb. Prinzessin Reuß. Bei dieser durch hervorragende Eigenschaften des Geistes ausgezeichneten Dame hatte sich nach und nach ein chronisches Herzleiden (Verengerung der Mitralklappe) entwickelt, das in seinen ersten Anfängen kaum erkannt werden konnte und, da es sich mit chronischem Bronchialcatarrh verband, bis

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zuletzt für beginnende Tuberculose gehalten wurde. Dem Großherzog, der sich in der Vollkraft seiner Männlichkeit fühlte, wurde es sehr schwer, sich an den Gedanken zu gewöhnen, daß seine Gemahlin einem inneren Siechthum verfallen sein sollte, um so mehr, als diesem viele Jahre lang kein bestimmter Name gegeben werden konnte und in dem Befinden der Frau Großherzogin ganz auffallende und rasche Wechsel stattfanden. Lange Zeit hindurch, wie ich schon angeführt habe, wurde als Ursache der Kränklichkeit der Frau Großherzogin Auguste Lungentuberculose angegeben, eine Anschauung, die bis auf den heutigen Tag im Volke noch sehr verbreitet ist, obgleich die auf Großherzoglichen Befehl vorgenommene Leichenöffnung auf das Unzweideutigste die gänzliche Grundlosigkeit dieser Annahme bewiesen hat. 1 ) In dem Winter 1861 auf 62 gelang es mir zuerst, das Vorhandensein eines Herzfehlers mit Sicherheit nachzuweisen. Die Folgen desselben steigerten sich im Frühling 1862 so, daß sich ganz allmählich sogenannte braune Induration beider Lungen ausbildete, eine Affection, die, wie nicht selten bei dem Herzklappenfehler, der bei der Frau Großherzogin entstanden war, endlich auch hier dem Leben ein Ziel setzte. Der Großherzog wollte sich nicht recht in sein Schicksal ergeben, seine von ihm geliebte und verehrte Gattin verlieren zu müssen, bis der unerbittliche Tod am 3. März 1862 nach vielen Beängstigungen und schwerem Kampf sie ihm und seinen Kindern entriß. Gottergeben ging die fromme Fürstin aus der Welt und verließ ihren tieferschütterten Gemahl, der zunächst im Zusammenleben mit seinen Kindern und in der Verdoppelung des Eifers, mit dem er sich den Regierungsgeschäften widmete, Trost und Ersatz suchte.

Im Laufe des Sommers begab sich der jederzeit weniger auf Zerstreuung als auf Belehrung und Erweiterung des Gesichtskreises bedachte Herr auf Reisen und brachte mehrere Wochen in England und Frankreich zu. Auf dieser Reise so wenig, als auf den kleineren Reisen überhaupt, die Seine Königliche Hoheit so häufig und zu verschiedenen Zwecken unternahm, hatte ich den hohen Herrn zu begleiten. Der Großherzog liebte durchaus nicht ohne besondere Veranlassung ärztlich umgeben und beaufsichtigt zu sein. Er hatte dies auch ursprünglich nicht nöthig.

Einer so durch und durch gesunden Natur war der Gedanke an Kränklichkeit und Verweichlichung im höchsten Grade unsympathisch, und selbst der bloße Schein unangenehm. Er suchte durch zweckmäßige


1) Das Protokoll der in Gegenwart des Geheimen Raths Dr. Böger aus Berlin und des Medicinal=Raths Dr. Werner =Nasse, Directors der Irrenheilanstalt Sachsenberg bei Schwerin. vorgenommenen Obduction befindet sich bei den Acten des Großherzoglichen Hausministeriums.
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Gestaltung seiner Lebensweise jenen beiden so leicht sich einstellenden, üblen Folgen verwöhnender Verhältnisse nach Kräften auszuweichen, und es scheint mir, daß gerade diese Scheu vor jeder Weichlichkeit, welche theils in dem Naturell des hohen Herrn, theils in dem brennenden Wunsche, jederzeit den Anforderungen seiner hohen Stellung, seinen Pflichten gewachsen zu sein, wurzelte, die größte Hochachtung verdient. Ganz außerordentlich vergnügt war der Großherzog, wenn er bei der Gratulationscour an seinem Geburtstage (28. Februar) im Rückblick auf das gesund zurückgelegte Jahr mir triumphirend zurufen konnte: "Ich für meine Person habe Ihnen dieses Jahr nicht viel zu thun gegeben!"

Wie bekannt, schritt der hochselige Herr im Jahre 1864 zu einer zweiten Ehe, indem er sich mit der Tochter des Prinzen Karl von Hessen und bei Rhein, Anna, der Tante des gegenwärtig regierenden Großherzogs von Hessen, am 12. Mai dieses Jahres vermählte. Nach der einsamen düsteren Trauerzeit schien dem Großherzog und mit ihm dem ganzen Lande eine neue Sonne aufgegangen zu sein.

Die neue Landesherrin gewann durch ihre jugendliche, liebliche Erscheinung schnell alle Herzen; überall im ganzen Lande wurde sie mit dem größten Jubel aufgenommen, und die Begrüßungsfestlichkeiten wollten kein Ende nehmen. Keine Stadt des Landes wollte es sich nehmen lassen, die jugendliche Herrin in ihren Mauern zu begrüßen.

Man sah den Großherzog beglückt und in der heitersten Stimmung, Freude war wieder in sein Haus eingekehrt und Alles schien der Großherzoglichen Familie die glücklichste Zukunft zu weissagen. Diese frohe Stimmung erhielt natürlicherweise nur neue Nahrung, sobald es bekannt wurde, daß die Frau Großherzogin im April 1865 ihrer Entbindung entgegensehe. Man bemerkte die hohe Frau täglich bei allen Gelegenheiten und allerorts an der Seite ihres hohen Gemahls. Die ganze Zeit der Erwartung verfloß ohne die leiseste Klage von Seiten der hohen Frau, so daß selbst dem Arzt der besonders glückliche Verlauf der Erwartungszeit auffallen mußte. Nur einige wenige Tage vor dem ausgerechneten Termin stellte sich eine catarrhalische Augenentzündung bei der Frau Großherzogin ein, welcher Affection übrigens, da das sonstige Befinden ein ganz normales blieb, eine besondere Bedeutung nicht beigelegt werden konnte. Die Niederkunft erfolgte am 7. April in ganz normaler Weise. Es wurde eine Prinzessin geboren, die in der Taufe den Namen Anna erhielt, und nun schien das Glück der Großherzoglichen Familie ganz vollkommen zu sein; im Lande nahm der Jubel kein Ende.

Schon am dritten Tage des Wochenbetts jedoch bemerkten wir Aerzte - als Fachmann fungirte bei diesem Wochenbett der berühmte

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Geburtshelfer Geheimrath von Winkel in München, damals noch Professor in Rostock -, daß sich Fieberzustände einstellten, die um so unheimlicher waren, als sie weder von Kopfweh, noch von sonstigen Schmerzen, noch von irgend einer Störung in irgend einem Organ begleitet wurden. Dabei fehlte auch jede Verschlechterung des Allgemeinbefindens der hohen Patientin, die ihrer eigenen Familie, wie den Aerzten auf ihr Befragen stets antwortete, daß sie sich ganz wohl befinde. Es bildete sich nun leider ein Widerspruch zwischen den Ansichten der Großherzoglichen Familie und der Ansicht der Aerzte aus, der die nun folgenden Tage für die letzteren zu einer so schweren Zeit machte, wie sie im ärztlichen Berufsleben überhaupt nur vorkommen kann. Niemals pflegt das menschliche Gemüth weniger zur Trauer vorbereitet zu sein, als bei einem ersten Wochenbett. So häufig gerade die ersten Wochenbetten schwierig sind oder unglücklich ausfallen, so ist doch Alles gewöhnlich voll freudigster Erwartung, und wenn sogar die Entbindung in normaler Weise stattgefunden hat, dann giebt sich das Herz des Gatten, das Gemüth aller Familienangehörigen, und, betrifft es ein regierendes Haus, das ganze Volk der reinsten Freude und Hoffnung hin. Es ist sehr schwer für die ernste Stimme des warnenden Arztes, dem die Pflicht gebietet, die nahende Gefahr nicht zu verhehlen, sich unter solchen Umständen Geltung zu verschaffen, und damit den ersten Mißton in die allgemeine Freude hineinzutragen. Obwohl damals in der ganzen Stadt weder ein Fall von Diphteritis, noch ein Fall von Scharlach vorkam, so stellte sich, merkwürdiger Weise bei andauerndem subjectivem Wohlbefinden der Patientin eine scharlachartige Hautröthe ein, die im Zusammenhange mit den übrigen kaum angedeuteten Symptomen und Umständen die Aerzte nicht in Zweifel lassen konnte, daß es sich um eine diphtheritische Unterleibsentzündung handle. Man konnte sich aber am Hofe nicht dazu entschließen, der ärztlichen Aussage vollen Glauben zu schenken. Sollte das Großherzogliche Haus, der geliebte Herrscher schon wieder von einem so furchtbaren Schicksalsschlag betroffen werden, nachdem der erste Schlag kaum überwunden war? So wurde gefragt, und man beruhigte sich damit, zu sagen, daß die Aerzte sich vielleicht geirrt oder gar übertrieben haben möchten. Man ging in der Umgebung des Hofes sogar so weit, den Aerzten den Zutritt zu der hohen Wöchnerin zu erschweren. Nur die Liebe zum Großherzoglichen Hause, insbesondere zu der Persönlichkeit Seiner Königlichen Hoheit und das Mitgefühl mit dem großen Schmerze, der ihm aller Wahrscheinlichkeit nach bevorstand, machte diesen Zustand für die behandelnden Aerzte überhaupt erträglich. Endlich blieb uns nichts anderes übrig, als den Großherzog nicht etwa auf die Gefahr

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des Zustandes nachdrücklichst aufmerksam zu machen, - denn das war wiederholt geschehen -, sondern , soweit hatte inzwischen die Gefahr zugenommen, auf das Aeußerste vorzubereiten. Es war uns zu Muthe, als wenn wir dem geliebten Herrn den Dolch ins Herz stoßen müßten. Aber auch jetzt noch wurde uns nicht voller Glaube geschenkt, da die immer wiederholten Aeußerungen der hohen Wöchnerin, daß sie nicht leide, unsere Aussagen Lügen zu strafen schienen. Erst als die unverkennbaren Zeichen des Todeskampfes eintraten; konnte der Großherzog sich überzeugen, daß sein kaum gewonnenes Glück vernichtet sei. Der Schmerz des hohen Herrn war nun herzzerreißend. Am sechzehnten April 1865 entschlief die junge Großherzogin. Die nun folgenden Scenen des Jammers und der Trauer, den Ausdruck allgemeinster Betrübniß, den das Abscheiden der holden Fürstin im ganzen Lande hervorrief, wird keiner, der sie mit erlebt hat, jemals aus dem Gedächtniß verlieren. Es ging eine Sage durch das Land, dieser Großherzog werde 3 Frauen haben, 2 würde er verlieren, die dritte würde ihn überleben. Die erste Hälfte der Prophezeiung war nun erfüllt.

Für den mit einem so lebhaften Sinn für das Familienleben, für häusliches Glück ausgestatteten Herrn war der Schlag, der ihn nun getroffen hatte, ein ganz ungeheurer. Ich konnte mich nur wundern, daß dieses Erlebniß scheinbar und zunächst ganz ohne Folgen für seine Gesundheit blieb. Seine Gewissenhaftigkeit in der Ausübung der Regentenpflichten, der Verkehr mit den Kindern erster Ehe, von denen die Herzogin Marie, spätere Gemahlin des Großfürsten Wladimir von Rußland, von nun an und in den nächsten Jahren seinem väterlichen Herzen besonders nahe zu stehen schien, die Liebe zu der kleinen Tochter der verstorbenen Großherzogin Anna halfen dem Großherzog ohne Zweifel über viele traurige Stunden hinweg. Wie, mit welcher Männlichkeit der hohe Herr seine Einsamkeit ertrug, war bewunderungswürdig zu sehen.

Seine Liebe zu reisen, wie er sie schon als junger Fürst durch Reisen an verschiedene Höfe und nach dem Orient bethätigt hatte, erwachte nun aufs Neue. Ein längerer Aufenthalt in Spanien gehört in diese Zeit. Ich muß desselben besonders erwähnen, weil auf dieser Reise zum ersten Mal bei Seiner Königlichen Hoheit ein Krankheitssymptom sich einstellte, das für seine ganze folgende Lebenszeit von Wichtigkeit blieb und sogar schließlich, wenigstens nach meinem Urtheil, für den Ausgang seiner letzten Erkrankung verhängnißvoll wurde. Auch auf dieser Reise habe ich Seine Königliche Hoheit nicht begleitet; ich kenne daher die Erkrankung, deren ich hier zu erwähnen habe, nur aus den Mittheilungen seiner Umgebung. Es war der

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erste Anfall von Nierenblutung mit kolikartigen Schmerzen. Diese Zufälle wiederholten sich leider in den folgenden Jahren öfter, in ungleichen Zwischenräumen, meistens nach größeren körperlichen Anstrengungen in der heißen Jahreszeit, wie denn auch der erste Anfall in Spanien bei großer Hitze eingetreten war. In der Folge wurden meistens bei diesen Anfällen kleinere Nierensteine unter größeren oder geringeren Schmerzen entleert. Es waren aber auch noch andere Verhältnisse, welche bei dem sonst so gesunden und körperlich leistungsfähigen Manne gerade die Gesundheit der Nieren bedrohten. Erstlich war es das gewaltige Reiten, dem Seine Königliche Hoheit tagtäglich mit Vorliebe oblagen; sodann aber dürften hier als Ursachen der Erkrankung die wiederholten Gemüthserschütterungen, die der hohe Herr bereits erfahren hatte und in noch höherem Grade erfahren sollte, nicht wenig ins Gewicht fallen. Tristitia animi est mater omnium morborum, sagt ein altes lateinisches Wort, und wenn es auch heute noch wissenschaftlich nicht zu erklären ist, wie Herz und Nieren von Gemüthsbewegungen bis zur Erkrankung erschüttert werden können, so lehrt doch die ärztliche Erfahrung, daß die Thatsache selber nicht bestritten werden kann.

Wir finden seit jener Zeit den Großherzog wiederholt als Patient in Karlsbad und später auch in Teplitz. Es ist bekannt, daß Karlsbad bei Gallen= und Nierensteinen sehr oft mit Erfolg in Anwendung gezogen wird. Eine bleibende gute Wirkung war bei seiner Königlichen Hoheit nie zu bemerken, wohl in Folge davon, daß der hohe Patient in seinem großen militairischen Eifer fortfuhr, sich allen Unbilden der Temperatur auszusetzen und seinen Truppen in der Ertragung jeder Art von Strapazen mit gutem Beispiel voranzugehen. So löblich dies sein mochte, so bildete sich bei dieser Lebensweise doch eine große Neigung zu rheumatisch=gichtischen Beschwerden aus, die Seine Königliche Hoheit zuletzt zwangen, wiederholt Hülfe in Teplitz zu suchen, da dasjenige Mittel, auf welches der hohe Patient das meiste Vertrauen setzte, das kalte Wasser, trotz häufiger und nicht irrationeller Anwendung sich später nicht mehr ausreichend erwies, die rheumatisch=gichtischen Beschwerden zu beseitigen und ihre Wiederkehr abzuhalten. Nur mit großem Widerstreben unterwarf sich der Großherzog solchen Kuren, die wohl jedem von Herzen gefunden, seine Kraft fühlenden Mann unangenehm und langweilig erscheinen müssen. Des Großherzogs ganzer Natur waren sie von Herzen zuwider. Es mußte aber gegen die quälenden rheumatischen Zustände etwas geschehen und der hohe Patient, wenn einmal entschlossen, führte die Kuren auch energisch durch. Mehrmals folgte auf den Gebrauch von Karlsbad eine Nachkur in Gräfenberg, wo der Großherzog schon seit

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mehreren Jahren die zu seinen Geschäften nöthige Erfrischung und die erwünschte Abhärtung gegen die Einflüsse des wechselvollen Klimas des Landes suchte, das er zu beherrschen geboren war. Ich erwähnte, daß der Großherzog eine besondere Vorliebe zur Wasserkur hatte, eine Vorliebe, die schon vor meinem Eintritt in den Dienst der Großherzoglichen Familie durch einen Aufenthalt in Gräfenberg geweckt worden war. Die belebende erfrischende Kraft dieser Kur hatte den Großherzog sehr eingenommen; er hielt sie daher sein ganzes Leben lang hoch und wandte sie im eignen Hause von Zeit zu Zeit als Erfrischungs= und Abhärtungsmittel in Form von kalten Abreibungen des ganzen Körpers an. Der Großherzog verfuhr dabei durchaus rationell, indem er die Vornahme dieser Proceduren nie zur Gewohnheit werden ließ. Die Abreibungen wurden immer nur 3 bis 4 Wochen lang fortgesetzt und dann wieder für längere Zeit unterbrochen. Auf diese Weise konnte vermieden werden, daß die Abreibungen zur Gewohnheit wurden und ihre Wirksamkeit allmählich verloren oder sogar schadeten, wie sich in der Praxis nicht selten beobachten läßt bei solchen Personen, die in ihrem Eifer für die Wasserkur kein Maß kennen. Da die Hydrotherapie dem Großherzoge persönlich so wohl gethan hatte, so durfte es nicht Wunder nehmen, wenn der hohe Herr alles that, was in seinem Vermögen stand, um die Wohlthat dieser Kur auch anderen Menschen angedeihen zu lassen. Es verging fast kein Jahr, daß der Großherzog nicht die Kosten einer solchen Kur für mehrere seiner Diener oder Unterthanen auf sich nahm. Er errichtete das noch heute stehende "Mecklenburger Haus" in Gräfenberg selbst, 1 ) wo Kranke aus dem Großherzogthum unentgeltliche Wohnung fanden. Der Großherzog spendete ferner die Mittel zur Stiftung eines Stipendiums für mecklenburgische Aerzte, welches von dem Ministerium der Justiz, Abtheilung für Medicinal=Angelegenheiten, jährlich an vier Aerzte vergeben wurde, um sich mehrere Wochen lang in Gräfenberg aufzuhalten und die Wafferkur gründlich zu studiren. 2 ) Es fand diese Stiftung zu einer Zeit statt, wo die Hydrotherapie bei den praktischen Aerzten noch keineswegs allgemeine Anerkennung sich erworben hatte, wo sie sich noch häufig genug durch die Ueberschreitungen ihrer Vertreter in einen gewissen feindlichen Gegensatz zu der allgemeinen Medicin setzte und noch nicht überall, wie heutigen Tages, mit den gehörigen Einschränkungen in Hospitälern und Kliniken eingeführt war. Insofern erwarb sich der Großherzog um die Begünstigung einer lange Zeit einerseits


1) Vergl. Norddeutscher Correspondent, 7. März 1865; Mecklenburgische Zeitung desselben Datums.
2) Vergl. Anlage A. 1 - 3.
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übertrieben gepriesenen, andererseits unterschätzten, stiefmütterlich behandelten Heilmethode nicht geringe Verdienste.

Daß ein Herr, der umgeben von dem Luxus eines Hofes und in Lebensverhältnissen sich bewegend, die ganz danach angethan sind, zu verwöhnen und zu verweichlichen, eine besondere Neigung zu der Anwendung eines so einfachen Mittels, wie das kalte Wasser ist, an den Tag legte, habe ich immer nicht nur begreiflich, sondern vielmehr sehr löblich gefunden. Ebenso waren Seine Königliche Hoheit ein Freund des kalten Seebades, dessen sich der hohe Herr alljährlich zu erfreuen pflegte, wenn er Ende Juli oder Anfang August mit der hohen Familie und dem Hof an den Heiligen Damm bei Doberan, nach der seit langer Zeit im Großherzoglichen Hause bestehenden Gewohnheit, für einige Zeit zu übersiedeln pflegte. Nachdem jedoch das Nierenleiden deutlicher sich entwickelt hatte, konnte seine Königliche Hoheit sich diesem herrlichen Vergnügen des Badens in der See leider nicht mehr in dem Maße hingeben wie früher, weil wiederholt nach dem kalten Seebad Nierenkolik eingetreten war. Ebenso mußte der Großherzog in seinen späteren Jahren zu seinem Leidwesen von der energischeren Art der Wasserkur, wie er sie ursprünglich anwandte und anzuwenden liebte, abstehen.

In die lange Zwischenzeit zwischen dem Tode der Frau Großherzogin Anna (16. April 1865) und der Vermählung des Großherzogs mit der Prinzessin Marie von Schwarzburg=Rudolstadt, seiner dritten noch jetzt lebenden Gemahlin, am 4. Juli 1868, fällt das für das Schicksal einzelner deutscher Staaten kritische Jahr 1866. Auf welche Weise Seine Königliche Hoheit aus seiner schwierigen Lage sich herausziehen, welcher Seite er sich bei der einmal ausgesprochenen Spaltung Deutschlands in zwei Lager anschließen werde, ließ sich zum Theil schon aus seinem Verhalten auf dem Fürstentag in Frankfurt a. M. 1863 errathen. Es kann natürlich hier nicht der Ort sein, auf diese Verhältnisse näher einzugehen, nur muß ich behaupten, daß die großen Opfer, welche die Zeiten und das Wohl des Gesammt=Vaterlandes an den Großherzog stellten, ihm nicht so leicht geworden sind, als es bei der großen Selbstbeherrschung des hohen Herrn der oberflächlich urtheilenden Welt scheinen konnte. Unverkennbar war die Gemüthsstimmung des verehrten Fürsten ernster geworden durch den Ernst des Lebens. Er trug aber aus der schwierigen Zeit den Ruhm davon, seinem Lande und seinem Hause die Selbstständigkeit erhalten zu haben. Als die Kämpfe zum Schweigen gebracht waren, warf sich der Großherzog wieder mit aller Energie auf seine Geschäfte und wendete sich auch mit Lebhaftigkeit solchen Interessen zu, die nicht in unmittelbarer Beziehung mit seiner Regierungsthätigkeit

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und seinen militairischen Neigungen standen. So kam seine Königliche Hoheit auf den Gedanken, sich verschiedene Vorlesungen halten zu lassen. Es waren deren eine ganze Reihe; soviel mir erinnerlich ist, hatte ich die Ehre, die Reihe dieser Vorträge mit einer Darstellung der menschlichen Anatomie und Physiologie zu beginnen. Der Großherzog war so gnädig, Bücher, Instrumente und Präparate, so weit mein eigener Vorrath nicht ausreichte, auf seine Kosten anschaffen zu lassen. Ein Zimmer im Schlosse wurde zu diesen Vorlesungen besonders eingerichtet, und so fanden dieselben im Winter 1866/67 vor einem sehr erlesenen Auditorium statt, welches außer Seiner Königlichen Hoheit aus mehreren Herren vom Hofe, von denen ich nur die Herren von Stenglin, von Brandenstein, von Hirschfeld, von Vietinghoff nennen will, bestand. Ich erinnere mich noch mit Vergnügen des Interesses und eingehenden Verständnisses, mit welchem diese Vorträge von meinem vornehmen Auditorium, insbesondere von seiner Königlichen Hoheit selbst, verfolgt wurden.

Wie schon erwähnt, wechselten bis zu der Verheirathung mit der jetzt noch lebenden, allgemein und hoch verehrten Frau Großherzogin Marie, geb. Prinzessin von Schwarzburg=Rudolstadt, die Vorträge über verschiedene Gegenstände der Wissenschaft und Kunst mit einander ab. Mit der dritten Verehelichung begann für den Großherzog eine neue sehr glückliche Phase seines Familienlebens. Die Frau Großherzogin erhielt sich ihrem Gatten nicht nur selbst; auch die vier Kinder, die sie demselben schenkte, machten dem hohen Ehepaar durch schwere Erkrankungen im Ganzen keine Sorge, mit einziger Ausnahme einer nicht unbedeutenden Erkrankung der ältesten Tochter, Herzogin Elisabeth. Im August 1879 überstand Hochdieselbe nämlich in Rabensteinfeld, dem Großherzoglichen Landsitze nicht weit von Schwerin, eine schwere Pleuresie, deren Folgen sich später zum Glück wieder vollständig verloren.

Auf diesem reizenden Landsitze, am südöstlichen Winkel des Schweriner Sees, einem der schönsten Punkte der Umgegend von Schwerin, genoß der Großherzog jetzt jeden Sommer die Freuden des Familienlebens in vollen Zügen. Dort, in aller Stille, entwickelte sich das hinterlassene Kind der verstorbenen Großherzogin Anna, dort fanden sich die Söhne erster Ehe, welche sich in Dresden zu ihren Studien vorbereiteten, in den Ferien, die in die bessere Jahreszeit fielen, ein; von dort aus wurden Jagden und Ausflüge veranstaltet und begab sich der Großherzog täglich, oder so oft es ihm nöthig schien, zur Regierung in die Stadt. Gewöhnlich fuhr der Großherzog sich selbst in einer offenen, mit zwei Apfelschimmeln bespannten Kalesche. Eine dieser Fahrten, zu denen meist der Weg längs des See=Ufers

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gewählt wurde, ist auf einem charakteristischen Bilde des berühmten Hofmalers Schlöpke festgehalten, allen denen, die den Großherzog kannten und zu sehen gewohnt waren, eine liebe Erinnerung.

Es nahte das Jahr 70 heran, jenes große Jahr, in dem Deutschland seinen Nebenbuhler und Feind im Westen unter Gottes gnädigem Beistand seine ganze Kraft auf Nimmerwiedervergessen fühlen ließ. In dem Feldzuge 1870/71 schwang der Großherzog sich zu einem der populärsten Führer der deutschen Armee auf, sich nirgends schonend, überall und Allen an Tapferkeit und Aufopferung das schönste Beispiel gebend. Die Strapazen und Anstrengungen des Krieges waren sehr groß. Man mußte froh und dankbar sein, als der Held nach glücklich beendetem Kampfe lebend und heil, in anscheinend unveränderter Frische, an der Spitze seiner Truppen in die Heimath zurückkehrte. Von Krankheit und Wunden war der hohe Herr verschont geblieben; dennoch hatte der Feldzug körperliche Spuren hinterlassen. Der Großherzog brachte aus dem Felde eine sehr heftige Neuralgie mit nach Hause, die ihren Sitz über dem linken Auge hatte und sehr starke Anfälle machte. Dieser Nervenschmerz war weit entfernt, die Regierungsthätigkeit des hohen Herrn, die von diesem nach seiner Rückkehr sofort mit der alten Energie wieder aufgenommen wurde, irgendwie anders, als auf Stunden zu unterbrechen. Es währte indessen doch geraume Zeit, bis es gelang, des Uebels vollständig Herr zu werden.

Nachdem der Friede geschlossen war und die Ruhe in Europa gesichert schien, machte es dem Großherzog Freude, einen schon längst gehegten Plan auszuführen, nämlich eine Reise nach dem Orient zu unternehmen, an der auch seine junge Gemahlin theilnehmen sollte, die mit nicht geringerem Interesse als Seine Königliche Hoheit selbst auf diesen Plan einging. Es wurde der Winter von 1871/72 zu seiner Ausführung in Aussicht genommen und nach verschiedenen Vorbereitungen der 28. December 1871 zum Tag der Abreise ausersehen. An diesem Tage setzte sich die Reisekarawane, bestehend aus 23 Personen, von Schwerin aus in Bewegung, um nach einer Abwesenheit von vier Monaten im April 1872 nach verschiedenen glücklichen Land= und Meerfahrten wieder in die Heimath zurückzukehren. Diese Reise ist von einem der Mitreisenden, der sich nicht genannt hat, sehr hübsch beschrieben worden. Ich erwähne der Reise hier nur, weil ich die Ehre und Freude haben sollte, die hohen Herrschaften als Arzt zu begleiten und um anzuführen, daß diese Reise irgendwelchen störenden Einfluß auf die Gesundheit des Großherzogs nicht wahrnehmbar hatte, daß vielmehr gerade die Symptome, die früher schon, nichts Gutes für die Zukunft weissagend, hervorgetreten waren,

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in dieser ganzen Zeit, die als eine Reihenfolge der angenehmsten Eindrücke auf Körper und Geist bezeichnet werden darf, sich in keiner Weise geltend machten, ja wahrscheinlich günstig beeinflußt wurden. Selbst auf der Reise durch Palästina, die vier Wochen lang dauerte und ganz zu Pferde zurückgelegt wurde, ereignete sich nichts, was daran erinnert hätte, daß ein wichtiges Organ des Großherzogs (die Nieren) nicht mehr ganz intact war. Es kam auf dieser Reise wiederholt zu sehr scharfen Ritten, die aber für den Augenblick nicht zu schaden schienen. Nicht unterlassen darf ich, als eine Frucht dieser Reise die Gründung des Kinderhospitals Marienstift in Jerusalem anzuführen, welchem der Großherzog den Namen seiner jungen Gemahlin verlieh und welches unter der Leitung des Dr. med. Sandreczky noch heute bestehend und vielen Segen verbreitend das Andenken der hohen Reisenden im fernen Lande wach erhält. 1 )

Weiter oben schon habe ich mir die Bemerkung erlaubt, daß die Kuren Seiner Königlichen Hoheit in Karlsbad, welche gegen die immer wieder auftauchenden Nierenzustände gerichtet waren, leider einen durchschlagenden, bleibenden Erfolg nicht hatten. Immerhin war auch der vorübergehend erzielte Erfolg nicht zu unterschätzen. Die Zeiten, in denen seine Königliche Hoheit sich frei von Schmerzen fühlte und weder Gries=noch Steinbildung sich zeigte, betrugen wiederholt einige Monate. Der Großherzog hat im Lauf der siebziger Jahre drei Reisen nach Rußland gemacht, auf denen er nur ein einziges Mal, und zwar im Lager von Krasnoje Selo, einen Anfall von Nierenkolik überstand; aber dennoch kehrten die hierhergehörigen Erscheinungen im großen Ganzen gerade in den siebziger Jahren häufiger wieder, als früher. Auch in diätetischer Hinsicht waren wir bemüht, auf diese mehr und mehr sich auslebende Krankheitsanlage einzuwirken und in dieser Hinsicht geschah von Seiten Seiner Königlichen Hoheit Alles, was der Arzt verlangen konnte.

Es war für eine so thatkräftige Persönlichkeit kein geringer Schmerz, zu bemerken, daß in diesen Jahren eine neue körperliche Beschwerde sich auszubilden drohte. Seine Königliche Hoheit waren von jeher kurzsichtig, wurden aber bei Anwendung guter Gläser weder auf der Jagd, noch beim Kommandiren irgendwie in der Abschätzung der Entfernung und im deutlichen Erkennen der Gegenstände behindert. Im Frühling 1875 bemerkte der Großherzog zum ersten Mal, daß er auf dem rechten Auge im deutlichen Sehen durch ein Bild gestört werde, das sich zwischen das Auge und den Gegenstand


1) Näheres über dies Kinderhospital findet sich in den Mecklenburgischen Anzeigen vom 20. September 1873.
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legte, den der hohe Patient genauer ansehen wollte. Wenn der Großherzog dies Bild beschrieb, so pflegte er es als ein "bewegliches Gitter von Kaviarkörnern" zu bezeichnen. Professor von Zehender aus Rostock, der zur Konsultation herbeigerufene Ophthalmologe, konstatirte das Vorhandensein von sogenannten Opacitäten im Glaskörper des Auges. Zu den verabredeten Verordnungen gehörte auch die, daß Karlsbad in diesem Jahre wiedergebraucht werden solle, da wir von der Ansicht ausgingen, daß das eingetretene Augenübel in ursächlichem Zusammenhang mit der arthritischen Diathese und dem Nierenleiden stehe. Die Trübungen im Glaskörper nahmen nicht zu; leider aber erkrankte zwei Jahre später (1877) auch das linke Auge in einer weit störenderen Weise. Nach einer sehr anstrengenden Jagd auf junge Reiher, die man mit weit zurückgebeugtem Kopf von hohen Bäumen, auf denen diese Vögel nisten, herabschießen muß, bemerkte der Großherzog zu seinem Verdruß, daß sich eine gewaltig störende Farbenerscheinung vor den Gegenstand lege, den er mit dem linken Auge fixiren wollte. Es war ein violetter Fleck, der allmählich an Größe zunahm und es dem Großherzog sehr bald unmöglich machte, die ihm gegenüber stehenden Personen zu sehen und zu erkennen, sobald er das rechte Auge zuhielt. Die von den berufensten Fachmännern eingeholten Rathschläge vermochten auch auf diesem Auge eine Besserung nicht zu erzielen, sodaß der Großherzog sich über die allmähliche Abnahme seiner Sehkraft nicht mehr täuschen konnte. Wiederholt wurde er außerdem in schmerzhafter Weise an dieselbe erinnert dadurch, daß er sich, namentlich beim Reiten, Beschädigungen zuzog, die glücklicherweise meistens von geringer Bedeutung waren. Nur einmal erhielt der Großherzog eine bedeutende Quetschung am Knie, indem er zu dicht an einem Baum vorüberritt und diesen streifte. Es bildete sich an der beschädigten Stelle eine Schleimbeutelentzündung aus, die sehr schmerzhaft wurde und einen operativen Eingriff erforderte. Dieser wurde mit dem vollkommensten Erfolg von Professor von Esmarch vollzogen, so daß seine Königliche Hoheit später weder im Gehen, noch im Stehen und Reiten eine Belästigung verspürten und die beschädigte Extremität in gewohnter Weise gebrauchen konnten. Dies fiel vor im Jahr 1880; in demselben Jahr, im October, zog sich der Großherzog, abermals in Folge der eingetretenen Gesichtsstörung eine nicht ganz unerhebliche Verletzung an der linken Hand zu, die ich nur im Vorübergehen erwähne, um hervorzuheben, wieviele größere und kleinere Unannehmlichkeiten die fortschreitende Abnahme des Sehvermögens bei dem so thatkräftigen, lebhaften Herrn im Gefolge hatte. An dem beschädigten Beine, aber auch an andern Körperstellen war der Großherzog

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besonders seit 1877, seit einer anstrengenden Jagd in den Gebirgen von Kärnthen viel von rheumatischen Schmerzen belästigt worden. Zunächst suchten Seine Königliche Hoheit im Herbst 1878 Abhülfe dagegen in einer Massage=Kur bei Dr. Metzger in Amsterdam. Die Kur, zwar zunächst erfolgreich, mußte aber doch schon im Herbst 1879 wiederholt werden. Nach der im folgenden Jahre erlittenen Beschädigung schien es, auch in Rücksicht auf die immer wieder hervortretenden Rheumatismen angezeigt für den hohen Herrn, eine Badekur in Teplitz zu versuchen, von der wir schon weiter oben vorausgreifend gesprochen haben. Zwei Jahre hinter einander besuchten Seine Königliche Hoheit diese so höchst wirksame Therme, nämlich 1880 und 1881, jedes Mal mit unmittelbarem, aber nicht mit bleibendem Erfolg. - Die vorstehende Uebersicht läßt keinen Zweifel darüber, daß in den siebziger Jahren die Gesundheit des Großherzogs viel häufiger als früher gestört war und daß sich auch für die körperliche Leistungsfähigkeit des hohen Herrn nicht unbedenkliche Gebrechen ausgebildet hatten. In diesen Jahren konnten nicht Gemüthserschütterungen als die Ursache des im Allgemeinen weniger befriedigend gewordenen Gesundheitszustandes angeführt werden. Der Großherzog genoß eines ganz ungetrübten Familienglücks und erlebte in diesem Jahrzehnt gerade zwei Ereignisse, die für ihn und sein Haus von der freudigsten Bedeutung waren, die Vermählung der Herzogin Marie mit dem Großfürsten Wladimir von Rußland im Jahre 1874 und die Vermählung Seiner Königlichen Hoheit des damaligen Erbgroßherzogs, jetzt regierenden Großherzogs Friedrich Franz III. mit der Großfürstin Anastasia von Rußland. Die beiden Reisen, welche diese Vermählungen bedingten und die ich im Gefolge des Großherzogs mitmachte, blieben ohne nachweisbar ungünstigen Einfluß auf die Gesundheit des hohen Herrn, obgleich von diesen Reisen sowohl Anstrengungen als Unregelmäßigkeiten in der Lebensweise nicht fernzuhalten waren. Auf diese frohe und für den Großherzog so glückliche Zeit folgte aber das unglückliche Jahr 1882, das ihm am 8. Februar das einzige Kind der verstorbenen Großherzogin Anna, die holde, zu den schönsten Hoffnungen berechtigende Prinzessin Anna raubte, und gegen das Jahresende hin seinen Thronerben auf ein schweres, geradezu bedenkliches Krankenlager warf. Die Erkrankung der Prinzessin Anna war für den Großherzog ein furchtbarer Schlag, von dem er sich um so schwerer erholte, als gleichzeitig mit dieser Prinzessin die Großfürstin Maria Pawlowna, seine mit dem Großfürsten Wladimir vermählte Tochter, lebensgefährlich erkrankte. Für das väterliche Herz des Großherzogs war die Lage in diesen Tagen, wo das Leben zweier geliebter Töchter auf das Ernsteste bedroht war,

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eine unbeschreiblich schwere; ich habe den Helden, der sich sonst in allen Lebenslagen auf das vollständigste zu bemeistern verstand, in den Nächten, die er wachend bei der kranken Tochter oder in der Nähe derselben zubrachte, von Kummer und Schmerz völlig übermannt, Thränenströme vergießen sehen.

Die zarte und mit sehr reizbarem Nervensystem begabte Prinzessin Anna war an einer jener infectiösen Lungenentzündungen erkrankt, die mit ungewöhnlichen Erscheinungen einhergehen und epidemisch auftreten können. Bei dieser Form von Lungenentzündung können sich die localen Symptome in den ersten Tagen sehr verbergen; und so war es hier; dagegen traten schwere Allgemeinerscheinungen auf, die sich mit entsetzlichen Ohren= und Gliederschmerzen verbanden. Es war ein Jammer, die zarte Jungfrau, die eben erst das Kindesalter verlassen hatte, so schwer leiden zu sehen.

Man möge mir verzeihen, wenn die Erinnerung an die ergreifenden Tage, welche nun für den Großherzog folgten, mich verführt hat, etwas länger bei dieser Erkrankung zu verweilen, als strenge genommen, dem Zwecke dieser Mittheilungen, die sich auf die Person Seiner Königlichen Hoheit beziehen sollen, entspricht. Die Prinzessin hatte die allgemeine Sympathie für sich und der Eindruck, den ihr Tod machte, welcher mit grausamer Hand die ganze schöne, poetische Episode im Leben des Großherzogs, sein Verhältniß zu seiner zweiten Gemahlin bis auf die Erinnerung vernichtete, war ein so tiefgehender, daß keiner sich demselben entziehen konnte. Es war ein Glück für den Großherzog, daß die Frau Großfürstin Maria Pawlowna nicht dem gleichen Schicksal verfiel. In der ganzen Zeit während der Erkrankung der beiden hohen Damen lebte ich in der größten Sorge, der Großherzog möchte zuletzt doch unter der Wucht des Schmerzes zusammenbrechen. Ich athmete daher auf, als bessere Nachrichten von der Newa eintrafen, und nun konnten wir bewundernd staunen, mit welcher Kraft und Männlichkeit der schwergetroffene Vater den Verlust der geliebten Prinzessin aus Gottes Hand hinnahm und ertrug. Der Großherzog lebte fort mit den Lebenden; nie verließ ihn die fürstliche Serenitas, die sein Wesen so auszeichnete. Es war, als wenn die Krankheiten vor den Strahlen dieser Serenitas sich scheuten und dem verehrten Fürsten ferne blieben; denn es erschien fast wie ein Wunder, wenn nach solchem Erlebniß ein Körper, der nun nicht mehr zu den jugendlichen gehörte und schon so manches durchgemacht hatte, so ganz und gar von Leiden verschont blieb, wie dies bei dem Großherzog der Fall war.

Dies Jahr 1882, das so ernst für den Großherzog begann, schien, wie schon angedeutet, auch gegen sein Ende hin eine äußerst

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ernste Gestalt für den hohen Herrn annehmen zu wollen. Der Erbgroßherzog, von frühester Jugend auf mit einer weit weniger kräftigen Gesundheit ausgerüstet, als sein Herr Vater, erkrankte Anfangs December 1882 in seinem Palais in Schwerin an einer schweren Form von Bronchitis (putrida) unter Erscheinungen, die zu großer Besorgniß Anlaß gaben. Aber es gelang diesmal den vereinten Bemühungen der Aerzte, die Krankheit zu brechen und den hohen Kranken der Genesung zuzuführen. Einen hervorragenden Antheil an der glücklichen Wendung der Dinge mußte man ohne Widerrede der ganz ausgezeichneten aufopfernden Pflege zuschreiben, welche die hohe Gemahlin des Patienten diesem widmete. Wir Aerzte waren ganz erfüllt von dieser außerordentlichen Leistung.

Die durch mehrere Wochen sich hinziehende Erkrankung des künftigen Thronerben war natürlich ein Gegenstand großer Sorge und Spannung für den Großherzog. Es folgte zwar Genesung; diese aber war doch nicht so vollständig, daß von einer Uebersiedelung nach dem Süden, und zwar auf längere Zeit, für den hohen Kranken hätte abgesehen werden können. Groß war zwar die Freude, den Sohn überhaupt hergestellt zu sehen; dennoch mochten sich manche ernste Sorgen im Gedanken an die Zukunft bei dem regierenden Herrn daran knüpfen, als er den bereits zum Mann herangereiften Sohn und Thronfolger auf unbestimmte Zeit in den Süden ziehen und sich von der directen Theilnahme an den Regierungsgeschäften entfernen sah.

Der Großherzog, in dessen Befinden sich auch jetzt keine wesentliche Veränderung bemerklich machte, ahnte nicht, ebensowenig wie irgend Jemand, daß seine eigenen Tage gezählt waren. Prüfungen aller Art, Sorgen, Schicksalsschläge, Erkrankungen waren in den letzten beiden Decennien für ihn rasch aufeinander gefolgt, und wenn auch viele Sonnenblicke sein Leben erhellten, so war doch die Summe alles dessen, was auf politischem Gebiete, im Familienleben, in der Regierung seines Landes auf ihn eingedrungen war, eine so überaus große, daß man nur die Stärke der Schultern bewundern konnte, die solches Alles zu ertragen vermochten.

Vielleicht war es doch eine gewisse, nicht eingestandene Erholungsbedürftigkeit, die dem hohen Herrn den Gedanken eingab, im Vorfrühling 1883 mit seiner Familie eine Reise an die Riviera zu unternehmen. Es waren alle Vorbereitungen getroffen; der Großherzog hatte, um sich ganz dem Genuß der Reise hingeben zu können, alles Mögliche von Geschäften, was sich überhaupt erledigen ließ, schon voraus erledigt, kleine Reisen im Lande unternommen und dabei sich in hohem Grade angestrengt. Das Unglück wollte, daß an dem letzten Tage

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vor der geplanten Abreise ein großes Feuer in der Centralhalle in Schwerin aufging. Obgleich das Gebäude kein öffentliches war, so verweilte der Großherzog in der Nacht vom 8. zum 9. April doch lange Zeit an der Brandstätte. Es war kühles, windiges Wetter, und man nahm allgemein an, daß der Großherzog sich bei dieser Gelegenheit stark erkältet habe. Andere sahen in Fahrten auf offenem Wagen nach Parchim und Ludwigslust, die am 6. und 7. April zu militairischen Zwecken stattgefunden hatten und die der hohe Herr, wie er es häufig that, schlafend zurücklegte, die eigentliche Ursache der Erkrankung, die seine letzte sein sollte. Die Abreise nach der Riviera war auf den 9. April festgesetzt. Gerade um die Stunde, um welche die hohen Herrschaften den bereitstehenden Bahnzug besteigen würden, wie ich mir dachte, erhielt ich plötzlichen, von Ihrer Königlichen Hoheit der Frau Großherzogin Marie, nicht vom Großherzog ausgehenden Befehl, sofort mich in das Schloß zu begeben, da seine Königliche Hoheit erkrankt seien. Ich eilte dahin und fand den Großherzog zwar noch außer Bett und darauf bestehend, abzureisen, aber sehr übel aussehend und vom Fieberfrost durchschauert. Daß die Körpertemperatur erhöht war, ließ sich sofort nachweisen, aber erst nach längerem Widerstand gelang es, den hohen Patienten zu bewegen, sich zu Bett zu begeben. Es sprach alles dafür, daß es sich um eine beginnende Lungenentzündung handelte, obgleich weder Husten, noch Auswurf, noch Schmerz, noch irgend eine auf physikalischem Weg nachweisbare Localisation vorhanden war. Erst nach etwa vierundzwanzig Stunden gelang der Nachweis einer localisirten Entzündung der rechten Lunge. Es kann nicht meine Absicht sein, hier eine detaillirte Krankengeschichte zu geben. Den Gang, den die Erkrankung nahm, erkennt man am besten aus der Zusammenstellung der Bülletins, 1 )welche ich in wortgetreuer Abschrift als Anlage folgen lasse. Der hohe Herr wollte in den ersten Tagen die Ansicht, daß es sich um eine ernste Erkrankung handle, nicht gelten lassen und weigerte sich ganz entschieden, einen zweiten Arzt herbeizuziehen, bis die Erlaubniß dazu endlich durch Vermittelung der Frau Großherzogin Marie, auch jetzt noch nicht ohne Mühe, dem hohen Kranken abgerungen wurde. Es wurde sogar nun auf besondern Wunsch der hohen Verwandten und unter Zustimmung des hohen Kranken selbst ein Vertreter der Wasserheilkunde, der Professor Winternitz aus Wien, an das Krankenbett gerufen. Als derselbe in Schwerin ankam, konnte er nur mit uns andern Aerzten constatiren, daß die Lähmung beider Lungen bereits begonnen habe und das Schlimmste zu befürchten sei.


1) Anlage B.
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Der künftige Thronerbe wurde von dem Stand der Dinge in Kenntniß gesetzt. Es war in der That eine sehr schwierige und traurige Lage für den jugendlichen Fürsten, der wohl am liebsten an das Todtenbett des geliebten Vaters geeilt wäre. aber die Rücksicht auf den Zustand seiner noch immer nicht völlig wiedergewonnenen Gesundheit, das ausdrückliche Verbot des Arztes, sich unter solchen Umständen auf die Reise zu begeben, und endlich der wiederholt ausgesprochene Wunsch des Großherzogs selbst, daß der Erbgroßherzog diese Reise nicht unternehmen, sich den Fährlichkeiten derselben nicht aussetzen möge, - Alles dies hatte die Folge, daß diese Reise unterblieb.

In den letzten beiden Lebenstagen meines verehrten Herrn und Fürsten bin ich nicht mehr aus seiner Nähe gekommen, mit Ausnahme der Stunden, da er von den Seinigen und von dem Hofe Abschied nahm. Es geschah dies am 14., Nachmittags, als schon die Athemnoth sehr groß geworden war. Der Großherzog sprach nur mit größter Anstrengung, aber völlig klar, und gab seine Bestimmungen mit derjenigen Deutlichkeit und Ruhe, die man von ihm erwarten konnte. Es war dem Helden nicht vergönnt, auf dem Schlachtfelde zu sterben; dennoch aber starb er im vollem Bewußtsein, daß er dem Tode entgegengehe wie ein Mann, ein Fürst, ein Krieger, der weiß, daß er unterliegen müsse im Kampf gegen einen Feind, den noch Keiner besiegt hat. In den letzten Stunden des Großherzogs befanden sich in dem Zimmer, in dem er den Tod erwartete, nur seine hohe Gemahlin, deren Hand er festhielt, die ehrwürdige Mutter des Großherzogs, die tiefgebeugt und mit thränenden Augen das letzte ihrer Kinder, den Sohn, auf den sie wahrlich ein Recht hatte, stolz zu sein, sterben sah, während sie selbst nach dem unerforschlichen Rathschluß Gottes noch eine Reihe von Jahren dem Lande erhalten bleiben sollte, und ich, der ich mir mit stummem Schmerze sagen mußte, daß die ärztliche Kunst hier ein Ende habe und ich den hochverehrten Fürsten und väterlich gütigen Herrn verlieren müsse. In den Vorzimmern waren die Angehörigen des Großherzogs, der ganze Hof und die Dienerschaft, sowie die Geistlichkeit in stiller, tiefer Trauer versammelt. Der Großherzog verlangte den Choral: "Wenn ich einmal soll scheiden" zu hören. Unter den Klängen dieses unvergleichlichen Chorals schlief der Sterbende zum ewigen Leben hinüber. (Am 15. April, Vormittags 10 Uhr.) So, als ein Einschlafen nämlich, glaube ich es wenigstens am besten bezeichnen zu können, was ich gesehen habe. Das Bewußtsein nahm von Minute zu Minute ab, der Athem wurde schwächer und schwächer, plötzlich durchrieselte ein Todesschauer den ganzen Körper des Sterbenden, seine freundliche Physiognomie

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durchzuckte ein tiefer Schmerz, - es war nur ein kurzer Augenblick - dann wurde es still und der tiefe Friede eines, der überwunden hat, lagerte sich auf den Zügen dessen, der noch vor ein paar Stunden im schweren Todeskampfe seinen letzten irdischen Pflichten gerecht zu werden sich anstrengte. - Nun hatte sich auch der zweite Theil jener Prophezeiung erfüllt, von der wir oben, als wir über das Ableben der Großherzogin Anna berichteten, gesprochen haben. - Von dem Ergebniß der von dem Professor der Anatomie in Rostock, Dr. Merkel und dem Prosector Dr. Schiefferdecker in meiner Gegenwart angestellten anatomischen Untersuchung der hochfürstlichen Leiche 1 ) will ich nur anführen, daß beide Nieren geschrumpft und cystisch entartet, der Herzmuskel fettig degenerirt war. Die entzündlichen Vorgänge in den Lungen ließen sich gleichfalls nachweisen. Doch konnte man sich des Gedankens nicht erwehren, daß die Lungenentzündung vielleicht an und für sich nicht den tödtlichen Ausgang herbeigeführt haben würde, wenn nicht die Complication mit dem langjährigen Nierenleiden und der Schwäche der Herzthätigkeit den Ausschlag gegeben hätte. Einige Linderung konnte der allgemeine, große Schmerz über den Tod des hochverehrten Fürsten in dem nicht unberechtigten Gedanken finden, daß der Großherzog bei dem durch die Autopsie bestätigten Zustande der Nieren und des Herzens schwerlich jemals seine volle Gesundheit wiedererlangt haben würde, auch wenn es gelungen wäre, die Lungenentzündung zu heilen. Wahrscheinlich würde der hohe Herr dann Leiden entgegengegangen sein, die ihn zu gänzlicher Unthätigkeit verurtheilt haben würden.

Die Trauer, die dieser Todesfall hervorrief, war im eigentlichsten Sinne des Wortes eine allgemeine. So trauert ein getreues Volk um den, in welchem es den wahren Landesvater zu verehren gewohnt war. Niemand war im Lande, der nicht die Zeichen der Trauer, und waren sie noch so dürftiger Art, anlegte, und drinnen im Herzen herrschte die aufrichtigste Betrübniß. Diese Allgemeinheit der Trauer machte einen überwältigenden Eindruck. Sehr bald schon nach dem Ableben des Großherzogs machte sich im ganzen Lande der Wunsch geltend, dem geliebten hochverehrten Landesherrn ein seiner würdiges Denkmal zu setzen und in kurzer Zeit flossen mehr als ausreichende Mittel zusammen, um diesen Gedanken zu verwirklichen. Wir stehen nun der Zeit nahe, wo wir das Monument des Großherzogs im Schloßgarten, gegenüber der großen Front des Großherzoglichen Schlosses sich erheben sehen werden, damit die, welche den Hochseligen gekannt haben, an der Erinnerung an seine Erscheinung im Leben


1) Das authentische Protocoll dieser Autopsie befindet sich bei den Akten des Ministeriums des Großherzoglichen Hauses.
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sich erfreuen, und auch spätere Geschlechter sich vergegenwärtigen mögen, wie der ausgesehen hat, welcher der Stolz und Ruhm seines engeren Vaterlandes gewesen ist und zu den leuchtendsten Sternen am kriegerischen Himmel des deutschen Vaterlandes gehörte.

Seit der Theilnahme des hochseligen Großherzogs an den Kämpfen und Siegen in Frankreich ist sein Bild in ganz Deutschland neben den Porträts des Kaisers Wilhelm I. und seiner Paladine verbreitet. Jeder weiß, wie der Großherzog von Meklenburg ausgesehen hat. Diese auf photographischen Grundlagen beruhenden Abbildungen sind im Ganzen recht getreu. Jedoch habe ich gefunden, daß die Bilder des hochseligen Herrn häufig einen zu ernsten und zu dunkeln Eindruck machen. Der persönliche Eindruck des Großherzogs war ein durchaus lichter, freundlicher. Es umgab ihn stets in unvergleichlicher Weise jene fürstliche Serenitas, welche nicht gerade jedem gekrönten Haupt in gleichem Maße eigen ist. Es verband sich damit der natürliche, ungesuchte Ausdruck einer Sinnesreinheit, welcher höchst anziehend war, und für schüchterne Gemüther den imposanten Eindruck der Majestät eines regierenden Herrn milderte. Recht gut geben auch die in den letzten Decennien geprägten Meklenburg=Schwerin'schen Münzen die Gesichtszüge des Hochseligen wieder. Diese erinnern unbedingt an die Züge der älteren Generationen des hohenzollernschen Hauses, an Friedrich Wilhelm III. und IV., an Prinz Friedrich Carl. In früheren Jahren waren die Gesichtszüge des verstorbenen Großherzogs recht verschieden, besonders in der Zeit vor seiner Vermählung, wie man sich an den aus jener Zeit stammenden Münzen und lithographischen, sowie andern Porträts überzeugen kann. In dieser früheren Zeit erinnerten die Züge des verstorbenen Großherzogs an die seines Herrn Vaters, des hochseligen Großherzogs Paul Friedrich, eine Aehnlichkeit, die sich in späteren Jahren ganz verlor. Die Gestalt des hochseligen Großherzogs war untersetzt; er besaß ein ungemein kräftig entwickeltes Knochen= und Muskelsystem und suchte in der Ausdauer im Reiten seines Gleichen.

In seiner Lebensweise war der Großherzog äußerst geregelt und einfach. Durch seine Stellung zur bestimmtesten Eintheilung seiner Zeit gezwungen, besaß er die fürstliche und soldatische Tugend der Präcision in hohem Grade. Er ging darin so weit, daß er sehr gerne schon für lange Zeiten im Voraus Bestimmungen traf. Sehr angenehm war es ihm z. B., wenn schon möglichst früh im Jahr die im Sommer etwa vorzunehmenden Kuren und Badereisen festgesetzt werden konnten.

In der Mäßigkeit konnte der hochselige Herr Allen zum Muster dienen. Das Gegentheil von gourmandise war sein Naturell. Er

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konnte den mitunter nicht geringen Anforderungen, die an einem hochfürstlichen Magen gestellt werden, genügen, ohne den geringsten Schaden für seine Gesundheit; Werth hatten aber für ihn dergleichen Genüsse nicht; ebensowenig Spiele irgend welcher Art. Es lag in dem hohen Herrn ein angeborner und durch die Erziehung ausgebildeter idealer Zug, der sich in dem ihm stets treu gebliebenen, ihn durchs ganze Leben begleitenden Interesse für Kunst und Wissenschaft aussprach. Dieses Interesse blieb bei ihm aber nicht ein privates; die Hebung der Universität Rostock, der Bau des Schweriner Schlosses und die Ausschmückung der Residenz Schwerin mit schönen öffentlichen Gebäuden, die Gründung des Museums in Schwerin, das Interesse, das der Großherzog der Entwickelung der dramatischen Kunst, sowie der Musik, besonders der geistlichen (Gründung des Kirchenchors), aber auch der weltlichen (Meklenburgische Musikfeste) zuwandte, haben es bewiesen, wie sehr dem hohen Herrn auch die Pflege der idealeren Seiten des Lebens am Herzen lag. Was unter seiner Regierung an Neubauten von Kirchen, Schulen und Justizgebäuden entstanden, sowie an geschmackvoller Restauration älterer Kirchen geschehen ist, darf als allgemein bekannt vorausgesetzt werden und würde ihm allein schon einen ruhmvollen Namen bei der Nachwelt gesichert haben, auch wenn ihn die aus dem Feldzug 1870/71 davongetragene Ruhmeskrone nicht schmückte.

Ein Kind von Gemüth, ein Jüngling an Frische der persönlichen Erscheinung, ein ganzer Mann an Initiative und Thatkraft, ein reiner, edler Mensch, ein tapferer Krieger und hervorragender Feldherr, ein pflichttreuer, gerechter, opfermuthiger Fürst, ein aufrichtiger Christ - so wird der Hochselige stets in der Erinnerung desjenigen leben, der das Vorstehende in dankbarer Bewunderung niedergeschrieben hat, hoffend, daß diese Darstellung Manchem, dem sie zu Gesicht kommen wird, das Geständniß abnöthigen möge, in diesen Mittheilungen die Züge des Hochseligen wiedererkannt zu haben.

Es ist schon viel Besseres und Bedeutenderes über Friedrich Franz II. von Meklenburg=Schwerin gesagt, seine Stellung in der Geschichte seines engeren und weiteren Vaterlandes ist bereits in würdiger Weise geschildert worden. Hierüber auch nur ein Wort zu verlieren, kommt mir nicht zu. Indessen enthalten meine bescheidenen Mittheilungen nicht einmal das Beste, was ich persönlich über den hohen Herrn hätte sagen können. Dies läßt sich nicht leicht in Worten erschöpfen; daher habe ich es in einer Kantate niederzulegen versucht, welche zur Feier des Gedächtnisses des unvergeßlichen Fürsten am 28. Februar 1885 im Palais Ihrer Königlichen Hoheit der Frau Großherzogin Marie zur Aufführung kam. Dieser Gedächtniß=

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feier, zu welcher Ihre Königliche Hoheit den zu musikalischen Aufführungen so geeigneten Saal in dem Neustädtischen Palais zu benutzen gnädigst gestattet hatten, wohnte eine ziemliche Anzahl dem Hofe nahestehender Personen bei, die es mich empfinden ließen, daß meine dem Andenken des ausgezeichneten Fürsten gewidmete musikalische Huldigung dankbares Verständniß gefunden hatte.


Schlußwort.

B ei dem hochseligen Großherzog traf so vieles zusammen, was zu der günstigsten Prognose hinsichtlich der Dauer seines Lebens zu berechtigen schien: glücklichste Beanlagung, glücklichste Lebensverhältnisse, Longävität in der Familie und was das wichtigste ist, das ernsteste Bestreben, sich durch eine vernunftgemäße Lebensweise gesund und leistungsfähig zu erhalten. Und dieses Bestreben war nicht etwa ein egoistisches; es hatte einen weit tieferen Grund, als den pflichtgemäßen Selbsterhaltungstrieb. Sich für seine Familie und sein Land zu erhalten, seinen Regentenpflichten ungestört durch Krankheit und körperliche Gebrechen nachkommen zu können, das war der eigentliche, hochachtbare Sinn aller der Opfer, die der Großherzog im Lauf seines Lebens der Selbsterhaltung gebracht hat.

Wenn wir trotz eines solchen ebenso berechtigten, als vernünftigen Strebens erleben mußten, daß der hohe Herr nicht eimnal die in den Psalmen dem Menschen bezeichnete Lebensgrenze erreichen konnte, so befinden wir uns eben an der Grenze des Unerforschlichen und müssen uns in unserer menschlichen Beschränktheit demüthigen vor Dem, der durch Seine Entscheidung alle unsere scheinbar noch so sehr berechtigten Voraussetzungen zu nichte gemacht hat.

Kaum weniger ergreifend ist es zu sehen, wie ein so edler, reiner Charakter, dem man ein völlig ungetrübtes, reines Lebensglück hätte wünschen mögen, den Kelch vieler Leiden bis auf die Neige leeren mußte. Der hochselige Herr hat diesen Kelch geleert, ohne Murren; er hat die Last schwerer Lebenserfahrungen geduldig auf seine Schultern genommen, zwar ohne zu erliegen und ohne Schaden an seiner Seele zu nehmen, aber doch nicht ohne wesentliche Erschütterung seines nicht geringen Kapitals an Körperkraft und Gesundheit. Gewiß ist das Leben des verewigten Fürsten auch reich an Sonnenschein, an freundlichen, höchst glücklichen Ereignissen gewesen. Reiht man aber, wie es hier geschehen ist, alles das Ernste und Traurige, was dem verehrten Haupte allein in den letzten zwei Jahrzehnten

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seines Lebens beschieden war, an einander, die wiederholte Zerstörung seines häuslichen Glücks, den anhaltenden, unausgesetzten Kampf gegen langsam, aber sicher sich entwickelnde Infirmitäten, denen zuletzt die kräftigste Organisation erliegen mußte, - so werden auch diejenigen, die gewohnt waren, den Lebenslauf des hochseligen Herrn als einen besonders glücklichen anzusehen, sich nicht verhehlen können, daß ihm ein vollgerüttelt und geschüttelt Maß von Leiden und Schmerzen zugemessen war, und werden, so oft sie sich die hier geschilderten ernsteren, um nicht zu sagen, düsteren Zeiten seines Lebenslaufes vergegenwärtigen, Seiner nur in erhöhter Theilnahme und Bewunderung gedenken.


Anlage A 1.

(Abschrift.)

An das Finanz=Ministerium.

2. 8. 61
3872.

Schwerin, den 1. August 1861.

S e. Königliche Hoheit der Großherzog haben mittelst Allerhöchster Handschreiben an den unterzeichneten Minister und den Staatsminister von Levetzow Excellenz zu bestimmen geruht, daß pro Johannis 18 61/62 und 18 62/63 je 800 Rthlr. zu dem Zwecke verwendet werden sollten, um in jedem dieser Jahrgänge 4 Aerzte mit einer Unterstützung von je 200 Rthlr. zu ihrer näheren Ausbildung in der Theorie und Praxis der Wasserheilkunde nach Gräfenberg zu senden.

In Veranlassung dieser Allerhöchsten Bestimmungen erlaubt das unterzeichnete Ministerium sich, das Finanzministerium ergebenst zu ersuchen, den entsprechenden Zahlungsbefehl an die Renterei in der Art zu erlassen, daß dieselbe die beregten Zahlungen in den beiden Jahrgängen auf nähere Anweisung des unterzeichneten Ministeriums zu leisten habe.

G. M. M. A f. Med.-A.
(gez.) von Müller.

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Anlage A 2.

(Abschrift.)

W ir eröffnen Unserm Ministerium Abtheilung für Medicinal=Angelegenheiten auf den betreffenden Bericht vom 9. d. Mts., daß von den zur Ausbildung von Aerzten in der Wasserheilkunde in Gräfenberg bestehenden vier jährlichen Stipendien á 600 Mark von jetzt an zunächst nur zwei jenem Zwecke verbleiben sollen und eins zur Erlernung der Massage zu verwenden ist. In welcher Weise das vierte dieser Stipendien eine anderweitige geeignete und dienliche Verwendung zur Ausbildung auf dem Gebiete der Heilkunde finden mag, darüber wollen Wir dem weiteren Berichte Unseres Ministeriums Abtheilung für Medicinal=Angelegenheiten in Gnaden entgegensehen.

Cannes, den 16. Februar 1884.

Allerhöchst gez. Friedrich Franz.

An
das Ministerium Abtheilung
für Medicinal=Angelegenheiten.

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Anlage A 3.

(Abschrift.)

I n Erwiderung des Berichts v. 1. v. M. theilt das unterzeichnete Ministerium der Medicinal=Commission in Rostock mit, daß Seine Königliche Hoheit der Großherzog wegen des Vierten der bisher zur Ausbildung von Aerzten in der Wasserheilkunde in Gräfenberg ausgesetzt gewesenen Stipendien zu bestimmen geruhet haben:

daß dasselbe an approbirte Aerzte Zwecks ihrer weiteren Fortbildung zum Besuch von Kliniken und Krankenhäusern sowie zur Theilnahme an geeigneten medicinischen Kursen oder sonstigen wissenschaftlichen oder practischen Unterweisungen insbesondere bei Specialisten verliehen werden soll.

Zugleich haben seine Königliche Hoheit der Großherzog vorzuschreiben geruhet, daß bei Verleihung aller vier Stipendien dem Empfänger zur Pflicht gemacht werden soll, dem unterzeichneten Ministerium binnen einer von demselben zu bestimmenden Frist einen Bericht über die Art, in welcher der Zweck des verliehenen Stipendiums verfolgt worden, und über das dabei Gesehene zu erstatten.

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Für den Fall, daß sich für Eins oder das Andere der verschiedenen Stipendien nicht qualificirte Bewerber finden sollten, haben Seine Königliche Hoheit der Großherzog die anderweitige Verwendung desselben vorbehalten.

Schwerin, den 15. April 1884.

Großherzoglich Mecklenburgsches Ministerium,
Abtheilung für Medizinal - Angelegenheiten.

An
die Medicinal=Commission
in Rostock.

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Anlage B.

In der letzten Erkrankung Seiner Königlichen Hoheit ausgegebene Bulletins.

Seine Königliche Hoheit der Großherzog sehen sich in Folge einer starken Erkältung bedauerlichst genöthigt, den Antritt der beabsichtigten Reise nach der Riviera um einige Tage zu verschieben.

Schwerin i. M., 10. April 1883, Morgens 9 Uhr.


Ueber das Befinden S. K. Hoheit des Großherzogs ist Folgendes zu berichten:

Im Verlauf des gestrigen Tages ließ sich das Vorhandensein einer Entzündung von nicht beträchtlichem Umfang in der rechten Lunge nachweisen. Das Fieber hält sich auf mäßiger Höhe, der Husten ist von keiner Bedeutung, der Umfang der entzündeten Partie hat seit gestern Abend nicht zugenommen.

Der Kräftezustand des hohen Patienten ist bis jetzt durchaus befriedigend.

Dr. Mettenheimer.     

Schwerin i. M., 11. April 1883, Morgens 9 Uhr.


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Schwerin, 11. April 1883, Abends 6 Uhr.

Die abendliche Untersuchung S. K. Hoheit des Großherzogs ergab, daß die Entzündung an Ausbreitung nicht gewonnen und das Fieber eine Steigerung nicht erfahren hat

Auch ist das subjective Befinden des hohen Kranken am heutigen Abend etwas besser, als an den vorigen Tagen.

Dr. Mettenheimer.


Schwerin i. M., 12. April 1883, Morgens 9 Uhr.

Seine Königliche Hoheit der Großherzog haben, wesentlich in Folge von rheumatischen Schmerzen, nur wenig geschlafen.

Die Entzündung hat keine Fortschritte gemacht, das Fieber hat abgenommen, der Athem ist freier, der ganze Zustand des hohen Patienten besser.

Dr. Mettenheimer.     


Schwerin i. M., den 12. April 1883, Abends 6 Uhr.

Nach einem verhältnißmäßig guten Befinden am heutigen Morgen ist bei Seiner Königlichen Hoheit dem Großherzoge in den Nachmittagstunden eine Steigerung des Fiebers mit vermehrtem Hustenreiz eingetreten.

Die rheumatischen Schmerzen, an welchen S. K. Hoheit bisher gelitten, haben nachgelassen.

Dr. Mettenheimer.     


Schwerin i. M., den 13. April 1883, Morgens 10 Uhr.

Schon am Abend des gestrigen Tages folgte auf die Steigerung des Fiebers, die Nachmittags eingetreten war, eine bedeutende Abnahme der Körpertemperatur, welche auch nach geringen Schwankungen in der Nacht heute Morgen noch zu constatiren ist. Indessen ist der entzündliche Proceß in der ergriffenen Lunge noch keineswegs als abgelaufen anzusehen. - Im Uebrigen sind neue Symptome von Bedeutung nicht eingetreten.

Dr. Mettenheimer.     
Dr. Thierfelder.         


Schwerin i. M., den 13. April 1883, Abends 6 Uhr.

Die entzündliche Lungenaffection S. K. Hoheit des Großherzogs ist seit gestern etwas fortgeschritten, auch hatte der hohe Patient im Lauf des Tages von Schmerzen und Husten viel zu leiden.

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Nichtsdestoweniger erreichte das Fieber nicht die gestrige Höhe und begann die Temperaturabnahme schon früher, als am gestrigen Tage.

S. K. Hoheit haben mit Appetit die dargereichte Nahrung zu sich genommen.

Dr. Mettenheimer.     
Dr. Thierfelder.         


Schwerin i. M., den 14. April 1883, Morgens 8 1/2 Uhr.

In Folge des Nachlasses der Schmerzen und des Hustens hatten S. K. Hoheit der Großherzog eine erträgliche Nacht.

In dem Krankheitsproceß selbst ist ein Stillstand noch nicht eingetreten. Das Fieber hat sich auf derselben mäßigen Höhhe, wie gestern Abend gehalten.

Dr. Mettenheimer.     
Dr. Thierfelder.         


Sonnabend, den 14. April 1883, Abends 6 Uhr.

Nach verhältnißmäßig gutem Befinden am heutigen Morgen stellte sich Nachmittags eine nicht unbedeutende Fiebersteigerung ein, die sich aus der beginnenden Theilnahme der linken Lunge am Krankheitsproceß erklärt. In der rechten Lunge ist die Entzündung nicht fortgeschritten. Se. Königliche Hoheit sind ganz frei von Schmerzen und werden auch vom Husten nicht übermäßig belästigt.

Dr. Mettenheimer.     
Dr. Thierfelder.         
Dr. Winternitz.          


Sonntag, den 15. April, Morgens 6 1/2 Uhr.

Die Krankheits=Erscheinungen haben seit gestern Abend einen bedrohlichen Charakter angenommen und denselben, trotz einer vorübergehenden Wendung zum Bessern, die gegen Morgen eintrat, bis jetzt beibehalten.

Dr. Mettenheimer.     
Dr. Thierfelder.         
Dr. Winternitz.          

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