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1.
Die Altartafel im h. Geiste zu Wismar.

Von Dr. Crull.

Der im Jahre 1562 als Superintendent in Wismar bestellte Johann Wigand war ein sehr energischer Mann und setzte dem dortigen Rath mit Vorhaltungen und Anträgen nicht wenig zu, wie er denn ja auch dem Herzoge Johann Albrecht wegen seines Verfahrens gegen Rostock ins Gewissen zu reden sich nicht gescheut haben soll. 1 ) So beantragte er 1563 beim Rathe, daß die Altartafel aus der Kirche des Hauses zum h. Geiste nach St. Marien versetzt, dagegen die "alte, zerbrochene, zum Theil auch abergleubische," "rauchhafftige, schwartze" Tafel aus St. Marien nach dem h. Geiste gebracht werden möge, 2 )eine Sache, welche er neben anderen


1) Schröder, E. M. St., 497. Franck, A. u. N. M., X, S, 157.
2) Schröder a. a. O., S. 434.
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Neuerungen im Zwiegespräche wie von der Kanzel aus schon vorher angeregt hatte. Der Rath und die Kirchenvorsteher, vielleicht auch die Gemeinde, haben offenbar ungerne daran gewollt, und deswegen schloß Wigand seine Eingabe mit der Ermahnung, man möge nicht so furchtsam sein und der Leute Reden nicht so folgsam sich erweisen. Rath und Kirchenvorsteher verstanden sich allerdings, dem Verlangen des geistlichen Gewalthabers zu entsprechen, verfehlten aber nicht, einen Bericht in das Zeugebuch eintragen zu lassen, auf welche Weise der Wechsel der Altartafeln und die sonstigen Neuerungen, welche der Superintendent verlangt hatte, zu Stande gekommen seien. Eine verschollene, freilich nicht gleichzeitige, sondern erst dem 17. Jahrhundert angehörige Wismarsche Chronik berichtet, daß am 17. December 1563 "die schöne Tafel von dem Altar aus dem h. Geist in S. Marien - Kirche gebracht" worden sei, und dies, bis auf das Datum 1 ), bestätigt auch das Gebäude=Register der Kirche, wo es heißt: VIII s. den dregern geuen dath altar vth dem hilligen geiste tho bringende hen vnd her.

Daß ein Ersatz der Tafel in St. Marien im 17. Jahrhundert stattgefunden habe, ist äußerst unwahrscheinlich, und besagen auch die Kirchenrechnungen nichts von Neubeschaffung. Erst im letzten, dem 18. Jahrhunderte, war die Läuterung des Geschmacks und die Aufklärung der Ansichten "in Hinsicht auf die Religion" so weit gediehen, daß man erwog, ob nicht die Tafel in St. Marien "zeitgemäss" zu erneuern sei, und fühlte sich der Bürgermeister Herman Caspar Voigt 1744 bewogen, 1000 Thaler N 2/3 Marien=Gebäude eventualiter zu vermachen, "um davon ein neues Altar zur Ehre Gottes und der Kirchen Zierde zu erbauen." Drei Jahre später und ein Jahr nach des Bürgermeisters Tode faßte dann der Rath den Entschluß, "Marien - Kirche zu säubern und einen neuen Altar zu bauen." Dieser neue Altar oder vielmehr Altaraufsatz ist demnach alsbald in Angriff genommen und ausgeführt, eine tüchtige Handwerksarbeit, aber natürlich in einem Stile, welcher zu der Kirche durchaus nicht paßt, immer aber doch besser als ein anspruchsvoller Aufsatz in Talmi=Gothik. Im Jahre 1749 war er fertig. Man erwog damals, ob man den alten Altar (= schrein) verkaufen wolle oder nicht, und entschied sich gegen den Verkauf; doch hat das nicht zu seiner Erhaltung gedient, er ist nicht mehr vorhanden.


1) Das Datum ist das überlieferte der Eingabe Wigands. Diese, wie die Zeugebuchsschrift sind nur in beglaubigten Copien im Reg. parochie Marie erhalten, letztere mit dem Datum des 11. December. Danach dürfte Wigands Schreiben eher vom 17. November datiren.
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Der Bericht des Zeugebuchs, sowie die Kirchenrechnung bezeugen nun ferner, daß nicht allein der Transport der Tafel aus dem h. Geist nach St. Marien stattgefunden hat, sondern auch derjenige der St. Marien=Tafel nach dem h. Geiste. Im Gebäude=Register heißt es: III ß. den mans dat altar in den hilligen geist tho bringen.

Daß der jetzige Altar daselbst ein mittelalterliches Werk sei, ergab sich aus seiner Einrichtung als Triptychon, dem Rahmen und den kümmerlichen Resten von Malerei auf der Rückseite der Flügel. Die ganze Vorderansicht wird aber durch fünf Bilder auf Leinwand, die ihren Ursprung in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts nicht verleugnen können, eingenommen, und daher lag die Befürchtung nahe, daß von dem alten Werke nichts mehr erhalten sei als das Gerüst. Eine in diesem Sommer vorgenommene Untersuchung bestätigte das freilich, doch sind ihre Ergebnisse derartig, daß sie wohl eine Mittheilung verdienen.

Den festen Mitteltheil sowohl als die beiden Flügel schließt ein 17 cm starker, 12 cm breiter Rahmen ein.

Man konnte erkennen, daß auf jedem Flügel rückwärts sechs Personen in zwei Abtheilungen über einander dargestellt waren. Oberhalb der oberen Abtheilung sieht man kleine Rundthürmchen, zwischen denen sich ein mit Zinnen abschließendes Gehänge dreiseitig vorbaut, während ein grades Gehänge in Flachbogen, ebenso wie jenes mit Zinnen abschließend und in neutraler Farbe gemalt, über der unteren Abtheilung angeordnet ist; die Wölbungen unter den Gehängen sind rothbraun. Die sechs Personen sitzen auf durchgehenden Bänken, gleichfalls von neutraler Farbe. Der Hintergrund zwischen diesen und den Gehängen ist Gold. Die Personen sind entweder in grüne Gewänder mit rothem oder in rothe Gewänder mit grünem Aufschlag gekleidet, und alle haben dem conform Kapuzen. Jede Person hielt ein Spruchband mit einer Legende in einigermaßen ungeschickter gothischer Minuskel, doch ist von keinem etwas Vollständiges oder Nachweisbares abzulesen. Auf dem rechten Flügel liest man auf einem Spruchbande noch:

Spruchband

auf einem anderen

Spruchband

Auf dem linken Flügel erkennt man

Spruchband
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von einem zweiten ist erhalten

Spruchband

Attribute haben die Figuren nicht und die Reste der Spruchbänder geben auch keinen Anhalt für eine Bestimmung derselben, doch wird aus der Zahl und der Tracht unbedenklich anzunehmen sein, daß Propheten gemeint sind.

Der Rahmen ist dunkelrothbraun gestrichen gewesen und die Abfasung gegen die Tafeln hin vergoldet.

Der feste Mitteltheil hat bei einer Höhe von 1 m 76 cm eine Breite von 3 m 28 cm, während jeder Flügel 1 m 52 cm in der Breite im Lichten mißt.

Nach Entfernung der erwähnten Malereien zeigte es sich, daß sowohl alles geschnitzte Bildwerk, als auch das sonstige Schnitzwerk, Pfeiler, Baldachine u. s. w., auf das Gewissenhafteste entfernt worden war, und ließ sich nur aus den Befestigungspunkten und den sonstigen Spuren auf dem glatten, fast durchaus vergoldeten und polirten Kreidegrunde, welcher vorzüglich erhalten war, der ehemalige Schmuck errathen.

Die Mitte der Tafel bildete eine an der Rückseite schon sichtbare, mit schrägen Seitenwänden zurücktretende Nische, 93 cm am Grunde breit und 16 cm tief, völlig glatt vergoldet bis auf den oberen Theil, welcher bis zu 62 cm abwärts leicht blau gestrichen war; dort war zweifellos früher ein Baldachin angebracht gewesen. Den untersten Theil, gleichfalls bläulich überstrichen, hat eine Bank eingenommen, auf welcher Christus, seine Mutter krönend, ehemals thronte.

Auf jeder Seite der Nische war der Kreidegrund in einer Breite von 28 cm durchaus mit einem tiefen Blau - nicht Ultramarin - bemalt und sah man jederseits sechs ungleiche und unregelmäßige Figuren in den Grund geritzt, welche mit Zinnober leicht überfahren waren. Dieselben erlaubten in keiner Weise einen Schluß auf die Bilder zu machen, welche vormals auf ihnen befestigt waren, doch wird man schwerlich irre gehen, wenn man annimmt, daß Engel hier ihren Platz hatten.

Hiernächst folgte eine vergoldete Fläche jederseits von 80 cm Breite, auf welcher ehedem sechs auf Bänken sitzende Figuren in Feldern von etwa 52 cm Höhe, je zwei nebeneinander, angebracht waren. Es wird kaum zu bezweifeln sein, daß es die Apostel waren, welche diese zweimal sechs Figuren dargestellt haben.

In jedem Flügel war der Goldgrund in dreimal vier Felder getheilt. Die Umreißungen im Grunde erlaubten, allerdings besser

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auf dem linken als auf dem rechten Flügel, zu erkennen, was ehemals dort dargestellt gewesen war. Der rechte Flügel hat enthalten:

die Taufe Christi ? 1 ) ? 2 ) ? 3 )
die Anbetung der h. 3 Könige den Kindermord ? 1 ) ? 1 )
die Verkündigung die Heimsuchung die Geburt den Engel und die Hirten.

Auf dem linken Flügel erkannte man folgende Darstellungen:

die Frauen am Grabe Auferstehung Christus als Gärtner Himmelfahrt
Kreuztragung Kreuzigung Abnahme vom Kreuze Grablegung
Christus am Oelberge. Judas Verrath Geiselung Ecce homo.

Ueber jeder Apostelfigur und über jeder Gruppe waren, wie deutlich wahrzunehmen, flache Baldachine befestigt gewesen, während Pfeiler die Längstheilungen, Sockel und Friese die Quertheilungen bildeten.

Jede Gruppe bestand augenscheinlich nur aus Figuren; es ist keine Spur von Mobiliar, Architecturen oder sonstigen Beigaben sichtbar.

Der Goldgrund, bestens erhalten und glänzend, ist völlig glatt und nur die Nimben sind auf ihm etwas ungeschickt eingepunzt.

Wie das Vorstehende ergiebt, fehlt Alles, Bilder, Baldachine, Pfeiler, Sockel, was zu einer sichern Grundlage dienen könnte, um die Entstehungszeit der Tafel zu bestimmen, doch spricht die ganze Eintheilung derselben, die immer noch kenntliche Einfachheit der Compositionen, der Kreis der Darstellungen und Personen deutlich genug, um mit Sicherheit diese Altartafel dem 14. Jahrhundert zuzuweisen. Ist das aber gestattet, wie ich überzeugt bin, so haben wir in dieser jetzt und seit 300 Jahren im h. Geiste befindlichen Tafel diejenige Tafel vor uns, welche Johann Köster für St. Marien verfertigt hat und die Weihnachten 1357 aufgestellt worden ist, 4 )


1) = drei Personen, deren mittlere einen Kreuznimbus, die seitlichen schlichte Nimben haben.
2) = eine Person mit Kreuznimbus, an jeder Seite zwei andere mit gewöhnlichem.
3) = eine Person mit Kreuznimbus neben drei mit einfachen Nimben.
1) = drei Personen, deren mittlere einen Kreuznimbus, die seitlichen schlichte Nimben haben.
1) = drei Personen, deren mittlere einen Kreuznimbus, die seitlichen schlichte Nimben haben.
4) M. U. U. Nr. 7736, 8425, 8546. Auch 8223?
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so daß wir die Verstümmelung für die Geschichte der Kunst nicht genug beklagen können, aber immer noch für Wigands guten Einfall erkenntlich sein müssen, welcher uns doch das Gerüst der Tafel erhalten hat und gestattet, von dem Werke wenigstens bis zu einem gewissen Grade eine Vorstellung zu gewinnen. Wäre die Tafel nicht in den h. Geist verbracht, so würde ohne allen Zweifel gegenwärtig kein Span mehr davon übrig sein.