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II.

Beiträge

zur

Geschichte der Großherzoglichen Justiz-Canzlei zu Schwerin

vom

Geheimen Rath A. J. C. zur Nedden,

† am 17. Mai 1881.


Forstsetzung von Band XLV, S. 177 - 262.)

III. Geschäftsbetrieb der Justiz-Canzlei.

A. Form des Geschäftsbetriebes.

Format der Acten.

D ie ältesten in der Registratur aufbewahrten Acten sind in Form von Briefen an die Landesherren adressirt und von ihnen geöffnet, demnächst an die Canzlei zur Decretur abgegeben und in dieser Briefform zur Registratur gebracht. Einzelne solcher Vorträge, Eingaben, Proceßschriften und von den Parteien in irgend einer vor die Gerichte gehörigen Sache überreichten Schriften wurden, mit dem Tage der Präsentation und mit einer Bezeichnung der Parteien versehen, für sich aufbewahrt und als [1] Act. weggelegt; mehrten sie sich, so wurden die folgenden Eingänge, gleichfalls mit dem Präsentatum und den Namen der Parteien, unter den folgenden Acten=Nummern den früher übergebenen jungirt, und die sämmtlichen auf eine Sache bezüglichen Acten mit einem

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Bindfaden zusammengebunden. Mitunter wurden bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts auch die Acten eines Processes entfaltet und mit einem durchgezogenen Bindfaden zusammengeheftet; die Concursacten aber wurden ihres Umfanges wegen aus chronologisch geordneten, in Folioformat gelegten und theils zusammengehefteten, theils eingebundenen Briefen gebildet, und zwar von der ersten bis zur letzten Actennummer in einem Actenbunde, ohne Rücksicht auf die Menge, Unförmlichkeit und schwerere Handhabung. Actendesignationen (protocolla actorum) kommen fast nie, Actenmäntel (pallia) in den ersten Decennien nur sehr vereinzelt vor, so daß die Acten erheblich litten. In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts wurden die, noch stets in Briefform eingehenden, Vorträge mehr und mehr in Quarte zusammengelegt (quadranguli) und mit einem halben Bogen weißen oder blauen Papiers als "pallium" umgeben, auf welchem außer den Namen der Parteien nun auch die streitige Sache (rubrum) verzeichnet, und die Zahl der Eingänge in den fortlaufenden Actennummern bezeichnet ist. Mit dem Schlusse des siebzehnten und im 18. Jahrhundert tritt die Actenform in folio entschieden auf, sind die Umschlagsbogen mit Rubrum und fortlaufenden Actennummern versehen und Acten=Designationen gewöhnlich. Diese Form ist bis zum Jahre 1879 geblieben und hat nur durch den Gebrauch starker blauer Actenmäntel eine nothwendige Verbesserung erhalten. Auch fing man um 1750 an, größere Actenmassen in mehrere Bände ("volumina") von je 50 Nummern zu theilen.

Aeußere Form der schriftlichen Vorträge.

Die äußere Form der an die Justiz=Canzlei gerichteten Vorträge hat im Laufe der 267 Jahre ihres Bestehens mehrfache Veränderungen erlitten. Bis zum Jahre 1818 wurden sie freilich unmittelbar an den Landesherrn gerichtet, aber in den verschiedenen Zeiträumen in verschiedener Weise. Anfangs, als bisweilen der Landesherr noch selbst präsidirte und auch die Eingaben las, wurden diese mehr auf ihn persönlich berechnet. Z. B. nicht selten war der Eingang dieser: "Durchleuchtiger, Hochgeborner Fürst! E. F. G. sein meine unterthänige, gehorsamste Dienste ungespartest besten Fleißes zuvor! Gnädiger Herr!" - Unterschrift: "E. F. G. unterthäniger und gehorsamster" N. N. - Vormünder eines v. L. schrieben 1615: " Durchleuchtiger, Hochgeborner Fürst! Gnädiger Herr! Vermittels unser pflichtschuldigen Dienste Erbietung und

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Wünschung eines heilwertigen, vom lieben Gott gesegneten, freudenreichen neuen Jahres" etc . - Eine Eingabe von 1621 beginnt: "Hochwürdiger, Durchleuchtiger, Hochgeborner, Gnädiger Fürst und Herr! Nächst Anerbietung meiner unterthänigen, gehorsamen und pflichtschuldigen Dienste" etc . - und sie schließt: "Solches umb E. F. G. in Underthänigkeit zu verdienen, erkenne ich mich schuldig und in Bereitschaft willig. E. F. G. und derselben herzvielgeliebte Gemahlin und jungen Fräulein hiemit göttlicher Protection thue empfehlen. - E. F. G. underthänig gehorsamster Lehnmann Gerdt von Cöllen". - Ein v. Bibow schließt 1623 einen Vortrag: "Das bin umb E. F. G. ich mit Aufsetzung Guts und Bluts in Unterthänigkeit wiederum zu verdienen schuldig, E. F. G. unterthäniger Lehnmann". - "Durchleuchtiger, Hochgeborner Fürst, Gnädiger Herr! E. F. G. haben sich ex actis zu erinnern", - -. Schluß: "Und thun dieselben, sammt dero herzliebe Gemahlin undt jungen Herlein der sichern gnadenheit des Allerhöchsten zu langbestendiger guter Gesundheit, glücklicher Regierung, und allen fürstlichen Auffnehmen unterthänig und getreulich empfehlen. Datum in E. F. G. Stadt Gadebusch, den 9. Septbr. Ao. 1624. E. F. G. Pflichtschuldiger und getreuer Unterthan". -

"Durchleuchtiger, Hochgeborner Fürst, Gnediger Herr! - Solches wird der liebe Gott reichlich vergelten, und sind wir mit unserm Gebete es zu verschulden erböttig. Datum - - 1632. E F. G. unterthänige Fürbitter bei Gott". - "Durchleuchtiger, Hochgeborner Fürst! E. F. G. ist mein andächtiges Christliches Gebet für dero fürstliche friedliche Regierung und alle fürstliche Prosperität stets bevor. Gnädiger Herr! daß E. F. G. - E. F. G. Hochadliches Mildrichterliches Amt omni meliori modo hierzu demüthig anrufend, E. F. G. demüthig gehorsamste Vorbitterin Mette Sperling, Hanß v. Below eheliche Haußfraw. 4. Februar 1650". -

Ein Proceß von 1679- 1696 zeigt bis Nummer 40 die Briefform unter der Adresse des Herzogs; dann haben die Nummern 40-96 ein vollständiges Rubrum: Exceptionsschrift, accusatio contumaciae etc .

Aehnliche Formen der Anrede und Unterschriften finden sich seit den Jahren 1670 - 1700 in fast allen Acten. Die Form der Aufschrift variirt allerdings, noch im Jahre 1682 wechselte die Briefform mit der in □ mit Rubrum. So sind durch das 18. Jahrhundert hindurch und bis zum Jahre 1818 die Anreden, Unterschriften und Rubricirungen sich im

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Wesentlichen gleich geblieben, mit der Abweichung, daß während der französischen Invasion vom Novbr. 1806 bis zum Juli 1807 die Anrede an den Landesherrn ausfiel und statt derselben die: "Zur Justiz=Canzley verordnete Director, Vice=Director und Herren!" eingeführt war, und daß mit der Annahme der Großherzoglichen Würde am 14. Juni 1815 die Titulatur: "Allerdurchlauchtigster Großherzog, Allergnädigster Großherzog und Herr!" - die Unterschrift: "Ew. Königlichen Hoheit allerunterthänigster", gesetzlich vorgeschrieben wurde.

Durch die Verordnung vom 1. Juli 1818 zur Publication der Ober=Appellations=Gerichts=Ordnung wurde der Schweriner Justiz=Canzlei (gleich denen zu Güstrow und Rostock) das Recht nomine Serenissimi zu judiciren genommen, und statt dessen hatte sie es nur im Namen des Collegii zu thun. Die Anrede lautete nun: "Zur Großherzoglich Mecklenburg=Schwerinschen Justiz=Canzlei Allerhöchst verordnete Director, Vice=Director und Räthe", die Unterschrift: "ehrerbietigst gehorsamst", und die Adresse: "An die hohe Großherzoglich Meklenburgische Justiz=Canzlei zu Schwerin". Aber auch diese Curialien wurden durch die Verordnung vom 23. Septbr. 1837 aufgehoben, und statt deren die Anrede: "An die hohe Justiz=Canzlei" vorgeschrieben, die Unterschrift: "ehrerbietigst gehorsamst" durfte nun fehlen, blieb aber allgemein üblich.

Termine. (Vorbescheide.)

Noch bis in die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts war die Anberahmung eines Vorbescheids auf eingegangene Civilklagen oder sonstige Anträge, z. B. Proclamations=Gesuche, Curatelbestellung, Concurs=Einleitung u. s. w., die regelmäßige Verfügung.

Im Jahre 1615, am 28. Nov., ist ein Vorbescheid "uffm fürstlichen Hause zu Schwerin" unter dem Vorsitz des Herzogs um 6 Uhr Morgens, am 16. April 1618 ein anderer in derselben Concurssache zu derselben Tageszeit gehalten worden. Auch später kommt als die gewöhnliche Terminszeit noch oftmals 6 Uhr, auch 7 Uhr vor; dann aber begannen (nach Vorschrift der Canzlei=Ordnung vom Jahre 1637, s. Bd. XLV, S. 227) die Termine bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts um 8 Uhr. Wenn die Ladungen der folgenden Zeit lauten: "Morgens zu gewöhnlicher Zeit", so ist die 9. Stunde gemeint, hernach, bis 1837 10 Uhr; von

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da an wurden die Termine auf 11 Uhr anberahmt. - Für Rotulationstermine war die Nachmittagsstunde von 3 - 4 Uhr üblich.

Die Protocolle wurden von Canzlisten nach dem Dictamen geschrieben, lange Zeit hindurch aber von den Protocollführern nicht durch ihre Unterschrift beglaubigt. Erst 1748 habe ich die "subscriptio": "in fidem protocolli" gefunden.

Vota. Relationen.

Außer einzelnen (in den Jahren 1636, 1649, 1657, 1675) vorkommenden Fällen des Votirens auf den Actenstücken, wie dies bei den Regierungs= u. Cammer=Collegien=Acten bis in die neueste Zeiten Gebrauch geblieben ist, - findet sich schon im Jahre 1620 ein auf einem halben Bogen von der Hand des Decernenten aufgesetzter Vorschlag (votum) zum Erkenntnisse: "Ich bin der unvorgreiflichen Meinung" - -. "Citra praejudicium erwarte sentimentum D nrum Colleg arum . S. d. 11. Novbr. 1620. Joh. Oberb., Dr.", und darunter "Consentio, daferne die Sache in der Nachfrage sich also befindet, quod ex Actis nondum apparet. M. Bruns". - "H. Meier". - Ferner 26. Octbr. 1622 in einer Untersuchungssache wegen Diebstahls: "Ich halte es dafür, daß - -; doch salvo. Joh. Oberb., Dr.". "Item M. Bruns". "H. Meier". Beide Urtheilsvorschläge, kurz, concise, liegen in den Actenstücken, und nach ihnen ist von der Hand des Decernenten (Raths Oberberg) die Decretur aufgesetzt. So giebt am 16. Mai 1620 Christoph v. Hagen: "Mein Bedenken". Und Joh. Oberberg schreibt darunter: "So viel ich in Eile befinden können, ist das delictum dermaßen beschaffen, daß er (Piel) billig vom Fiscal belanget werde". - Unter ein Votum Jasmunds vom 2. Mai 1623 schreiben Joh. Oberberg und Dr. Meier ihr "Fiat". - Zu Abschieden auf Vorbescheide finden sich derartige Vota äußerst selten (z. B. 11. Jun. u. 21. Sept. 1626), da die Entscheidungen fast stets sofort in Tno. aufgesetzt sind und schriftliche Berathungen selten Statt gefunden zu haben scheinen. Eine eingehendere schriftliche Bearbeitung des zur Frage stehenden Rechtfalls ist überall erst mit der sich immer mehr Bahn brechenden juristischen, förmlichen Prüfung der streitigen Fälle in's Leben getreten, und seit den letzten Decennien des 17. und durch das 18. Jahrhundert hindurch, bis zur Aufhebung der Justiz=Canzlei kommen als Regel "vota", "relationes", "correla-

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tiones" in zuweilen voluminöser Form vor. Sie sind von den Decernenten chronologisch geordnet, gesammelt, und nach ihrem Tode oder Abgange in versiegelten Fascikeln als ein Heiligthum in der Registratur für sich aufbewahrt. - Auffallend sind Vota und Decretur in Hexenprocessen aus den Jahren 1659-1711; sie lauten höchst lakonisch: "Tortura"! "Ignis"! "Gladium"! - Bis in das Jahr 1844 sind die Vota nie zu Händen der Schreibstube gekommen; der Urtheilsverfasser (Decernent) setzte nach Maßgabe der Ansichten die Verfügung, das Urtheil u. s. w. mit seiner Hand auf, und es war zur strengsten Gewissenssache geworden, den Inhalt der Berathungen geheim zu halten, so daß, wenn aus älteren Fascikeln früherer Mitglieder ein oder das andere Votum zum Nachlesen von einem Rath gewünscht wurde, der Director sich aus der Registratur das bezügliche Actenbund geben ließ, es im Collegium entsiegelte, das betreffende Votum herausnahm und sofort das Bund mit seinem Petschafte wieder versiegelte. Als bei Gelegenheit der zweiten Visitation des Geschäftsbetriebes die Vereinfachung der Arbeiten des Collegiums zur Frage stand, machte ein Rath, der nicht bei der Justiz=Canzlei als Auditor und Canzlei=Rath fungirt hatte, den Vorschlag, die Vota dem Extendenten oder Expedienten zur Ausfertigung oder Reinschrift hinzugeben, da diese ja auch auf Verschwiegenheit beeidigt seien, "und an einem solchen voto doch eigentlich nichts gelegen sei"; diese Aeußerung und dieser Vorschlag rief aber eine solche Entrüstung hervor, daß der Dirigent sich zu einem besonderen, höchst animirten, mißbilligenden P. M. zum Diarium der Visitation veranlaßt fand. Jedoch seit den fünfziger Jahren dieses Jahrhunderts ward es immer mehr gewöhnlich, die Vota den Extendenten und Schreibern zugehen und aus ihnen Extensionen, Urtheile u. s. w. in Reinschrift anfertigen zu lassen. -

Gesammelt, alljährlich zur Registratur, seit 1856 zu Händen des Canzlei=Directors geliefert, sind die Vota separat asservirt worden.

Form der Decretur (bei Proceßleitung).

Das Decret wurde, wenn Actenstücke in Briefform eingingen, mochten es Vorträge von Privatpersonen oder Zuschriften der Regierung oder anderer Behörden und Gerichte sein, bis 1846 regelmäßig auf den unteren Raum rechts von der Adresse an den Landesherrn, resp. an die Justiz=Canzlei geschrieben, kamen sie in Quartformat, auf die

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Rückseite der Eingabe. Seit 1846 wurden alle in Briefform eingehende Anträge in einem von der Registratur anzulegenden Rubrum, auf einem ganzen, in Quart zusammengelegten Foliobogen, zur Decretur vorgelegt.

Die Decrete sind von dem jedesmaligen Decernenten aufgesetzt, aber bis in die letzten Decennien des 17. Jahrhunderts (bis auf vereinzelte Ausnahmen) sowenig von ihm, wie von einem andern Mitgliede des Collegiums signirt, während diese Signatur späterhin Vorschrift war.

Selbst auf die Gefahr hin zu weitläufig zu sein, will es mir geboten scheinen, um den modus decernendi in den ersten Jahren der Tätigkeit der Justiz=Canzlei für die Nachwelt aufzubewahren, die Decretur aus einigen Processen zu geben. Im Allgemeinen unterscheidet sich die Urform derselben in dem Jahre 1613 von der seit 1750 gebräuchlichen wenig.

In Sachen Winterfeldt gegen Hannen, Gebrüdere, wegen Arrestes 1613: [1] "Detur inclusa copia mandatum petitum cum clausula. Sign. d. 27. Maerz 1613". - [2] "Inclusa copia renovetur mandatum proximum sub comminatione executionis. Sign. 16.May 1613". - [5] "Inclusa copia detur mandatum cum clausula et termino XIV dier., suppl. zu befriedigen, damit nicht nott den gebetenen Arrest zu verhengen. Sign. d. 4. Martii 1614". - [7] "Hujus copia soll beclagten zugeferttigett werden, darauff zu vernehmen, wie ihr jüngst eingeschickter Gegenbericht hiedurch abgelehnett, addito mandato, daferne sie hiewieder weiter mit guttem Grunde und Bestande nichts einzuwenden, daß sie supplicanten nochmals befriedigen, sub comminatione executionis. Sign. d. 23. Februar 1616". - [10] "Inclusa copia mandetur Beclagten, hieruff ihre endliche und schließliche Notturfft innerhalb 14 Tagen einzuschicken, und soll daeruff, damit in diesem casu dubio kein theill mit Fuege sich zu beschweren, ein Tag zur rotulation und verschickung der Acten zu Einholung eines rechtmessigen Urtheils angesetzt werden. Sign. d. 28.Septbr. 1618". - [12] "Weil insinuatio nicht mitt bescheiniget, allso soll hieruff abermall ein Tag zur inrotulatio und Verschickung der Acten angesetzet, undt das gegentheill copia inclusa dazu, sub poena 20 thall. undt comminatione, daferne sie nicht erschienen, doch alsdann, probata insinuatione, ungesäumt nicht destoweniger mit rotulir- und Verschickung der Acten verfahren, auch die verwirckte poen undt ihr antheill urtheillsgeldes undt bottenlohns durch die Execution abgefürdert werden soll, citiret werden. Sign. d. 11 . Juni 1619" - [17] "Hujus copia soll Beclagten

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zugeschicket werden, addito mandato, daß sie supplicanten befriedigen und clagloß stellen, oder aber, daferne sie mitt ihrem Beweiße vermuge der erofneten Urtheill gehort werden wollen, deßfalls ihre notturft innerhalb 4 Wochen einschicken sollen. Sign. d. 9. Januar 1620". - [18] "Registretur" (NB für das später gewöhnliche Decret: "ad Acta"), "d. 14. März 1620". -[21] "Registretur et Communicetur ulterius supplicanti". "Sign. d. 22. Juni 1621. - [22] "Registretur ad Acta, et detur ulterius supplicanti hujus copia". - [23] "Respondeatur supplicanti, daß ehr erstlich billig sollte erkundigt haben, ob von Seynem gegenteill zur Ablehnung etwaß einbracht, ehe dan ehr s hitzig herausfeeret und die rethe bedreuwet. Sign. 12. Februar 1622". - [29] "Inclusa copia detur mandatum ahn die Beampten biß auff ferner bescheitt einzuhaltten" (NB mit der ihnen aufgetragenen Execution). "Sign. d. 25. Februar 1626" - [30] Detur copia deßen, was ex adverso angetragen. Respond. supplicantin, weill Beclagte nicht allein die Vollkommenen Kaufgelder, besond. auch darüber außgezahlt bescheinigt, als dieselben nunmehr billig zu absolviren. Sign. d. 19. Martij 1623".

In Sachen A. N's. gegen Gebr. die W., wegen ihrer Hausfrauen hinterstelliger Aussteuer, 1621: [1] "Inclusa copia mandetur Jochim Griese (NB Stadt=Vogt), beide Theile für sich zu bescheiden und Rechnung von denselben aufzunehmen, auch dieselbe zu ferner Rechtmessiger anordnung anhero einzuschicken. Sign. Schw. 14. April 1621". - [5] "Detur, inclusis copiis et praecedentis supplicationis und der Beilagen copiis, citatio an W. ad diem 5. Octbr. die liquidation anzustellen"; und "Citetur supplicans per responsum, cum comminatione, daß ihm sonst zu seiner Forderung nicht verholffen, und er in die verursachten unkosten verurtheilt werden soll. Sign. Schw. d. 30. August 1622". - [11] "Weil diese Sache in Terminis executionis versiret, und dieselbe in Actis genügend ausgefhürt, Ist der erbetene Vorbescheid abgeschlagen. Sign. Schw. d. 29. April 1623". - [22] "Dentur promotoriales an die HoffGerichtsRhete zu Sternberg, supplicanti gebürende und schleunige Rechtens zu verhelfen. Sign. Schw. d. 7. Septbr. 1623". - [29] "Detur immissio ins Gut Vielist citra praemonitionem, salvo cujusq. jure. Sign. Schw. 12. Januar 1624".

Auch möchte ich noch einzelne Decrete aus den Jahren 1613-1660 mittheilen, ihrer Form, auch des Inhalts wegen: 1613, 10. Septbr. "Es soll dieser Appellation ungeachtet in den Sachen beschehen, was Recht ist". 1614, 12. März: "Ist

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nicht juris und deßbalb abzuschlagen". - 1615, 20. Octbr.: Incl. copia mandetur suppl ti seine schließliche Notturff in Termino hieruff gewiß einzubringen, damit dieser Sachen endlich einmal abgeholfen werden möge." - 1615, 20. Novbr.: "Wann weiter angehalten wirtt, sollen die Parteien ad audiendam sententiam, dazu ihnen alßdann ein Tag zu nennen, anhero citirt werden". - 1616, 4. Januar: "Rotulentur acta uff den 13. dieses et mandetur den Partheyen ut styli". (NB. wegen Beibringung "der Urtel und Bottenlohns".) - 1616, 6. Juni: "Detur executio uff 12 Thaler moderirte gerichtskosten".

1633. Einfache Decretur in Klage=Sachen Kurd B's gegen H. v. P. wegen 300 Thaler Schuld sammt den verheißenen Zinsen: auf die Klage: "Dentur Citationes zum Vorbescheid uff den -"; auf den Anruf: "Renoventur priores citationes ad diem . . et cum annexo mandato, alßdann sub poena 50 Rthlr. unauspleiblich zu erscheinen"; auf die Vernehmlassung: "Detur instantiae copia (i. e. communicetur)". Protocollum Termini, sofort erfolgt Abschied, und Acta schließen.

1637: Hierüber soll pars adversa gehört werden, und so sie dieser kleinen sachen wegen sich lieber nicht ungemach und unkosten sparen mögte, innerhalb 3 Wochen zu fernerer gerichtlicher Verordnung ihren gegenbericht einschicken".

1643: "Mandetur reae, da sie dawider mit Bestande nichts erhebliches einzuwenden hatt, daß sie sich mit Supplicantinnen dieser Forderung halber innerhalb 3 Wochen abfinden, oder rechtmeßige Uhrsachen ihrer Nichtschuldigkeit in praefixo termino einschicken soll".

1643 finde ich in Sachen Ch. Gs. gegen J. H. wegen Schuld zuerst das Decret: "Communicetur" (statt: "Registretur et detur instanti copia"). - [13] "Dirigatur immissio in die genannten Pawren, und ist die Summa 409 Mark Cappitall".

In einer Sache in pcto. debiti et fidejussionis, 1644: [1] "Inclusis copijs mandetur solutio cum clausula et termino consuetis. Sign. 10. April 1644". - [3] "Inclusa copia renovetur praecedens mandatum in forma arctiori sub comminat. execut. Sign. 13. Mai 1644". - [4] "Inclusa copia renovetur ex abundanti mandatum antecedens sub poena paratissimae executionis. Sign. Schwerin, 4. Februar 1646". - [7] "Dentur in contumaciam executoriales de assecuranda sorte et solvendis usuris salvaque moderatione

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expensis, neben Erlegung des halben Hülfsgeldes, sub praemonitione solita. Schwerin, d. 28. Octbr. 1646." - [11] "Inclusa copia detur der erpetene Vorbescheid, et citentur nominatae personae in patenti forma ad diem 31. Martij singulae sub p. 30 Rthlr". "Suspendatur executio biß uff den angesetzten Vorbescheid. Sign. Schwerin d. 21. Jan. 1647". - Protocollum vom 31. Martii 1647: Die Sache wird verglichen. Abschied vom 31. März 1647.

1663, 1664, in causa Habekorst contra Gunzel pcto. reluitionis, kommt wohl noch die nicht ganz proceßordnungsmäßige Decretur vor: "Hierüber ist Suppl. zu hören", d. 16. Novbr. 1663, und: "hierüber ist Suppl. gleichfalls zu hören", ohne daß irgend ein praejudicium oder Strafe gedroht wird; auch ferner: "Resp., daß sein Gesuch fürzeitig sei, und demselben noch zur Zeit gebetenermaßen nicht deferiret werden möge. Sign. d. 12. May 1664".

Aber es bricht sich die bis auf die späteste Zeit beibehaltene Form der proceßleitenden, streng juristischen Decretur in Civilsachen, namentlich wohl durch den Eintritt der vom Auslande in das Collegium berufenen Rechtsgelehrten (wie Brüning, Lüttich, v. Mithoff), immer präciser und consequenter Bahn. Der, man möchte sagen, früher zuweilen landesväterliche, wohlmeinende, berathende Ton hört in den Decreten auf, und der Canzleistil wird allgemein.

Außer der proceßleitenden Decretur kommt eine besondere Form in Concursen, Criminalsachen, selbst in Curatelen nur selten vor. So lautet z. B. das Decret auf ein Gesuch der Wittwe V. um Bestellung des Dr. Nicolaus Eggebrecht zum Vormunde ihrer minorennen Kinder unterm 7. März 1633: "Fiat secundum petita, uti styli est", während das Bestellungsdecret für einen Vormund in der Mitte des 17. Jahrhunderts schon präciser dahin gefaßt vorkommt: "Detur confirmatio auff den Dr. Praetorium umb die Tutel auf sich zu nehmen. Sign. d. 4. Octbr. 1653", und im Jahre 1670 ad Acta Curat. v. d. Hart'scher Minorennen: "detur Curatorium in forma solita", eine Form, die allen späteren Bestellungen bis in die letzten Zeiten zum Grunde liegt.

Form der Abschiede und Urtheile.

Die Form der Abschiede und Urtheile ist sich von der frühesten Zeit bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts auffallend gleich geblieben. Die der ersteren war stehend folgende: "In Sachen des X., Imploranten (Klägers), eines,

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entgegen und wider den Y., Impetraten (Beklagten), am andern Theil, in puncto - -, giebt der Durchl. (voller Titel) allem eingenommenen An= und Vorbringen nach zu Recht diesen Bescheid: daß - - soll. V. R. W. Publ. Schwerin, d. - - "; und die gewöhnliche Form der Urtheile war diese: "In Sachen des X., Klägers, an einem, wider den Y., Beklagten, am andern Theil, puncto - -, erkennen Wir (voller Titel des Landesherrn) nach eingesehenen und wohl geprüften Acten", - bei ab extraneis eingeholten Erkenntnissen: "nach vorgepflogenem Rath auswärtiger Rechtsgelehrten" - "hiermit für Recht: daß es etc . - Von Rechts Wegen! Publ. Schwerin, d. - - ".

Bis zur Verordnung vom 9. Februar 1775 enthielten Urtheile wie Abschiede selten oder nie Rechts=Ausführungen oder weitläufigere Beurtheilungen des von den Parteien in den Acten Vorgetragenen; von 1775 an aber wurden die von den Facultäten ihren Erkenntnissen beigelegten rationes dubitandi und decidendi, namentlich die letzteren, den Canzlei=Entscheidungen inserirt; und es galt bis zum Jahre 1846 bei hiesiger Justiz=Canzlei für ein Criterium eines gelungenen, vollkommenen juristisch richtigen Urtheils, wenn die Gründe demselben so eingeschachtelt und entwickelt waren, daß das ganze, oft durch mehrere Bogen laufende Erkenntniß, mit: "In Sachen" etc . beginnend, bis zum Schlusse nur ein einziger Schlußpunkt auszeichnete. Ich könnte solche Erkenntnisse hundertweise zur Belegung meiner Angabe beibringen; ich habe es bei deren Verlesung, so lange Urtheile noch förmlich publicirt wurden, vielfach empfunden, welcher Anstrengung der Lungen es dazu bedurfte, ich weiß aber auch, wie die Abfassung dieserartiger Erkenntnisse der Stolz der älteren Mitglieder des Collegiums war. Nach der Verordnung vom 28. Januar 1846 hörten diese einathmigen Urtheile u. s. w. auf, und wurden die Entscheidungsgründe ihnen in besonderer Ausfertigung angeschlossen.

Expeditionen.

Zur Expedition der Decrete, von denen die Extensa in der ersten Zeit auf den Eingaben selbst, später auf einzelnen, halben oder ganzen, Bogen angefertigt sind, die Reinschriften in der bis auf die letzte Zeit gebräuchlichen Weise beschafft wurden, waren ein Secretair und zwei Canzlisten angestellt; die Registratur besorgte ein, auch zwei Registratoren, zu welchem Amte schon früher der erste Canzlist als zweiter

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Registrator herangezogen wurde. Der Canzleischreiber ward zum Copiren der nicht als Reinschrift expedirten Ausfertigungen, Anschlüsse etc . verwandt.

Die Ausfertigungen sind von der ersten Zeit der Canzlei an stets mit dem Namenszuge der Decernenten versehen, die Reinschriften (munda) bald vom Herzoge Adolf Friedrich unterschrieben (z. B. 22. Septbr. 1618, 16. April 1619), bald auch nicht (z. B. in derselben Sache 21. Juni 1619), und nur mit dem fürstlichen Siegel untersiegelt, letztere zuweilen mit der Unterschrift: "Ad mandatum serenissimi celsissimi proprium" (8. Januar 1667); 11. Oct. 1706: "Ad mand. S mi . proprium fürstl. Meckl. verordnete Präsident, Geheimbte und Räthe"; 23. Nov. 1707 und 5. Febr. 1712: Ad mandatum Serenissimi proprium. Fürstl. Meckl. verordnete Präsident, Director und Räthe; am 18. October 1785: "Ad mandatum Serenissimi proprium. Herzogl. Meckl. zur Justiz=Canzlei Verordnete Director und Räthe. A. C. Fromm"; contrasignirt: "J. Plate".- Die frühesten Contrasignaturen der Secretaire auf den Reinschriften sind mir in den 70er Jahren des 18. Jahrhunderts vorgekommen, von der Zeit an waren sie "vorschriftsmäßig", wie v. Schack in seiner Geschäfts=Ordnung vom 14. Januar 1819 sagt. Die Bestimmung selbst habe ich nirgends finden können, sowie außer den beiden Canzlei=Ordnungen sich über den Geschäftsbetrieb keinerlei General=Acten in der Registratur vorgefunden haben. Documenta Comparitionis, vom Registrator ausgestellt, finde ich schon im Jahre 1653 in S. v. Lützow ctr. v. Plessen.

Die Insinuation der Erlasse geschah noch bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts nicht von Amts wegen, sondern die Extrahenten hatten dieselben von der Schreibstube einzulösen und (im Proceß) den Gegnern, Zeugen und selbst den Commissarien zuzustellen.

Depositen=Wesen.

Die Canzlei=Ordnungen von 1612 und vom 25. August 1637 setzten fest, daß mit Bewilligung der Parteien, oder auf Verordnung der Räthe Geld oder Pfänder bei der Canzlei deponirt werden und von dem Registrator ohne sein sonder Beschwerde und pericul in der Canzley verwahrlich beigelegt werden dürften. Darnach war das Depositen=Wesen Anfangs ausschließlich in den Händen der Registratoren, und blieb es bis zum Jahre 1802. In den von Halberstadt'schen Concurs=Acten habe ich das früheste Deposi=

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tum gefunden; durch Mandat vom 22. Febr. 1615 wird von Halberstadt befehligt, von den bei ihm hinterstelligen Kaufgeldern des Guts Gottsgabe die zur Ausrechnung dessen, was seines Bruders Gläubigern annoch davon zukomme, erforderliche Quote "alßbald in Unsre Cantzley einzubringen und in depositum niederzuleggen". Unterm 6. März 1615 deponirte Christoffer Halberstadt nunmehr einen Theil dieser Kaufgelder, und es wurde ihm vom Registrator Langermann folgende Bescheinigung darüber ausgestellt: "Ich H. L. bekenne hiemit, daß der pp. Christoffer Halberstadt in meines Gnedigen Fürsten und Herrn Gewelbe hieselbst uffn Schlosse seines sehl. Bruders Lütken Halberstaten Creditoren zum besten deponiret und niedergesetzt hatt Zwo verschlossene Laden, darin Achttausendt gulden sein sollen. Zu Urkundt gegenwertiger meiner eigenen Handt und uffgedruckten Pitschafft. Actum Schwerin, den 6. Martii Ao. 1615". Und über die zweite beschaffte Einzahlung gab L. einen ähnlichen Depositen=Schein am 30. März 1615.

Von diesen deponirten Geldern baten unterm 27. März 1617 Andreas W. und V. L. ihnen bis zum nächsten Antonitermin 9000 Gulden verzinslich anleihen zu wollen, und brachten die Consense Christoph Halberstadts sowie des Deputirten der Gläubiger bei; und in der That ward am 27. März die "zu E. F. G. gnädiger Anordnung gestellte" Genehmigung dahin ertheilt, daß diesen gegen Bürgschaft und eine Verschreibung, "die 9000 Fl. neben eines Jahres Zinsen uff Antony des nächstfolgenden 1618 Jahres unfehlbar hinwiederumb in Unsere Canzlei - unverlangt einschicken zu wollen", - diese Summe aus dem Depositum einstweilen angeliehen werden sollte. - Uebrigens habe ich ähnliche vom Collegium bewilligte Verfügungen über deponirte Gelder in den Acten nicht gefunden.

Das Verfahren bei Depositionen war dieses, daß auf erfolgtes Decret ("Accepto deposito communicetur", oder Accipiatur a reg. pecunia et comm.") der Registrator die Depositen an sich nahm, darüber ein Attest unter seinem Namen ausstellte und sie später auf Befehl des Collegiums zurückzahlte. Ein Depositenbuch ward mindestens seit 1744 geführt, bis 1801, am 25. Aug., das Collegium das Depositenwesen in die Hand nahm. Um sich Gewißheit darüber zu verschaffen, ob irgendwie außer den öffentlich bekannt gemachten Depositen noch Interessenten vorhanden wären, und ob noch Ansprüche an die vor vielen Jahren deponirten und nicht abgeforderten Summen erhoben würden, erließ

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die Justiz=Canzlei unter dem 8. Mai 1802 Proclamata; allein in dem Präclusivtermin wurden, nachdem bis dahin zu einigen Specialacten angebrachte Liquidationen beseitigt waren, keine Ansprüche geltend gemacht, so daß am 15. Sept. ein Präclusivbescheid erfolgen konnte; und die von niemand in Anspruch genommenen vieljährigen Depositen wurden, wie angedrohet, dem Canzleifiscus zugeeignet. Ein "Geld=Depositen=Kasten", zu dessen drei verschiedenen Schlössern der Director und die Registratoren je einen Schlüssel führten, enthielt fortan die Deposita, über die seit 1811 ein Verzeichniß geführt ward, und die drei genannten Personen bezeugten durch ihre Unterschrift ihre Anwesenheit bei jeder Einlage oder Herausnahme. Alljährlich fand eine genaue Revision statt. In Folge der Münz=Conversion wurden 1848, der Verordnung vom 10. October gemäß, sämmtliche Deposita aus dem N2/3=Fuß in Courant=Thaler umgesetzt, ihr Betrag im Depositenbuche vermerkt, und dann wurden sie ebenso wieder aufbewahrt, bis im Jahre 1855 auf Antrag des Directoriums das Justiz=Ministerium genehmigte, daß die Mehrzahl der Gelddepositen an die Großherzogliche Renterei gegen Quittung und Revers ihrer ungesäumten Zurückzahlung im Fall der erforderlichen Benutzung ausgeliefert wurden. Bei der Auflösung der Justiz=Canzlei am 30. Sept. 1879 sind sämmtliche noch in ihrem Depositenkasten befindliche Gelder und Werthpapiere mit den bezüglichen Acten an die künftig competenten Gerichte abgegeben.

B. Außerprocessualische Thätigkeit der Justiz=Canzlei.

Wie weit die Competenz der Justiz=Canzlei reichte, ist im Allgemeinen schon im Bd. XLV, S. 183 angegeben. In Betreff ihrer Thätigkeit im Civilproceß gestatten wir uns unter C noch einige Bemerkungen zu machen, über ihr Wirken als Ehegericht handeln wir unter D und gehen auf den Strafproceß weiter unter E ein. Vorauf schicken wir einige Bemerkungen über die Thätigkeit in Sachen nicht streitiger Gerichtsbarkeit, in mehr administrativen Beziehungen und in der Ausübung von Dispensationen.

Attestate. Confirmationen.

Allererst mit der, im Anfang des 18. Jahrhunderts sich bemerklicher machenden, neu auftretenden Form der Decreturen

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auf nicht rein juristische Vorträge gewinnt die, bis dahin ungewöhnliche, der Atteste und Confirmationen immer mehr und mehr Boden. So wird im Jahre 1713 dem Doctor Müller zu Hamburg die Uebereinstimmung der Abschrift einer von dem v. L. ausgestellten Vollmacht mit dem Originale, dem F. am 26. Februar 1723 "seine gute Gebuhrt", unterm 22. Januar 1724 dem H. "seine gute Geburt und redliche Herkunft", unter dem 16. August 1726 der Wittwe I. ihre Legitimation als Erbin ihres in Hamburg verstorbenen Sohnes, unterm 8. Septbr. 1729 dem Baron und Canonicus Friedrich August v. Lützow zu Hof Brütz "seine ehrlich echt frei und edel Geburt", am 30. October 1758 dem Bürgermeister v. B. zu Dömitz die von ihm in Collegio ad protocollum vollzogene Unterschrift einer Cautionsschrift u. s. w., u. s. w. attestirt. Und ebenso kommen jetzt immer häufiger Gesuche um Bestätigungen einzelner Rechts=Geschäfte vor. Z. B. werden Ehepacten des Grafen v. Gr. am 10. Mai 1770 per decretum, die E.'sche Schenkung unter Lebenden am 8. März 1771 praevio termino per conclusum, die v. Z.'sche Auseinandersetzungs=Acte 1763 per decretum, der v. B'sche Familien=Vergleich 1751 per decretum, eine Eheberedung nach abgehaltenem Termine per decretum am 25. Sptbr. 1759 u. s. w. "bestätigt und confirmiret". - Ebenso wird unterm 6. October 1749 der Schuld=Verschreibung eines Fähnrichs praevio Tno. durch Bestätigung die Kraft öffentlicher Hypothek beigelegt.

Testamente.

Gerichtlich deponirte und publicirte Testamente sind in älteren Acten von mir nicht gefunden, am allerwenigsten die später gewöhnlichen Acta depositionis et publicationis testamenti. Das älteste mir bekannt gewordene Testament ist das vor Notar und Zeugen errichtete des Adam L., welches von dessen Erben Zwecks Publicirung bei der Canzlei eingereicht und am 2. Mai 1627 in einem Termine, in welchem die Interessenten auf Ladung erschienen waren, doch so sehr ohne alle Förmlichkeit publicirt ward, daß, wenn nicht ein Versehen des Protocollführers vorliegt, nicht einmal die Angabe des Richter=Personals beachtet ist. Ebenso wurde das vor Notar und Zeugen errichtete Testament des Melchior Sch. durch die Wittwe Sm= . überreicht und auf Befehl des Herzogs, "der den defectum solemnium publicationis in Seinem Namen ex plenitudine potestatis hiemit suppliret haben

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will", ohne Vorladung der Interessenten publicirt. Dann ward am 16. Decbr. 1657 das vor Notar und Zeugen errichtete Testament des Dr. Hein sen., praeviis citationibus an die Interessenten, im Collegium, desgleichen am 9. März 1659 das vor Notar und Zeugen von Hartwig v. d. Lühe auf Berenhagen errichtete Testament in Collegio publicirt; desgleichen am 9. Juni 1665 das ebenso errichtete der Elisabeth v. W. in praesentia Collegii, das seine Namens=Unterschriften unter demselben vollzog ohne abgehaltenes Protocoll, und am 14. Februar 1668 in gleicher Weise das Testament des Engelke Dessin zu Hohen=Pritz. - Am 19. Mai 1668 bittet die Wittwe des C. W. v. B. um Publication des testamenti notarialis ihrer Schwiegerin A. v. B. Decretum: fiat! Auf an die Intestat=Erben erlassene Ladungen ist das Testament in deren Gegenwart sowie in der des Vice=Canzlers und der Räthe Dr. Wedemann und Dr. Kirchberg, deren Namen cum notitia diei publicationis unter dem Testamente stehen, aber ohne abgehaltenes Termins=Protocoll, am 10. Juli 1668 eröffnet. - Am 9. Mai 1671 ist das von der M. v. V. übergebene, vor Notar und Zeugen errichtete Testament ihres Ehemannes publicirt durch bloßen Abschied: "In Testaments=Sachen des - - giebt (Tot. tit.) S mus auf den ad instantiam der Erben anberahmten Termin zur Publication - - den Bescheid" (daß solches publicirt sei). - Am 7. Mai 1695 ist das 1684 vor Notar und Zeugen errichtete gegenseitige Testament des H. v. L., Hauptmanns des Amts Marnitz, und seiner Ehefrau auf Ansuchen der Wittwe von der Regierung publicirt, und wird von derselben unterm 8. Juni 1695 wegen der durch den Bruder des Verstorbenen dagegen ex capite nullitatis erhobenen Ansprüche zum weiteren Verfahren der Justiz=Canzlei übersandt. - Die Privattestamente der verwittweten Doctorin v. H. vom 14. Febr. 1690 und vom 29. Juni 1690 werden nach ihrem Tode von dem Superintendenten Statius zu Doberan eingesandt und am 30. Juni 1691 im Collegium der Justiz =Canzlei publicirt. - Als im Jahre 1713 die Erben des v. L. zu Sch. zu den Curatel=Acten um Abschrift des von ihrem Erblasser errichteten Testaments, das sie Zwecks Publication desselben eingereicht haben, bitten, erhalten sie unterm 29. Novbr. 1713 zum Bescheid, daß sie zuvörderst Ladungen der Interessenten, welche bei Eröffnung des Testaments zugegen gewesen, erbitten sollen. - Am 8. März 1719 hat Pastor M. W. G. zu Gägelow per supplicam nebst dem protocollo notariali sein Testament Zwecks demnächstiger

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Publication übergeben, dasselbe aber am 2. März 1722 zurückgenommen.

Am 2. März 1742 ist beim Vorbescheide ad protocollum das Testament des v. Gl. übergeben; und seit der Zeit findet sich diese Art der gerichtlichen Deposition der letzten Willen vielfach. Die deponirten Testamente wurden bis zu ihrer Publication oder Zurücknahme gesondert aufbewahrt, nach dem Tode der Testatoren aber in terminlicher Sitzung entweder ex officio oder unter Vorbescheidung der Interessenten öffentlich publicirt, in Abschrift zu den etwa erwachsenden Curatel= oder Nachlaß =Acten gebracht, die Originale aber bis zum Anfange dieses Jahrhunderts im deposito behalten.

Mündlich ad protocollum errichtete Testamente sind allerdings auch, jedoch nur seltener, vorgekommen; Regel ist die Ueberreichung der schriftlich aufgesetzten letztwilligen Dispositionen, in Couverten von Quart oder Octavformat, fünffach (zuweilen auch weniger, selbst nur ein Mal) mit dem Siegel des Testators - das er noch besonders zu Protocoll als solches recognosciren mußte - in Lack versiegelt. Ueber die geschehene Deponirung und Annahme durch das Gericht ward ein attestatum depositionis ertheilt.

Zur Entgegennahme der Testamente außerhalb der gewöhnlichen Raths= Sitzungen wurden zwar gewöhnlich zwei Mitglieder, jedoch zuweilen, nach Befinden des Collegiums, auch nur ein Mitglied des Gerichts mit einem Protocollisten deputirt; und in den letzten sechs Decennien dieses Jahrhunderts war die Deputirung nur eines Mitgliedes des Collegiums und eines Registrators zur Protocollführung das Gewöhnliche.

Sämmtliche bei der Großherzogl. Justiz=Canzlei bis zum 30. Septbr 1879 deponirte, aber noch uneröffnete Testamente sind, der Verordnung vom 5. August 1879 gemäß, an die künftig für den Nachlaß der Testatoren competenten Gerichte mit den Acten über ihre Niederlegung abgegeben. Bis zu den 20er Jahren dieses Jahrhunderts sind viele publicirte Testamente im Original separatim reservirt und nur Copien derselben, von der Hand des Gerichts=Personals, zu den bezüglichen Nachlaß= oder Curatel=Acten gelegt. Von denselben sind besondere Verzeichnisse vorhanden.

Versiegelung der Nachlasse.

Durch frühere Verordnungen, vom 14. Februar und vom 23. Mai 1788, war schon festgesetzt, wie es mit der Versiegelung des Nachlasses eximirter Personen, welche beziehungs=

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Weise in Städten, die der Jurisdiction hiesiger Justiz=Canzlei unterworfen, oder in den Stifts=Städten wohnhaft gewesen, gehalten werden solle; und eine weitere Verfügung darüber, wie es in Sterbefällen mit richterlicher Versiegelung und Inventur des Nachlasses zu halten sei, war unterm 8. December 1790 ergangen. Die Constitution wegen Versiegelung in Sterbefällen canzleisässiger Personen vom 10. März 1801 machte der bisherigen Unbestimmtheit der Landes=Gesetze und den mancherlei Verwickelungen und Unordnungen bei Beantwortung der Frage, wie es bei dem Ableben einer canzleisässigen Person mit der gerichtlichen Versiegelung ihres Nachlasses zu halten sei, ein Ende, und nach derselben ist es bis zum Schlusse des Geschäftsbetriebes der Justiz=Canzlei gehalten. Gesuche um Nichtversiegelung wurden bei derselben angebracht, auf dieselben eine erbetene Zusicherung dieserhalb den Antragstellern ertheilt oder ihre Beachtung der Registratur aufgegeben, welche bei eintretendem Todesfalle sie ex officio der Anzeige von demselben jungirte. Von auswärts wohnenden Antragstellern wurden den Gutsbesitzern die Versicherungen über Unterlassung der Versiegelung per notificatorium direct ertheilt, falls die Auswärtigen aber unter Niedergerichten domicilirten, an diese ein Mandat de non obsignando erlassen und den Supplicanten Abschrift dieser Verfügung zugefertigt. - In Folge der Verordnung vom 5. August 1879 sind alle bei der Justiz=Canzlei eingegangenen Gesuche um Nichtversiegelung an die für den künftigen Nachlaß competenten Amtsgerichte abgegeben.

Aufsicht über die Niedergerichte.

Der eigene Geschäftsbetrieb der Justiz=Canzlei ist erst seit der Errichtung des Ober=Appellations=Gerichtes als des Landes=Gerichtshofes dritter und letzter Instanz, und zwar viermal, in den Jahren 1826, 1839, 1855 und 1876, auf Verfügung der Großherzoglichen Regierung, resp. des Justiz=Ministerii, durch ein Mitglied des Ober=Appellations=Gerichts visitirt worden.

Andererseits war die Controle des Verfahrens der Niedergerichte und ihre Ueberwachung durch die Justiz=Canzlei (Trotsche I, S. 297 f.) eine Folge der von Letzterer von jeher geführten Oberaufsicht über jene. Schon vor dem Erscheinen der Regiminal=Verfügung vom 17. Januar 1831 hatte die Canzlei über jedes Niedergericht Specialacten=Fascikel angelegt, in welche sie alle an jene erlassenen Rügen

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sammelte, also die durch jene Verfügung angeordnete Controle schon längst beachtet. Bei allen diesen Specialacten befand sich ein übersichtliches Verzeichniß der ergangenen Weisungen, Rügen über die wegen verzögerter Justiz erhobenen Querelen, und überall war die unausgesetzte, sorgfältige Beachtung der Niedergerichte und die angemessene, ernste obergerichtliche Einwirkung darauf ein Hauptaugenmerk der Justiz=Canzlei. Das Gleiche gilt von der durch das Rescript vom 22. Aug. 1828 angeordneten Controle des officiellen Betriebes der Amts= und Stadt=Gerichte in Curatel= und Concurssachen, als deren Resultat ein mehr geordnetes Curatel= und Concurswesen bei den Untergerichten hervortrat, eingeschlichene Misbräuche abgestellt wurden und Gleichförmigkeit in der Behandlung herbeigeführt ward. Ebenso wurde das Criminalverfahren bei den Niedergerichten strenge beaufsichtigt, auf die prompteste Einsendung der von den Criminalgerichten einzureichenden Straferkenntnisse sowie der Quartallisten über vorgekommene Untersuchungen gehalten, diese genau geprüft und verglichen, und wo Bedenken aufstießen, wurden die Untersuchungsacten eingefordert und nach sorgfältiger Prüfung erforderlichen Falles mit den nöthigen Weisungen zurückgesandt.

Gaben einzelne Niedergerichte dazu Veranlassung, so beantragte die Justiz=Canzlei bei der Landes=Regierung (später bei dem Justiz=Ministerium) die Visitation des dortigen Geschäftsbetriebes und committirte nach erfolgter Genehmigung dazu einen geeigneten Beamten. Auf dessen Bericht erließ die Justiz=Canzlei die erforderlichen Verfügungen an das visitirte Niedergericht und legte der Regierung demnächst die erwachsenen Acten zur Kenntnißnahme vor.

Prüfung der Justitiarien, Advocaten und Notarien.

Die bis zum 29. Septbr. 1837 der Justiz=Canzlei obliegende Prüfung der Justitiarien, welche (s. Trotsche I, S. 170) demnächst dem Ober=Appellations=Gericht übertragen ist, wurde in der Weise bis zum J. 1834 beschafft, daß dem Examinanden am Abend vor dem Prüfungstage Civilacten vom Directorium eingehändigt wurden, und er vor dem versammelten Collegium über diese eine mündliche Relation mit angefügter motivirter Entscheidung zu geben hatte. Genügte diese, so ward er am nächsten Tage von einem dazu deputirten Mitgliede des Collegiums über die verschiedensten Rechtsfragen aus dem Civil= und Criminalrecht, namentlich aber

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aus dem Proceßrechte, mündlich geprüft, und seine Antworten wurden protocollirt. Nach dem Ergebniß dieser beiden Prüfungen ward ihm, wenn es befriedigte, die Bescheinigung ertheilt, daß er nach bestandener Prüfung in numerum der zur Verwaltung des Justitiariats=Amtes designirten Rechtsgelehrten aufgenommen sein solle. Das Resultat ward an die Landes=Regierung berichtet und demnächst in dem Wochenblatt und in dem Intelligenzblatt veröffentlicht, während bei ungünstigem Verlaufe der Prüfung nur dem Examinanden davon Anzeige gemacht wurde. Nach der Regierungs=Verfügung vom 23. Juli 1834 aber hatte, wer sich zu der Prüfung meldete, eine schriftliche Relation aus Criminalacten zu liefern und dann im Canzleigebäude, in Gegenwart des Canzleisecretairs, 1) an einem Tage eine Concurs= oder Curatel=Massen=Berechnung zu revidiren und darüber ein Revisions=Protocoll und den Revisionsbescheid auszuarbeiten, und 2) aus Civilacten an einem Tage ohne litterarische Hülfsmittel eine protocollarische Verhandlung, sowie die durch Gründe gehörig unterstützte Entscheidung abzufassen, demnächst mündlich vor dem Collegium zu referiren und mit motivirten Urtheilsvorschlägen vorzugehen. - Wenn diese Arbeiten genügend befunden waren, so erfolgte an einem weiteren Tage die mündliche Prüfung. Das Resultat der Prüfung ward demnächst an die Regierung berichtet.

In dem unterm 14. August 1753 der Justiz=Canzlei zur Begutachtung mitgetheilten Entwurf zu einer "Constitution und Verordnung, wornach die Advocati und Procuratores bey Dero fürstlichen Collegiis und Gerichten sich verhalten sollen", ward sub I festgesetzt, daß hinfüro niemand, er sei graduirt oder nicht, bei den Landesfürstlichen Gerichten zur Advocatur zugelassen werden solle, er habe denn zuvor bei einem der Justiz=Collegien sich examiniren lassen und eine Probe=Relation abgeleget, mithin seine gründliche Rechtswissenschaft und Geschicklichkeit zur Advocatur sattsam bewährt, und festgesetzt, "daß das Gericht zwey Räche ihres Mittels zur Vornahme der mündlichen Prüfung benenne, welche nach vollbrachtem Examine von des Candidati befundener Fähig= und Geschicklichkeit, mit Beyschließung des gehaltenen protocolli, ihren umständlichen gewissenhaften Bericht auf ihren Amtseid abstatten sollen." Erscheint nach diesem Berichte der Candidatus zur Praxi wohl qualificirt, dann sind ihm einige Acta von Wichtigkeit zu Verfertigung einer ordentlichen Proberelation vom Director des Collegii zuzustellen, und hat der Examinand diese in loco anzufertigen und längstens

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binnen 3 oder 4 Wochen mit eidlicher Unterschrift, daß er selbige ohne jemandes Hülfe, selbst ausgearbeitet habe, nebst den Acten an dasselbe Collegium einzureichen, welches die Arbeit zu prüfen, und, wann dadurch des Candidati Geschicklichkeit bestärkt wird, ihn nach Ablegung des ordnungsmäßigen Advocateneides unter die Zahl der ordentlichen Advocaten bei demselben Gerichte aufzunehmen und zu immatriculiren hat.

Mit diesem Vorschlage erklärte in seinem Berichte vom 9. December 1753 das Collegium der Justiz=Canzlei sich vollständig einverstanden; und wenngleich diese projectirte Advocaten=Ordnung demnächst nicht in's Leben getreten ist, hat doch bei der in den Jahren 1773 oder 1774 eingeführten Prüfung derjenigen Rechts=Candidaten, welche sich zu Canzleiauditoren und später zur Advocatur meldeten, ohne Doctores juris zu sein, der Tenor dieses Gesetzvorschlages zum Grunde gelegen, nur mit der Modification, daß der Candidat zuvörderst die Proberelation auszuarbeiten, und demnächst vor versammeltem Collegio die mündliche Prüfung zu bestehen hatte. Ueber das Resultat des Examens wurde an die Regierung bei Einsendung der Proberelation zwar berichtet, das Collegium enthielt sich bis zum Jahre 1831 aber jeder Bemerkung über Fähigkeit oder Unfähigkeit des Candidaten, dem weiseren Ermessen S mi das Weitere überlassend. Unterm 21. April 1831 gab die Regierung jedoch dem Collegio auf, forthin den Candidaten nach absolvirter Prüfung ein Attest ihrer Befähigung auszustellen, welches dieselben dann der Regierung zur Erreichung der Advocaten=Matrikel vorzulegen hatten; und das, bislang nicht gar zu schwere, Examen wurde auf desfallsigen Regierungs=Befehl vom 4. Juli 1834 bedeutend geschärft. Es hatten fortan die Candidaten außer der Ausarbeitung einer formellen Relation sich einer mehrtägigen Prüfung zu unterziehen, Stellen aus dem Corpus juris schriftlich zu übersetzen und zu commentiren, schriftliche Fragen schriftlich zu beantworten, eine Klage= und Exceptionsschrift auszuarbeiten - alle diese Arbeiten im Canzlei=Gebäude unter Ueberwachung durch einen Canzleibeamten - und bei befundener Tauglichkeit dieser schriftlichen Arbeiten, eine mündliche Prüfung vor versammeltem Collegio zu bestehen. Durch die Verordnung vom 21. April 1837 ist die Prüfung der Rechtscandidaten der Justiz=Canzlei abgenommen.

Nach Emanirung der Verordnung vom 26. Jan. 1786 über das Examen der Notarien wurden die sich bei hiesiger Justiz=Canzlei meldenden Candidaten, nachdem sie entweder eine Bescheinigung etwa absolvirter juristischer Laufbahn auf

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einer Universität, oder mehrjähriger Beschäftigung als Schreiber bei einem Advocaten zuförderst beigebracht hatten, von einem Mitgliede des Collegii stundenlang gründlich in allen Elementarlehren des Römischen Rechts, hauptsächlich aber über Kenntniß der zur Ausübung des Notariats erforderlichen gesetzlichen Bestimmungen und Formalitäten geprüft; ein Protocoll wurde aber über die Beantwortung der einzeln gestellten Fragen nicht speciell, sondern nur allgemein über das vorgenommene Examen und dessen Resultat aufgenommen, dasselbe dem Gesammt=Collegium vorgelegt, auf die mündliche Bericht=Erstattung des Examinators die Zulässigkeit oder Unzulässigkeit des Candidaten ausgesprochen, und das Resultat demselben schriftlich notificirt. -

Verfügungen und Dispensationen in Gnaden= und Hoheits=Sachen.

Wie schon in der Zusammenstellung über die Jurisdictions=Gränzen und die Wahrung des Ansehens der Justiz=Canzlei gesagt ist (Bd. XLV, S. 183, 220), nahm bis gegen das Ende des 18. Jahrhunderts dieselbe, als Repräsentantin des Landesherrn, das Recht für sich in Anspruch, in Gnaden= und Hoheits=Sachen Verfügungen und Dispensationen zu erlassen. In Sponsalien=Sachen H. gegen St. vom J. 1669 trennte die Justiz=Canzlei in dem Abschiede vom 18. Nov. 1670 das gültig geschlossene Verlöbniß aus Gründen der Billigkeit "Kraft der von Ihro fürstl. Durchlaucht" (Herzog Christian Louis) "heimbgelassener dispensations=Befugniß". Sie hielt sich durch die Verordnung vom 2. März 1750, da diese die Justiz=Collegien bei ihren Rechten und Vorzügen alle Wege beließ und sie darin ernstlich zu schützen versprach, ebenso wenig wie durch mannigfache Einsprachen des Consistoriums in Ehe= und Sponsalien=Sachen in Ausübung ihrer vermeintlichen Berechtigung beschränkt, wie sie in ihren verschiedenen Berichten ad Serenissimos aussprach, und empfahl noch in ihrem letzten Vortrage vom 13. Mai 1791 diese "für das Collegium so interessante" Angelegenheit auf das Devoteste der Allerhöchsten Gnade. Ein nicht unwesentliches Motiv zu diesem zähen Festhalten an ihrem vermeintlichen Rechte war nun wohl auch der in diesem letzten Berichte offen dargelegte Geldpunkt. Denn: "Sollten wir", heißt es dort, "aber gleichwohl wider alles unser Erwarten unverschuldet dieses uns von allen Durchlauchtigsten Herzögen gerecht gnädigst

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gegönnten Vorrechts beraubt werden, so würden wir doch allemahl vorher, wegen des uns daraus entstehenden Nachtheils, eine hinlängliche Entschädigung Ehrfurchtvoll uns versprechen können. Denn da dergleichen Concessiones von jeher von Unserm Collegio ertheilet worden, und die dafür zu erlegenden Gebühren, welche, da unser Gehalt ohnehin äußerst geringe ist, dazu eine unentbehrliche Beihülfe sind, zu den Observanzmäßigen zufälligen Emolumenten gehören, deren Genuß uns in unserer Bestallung gnädigst versichert worden, so werden Ew. Herzogl. Durchlaucht gerechtest selbst ermessen, daß uns diese, einen Theil unsers bestallungsmäßigen Gehalts ausmachende, Einkünfte ohne vorheriger völliger Entschädigung unmöglich genommen werden können". - Das Rescript (aus dem Cabinet) des Herzogs Friedrich Franz, datirt aus Ludwigslust vom 18. April 1791, nimmt aber das Recht der Verfügungen und Dispensationen in Gnaden= und Hoheitssachen schlechterdings für den Landesherrn in Anspruch; eine Entschädigung für die wegfallenden Sporteln ist nicht gewährt.

Dispensationen sind ertheilt:

1) zur Heirath in verbotenen Fällen der Verwandtschaft. Die Zahl derselben ist sehr bedeutend; ich beschränke mich auf Mitheilung einiger mir besonders bemerkenswerth und als Zeitspiegel interessant erschienenen. Z. B. erhalten, nach voraufgegangener Verhandlung im Termin, Dispensation M. W., sel. Heinrich Fußs Wittwe, und deren Mutter=Bruder=Sohn Heinrich Wulffen am 13. Novbr. 1716, da die Wittwe mit 7 kleinen Kindern bei gegenwärtigen bedrängten Zeiten nicht Vermögens ihrer beschwerlichen Haushaltung und Erziehung der Kinder allein vorzustehen, der Bräutigam die Hauswirthschaft wohl verstehe und ein stiller, frommer Mensch sei. Ebenso empfangen nach voraufgegangenem Termin Schwester= und Bruder=Kinder am 6. April 1718, Lau mit seiner Mutter=Schwester=Tochter M. Brandt 16. Juni 1719 Dispensation. Desgleichen, aber ohne terminliche Verhandlung: Halbschwester= und Bruder=Kinder v. S. und Anna Br. am 5. Octbr. 1722; (auf Antrag der Mutter der Braut) Magaretha Sophia v. Lützow mit ihrem Mutter=Bruder=Sohn Capitain Magnus v. Lützow, gegen Erlegung von 12 Thlrn. ad pias causas, 16. Juni 1722; nach zuvor aufgegebener Darlegung der Gründe, warum er so nahe in's Geblüt zu heirathen intendire, Rittmeister v. Pentz zu Dersenow mit seiner Vater=Bruder=Tochter Marg. v. Pentz zu Düssin, 3. Novbr. 1724, "jedoch daß diese Unsre aus sonderbahren Gnaden

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geschehene Concessio in keine Consequence zu ziehen, vielmehr die Gemeine bei Gelegenheit zu erinnern, daß ein jeder in Heirathsfällen die nahe Anverwandtschaft zu vermeiden und sich deren zu enthalten habe". - Dispensation erhält ferner auf Antrag des Vaters, Frohners L. (da nur ein Frohner seine Tochter zur Ehe nehmen würde), dessen Tochter Anna mit dem jungen Frohner E. Sch., seiner Halbschwester Enkel, 12. Decbr. 1726; am 28. Oct. 1757 J. Z. mit der Mutter=Bruder=Tochter, einer Gehöfts=Erbin; am 11. Oct. 1760 D. D. mit der Frauens=Schwester=Tochter; am 6. Juli 1790 Ch. V. mit des Bruders Stieftochter.

Auf viele Dispensations=Gesuche ist aber auch abschlägliche Antwort erfolgt; z. B. auf das des H. R. zur Heirath mit seiner sel. Frau Schwester=Tochter, 25. August 1716: "daß diese gebethene Dispensation nicht stattfinde, sondern er sich nach einer andern Ehegattin umbzusehen habe". Die intendirte Ehe zwischen H. D. und der verwittweten A. H. D., welche doppelt schwiegerlich verwandt waren, wird, nach im Termine verhandelter Sache, trotz der Befürwortung des Amts zu Schwerin, welches hofft, dadurch das Gehöft in Stand zu erhalten, nicht genehmigt und, da zumal noch res integra, nicht verstattet, 1. Mai 1716; ebensowenig die des Wittwers J. L. mit seiner Frau Schwester=Tochter, die auf dem Todbette von der Verstorbenen zur Nachfolgerin sehnlichst gewünscht sein soll, 22. Juni 1726, vielmehr decretirt, daß "sie sich einer des andern gänzlich zu enthalten haben". Auch das Dispensationsgesuch des H. H. mit der Anna H., des Bräutigams Vater=Bruder=Sohns Wittwe, auch des Mutterschwester=Manns Wittwe, wird am 11. April 1746 abgeschlagen. Nach langen, weitläufigen Berathungen in Votis Collegii "und obgleich der respectus parentelae nicht zu weit zu extendiren sein möchte", consentiren sämmtliche Räthe, daß die Heirath zu widerrathen sei; "daferne partes hiemit nicht zufrieden, mögen sie in Consilio Regiminis (sic!!) dispensationem suchen". Gleichfalls ist die Verehelichung des Jürgen T. mit seiner Frau Schwester=Tochter N. N. für nicht dispensabel erklärt, 16. Septbr. 1749. Dahingegen wird dem Obristlieutenant Aegidius Berthold v. Lützow auf Wölzow unterm 18. März 1763 die Eingehung der Ehe mit seiner verstorbenen Frau Schwester Catharine Rahel v. Stötteroggen freigegeben, jedoch mit der Beschränkung, daß am Sonntag vor der Copulation statt der sonst gewöhnlichen Proclamation eine Fürbitte ohne Benennung der Namen durch die beiderseitigen competirenden Pastoren für ein christlich Ehewerk geschehe.

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2) Copulation durch einen auswärtigen Pastor (nicht den zuständigen Pfarrer) erlangt am 10. Mai 1771 der Chirurgus C.

3) Dispensation zur Verheirathung mit der schon geschwängerten Braut ertheilt die Justiz=Canzlei am 12. Febr. 1723, mit der Aufgabe, kein sonst gewöhnliches Gastgebot anzustellen, sondern sich in aller Stille trauen zu lassen.

4) Die Bitte, sich intra tempus clausum copuliren lassen zu dürfen, ward am 2. Decbr. 1738 dem Advocaten L. abgeschlagen: er habe bis nach dem Weihnachtsfeste gehörig zu warten. Aber auf erneuertes Gesuch ward ihm doch aus bewegenden Gründen die Copulation in aller Stille zur Abendzeit, nach voraufgegangener einmaliger Proclamation, absque ambagibus et titulis am 6. December 1738 bewilligt; am 5. Februar 1779 auch dem Schulzen St. die Verheirathung mit der geschiedenen N. in aller Stille nachgegeben.

5) Auf ihr Gesuch, sich innerhalb der Trauerzeit (intra tempus luctus) wieder verheirathen zu dürfen, ward am 23. Octbr. 1716 nach voraufgegangenem Termin die verwittwete L. bestimmt, da "die Ursachen nicht von Erheblichkeit zu sein schienen, und man also für's Beste hielte, daß sie diese kurze Zeit sich noch behülfe", ihr Gesuch zurückzunehmen. Dagegen wurde am 15. Febr. 1717 der Wittwe N. die Copulation in der Trauerzeit bewilligt, ihrer kleinen Kinder wegen; desgleichen am 15. Septbr. 1724 praevio termino der Wittwe K., am 18. Juli 1737 praevio termino der Wittwe F. (mit 6 kleinen Kindern); am 28. Mai 1782 der Wittwe St. auf Befürwortung des Amts Gadebusch; am 30. Juni 1789 dem Hausmann M. auf gleiche Fürsprache etc . etc .

6) Dispensation vom dreimaligen kirchlichen Aufgebot vor der Copulation ertheilte die Justiz=Canzlei z. B. am 8. Febr. 1724 dem J. G. wegen der Nähe der geschlossenen Zeit.

7) Copulation ohne alle vorausgegangene Proclamation ward gewährt: am 6. April 1784 dem Organisten W., nach heiliger Versicherung, daß keine unlautern und sträflichen Absichten, sondern sonstige Gründe die baldigste Ehevollziehung wünschen ließen; am 16. Septbr. 1784 dem Chirurgen B., nach directer Auseinandersetzung der Braut mit ihren Kindern erster Ehe; am 25. Novbr. 1784 dem Postillon K., der die Post nach Lübeck dreimal wöchentlich fahren mußte und dort mit seiner Braut aus Holstein zur Copulation zusammentreffen wollte. Eine gleiche Dispensation von allem Aufgebot ward der Elisabeth Sch. unterm 6. April 1785 wegen Obdachlosigkeit bewilligt, und dem Pastor Wendt auf seine Weigerung, diese Dispensation zu respectiren, am 19. April

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1785 eine ernstliche Bedeutung darüber ertheilt, daß er dem Befehle hoher Justiz=Canzlei, als eines "seit undenklichen Zeiten und nach landesherrlicher Versicherung unstreitigen, außerhalb des Fürstenthums Schwerin mit dem Rostockschen Consistorio alleine concurrirenden Landesconsistorii, wie in allen und jeden ähnlichen Fällen fast täglich von allen Predigern im ganzen Lande ohne den geringsten Widerspruch geschieht, aller sonstigen contrairen und unrichtigen privat = Nachrichten ungehindert, ohnfehlbar zu genügen" habe.

8) Dispensation zur Privat=Confirmation ward am 4. December 1787 dem Pastor Flörcke für die Mamsell R. zu Theil.

9) Dispensation zur Privat=Communion erhielt von der Justiz=Canzlei am 17. Septbr. 1723 eine Wittwe wegen Körperschwäche, am 6. Novbr. 1686 der Pensionair R. wegen zu großer Entfernung von der Kirche Erlaubniß zur Privat=Communion vor der Predigt.

10) Zur stillen Beerdigung seines Kindes empfing am 16. März 1718 der Licent=Aufseher W., am 28. März 1791 die Mutter des Canzlisten D. die Erlaubniß der Justiz=Canzlei.

11) Dispensation zur Ueberführung der Leiche eines auswärts Verstorbenen: Ertheilung von Leichen=Pässen am 6. Novbr. 1727 für die verstorbene Tochter des Bürgermeisters Kütemeyer; am 12. Jun. 1746 zur Uebertragung der Leiche des Justiz=Canzlei=Vicedirectors Willebrandt nach Rostock; am 25. Novbr. 1748 für die Leiche des Pensionairs Krüger; am 22. März 1749 für die Leiche des Secondelieutenants v. Kolhans; am 25. September 1752 zur Ueberführung der Leiche des Geheimraths und Canzlei=Directors v. Dorne in das Erbbegräbniß zu Kalkhorst; am 28. März 1759 zum Transport der Leiche des Cammer=Junkers v. Both nach Schwansee.

12) Ertheilung der venia aetatis. - In ihrem Bericht vom 6. Decbr. 1734 an Herzog Carl Leopold, der die von der Justiz=Canzlei dem Cornet Markward Georg v. Lützow aus dem Hause Schwechow auf vorgängige terminliche Verhandlung ertheilte Mündigkeits=Erklärung für null und nichtig erklärt und zurückgenommen haben will, repräsentirt die Justiz=Canzlei energisch gegen diese Beschränkung "ihres wohl erworbenen und durch 60, ja 70 Jahre unangefochten geübten Rechts", und führt, "damit sie die älteren Zeiten vorbeigehe", der zur Regierungszeit dieses Herzogs vorgekommenen Fälle mehrere an, die ihre Behauptung bewahrheiten. Auf diese Repräsentation ist ein Bescheid derzeit nie erfolgt, und so nahm der Gerichtshof das Recht zur Erthei=

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lung der Mündigkeit für sich in Auspruch und übte es aus bis zum 25. Mai 1791, indem er darauf fußte, "daß es eine Folge der dem Landes=Gerichte übertragenen obervormundschaftlichen Gewalt über die Minderjährigen sei, welches im Grunde mit Sicherheit von niemand anders als dem Gerichte exerciret werden könnte, da dieses aus den Curatel=Rechnungen und deren Revision nur allein hinlängliche Kenntnisse von der Administrationsfähigkeit der Minderjährigen haben könnte, und jede Einmischung eines Frembden(!) gefährliche Folgen haben müsse".

Von den ungemein vielen gesammelten und von mir in der Registratur aufgefundenen Ertheilungen der venia aetatis genügt es, einzelne hier mitzutheilen: 6. April 1701 durch einen Abschied auf vorgewesenen Termin dem Jürgen v. Lützow zu Perlin; 8. Januar 1710, ohne vorgängige Verhandlung, nach beigebrachtem Atteste aus dem Kirchenbuche über das Alter, und der nächsten Anverwandten über sein Leben und seinen Wandel, dem beinahe 20jährigen Jürgen Ernst v. Flotow zu Stuer; 21. März 1725, nach voraufgegangenem Termin, dem Caspar Otto v. d. Lühe zu Krankow; 14. Novbr. 1729, ohne terminliche Verhandlung, jedoch nach Beibringung eines Kirchenbuchs=Attestes über sein Alter und Bescheinigungen von der Orts=Obrigkeit und seinen nächsten Anverwandten über seine persönlichen Verhältnisse, dem 21 jährigen Kaufmann Völker; 27. Novbr. 1734, ohne terminliche Verhandlung, auf Atteste der Mutter als Vormünderin und der nächsten Anverwandten über Betragen und gute Fähigkeit zur selbständigen Administration seiner Güter, dem ebenerwähnten 20jährigen Cornet Markward Georg v. Lützow zu Schwechow; 7. Septbr. 1740, praevio termino, dem Oeconomen Daniel Bernhard Krauel, 24 Jahre alt; 4. Juli 1747 der (ausnahmweise vom persönlichen Erscheinen dispensirten) 24=jährigen Johanna Magdalene Suhr, zwecks selbstständiger Geltendmachung ihrer und ihrer majorennen Geschwister Ansprüche an den gemeinsamen Vormund; 24. Octbr. 1766, ohne Verhandlung, auf befehlsmäßig vorgebrachte Bescheinigung der Anverwandten, der Beamten und des Vormundes, dem Wilhelm Goldt; 1774, nach eingeholtem Berichte des Magistrats zu Boizenburg, den Geschwistern Dorothea und Johann Th.; 1781 zur Verhütung einer beschwerlichen Curatel bei dem Betriebe seines Gewerbes und der Auseinandersetzung mit seinen Geschwistern dem 21jährigen Ebert.

Es ist aber auch unter Umständen die nachgesuchte Mündigkeits=Erklärung nicht ertheilt, z. B. 17. März 1728

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einem v. L. zu W., weil die extraprotocollarisch angezeigten Ursachen, "welche Glimpfs halber nicht eben zu Protocoll gesetzt zu sehen gewünscht wird", dem Collegium nicht genügend erschienen. Ebenso wurde sie einem Fräulein v. W. versagt, da die Einwilligung ihrer Vormünder nicht beigebracht war.

C. Civilproceß.

Die Leitung des Civil=Proceß=Verfahrens erlitt in der Justiz=Canzlei während der 267 Jahre ihrer Thätigkeit mannigfache Modificationen. Diese sind aber bei v. Kamptz im Mecklburg. Civilrecht, und bei Trotsche im "Mecklenburgischen Civilproceß" (1866, 1868) so vollständig aufgeführt, daß es Raum= und Zeitverschwendung wäre, sie hier speciell zu entwickeln. Meine Aufgabe scheint mir erfüllt zu sein, wenn ich das aus alten und neuen Canzlei=Acten gesammelte Material zu einzelnen Punkten ergänzend und erläuternd einfüge, insoferne es den ausschließlichen modus procedendi der Schweriner Justiz=Canzlei nachweiset.

An gemeinen Bescheiden sind erlassen (Trotsche I, S. 40): a. die vom 17. März 1662, 5. Septbr. 1666, 26. Septbr. 1678, 1. Juni 1686 über die von den Advocaten zu beachtenden Vorschriften und Normen, Form der Eingaben, deren Legalisirung durch eigenhändige Unterschrift, Beziehung der Vorbescheide in Person, Verbot der Substitution u. s. w. u. s. w.; - b. vom 26. Juli 1702 über Verpflichtung der Advocaten zur pünktlichen Einlösung der Erlasse; - c. vom 6. Januar 1779, nach voraufgegangenem Termine, zu dem die Advocaten auch vorbeschieden waren, wegen Abstellung vieler eingerissenen Mängel, unter Einschärfung der Befolgung der verschiedenen wegen des Geschäftsbetriebes der Canzlei=Advocaten erlassenen Gemein=Bescheide (siehe oben) durch Beachtung der Verpflichtung zur sofortigen Legitimation, richtige Rubricirung der Acten, Abhaltung der Rotulations=Termine und der Acten=Inspectionen am Nachmittage und Beachtung der Receptions=Zeit der (nicht eiligen) Vorträge; - d. vom 20. März 1779 wegen der Jahrmarkts=Ferien, in welchen nach der gegenwärtigen Verfassung im Collegio keine Vorbescheide und keine Decreturen (die in eiligen Sachen ausgenommen) fernerhin vorgenommen werden könnten; - e. vom 9. Octbr. 1781 wegen unbefugten Eindringens der Advocaten in die Justiz=Canzlei=Registratur und Schreibstube; - f. vom 28. Juni 1791 wegen gehöriger Abwartung der Urtheils=Publications=Termine; - g. vom 30. Juni 1797 wegen

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künftig sofort im Liquidations=Termine stattfindender Publication des Präclusivbescheides; - h. vom 19. Juni 1802 wegen von den beiderseitigen Sachwalten, immer in des anderen Gegenwart, vorzunehmender Acten=Rotulation und Abgabe der Rotulations=Recesses; - i. vom 25. April 1803 über Verpflichtung der außerhalb Schwerins wohnenden Advocaten zur Bestellung eines procuratoris in loco judicii; - k. vom 13. Septbr. 1804 wegen pünktlicher Beachtung der Receptions=Zeit für die nicht eiligen Eingaben; - l. vom 30. Septbr. 1814 wegen besserer Beachtung der Vorschrift in der Verordnung vom 2. Febr. 1792 hinsichtlich constitutionsmäßiger Abschrift der Eingaben; - m. vom 13. April 1815 wegen "tempestiver" Einreichung der Schlußschriften; - n. vom 6. März 1819 wegen "tempestiver" Abgabe der Meldungs=Zettel zu Terminen beim Directorium; - o. vom 13. Novbr. 1824 wegen constitutionsmäßiger Einreichung der zu communicirenden Vorträge mit sämmtlichen Anlagen in duplo; - p. vom 12. März 1825 wegen zu beachtender Eurialien und Formalien bei Einsendung der für das Directorium speciell bestimmten Vorträge; - q. vom 9. Septbr. 1828 wegen der von auswärtigen Advocaten nicht unmittelbar, sondern nur durch ihre Procuratoren in loco zu beschaffenden Einreichung ihrer Vorträge; - r. vom 12. Novbr. 1838 über künftige Fassung der Conferenz=Protocolle in Concursen.

Competenz.

Die Frage über die Grenze der Canzleisässigkeit und das Forum der Eximirten (Trotsche I, S. 195 f., 114 f.) hat bis in die neueste Zeit zu den vielfachsten Contestationen der Justiz=Canzlei mit der Landes=Regierung und auch mit Niedergerichten Veranlassung gegeben. Die Justiz=Canzlei dehnte die Grenzen ihrer Jurisdiction sehr weit aus und behauptete hartnäckig ihr Recht dazu, sei es, weil sie im Besitze derselben unbeschränkter zu sein glaubte, sei es, daß die Rücksicht auf die Einnahme der Sporteln auch hier sie zum ängstlichen Festhalten an dieser von ihr verfochtenen Ansicht bestimmte. Es hat diese ihre Praxis allerdings zuweilen fast unerklärliche Anomalien zur Folge gehabt, z. B. die Erklärung ihrer Competenz in Curatelen über minorenne Kinder der Bedienten des adeligen Clubs, des Casino u. s. w., Weil die Mitglieder dieser Gesellschaften zu den Eximirten gehörten, und sogar zu der noch 1834 vertheidigten Behauptung ihrer Competenz bei Verbrechen, welche in Häusern Eximirter von Nicht=Eximirten begangen waren, geführt.

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Klagen gegen Beamte wegen Mißbrauchs der Amtsgewalt (Trotsche I, S. 53, Note 21) sind in frühester wie neuester Zeit von der Justiz=Canzlei zu Schwerin unzweifelhaft angenommen und verhandelt. (Vgl. Wachenhusen d. A. gegen das Stadtgericht zu Crivitz, Borchert gegen Strempel etc .)

Waren nach der Verordnung vom 14. Octbr. 1755 Processe von den Hofstaats=Gerichten an die Justiz=Canzlei abzugeben (Trotsche I, S. 253), so geschah es in der Weise, daß, nachdem der Kläger den in Gemäßheit jener Verordnung erlassenen Dimissorialbescheid mittels Vortrags der Canzlei überreicht hatte, Letztere ihrer Registratur durch ein Decret aufgab, die bezüglichen Acten durch Einsendung einer Empfangsbescheinigung aus dem Hofgericht zu requiriren. Wenn diese eingegangen waren, so bildeten sie einen integrirenden Bestandtheil der Canzlei =Acten.

Perhorrescenzen.

Es gelang in Klagesachen, ich möchte sagen, unter hundert Fällen 99mal, bei dem ersten Vorbescheid die Parteien zu vergleichen und die Sachen gütlich beizulegen. Daß die Parteien nicht stets die eingegangenen Vergleiche erfüllten und neue Klagen und Anträge veranlaßten, das lag hauptsächlich an den allgemeinen Landes=Calamitäten der traurigen Zeit während des 30 jährigen Krieges und noch lange Jahre hernach, zuweilen allerdings auch an ihrem bösen Willen, aber nie an mangelndem Streben des Gerichts, Streitigkeiten niederzuhalten und zu vereinfachen - ein unleugbares, ehrendes Denkmal der väterlichen Fürsorge des Landesherrn wie seiner Justizräthe.

Das Bewußtsein treuer Befolgung des geleisteten Eides, gewissenhafter Erfüllung der Pflichten des Richters, unerschütterlicher Berufstreue, sowie unbegränzter Unparteilichkeit machte die Mitglieder des Collegiums seit der Errichtung der Justiz=Canzlei ebenso eifersüchtig auf Anerkennung und Achtung dieser ihrer Pflichterfüllung, als empfindlich gegen jeden dawider erhobenen Zweifel; und darum schützten sie sich gegen auftauchende Verdächtigungen mit aller ihnen zuständigen Macht. In den Acten der ersten zwei Jahrhunderte des Bestehens der Canzlei sind nur sehr selten Fälle der Recusation eines oder mehrerer Mitglieder (Trotsche I, S. 175) aufgefunden. Unterm 6. Mai 1650 bezichtigt der Römisch=Kaiserl. Majestät Reichs=Hofrath Kurd Frei= und Edler Herr v. Lützow auf Goldenbow in einem Streit wider Bischwang

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wegen Immission die Räthe Dr. Hein und dessen zwei Collegen, "daß sie, aus Ursachen, daß sie mit ihm in Feindschaft und Injurien=Proceß begriffen", "gar faciles in decernendis processibus wider ihn gewesen", und bittet, daß seine Sache von unparteiischen Räthen revidirt werde. Wegen dieses "argen Frevels und Vergreifens an der Ehre" des Gerichts wurde er in eine Strafe von 1000 Gulden verurtheilt, und ihm sich solcher Missethat zu enthalten bei schärferem Einsehen, selbst unfehlbar zu gewärtigender Leibesstrafe aufgegeben (unter des Herzogs eigenhändiger Unterschrift).

Im Jahre 1721 wurde gegen den Landdrosten v. d. L. in seinem Debit=Wesen für Perhorrescirung des gesammten Collegiums, wegen der von demselben aus besonderem Widerwillen erlassenen Verfügungen, der Fiscal excitirt, dem v. d. L. aber unterm 25. Febr. 1721 die weitere Resolution ertheilt, daß dieses seines ungehörigen und ehrrührigen, irrespectuösen Vornehmens ohnerachtet die Canzlei den Rechten gemäß ferner procediren werde.

Gegen das Ende des 18. Jahrhunderts mehrten sich die Recusationen der Parteien und Perhorrescenzen namentlich gegen einzelne Mitglieder des damaligen Collegiums, in der gebräuchlich gewordenen Form: "Wenn ich (schon seit Jahren) wichtige Ursachen gehabt habe, zu glauben, daß der Herr . . . wider mich eingenommen sei, so sehe ich mich endlich genöthigt (so ungerne ich es thue), denselben zu perhorresciren, und offerire ich mich dagegen, auf Erfordern einen Perhorrescenz=Eid abzulegen". (So z.B. am 12. Novbr. 1790.) Am 17. Jan. 1792 fordert die Regierung von der Justiz=Canzlei Bericht über das Gesuch des Reise=Marschalls v. Bülow wegen verweigerter Perhorrescirung zweier Mitglieder des Collegiums. In dem dieserhalb erstatteten Berichte führt der Canzlei=Director Fromm die Unzulässigkeit der Perhorrescirung mehrerer Mitglieder des Collegiums, - was niemanden erlaubt -, und daneben aus: "Ich halte auch dies in praxi so sehr gemißbrauchte Mittel der Perhorrescentz ohne allem zugänglichen Grunde des Verdachtes bei Obergerichten im Lande um so weniger zulässig, da von einem jeden Mitgliede solchen Gerichts, wenn auch sonst nicht schon die Unparteilichkeit von solchen Männern, die dazu bestellt sind, in jedem Fall von selbst zu glauben stünde, sein geleisteter Amts=Eid die Versicherung giebt, daß er weder aus Freundschaft noch Feindschaft, Haß oder irgend einer anderen Ursache wider Pflicht und Gewissen handeln wird". Die Regierung bedeutete diesem Berichte gemäß den v. Bülow unterm 18. Febr. 1792.

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Die Form der Perhorrescirung blieb bis in die allerletzte Zeit dieselbe. Die Partei, welche sich berechtigt glaubte, die Decretur eines Mitgliedes in ihrer einzelnen Proceß=Sache -generelle Perhorrescirungen waren durchaus unzulässig - verbitten zu dürfen, machte dem Directorium in einem unmittelbar an dasselbe zu richtenden Vortrage hiervon die Anzeige, en[Druckfehler: t fehlt]wickelte die sie bestimmenden Gründe und erbot sich zur eventuellen Leistung des Perhorrescenz=Eides. Das Directorium theilte dem gesammten Collegium dies Gesuch mit, und der perhorrescirte Rath erklärte sich dann häufig sofort bereit, seine richterlichen Functionen in der einen speciell bezeichneten Rechts=Sache des Supplicanten einzustellen und zu unterlassen; auch ist nur in einigen seltenen Fällen die Ableistung des Perhorrescenz=Eides gefordert. Mit Ausnahme eines Sachwaltes, der in den Jahren von 1820-1842 (allerdings ward er später durch richterliches Erkenntniß wegen vielfacher, selbst criminell beahndeter Vergehen ab officio advocati removirt und später irrsinnig) zu vielen Malen sich darin gefiel, fast alle Mitglieder der Justiz=Canzlei der Reihe nach zu recusiren, haben Advocaten von diesem Rechte fast nie Gebrauch gemacht; von den Parteien, welche sich dessen bedienten, sind, wie bemerkt, nur einzelne aus besonderen Gründen zur Ableistung der Perhorrescenz=Eides angehalten worden.

Schiedsrichterliche Aussprüche.

Schiedsrichterliche Aussprüche (Trotsche I, S. 293) finden sich in der Canzlei=Registratur aus älterer Zeit nicht, und auch in den letzten drei Jahrzehnten sind meiner Erinnerung nach nur einige wenige Rechtssachen schiedsrichterlich - und sämmtlich unter den Voraussetzungen der Unanfechtbarkeit und des Verzichtes der Parteien auf weitere Rechtsmittel - entschieden.

Commissorien.

An einzelne Mitglieder des Collegiums ertheilte Commissorien (Trotsche I, S. 112) sind in den Acten der Schweriner Justiz=Canzlei nie gefunden. Dagegen an Niedergerichte oder an einzelne Niederrichter, sowie an sonstige geeignete Personen (Gutsbesitzer, Beamte, auch -seit 1750 häufiger- an Advocaten) Commissorien zu ertheilen, war bis zum Jahre 1818 nichts Ungewöhnliches (Trotsche I, S. 110). In dem 17. und in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts

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war dies sogar fast Regel in allen weitläufigeren Concurs= und Parteiensachen; die Acten aus jener Zeit geben dafür unzählige Beweise. In den ersten Zeiten wurden die Commissarien gewöhnlich von den Parteien erbeten, später aus Zweckmäßigkeitsgründen bestellt. Um einige wenige Proben anzuführen, so ernannte die Justiz=Canzlei Commissarien: 1615 zum Versuche eines Vergleiches der Gläubiger im Lübberstorfschen Concurse; 1616 zur Augenschein=Einnahme und zu Zeugenabhörungen; 1665 zur Zeugenvernehmung und zum Versuch der gütlichen Beilegung einer Injuriensache; öfter zur Aufnahme von Inventarien, zur Revison von Rechnungen, zur Einführung einer Administration; zur gütlichen Beilegung von Streitigkeiten; 1697 zur Ocular=Inspection bei Baustreitigkeiten; 1703 zur Wiedereinsetzung in ein Bauergehöft etc . etc . - Für ganze Processe von der hiesigen Justiz=Canzlei ertheilte Commissorien kommen in ihren Acten nicht vor; dieselben beschränkten sich im Civilverfahren vielmehr immer nur auf bestimmte einzelne Vornahmen in jedem besonderen Processe. Zur Führung einer Untersuchung in Strafsachen sind an einheimische und auswärtige Gerichte, auch wohl an Advocaten, früher der Regel nach Commissorien ertheilt, seit der Verordnung vom 9. Mai 1818 aber nur bei besonders erheblichen Behinderungsgründen nach Einholung specieller landesherrlicher Erlaubniß verfügt.

Acten=Versendung.

Acten=Versendung wurde noch im Jahre 1757 (in Sachen v. P. gegen G. wegen eines Miethsvertrages) ex officio verfügt (Trotsche I, S. 116). Wie die Justiz=Canzlei in ihrem auf Erfordern an den Herzog abgestatteten Bericht sagt, war sie auf dieselbe besonders aus der Ursache zu erkennen gemüßigt gewesen, "weil in loco schon ohngefähr zwanzig Civilsachen ad referendum vorräthig gelegen, und daneben die Arbeit in causis civilibus durch so viele zur Belehrung eingehende Criminalia unterbrochen würde, daß man es für unverantwortlich gehalten, Partes so lange warten zu lassen, bis die Urthel in ihrer Ordnung hier in loco würde haben verfaßt werden können". - Wegen Zulässigkeit oder Verweigerung der Actenverschickung sind außer den bei Trotsche I, S. 126 in Anmerkung 19 angeführten von der Schweriner Justiz=Canzlei erstatteten Berichten noch andere vorhanden: einer vom 18. August 1778, welcher generell diese Frage behandelt, desgleichen ein anderer vom 26. März 1779 auf

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Klage Rudloffs wegen Nichtverschickung der Acten, der vom 11. Januar 1791 in Sachen des Eigenthümers L. gegen seine Miterben wegen Retradition der Pachtung B., auf welchen letzteren, unter Billigung des Verfahrens, der Justiz=Canzlei durch ein Postscript der Wunsch der Regierung zu erkennen gegeben ward, in Gemäßheit der landesherrlichen Vorschrift vom 31. März 1779, ungeachtet des gegenseitigen Widerspruchs und der etwa besorglichen Schäden des Verzugs, die landesgesetzmäßige Transmittirung der Acten nach Möglichkeit nicht zu versagen. Das von der Regierung in Bezug genommene Rescript vom 31. März 1779 ist in Sachen des Fiscals gegen den Engeren Ausschuß in Betreff des v. Bergholtz'schen Stipendiums ergangen. -

Einseitige Transmissionsgesuche (Trotsche I, S. 131) nach vorausgegangenem Termine und Submission der Parteien zum Abschiede ließ die Schwerinsche Justiz=Canzlei nicht zu und motivirte diesen ihren unumstößlichen Gerichtsgebrauch u. A. in einem Berichte vom 7. Febr. 1800 damit: daß man von Gerichts wegen gar keine Vergleichs=Vorschläge würde machen können, wenn nicht vorher rein zum Abschiede submittiret worden, und wenn es einer Partei, nachdem der Richter ihr nach Abtritt der andern Vorhaltungen gemacht, noch freistehen könnte, um Verschickung der Acten zu bitten, nachdem sie die Gesinnungen des Gerichts kennen gelernt zu haben glaubte. Die vom Querulanten angezogene Gewohnheit der Canzlei, Acten, welche schon im Referat gewesen, noch zu verschicken, sei allein in dem Falle richtig, wenn beide Theile die Transmission erbeten hätten. - Und ganz in diesem Sinne wurde ein dahin gehendes Gesuch unterm 12. Febr. 1806 abgeschlagen, da der Gegner jetzt ein jus quasitum auf ein hieselbst gesprochenes Erkenntniß habe * ).


*) Bis zum Jahre 1812 geschah die Absendung der Acten (Trotsche I, S. 134) durch die bei der Justiz=Canzlei angestellten beeidigten Boten, welche die an die Facultäten abgehenden Acten Anfangs auf ihrem Nacken dahin trugen, unterm 13. März 1752 bittet der Canzlei=Director v. Dorne die Regierung um ein Botenkleid, da ein solches wegen der auf den vielen Reisen, zum Theil nach weitentlegenen Orten, unumgänglichen Strapazen, und hauptsächlich durch die schweren Acten, "als welche der Bote auf dem Rücken tragen muß", insgemein in etlichen Jahren sehr abgenutzet zu werden pflege. In späterer Zeit wurden die Acten auf einem Schiebkarren an die Universitäten verfahren. 1738, als dem damaligen Canzleiboten der Actentransport an die Akademien durch seine anhaltende Schwächlichkeit unmöglich wurde, nahm der Canzlei=Director Thielcke einen hiesigen Bürger und Altschuster zum Canzleiboten an und (  ...  )
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Gerichtsgebühren.

Ueber die in Processen armer Parteien den Sachwalten und den Niedergerichten gestundeten Gerichtsgebühren (Trotsche I, S. 349 f.) führte nicht nur die Canzlei=Registratur ein


(  ...  ) übertrug ihm, nach vorgängiger Beeidigung, "die Reisen auf die Universitäten". Derselbe erhielt für seine Dienstleistung das gewöhnliche Botenlohn und die Wartegelder für den Aufenthalt in den Universitätsstädten, aber keine Gage; er konnte, "zumahl er lediglich zu den Reisen beeidigt ist, für keinen ordentlichen Canzleiboten gehalten werden", trug daher auch in Schwerin keine Livrée. Dennoch erfordert es die Wohlanständigkeit und der Ew. Herzogl. Durchlaucht und deren Höchstderoselben hohen Namen führenden Landesgerichten gebührende respect und egard, daß ein solcher Bote, wenn er mit gerichtlichen Actis auswärtig verschicket wird, in einem der Farbe nach mit Ew. Herzogl. Durchl. Livrée=Bedienten übereinstimmenden, auch mit Höchstdero Wappenschilde versehenen Kleide erscheine". Es wurde daher seit dem Jahre 1752 (den 16. Mai) der jedesmalige Canzleibote in herzoglicher Livrée, mit einem silbernen Wappenschilde auf der linken Brust, ausgerüstet, durch genügende Pässe legitimirt, in gewöhnlich dreimonatlichen Zwischenräumen mit den ad extraneos zu versendenden Acten beladen, an die verschiedenen Akademien gesandt, bei denen er, nach seiner Wahl, in bestimmten Cursen die Canzlei=Acten abgab, da, wo er die meisten zurückzubringenden zu erwarten und die baldigste Abfertigung in Aussicht hatte, bis zur Abfertigung verweilte, und demnächst mit den ihm zugefertigten abgeurtheilten Acten seine Rückreise, unter Beobachtung der ihm gewordenen Zusicherungen über in Aussicht stehende Mitnahme absolvirter Proceß=Acten, nach ihm dadurch gebotenem Cursus beschaffte, hieher zurückkam und, was ihm anvertraut war, dem Registrator ablieferte. Dieser Modus war, wie auf Beschwerde des Engeren Ausschusses der Ritter= und Landschaft über seine Kostspieligkeit die Justiz=Canzlei unterm 9. Novbr. 1781 berichtete, der empfehlenswertheste, wohlfeilste und der an Zeit und Geld ungleich kostbarer gewordenen Verschickung mit der Post unzweifelhaft vorzuziehende. So sind z. B. die versuchsweise mit der Post versandt gewesenen "Acta in causa D. Cam. ctr. die P'schen Gläubiger allererst nach Verlauf von einem Jahre und acht Monaten zurückgekommen, und haben an porto 16 Rthlr. 25 ßl. gekostet, während, wenn sie mit dem Boten versendet gewesen wären, das Wartegeld und Botenlohn nur 2 Rthlr. 44 ßl. betragen haben würde". - Bis zum Tode des am 28. April 1812 auf der Botenreise zu Göttingen verstorbenen Reiseboten Rausch sind die ad extraneos zu verschickenden Acten regelmäßig an die verschiedenen Akademien transportirt, anfangs noch getragen, dann auf einem Schiebkarren "durch das heilige römische Reich" geschoben. In den letzten Jahren seiner Thätigkeit häuften sich aber die zu versendenden Acten der Art, daß der Bote zu ihrem Transporte die Post benutzte; denn, nach dem Verzeichnisse der Registratur über die letzte Transmission der am 31. März 1812 zur Einholung rechtlicher Urtheile von auswärtigen Akademien an Rausch übergebenen Acten beliefen sich diese auf 33. - Seit 1812 sind die Acten mit der Post ad extraneos versandt.
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genaues Verzeichniß, sondern seit dem 24. Juli 1835 hatten auch die bei der Justiz=Canzlei immatriculirten Advocaten, auf ein alljährliches öffentliches Notificatorium, bis zum 1. Mai - seit 1869 bis zum 1. Juni - zu berichten, ob sie, und in welchen Sachen sie im verflossenen Jahre Gebühren=Credit genossen, ob sie die etwa erhobenen Gebühren an die Justiz=Canzlei abgeliefert hätten, oder ob deren Beitreibung überall unmöglich gewesen sei. Die Vergleichung dieser Berichte mit dem Registratur=Verzeichnisse ermöglichte die genaueste Controle.

D. Ehesachen.

Sponsalien=Processe.

Schon bevor die Constitution vom 30. Novbr. 1756 dem Consistorium zu Rostock alle Matrimonialsachen abgenommen und den Landesgerichten übertragen hatte, war die Justiz=Canzlei zu Schwerin für das Stift (Fürstenthum) Schwerin seit dem Jahre 1634 in Sponsaliensachen die competente Behörde. Das von ihr bei Behandlung derselben geübte Verfahren war auch hier mehr ein landesväterlich schlichtendes als ein streng juristisches. Die Heiligkeit des Verlöbnisses stand Allem voran; daneben wurde aber auch den vorliegenden Verhältnissen die möglichste Rechnung getragen. Schlagende Beweise für diesen modus procedendi weisen die in der Registratur vorgefundenen Acten unzählige nach; aus ihnen die evidentesten zu sammeln, schien mir höchst zweckmäßig.

1649, am 3. Decbr., klagt Heinrich G. zu Schwerin im Namen seiner Tochter wider den Cornet Hans A., weil er das seiner Tochter gegebene Ehegelöbniß nicht gehalten; er erwirkt einen Vorbescheid und arrestatorische Verfügung wider den Beklagten. Im Termine tritt er der vom Gegner vorgeschützten Einrede, daß er (G.) seinerseits die in den Ehepacten eingegangenen Verpflichtungen nicht erfüllt habe, mit der Behauptung entgegen, unverbrüchlich dem abgefaßten Ehe=Recesse gelebet zu haben und ihn halten zu wollen. Das Gericht bemüht sich angelegentlichst, "die unter sich selbst nicht eins werden könnenden Interessenten" zu vergleichen; allein dieser Versuch scheitert an der auf Seite des Klägers bewiesenen Hartnäckigkeit. "Dahero dann erfolget, daß ein "teil dem andern annoch verbunden verbleiben, und ihre

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Zusage zu halten ermahnet. Der Cornet aber ist befundenen Sachen nach seines Arrestes erlaßen, und vergönnt, seine fortune, wo Er könnte, bestens zu suchen, mit erinnern, gleichwol zu Zeiten zu schreiben, wo Er sich befände, und wann Ihm Gott ein glück bescheeret und zu guten Mitteln geholfen, sich wieder einzustellen; welches er dann auch verheißen, Mit vermelden, das Er seinen Wegk nach Engeland nehmen wollte und sein Gespons nicht zu verlaßen gesonnen".

1651, am 19. August, klagt F., Cantor zu Bützow, wegen Eheversprechens gegen seine Braut, eine Tochter des weil. Pastors H. daselbst. Diese hält sich bei ihrem Onkel, dem M. H. daselbst, auf, der einen gewissen L. B. zum Ehemann seiner Nichte wünscht und denselben beschützt. Im Termine bemüht sich das Gericht vergeblich, die Parteien zu vereinigen, und erläßt den Abschied dahin, daß die Braut "sequestrirt", aus dem Hause ihres Oheims in das seines Collegen Kurd Johannes Stavenov transportirt und daselbst bewacht, dem Cantor bei ernstlicher, dem Nebenbuhler bei 200 Rthl., auch, nach Befinden, gefänglicher Strafe, sich aller Zusprache, Briefwechselung und heimlicher Botschaften, auch dem Oheim der Braut, sich aller scharfen und harten Zusprache, Bedrohung, auch Besuchung der Jungfer für sich und seine Hausfrau gänzlich zu enthalten, bei ebenmäßiger 200 Rthl. unnachlässiiger fiscalischer Strafe anbefohlen wird. Als dieser Bestimmung ungeachtet die Braut und B. den heimlichen Umgang fortsetzen, wird in dem ex officio anberahmten neuen Termine am 30. März 1652 der Fiscal gegen B. und den Magister H. excitirt, die Jungfer bei 200 Rthl. wieder in sequestrum, und zwar in ein Haus zu Dömitz, verwiesen. Da intervenirt jedoch am 18. Octbr. 1652 der Superintendent Bilderbeck für die Liebenden und bittet, einen von ihm mühsam zu Stande gebrachten Vergleich zu confirmiren. Dies geschieht unterm 28. Octbr. 1652, nachdem der Landesherr, dem von dem Gange des Processes ununterbrochen Kenntniß gegeben ist, seine hohe Zustimmung durch eigenhändige Unterschrift ertheilt hat, - salvis processibus fiscalibus - dahin, daß der Cantor seine Klage zurücknimmt und in die Verehelichung seiner Braut mit B. willigt, dagegen Letzterer die bisher auf diese Rechtssache aufgewandten Unkosten zu tragen und dem Kläger zu erstatten sich verpflichtet. -

Auf Klage eines Bürgers H. wider die Wittwe W. zu Parchim wegen Vollziehung der versprochenen Ehe setzt die Justiz=Canzlei auf den 14. Septbr. 1663 einen Termin zur

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gütlichen Beilegung dieser Sache an. Die Braut, über 60 Jahre alt und schwach, erklärt, daß dies "Alter und Leibesgebrechen denn nicht zulaße, sich mit einem jungen Kerl zusammenzugeben". Ein beigebrachtes Erachten des Pastorats zu Parchim, welches die Parteien, "damit dem Eheteuffel gewehrt würde", vorgenommen und die Braut zur Ehevollziehung zu bereden sich bemüht, geht dahin, daß die Sache gerichtlich auszumachen sei. Nach vergeblich versuchter Vereinigung der Parteien entscheidet das Gericht, daß Beklagte das Ehegelübde mit dem Kläger durch gewöhnliche priesterliche Copulation vollziehen zu lassen "und darzu sich vor ihrer Erlassung von hier bei Straff der Gefängniß zu erklären schuldig". Sie wird sogleich arrestirt, legt aber Mittags um 12 Uhr im Justiz=Canzlei=Gebäude vor einem Notar gegen dies Verfahren Appellation ein, und wird darauf unter der Bedingung entlassen, binnen 6 Wochen die in dem Bescheide erforderte Erklärung schriftlich und von selbst wohlbedächtlich einzusenden, bei Vermeidung anderer wider sie vorzunehmender Verordnung und gebührender Bestrafung. Da trotzdem diese Erklärung ausbleibt, wird auf Anruf des Klägers unterm 17. Octbr. ein Befehl an den Rath zu Parchim erlassen, die Beklagte vorzufordern, die ihr anbefohlene Erklärung von ihr zu heischen, und im Fall sie nochmals sich darin widerspännstig bezeigen würde, sie "in Gehorsam zu legen". Und dies Mandat wird auf weiteren klägerischen Anruf unterm 5. Novbr. erneuert und dahin erweitert, daß der Kläger in das Haus und Geschäft der Beklagten eingewiesen, und diese in Arrest gebracht wird. Nachdem sie drei Monate inhaftirt gewesen, wird auf weiteren Anruf des Klägers dem Rath zu Parchim aufgegeben, eine Taxe über Alles, so Ersterer auf die Hoffnung dieser Heirath aufgewendet, so wie des Handwerks=Geräths der Beklagten und deren Mobilien sofort aufzunehmen und einzusenden. Dem Kläger aber ward zum Bescheide gegeben, daß sein Gesuch, ihm das Inventarium etc . Sofort zu überweisen, vorzeitig sei und nicht zu bewilligen stehe. Damit schließen die Acten.

Eine Wittwe zu Neubukow hatte bei dem Consistorium einen Schneidergesellen wegen Bruchs ihres Eheverlöbnisses verklagt, auch zwei (vergebliche) Vorladungen desselben erwirkt. Da sie aber die dritte nicht erreichen konnte, verwandte sich für sie ihr Pastor bei der Schweriner Justiz=Canzlei, und Letztere forderte 1665 das Consistorium zur Fortsetzung der Sache auf mit der Erklärung, sonst selbst dieselbe übernehmen zu wollen. Da das Consistorium dies unbeachtet

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ließ, veröffentlichte die Justiz=Canzlei ihre Vorladung des beklagten Schneiders, um die Wittwe nicht rathlos zu lassen; und als die Verlesung der Citation von der Kanzel und ihre Anheftung an die Kirchenthüre ohne Erfolg blieb, erließ sie den Bescheid, daß die Klägerin des Ehegelübdes entbunden, dem Beklagten aber - vorbehaltlich der Strafe für den sich anfindenden Desertor - das in solchen Fallen gewöhnliche Eheverbot auferlegt sein solle.

Auf Klage des Schw. und seiner Tochter M., als Braut, gegen St., als Bräutigam, wegen Verlöbnisses, wird in dem am 15. März 1665, in Gegenwart des Vice=Canzlers, der Räthe und Consistorialen (der Doctoren Wedemann, Chopen, Kirchberger, Egenfeld, des Superintendenten Bilderbeck und Lucas Olthoffs) gehaltenen Termin der Beklagte vergeblich zur Eingehung der Ehe mit seiner Verlobten ermahnt und aufgefordert, dann wegen beharrlicher Weigerung sofort in Gefängniß=Strafe bei Wasser und Brot verurtheilt, und dem Stadt=Vogt deren Vollstreckung aufgegeben. St. wurde "in einem Verwahrsamb uff dem Rathhause, das lange Gewölb genannt, in der Mitte der Custodia, damit er nicht für das Fenster treten möge, angeschlossen". Inmittelst ward auch der Fiscal gegen die Verwandten der Braut wegen Ehestörung (durch Klatschereien) excitirt; seine Nachforschungen ergaben aber kein genügendes Resultat zu deren Bestrafung. Daher nahm die Justiz=Canzlei am 11. Septbr. 1665 den Versuch zur gütlichen Beilegung dieser verdrießlichen und Aerger machenden Sache wieder auf; und es gelang ihr jetzt, da der Bräutigam seiner Braut nichts Unehrliches beweisen konnte, beide Theile unter sich und mit den Zwischenträgern und Friedensstörern zu vergleichen (unter amtshalber angedrohter Strafe von 10 Rthlrn., event. deren Verdoppelung, auch nach Befinden körperlicher Bestrafung).

Unterm 26. Novbr. 1669 übersendet der Herzog Christian (Louis) die unmittelbar bei ihm übergebene Klage des Landsassen Andreas H. wider den gewesenen Kammerrath und Landrentmeister Chr. St. wegen verweigerten Consenses zu der mit seiner dem Kläger verlobten Tochter zu vollziehenden Ehe, sammt einigen weiter verhandelten Acten von Ratzeburg aus an die Justiz=Canzlei, "um der Sache - - durch schleunigen Weg Rechtens - - einen Ausschlag zu geben, auch Dr. Tilemanno Beckern, daß er Klägern in dieser Sache umb die Gebühr bedienet seyn müss, in Unserm Namen aufzuerlegen", mit der weiteren Aufgabe, die angebliche Entfernung der Tochter nach Wismar, "umb sie vielleicht in Königl.

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Schwedischer Protection zu haben", unter Androhung einer Strafe von 2000 Rthlrn. für den Beklagten und sofortiger Arretirung des Letzteren, zu verhüten. Die Justiz=Canzlei zog sofort den Superintendenten Dr. Bilderbeck und die Prediger Susemihl und Olthoff zu. Durch die Winkelzüge des Beklagten, da er den Kläger auf das Ehrenrührigste verdächtigt und dadurch seinen Einspruch gegen die zu vollziehende Ehe zu rechtfertigen sich bemüht, verweitläufigt sich der Proceß, es vernothwendigt sich eine Menge von Zeugen zu verhören, so daß erst am 6. Juni 1670 das Erkenntniß erfolgt, wodurch, weil vera sponsalia vorliegen, St. ad consummationem condemnirt, dem Kläger und seiner so arg geschmäheten Schwester auch der Injurien=Proceß vorbehalten wird. Wegen des gegebenen Aergernisses wird "auff absonderlichen Befehl Ihrer Durchlaucht" der Beklagte überdies am 18. Juli zu einer Strafe von 2000 Rthlrn. verurtheilt. Allein derselbe stirbt im September desselben Jahres, und seine Wittwe legt gegen das Erkenntniß und die weiter zu dessen Befolgung erlassenen Mandate Appellation ein. Am 18. Novbr. sieht sich nun die Justiz=Canzlei ex officio verpflichtet die Braut vorzuladen und von Gottes wegen zu befragen: "Alß der sel. Vater sie mit Andreas H. verlobt, ob sie zu solcher undt einfolgender Zeit ihr Jawort gegeben. Worauff sie auf ihr Gewissen sich beruffen, daß sie niemahls dem Andreas H das Jawort gegeben, beßonderen ihr Vater sel. hätte das gethan", - -. "Daß sie vielmehr ihren Unwillen mit Thränen und anderen äußerlichen Anzeigungen zu Tage geleget", bestätigt ihr mitvorgeladener Mutter=Bruder. Da erfolgt dann sofort der Bescheid: "In Ehesachen - - erkennet an statt des Durchl. - das niedergesetzte christliche Gericht - -, nicht so sehr nach dem lauff gemeiner Rechte, als aus beysorge eines, zwischen den Eheleuten erfolgenden, sogahr die sehlengefahr mit implicirenden eventus, entlich für pillig undt aus denen beyden extremis dies das beste und leidtlichste zu seyn: Obwoll iitz besagtes Judicium nicht ermangelt, die Verlobte Jungfrow Agnes Sybillen St. von dem bißhero jegen Ihren Bräutigamb Andreas H. bezeigten Unwillen, auff beßere Gedancken in effectu, von dem irwege auff geraden wegk zu bringen, umb dadurch das tewre bandt der ehe, dem höhesten Gott zu ehren, soviel besser zu befestigen; Dieweill aber alle bey der Beklagten angewante mühe, insonderheit die beschehene repraesentation eines über sich erweckenden zornigen Gottes, der nicht minder in diesem zeitlichen besorglich gewartender unglückseeligkeit, undt sogahr

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andere ernstliche Bedrowungen bißher nichts geschaffet, Viellmehr bey der Beklagtin die displicentz verursachet, wodurch in die länge, an stat glücklicher Ehe, an stat des ad fidem et charitatem gerichteten Zwegcks, lauter gezänke, haß undt unwillen, zuletzt ein unseeliger Ausgang erfolgen dürffte, das aus solchen undt anderen, dem Geistl. Judicio beygewohnten ursachen, absonderlich da der Beklagtin wille so gahr auff andere wege nicht zu lencken, in effectu die widerwertigkeit durch keinerlei Weise zu repariren, ehe dem Sathan ein schädtliches foment zu anrichtung eines so wenig im Zeitlichen alß ewigen remedirenden uglücks gegeben oder eingeräumet werde, aus der von Ihro Durchl. Ihrer Regierung heimbgelaßener dispensation: beide Personen, Kläger und Beklagte, zu dissocijren undt von einander zu setzen, der ordentliche Wegk Rechtens, ob ingens periculum, zu diesemmahl, doch ohne ferne conseqnentz, vorbey zu gehen, aus beeden übeln das geringere zu erwählen, Allermaaßen beede Theile solchergestalt, undt von nun an von einander gesetzet werden".

"Damit aber auch - heißt es weiter - deß sehl. Christian St. hinterbliebene Witwe undt die gesamte Familie Ihre conscientz so viel beßer hierunter befreyen, die Aussöhnung mit Gott erlangen undt das unglück ihrer Tochter undt Geschwister verbitten mögen, Alß sollen von der Witwen zu itzgemelten ende 100 Rthlr. der großen Kirchen hieselbsten, wozu sich doch dieselbe von selbsten submittiret, vermachet werden". - Der Beklagte, der gegenwärtig gewesen zu sein scheint, hat "dem judicio zu ehren undt um dessen eingewandter Vorbitten Willen" sich die Auflösung der Verlobung gefallen lassen, dem Anspruche auf die Mitgift entsagt und wegen verursachter Kosten sich mit 500 Gulden begütigen lassen, vorbehaltlich der ihm zu restituirenden Geschenke. - "Durch welche Dispensation entlich die hochbeschwerliche sache Ihre endtschafft gewonnen, Mehr aus compassion undt Pilligkeit alß Von Rechts Wegen". -

1702 brachte der Superintendent Leumann hieselbst zur Anzeige, daß die Beamten zu Warin ein Paar Verlobter, in deren Verlobung sie anfangs schriftlich gewilligt, darum geschieden hätten, weil Gott den Bräutigam mit Krankheit heimgesuchet und die Braut an seiner Stelle einen Erndte=Meier verlanget habe. In dem sofort angesetzten, in Gegenwart des Raths Schomerus und des Superintendenten Leumann verhandelten Termine ergiebt sich, daß es den Beamten um einen tüchtiger Arbeiter zu thun war, der die Hofstelle der

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Braut (einer Wittwe des Bauers Möller) aufrecht erhielte, sie daher, nach Erkrankung des erwählten Bräutigams, es für das Gerathenste hielten, den sich jetzt zum Ehemanne anbietenden zweiten Verlobten ihr zum Manne zu geben. Auf Zureden des Collegiums tritt der frühere Verlobte zurück, und wird das Verlöbniß mit dem zweiten Bräutigam für gültig erklärt und er zur sofortigen Vollziehung ermahnt. Dieser übernimmt nun auch die Bauerstelle, weigert sich aber am 17. Octbr. die Ehe zu vollziehen, weil die Braut durch ihre unnütze Haushaltung und Trägheit zur Arbeit die Stelle gänzlich ruinirt habe; er sei ein junger Mensch von 22 Jahren, sie eine Frau bei Jahren. Aber in dem sogleich anberahmten Termine, zu dem beide Theile vorgeladen werden, wird er der Unzulässigkeit seiner Weigerung bedeutet; die Braut beruft sich zum Beweise, daß sie "kein faules Mensch" sei, unter Anderem auf das Zeugniß schwedischer Soldaten, die erklärt hätten, sie arbeite wie ein Kerl; und es ergeht der Bescheid, daß Kläger (sponsus) alles seines nichtigen An= und Vorbringens unerachtet - - die zugesagte Verlobung durch priesterliche Copulation zu vollziehen schuldig sei. -

1751 erhebt ein Herr v. d. L. eine Sponsalienklage gegen die Tochter einer verwittweten Frau v. B., welche vor dem Collegium der Justiz=Canzlei, aber ohne Zuziehung eines Geistlichen, verhandelt wird. Vergleichsversuche scheitern an dem Widerwillen der Braut gegen diese Ehe. Sie muß zugestehen, daß sie und ihre Mutter das Jawort gegeben, sie selbst auch Geschenke angenommen habe; allein sie wendet gegen die Gültigkeit ihre Minorennität und den mangelnden Consens ihrer Vormünder ein. Die Sache wird weitläufig; von des Bräutigams Sachwalt erwirkte Zeugenverhöre ergeben, daß die Vormünder ihren Consens nur versagt haben, der eine, weil er das Fräulein für seinen Sohn, der andere, weil er dieses für einen Freund zur Ehe gewünscht habe. Endlich im Mai 1753 zeigen die beiderseitigen Sachwalte an, ihre Parteien hätten sich gütlich über eine Auflösung des Verlöbnisses geeinigt. In dem vor der Justiz=Canzlei auf den 9. Mai 1753 angesetzten Termine bitten sie, bis auf Ihro Herzogl. Durchl. Bestimmung, welche unmittelbar von den Parteien erfleht werde, wegen Auflösung der Sponsalien und etwaniger Erkennung fiscalischer Strafe nichts verfügen zu wollen. Am 11. Mai erfolgt auch schon ein landesherrliches Rescript, wonach die Sponsalien dissolvirt sein sollen, "Wir auch die von der D. B. zu erlegende Strafe unmittelbar bestimmt und allbereits disponiret haben".

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Unterm 30. Juni 1772 übermittelte die Regierung die bei derselben in Sponslienschen der M. H. Eh. v. B. zu W. wider M. F. v. B. auf B. unter Assistenz der beiderseitigen Väter verhandelten Acten, um, "da sich die Sache in Güte nicht hat accommodiren lassen wollen, und eine gerichtliche nähere Erörterung erfordert würde", die weitere Leitung derselben zu übernehmen. In dem zum Versuche der Güte angesetzten Termine, zu dem beide Parteien mit ihren Vätern und Sachwalten erschienen, waren die Gemüther zu erregt, um sich, den Vorschlägen des Gerichts gemäß, zu vergleichen; die Braut weigerte sich der Vollziehung der Ehe, sie bestritt, ihre Einwilligung in das Verlöbniß gegeben zu haben, und behauptete, der Bräutigam habe sich ohne allen Vorbehalt mit der Aushebung der versuchten Sponsalien einverstanden erklärt. Es wurde ein weiteres schriftliches Verfahren eingeleitet, nach geschlossenen Acten deren Versendung Zwecks Einholung eines Facultäts=Erkenntnisses auf Antrag verfügt, und unterm 18. Juni 1773 das Urtheil der Universität Rinteln publicirt: "daß der Bräutigam in die Aufhebung des Ehe=Verlöbnisses schlechterdings, ohne Vorbehalt eines Abstandes=Geldes, gewilligt haben solle, habe die Braut besser, als sie sich angemaßt, zu beweisen". Hiergegen legte die Braut freilich Appellation ein, die Parteien verglichen sich aber außergerichtlich und beantragten bei dem Landesherrn die Auflösung der Sponsalien. In dem desfalls erforderten Berichte empfiehlt die Justiz=Canzlei dieselbe um so mehr, als sie, wenn sie selbst hätte den Spruch thun können, bei der unläugbaren beständigen Abneigung der Braut gegen den Bräutigam Erstere zur Beweisführung oder gar zu dem geforderten Abstandsgelde nicht schuldig erkannt haben würde, und noch weniger nach ihrer Ueberzeugung die unschuldige Braut für ihre Person einer fiscalischen Ahndung unterworfen sein könne. Demgemäß genehmigte die Regierung die Aufhebung des Verlöbnisses und überhob die Parteien einer fiscalischen Anklage, und die Justiz=Canzlei verkündete einen gleichen Spruch und gestattete beiden Parteien "sich bester ihrer Gelegenheit nach anderweitig ehelich einzulassen". -

Der Pensionair C. zu Gr.=N. hatte sich mit der von ihm geschwängerten Haushälterin rechtsgültig verlobt, machte aber Winkelzüge wegen Vollziehung der Ehe. Da erging von der Regierung unterm 2. Novbr. 1778 an die Canzlei der Befehl: daferne C. auf eine zu allem Ueberfluß an ihn zu erlassende Verordnung das Aergerniß nicht heben und die Ehe mit der Braut nicht vollziehen würde, sowohl ihn

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als diese in aller Stille durch ein Commando einholen und sie hier nach kurzem Verhör vor Gericht trauen zu lassen. Nun wird der Canzleibote mit Ueberbringung eines geschärften Befehls zur sofortigen priesterlichen Vollziehung der Ehe an den C. abgesandt, und jenem der Verbleib in N., bis diesem Befehle Genüge geleistet sei, anbefohlen. Derselbe kehrte jedoch unverrichteter Sache zurück und brachte die Antwort des Beklagten mit, er würde gedachte Person nie heirathen, wenn man ihn auch in Stücke zerhauen würde. Die Justiz=Canzlei ließ nunmehr C. durch das zuständige Amt arretiren, und nachdem er von diesem hieher gebracht worden, in der Hauptwache unter Arrest halten und am 7. Decbr. 1778 im Hause des Canzlei=Directors Loccenius in dessen Gegenwart und der des Consistorialraths und Superintendenten Martini mit der Braut vor Gericht stellen. Nach kurzer Ermahnung ward das Paar, auf beiderseitiges ausgesprochenes Jawort zu der priesterlich zu vollziehenden Ehe, durch den Consistorialrath Martini vor dem aufgestellten Trautische nach Vorschrift der Kirchen=Ordnung in alle Wege und durchaus üblichermaßen ehelich zusammengegeben und nach ausgesprochenem Segen mit einer auf ihre Umstände eingerichteten kurzen Ermahnung entlassen. - Die wider den C. erkannten Strafen von 50, resp. 100 Rthlrn. sind von ihm gezahlt, mit weiterer fiscalischer Beahndung ward er aus Gnaden übersehen. -

1785 erschienen ein schon über 20 Jahre altes Mädchen in Begleitung ihres Verlobten, und andererseits der Ersteren Vormünder, welche ihren Consens zum Verlöbniß verweigerten, vor der Canzlei. Anfangs bemühete sich das Collegium die Braut zum Rücktritt zu bewegen, da anzunehmen sei, daß ihre Vormünder natürlicher Weise die Heirath für ihr wahres Unglück halten müßten, weil sie sich derselben so sehr widersetzten. Allein bei dem innigen Zusammenhalten der Verlobten und dem Wegfall des Verdachts nur eigennütziger Nebenabsichten auf Seiten des Bräutigams verwirft nach langer mündlicher Verhandlung zwischen den Parteien und deren Sachwalten das Collegium den Widerspruch der Vormünder: "Da zur Gültigkeit der Eheberedung der Curatorum Consens praecise und nothwendig nicht erforderlich ist, die von ihnen umständlich angeführten Ursachen zur Verweigerung ihrer Einwilligung auch für erheblich keineswegs zu achten, wird vielmehr der consensus curatorum, in soferne er erforderlich sein dörfte, suppliret, und beiden Verlobten sich christlicher

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Ordnung nach proclamiren und ehelich zusammengeben zu lassen verstattet". -

Dagegen erklärte die Justiz=Canzlei unterm 28. Octbr. 1786 ein ohne Einwilligung der beiderseitigen Eltern eingeganges Verlöbniß für null und nichtig, erkannte aber der sub spe matrimonii geschwängerten Braut eine nach den Vermögens=Verhältnissen ihres, nicht nach denen des Vaters des Verlobten zu bestimmende Satisfactionssumme zu.

In Eheberedungssachen eines Schlächtergesellen B. und der M. R. hatte das Gericht zu Wittenburg zu ungnädigstem Mißfallen der Justiz=Canzlei "sich unterfangen", ein Verlöbniß für ungültig zu erklären und zu trennen. Diese Dreistigkeit ward mit Vorbehalt fiscalischer Ahndung für jetzt und vorläufig nachdrücklich verwiesen und bei 100 Rthl. Strafe für jeden künftigen Contraventionsfall untersagt, die noch minorenne Verlobte mit ihren Vormündern, sowie der Bräutigam zum 20. Novbr. 1789 vorgeladen, um über die Verweigerung der vormundschaftlichen Einwilligung zum Verlöbnisse zu verhandeln. Das Hauptmotiv zum Widerspruche der Vormünder war das zu jugendliche Alter der noch ganz unerfahrenen 15jährigen Braut. Es wurde im Termine die Vereinbarung erzielt, daß beide Verlobte die Vollziehung der Ehe noch bis Michaelis 1791 aussetzen, und falls beide Theile dann noch dieselbe Zuneigung zu einander trügen, die Vormünder ihre Zustimmung zum Heirathen ertheilen wollten. (Sie wurde aber schon viel früher erforderlich und gegeben.) -

Ist der Consens der Mutter einer vaterlosen, aber majorennen Braut erforderlich? Diese Frage ist von der Canzlei bejahend beantwortet am 5. Dcbr. 1791, und bei dem Mangel desselben die Eheberedung nichtig und kraftlos erklärt. -

Nach terminlicher Verhandlung wird unterm 28. Juni 1791 die auf Vollziehung der Ehe gerichtete Klage des A. abgewiesen, weil seine Braut bald nach ihrer Verlobung erfahren hatte, daß der Bräutigam schon mit einer Andern verlobt war. Gegen A. wird aber eine fiscalische Strafe von 30 Rthlrn. erkannt. -

Durch Erkenntniß vom 24. Juli 1792 supplirt die Justiz=Canzlei die vom Vater zurückgenommene, früher ertheilte Einwilligung in die Verlobung seiner Tochter, da im voraufgegangenen Termine sich ganz deutlich offenbarte, daß eine im hohen Alter (von 99 Jahren) gefaßte sonderbare Grille die einzige Ursache seines verweigerten Consenses war. Aus

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fast ganz ähnlichem Grunde sind übrigens noch in den 30er Jahren dieses Jahrhunderts verweigerte Consense der Eltern supplirt. -.

Der Weigerung der 16jährigen Braut ohnerachtet, welche wegen ihrer Minderjährigkeit die unter Einwilligung ihrer Mutter eingegangenen vollgültigen Sponsalien aufzuheben bat, erkannte unterm 16. Juli 1798 die Justiz=Canzlei das Verlöbniß für bindend und die Braut für verpflichtet die Ehe zu vollziehen (wenngleich die Ansicht des berühmten Rechtslehrers Justus Böhmer in speciali dissertatione de restit. i. i. contra sponsalia minorum §. 17-31 dieser Entscheidung entgegenstehe), da dies so theuer angelobte und von der Mutter genehmigte Ehe=Versprechen ein heiliges, bindendes sei. -

Ein Hauswirth hatte bei Lebzeiten seiner Frau ein Mädchen geschwängert, hatte die Verzeihung seiner Frau erlangt, war vom Gericht zur Untersuchung gezogen und bestraft. Nachdem er Wittwer geworden, bat er die Regierung um die Erlaubniß, jene Person heirathen zu dürfen. Die zum Bericht über dies Gesuch aufgeforderte Justiz=Canzlei fand diese Ehe canonisch zulässig, wenn der Mann eidlich erhärte, daß der Ehebruch nicht unter dem Versprechen geschehen, und dem unschuldigen Ehegatten nicht nach dem Leben gestellt sei; und nachdem der Hauswirth am 9. Mai 1792 diesen Eid geleistet hatte, ward die eheliche Verbindung gestattet. -

Gegen die Bitte des Amtsgerichts zu Zarrentin, dem von dem jungen H. O. mit seiner von ihm geschwängerten Braut eingegangenen Ehe=Verlöbniß die gerichtliche Einwilligung zu versagen, entschied die Justiz=Canzlei unterm 14. Decbr. 1799: daß der Trauschein den Verlobten unweigerlich zu ertheilen, jedoch beiden Theilen aufzugeben sei, daß sie, ihrer Verheirathung ohnerachtet, annoch einige Jahre dienen, und zwar die Braut in Ammendienst ziehen sollte. -

Der Präpositus K. zu G., der von seiner dritten Ehefrau kaum aus landesherrlicher Machtvollkommenheit durch Patent geschieden war, wobei ihm "nur in der Voraussetzung, daß er in seinem hohen Alter und bei den damit natürlich verbundenen Schwächen, durch die Unannehmlichkeiten seiner letzten, unüberlegten Verheirathung belehrt, einem Gedanken der Wieder=Verheirathung nicht weiter Raum geben würde, aus Schonung das Verbot derselben nicht angefüget ist", wollte seine vierte Ehe eingehen, und beantragte, bei dem von seinen Kindern aus früheren Ehen dagegen bei der Landes=

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Regierung angebrachten Widerspruch, die gerichtliche Entscheidung über die Frage: ob die Kinder berechtigt seien, sich der Wiederverheirathung ihres Vaters zu widersetzen. Auf Befehl der Regierung ward dieser Streit vor der Justiz=Canzlei am 23. Juli 1801 verhandelt, der Widerspruch der Kinder als unbeachtlich verworfen, die Frage wegen Auseinandersetzung des Vaters mit seinen Kindern gerichtlich verglichen, und der Regierung die Ertheilung der Dispensation zur Verheirathung des Vaters anheimgegeben. -

Dem Amtsgericht zu Warin wird unterm 21. März 1812 in Sponsaliensachen ernstlich verwiesen, daß es in dieser, zur weiteren Verhandlung und Entscheidung der Justiz=Canzlei stehenden Sache ein vorläufiges Erkenntniß über das punctum satisfactionis erlassen habe, da dasselbe, als annexum der Haupt=Entscheidung über die Eheberedung, nur der Justiz=Canzlei zustehe. -

Die Verlobung des Lieutenants v. K. mit dem 80jährigen Klosterfräulein v. B. wurde, ihrer an sich gültigen Form unerachtet, nach Vernehmung der nächsten Verwandten der Braut am 19. Novbr. 1817 von der Justiz=Canzlei für null und nichtig erklärt, und der Kläger mit seinen Ansprüchen auf Vollziehung der Ehe, resp. auf Entschädigung, wegen zu präsumirender geistiger und körperlicher Schwachheit der Braut und daraus resultirender Unzurechnungsfähigkeit, ab und zur Ruhe verwiesen.

Ehescheidungen.

Im Stifte Schwerin übte die Justiz=Canzlei in Ehesachen die Gerichtsbarkeit aus, und durch die Verordnung vom 30. Novbr. 1756 wurde dieselbe ihr für alle Ehestreitigkeiten in ihrem ganzen Sprengel übertragen. Auch bei Leitung dieser Processe waltete neben der strengsten Aufrechterhaltung der Heiligkeit der Ehe eine landesväterliche Humanität und das Bemühen vor, durch Berücksichtigung der vorliegenden besonderen Verhältnisse die Uneinigkeit zwischen den Eheleuten zu heben und möglichst dahin zu wirken, daß die zerrütteten Bande gekräftigt, die Ehen fortgesetzt und die Gemüther gegen einander friedlich gestimmt würden. Den weitläufigen Termins=Verhandlungen mit den streitenden Parteien folgte dann auch meistens eine Wiedervereinigung der Ehegatten, und nur bei nicht zu bewältigendem gegenseitigem Hasse ist auf temporäre Trennung erkannt.

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So wurde schon im Jahre 1624 eine Ehefrau zu Schwerin, die wegen arger Mißhandlungen ihres Ehemannes auf Scheidung antrug, zuvörderst mit demselben zur näheren Untersuchung des Sachverhältnisses auf den 4. März vor das Collegium geladen, und es gelang diesem, eine Beruhigung der Gemüther herbeizuführen. Als von der Ehefrau unterm 29. Octbr. 1625 neue Klagen und Anträge auf Trennung einliefen, erging an Bürgermeister und Rath zu Schwerin zuvörderst der Befehl, nicht nur die gebührende Anordnung zu treffen, daß die Klägerin vor des Beklagten Gewalt gesichert werde, sondern, falls sie sich mit ihrem Manne nicht zu versöhnen, sondern von Tisch und Bette von ihm sich scheiden zu lassen gemeinet, sie an das Consistorium zu verweisen. Beide Theile scheinen darauf wieder bis zum Septbr. 1626 eine ziemlich friedliche Ehe geführt zu haben; am 28. Septbr. 1626 macht der Ehemann aber die Anzeige, daß seine Ehefrau ihn verlassen habe, und "weil zu verschiedenen Malen zwischen den Eheleuten gütliche Verhandlungen ad reconciliationem getroffen und geglücket sind", ladet die Justiz=Canzlei dieselben wiederum auf den 15. Octbr. zur mündlichen Verhandlung vor, und wiederum gelingt es dem Termins=Dirigenten (Dr. Oberberg, ohne weitere Zuziehung eines Raths oder eines Mitgliedes der Geistlichkeit) nach weitläufiger, eindringlicher Besprechung mit den Parteien, unter Hinweisung auf die Heiligkeit der Ehe, auf ihre Pflichten gegen Gott und die Obrigkeit, auf ihre Kinder, sie mit einander zu versöhnen. Dabei ward jedoch beiden Theilen bei Strafe von 100 Rthlrn. untersagt, sich mit Worten oder Werken an einander zu vergreifen, vielmehr sollten sie, wie es christlichen Leuten wohl anstehe, mit einander in Frieden leben. -

Vom Herzoge Friedrich wurde unterm 2. Febr. 1789 die bei ihm unmittelbar eingegangene Bitte des Schauspielers A. und seiner Ehefrau um Aufhebung ihrer Ehe zur näheren Untersuchung an die Regierung übermittelt, von dieser aber zur Verhandlung an die Justiz=Canzlei abgegeben, um den Grund der wechselseitigen Abneigung zu erforschen und, wo möglich, die Parteien zu versöhnen. Im Termine vom 7. März erschienen mit denselben ihre beiderseitigen Sachwalte. Das Resultat der angestrengtesten Mühe sie zu vereinigen blieb: daß vor geführtem, kaum thunlichem Beweise der erheblichsten gegenseitigen Beschuldigungen die Frage, an wem die Schuld der Abneigung liege, nicht zu entscheiden,

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wohl aber dieses gewiß sei, daß beide Theile um ihre Ehescheidung unter gewissen, zum Theil schon erfüllten, Bedingungen gemeinschaftlich gebeten, da ihr Widerwille unauslöschlich sei, und eine Fortsetzung der Ehe ihre Tage für die Zukunft äußerst unglücklich machen würde. Wenngleich der Gerichtshof die weitere Bestimmung dem höheren Ermessen zu überlassen schuldig sei, glaubte er dennoch, mit Hinsicht auf die Personen und die Sachlage, die Ehescheidung empfehlen zu müssen; und diese erfolgt dann auch aus landesherrlicher Macht sofort. -

In demselben Jahre schied die Justiz=Canzlei auf Antrag der Ehefrau eine Ehe wegen mannigfaltiger Untreue und schändlicher Aufführung des Ehemannes, sprach der Frau das Recht der Wiederverheirathung zu und gestattete ihr die Kinder bei sich zu behalten, nahm eine Auseinandersetzung der Eheleute hinsichtlich des Vermögens vor, legte zur Sicherstellung des vom Vater zu leistenden Antheils zur Unterhaltung der Kinder Beschlag auf die Hälfte seines Gehalts und verurtheilte ihn wegen des gegebenen Aergernisses zu einer siebenwöchentlichen Gefängnißstrafe. -

Ob impotentiam ihres Mannes Wurde auf Antrag einer Frau S. nach eingeholtem Physicats=Erachten und terminlicher Verhandlung unterm 4. März 1790 ihre Ehe geschieden, und der Ehefrau die Wiederverheirathung gestattet. Sollte wider Verhoffen der Ehemann sich zu einer andern Heirath wieder entschließen, so wird ihm, bei schwerer willkürlicher Strafe, aufgegeben, davon zuvörderst bei der Justiz=Canzlei Anzeige zu machen und nicht ohne dazu erhaltene besondere Concession eine solche Ehe zu vollziehen. Als er schon im nächsten Jahre um solche Erlaubniß bat und, wie ihm zunächst aufgegeben ward, bescheinigte, daß seine Verlobte den Grund der Scheidung von der ersten Frau wußte und doch zur Ehe entschlossen war: ward ihm unterm 9. Juni 1791 die Verheirathung verstattet, auch auf die von dem zuständigen Geistlichen dawider erhobene Vorstellung demselben befohlen, beide ohne weiteres Bedenken zusammenzugeben; doch sollte dem Prediger zur Erleichterung seines Gewissens freistehen, der Braut noch einmal alle ihr Vorhaben widerrathende Umstände vorzuhalten, sie an die schweren Strafen des Ehebruchs nochmals zu erinnern und sie zu bedeuten, daß sie in Zukunft mit einer Scheidungsklage nie werde gehört werden. - Der Prediger berichtet: er habe diesem Befehle nachgelebt und auf beharrten Entschluß nach pflichtmäßiger Ermahnung beide copulirt. -

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Bei allen im Laufe des letzten Jahrhunderts vor der Justiz=Canzlei verhandelten Ehescheidungen war es Grundsatz, daß, beim Mangel rechtlicher Causalen, falls keine Aussöhnung der Parteien zu erreichen war, die Eheleute zur Beruhigung der Gemüther auf zwei Jahre - zuweilen auch nur auf ein Jahr - von Tisch und Bett von einander geschieden wurden, nach Ablauf dieses Termins aber auf Antrag des einen oder andern Theils weitere Verordnung erfolgen sollte, wegen einstweiliger Auseinandersetzung während der Zeit der Trennung der Canzleisässigen das Erforderliche verfügt, bei Niedergerichtsässigen diese den Niedergerichten aufgetragen wurde. - Trug nach abgelaufener Trennungszeit eine der Parteien auf Ehescheidung an, so wurde stets in einem Termine die gütliche Vereinigung auf das Eindringlichste versucht, und erst, wenn diese mißglückte, die Ehe in der Regel wegen unversöhnlichen Hasses aufgelöst und den Umständen nach beiden Theilen - oder auch nur einem - die Wiederverheirathung freigegeben. Eine abermalige Trennung auf weitere zwei Jahre gehörte zu den Seltenheiten. Durch die Ministerial=Verfügung vom 12. Sept. 1855 erhielt diese constante Praxis einen Wandel; seitdem wurden nach vergeblich verflossener Trennungszeit die Eheleute ex officio vorgeladen, zur Wiedervereinigung aufgefordert und angehalten, und nur in einzelnen, besonders dazu geeigneten Fällen auf kürzere oder längere Zeit zum Versuche der Besänftigung ihrer Gemüther weiter getrennt.

Desertions=Proceß.

Der Desertions=Proceß ist in den Jahren von 1660, da, nach den Acten, der erste bei der Justiz=Canzlei vorkam, bis zum Schlusse des vorigen Jahrhunderts unmittelbar vor derselben verhandelt, und allererst im letzten Jahrhundert bei den Niedergerichten von den denselben unterworfenen Parteien angebracht und dann zur Weiteren Verhandlung an die Canzlei gelangt. Das Verfahren ist in den Hauptzügen immer dasselbe geblieben.

Der Verlauf jenes ersten Processes war folgender. P. S., der von seiner Ehefrau verklagt war, weil er sie vor zwei Jahren muthwillig verlassen, ward am 10. Oct. 1660 zum Erscheinen in Person von der Justiz=Canzlei vorgeladen, um über die Desertion Rede und Antwort zu geben, mit der Androhung, daß im Fall des ungehorsamlichen Ausbleibens auf der Ehefrau gerichtliches Ansuchen angeordnet werden

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solle, was Recht sei; und dem hiesigen geistlichen Ministerium ward anbefohlen: diese offene Citation von der Canzel öffentlich abzulesen und nachgehends an die Kirchenthür anzuschlagen, und darüber, daß solches geschehen, auch die Ladung bis zu bestimmter Zeit an der Thüre gestanden, der Klägerin einen genugsamen Schein zu ertheilen. Im nächsten Termine (15. Januar 1661) erschien sowenig die Klägerin wie ihr Ehemann, erst am 18. Febr. 1662 erneute die Klägerin ihren Antrag. Es wurden darauf aber neue Ladungen nicht sofort erlassen; sondern erst, nachdem die Ehefrau die erwähnte Bescheinigung der Geistlichkeit über die Publication jener Citation beigebracht und ferner genügend ihre Unbescholtenheit und die Vergeblichkeit ihrer Bemühung den Ehemann aufzufinden dargethan hatte, erließ die Canzlei eine abermalige Ladung an den Ehemann, die in gleicher Weise wie früher publicirt ward. Und nachdem des Superintendenten Zeugniß über diese Bekanntmachung am 14. Aug. 1662 von der Ehefrau beigebracht war, wurde sie auf den 4. Septbr. in Person vor das Gericht geladen, und in Gegenwart der Räthe der Bescheid publicirt, daß, nachdem der Ehemann auf mehrere Ladungen nicht erschienen sei oder sich gemeldet habe, die Klägerin "deß mit dem Beklagten P. S. gehabten Eheverbündtnisses nunmehro gentzlich zu entbinden und loßzuzählen sey, Massen wir Sie denn davon hiemit dergestalt entbinden und loßsprechen, daß Sie hinfüro freye Macht haben solle, sich in anderweitiges Ehegelübde Ihrer gelegentheit nach hinwiederumb einzulassen und dasselbe würklich zu Consummiren und zu volnziehen". -

Ein ganz gleiches Verfahren ward eingehalten, als 1667 eine Ehefrau klagte, daß ihr Mann sie vor acht Jahren verlassen und im Elende habe sitzen lassen. Die Ehe ward cassirt, der Frau die Wiederverheirathung gestattet, die Strafe für den Mann vorbehalten. -

Gleichermaßen hob die Justiz=Canzlei 1680 die Ehe des J. K. mit seinem "verlaufenen Eheweibe" auf, gab dem Manne die Wiederverheirathung frei, behielt sich aber die Strafe gegen die Ehefrau vor, wenn sie sich wieder im Lande antreffen ließe. -

In einem ähnlichen Falle ward 1708 ein gleiches Erkenntniß gegen einen entwichenen Ehemann verkündigt, jedoch in Gegenwart des Superintendenten zu Schwerin.

Auch 1711 ward in Gegenwart der Räthe und des Schwerinschen Superintendenten die Ehe eines Schauspielers, der seine Frau böswillig verlassen hatte, aufgehoben. Die

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Ladungen waren in diesem Falle nicht nur hier, sondern auch in Berlin und im Haag öffentlich angeschlagen, wie in einem andern Falle 1726 hier, zu Hamburg und in Halberstadt, dem Heimatsorte des Desertors.

Das von einer Frau zu Parchim 1769 wider ihren Ehemann wegen Desertion bei der Regierung angebrachte Gesuch um Vorladung ihres Ehemanns u. s. w. ward von Letzterer, die sich fortan "mit dergleichen eigentlich dahin nicht gehörigen Sachen verschont zu sehen wünschte", an die Justiz=Canzlei zu weiterem Verfahren abgegeben. Die Klägerin ward hierauf vor versammeltem Collegium, ohne Zuziehung eines Geistlichen, umständlichst über persönliche und sachliche Verhältnisse vernommen; und da sie die Wahrheit ihrer Aussagen auf Erfordern eidlich zu erhärten sich bereit erklärte und auf Befragen, ob sie nicht gemeinet sei ihres Ehemannes Ankunft noch etwas abzuwarten, sich nach jetzt bereits 16jährigem vergeblichem Warten dazu nicht verstehen wollte, so ward ihr das Armenrecht zu weiteren Anträgen bewilligt und überlassen sich nach einem Sachwalt umzusehen. Sie legimirte einen solchen, erwirkte öffentliche Ladungen, docirte deren Bekanntmachung im Termine, am 6. Octbr. (die Insertion derselben hier am Orte durch Beibringung der Intelligenz=Blätter) und erwirkte den gewöhnlichen Desertions=Abschied. -

1784 überwies Herzog Friedrich das Gesuch einer böswillig verlassenen Ehefrau D., welches unmittelbar bei ihm eingegangen war, gleichfalls der Justiz=Canzlei zu rechtlicher Verfügung. Es erfolgte schließlich der gewöhnliche Desertions=Abschied. Die geschiedene Ehefrau machte darauf von der eingeräumten Erlaubniß Gebrauch und verheirathete sich anderweitig. 1787 suchte aber auch ihr erster Mann D., der sie so böswillig verlassen hatte, früher ein Gardist, jetzt Holländerknecht in Meklenburg, bei der Regierung um die Vergünstigung nach sich anderweitig wiederverheirathen zu dürfen. Die Regierung übertrug die Sache der Justiz=Canzlei, und Letztere lud denselben vor und vernahm ihn ausführlich über seine Entweichung von seiner Ehefrau, sein Ausbleiben im Termine vom 23. Juli 1784 und sein nunmehriges Verweilen im Lande; sie beschloß nach beendetem Verhör die Vorladung seiner früheren Ehefrau, jetzt verehlichten S., und deren Zusammenstellung mit ihm. Diese erschien auf die Ladung vom 26. März 1787, der Knecht aber nicht. Vor weiterer Verhandlung ging jedoch unterm 7. April ein herzogliches Cabinetsrescript ein, des Inhaltes, daß Sms. Gnade für Recht ergehen und dem D. nicht nur die Strafe wegen

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Ausbleibens in den Terminen erlassen, sondern ihm auch Erlaubniß zur Wiederverheirathung ertheilen wolle. Dem conform gab die Justiz=Canzlei unterm 21. Januar 1788 auf Antrag des Majors Köpcken zu Ludwigslust als Chefs des D. den Bescheid, daß ihm gleich seiner geschiedenen Ehefrau erlaubt sein solle, sich anderweit ehelich wieder einzulassen.

Des entwichenen L. Ehefrau hatte die Vorladung ihres Ehemannes, und da er nicht erschien, 1786 die Trennung der Ehe unter Freilassung ihrer Wiederverheirathung und Vorbehalt eventueller Bestrafung für den Desertor, erreicht. Nach 10 Jahren (1796) erscheint aber L. in der Registratur der Justiz=Canzlei und deponirt: Er habe leider seine Frau vor 13 Jahren verlassen, sie sei durch Erlaß der Justiz=Canzlei von ihm geschieden, habe sich wiederverheirathet, ihr Ehemann sei jedoch im Jahre 1792 schon wieder verstorben, und sie sei auf sein dringendes Bitten gewillt, ihn, falls das Gericht es gestatte, wiederzuheirathen; er bäte daher um den Consens dazu. Beide Theile erneuerten ihr Gesuch im Termine am 30. Jan. 1796. Da ward dem Ehemanne seine Handlungsweise, die er aufrichtig zu bereuen behauptete, ernstlich verwiesen, und nach besprochener Sache entschieden, daß bewandten Umständen nach beiden Theilen sich wieder mit einander zu verheirathen gestattet und sie nachdrücklich erinnert sein sollten, sich künftig als christliche Eheleute zu betragen. -

Den gesetzlichen Bestimmungen (vgl. Trotsche, S. 217) gemäß sind seit dem Ende des vorigen Jahrhunderts bis auf die letzte Zeit die Desertionen behandelt. In dem Jahre 1839 kam es vor, daß ein angeblicher Desertor sich nach Publication der Ladung schon vor dem Termine meldete und nachwies, seine Ehefrau habe seinen Aufenthalt sehr wohl gekannt; und zwei Fälle sind in früherer und letzter Zeit vorgekommen, daß der wegen böswilliger Verlassung angeklagte Ehemann, nachdem in dem Termine in Folge seines Ausbleibens die Ehe geschieden war, nach Verlauf einiger Jahre im Lande betroffen, in Untersuchung gezogen und bestraft wurde.

E. Strafproceß.

Fiscalischer Proceß.

Schon im Jahre 1568 hatten die Herzoge Johann Albrecht und Ulrich einen "Fiscal=Procurator" in der Person des Dr. Sebastian Stelbagen als Hofrath auf 5 Jahre bestellt, dem im Jahre 1572 der Dr. Michel Grasse folgte. Derselbe

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war in beiden Herzogthümern gemeinschaftlich bestellt, und zwar, wie es in dem herzoglichen Patent heißt, "also, daß Er alle und jede Sachen, daran Unser und Unsers Fisci Interesse gelegen, so sich in Unserm Fürstenthumb und Landen zutragen, und Wir Ihme befehlen, oder unsertwegen befohlen werden, oder ihme sonst aus gemeinen Gerüchte und glaubwürdiger nachrichtung fürkommen möchten, und als dem Fiscali Ampts halber gerichtlich zu verfolgen und zu handeln gepüren, mit ganzer und rechter trewen meinen, dieselbe Uns und dem Fisco zu Guht, nach seinem besen verstandnus für unserm geistlichen Consistorio, Land= und Lehngericht, wie solches nach unterschied der Sachen die notturfft und gelegenheit erfordern wirt, schrifftlich und mundlich für uns anbringen, darin keins vor dem andern verschonen, und wissentlich keinerlei falsch oder unrecht gebrauchen, noch einigen gefehrlichen uffschub, noch dilation zu verlengerung der Sachen suchen, auch mit den Wiederparteyen kein vorgeding oder vorwort ohne unseren sonderlichen befehlig und mitwissen machen, keine heimblichkeit, unterricht und behelf, so Er in den Sachen erkundet und erfahret, dem Fisco zu schaden offenbaren, auch seines Ambts und der fiscalischen Sachen halber keine gaben, geschenk oder einigen nutz, durch was mittel und wege, worin oder womit solches geschehen könne, entweder durch sich selbst oder andere, wie das Menschen=Sinne erdenken mugen, nehmen oder iemands von seinetwegen nehmen, sich darin keine Freundschafft noch Feindschafft, gunst oder abgunst, hohes oder niederes Standes Personen, die sein, wer Sie wollen, verhindern noch abhalten lassen, und die fiscalischen sachen also auf allen Rechtstagen mitt vleiß aufzuwarten und verrichten - -, wie er Uns dann darauf gepurliche Eydtspflicht geleistett und geschworen, auch sich ausserhalb Unserer sonst mit keiner Partheyen sachen bekümmern, auch aller procuratur und des Advocirens zu Unserm gericht enthalten. - Dagegen haben wir Ihm zu jerlicher Besoldung, vom dato dieser unser Bestallung anzufahendt, zwei hundert thaler und dann noch treissig gulden vor Victualien versprochen und zugesagt, die ihm auß Unserm Fiscal- oder Gerichts=Kastenn, so dazu angerichtet, und darin die fiscalischen Gefelle gelegt und verwaret werden, - - erleget und bezahlet, oder da sovil oder gahr nichts im vorrath vorhanden, von Uns semptlich erstadtet oder vollkommlich gegeben werden, wie wir Unß dann hierzu austrügklich hiemit obligirt und verpflichtet haben wollen". - -

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Zur schleunigeren und besseren Beförderung seiner Amtsthätigkeit folgt ein, der Bestallung inserirter, Befehl an sämmtliche Beamte etc . zur freien, raschen Gestellung von Fuhren auf allen Geschäftsreisen, unter Androhung von Strafen; sodann die Zusicherung des höchsten Schutzes im Falle gegen ihn angebrachter Verläumdungen, des jedesmaligen Gehörs seiner Unschuld und der unweigerlichen Schadloshaltung. Schließlich ist die Kündigungs=Clausel angehängt.

Nach Errichtung der Schweriner Justiz=Canzlei ist der bis zum Jahre 1623 beiden Herzogen gemeinschaftliche Fiscal Dr. Johannes Albinus speciell für diese bestellt, und von der Zeit an bis zum 30. Septbr. 1879 ein Justiz=Canzlei=Fiscal in Function geblieben. Als im Laufe der Jahre die Justiz und die Administration von einander getrennt, und für die Regierungs=Sachen ein besonderer Regierungs=Fiscal bestellt war, entstand zwischen diesem und dem Canzlei=Fiscal eine unendliche Reihe von Streitigkeiten über ihre Competenz. Durch die Verordnung vom 5. Jan. 1784 schärfte die Regierung die Verfügung, nach der zu Verhütung aller Unordnungen, in allen Fällen, welche fürstliche und Regal=Rechte und die Verbrechen dagegen beträfen, nie der Justiz=, sondern jederzeit nur der Regierungs=Fiscal zu excitiren sei, und erneuerte diese Verfügung unter dem 15. Februar und dem 3. Juni 1794 um so mehr, als bereits am 14. Februar 1774 der Hofrath und Regierungs=Fiscal Ernst Friedrich Bouchholtz und der Canzlei=Fiscal Hennemann eine von der Regierung genehmigte Convention, welche die Grenzen zwischen der Competenz der beiden Fiscale ganz genau festsetzte, geschlossen hatten. Noch genauer sind die Grenzen der fiscalischen Aemter in dem von der Landes=Regierung unterm 4. Januar 1797 bestätigten, zwischen dem Regierungs= und Lehns=Fiscal Krüger und dem Canzlei=Fiscal Lembcke unterm 19. Decbr. 1796 geschlossenen Vergleiche gezogen und festgestellt.

Der Canzlei=Fiscal ward anfänglich als zum Richter=Collegium gehörig angesehen. "Wann er seine Sach ambtshalben, oder die wir ihme insonderheit befehlen, vorgepracht, soll Er sich in Unser Landgericht setzen und neben anderen Rähten eines Beisitzers stelle verwalten", - "so soll er auch zu Schwerin entweder Kostgelt, oder wan gespeiset wird - -, zu Hoffe seinen Tisch haben" (vgl. die Bestallung des Fiscals Dr. Grasse vom 12. Januar 1572, desgleichen die des Fiscals Dr. Albinus); und noch im Rescripte vom 9. Juli 1692 wird "Unserm Fiscali Dri. Petro Johanni Praetorio zu so viel alß ein Trauerkleid (30 Thlr.) von

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denen vorhandenen oder einkommenden fiscalischen Straffgeldern gereichet" (bei der Landestrauer um den Herzog Christian Louis).

Aber schon nach Rückverlegung der Justiz=Canzlei von Güstrow im Jahre 1632 tritt der Fiscal Dr. Lüdeking in den Terminen nur als anklagende Partei auf; von einer Stellung desselben als Beisitzer im Gerichte enthält fortan die Bestallung des Fiscals nichts, das Verbot der Privat=Advocatur und Procuratur bleibt aber von Bestand.

Der Fiscal tritt, seit seiner speciellen Bestellung als solcher bei der hiesigen Justiz=Canzlei, in den nicht rein criminellen Untersuchungen (über welche weiter unten bei Bearbeitung des fiscalischen Inquisitions=Processes genauer gehandelt werden wird) gewöhnlich nur auf Excitirung der Canzlei, zuweilen aber auch (schon in der ersten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts) selbstthätig als Kläger auf; ihm war durch seine Bestallung das Letztere eindringlichst aufgegeben. Z. B. erinnert Herzog Christian Louis seinen Fiscal Dr. Petrus Dominicus zu diesen Anstellungs=Acten, für Herbeischaffung der fiscalischen Strafen und Gefälle mit mehr Eifer zu sorgen, und substituirt ihm zur besseren Herbeischaffung von Strafgeldern den Dr. Praetorius als Vice=Fiscal, worauf Ersterer in seiner Repräsentationsschrift weitläufig ausführt, daß er sich der Beitreibung der Pönen und Bußen nicht nur im Interesse Serenissimi, sondern schon seines eigenen Interesses wegen mehr als zu viel befleißige und derentwegen, sowie seiner Habgier halber schon von männiglich "angegossen worden sei". (S. auch Glöckler in den Jahrbüchern des Vereins für meklenb. Geschichte und Alterthumskunde, Bd. XV, S. 138 f.)

Zu dem Interesse des Landesherrn und dem des Fiscals an den Succumbenz=Geldern trat das der Mitglieder des Collegiums und der Subalternen wegen der Gerichtssporteln hinzu, da sie größtentheils aus den Gefällen ihre Einnahme zu beziehen hatten. - Daher, als unterm 23. Februar 1654 die Juraten der Kirche zu Sternberg baten, die wider den Müller zur Rothen Mühle Hans H. wegen Excesses erkannte, durch die Gnade Serenissimi auf 50 Fl. festgesetzte, fiscalische Strafe zur Reparirung der baufälligen Kirche ihnen gnädigst zu überweisen, wurde ihnen zum Bescheide gegeben, daß diesem Gesuche von J. F. G. nicht habe deferirt werden wollen, da ihrer Räthe und ihres Fiskals Interesse vorgingen. Ein Jahrhundert später, am 28. Decbr. 1756, wurden die bei der Canzlei aufkommenden, ad pias causas gewidmeten

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Straf=Gefälle für das zu erbauende Waisenhaus bestimmt; allein da die Canzlei berichtete, daß die Straf=Gefälle zur Bestreitung ihrer eigenen Bedürfnisse bei weitem nicht zureichten, und überdies die öfteren höchsten Begnadigungen den Fiscus zu sehr in Armuth erhalten hätten, ward auf die Befolgung dieser Verordnung nicht weiter gedrungen.

Nach der Verordnung vom 12. Septbr. 1855 wurden die ex officio erkannten Geldstrafen, zu deren Beitreibung bis dahin der Fiscal excitirt war, der sie dann durch besonders angestellte und durchgeführte Klagen exequirt hatte, zur Vermeidung unnöthiger Kosten von der Justiz=Canzlei selbst beigetrieben.

Die Competenz des Fiscals an den Strafgeldern betrug bis zum Jahre 1774 den 10., von da bis 1837 den 5., und seit dem 8. Jan. 1837 den 3. Theil derselben.

In dem Vortrage ad Serenissimuni vom 18. Juli 1715 über Beschleunigung des fiscalischen Processes hob der derzeitige Justiz=Canzlei=Fiscal Casimir besonders hervor, daß, weil in unserm Gerichte keine besondere Fiscal=Ordnung zu finden, darin der modus procedendi vorgeschrieben, fast aus jeder fiscalischen Klage=Sache ein processus ordinarius gemacht würde, welcher glücklich genug sei, wenn er etwa in einem Dutzend Jahre völlig zu Ende komme, während von Rechts wegen diese Processe nach möglichster Kürze gehandelt werden müßten, da sie das fürstliche Interesse vor Allem beträfen. Die Canzlei machte dagegen vorstellig, daß sie, gleichwie alle übrigen Processe, so auch die fiscalischen nach aller Möglichkeit zu beschleunigen sich bewußt sei, daß aber die Rücksicht auf die Gerechtigkeit, die durch die Landstände geschaffenen Hemmnisse, das nicht zu verhindernde Bestreben der fiscalisch Belangten, die Sachen möglichst zu verschleppen, es ihr unmöglich machten rascher zu procediren; sie lebe der festen Hoffnung, ein jeder unparteiischer und gewissenhafter Rechtsgelehrter, der die Mühe und Arbeit ihre Acten zu revidiren übernehme, werde in der That befinden, daß "ordnungs= und proceßmäßig processus dirigiret, und allemal, quod justum, aequum et pium, erkannt sei, cujus praemium nobis crit, bene judicasse".

Es finden sich unter den alten fiscalischen Processen allerdings auch solche, welche nach jahrelanger Verzögerung durch die Beklagten ohne Endresultat geblieben sind, unter andern aus dem Jahre 1616 ein Injurienproceß gegen Stellan R. zu Kl.=Trebbow, auf Anzeige des Pastors B. zu Gr.=Trebbow, in welchem nach Verhandlung im Termin vom

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25. Juni 1616, auf Antrag des Fiscals, die Zeugen über die eingereichten Artikel durch Commissarien haben abgehört werden sollen; ferner aus dem Jahre 1645 die auf besonderen Befehl des Herzogs Adolph Friedrich wider den Capitain J. wegen Holzfällung erhobene Klage, über welche Beklagter und Zeugen im Termine vom 16. Juni 1645 vernommen sind, zur weiteren Beweisführung und zur Grenz=Bestimmung Commissarien ernannt werden sollten; ebenso aus dem Jahre 1679 ein fiscalischer Proceß wegen Entheiligung des Sabbaths, der, nach einer Verhandlung im Termine, sowie nach weitläufigen Zeugenverhören, bei dem unterm 17. Novbr. 1683 an den Beklagten erlassenen Befehl zur Exception ruhen geblieben ist.

Was nun den modus procedendi im fiscalischen Processe anbetrifft (Trotsche II, S. 222 ff.), so unterlagen der fiscalischen Rüge (Criminal=Untersuchungen s. unten) folgende Vergehen: Wucher, Duell, öffentliche Beleidigung gegen Behörden und Privatpersonen, gesetzwidriges Copuliren vor beschaffter Auseinandersetzung, Uebertretung der Medicinal=Gesetze, Uebergriffe der katholischen Geistlichkeit durch Copulation, Taufe, Unterricht lutherischer Glaubens =Genossen, Contraventionen gegen die Gesetze über Heiligung des Sonntags, unterlassene Taufe eines Kindes, über Ehebruch, angemaßte Entscheidungen der Niedergerichte in Ehesachen, Unzucht, Contraventionen gegen die Jagd= und die Wege=Polizei=Gesetze, gegen das Paß=Gesetz, gegen Hazard=Spiel, gegen die Artikel XIII. und XV. des Landes=Grundgesetzlichen Erb=Vergleichs, in neuester Zeit auch Contraventionen gegen die Verordnungen über Anlage von Dampfmaschinen, und bis zum Jahre 1855 gegen die Beitreibung der von der Justiz=Canzlei erkannten Strafen.

Thätig wurde der Canzlei=Fiscal entweder ex officio in Folge ihm bekannt gewordener Vergehen oder durch Excitirung von Seiten der Justiz=Canzlei, indem diese ihn entweder förmlich zur Wahrnehmung seiner Pflicht aufforderte oder ihm die seine Thätigkeit beanspruchenden Acten mittheilte. Daß der Fiscal unbedingt den Excitatorien Folge zu leisten schuldig sei, das ist früher nicht angezweifelt; aber aus besonderer Veranlassung ist durch ein Reg.=Rescript vom 2. Septbr. 1829 dem Fiscal erlaubt, die Uebernahme der Vertheidigung eines Canzlei=Erkenntnisses, gegen welches von dem Verurtheilten Rechtsmittel eingelegt worden, abzulehnen. Falls der Fiscal ihm zur Wahrnehmung seines Amtes mitgetheilte Vergehen zu ahnden Bedenken trug, hatte er diese

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in einem geheimen (bei dem Directorium der Canzlei versiegelt einzureichenden) Bericht vorzutragen, und dann wurde den Umständen nach das Excitatorium zurückgenommen, oder aber auch ein Special=Fiscal für den besondern Fall bestellt.

Auf die vom Fiscal überreichte Klage, in welcher unter Berücksichtigung der (am 22. April 1864 zurückgenommenen) Verordnung vom 2. Juni 1815 das begründende Straf=Gesetz angeführt, und nicht bloß allgemein angegeben werden sollte, daß das gerügte Factum in bekannten Gesetzen erboten sei, erließ das Gericht die Ladung an den Beklagten zum Erscheinen in Person ad videndum se incidisse et audiendum declarari in poenam (um zu sehen und zu hören, wie er in Strafe verfallen und darin wird genommen werden), cum clausula, oder auch ad videndum cassari et annullari u. s. w. - Die "Neuerung, daß Unsere Landes=Gerichte auf die pflichtmäßigen Anträge Unserer Fiscale bald mit der Reichs= und in Unsern Landen üblichen Citation, bald mit Mandatis zur Vernehmlassung verfahren", wird im Regierungs=Rescript vom 12. August 1788 strenge getadelt und verworfen. - Auf das persönliche Erscheinen des Beklagten, jedoch unter Assistenz eines Anwaltes, ist, "als auf ein geheiligtes Verfahren unsrer Vorfahren", stets gedrungen. Nur in Rücksicht auf den §. 42 der Landes=Reversalen vom J. 1621, der die fiscalisch Angeklagten in delictis casualibus vom persönlichen Erscheinen befreit und implicite Alles der Beurtheilung des Richters pro qualitate delicti überläßt, wurde, z. B. beim Widerspruch des wegen Ehebruchs fiscalisch angeklagten Stadtrichters B. am 25. Juli 1796, - um die von demselben beantragte Einholung eines Erkenntnisses ab extraneis über die Frage seiner Verpflichtung zum Erscheinen in Person zu vermeiden - aus bewegenden Ursachen seine schriftliche Litiscontestation für genügend angenommen; und ebenso 1812 in einer Injurien=Sache, weil hier kein delictum enorme vorliege, und die Beschaffenheit des Vergehens das Nichterscheinen des Beklagten und die Nichtabgabe einer persönlichen Litiscontestation vollkommen gestatte, ein Mandat zur schriftlichen Erwiderung erlassen.

Bis in die Mitte des vorigen Jahrhunderts ward die Einreichung von Artikeln zur Leitung des mündlichen Verfahrens vom Fiscal gefordert; später ist diese Aufgabe nicht mehr gemacht, sondern nach terminlich verhandelter Sache erfolgte das Erkenntniß, oder bei zugelassenem schriftlichem Verfahren der Regel nach schon auf die Replik des Fiscals. Dupliken kommen nur in wenigen fiscalischen Processen vor.

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Nach der Verordnung vom 7. Juli 1704 sollten zur Abkürzung der fiscalischen Processe hinfüro, wenngleich die Parteien Acten ad extraneos zu versenden verlangen sollten, selbige nicht verschicket, sondern das erste Interlocutur= oder Definitiv=Urtheil von den hiesigen Gerichten selbst abgefaßt und gesprochen werden; die Praxis hat diese Bestimmung aber unbeachtet gelassen.

In einer Klage des Fiscals wegen abermaligen Wuchers ist unterm 7. April 1833 ausgesprochen, daß jener gegen den Angeklagten auf den Reinigungseid antragen dürfe, weil die gesetzlichen Bestimmungen über Eidesdelation in fiscalischen Sachen auf den Reinigungseid gegen einen des Wuchers Verdächtigen nach der Polizei=Ordnung von 1572, Tit. IX, pag. 7 nicht anwendlich sind.

Daß der Landesherr bei dem Ausgange der fiscalischen Processe während des letzten Jahrhunderts kein Interesse hatte, ist gewiß; und in soferne ist die bei Trotsche II, Seite 232 vorkommende Wendung: "ist von selbst klar", unzweifelhaft richtig. Im 17. Jahrhunderte aber wurde den Fiscalen bei ihrer Anstellung "die möglichst scharfe Beitreibung von Straf=Gefällen zu Unserm fisco" zur Pflicht gemacht, und noch im Termine vom 11. Mai 1767 wurde der, anfangs rein inquisitorische, dann fiscalische Proceß gegen den Oberhauptmann v. P. zu H. pcto. vis et metus dahin verglichen: daß Angeklagter 1000 Rthlr. N2/3 als die geringste Summe, auf welche das Gericht zu transigiren nachgeben könne, zahle, und zwar um der geldklemmenden Zeiten willen in zweien Terminen; wenn dieses geschehen, würde die Canzlei gesammte bei ihr gegen ihn anhängige fiscalische Processe hinlegen. Nach eingegangener Strafe wurde auf Bitten der Canzlei unterm 17. Decbr. 1767 darein gewilligt, daß diese Summe zum Abtrag der rückständigen Besoldungen des Collegiums und der Canzlei=Verwandten benutzt würde.

Im Jahre 1667 wird in der fiscalischen Klage wegen verletzter Jurisdiction der Angeklagte v. F. in contumaciam zu einer Strafe von 7000 Rthlrn. verdammt, und durch Urtheil vom 14. Decbr. 1679 der vom Fiscal wegen gewaltsamer Depossedirung und attentata gegen seine Pächter verklagte Graf H. V. v. Schultz in contumaciam als ein violentus detentor et turbator verurtheilt, den Fiscal wegen verursachter Kosten schadlos zu stellen und wegen nicht beschehener Parition die angedrohete Strafe von 11,150 Rthlr., als "ipso facto verfallen", zu zahlen.

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Aus diesen von dem Angeklagten eingezahlten 7000 und 11,150 Rthlrn. baten die Räthe, die Canzlei=Verwandten, auch andere zu der Justiz=Canzlei nicht gehörige Angestellte lange den Herzog Christian Ludwig, ihnen ihre durch lange Jahre rückständigen Gehalte zahlen zu lassen; der größte Theil dieser Strafgelder ward aber ihm in das Ausland nachgeschickt. -

Der älteste fiscalische Proceß, den ich in den Acten gefunden, ist aus dem Jahre 1620. Der Fiscal wird in einer Injurienklage durch das Decret: "Communicetur fiscali!" zur "Wahrnehmung seines Amtes" excitirt und stellt unterm 11. Mai 1620 die Klage an: "Wiewoll in Geist= und Weltlichen Rechten, auch deß heiligen Reichs sonderbahrer Verfassung und saluberrimis consitutionibus gantz heilsamlich und wol versehen, auch bei hohen, schweren straffen verbotten, daß Niemandt den anderen an seinem guten Leumunt, Herkommen und Namen schmähen, injuriiren, bezüchtigen, noch verkleinern oder sonsten in anderm Wege, unter waß gesuchtem schein es immer geschehen oder vertauschet werden wollte und möge, denunciiren, traduciren und verlestern solle, - -: So hat doch dessen alles gantz unerwogen und unbetrachtet Merten Dr. ohngefehr kurtz nach Jacobi des abgekugelten 1619. Jahres, Margarethe D., M. D.'s Sel. Wittibe, alß seine Schwiegermutter, - ganz groblichen injuriirt und geschmehet, die Mutter für eine Zauberin - - öffentlich ausgeruffen und gescholten, und da er dieser groben debachationen ha[lber] uff Zuschickung zweyer Menner - - ist zur rede gesetzet worden, hat er dieselben injurien trotziglichen und unentferbet gestanden, wie auß deren attestatis mit Lit. A zu befinden - - - und gelanget diesemnach hiermit an E. F. G. mein unterthgs. und hochfleißiges Bitten, Beklagtischen Merten Dr. auff eine kurze Tagefahrt vorzubescheiden, zu citiren und zu laden, ad videndum se incidisse et audiendum declarari in poenam in Person unausbleiblich zu erscheinen, nach geschehener seiner Abhörung in rechten zu erkennen und auszusprechen, das Injurianten nicht durchaus gebueret hatte, die Gegenpart unterstandenermaßen zu injuriiren, conspurciren und zu bezüchtigen, besondern [er] hierin zu viel und unrecht gethan und dahero, andern dergleichen Verleumdern zum beyspiell, abschew und exempel, dieser sachen großwichtigkeit nach, zu einer öffentlichen recantation und Widerruff, mit anhengung einer ansehnlicher und nahmhaffter Geltbuß, zu straffen, zu condemniren und zu verdammen sey. - Salvo." (Noch bis

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in das 18. Jahrhundert hinein war es Stil, daß der Fiscal seine Vorträge nicht mit seinem Namen, sondern nur salvo, resp. reserv. reservandis, unterschrieb.) - Im Termine vom 28. Juni 1620 erscheint der Ankläger, überreicht die erforderlichen Artikel, producirt die Beleidigten und die von diesen beigebrachten Zeugen und beantragt deren Vernehmung. Beklagter erscheint ohne Assistenz eines Sachwaltes. Das Gericht bemüht sich die Streitigkeiten in Güte beizulegen, und nach erreichtem Vergleiche erläßt es sofort den Abschied. -

Wird der, stets mühsam vom Collegium versuchte, Vergleich nicht erreicht, so verweitläuftigt das Verfahren sich namentlich durch die umfänglichen Zeugen=Abhörungen, welche gewöhnlich durch Commissarien beschafft werden. Nach von diesen eingereichten Zeugenrotuln wird dem Fiscal aufgegeben zu deduciren, und dem Angeklagten sich dagegen vernehmen zu lassen; es wird oftmals replicirt, duplicirt, ja triplicirt, bis auf Actenschluß erkannt und der Spruch erlassen ist. Ebenso kommt es vielfach vor, daß der zur Beitreibung verwirkter Strafe excitirte Fiscal in einen weitläufigen Schriftenwechsel verwickelt wird, da gemeinhin die Sachwalte der Beklagten sich bemühen, nicht bloß Einwendungen gegen die Klagen desselben vorzubringen, sondern die bereits entschiedenen Streitpunkte von Grund aus zu besprechen und rechtskräftig Entschiedenes anzugreifen und umzustoßen. Und so haben sich allerdings manche fiscalische, auf Strafvollstreckung gerichtete Klagen Jahre lang verschleppt.

Wir fügen schließlich noch einige bemerkenswerthe fiscalische Processe an.

Der Worthalter und Kirchen=Jurat T. zu Wittenburg denuncirt unterm 22. Juni 1675 den Bäcker L. daselbst wegen grober Injurien. Zuvörderst erläßt nun die Justiz=Canzlei an Bürgermeister, Gericht und Rath zu Wittenburg den Befehl, sich des Denunciaten, der wegen ausgeschütteter grober Injurien weichhaft geworden, zu versichern, exitirt den Fiscal, erkennt auf dessen Antrag terminliche Verhandlung, und verurtheilt nach dem Termine den Beklagten zu Landes=Verweisung auf fünf Jahre, nach zuvoriger gerichtlicher Abbitte und Widerruf, auch geleisteter Urfehde. - Demungeachtet bleibt L. bis zum Jahre 1677 unangefochten in Wittenburg, erwirkt vom Herzog Christian Louis eine Begnadigung d. d. Hamburg 10. Februar/31. Januar 1677 und beleidigt T. sofort aufs Neue. Darauf erhebt der Fiscal unterm 6. Februar 1677 eine neue Anklage wider ihn, und er wird abermals des Landes verwiesen, unter Androhung, daß er beim Wieder=

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betreten der Stadt W. sofort angegriffen, festgemacht und in Ketten und Bande geschlagen werden solle. Allein, da der Fiscal vom Herzog zu einem Bericht darüber aufgefordert wird, daß seine Begnadigung nicht respectirt worden, stellt er der Justiz=Canzlei vor, daß der Allerhöchste Befehl wohl zu beachten sein möge, producirt die dem L. vom Magistrat zu W. abgenommene Begnadigungs=Acte und erreicht die Zurücknahme des Straf=Mandats, an dessen Stelle ein Erlaß am 4. October an den Angeklagten ergeht: "Moneatur ex abundanti serio, sich aller Injurien und Schmähworter gäntzlich zu enthalten, und durch sein ungezähmtes Maul der erlangten, wiewol unverdienten, hohen fürstl. Gnade sich selbst nicht verlustig zu machen, widrigenfalls er die unterm 6. Februar h. a. angedrohte Verordnung unfehlbar zu gewärtigen habe". -

Der Fiscal klagte unterm 11. März 1678 wider Bürgermeister, Gericht und Rath zu Wittenburg, daß dieselben den Notar E. wegen angeblicher Respectwidrigkeit in Haft genommen, ihm einen "Bolten" angeleget, ihn eine ganze Nacht bis in den andern Tag in Arrest und Banden liegen lassen, und erwirkt im Termine am 16. Mai nach weitläufiger Verhandlung den Bescheid, daß Angeklagte wegen solches excessiven Verfahrens sich mit dem fürstlichen Fiscus mittels Erlegung einer Geldstrafe, welche ihnen hiemit zum wenigsten auf 1000 Rthlr. gesetzet werde, sowie mit dem Fiscal seiner gehabten Unkosten halber, innerhalb der nächsten drei Wochen unfehlbar und sub poena paratissimae executionis zu vergleichen und abzufinden schuldig seien. - Aber der Herzog Christian Louis absolvirte (Hamburg, den 29. Mai 1678) für diesmal aus sonderbaren Gnaden die Angeklagten von der fiscalischen Strafe. -

1701 klagte der Fiscal gegen J. wegen Entheiligung des Sabbaths, und erreichte die Verurtheilung des Angeklagten in eine Geldbuße von 200 Rthln., der schon damals eventuell Gefängnißstrafe substituirt ward. -

1756 opponirte der v. P. in Sachen des Fiscals wider ihn, Wegen Gewaltthätigkeiten, Injurien etc ., exceptionem cautionis, berief sich zur Begründung der Einrede auf §. 411 des Landes=Grundgesetzlichen Erb=Vergleichs, und erreichte nicht nur einen Schriftenwechsel über diese Frage, sondern ermöglichte durch die Spitzfindigkeit und Rabulisterei seines Sachwaltes die Verschleppung der Sache über 1 1/2 Jahre, ward aber schließlich doch mit diesem "unnützen Vorbringen" abgewiesen.

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Criminal=Verfahren.

Indem ich von den Criminal=Untersuchungen nach den dreierlei: Richtungen der Führung derselben von der Justiz=Canzlei ohne Zuziehung des Fiscals, sodann unter seiner Mitwirkung, und drittens der Ertheilung von Urtheils=Vorschriften an Niedergerichte, wichtige und interessirende Acten der Justiz=Canzlei excerpire, hoffe ich mir nicht den Vorwurf der Weitschweifigkeit zuzuziehen, da es leicht geschehen könnte, daß der frühere modus procedendi in Criminal=Untersuchungen, als antiquirt, nach Ablauf einiger Jahrzehnte der Vergessenheit anheimfiele. Hexenprocesse und die Tortur sind gleichfalls aus dieser Rücksicht weitläufiger besprochen.

1) Von der Justiz=Canzlei ohne Zuziehung des Fiscals geführte Untersuchungen.

Einer der ältesten vor der Justiz=Canzlei geführten vollständigen Criminalfälle, - nur sehr wenige Criminal=Untersuchungs=Acten aus dem 17. Jahrhundert sind complet vorgefunden -, ist die Untersuchungssache gegen den J. H., Juraten bei dem St. Jürgen=Armenhause zu Sternberg, pcto. vis etc . (angeblicher Nöthigung der verehelichten L.), aus dem Jahre 1618, aus dem Grunde um so interessanter, als das denuncirende Niedergericht im Laufe dieser Untersuchung als Proceßpartei behandelt ist.

Bei Einreichung sehr spärlicher Voracten, welche sich auf die nothdürftigste Abhörung der L., deren Ehemann eine ihr angeblich widerfahrene Nöthigung zur Anzeige beim Stadtgerichte zu Sternberg gebracht hat, beschränken, trägt der dortige Stadt=Vogt Claus Schoff unterm 11. April 1618 vor: - - - "als gelanget ahn E. F. G. mein unterthänig bitten, dieselben mich durch ein fürstlich Mandat in Gnaden verständigen zu wollen, was hierin zu thun oder zu lassen; was dan E. F. G. hierin gnetigk verordnen werden, dem bin ich in Unterthänigkeit zu gehorsamen, undt E. F. G. alle unterthänigen Dienste zu leisten schuldigk undt willigk". Unterm 16. April verfügt die Justiz=Canzlei, den Denunciaten zu verhaften. Dies geschieht; da aber seine "Frau und Freunde" für seine Entlassung aus der Haft interveniren, so wird er nach acht Tagen gegen Caution zweier Bürger freigelassen, unter demselben Datum (24.) jedoch auch an die Notare H. Boßow zu Parchim und Jobst Braun zu Crivitz, beide Rathsverwandte, ein Commissorium dahin ertheilt, dem Inquisiten auf Artikel, die ihnen von der Canzlei vor=

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geschrieben werden, und die namhaft gemachten Zeugen auf von den Commissarien zu formirende Artikel abzuhören. - Letztere requiriren den Notarius Johannes Kellermann zu Wismar zur Aufnahme und Anfertigung des rotuli examinis und berichten schon am 12. Juli vorläufig die Befolgung ihres Auftrags, während der von Kellermann und dem auf Requisition des Inculpaten adhibirten Notar Joh. Rudolphus zu Güstrow aufgenommene und angefertigte rotulus examinis rei et testium erst am 18. Febr. 1619 eingereicht wird. Der Inculpat bringt am 13. April 1619 ein von ihm nachgesuchtes und unterm 19. Mai v. J. ihm ertheiltes Rechtsgutachten der Juristen=Facultät zu Rostock, - wonach der Zeugen Aussagen, da dieselben die rechten denunciatores et delatores der bezichtigten Unthat seien, die Weiber auch zur Zeugen=Aussage billig nicht zuzulassen, der Richter oder Stadtvogt, da er per viam inquisitionis zu verharren gemeinet, anzuhalten sei Inquisitions=Artikel aufzumachen, und darauf Inquisit mit seiner Defension zu hören sei, - nachträglich zur Kenntniß der Justiz=Canzlei, mit dem Bemerken, wie er dieses Erachten den Commissarien bereits am 2. Juni 1618 mit Protest wider das weitere Verfahren vorgelegt, dagegen aber wieder das zugezogene und anwesende klagende Gericht protestirt, und die Commission erklärt habe, daß sie ohne höhere Weisung dieses Erachten nicht annehmen und nicht berücksichtigen werde. Er beantragt die Untersuchung zu sistiren. Dieser Vortrag wird dem Gericht zu Sternberg communicirt, das Protocoll der Zeugen=Abhörungen beiden Theilen mitgetheilt, auf Antrag des Inquisiten unterm 18. August 1619 dem Gericht ausgegeben: "daß ihr auf die euch jüngsthin zugefertigte Zeugen=Kundschaft ewre Probationsschrift innerhalb 6 Wochen unfehlbar gewiß in Unsre Canzlei hieselbst gehorsamblich einschaffet, damit der supplicant seine Defensions= und Exceptionsschrift darauf einbringen möge". Am 1. Octbr. reicht das Sternberger Gericht seine "Deductionsschrift" ein, sie wird andern Tages dem Inculpaten mit dem Befehle zugestellt: "seine notturft darauff innerhalb 6 Wochen gleichfalls beizubringen, darauf alsdann ferner ergeht, was Rechtens ist'. Erst am 24. April 1620 läuft vom Inculpaten die exceptio nullitatis juncta imploratione officii judicii ein und wird dem Gericht communicirt. - Dieses bringt nun am 16. März 1621 ein seinerseits von der Juristen=Facultät der Universität zu Frankfurt a. O. eingeholtes Rechtsgutachten bei: "Daß die - - eingereichte exceptio nullitatis et

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imploratio officii judicii der Importantz nicht sey, daß dardurch die vorgegangene Aydtliche Inquisition und Zeugenkundschafft, so von J. F. G. selbst anbefohlen und gestalten sachen nach ganz billig angeordnet worden, annulliret und cassiret werde, sondern allens solchens einredenß ungeachtet, obgleich auf Eurer Seiten von Obrigkeitßwegen ferner nichtß eingebracht würde, dennoch gedachter H. ohn ferneren Verzug und Verschleiff der sachen, die ohndieß nun in das dritte Jahr angestanden, auf die ergangenen Acta mit der Tortur wurklich belegt werden könne. Von Rechts Wegen". - Dem Inquisiten wird am 18. März dieser Vortrag des Gerichts nebst Abschrift der Anlage mitgetheilt mit dem Befehle: "binnen 3 Wochen nach Empfahung dieses seine endtliche conclusio gewißlich einzubringen, sonsten in dessen verpleibung die sach vor beschlossen angenommen und ferner erkannt werden soll, was Rechtens".

Der vom Inquisiten unterm 23. Mai eingereichten Conclusion sind zwei von ihm weiter eingeholte Gutachten angeschlossen, erstens eins von der Juristen=Facultät zu Rostock vom 7. April, worin dieselbe "nach vleisiger vorleß= und erwegung obgedachter Acten (nämlich eines ausführlichen Berichts und der vom Inquisiten dorthin eingesandten Manualacten) und eittlich geführter Kundschaft darauf erkennet und spricht uff ewre erste Frage vor Recht: daß der vom gewesenen Stadt=Vogte zum Sternberge, Claus Schossen, wider euch angestellte Inquisitions=Proceß, als den rechten zuwidern, an sich selbst null und nichtig sey, und dahero mit fuege keines Weges wider euch fürgenommen werden können; fürs andere und uff ewre andere frage sprechen Wir vor Recht, daß Ihr mit der uff Delation des Stadt=Vogts vorgenommenen captur billig hettet verschonet werden sollen, und das Ihr euch deswegen am Stadt=Vogte ordentlicher weiß zu erholen rechtmessige Ursachen habet. Schließlich und uff ewre dritte frage erachten Wir rechtens sein, das noch zur Zeit in actis dergleichen indicia wider euch nicht auffgebracht, das ihr vermüge deroselben mit der tortur oder scharfen frage kontet oder mochtet belegt werden. V. R. W." - Das andere, von der Juristen=Facultät der Universität Greifswald am 13. Mai 1621 ertheilte Gutachten ging gleichfalls dahin, "daß mit der Tortur dieser bezüchtigung halber nicht verfahren werden könne".

Auf diese Conclusion erfolgte der Actenschluß. Ein Rotulationstermin ward auf den 3. Juli anberahmt und in Anwesenheit der Räthe Mich. Bruns und Herrn. Meyers

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abgehalten. Erschienen waren beide "Principale" mit ihren Anwalten; von beiden letzteren wird wegen der übergebenen Frankfurter Belehrung "die notturfft vorbracht", jedoch nichts zu Protocoll dictirt; und weil der Inculpat die Belehrung nicht bei den Acten haben, das Gegentheil dieselbe aber nicht davon lassen will, "ist von den Herren Regierungs=Räthen deßhalben ein Abschied abgefasset und publicirt Inhalt deß die von Klegern producirte Acta, daruff die von Ihme übergebene Rechtsbelehrung eingeholet, ad Acta gelegt und beclagter innerhalb sechs Wochen seine endt= und schließliche notturfft darauf einbringen, und alsdann mit der Rotulation verfahren und ferner erkhant werden soll, was recht ist. Von Rechts Wegen".

Gegen dieses Erkenntniß legte der Inquisit am 26. August das Rechtsmittel der Appellation ein. Diese ward zwar von der Justiz=Canzlei verworfen ("denn weil ihm die Einbringung seiner notturfft vorbehalten, als habe er keine Ursach sich zu beschweren"); aber unterm 5. Octbr. ergingen Compulsoriales des Hof= und Landgerichts; und nun wurden die Acten an dasselbe edirt, und das Stadt=Gericht auf seinen Anruf zur Sache vom 17. Novbr. mit weiteren Anträgen an das judicium ad quod verwiesen. -

In Untersuchungssachen wider die bestrickte Sophie v. L. wegen Ehebruchs und procurationis abortus wird mit der, im Geheimen arretirten, Inquisitin vor versammeltem Collegium (unter dem Vorsitz des Canzlei=Directors Hajo v. Nessen) "uffm fürstlichen Hause" ein Verhör gehalten, und dessen Resultat sofort dem regierenden Herzoge berichtet, "wie die Sophie L. ihrem Geschlechte Schimpf angehenget, auch J. F. G. Rehte mit dieser Mühe wohl verschonen sollen. Ihre Freunde haben sich allenthalben vernehmen laßen, das mit ihr der Anfang gemacht worden, da sie doch eine von adel, mit der nicht mit der Tortur vorgegangen werden dürfe; so weren doch J. F. G. nicht schuldig, deswegen diesem oder jenem Rede und Antwort zu geben, und hätten Ihres von Gott hochtragenden Ambtes halber solche und dergleichen Sünde und Untugend zu straffen. Und wüßte man sich auch eines solchen Exempels sobald nicht zu erinnern, daß sie nicht sollte torquirt werden. - So hätte man ihr auch gerne einen Beistand ihrer Freunde gegönnt und zugelassen, weill aber Keiner erschienen, so müßten J. F. G. vorfahren". - Aber J. F. G. wollen "aus fürwiegenden Gnaden diese Sachen um der Person Willen uff sich beruhet haben", 25. Mai 1619. -

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Am 8. Mai 1620 ward auf dem fürstlichen Schlosse zu Schwerin im Pforthause ein Termin gehalten in Untersuchungssachen wider Barbara, J. v. P's. Wittib, jetzt des Michael Gr. Hausfrau, und Sigismund B., wegen gewaltsamer Vertreibung der Ehefrauen des Ebbe Anderssen und des Magnus Galt von dem Gute Thurow; vor versammeltem Collegium wurden die Angeklagten (die sich in Haft befanden), die denominirten Zeugen und die Denunciantinnen abgehört. Auf Communication des Termins=Protokolls und der Zeugen=Aussagen erfolgten unterm 18. Septbr. Salvationes, acceptationes, probationes et conclusiones der Denunciantinnen; diese Schrift sollte laut Decrets vom 21. "der gefangenen advocato uff sein Begehren zugestellt und ihm freygelassen werden, ob er daruff ferner zu handeln gemeynet," sonst sollte die sach vor beschlossen angenommen und ferner darauf resolviret werden, was Recht sei". Nachdem darauf die Angeklagten unterm 18. Novbr. eine in Rechten fundirte Exceptionsschrift übergeben hatten, ward am 1. Dec. decretirt: "Dafern die Cleger hievon Abschrift begehren, soll ihnen dieselbe gefolget werden". Sodann ward ein Rotulations=Termin auf den 1. Februar 1621 anberahmt. Den "Klägern" ist es hauptsächlich darum zu thun, noch mit einer Erwiderung auf die Defensionalen gehört zu werden; dies Gesuch wird ihnen aber wiederholt abgeschlagen, und die Acten werden an die Juristen=Facultät der Universität zu Helmstädt zur Abfassung des Urteils versandt, von wo sie am 16. März zurückkommen. Bevor die Sentenz noch publicirt wird, berichtet aber das Collegium an den Herzog bei Vorlegung derselben: "weil uns dann, zumahl es adeliche Persohnen betrifft, ohne E. F. G. vorwißen die Urthel exequiren zu laßen nicht gebühren will, alß haben E. F. G. wir solches gehorsamblich notificiren und dero gnedige Resolution darüber einholen wollen, Ob wir die Urthel erkhanter maßen exequiren laßen sollen; deme wir in unterthenigem gehorsamb nachzuleben uns pflichtschuldig erkhennen. Sonsten mögen E. F. G. wir untthg. nicht verhalten, das beide gefangene uf der Galten anclage in gefangkliche Hafft genohmen und bis zur Urtel wider dieselben procediret worden, Dahero nicht unbillig, das izbemelte Ancläger E. F. G. die uffgewante Atzung wiederumb erstatten mußen, Zumahl das Weib auch ihrer Forderung wider Galten, welche sich uff ein Zimbliches beläufft, zugleich verlustig erkhant worden. - P. S. Auch - - bitten E. F. G. gnedige Erclerung, - - Ob das weib durch den Hencker öffentlich oder, wie bei adeligen

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Persohnen woll gebreuchlich, nur vor Gericht des Landes zu verweisen". - Der Herzog genehmigt zu Doberan am 20. März die Vorschläge der Canzlei, "Inmaßen wir dan auch damit einig, - daß - der Galte die aufgewandte Kosten erstatte". - Am 23. März wird vor versammeltem Collegium auf der Canzlei=Rathsstube den gefangenen Barbara Gr. und Sigismund B. im Beisein beider Parteien (als Anklägers Magnus Galt und dessen Vaters) und deren Advocaten das Urtheil dahin publicirt: "daß vermöge kayser Carols des funfften und des heil. Römischen Reichs Peinlicher HalßGerichts=Ordnung, unterm 29. Articull begriffen, obbemeldeten beiden Gefangenen anzuzeigen, daß Sie durch die eingenommene eydtliche Kundschafften der geclagten und von Ihnen uffm Hoffe zu Turow fursätz= und ganz gefährlicher weise verübten Gewalt, Rauberey und landfriedbrüchigen thatten gnugsam überwiesen sein, und wan sie dan schon noch nicht bekennen und richtiger, alß noch beschehen, zugeben wollten, wieder dieselbigen nichts desto weiniger, der bewusten unterschiedtlichen Mißthatten halber, ohn einig Peinlich Frage oder ferner Inquisition zu verfahren, und der Gefangener Sigismundt B., Ihme zu wohlverdienter Straffe und andern zum abschewlichen Exempel, mit dem Schwerdt vom Leben zum todt zu richten, die auch bestrickte Barbara v. Pl. aber, Ihrer Person und Standtsgelegenheit nach, auch anderer Umbstände halber, mit der Todtsstraffe zu verschonen, Jedoch dieselbige uff der Ancläger vorhergehende eydtliche Specification die abgeraubte Sachen Ihnen gäntzlich zu restituiren - - schuldig und darüber, Ihr zu verdienter Straffe, des Landes, bis uff kundtliche unsere gnedige erlaßung, zu verweisen sey. Wie wir dan gemelte beide Gefangene respective dazu hiemit condemniren und verdammen. Alles Von Rechts wegen".

Auf Intercession der Herzoge in Livland, zu Kurland und Semgallen verfügte Herzog Adolph Friedrich jedoch unterm 25. März 1621 einstweilige Suspension des Erkenntnisses gegen B., und erforderte unterm 26. von der Canzlei einen Bericht über die Zulässigkeit der Begnadigung oder Verwandlung der Strafe in eine andere, und in welche? - "Da aber solches gewißens halber nit beschehen kann, solltet ihr die wieder ihm erkennte Urteil ohne erwartung fernerer befelch alßfort exequiren zu lassen krafft dieses befeliget seyn". Die Canzlei berichtet hierauf unter dem 3. April: es wären "in diesem Falle etzliche Circumstantiae und umbstände mit untterlauffen, die des gefangenen Straffe in etwas hetten

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mitigiren können, Nemblich das die Wittwe Pl. vom Hertzogen Ad. Fried. F. G. in das Gutt Turow Ihrer bekannten furderung halber gerichtlich immittirett, der Galte ihren Verwalter wegen ihres gezankgs und schmehens gefenglich einsperren laßen, welchen aus der Hafft zu erledigen, des Weibs Ehemann, Capitain Gr. sel., den gefangenen B., alß seinen bestalten Fendrich, dahin zu reißen vermucht, sie vor gewalt zu schützen, mit dem Vorgeben, er hätte von dem Hertzog F. G. Befelch gewaldt mit gewaldt zu steuren; dahero der gefangener aus Jugendt - - anders nicht gemeinet, dan das solches zu Recht woll erlaubt. - - weil dan in solchen Fellen quaelibet etiam fatua seu bestialis caussa menniglichen a dolo excusiret, bey jetzigem fhall auch kein Blut vergossen: - So hielten wirs - - dafür, das E. F. G. dem mehrbesagten B. das Leben auß gnaden woll schenken und die straffe etwa auf vier oder fünff Jhar wieder den Erbfeindt (dazu jetzo in Polen gutte gelegenheit vorhanden) sich gebrauchen zu laßen mitigiren und mindern könnten, gestaldt dan furnehme Rechtsgelehrten undt Criminales in solchem passu den Richter zu gelinder straff mehr dan zur scherffe vermahnen, zumhal dan auch E. F. G. in gnaden zu erinnern, das die whare Justitz wegen Menschlicher schwachheit mit den Delinquenten ein Mittleiden trägtt. - - E. F. G. haben wirs nachdem, als Dr. Christoff v. Hagen E. F. G. seine Meinung mündtlich zu eröffnen ercleret hatt, - zu unterthäniger Antwort überschreiben wollen". - Eine Woche später erfolgte der unmittelbare Bescheid: "daß (Wir) auf unterschiedliche ganz fleißig eingewante intercessiones obberurte Straff soweit suspendieren, das er (B.) des ganzen Fürstenthums Mekelburgk - (sowol unser, als etc . Herzogs Hans Albrechts Antheil) sich eußere, und alßfort daraus wechbegebe und auf 10 Jhar über wider den gemeinen Erbfeind Christlichen Namens, den Turken, (sich) ritterlich gebrauchen laße". "Wan er nun nach verlauff solcher 10 Jahren genugsame testimonia und beglaubte Urkunde seines wolverhaltens produciren und darzeigen wirt, soll ihm hinwieder ins Land frey zu kommen gnedig erlaubt und vergonnet seyn; zum wiedrigen fahl aber, da er obgesagtem also geburlich nit nachkommen, oder sich verschelcken wurde, die wieder Ihm erkante urteil zu jeder Zeit an ihm volziehen zu laßen uns frey und offen stehen. Befehlen euch demnach gnediglich, das Ihr gedachten Gefangenen vor euch erfordert und Ihm - - diese unsere gnedige bezeigung mit fleißiger ermanung, sich dieses eine Warnung sein zu laßen, hinfüro

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sich beßer vorzusehen und der Tugend nachzutrachten, anmeldet, und darauf die Urpheide berurtermaßen schweren laßett; daran geschieht unser gnediger will und meinung. Datum Dobbran, Ad. Friedr., H. z. M." - Die Urfehde ist geleistet.

Ueber die Privat=Ansprüche der Galt wider die Barbara Gr. wird im Termine vom 12. Mai verhandelt, Liquidation zugelegt, und demnächst die Größe des zu Ersetzenden gerichtlich am 4. Juli festgestellt. Am 8. Januar 1622 ergeht ex officio ein Befehl an Ebbe Anderssen Galt zu Turow dahin: "Du hast dich im untertenigen andenken zu erinnern, das du dasjenige, was auff Barbaren Pl. und Sigißmund B. die Zeit über, weil sie in gefenglicher hafft hieselbst enthalten worden, an atzung und anderen verwendet worden, biß dato nicht entrichtet, noch abgestattet. Befehlen Dir demnach -, die specificirten Kosten innerhalb 14 Tagen - - gehorsambst einzuschaffen, sub comminatione executionis". - Nach einer Notiz des Registrators Langermann ist die Zahlung am 14. März 1622 beschafft. Nach der dem Protocoll vom 12. Mai 1621 anliegenden Specification lautet die Berechnung der Atzungskosten: "Ao. 1620 den 4. Mai ufs Hauß Schwerin eingebracht eine Fraw vom Adel, die Pl., und einer auß Schweden, B. genannt, und ist uff dieselben biß 11. Aprilis Ao. 1621 ufehrgangen:

Uf die Pl. in 48 Wochen Kostgeldt für jede Woche 32 ßl., sein 64 fl.; item für die Fraw, so sie wartet, Kostgeldt eben 64 fl.; der Frawen, so sie wartet, für Seumbniß die Woche 6 ßl. = 12 fl.; für Holz und Lichter die Zeit 32 fl.; Summa 172 fl.

Uf den Schweden B. für 48 Wochen Kostgeldt, für jede Woche 32 ßl. = 64 fl.; item für einen Unterthanen, so ihn wartet, ebensoviel, 64 fl.; mehr des Unterthanen Verseumbniß die Woche 10 ßl. = 20 fl. 10 ßl.; für Holz 32 fl.; Summa 180 fl. 10 ßl." -

Im Termine am 17. Mai 1628 vergleicht die Justiz=Canzlei eine bei ihr auf Denunciation der Wittwe des Getödteten anhängig gewordene Untersuchung wider einen Schulzen wegen Todschlags ("er halt einen Pawren von Semmerin, nahmens Chim Branden, mit einem Beile in den Kopff gehawen, davon er auch hernacher an dem Tagk Todes verblichen") "durch Gottes Hilfe" zwischen dem Thäter und der Wittwe des Getödteten, resp. dessen Kindern, dahin: "daß der Thäter zu einer christlichen reconciliation sich erbotten undt der Wittib auf nechstkünfftigen Michaelis jetzt laufenden 1628sten Jahres Zehen Gulden, und dann des entleibten

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hinterlassenen zween Töchtern Viertzig Gulden erlegt und entrichtet".

In einer andern Untersuchungssache wegen Todschlags (homicidii) wurde 1633 der Inquisit auf das Gesuch seiner Ehefrau gegen Caution aus der Haft entlassen und erlegten die von ihm gewonnenen Bürgen eine solche auf 1000 Gulden. -

In Untersuchungssachen wider J. Ch. J., Justiz=Rath der Canzlei, puncto falsi, leitete die Justiz=Canzlei unterm 10. Septbr. 1757 die Untersuchung ein, verfügte die Verhaftung desselben, welcher auf der Bleikammer im Schlosse strenge verwahrt ward, beschaffte seine und der Zeugen Abhörung und deren Confrontation, bestellte einen Curator für die (im Laufe der Untersuchung insolvent werdende) Vermögensmasse, auch den Vertheidiger ex officio, und versandte, nach geschlossenem Verfahren, die Acten zur Abfassung des Erkenntnisses an die Juristen=Facultät der Universität zu Helmstädt, publicirte am 17. Octbr. 1759 das von derselben erlassene, auf zehnjährige Karren=Strafe lautende Urtheil, und verfügte nach eingeholter Ermächtigung der Regierung den Transport des Inculpaten auf die Festung zu Dömitz. -

Wider den Juden J. N. A. zu Schwerin wurde wegen Fälschungen und schändlichen Banquerotts unterm 1. August 1780 von der Justiz=Canzlei eine Untersuchung eingeleitet, bis zum 19. Juli 1781, ohne Zuziehung des Fiscals, fortgeführt und durch einen Spruch beendigt, welcher am 8. Octbr. dem Inculpaten publicirt ward und auf Ehrlos=Erklärung, Verurtheilung zum lebenswierigen Festungsbau, und dabei zu noch mehrerer Bezeichnung seiner Schande, des Beispiels wegen, zur steten Tragung einer mit einem kleinen eisernen Galgen und einer darin angebrachten Schelle versehenen Schand=Mütze * ), lautete. Nach an die Regierung abgestattetem Berichte über das Resultat der Untersuchung, und nachdem Inquisit auf die von ihm wider das Erkenntniß eingelegte Vertheidigung rein verzichtet und zu des Herzogs Gnade submittirt hatte, wurde die Strafe von diesem in eine Zuchthausstrafe auf Lebenszeit verwandelt, und Inquisit unterm 20. Novbr. zu deren Verbüßung nach Dömitz abgeführt. Wie, nicht aus den Canzlei=Acten, aber aus einer Notiz in den votis Collegii hervorgeht, hat S mus . schon im Jahre 1782 dem A. die Strafe erlassen. -


*) Anm. 1711 ward ein Wilddieb verurtheilt, auf einige Zeit Karrenarbeit zu thun und ein Gehörn vom Rehbock zu tragen.
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2) Von der Justiz=Canzlei mit Zuziehung des Fiscals geführte Untersuchungen.

Bei weitem die Mehrzahl der Criminal=Untersuchungen ist vor hiesiger Justiz=Canzlei in den Jahren von 1612 bis etwa 1780 unter Zuziehung und Leitung des Fiscals geführt, und zwar in der Form, daß ein der Justiz=Canzlei zur Kenntniß gekommenes, oder von den Niedergerichten denuncirtes Criminal=Verbrechen sofort dem Fiscal mitgetheilt, und ihm die Anfertigung erforderlicher Artikel u. s. w. überlassen, sowie die Leitung des Beweis=Verfahrens fast allein anvertraut ward. Die Abhörungen der Zeugen geschahen in seiner und des Angeklagten Gegenwart größtentheils vor dem Collegio selbst, bei sehr verwickelten und weitläufigen Zeugenverhören durch Commissarien. Nach Absolvirung der Zeugenhöre erging ein mandatum de deducendo an den Fiscal, demnächst ein mandatum de contradeducendo an den Angeklagten; häufig erfolgte dann weitläufigster Schriftenwechsel, bis die Aden inrotulirt wurden und das Erkenntniß erfolgte.

In der Nacht vom 15./16. Mai 1621 sind aus dem Justiz=Canzlei=Gebäude Depositen im Werthe von 661 fl. "an Schreckenberger Groschen und doppelten schillingen" gestohlen; der Verdacht des Diebstahls ist auf den Canzleijungen Hans M., der in dem Gebäude seine Dienstwohnung hat, gefallen, und auf Befehl des Herzogs Adolf Friedrich wird eine Untersuchung eingeleitet. Die Acten beginnen mit einem schon am 16. Mai vor versammeltem Collegium abgehaltenen Protocolle, zu dem der Canzleijunge summarisch, aber sehr eingehend, über diesen, von ihm angeblich entdeckten und sofort zur Anzeige gebrachten, Diebstahl vernommen, nach Beendigung des Termins aber sofort inhaftirt wird. Der Fiscal erhält Einsicht der Acten, übergiebt weitläufige Artikel zur Vernehmung einer großen Anzahl von Zeugen, und diese werden von dem Collegium abgehört. Dann werden von dem auf besonderen Befehl S mi . dem Inquisiten adjungirten Advocaten Dr. Neovinus unterm 29. April 1622 Defensonial=Zeugen vorgeschlagen, diese auch abgehört; der Augenschein wird aufgenommen. Die eidlich aufgenommene Kundschaft ist dem Fiscal communicirt, der "den Beweißthumb auff seiten E. F. G. Canzlei zu deduciren, und daß der inquirirte Hans M. sufficientibus ad torturam indiciis oneriret und zu recht mit der Tortur zu belegen sey", beibringt. Von dem Defensor wird in einer

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nicht minder voluminösen Schrift, wie die des Fiscals ist (welche über 153 Seiten füllt), die Unschuld des Inquisiten darzulegen gesucht. Nun erfolgt der Actenschluß. Es wird ein auf Belegung mit der Tortur lautendes Erkenntniß abgefaßt und dem Herzog zur hohen Approbation unterbreitet; allein dieser sendet es unvollzogen zurück, "da wir den Jungen laufen zu lassen gewillt".

Am 6. März 1635 ersticht der fürstl. Bereiter M. L. den fürstl. Stallknecht Bl. im Zorne nach voraufgegangenem kurzem Wortwechsel im Reitstalle. Nachdem das Verbrechen dem Fiscal denuncirt ist, übergiebt dieser am 21. desselben Monats die fiscalische Anklage. Der Eingang lautet: "Durchl. etc In sachen Ew. F. G. Verordneten Fiscalis, Anklegers ex officio, an einem, entgegen und wider M. L., Peinlich Angeklagten, am andern theile, in pcto. homicidii, erscheinet Fiscalis auff empfangenen sonderbahren Befehl gehorsamlich und übergiebt wider ermelten Angeklagten nachfolgende articulirte Peinliche Anklage, Jedoch mit Vorbehalt aller begnadungen und wohlthadten, damit ein jeder Ankleger vermüge gemeiner beschriebenen und Landüblichen Rechte, sonderlich aber in des heiligen Römischen Reichs Peinlichen Halßgerichts und anderen Ordnungen befreyet, nicht zwar in gestalt eines zerlichen libells, sondern schlechter erzehlung der ergangenen Geschichte, Unterthänigst bittende, Angeklagten darauff litem gebuerlich zu contestiren und auf alle und jede articul und derselben membra, welche fiscalis loco positionalium hiemit repetiret, mediante juramenta, singulariter singulis, durchs wort: "glaube wahr", oder: "glaube nicht wahr seyn", pure, distincte et cathegorice, ohne einen vorzuleßigen anhang, eigenes mundes zu respondiren, sub praejudicio anzubefehlen. Waß alsdann vom Angeklagten verneinet und nicht zugestanden werden will, solches erbeuth sich Fiscalis, jedoch allen Ueberfluß außgeschloßen, de quo protestatur, nach notturfft darzuthun und zu beweisen. Vermittelst solcher reservation und protestation setzet und saget Fiscalis:

1) Anfänglich wahr - - -. 23) Ist demnach unwiedersprechlich wahr, das diese entleibung anders nicht alß pro doloso homicidio zu achten und zu halten, auch dannenhero einhalts Keyser Carll des fünfften Peinlichen Halßgerichts=Ordnung an leib und leben zu bestraffen sey. 24) Entlich wahr, das von obarticulirten allen allhie zu Schwerin eine gemeine sag, gerücht und Leumunth sey. Schluß: "Weil dann, gdster. etc ., diesem allen in Wahrheit also, dis homicidium auch ohne einige probation evidenter notorium und vom

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Angeklagten ganz nicht geleugnet werden kan: Demnach so bittet Fiscalis, in Rechten zu erkennen, zu erklehren und außzusprechen, das Angeklagter daran wider die gemeine beschriebene Geist= und Weltliche Rechte, wie auch Reiches=Constitution, sonderlich aber das fünffte Gebodt Gottes sehr gröblich mißhandelt, auch deßhalber, einhalts Kayser Carll des fünfften peinlichen gerichts=Ordnung, mit ordentlicher Straffe der todtschläger billig zu bestraffen sey, auch solche Straffe an dem Angeklagten wuerklich zu exequiren und vollziehen zu laßen; undt thuet hierüber, oder was sonsten gestalten sachen nach wieder Angeklagten gebeten, oder auch ex officio erkanndt und angeordnet werden sollen, können oder muegen, Ew. F. G. hochadelich=mildtrichterliches Ambt pro juris et justitiae administratione omni meliori modo, undertheniges, höchstes fleißes imploriren und anruffen, addendi, corrigendi, minuendi et quovis alio jure semper salvo".

Auf die Klage ergeht der Befehl an den Bereiter, nicht allein litem zu contestiren, sondern sich auf den 7. April zu stellen und auff angelegte Articul mediante juramento zu respondiren, sub. comminat. litis pro contestata habendae. Im Termine erscheint der Fiscal, desgleichen der Angeklagte unter Assistenz des Dr. Wedemann. Nach geleistetem juramento respondendorum und negativer Litis=Contestation über die Artikel abgehört, bestreitet der Angeklagte die absichtliche Tödtung und versucht, den Zustand der Nothwehr nachzuweisen. Er bringt zu seiner Vertheidigung Aussagen von acht Zeugen bei, welche deponiren, der Stallknecht habe gedrohet seinen Degen zur Vertheidigung holen zu wollen; zugleich legt er ein visum repertum des herzoglichen Barbiers, Meisters Joachim Barkow, vor, wonach "es scheint, weil die wahrzeichen und der stich größer, das er vielleicht im pariren oder drehen ausgeschnitten und tödtlich geworden". Unterm 22. April überreicht L. articulos defensionales et elisivos, auf die dem Fiscal zu respondiren, auch sonst im Proceß weiter zu verfahren anbefohlen wird. Am 4. Mai widerspricht der Fiscal allem Vorgebrachten und bittet "zu Maturirung dieses peinlichen processus" um Erkennung einer Commission zu Aufnehmung weiterer fiscalischer Kundschaft an Bürgermeister und Rath zu Schwerin. Der Bereiter ward dann auf des Herzogs Befehl am 9. Mai nochmals in Gegenwart des Kanzlers, eines Raths und des Stallmeisters verhört und blieb bei der Behauptung erzwungener Nothwehr. Allein er trauete seiner Sache offenbar nicht; denn am 12. Mai

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machte der Herzog dem Gericht die Anzeige: "waßmaßen unser gefangener Bereiter sich des nachts durch einen Strick von seinem Losament heruntergelassen, und also davon kommen", mit dem Befehl auf strenge Untersuchung gegen Alle, welche etwa zu dieser Flucht behülflich gewesen. Die Justiz=Canzlei hatte den Bereiter gegen des Herzogs Ansicht ungeschlossen bewachen zu lassen gerathen; sie rechtfertigte die milde Gefangenschaft nun damit, "daß J. F. G. den Bereiter als einen Cavalier tractiret, denselben auch Ihrer fürstl. Tafel gewürdigt, daß in den Verhören der Inquisit solche Umbstände zu seiner Exculpation und Defension vorgebracht, daß, wenn er dieselben in processu mit zweyen oder nur mit einem Zeugen beweisen können, man ihm mit Recht an den Hals nicht kommen können", und erbat des Herzogs Genehmigung dazu, wider den Entflohenen den Fiscal excitiren zu dürfen und denselben zu instruiren, daß er den "Mordtachts=Proceß" bis zum Ende dirigire und maturire. - Eine Resolution ist auf diesen Bericht nicht erfolgt, und die Untersuchung nicht fortgesetzt. -

Im Jahre 1636 ward ein Proceß in S. Fürstl. Mekl. Fiscals, Anklägers, wider Lüder Jochim L. zu E., Angeklagten, pcto. homicidii angestrengt. Am 11. Octbr. macht L. selbst die Anzeige: waßgestalt er kurz verwichener Zeit mit einem Soldaten allhie leider zu Unglück kommen, - - maßen ihm ja sein Leben darauff gestanden, welches zu retten er sich nothwendig erwehren müssen. Er bringt sofort mehrere Zeugenabhörungen darüber bei, daß er aus Nothwehr den Angreifenden getödtet habe, und bittet um Entlassung aus der über ihn verhängten Haft, gegen jede Caution. Wirklich wird er auch in Freiheit gesetzt, aber der Fiscal excitirt. Dieser leitet den Proceß ein und überreicht Artikel. L. wird über dieselben am 5. Decbr., praestito juramento respondendorum, abgehört, und auf Antrag des Fiscals ein Commissorium an Bürgermeister und Rath zu Rostock und Bützow zur Abhörung von Entlastungszeugen ad perpetuam memoriam erlassen. Nach Eingang der Zeugenrotuln wird deren Publication und Communication beantragt, und diese unterm 10. Novbr. 1637 verfügt. Hierauf übergiebt der Fiscal seine "Probationsschrift", und am 16. Februar 1638 der Angeklagte seine Salvations= und Exceptionsschrift, am 21. Februar 1638 der Fiscal seine Conclusio juncta petitione, am 30. April 1638 der Angeklagte die Submissio juncta petitione, und es erfolgt unterm 3. Juli der Befehl an den Beklagten zur Einsendung der vollen Transmissionskosten.

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Zwecks Einholung eines Erkenntnisses ab extraneis auf die am 15. Juni rotulirten und von beiden Seiten richtig befundenen Acten. Der Angeklagte übergiebt aber nach dem Rotulations=Termine noch ein von ihm eingeholtes Gutachten der Rostocker Juristen=Facultät, wonach er von peinlicher fiscalischer Anklage, und deswegen ebensowohl a poena ordinaria quam extraordinaria pure und totaliter zu absolviren sei. Das von der Juristen=Facultät der Universität Wittenberg erlassene Erkenntniß wird am 20. Mai 1639 publicirt und lautet dahin: "daß peinlich Angeklagter die von ihm vorgeschützte Nothwehr zur notturfft erwiesen, und demnach von dieser peinlichen Anklage zu entbinden und loszuzehlen. Er ist aber die auf diesen Proceß gewandte Unkosten nach vorgehender Richterlichen Moderation zu erstatten schuldig." -

Eine Wittwe v. P. auf B. verklagte 1652 bei der Justiz=Canzlei den fürstlichen Holzvogt D., weil er einen ihrer Unterthanen, Namens Hans B., "auf freier strassen mit einem Schusse muthwilligerweise dergestalt tödtlich verwundet, daß er - daran gestorben". Der den Beamten zu Schwerin nun ausgegebenen Verhaftung entzieht sich der Angeklagte durch die Flucht; doch stellt er sich, nachdem ihm das erbetene freie Geleite zugesagt ist. Hieraus erhält der Fiscal den Befehl, eine articulirte Klage einzureichen; er übergiebt dieselbe am 14. Juli 1653, und die Sache wird im Termin am 6. Septbr. unter Zuziehung der Wittwe des Erschossenen verhandelt. D. hat auf fürstlichen Befehl "das versessene Monatsgeld" vom Junker P. executivisch beitreiben sollen, hat dasselbe nicht erhalten, ist von v. P. verhöhnt und durch den B. und Consorten vom Hofe vertrieben; Letztere haben sich tumultuarisch auch der gegen sie verhängten Execution widersetzt und dem Holzvogt einen abgepfändeten Ochsen mit Gewalt abgenommen. Später ist D. mit B. am Siechenbaume zu Schwerin zusammengetroffen, B. hat den Holzvogt verhöhnt, herausgefordert und ist auf ihn eingedrungen, so daß D. sein Gewehr ergriffen und jenen durch einen an sich durchaus nicht tödlichen Schuß verwundet hat. Erst durch schlechte Behandlung des Arztes ist die Wunde lebensgefährlich und tödlich geworden. - Da nun dem Angeklagten "dieses alles in E. F. G. gescheften wiederfahren", bittet er ihn für unschuldig und straflos zu erkennen. - Das Collegium bespricht die Sache mit den Parteien. Die Wittwe B.'s trägt darauf an, daß ihr der Arztlohn entrichtet und ihr gebührender Abtrag gethan werde;

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so vergleichen beide sich auf bestimmte Summen mit Genehmigung des Collegiums und unter Zustimmung des Fiscals. - Berthold v. P. hat, als jetziger Besitzer des väterlichen Gutes, für den "ihm verloren gegangenen Unterthanen" eine Privat=Entschädigung von 50 Rthln. gefordert und von D. erhalten; jetzt aber wird er auf Befehl der Canzlei wegen einer transactio de crimine fiscalisch belangt und zur Rückzahlung verurtheilt. -

Der Fiscal denuncirte den Stadtvogt Gr. zu Grevesmühlen "wegen jämmerlichen und zwar todlichen des Stadtknechts daselben N. N. verwundung und darauff erfolgten Ableibung", überreichte Artikel und beantragte Vorladung und Abhörung des Damnificanten und seine Belegung mit der ordentlichen Strafe der Todschläger. Darauf ward die Vorladung desselben zu einem Termin auf den 6. Februar 1654 angesetzt. Am 20. Januar übergiebt Gr. eine Vertheidigungsschrift unmittelbar bei dem Herzog; dieser aber übermittelt sie der Justiz=Canzlei mit der Verfügung: "Unsere Rähte sollen von dieser sachen Unß bericht thun, und da es sich berichtetermaßen verhelt, Unsern Stadtvogt von der fiscalischen Straf absolviren". Zu seiner Vertheidigung führt der Beklagte an, daß die Verwundung des Gerichtsdieners nach den beigebrachten Bescheinigungen des zuständigen Physicus durchaus nicht tödlich gewesen, daß er den Verstorbenen "wegen grober Injurien ex justo dolore et commotione ohngefehrlich mit einem Degen in den holen leib, doch ohne einige Verletzung der intestinorum, und also gantz nicht todtlich, verwundet, daß denatus nach vollständiger Heilung seiner Wunde gantz wiederum restituiret gewesen, aber alß ein alter, abgelebter Mann mit leibes schwachheit befallen, endlich die Schuld der Natur bezalen mussen". Er legt ferner eine Bescheinigung von Bürgermeister und Rath zu Wismar vor, wonach er sich wegen der auf dem Gebiet dieser Stadt vollführten Verwundung des Gerichtsdieners und dadurch geschehener Jurisdictions=Verletzung um eine gewisse Geldstrafe verglichen und abgefunden hat, sowie auch ein Erachten der Juristen=Facultät zu Rostock, wonach er der Verwundung halber von niemand mehr zu belangen, sondern aller ferneren Bestrafung und Anspruchs billig zu überheben und zu verschonen sei. - "Obwol nun in dieser sachen billig vorher gewisse Articul sollen abgefasset, und darauf vorerst der Barbierer eidlich abgehöret werden" etc ., erkannte die Justiz=Canzlei doch, ohne weiter den Fiscal zu hören, "daß der Angeklagte von der wider ihn angestellten

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fiscalischen Anklage gänzlich zu absolviren und zu entbinden sei". -

Johann und Caspar Gebrüder V. R., Capitain=Lieutenants, haben in Bützow in der Nacht vom 21. auf den 22. Septbr. 1657 argen Frevel verübt, Wohnungen demolirt, Fenster eingeschlagen, mit Pistolen geschossen "und ein greulich "Unfueg, geschrey und schelten, hauwen und schlagen und 6maliges Schießen verübet", den Küchenmeister beschimpft etc . Anf hiervon erhaltene Anzeige verfügt die Canzlei, beide R. sofort zu verhaften, entläßt sie jedoch wieder auf Fürsprache der Herzogin gegen eine Caution von 1500 fl., excitirt den Fiscal und ladet diesen und die Angeklagten zum 11. Jan. 1658 vor. Letztere reichen am 9. Jan. schriftliche Defensionalen ein und erklären sich zum juramento respondendorum bereit, begehren aber zuvörderst die Ableistung des juramenti dandorum und kündigen den ersten Termin ab, der dann auf 21. Februar erneuet festgesetzt wird. Inzwischen wenden sie sich an die Gnade des Landesherrn, der, nachdem er ein Gutachten von der Canzlei erfordert und erhalten hat, die Resolution ertheilt, "daß Sie die v. R. uff vorhergehenden großen Verweis auß lauter Gnade wollen pardonniret haben". - Die Angeklagten, der Fiscal und die mitvorgeladenen Küchenmeister und Commandant zu Bützow erscheinen im Termine am 1. März, und dort erfolgt, nach weitläufig verhandelter Sache, deren gütliche Beilegung durch einen Abschied, in welchem die in argem Trunk verübten Vergehen und Frevel dermaßen strafbar befunden werden, "daß gewiß, wo nicht bei einholender Urthel der Kopf, dennoch gewiß die Hand aberkannt werden würde, welches rechtens, und sollten sie sich versichert halten, wann solche Excesse bei Herzogs Ulrich F. G. hochseligen andenkens Zeiten geschehen, es schlecht für sie würde abgelauffen seyn", - jedoch "aus fürstl. milde, auff Intercession dero geliebten Gemählin und anderer fürstl. Personen, J. F. G. gnade für Recht gehen und diese angestrengte Capitalsache in Betracht, daß auch gebrüdere von R. Churlandische und Dero Vielgeliebten Herrn Vettern zu Churland Landsassen wären, endlich gnädig schwinden und fallen lassen, jedoch Ihren Herrn Räthen dabey anbefohlen, den R. einen argen Verweis zu geben, und sie zu ermahnen, daß hinführo sie sich für dergleichen Handel sowol in= als außerhalb Landes, auch für übermäßigen Trunk hüten sollen". -

Der Hauptmann V. erschoß 1681 in angetrunkenem Zustande den Bauerknecht H., weil dieser zögerte, ihm als

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Wegweiser zu dienen, wie er sich bei Altenhagen auf einem Spazierritte befand. Auf die erste Anzeige davon ließ ihn die Justiz=Canzlei arretiren, nach Schwerin bringen und in ihrem Pforthause verwahren, gab auch dem Fiscal den Auftrag, "die Klage, wie gebräuchlich, anzustellen, und zu dessen Behuf einige ex Actis et delicti circumstantiis sormirte articulos fordersamst zu übergeben". Doch hielt die Jutiz=Canzlei ohne diese Klage abzuwarten, am 26. Novbr. flgd. Untersuchungs=Verhöre selbständig ab und communicirte die Protocolle dem Fiscal. Dieser reichte am 2. December Inquisitional=Artikel ein, über die der Inquisit am 2. und 3. seine Antworten zu Protocoll gab. Auf die vom Fiscal am 6. übergebene Submission ward dem Inquisiten aufgegeben, mit seiner Vertheidigung fördersamst einzukommen, und ihm ex officio ein Defensor in der Person des Dr. Bilderbeck beigeordnet. Einem Antrag des Fiscals zufolge wurden am 22. und 23. Decbr. noch ferner Zeugen abgehört; am 11. März 1682 übergab der Defensor die Vertheidigungsschrift und beantragte auch seinerseits Zeugen=Verhöre. Nachdem diese gleichfalls beschafft waren, wurden die Acten am 2. April 1682 rotulirt. Dabei brachte Bilderbeck eine Intercession des Königs von Dänemark, sowie verschiedene für den Inquisiten sprechende Zeugnisse bei. Die Acten wurden an die Juristen=Facultät zu Helmstädt zur Einholung einer Belehrung versandt, nach deren Eingang die Justiz=Canzlei am 6. Mai ein Erkenntniß dahin erließ, daß der Inquisit mit der peinlichen Frage zu belegen sei. Zugleich erging an die Chirurgen zu Neu=Bukow der Befehl, ihre am 15. und 25. Novbr. v. J. über die Besichtigung des Entleibten abgestatteten Berichte vor dem Amts=Gerichte daselbst eidlich zu bestärken. Letzteres sandte dann die darüber aufgenommenen Protocolle ein, und nun ward den Schweriner Beamten (welche, wie am andern Orte bemerkt ist, in dem Canzlei=Gebäude der Zeit ihr Gerichtslocal hatten) befohlen, die peinliche Frage mit dem Inquisiten, jedoch ohne Anwendung der Tortur, vorzunehmen. Nach dem am 29. Aug. über die Ausrichtung dieses Befehls von den Beamten eingereichten Protocoll hat der Inquisit alle an ihn gestellten Fragen bejaht, aber gegen ein peinliches Verhör, welches ihm seine Ehre nehme, protestirt. Darauf wird den Beamten unterm 1. Septbr. abermals ein peinliches Verhör vor rite besetztem Criminal=Gerichte aufgegeben, und auch in diesem bejaht V. alle an ihn gestellten Fragen. Nunmehr werden unterm 20. die Acten an die Juristen=Facultät zu Greifswald zum

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weiteren Spruche versandt, und dieser erfolgt am 9. Octbr. dahin: daß der Inquisit, seines Bekenntnisses und seines Einwendens ungehindert, mit der scharfen Frage, wie vorhin erkannt, zu belegen sei. Die Ausführung dieses Spruchs trägt die Justiz=Canzlei dem Dr. Wulff und den Schweriner Beamten auf, und vor diesen erneuert der Inquisit sein Geständniß alles Inhalts. Auch dabei beruhigt sich das Gericht nicht, sondern auf erstatteten Bericht der Commission ergeht an sie der Befehl, "demohnerachtet solche interrogatoria, mediante territione und Fürlegung der zur Tortur gehörigen Instrumenta, jedoch das der Frohn ihm nicht an den Leib komme", von ihm beantworten zu lassen. Die Weigerung des Inquisiten, sich im Orte der Tortur zu gestellen, wird verworfen ("Weil das judicium an selbigem Ohrt formirt wurde, wehre solcher Ohrt nicht famös"), und er bei fortgesetzter Weigerung, in der Folterkammer sich abhören zu lassen, durch vier Musquetiere dahin geschleppt und namentlich darüber befragt, ob er nicht aus Desperation vielleicht mehr bekannt habe, als wahr sein möchte. Er blieb jedoch ungeachtet der Bedrohung mit der Tortur und der Vorzeigung der Foltergeräthe durch den Frohn dabei, nur die Wahrheit gesagt zu haben, und beklagte nur seine durch die Gewalt verlorene Ehre. Nach Eingang dieses Protocolls wurden, die Acten ohne Weiteres verschickt, und am 5. Decbr. fällte die Juristen=Facultät zu Frankfurt a. O. das Erkenntniß: daß Angeklagter Capitain Johann V. des von ihm mit der Pistole erschossenen Bauerknechts halber, wenn er auf seiner dieserhalb gethanen Bekenntniß vor öffentlichem Gericht beharrete, "durch harquebusiren" vom Leben zum Tode zu bringen sei. - Am 14. Decbr. decretirte die Justiz=Canzlei, daß das Urtheil am 18. zu vollstrecken sei, was dann auch geschehen ist. * ) -


*) Das folgende Actenstück enthält die Vollstreckung des Erkenntnisses und ist wörtlich abgeschrieben:
Bekänntnüße des Capitain Johan V. vorm
peinl. Halßgericht.
Bekant, daß Angeklagter, Capitain Johan V. den
vorm Dorff Altenhagen entleibeten Baurknecht,
Hinrich Hünemorder genant, mit einer Pistohlen
erschoßen.
Anno 1082, den 18. Dec., morgens umb 9 Uhr, wardt obgemelter Capitain Johan V., auff die Bahne (d. i. die Reitbahn) durch zwey Troppen Musquetirer, vermittelst Trommelschlage, oder Soldaten-Gespiel, vor das gehegte öffentliche Gericht geführet, daselbst er auff obige Vorhaltunge mit: Ja! antwortete, daß er den Bauerknecht (  ...  )
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Herzog Christian Louis übersendet ein ihm direct vorgelegtes Gesuch des Obristen v. M. zu S. um Gestattung der Wiederverheirathung an die Justiz=Canzlei mit dem Befehle (datirt Paris, d. 11. Juni 1685), hierin die Justiz und J. H. Dchl. Interesse schleunigst verfolgen und beobachten zu lassen. Der Supplicant bezichtigt in seinem Vortrage das Justiz=Collegium der Bestechlichkeit, und ist daneben des Verbrechens der Bigamie verdächtig. Er wird auf Antrag des excitirten Fiscals durch ein Militair=Commando sofort arretirt und in das hiesige Gefängniß gebracht und demnächst einem generellen Verhör unterworfen. Des angezeigten Verbrechens der Bigamie ist er nicht geständig, muß aber zugestehen, von seiner legitimen Ehefrau nicht geschieden zu sein, dennoch aber dem Herzoge vorgestellt zu haben, daß er eine zweite Ehe eingegangen oder einzugehen im Begriffe stehe. Der Fiscal formirt Artikel, der Angeklagte wird verhört, bleibt aber bei seinem Leugnen. Das Protocoll wird dem Fiscal und auch dem Obersten ex officio bestellten Sachwalt zur Deduction und Gegendeduction mitgetheilt, und nach Eingang derselben und der Actenrotulation ein Spruch der Rostocker Juristen=Facultät eingeholt. Diese erkennt am 15. October, daß der Inquisit "bei fernerem Läugnen durch mäßige Tortur zu Bekäntnus der lauteren, reinen warheit anzuhalten" sei. Bevor aber dies Urtheil vollstreckt wurde, erließ der Herzog am 23. Decbr. aus Paris


(  ...  ) erschossen; wollte auch wieder dafür sterben. Darob ihm die Urthel publicirt wardt. Alßo wardt er weiter hinunter, bis zu Ende am Reitstall geführt, daselbst Sandt gefahren, ein Schwarz Tuch gestrecket, und auf selbiges ein schwarz Küssen geleget war; an selbigem Ohrt wardt Er, als Von den Musquetirer Trouppen umbschlossen, durch den Hrn. Pater Stephani getröstet; ein VaterUnser von allen knient gebetet; Alßo durch drey Außgewehlte Musquetirer, von denen der Delinquente absonderlich den Mittelsten auswehlte den ersten Schuß zu verrichten, erschoßen, daß die Kugel nach dem See werts prallete. Vorher ließ er ihm die Augen nicht zubinden, kehrete auch denen, die ihn erschießen solten, nicht den Rücken, sondern das gesichte zu. Da nun die erwehlte Soldaten ihn ausgenommen, haben sie selbigen in das schwartze Tuch verhüllet, zumahlen er vorhin in keines Henckers Hände war gewesen, alßo in die fürstl. Schmiede auff der Bahn getragen, alda außgekleydet, in ein Sarg geleget und des Abents von den Musquetirern in aller Stille, ohne Klanck und Gesangk, zu Grabe getragen, welches von J. H. Dl. Ihm auß sonderbahren gnaden verordtnet, undt auff solche verordenunge im Creutzgange zu Schwerin zubereitet war. Actum ut supra.
Georg Havemann,            
Publ. Caes. et in Jud. prov. meg.
inmatriculatus notarius m. p.   
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den Befehl: "daß aus sonderbahren Gnaden und gewissen respecten Inquis. für itzo mit ferner affterfolgung wider ihn angestelleten processus übersehen, auch vermittelst außstellenden eydlichen reverßes Sich auff ergehende Ladung wieder zu sistiren, gar der hafft erlassen werden" sollte. -

Eine der bedeutendsten fiscalisch geleiteten Untersuchungen ist die im Jahre 1723 begonnene wider den ehemaligen dänischen Cornet, demnächst meklenburgischen Hauptmann Claus v. O. wegen eines Duells, an welche sich im Jahre 1729 eine zweite wegen Tödtung des Obristlieutenants v. R. schloß.

Der Hauptmann v. O. erschoß am 12. Novbr. 1723 auf Wismarschem Gebiete einen von ihm provocirten Lieutenant im Duell, entwich zuerst aus Meklenburg, erwirkte dann aber freies Geleite und stellte sich am 10. Juli 1724 der Schwerinschen Justiz=Canzlei zur Untersuchung. Der Fiscal wird nun gegen ihn excitirt, in dessen Gegenwart der Inquisit im Termine am 23. Juli summarisch verhört. Da er des Vergehens im Allgemeinen geständig ist und einen ausführlichen Bericht über den Sachverhalt zu Protocoll übergiebt, ergehen auf Antrag des Fiscals Subsidialschreiben zur Zeugen=Abhörung nach Kiel und Rendsburg, deren Erledigung sich ganze sechs Jahre verzögert. Ein Grund der Verzögerung ist auch die Unfähigkeit des Angeklagten, die ihm anbefohlene Einlösung des von den requirirten Behörden angefertigten Zeugen=Rotuls durch Uebersendung der bedeutenden Kosten zu beschaffen. Endlich am 17. Aug. 1730 überreicht der Fiscal seine Deduction, ein voluminöses Opus, am 24. April 1731 der Inquisit (welcher sich übrigens nur unter Stadt=Arrest befindet) seine gleichfalls umfangreiche Gegendeduction, worauf die Acten am 21. Mai rotulirt werden. Durch einen herzoglichen Befehl vom 9. Juni wird der Canzlei aufgegeben, das Erkenntniß in loco selbst zu sprechen, und demgemäß wird dasselbe unterm 25. Septbr. entworfen; es lautet dahin, daß der Angeklagte seines Verbrechens halber zu enthaupten sei, wenn er nicht nach vorgängiger Tortur eidlich erhärte, aus Nothwehr gehandelt zu haben. Dies Erkenntniß cum voto ist auch von den damaligen Räthen des Collegiums unterschrieben, aber sammt ihrem an den Herzog Carl Leopold gerichteten Begleitschreiben vom 25. Septbr. 1731 unexpedirt in den Acten liegen geblieben; und es scheint, daß die Sache, ohne daß irgendwelche Gründe zu ermitteln, bis zum Jahre 1737 ruhen geblieben, und v. O. des Stadt=Arrestes entlassen ist.

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In den Acten liegt noch eine Dispensation, in des Herzogs Carl Leopold Namen zu Rostock am 26. Mai 1728 ausgestellt, durch die dem v. O. sich anderweitig, seiner Gelegenheit nach, wieder zu verheirathen gestattet wird, und im Weihnachtsfeste 1729 finden wir ihn schon auf seinem Gute Sch. Denn am zweiten Weihnachtstage wird dort der zum Besuche anwesende Obristlieutenant v. R. wegen Verdachts, dem v. O. eine Uhr gestohlen zu haben, von diesem und zweien Gebrüdern v. P, Lieutenant S. Ch. und Fähnrich J. L., mit Schlägen so arg gemißhandelt, daß er unter ihren Händen stirbt. Gegen die Thäter wird eine Untersuchung eingeleitetet, sie werden arretirt und in Schwerin auf dem Schlosse in der Bleikammer in Haft gehalten, die v. P. aber sind im Laufe der Untersuchung gegen Caution ihres Arrestes entlassen. - Die fiscalische Anklage wegen Todschlags, unterm 19. Jan. 1730 gegen v. O. und Consorten erhoben, führte zu einer jahrelangen Untersuchung, welche meistentheils vom Fiscal geleitet ist, während die unzähligen Zeugen=Verhöre theils vor der Justiz=Canzlei, größtentheils aber durch Commissarien stattgefunden haben. Nach absolvirtem Zeugen=Verfahren übergiebt der Fiscal seine Deduction, v. O. seine Gegendeduction zu den Acten; diese werden rotulirt, und unterm 17. Jan. 1735 ergeht ein Erkenntniß, wodurch v. O. zum Tode verurtheilt wird. Dagegen legt er ein weiteres Rechtsmittel ein und überreicht seine Defensionsschrift, der Fiscal bringt zu deren Entkräftigung seine Gegendeduction ein, und die Acten werden rotulirt. Die Justiz=Canzlei berichtet unterm 26. Febr. 1737, "daß die Untersuchungs=Sache ctr. den v. O." [wegen des Duells] ganz liegen geblieben, und Erkenntniß in dieser und der Sache wegen Tödtung des v. R. ab extraneis einzuholen sei". Der von der Juristen=Facultät zu Frankfurt a. O. abgefaßte definitive Spruch geht dahin, daß v. O. mit dem Schwerte vom Leben zum Tode zu bringen sei. Derselbe ward dem Verurtheilten am 16. Septbr. 1738 verkündigt und hernach auch dem Herzog Carl Leopold unterbreitet und von demselben bestätigt. Die Angehörigen des v. O. bestürmten den Herzog vergebens, die Strafe zu erlassen, mindestens in Todesstrafe durch Erschießen zu mildern; sie erreichten nur eine Modification dahin, daß die Strafe des Todes durch das Schwert nicht auf dem Galgenberge, sondern auf dem alten Garten vollstreckt werden dürfe, und zwar mittels eines, von den Verwandten des v. O. zu diesem Zwecke herbeizuschaffenden, noch unbefleckten und nur zu dieser einzigen Execution zu

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benutzenden Schwertes, daß die Scharfrichter, resp. Henker, den v. O. nicht berühren dürften, daß der Leichnam von dazu bestellten und gedungenen Leuten sofort in einen Sarg gelegt, auf einen Leiterwagen gebracht und auf dem Armenkirchhofe vor dem Thore begraben würde. - Am 13. Octbr. 1738, nach vorher in der Bleikammer gehaltenem hochnothpeinlichem Halsgericht, ist die Execution durch Enthauptung erfolgt. - Gegen die beiden v. P. ist wegen Theilnahme an dem Todschlag nur auf eine Geldstrafe von je 1000 Rthlrn. erkannt.-

Der Capitain L. H. v. B. auf P. wird vom Fiscal bezichtigt, den Canzlei=Executor in officio beleidigt und sich grober Injurien gegen die Justiz=Canzlei schuldig gemacht zu haben. Auf diese Denunciation hin läßt ihn die Justiz=Canzlei auf seinem Gute arretiren, nach Schwerin schaffen und hier auf der Wache in Haft halten, auch nach einem summarischen Verhör am 15. Juli 1724 unter Arrest bleiben. Sein Gesuch um Entlassung aus demselben gegen Caution wird abgeschlagen, und ihm ex officio ein Vertheidiger bestellt. In einem Termin am 1. August werden in Gegenwart des Fiscals, sowie des Angeklagten und seines Advocaten, die vorgeschlagenen Zeugen über die vom Fiscal eingereichten Probatorial=Artikel und die vom Beklagten übergebenen Interrogatorien vernommen; im Abschiede auf das Protocoll aber wird dem Angeklagten aufgegeben: seine Reprobation besser, als geschehen, zu führen. Nun mischte sich der Engere Ausschuß in die Sache mit dem Ersuchen, v. B. aus dem Arrest zu entlassen. Die Canzlei respondirt: "Da seine Verbrechen enormes, auch zu mehreren Blutschulden des Landes großen Anlaß zu geben capables, soll dem v. B. gegen eine cautio von 1000 Rthlrn. gestattet sein, in ein gut Wirthaus zu logiren". Erneuete Intercessionalen des E. A. werden dem Fiscal mit dem Befehl zur Vernehmlassung communicirt; dieser widerspricht aber. Da übernimmt der E. A. eine Verbürgung auf die 1000 Rthlr. Im Termine am 9. Decbr. 1724 leistet v. B. den Eid, sich jederzeit auf Befehl dem Gerichte stellen zu wollen, nebst angehängter Urfehde, und wird, nachdem der E. A. die Bürgschafts=Acte eingereicht hat, seines Arrestes entlassen. Er übergiebt am 22. Februar 1725 Reprobatorial= Artikel; der Fiscal verwirft dieselben als "impertinentes" und trägt auf weitere commissarische Zeugen=Verhöre an. Zum Commissarius wird Adv. v. Schmitt, zum Gegen=Commissar der Candidat Oldenburg ex officio bestellt; sie überreichen am

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8. Jan. 1726 den Zeugenrotul. Darüber giebt der Fiscal befohlenermaßen am 23. Jan. seine Erklärung, der v. B. am 16. März 1726 seine Defension ein. An demselben Tage langt ein Antrag vom E. A. an, daß er "die transmissionem actorum ad exteros mit Bestande Rechtens gar wohl zu urgiren befugt sei und daher diese beantrage, um so mehr, als unter anderen concurrirenden Umbständen die Justiz=Canzlei den v. B. deshalb, daß er derselben Respect laediret haben soll, hat captiviren lassen, einfolglich bei der Sache interessiret und also darüber, ob und wieweit solches geschehen, tamquam in causa propria nicht sprechen kann". Dies Gesuch wird jedoch als "planiter unnütz" abgeschlagen und ein Rotulationstermin anberahmt zur Abfassung eines Erkenntnisses in loco; am 13. April 1729 ist derselbe auch vor sich gegangen, auf Antrag des Fiscals. - Dieser hat aber so wenig wie der v. B. auf Fortrückung der Sache angetragen, und sie ist liegen geblieben. -

Wir berühren hier schließlich noch den bekannten Preßproceß des v. d. Lühe auf Mulsow wegen Herausgabe seiner Druckschrift: "Anmerkungen über den jüngsten Landes=Vergleich". Auf die fiscalische Klage wurden am 20. Septbr. 1757 die gewöhnlichen Ladungen erlassen; der Angeklagte opponirte aber exceptiones sub- et obreptionis et fori plane incompetentis und entzog sich der wider ihn erkannten Arretirung durch die Flucht nach Wismar. Nach Beseitigung der vom dortigen Criminal=Gerichte gegen seine Auslieferung erhobenen Widersprüche, sowie nach Verwerfung der von ihm selbst gegen das ganze Verfahren eingelegten Appellation, ward er nach Schwerin gebracht und auf der Hauptwache detinirt. Bei der ersten terminlichen Verhandlung vor der Justiz=Canzlei am 10. Juni 1758 trug der Fiscal auf Versiegelung sämmtlicher auf dem Gute Mulsow vorfindlicher Schriften und Papiere des Angeklagten an, und diese ward verfügt, er selbst aber auf Verwendung seiner Ehefrau und vom Obristlieut. v. Quitzow geleistete Bürgschaft der Haft entlassen und erhielt die Erlaubniß eine Privatwohnung in der Stadt zu beziehen, ward jedoch unter Haus=Arrest gestellt. Der von ihm zum Defensor angenommene Dr. Bouchholtz wurde als solcher, unter der Verpflichtung genauester Wahrnehmung seines Advocaten=Eides, zugelassen, und von diesem am 1. März 1759 eine in jure et facto begründete Vertheidigungsschrift eingereicht, und diese dem Fiscal von der Canzlei übergeben mit dem Befehl, binnen 6 Wochen darauf zu repliciren. Schon am 22. März maturirt der Angeklagte,

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wird aber dahin beschieden: daß, gleichwie kein Billigdenkender diesem Herzogl. Gericht wegen der Verzögerung der Decretur auf seine am 1. d. M. zu den Acten eingebrachte und weitläufige, aus 524 Seiten (ohne die ihr anliegenden voluminösen 29 Anlagen) bestehende Defensionsschrift, zu deren genauer Nachlesung nicht Stunden, sondern Tage erforderlich gewesen, bei andern bekanntlich überhäuften Geschäften und bei den durch den Einmarsch fremder Kriegs=Völker noch dazugekommenen großen Unruhen Etwas zur Last zu legen sich in den Sinn kommen lassen konnte, also er bis zum Ablaufe der dem Fiscal zu Abgebung seiner Erklärung kurz genug bestimmten Frist sich billig zu gedulden, und sodann nach Befinden weitere rechtliche Verordnung, allemal aber auch, daß vom Gericht unnöthige Aufzüglichkeiten nicht würden verstattet werden, zu gewärtigen habe. Schon am 2. April übergiebt übrigens der Fiscal seine befehlsmäßige Erklärung, dagegen der Angeklagte erst am 6. Novbr. - nachdem eine für ihn von dem Engeren Ausschusse übergebene Bitte um Relaxation des Haus=Arrestes abschlagen, und ein Incidentstreit zwischen ihm und der Commandantur, wegen Zahlung der Wachkosten, erledigt ist, - seine Defensionsschrift. Am 16. Jan. 1760 überreicht der Fiscal seine Beweis=Artikel, bewirkt die Abhörung der vorgeschlagenen Zeugen, theils durch Subsidialschreiben an den Magistrat zu Wismar, theils am 25. Juni vor der Justiz=Canzlei; und am 22. Octbr. 1760 wird gesammter Zeugenrotul publicirt und communicirt. Der Fiscal überreicht am 30. Jan. 1761 deductionem probationis submissivam, worauf nach vielfachen Anrufen und Frist=Gesuchen erst unterm 4. Juni 1762 des Angeklagten duplicae submissivae eingehen. Jetzt werden die Acten für geschlossen erklärt, am 12. Juli rotulirt und nach Eingang der von beiden Parteien beizubringenden Transmissions=Kosten von je 10 Rthlrn. ad extraneos versandt; erst am 10. April 1763 kamen sie mit dem Erkenntnisse zurück. Dasselbe, am 14. April publicirt, lautete auf Bestrafung des v. d. Lühe mit einer Geldstrafe von 4000 Rthlrn. und seiner Verurtheilung in gesammte Kosten. Dagegen appellirte dieser am 11. Mai und erwirkte, daß am 29. Aug. 1764 die üblichen Compulsoriales cum citatione et inhibitione vom Reichs=Kammergericht zu Wetzlar ergingen. Nach eingeholter Genehmigung der Regierung leistete der Angeklagte am 30. April 1765 den Appellations=Eid, und die Acten wurden nach Wetzlar geschickt. - Allein die Justiz=Canzlei ward noch einmal in der Sache thätig. Nämlich vom Reichs=Kammer=

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gericht ward am 27. Febr. 1769 v. d. Lühe denuncirt, daß er den Referenten bei diesem Gerichte öffentlich der Bestechung beschuldigt, ihn also aufs Härteste verleumdet und beleidigt habe. Diese Denunciation ward der Justiz=Canzlei durch die Regierung mitgetheilt, und von dieser sofort die strengste Untersuchung, vorläufig durch Vernehmung des betheiligten Sachwaltes des Denunciaten, eingeleitet, demnächst der Fiscal excitirt. Letzterer führte die Untersuchung; nach eingegangenen exceptionales cum protestatione des Angeklagten aber ließ er die Sache ruhen. Auf Anfordern Smi. zur Fortführung und Beendigung der Untersuchung, nöthigenfalls zur Erlassung von Strafbefehlen an den Fiscal, berichtete die Justiz=Canzlei unterm 14. Nov. 1770: ex officio den Fiscal zu Anträgen auf Fortsetzung der Sache zu nöthigen, erscheine bedenklich, und dürfte die Sache, bewandten Umständen nach, wohl am besten auf sich beruhen bleiben. Und so schließen beide Untersuchungssachen mit einem unmittelbaren Bescheide des Herzogs vom 1. Octbr. 1783, wonach v. d. Lühe in beiden Untersuchungen rein abolirt und von Zahlung der Strafe von 4000 Rthlrn., sowie von den Untersuchungskosten befreiet ist.

3) Von der Justiz=Canzlei an Niedergerichte in Criminalsachen ertheilte Belehrungen.

Während seit dem Bestehen der Justiz=Canzlei irgend wichtigere und weitläufige Criminal=Untersuchungen von den Untergerichten nur unter specieller Oberleitung durch die Justiz=Canzlei geführt, das Erkenntniß entweder von dieser, oder von Juristen=Facultäten gesprochen wurde, sind seit den letzten Decennien des vorigen und in diesem Jahrhunderte dieselben durch die Niedergerichte selbstständiger eingeleitet und geführt, von der Justiz=Canzlei aber bis zur Reorganisation des Criminal=Verfahrens seit dem Jahre 1817 unzählige Informatorien, theils Zwischen=Erkenntnisse, theils End=Urtheile erkannt, und diese machten einen großen Theil der Arbeitslast des Collegiums um so mehr aus, als der Betrieb in Criminal=Untersuchungs=Sachen ein höchst eiliger war. In der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts waren die Niedergerichte angewiesen, die Untersuchungen bis zur Erkennung der Tortur oder Spruchreife zu führen, und nur die Endurtheile - welche die Patrimonial=Gerichte der Regel nach bei den Juristen=Facultäten nachzusuchen hatten - von der Justiz=Canzlei zu erbitten, die sie der Zeit ziemlich draconisch und kurz erließ.

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So erbittet im Jahre 1621 das Amts=Gericht zu Wittenburg in Untersuchungssachen wegen eines Pferdediebstahls, bei Einsendung der Acten "mit dem pein= und gütlichen Bekenntnisse des Inquisiten", eine Belehrung über die Bestrafung desselben und bemerkt dabei: die Diebstähle hätten sich in der Nachfrage meistentheils also befunden, daß auch nicht zu zweifeln sei, daß die übrigen wohl würden wahr sein. Es erhält am 8. Mai 1621 zum Bescheid: "Si confitetur vor dem hoch= und nothpeinlichen Halsgerichte, ist Inquisitus mit dem Strange vom Leben zum Tode zu bringen."-

Das Amts=Gericht zu Grabow hatte, ohne weitere Vorschrift der Justiz=Canzlei einzuholen, die Untersuchungssache gegen P., pcto. homicidii, zum Spruche an die Juristen=Facultät zu Rostock eingesandt. Als aber die Mutter des Entleibten, der das Amts=Gericht die Zahlung der Untersuchungskosten auferlegt hatte, sich über das Verfahren bei der Justiz=Canzlei beschwerte, forderte diese die Acten ein und sandte dieselben unterm 3. November 1628 mit dem Informatorium zurück: "das ihr den Thäter vermüge gemelter Urtheil mit dem schwertt vom Leben zum Tode richten laßet, des entleibeten Mutter aber mit den auffgewandten und fürters nottwendigen Unkosten genzlich verschonet. Und weill ihr eigenes willens die Sache verschicket, sollet ihr solche expensen aus eurem Beutel zu zahlen schuldig sein. Dan wir darumb unser Canzlei zur Justiz alhier bestellet haben, in bürger= und peinlichen sachen recht zu sprechen."

Auch wird durch einen unmittelbaren Erlaß des Herzogs Adolf Friedrich vom 15. Septbr. 1635 der Justiz=Canzlei die Pflicht, in Untersuchungs=Sachen der Amts=Gerichte die Urtheile zu sprechen, erneuert eingeschärft: "Wan den von Zeit unser angetretenen Regirung bis anhero bei unser Regirungs=Cantzley es also gehalten worden, das unsere Räthe eben sowol in peinlichen und Criminal= als in andern, Civilsachen verabschiedet, wir es auch nochmals hinfüro also gehalten haben wollen: Alß ist hiemit unser gnediger Befehl, das Ihr sowol in dieser, als andern vorfallenden peinlichen sachen, was Ihr rechtens zu sein befindet, verabschiedet, damit unsere Beambten und Pensionarien wegen Verschickung der Acten auf Universitäten Uns unkosten in Ihre Rechnungen zu bringen nicht nötig haben, Zumahl wir Ihnen dieselbe auch nicht passiren laßen wollen." -

Auf das Gesuch des Rittmeisters K. zu P. um Ertheilung einer Belehrung in einer Untersuchungssache wegen Diebstahls wird ihm am 15. December 1648 der Bescheid:

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daß er seinen eigenen (ritterschaftlichen) Bauern selbst zu inquiriren habe, wie es einer christlichen Obrigkeit gezieme, "weil J. F. G. mit fremden Unterthanen sich nicht behelligen laßen wollen". Doch sind später viele Informationen an ritterschaftliche Gerichte ergangen, z. B. an v. R. auf Kl.=Krankow in Betreff der Anwendung der Tortur bei einer Giftmischerin 1691 und ihrer Strafe 1692 u. s. w.

Dem Stadt=Vogt zu Schwerin wird in Untersuchungs=Sachen wider den Juden S. M. wegen Schwängerung eines Christenmädchens A. G. nach Einsendung der bis zum Spruche vollständigen Untersuchungs=Acten unterm 24. Juli 1691 aufgegeben, zuförderst den ernstlichen Versuch zu machen, den Inquisiten zur Taufe und zur Verheirathung mit der Geschwächten zu bewegen. Da dieser Versuch aber bei der beharrlichen Weigerung des Inquisiten mißlingt, erfolgt am 12. Aug. 1691 das Erkenntniß: daß der Angeklagte "Ihm zur wollverdienten Straffe, andern Juden aber zum Abscheu und Exempel auf dem öffentlichen Markte am Pranger zu stellen und mit ruhten, nemblich 30 streichen, auszuhauen, auch mit einem Brandmahl aufm rücken zu bezeichen, nachgehends auf vorhergehende Leistung gewöhnlicher Urphede auf ewig unser Herzogthümer und Länder zu verweisen" sei. Doch ward dem Inquisiten, da sein Brotherr Fürbitte that und sich zu einer namhaften Recognition erbot, die Strafe der Brandmarkung ganz und der Staupenschlag bis auf 10 Streiche aus bewegenden Ursachen am 9. Septbr. erlassen. - Das Mädchen wurde mit der Strafe des wohlverdienten Staupenschlags aus fürstlicher Gnade verschont, aber verurtheilt: eine Stunde öffentlich am Kake mit auf den Rücken gebundenen Ruthen zu stehen und demnächst nach geleisteter Urfehde das Land zu verlassen. -

Den Beamten zu Bützow wird in Untersuchungs=Sachen gegen F., wegen Tödtung des Jungen Halebeck durch Ueberfahren, unterm 19. März 1704 die Belehrung, daß Inquisit wegen des aus Unvorsichtigkeit überfahrenen Jungen mit öffentlicher Kirchenbuße und 14tägigem Gefängniß bei Wasser und Brot zu strafen sei. -

Den Beamten zu Grevesmühlen wird unterm 12. März 1706 in Untersuchungs=Sachen wider den Müller B. und dessen Stieftochter Eva Lise L., pcto. adulterii et incestus, der Bescheid: den Stiefvater "mit 6 ruthen, und mit ein jeder 6 mahl, deßen Stieftochter aber mit 4 ruthen, und mit einer jeden 5 mahl, an öffentlichem Pranger zu streichen", und demnächst Landes=Verweisung.

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Diese Untersuchungs=Sache ist in zwiefacher Hinsicht höchst interessant. Es sind in derselben erstlich die Ansichten des Kollegiums über das Strafmaß für das Verbrechen des Incestes, zweitens über die Verpflichtung des Untergerichts, den Delinquenten auf Kosten des Gerichts Vertheidiger zu bestellen, ausgesprochen. Das Collegium erachtet, nach dermaligem gemeinem und vaterländischem Rechte falle die herkömmliche Strafe für den Ehebruch weg, wenn die Ehefrau des Verbrechers für ihn fürbitte, und die Todesstrafe könne jetzt nicht mehr stattfinden; da die Polizei=Ordnung vom Incest überall nichts sage, komme es hauptsächtlich auf die Observanz dieser Orte an. Nun könne zwar nicht positiv gesagt werden, daß nach Landesgewohnheit dies Verbrechen niemals am Leben gestraft sei, indem die alten, in Gott ruhenden Herzoge zu Meklenburg sehr gottesfürchtige Herren gewesen seien und sich nach den göttlichen Gesetzen bei dergleichen Verbrechen öfters mehr als nach den Glossen der Doctoren gerichtet hätten; indessen sei doch in zweifelhaften Fällen lieber poena mitior als durior zu wählen. Wenn nun gleich sonst nicht zu loben sei, daß bei dergleichen schweren Verbrechen, gegen die Gott der Herr in heiliger Schrift stark eifere, aus unzeitigem Mitleiden u. s. w. die Strafen so gemildert würden, daß sie zuletzt durch Unterlassung ihrer Anwendung gleichsam aufgehoben würden, so sei doch nach dermaligem Rechte des Landes nur auf obbemeldete Strafe zu erkennen. Und wenn es zwar nicht mehr als billig sei, den Inquisiten auf ihre Bitte Vertheidiger zu geben, und auch löblich, ihnen ohne Bitte einen solchen anzubieten, genüge im vorseienden Falle, daß sie, wie geschehen, befraget würden, ob sie noch etwas zu ihrer Defension beizubringen wüßten, weil die Defensoren auf dem Lande mit nicht geringen Unkosten und Zeitverlust, worüber die Processe hoch anliefen und dem Niedergericht schwer fielen, adjungirt würden, und "der Defensor gemeiniglich nur, bei vorhandenem corpore delicti und confessio clara, constans et iterata, eine vergebliche und öfters mit ausgepeitschten rationibus dubitandi, so er irgendwo ausschreibt, angefüllete deductionschrift machet". -

1716 ertheilt die Justiz=Canzlei den fürstlichen Beamten zu Grabow einen scharfen Verweis wegen unterlassener Befolgung eines Informatoriums. - Dem Magistrat zu Grabow giebt sie 1721 eingesandte Criminalacten mit einem Verweis wegen übel geführter Untersuchung zurück, giebt Anleitung zur Vervollständigung derselben und befiehlt zur abermaligen

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Untersuchung einen verständigen und geübten Juristen zuzuziehen. Eine ähnliche, nur noch schärfere Information erhielt 1758 das Amtsgericht zu Gadebusch. - Als 1778 ein Gerichtsherr um Belehrung in einer Untersuchungssache wegen Kindesmordes bat, ward zur Führung derselben ein Hofrath von der Justiz=Canzlei bestellt, dem Gutsherrn wurden aber die Kosten der Untersuchung auferlegt.

Dem v. W. zu M. wird unterm 23. Januar 1726 die von ihm gegen den Glasermeister S. wegen begangener Gewaltthätigkeit eingeleitete Untersuchung abgenommen, da er persönlich dabei betheiligt sei. In einem Bericht an den Herzog Carl Leopold rechtfertigt sich auch die Justiz=Canzlei deswegen, daß sie den Inquisiten, trotzdem er für sein Erscheinen vor dem Gericht Caution geleistet, sofort verhaften lassen; denn es sei "ein leider gewöhnliches Manöver jetzt, durch Cautionsbestellungen die Untersuchungen zu verewigen." Zugleich ergeht eine Entscheidung in der Sache dahin, daß der Inquisit mit Karren=Strafe zu belegen, und der v. W. als Gerichtsherr die Untersuchungs=Kosten entweder selbst zu tragen, oder aus dem Vermögen jenes herbeizuschaffen habe.

Eine im Jahre 1762 bei dem Amts=Gerichte zu Wittenburg anhängig gewordene Untersuchung wider eine aus 7 Köpfen bestehende Zigeunerbande wegen Diebstähle u. s. w. ist vom 23. Septbr. 1762 bis zum 29. Octbr. 1764 ununterbrochen von der Justiz=Canzlei durch ertheilte Informatorien geleitet (es sind deren 17 ertheilt), und von dieser das auf lebenslängliche Karren=, resp. Zuchthausstrafe für die Mehrzahl der Inquisiten lautende Erkenntniß erlassen. Zugleich wird bis zum Jahre 1768 die der Commandantur zu Dömitz anbefohlene geistliche Pflege eines zur Bande gehörigen Zigeuner=Kindes und dessen Confirmation durch den Festungs=Prediger von der Justiz=Canzlei überwacht. Ebenso ist die im Jahre 1771 von dem Amts=Gericht zu Dömitz eingeleitete Untersuchung wider eine Räuberbande bis zum Jahre 1774 durch fortgesetzte Informatorien bis zum Schluß=Erkenntnisse dirigirt, und so auch die im Jahre 1774 von dem Justiz=Rath Wachenhusen als Beamten wider eine bedeutende Diebesbande eingeleitete Untersuchung bis zum Enderkenntniß vom 28. Novbr. 1775, welches zwei Inquisiten zum Strange, einen zum lebenswierigen Festungsbau, die übrigen fünf Verbrecher (Hehler, diebisches Gesindel, Landstreicher) zu mehrjähriger Festungs=Strafe und Landes=Verweisung verurtheilte.

Diese letzte Untersuchung giebt ein lebhaftes Bild von der Arbeitslast des Collegiums und ist in mancherlei Hinsicht

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merkwürdig, namentlich, weil man daraus die ungemeine Verbreitung und Gefährlichkeit der damaligen Diebesbanden hier im Lande, die Theilnahme unzähliger, durch ganz Meklenburg verbreiteter Diebeshehler und die Schwierigkeit ihrer Entdeckung und Verfolgung erkennt. Daneben sind die Acten noch in zwei Puncten höchst interessant. Die zum Tode verurtheilten beiden Inquisiten legen gegen das Erkenntniß der Justiz=Canzlei ein Rechtsmittel ein; es werden ihnen Vertheidiger bestellt, und zwar, da der zuerst constituirte Advocat nach eingesehenen und erwogenen Acten die Defension zu führen nicht gewissenhaft gefunden, und die Inquisiten den Vorschlag der Justiz=Canzlei, sich zur Abkürzung der Haft der Vertheidigung zu begeben und die Acten sofort an eine auswärtige Juristen=Facultät verschicken zu lassen, verwerfen, in der Person des Advocaten H. Nach eingereichten Vertheidigungen sind die Acten zum zweiten Spruch an die Facultät zu Helmstädt versandt, von der das Erkenntniß der Justiz=Canzlei und die darin erkannte Todesstrafe durch den Strang bestätigt wird. Der eine Inquisit dringt nun auf weitere Vertheidigung, allein diese wird als durchaus unzulässig verworfen. Es erfolgt der Befehl an die Geistlichkeit, fünf Tage vor der auf den 22. April 1777 angesetzten Vollstreckung des Todesurtheils durch verdoppelten Zuspruch ihre Sorgfalt für das Seelenheil der verstockten Inquisiten zu vermehren, und nicht zu ermüden, damit die felsenharten Herzen dieser Sünder zermalmt würden. Beide bleiben aber bis zu ihrem Tode ohne Reue und Buße.

Am festgesetzten Tage ward das Erkenntniß durch das Amts=Gericht zu Schwerin vollstreckt. Das bei Abhaltung des hochnothpeinlichen Hals=Gerichts und bei der Vollstreckung des Urtheils aufgenommene Protocoll ist noch vorhanden.

Dem Nachrichter war unterm 17. April die Weisung geworden, vor allen Dingen darauf Bedacht zu nehmen, daß nichts mit unterlaufe, wodurch die beiden Missethäter eines über die Gebühr verzögerten Todes sterben dürften, welches sonst Herzog Friedrichs höchst ungnädige Bemerkung zur Folge haben würde, dahingegen Alles, was die Sicherheit und die baldigste Beförderung des bestimmten Todes nur irgend mit bewirken könnte, wohl zu beachten, den Delinquenten auf eine gefahrlose Art den hinderlichen Bart abzunehmen, "auch wenn die Henkung geschehen, den Erhenkten die Dämpf=Leine umzulassen und neben derselben die Kette umzulegen".

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Strafmaße.

Von großem Interesse würde es sein, wäre es mir möglich gewesen, die Praxis der Justiz=Canzlei bei Strafzumessung für einzelne Verbrechen, ihre Modificationen, die Aenderungen in den Ansichten der Mitglieder über ihre Höhe erschöpfend zusammenzustellen; eine solche Arbeit würde aber die Grenzen der mir gesteckten Aufgabe in jeder Richtung überschreiten. Ich beschränke mich darauf, einzelne die Ansichten des Collegii charakterisirende Puncte, die mir aufstießen, in möglichster Kürze zu geben.

Diebstahl wird bis zum 19. Jahrhundert mit dem Strange, mit langjähriger Zuchthausstrafe, mit Staupenschlag bestraft. - Im Jahre 1618 kommt der seltene Fall vor, daß ein Pferdedieb auf Fürsprache seiner Angehörigen und Anflehen der Gnade "seiner Jugend halber" nur des Landes verwiesen wird. - 1686 ward ein Dieb mit Staupenschlag und Landesverweisung bestraft, und dieselbe Strafe traf einen andern Dieb 1699. Dagegen ward 1698 wegen Diebstähle eine Frau zur Todes=Strafe mit dem Schwerte und Einscharren des Leichnams unter dem Galgen, ihr Sohn wegen seiner Jugend zur Brandmarkung auf dem Rücken, Staupenschlag und Landes=Verweisung verurtheilt; 1728 und 1743 Diebe erhängt; 1771 gegen die Mitglieder einer großen Diebesbande (meistens Juden) theils auf lebenslänglichen Festungsbau, theils auf mehrjährige Zuchthausarbeit erkannt, "ihres Leugnens unerachtet, auf beinahe überwiesene Indicia".

Wegen Bigamie erkennt im Jahre 1695 die Justiz=Canzlei auf Tod durch das Schwert, 1767 auf 10jährige Karren=Strafe; im Jahre 1780, "da wir ein positives Gesetz, das das crimen bigamiae mit Todes=Strafe belegt, nicht haben, nach der Carolina es aber ein crimen durius als Ehebruch ist", auf 2jährige Zuchthaus=Strafe, 1805 auf 1 Jahr Zuchthaus, 1809 wegen mildernder Umstände auf 6 Wochen Gefängniß, desgleichen im Jahre 1817 (jedoch unter entschiedener Widerrathung der von Sm= . intendirten Genehmigung zur Heirath der Bigamen), 1821 auf 1 Jahr Zuchthaus ("da Bigamie nur qualificirter Ehebruch, die Strafe unbestimmt geblieben, mitigantia" nicht vorliegen). - Dem Ober=Landes=Gericht zu Glogau wird auf seine Anfrage im Jahre 1833 respondirt, daß besondere landesgesetzliche Vorschriften über Bestrafung der Bigamie in Meklenburg nicht

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existirten, dabei vielmehr die Gesetze des deutschen Criminalrechts normirten.

Auf Anfrage des Amtsgerichts zu Grabow in einer Untersuchung wegen Blutschande verurtheilte die Justiz=Canzlei 1647 die Gefangene zu ewiger Landesverweisung.

Der Incest ist bestraft: 1690 mit öffentlicher Kirchenbuße und Gefängniß=Strafe von 3 Tagen bei Wasser und Brot; die Inculpaten, Schwesterkinder, wollen durch Ehevollziehung das Vergehen gut machen, die beiderseitigen Eltern flehen für sie um Gnade, die bei bezeugter großer Reue, auch dem heiligen Ehestande zu Ehren, ihnen ertheilt wurde. - Im Jahre 1697 wird Einer, der die 14jährige Schwester seiner Ehefrau geschwängert hat, auf Intercession der Ehefrau des Landes verwiesen. Sein "Weib ist ihm mit wesentlicher ferneren ehelichen Beiwohnung zu folgen schuldig". Die Geschwängerte wird zu 14tägiger Gefängniß=Strafe bei Wasser und Brot und zur Kirchenbuße verurtheilt. - 1703 erleidet Einer wegen Incests mit der Schwester seiner Frau Staupenschlag und Landes=Verweisung ("da die intercessio mulieris ein arges mitigans ist"). - 1788 wird Einer, der zwei Schwestern geschwängert, mit Karrenschieben auf 6 Monate, die später geschwängerte Schwester mit 6 Monaten Zuchthaus bestraft. - Für Incest mit des leiblichen Bruders Tochter wird Zuchthausstrafe von 3 Monaten, unter Verweisung aus dem Amts=Bezirke, erkannt. - Incest mit der Stiefmutter wird 1804 mit 1 Jahr Zuchthaus=Strafe belegt, die Stiefmutter zu 9 Monaten Zuchthaus verurtheilt. Demnächst sind die Inculpaten, bei deren Bestrafung mildernde Umstände berücksichtigt waren, aus einer und derselben Gemeinde zu trennen. - Im Jahre 1806 ward ein Incest mit der Stieftochter am Manne mit 2 Jahren Zuchthaus, an der Stieftochter mit einjähriger Zuchthaus=Strafe geahndet.

Die Sodomie ist im Jahre 1739 mit dem Feuertode nach voraufgegangener Strangulation, im Jahre 1746 mit Enthauptung ("statt des durch die Carolina angedrohten Feuertodes") und dem Verbrennen des Leichnams bestraft, 1778 mit Festungsbau auf 6 Jahre und Ausweisung aus dem Ort und der Umgegend des begangenen Verbrechens; 1781 mit zweijähriger Zuchthausstrafe, in Berücksichtigung des jugendlichen Alters (16 Jahre) des Verbrechers und des nicht vollendeten Verbrechens; 1785 mit fünf jährigem Festungsbau, 1789 mit sechsjähriger Zuchthausstrafe. Im Jahre 1793 ward G. zu 15 Peitschenhieben und fünfjähriger Zuchthausstrafe, in

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Berücksichtigung seiner Jugend, Dummheit und des Mangels an Christenthum, im Jahre 1798 ein Anderer in ganz derselben Berücksichtigung zu sechsmonatlicher Zuchthausstrafe verurtheilt. In allen über dieses Verbrechen gesprochenen Erkenntnissen ist die Tödtung des corporis delicti, zuweilen auch nur dessen Entfernung aus dem Orte des Verbrechens, vorgeschrieben.

Wegen Nothzucht erkennt die Justiz=Canzlei 1710 auf zweijährige Karrenstrafe, falls das Mädchen ihre Weigerung den Inculpaten zu heirathen, wie dieser begehrt, nicht doch noch aufgiebt.

1690 ward ein Ehemann wegen Ehebruchs, auf Fürbitte seiner Ehefrau, welche ihm das Vergehen verziehen hatte, nur mit Ausstellung am Halseisen, zweimonatlicher Karrenstrafe und öffentlicher Kirchenbuße, 1698 ein anderer Ehebrecher mit Landesverweisung bestraft.

Im Jahre 1694 wird eine Ehefrau wegen Unzucht zur Strafe des Halseisens, an drei Tagen eine Stunde hindurch, verurtheilt; ihr Schwängerer, ein verheiratheter 63jähriger Mann, der, wie seine für ihn intercedirende Ehefrau angiebt, in der Trunkenheit gefehlt hat, wird mit einer Geldstrafe von 20 Rthlrn. belegt.

Ueber eine Frau, die ihren Ehemann vergiftet hatte, fällte 1699 die Justiz=Canzlei das Urtheil, daß sie mit dem Rade von oben herab vom Leben zum Tode zu bringen, ihr entseelter Körper auf das Rad zu legen, und der Kopf auf eine Stange zu nageln sei.

1756 gab die Justiz=Canzlei dem Magistrat zu Parchim die Belehrung, daß eine Person, welche ihr dreijähriges uneheliches Kind erwürgt hatte, mit dem Schwerte hinzurichten, nach geschehener Enthauptung ihr die rechte Hand abzuhauen und an den auf einen Pfahl zu steckenden Kopf zu hängen sei.

In der Untersuchungssache wider einen Juden J. M. wegen Gotteslästerung (ärgerlicher Reden gegen den Heiland) erkennt unterm 7. Januar 1767 die Justiz=Canzlei auf eine Gefängnißstrafe von nur 4 Wochen cum carena, da Inquisit arg gereizt, und es Christen=Pflicht sei, sich sorgfältig zu hüten, die Juden in ihren religiösen Gefühlen zu erbittern, da der auf ihnen liegende Fluch sie ohnehin schwer drücke.

1691 ist ein Unterthan wegen fast tödlicher Verletzung seines Gutsherrn mit dem Forkenstiel nach längerer Untersuchung dahin verurtheilt, daß ihm durch den Frohnen die Hand, damit er dies Schlagen an seiner Obrigkeit verübt, abzuhauen, und er demnächst aus dem Gebiete des Gutsherrn zu weisen

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sei, wenn nicht dieser es, auf die Bitten der Frau des Inquisiten und seines Vaters, vorziehe, ihn als Unterthanen in seinem Gute zu behalten, "in welchem Falle diese Strafe in eine andre, doch nicht fast geringere, zu permutiren" sei. - Ein Schäferknecht wurde wegen Verwundung und mördlichen Ueberfalls des (adeligen) Pensionairs zu T. zu 24 Streichen durch den Scharfrichter und Verweisung aus dem Gerichtszwang, auf erwirkte landesherrliche Erlaubniß aber zur Landesverweisung, ein Drescher zu achttägigem Gefängniß bei Wasser und Brot verurtheilt, wegen seiner bei diesem bösen Ueberfall bezeigten Liedrigkeit, und da er selbst zugestehen müssen, daß er dem Pensionair die Schläge gegönnet.

Untersuchungen wegen abergläubischer Handlungen sind bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts größtentheils nur in der Form der Hexenprocesse verhandelt. Aus dem Jahre 1650 liegt eine Denunciation der Unterthanen zu Krempin gegen den Schulzen, den Sohn einer verbrannten Hexe, wegen Bötens und gottwidriger Handlungen vor. J. F. G. bedeutete aber die persönlich erschienenen Supplicanten im Termine, sie hätten sich solcher Injurien zu schämen, sich mit ihrem Schulzen ehr= und friedlich zu halten, "bey Straff der Gefängniß; da aber die bösen Denuncianten nicht nachlassen, wird Unser Amptmann zu Bukow befehligt, nach Befinden der That sie zu bestrafen, damit Wir ferneren Ueberlauffs entfreyet sein mögen".

Auf Anzeige des Superintendenten Goldschmidt zu Parchim ward H. D. wegen Buchlaufenlassens (d. h. um einen Dieb zu erforschen, wurde auf ein ererbtes Neues Testament ein Erbschlüssel gelegt, welcher sich bei Nennung des Namens des Diebes drehen sollte) zur Untersuchung gezogen und mit Kirchenbuße belegt.

Fritz W. und Caspar B. wurden 1719 wegen abergläubischen, ungebührlichen Jagens des Viehes durch Feuer (Nothfeuer) zur dreiwöchiger Gefängnißstrafe verurtheilt; ebenso 1762 ein Schäfer wegen abergläubischer und schädlicher Curen, Geistercitirens etc . zu achtwöchiger Gefängnißstrafe ("wegen des offenbar erlogenen, obgleich durch den schändlich so angegebenen, getauften Nagel zur Blasphemie gesteigerten Hocuspocus").

Der 17jährige Schüler K. von der Schweriner Domschule hatte am 13. und 20. Juli 1770 an dem Ufer des Faulen Sees bei Schwerin zwei Schriftstücke offen niedergelegt, in denen er sich dem Teufel verschreibt für 24000, resp. 28000 Rthlr., adressirt (aber ohne Couvert), das eine: "Dieses gelanget

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an den Satan, Gott der Hölle", das andere: "Dieses gelanget an den Präsidenten der Hölle LUCIFER; in möglichster Eyle". Diese Schriftstücke waren beide mit dem Blute des Verfassers "Christ. E. K., Discip. Schol. Ducal", unterschrieben, und mit 3 Dreilingen belegt. Sobald die Justiz=Canzlei davon Kunde erhalten, ließ sie in aller Stille den Schüler verhaften, seine Papiere versiegeln. Da derselbe vor versammeltem Collegium der Begangenschaft sofort geständig war, ward er dem Hof Prediger Martini zum nöthigen Unterricht und zur Ermahnung aus Gottes Wort untergeben, aber bis zum 3. Januar 1771, ohne weiteres Verhör, auf der Wachstube in Haft gehalten, an diesem Tage abermals vernommen und nach beendigtem Verhöre in die Haft zurückgeführt. Ein eingeholtes Erachten des Oberscholarchen, des Superintendenten Menckel, über die Zweckmäßigkeit der Wiederaufnahme des Inquisiten in die Domschule, fiel im Wesentlichen abrathend aus. Dagegen erklärte sich die Justiz=Canzlei in einem geforderten Bericht dahin: die Bestrafung des Inquisiten sei einstweilen auszusetzen, derselbe wieder zur Schule zu bringen, den versammelten Lehrern und Schülern, in Gegenwart der hiesigen ganzen Geistlichkeit, durch Menckel vorzustellen, welcher in einer erbaulichen Rede den entsetzlichen Fall vorzutragen habe; dann müßte der Knabe öffentlich dem Teufel, dessen Werken und Wesen entsagen und seinen Taufbund erneuern; demnächst sei den Lehrern aufzugeben, daß sie ihre Aufmerksamkeit auf den Knaben verdoppelten, denselben der andern Schuljugend zum Mitleiden und zur Liebe empföhlen und ihr vorstellten, wie unchristlich es sein würde, nach weggethanem Aergernisse sich seiner zu schämen oder demselben seinen Fall vorzuhalten und seiner zu spotten. - Dieser Vorschlag erhielt die Allerhöchste Genehmigung, und am 10. Sept. 1771 ward der Inquisit vor versammeltem Collegium nach ernstlicher Vermahnung seiner Haft entlassen. (Am 16. Novbr. 1778 ward K., als ein umherlaufender, diebischer Mensch, "dessen Gemüths=Beschreibung als unrichtig im Kopfe mit Recht anzusehen sei", ins Zuchthaus zu Dömitz gebracht.)

1781 wurde M. wegen Schatzgräberei und abergläubischer Curen mit 4 Wochen Zuchthaus, seine Genossen mit resp. 14= und 8tägigem Gefängniß cum carena und erstlichem Verweise bestraft.

Eine Hebamme M. hatte sich in den Ruf gebracht, übernatürliche Dinge wirken zu können. Darum ward sie (1786) ihres Amtes als Hebamme entsetzt, und zugleich dem Amts=

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Gerichte zu Crivitz aufgegeben, die Ersten aus der Gemeinde vorzuladen und ihnen ernstlich vorzuhalten, daß sie von ihrem Aberglauben ließen, ihnen aber auch anzuzeigen, daß die M. nicht wegen Hexerei in Untersuchung gezogen, sondern nur wegen ihres unverantwortlichen betrügerischen Handelns aus ihrem Dienste entlassen sei.

Ein Nachrichter=Knecht und seine Ehefrau wurden im Jahre 1788 wegen abergläubischer und betrügerischer Vieh=Curen mit sechsmonatlichem Festungsbau bestraft, 1809 Einer wegen abergläubischer Quacksalberei zu 24stündiger Gefängnißstrafe verurtheilt.

Im Jahre 1801 wurde ein Töpfermeister denuncirt, weil er durch Aufnahme eines Fußstapfens einem Dienstmädchen an ihrem Körper habe schaden wollen, und wenngleich zu bewundern ist, daß im 19. Jahrhunderte noch ein solcher Fall zur Untersuchung hat angenommen werden können, wurde er in der That mit 14tägigem Gefängniß bestraft; denn dergleichen Gaukelspiel sei schon als bloßer Muthwille strafbar, weil dadurch bei dem gemeinen Manne abergläubische Ideen gar leicht erweckt werden könnten. Dagegen ward 1805 auf eine Anfrage wegen Schatzgräber dem Amtsgericht zu Hagenow der Bescheid ertheilt, es habe sämmtliche Inculpaten vorzufordern, denselben die Patent=Verordnung vom 12. April 1768 vorzulesen und einzuschärfen, für künftige Vergehungen der Art sie mit unausbleiblicher, nach Befinden härterer Leibesstrafe zu bedrohen, und diejenigen, welche bei dem wirklichen Graben nach Schätzen zugegen gewesen, mit Geldstrafen von 12 Rthlrn. zu belegen.

Hexenprocesse.

Die im Jahre 1562 und am 2. Juli 1572 publicirten Polizei=Ordnungen setzten die Strafe des Verbrennens für diejenigen fest, welche sich des Wahrsagens und der Zauberei befleißen, und so traf die Feuerstrafe bis zum Ende des 17. Jahrhunderts gewöhnlich alle geständigen oder überwiesenen, wegen Hexerei (puncto veneficii) Beschuldigten. Die Acten, welche bei hiesiger Justiz=Canzlei sich zum größten Theile auf ertheilte Informatorien an Untergerichte beschränken, da Untersuchungen wegen Hexerei gegen Eximirte zu den größten Seltenheiten gehören, sind der Art gleichlautend, daß - und es waren in der Registratur unzählige aufbewahrt - sie nur zwei Decrete enthielten, auf das erste Belehrungs=Gesuch der Untergerichte: "Tortura", auf den dann folgenden Bericht

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fast immer nur: "Ignis". In den Jahren 1670 bis 1700 haben als beständige Commissarien in Hexenprocessen der Canzleirath A. F. zur Nedden und der gelehrte, berühmte Practicus Dr. Augustin Wolff, zuweilen auch Dr. David Jonathan Scharff, alle Belehrungen ohne Theilnahme des Collegiums ertheilt. Ich bin bemüht gewesen, diejenigen Processe bis zum Anfang des 18. Jahrhunderts chronologisch zusammenzustellen, welche ein genügend klares Bild der Procedur und Decretur in diesen Untersuchungen geben können; doch schicke ich die Bemerkung voraus, daß bis zur zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts überall nur wenige Hexenprocesse unter den Acten der Justiz=Canzlei vorhanden sind. Die ältesten sind aus dem Jahre 1613.

Unterm 19. Septbr. 1613 sandte nämlich der Stadt=Vogt zu Sternberg Inquisitions=Acten über die B. und Consorten ein, und erbat ein Informatorium. Darauf ward ihm am 30. Sept. d. J. aufgegeben: "in so einer wichtigen Sache genügende Zeugen=Verhöre anzustellen, mit den Inquisitinnen einstweilen nichts vorzunehmen, was ihre Gemüther erschrecken könnte, auch sich zu hüten, auf die Zeugen einzuwirken, daß sie etwa gar die Angeschuldigten aus Tummheit der bösen Zauberei beschuldigen". Auf die eingesandten Zeugen=Aussagen, die im Ganzen höchst günstig für die Angeklagten ausfielen, erfolgte sofort unterm 15. Decbr. der Befehl: "die Inquisitinnen sämmtlich forts der Verhaftung zu erlassen, und da ihnen nichts böses nachzuweisen, die Weiber in bürgerliche Hande zu lassen, undt ihres Lebens und Wandels vermeintlich begangener Zauberey halber ein ehrlich Zeugnus auszuschreiben." -

Auf die Beschwerde des Thorwärters W. zu Sternberg und weitere Anzeige von Bürgermeister und Rath daselbst (30. Decbr. 1613) wider den dortigen Stadt=Vogt Horn, daß er die Ehefrau des Ersteren, die durch eine angebliche Zauberin der Mitwissenschaft und Theilnahme an Hexerei beschuldigt war, trotz des von dieser geschehenen Widerrufs mit der Tortur belegt hatte und sie "so tirannisch, grewlich und jemmerlich zerpeinigen und martern lassen", daß sie während der Tortur gestorben sei (wie die Aussage des Scharfrichters dies bescheinigte, und die summarische Kundschaft der zur Tortur zugezogenen Zeugen es bestärkte): wurde der Stadtvogt sofort vor die Justiz=Canzlei geladen und vernommen. Horn wies die Ueberschreitung der gesetzlichen Gränzen bei Anwendung der Tortur zurück und brachte eine Bescheinigung der als Zeugen bei derselben adhibirten Bürger (vom 2. Jan. 1s614)

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bei: "das gedachtes Weib durchaus nicht von der Tortur, die gebürlicher massen ist gegeben, gestorben, wie fälschlich muchte vorgegeben werden, Besondern von dem Satan, dem sie gedienet, in Unser Kegenwart merklich, aber unsichtbarlicher Weise erwürgt und umgebracht worden, welches auch die Balbierer, so sie besichtiget, mit bezeugen müssen". Dies Zeugniß stand in directem Widerspruche mit ihren fast wörtlich unter sich übereinstimmenden Aussagen vom 27. Decbr. 1613, wonach die Unglückliche, als der Scharfrichter sie "auf die Leiter gelegt, die Schraube auf die Schienen gesetzet, und sie zweimal angehohlet, oder zwey Ruck gethan", gesagt hat: "Ich will beeden; mein Gott wert balt kommen; undt daß Vater unser gebetet, biß: vore uns Herre nicht in Versuchung. Im dritten Rucke hette sie die Zunge ausgestrekket, undt were in Ohnmacht gefallen, und were auff der Ledder thodt geblieben, Sie hette aber nichts bekendt".

Die ferner dem Stadtvogt vorgeworfene Rohheit, daß er den Leichnam der W. vom Thurm des Rathhauses ohne Strick, auch nicht die gewöhnliche Treppe hinunter, durch den Büttel unten in den Thurm habe werfen lassen, scheint ihm durchaus nicht ungewöhnlich, weil sie eine Hexe. Da die Vorhaltungen des Gerichts keine Ueberführung erwirkten, wurden die Acten sofort geschlossen und an die Juristen=Facultät der Universität Helmstädt versandt. Diese fällte unterm 5. Mai 1614 den Spruch: "daß aus den Acten und Wechselschreiben noch nicht erscheine, daß gedachter Unser Stadtvogt an der Tortur - - zu viell gethan, - - derowegen er ohne vorgehende fernere sonderbare außfuerung mit keiner Straff zu belegen sey". Eine fernere förmliche Anklage ward freigelassen, die Kosten compensirt.

1622 befahl die Justiz=Canzlei, eine der Hexerei Bezichtigte zu Eixen, "weil die vorige indicia purgiret", sofort der Haft zu entlassen. 1624 ließ sie den Hexenproceß gegen eine alte Magd, nachdem dieselbe den verstatteten Gegenbeweis geführt hatte, sofort sistiren. 1625 rescribirte die Justiz=Canzlei den Beamten zu Neustadt wegen fünf von ihnen inhaftirter "Hexen": "Weil nicht befindlich, daß solche bestendige und rechtmessig erwiesene indicia, nach anzug der Rechte und Peinlicher Halß=Gerichts=Ordnung Caroli Quinti, vorhanden sein, daß man darauff die gefangene mit der tortur belegen solle -: alß habt Ihr sie der Haft zu entlassen, und euch hinfüro besser vorzusehen, Jemand auf einer Hexin nomination, bekentnuß oder aussage nicht alßbaldt und ohne vorhergehende beständige und rechtmessige inquisition ins

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gefengnus zu bringen, damit ihr keine unschuldige Leute bei dem gemeinen Pofel, so ohne das unartig genungk, mehr ins gerüchte bringen helffet".

Ein arger Fall kam in Gadebusch vor. Stadt=Vogt und Gerichts=Assessoren daselbst haben ein 80jähriges Mütterlein M. K. wegen Zauberei und Hexerei auf Denunciation einer auf Hexerei Gefolterten nicht allein sofort gefänglich einziehen, sondern auch flugs darauf ohne einige vorhergehende und bewiesene andere Indicia und ohne rechtliche Information gantz jämmerlich torquiren lassen". Dann aber, da sie die Tortur geduldig überstanden und in der Marter nichts bekannt, hat das Gericht sie aufs Wasser werfen lassen und sie "in ihrem nassen Geräthe" der Tortur "alsbald de novo wieder subjiciret", sie ohne jegliche Vertheidigung und trotz ihrer fortwährenden Berufung auf ihre Unschuld im Novbr. 1635 justificiren lassen. Außerdem hat das Gericht in dieser Untersuchungssache drei andere Weibspersonen, die in der Tortur nichts bekannten, "so offt und viell torquiren lassen, das sie darüber in der Frohnerei (ihren Geist) aufgegeben". - Als dies Verfahren dem Fiscal zu Ohren gekommen war, ging er unter dem 11. Novbr. 1637 mit der Klage wider das Gericht hervor, welche, nach vielen Verschleppungen durch Letzteres, am 27. Septbr. 1644 dessen Bestrafung mit einer Buße von 200 Fl. zur Folge hatte.

Auch gegen Bürgermeister, Gericht und Rath zu Crivitz erwirkte (1642) der Fiscal ein Erkenntniß auf eine Geldbuße von 100 Fl. Nämlich 3 Weiber zu Crivitz, welche der Zauberei bezichtigt waren, hatte das Gericht der strengsten Tortur unterworfen; die eine dieser Inquisitinnen war dann vor der zuerkannten Todesstrafe den Folgen der Tortur erlegen, die zweite verbrannt, die dritte hatte sich im Gefängniß erhängt. -

Ein Schulknabe im 14. Jahre, "der sich von Gott zum leidigen Satan gewandt und andere Zaubern gelehrt", wurde nach erfolgter Folterung und Bekenntniß, auf ein Erachten der Juristen=Facultät zu Greifswald, am 17. Januar 1643, nach voraufgegangener admonitio per ecclesiasticos, mit dem Schwerte vom Leben zum Tode gebracht. - Um dieselbe Zeit wurde ein achtjähriger Zauberknabe, der von seiner Mutter verführt, sich "mit dem Teufel verknüpffet, auch vier Knaben zu verleiten versucht" habe, zur Untersuchung gezogen, und unterm 23. April 1643, nach eingeholtem Erachten der Juristen=Facultät zu Rostock, ein Erkenntniß dahin erlassen: daß, da gegen die Mutter noch zur Zeit keine genugsame

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Anzeige zum peinlichen Processe beigebracht sei, der Knabe wegen kindlchen jungen Alters mit peinlichem Proceß nicht beleget werde. "Es ist aber derselbe durch scharfe Correction mit Ruthen, von dem zauberischem Gifft abzustehen, mit allem christlichen Eyfer von den Schulmeistern zu informiren, und zu wahrer Gottesfurcht unabläßlichen Fleißes ernstlich anzumahnen, wie auch von seiner Mutter eine Zeitlangk abzusondern".

Der Hauptmann des Amts Grevesmühlen v. L. hat ein als Hexe verrufenes Weib eingezogen und von ihr durch die härteste Tortur (nach Behauptung des Stadtvogts sogar durch Einträufelung von Pech und Schwefel in die aufgeschnittenen Brüste) vielfache Geständnisse und Beschuldigungen Anderer erpreßt. Nach überstandener Tortur stirbt sie "so schleunig, daß dieser unverhoffte schleunige Todesfall billig aus allen Umständen in große Suspicion gezogen werden kann, und daher nicht anders zu schließen ist, alß daß deroselben Teuffel, auf welche sie noch mehr der Zauberey mitschuldig zu bekennen willens gewesen, sie umbgebracht haben müßte, damit sie nicht alß andere auch vorm gehegten recht mit abgelesen werden möchten." Die nachgesuchte Belehrung über ferneres Verfahren erfolgt am 28. Sept. 1649 vom Herzog Adolf Friedrich unmittelbar dahin: "die eingelegte bekandnus vor gehegtem Gericht öffentlich ablesen und darauff die hingestorbene Hexe unterm Galgen graben" zu lassen, auch gegen die beschuldigten und bekannten Personen weiter zu procediren. Nun hatte sie aber auf der Folter auch "hartnäckig" die Frau des Stadtvogts Grisius (zu Grevesmühlen) der Zauberei beschuldigt und ausgesagt" daß sie derselben "eine Wurzel, oder, wie sie es nennen: Allrünchen" gegeben habe. Da der Hauptmann jetzt dem Stadtvogt oder seiner Frau vermelden ließ, sie sollten "zuforderst das Alrünichen oder Geldteufel herausgeben", holte Grisius, um vornehmlich eine Inquisition von seiner Frau abzuwenden, ein Erachten von der Juristen=Facultät in Greifswald ein. Dies fiel am 27. Nov. 1649 dahin aus, daß das ganze Verfahren wider die Gefolterte nicht den Rechten gemäß, ihre Aussagen auf der Folter ohne Bedeutung, - und Grisius berechtigt sei, gegen den Amtshauptmann wegen Forderung des Alräunchens eine Injurienklage anzustellen. Es entwickelt sich nun ein Injurien=Proceß zwischen Grisius und v. L., welchen die Justiz=Canzlei am 19. Juli 1650 durch gegenseitige Ehren=Erklärungen beilegt, indem beide Theile ihre Verleumdungen, namentlich

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der Amtshauptmann die gegen die Ehefrau des Grisius erhobene Beschuldigung, der Hexerei verdächtig zu sein, zurücknahmen. -

Das Stadtgericht zu Grevesmühlen bat 1649 in einer Untersuchung wider zwei der Hexerei beschuldigte Frauenzimmer die Justiz=Canzlei um eine Belehrung, ward von dieser aber angewiesen, sich bei der Juristenfacultät zu Rostock Rechtens zu erholen. Das Stadtgericht fürchtete jedoch die Kosten der Verschickung und bat, sich vom Fiscal Dr. Neovinus oder vom Dr. Wedemann, wie Amt und Stadt Grevesmühlen schon mehrfach in solchen Fällen gethan, belehren lassen zu dürfen, erhielt indessen Abschlag. Auch die neue Bitte des Stadtgerichts, die beiden Inquisitinnen, wie auch in Tressow geschehen sei, zur Wasserprobe zu lassen, ward nicht gewährt. Das nun von der Facultät zu Greifswald eingeholte Erkenntniß lautete auf den Feuertod; aber in der Nacht von der Execution entkamen die beiden von demselben bedroheten Frauenzimmer. -

Ein Informatorium der Justiz=Canzlei aus dem Jahre 1662 in Betreff einer bezichtigten Hexe lautete dahin, daß, weil die Aussagen gegen die Inquisitin nicht gestatteten sie im Gefängniß zu behalten oder zu bestrafen, sie zu entlassen sei, "jedoch mit harter Einrede und Bedräuung guten Aufmerkens, ob einiges übell von ihr beschafft würde", auch mit der Ankündigung, daß sie sich mit den Ihrigen aus ihrem bisherigen Wohnorte wegzubegeben habe. -

Vor dem Amtsgericht zu Bützow sagten 1666 ein Bauer und seine Frau nebst drei Wittwen aus Oettelin aus, daß sie ihre alte Schulzenfrau lange im stärksten Verdacht böser Zauberei hätten; sie sollte aus Rache wegen Streitigkeiten Drohungen ausgestoßen und dem Bauern einen "Guß vor das Thor gegoßen" haben, daß den darüber Gehenden die Beine angeschwollen seien, viel Viehsterben, vorübergehende Raserei eines Mannes, die Erkrankung eines Mädchens verschuldet, solche Krankheiten aber hernach auch gehoben haben. Die Justiz=Canzlei gab hiernach den Beamten zu Bützow auf, die Beschuldigte auf diese Anzeige zu verhören und mit den Anklägern zu confrontiren; den Wahrsager aber, der inzwischen die Schulzenfrau und zwei andere Frauen als Zauberinnen bezeichnet hatte, in Haft zu nehmen und nach Schwerin zu schicken, weil er verhört werden sollte, woher er seine der Zauberei höchst verdächtige Kunst habe, "umb den im Lande vorgehenden an= und zulauf nach demselben zu sistiren."

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In dem Verhör zu Bützow am 14. Juli und bei der Confrontation mit ihren Verklägern am 23. leugnete die Schulzin alle Anschuldigungen; es war aber "ein merckliches indicium" für das Amtsgericht, daß der Musketier, der sie mit zur Haft gebracht, hernach bis zum andern Tage starkes Reißen in beiden Beinen empfunden hatte. Auch sagte Magister H. aus, daß er vor fünf oder sechs Jahren, als die Angeklagte ihn zum Ehebruch zu verführen gesucht habe und von ihm zurückgewiesen sei, in der Nacht darauf, nachdem "ihm die Augen zugefallen", "große Hellenangst empfunden, den Teufel leibhaftig in der Hellen gesehen" und die Teufel vergeblich um Freilassung gebeten hätte. Diesen Verführungsversuch und die Aengstigung des Magisters leugnete die Schulzin gleichfalls, bekannte aber freiwillig, vor Alters sich mit andern Männern vergangen zu haben.

Eben dies Bekenntniß und "das lange böse Gerücht" bewogen die Justiz=Canzlei, "obwohl durch Confrontation wenig erhalten, die Zeugen auch mehrentheils circa propria perpessa damna versiren", auf den Fall, daß diese ihre Aussagen beschwüren, dem Amtsgericht am 27. Juli aufzugeben, die Verhaftete "entlich praevia territione mit messiger Tortur vorzunehmen". "Befraget zufoderst auf die Hauptpuncte des Zauberwesens! alß 1) ob sie zaubern könne? - 2) wer es ihr gelehrt? - 3) durch waß gelegenheit und mittel? - 4) ob ihr ein geist zugebracht? und wie derselbe sich genennet? - 5) ob mit selbigem sie bulschafft getrieben? - 6) ob irgendß er ihr einig merckmahl eingedrücket? - 7) ob und waß er ihr zugebracht?". - Dann sollte die Schulzin auch auf die übrigen Inquisitions=Artikel verhört werden.

Am 4. August empfing die Canzlei schon den Bericht der Bützowschen Beamten, daß sie obiger Weisung gemäß die Zeugen hätten schwören lassen, und da die Inquisitin hartnäckig geleugnet, sie diese erst hätten durch Vorhaltung der Marterwerkzeuge schrecken, dann aber foltern lassen. Bekannt hat sie auf der Folterbank nichts. Doch hat man, wie der Bericht sich ausdrückt, "offenbahr sehen konnen, daß der Böse feindt für ihr außgehalten, indeme sie unter dem gesicht gar schwartzbraun geworden" (sie war corpulent) -, daß "der Teufel inwendig in ihrem Bauche - gehüpffet und gesprungen", sie "auch darauff in der Tortur entschlaffen worden". - Als der Frohn sie aber nun auf die Erde gelegt, habe, heißt es weiter, "der Teufel mit einer ungewohnlichen stimme ihr auß dem Halse gerufen" etc .; "wie man aber inmittelß

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den Teuffel gar hohnisch außgemachet und von ihr zu weichen angeredet, ist sie zu Verstande wieder gekommen, und gesaget, Nun wehre er von ihr wegkgewichen". - "Alß nun entlich der gerechte Gott dem Teuffel in etwaß gewehret, hatt sie zu bekennen angefangen und gesaget: 1) Daß sie zaubern konte, und hette ihr die G. für 20 Jahren die Zauberkunst" - für 2 Rthlr. - "beim Ellerbusch gelehret, indeme sie an einen weissen Stock fassen und sagen mussen: Ich fasse an diesen stock, damit verlasse ich den lieben Gott". "2) Bekandt, daß die G. ihr alsofohrt einen buhlen vertrawt mit nahmen Claus; selbiger hette ein schwartz kleidt an= und einen schwartzen Hutt mit schwartzen federn auffgehabt, auch sofohrt mit ihr gebuhlet und zur probe ihr 20 Rthlr. zugebracht, ihr auch ein merckmahl auf die rechte schulter eingedrücket, welches befunden, und halt der Frohne mit deß Messerß spitze die haut nicht durchstechen konnen". - 3) und 4) "Bekandt, daß sie für 4 Jahren Chim W. die Zauberkunst im felde - wieder" (in gleicher Weise) "gelehret", ihm alsofohrt darauff eine Teuffelinne vertrawet" etc ., die ihm 2 Rthlr. zugebracht. Ferner habe sie bekannt, mit der G. durch ihren Zauber die Pferde und Kühe getödtet, dem oben erwähnten Mädchen "einen fliegenden Geist aufs Leib gewiesen", den Magister H. geängstigt zu haben etc .

Schon am 6. August gab nun die Justiz=Canzlei, da die Inquisitin "gar umbständlich und wahrheitsehrlich" bekannt habe, "das bekantes Ihr vom Satan imprimirtes stygma auch gefunden" sei, "auch bei der Tortur an Ihr sich zeigende übernatürliche geberdungen daß commercium und beywohnung mit dem Teufel merklich anzeigen", und sie dennoch "nachgehendß hinwiederumb wancken und zurückziehen wollen", - das Informatorium: "Alß möge sie mit gescherffeter peinigung nochmalß angegriffen", auch darüber befragt werden, ob "der Geist oder Buhle wehrender Ihrer gefengnuß, vor, in und nach erster Tortur bei Ihr gewesen, und was er mit Ihr geredet und gethan". Die von ihr genannten G. und Chim W. seien mit ihr zu confrontiren. Auch solle ein Geistlicher vor weiterer Tortur, event. nach derselben, ihr ins Gewissen reden.

Demgemäß wird am 10. August die Schulzin, welche ihr früheres Bekenntniß "gentzlich revociret", abermals auf die Folter gespannt. Der zugezogene Notar berichtet in seinem Protocoll, daß während der Folterung "der Buhle sich wieder bey ihr eingestellet, in gestalt einer mauß lauffen kommen und sich unter ihrem Lager verborgen, der dan abermal mit

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Verbindung der Zungen sich bey ihr vermercken lassen. Alß sie aber balt loßgelassen und sich gestellet, als wenn sie bekennen wollen, ist doch nichts von ihr zu erfragen gewesen, darauff ihr lager durch den Frohnen auffgerüret, und sichtbahrlicherweise zwehen Mäuse darauß laufen kommen -, worauff sie dan angegriffen und anderweit torquiret worden. Welche Tortur sie nichts geachtet, ihr Buhle sich wieder bey ihr eingefunden und so sehr eingenommen, das sie nicht alleine in der Tortur übernatürlich geschlaffen, besondern auch ganz stumm geworden, daß man kein einziges wort von ihr bekommen konnen". - Sie wird daher auf ihr Lager gelegt, wo sie "schnarcht" und erst nach einer Viertelstunde erwacht und einen Trunk verlangt. Als sich das Gericht am Nachmittag bei ihr mit dem Pastor einfindet und Letzterer ihr ins Gewissen redet, bestätigt sie, "ledig und loß, ohne einige angethane Marter", Punct für Punct ihr früheres Bekenntniß und gelobt nichts wieder zu revociren, fügt auch am andern Morgen auf Befragen hinzu, "daß ihr Buhle sowol in der Ersten alß letzten Tortur für ihr außgehalten, Sie schlaffent gemacht und inwendig im leibe in wehrender Zeit bei ihr sich verborgen, nun aber wehre er von ihr gewichen", und nun fühle sie Schmerzen. Gegenüber der mit ihr confrontirten G., welche Alles leugnet, hält sie ihre Aussagen aufrecht. Als aber gleich hernach das Gericht wieder mit Notar und Zeugen bei ihr erscheint, um sie auch mit dem von ihr denuncirten Chim W. zu confrontiren, findet man die Schulzenfrau todt. Der herbeigerufene Frohne hat "befunden, daß ihr der halß umgedrehet worden", und der herbeigerufene Pastor hat "ebenmessig zur künfftiger gezeugnuß zuschawen müssen, daß ihr der halß umbgedrehet gewesen" - vom Teufel. - Die Beamten lassen den Leichnam durch den Frohnen auf dem Galgenberg verscharren. -

Die Justiz=Canzlei billigt dies auf empfangenen Bericht und ordnet weitere Untersuchung gegen die der Zauberei von der Schulzin bezichtigten Personen, die G. und Chim W., an. - Hierauf sind aber weitere Anträge zu diesen Acten nicht eingegangen, und schließt damit dieser Hexenproceß. Im großen Ganzen sind alle andern ihm gleich; nur sterben nicht jedesmal die Inquisitinnen vor ihrer Verbrennung! -

1688 nahm die Regierung Veranlassung, die von der Justiz=Canzlei wider eine angebliche Hexe M. S. eingeleitete Untersuchung einer Prüfung zu unterziehen und sprach über das dabei eingehaltene Verfahren, namentlich darüber, daß man die Tortur am hellen Tage und an einem Orte vorgenommen,

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daß man auf der Gasse fast hören können, was da vorgegangen, und darüber, daß man nicht zuvor bei der Inquisitin nach dem wesentlichen Stigma oder Teufels=Mark geforscht habe, ihr großes Mißfallen aus. Hieraus entspann sich nun zwischen den beiden Behörden ein animirter Schriftenwechsel und Streit, welcher der Entscheidung des Herzogs unterbreitet ward. Darauf erging vom Herzog Christian Louis unter dem 16. Febr. aus Paris die Resolution: "Was die Hexensache betrifft, sind Wihr jederzeit der Meynung gewest, das brennen einstellen zu lassen und die Delinquenten, wo ihnen mitt bestande etwas überwiesen, in andere Wege abzustraffen, welches Wihr ferner allso wollen gehalten haben, Zumahlen das Land durch viel Hexenbrennen mehr den zu viel beschrien ist".

Aber dieser landesväterlichen Bestimmung ungeachtet sind Untersuchungen wegen Hexerei noch bis in die ersten Jahre des 18. Jahrhunderts mit altgewohnter Härte geführt und haben mit der Strafe: "Ignis!" geendet. Namentlich fallen noch in diese Zeit die oben S. 268 bereits erwähnten Rechtbelehrungen der (sage ich) Inquisitions=Commission der Justiz=Canzlei.

Fast als Ausnahme erscheint es, wie eine "Hexe" im Amt Neustadt (1689) davon kam. Sie sollte einem Manne den Verstand geraubt haben, ward nach Anweisung der Canzlei von den Beamten auf sehr schwankende Zeugenaussagen hin peinlich Verhört und mit "ziemlicher" Tortur belegt. Da sie nichts gestand, unterwarfen die Beamten sie eigenmächtig am nächsten Tage der "schweren" Tortur, erreichten aber auch dadurch kein Geständniß. Die Justiz=Canzlei rügte die Ueberschreitung ihres Informatoriums scharf, befand auch, daß die Angeklagte "durch ausgestandene harte Tortur das crimen veneficii in so weit purgiret, dahero sie der hafft zu erlassen, und das übrige verborgene dem Allwissenden Gott heimzustellen" sei, verwies sie aber des Landes (30. Juni 1691).

Als 1682 das Gericht zu Warin die Justiz=Canzlei um Belehrung darüber bat, wie es sich zu benehmen habe gegen eine Dirne von 16 Jahren, die vor ungefähr 10 Jahren (also etwa 6jährig) vor dem Niedergericht zu Rostock gar umständlich behauptet, daß sie von einem Weibe das Zaubern gelernt habe, empfing es den Befehl, das Mädchen zu verhaften, zu verhören und nötigenfalls zu foltern. Doch gelang es inzwischen der Gefährdeten sich nach Wismar zu flüchten. - "Eine Hexendirne von 10 Jahren" ward 1690

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mit dem Schwerte gerichtet, ihr Körper unterm Galgen begraben, "nachdem sie nunmehr in ihrem Christenthumb und andacht gut beschaffen und in das allgemeine Kirchengebet geschlossen ist". (Ihre Mutter war bereits verbrannt.) - Auch 1692 ward ein 10jähriger Knabe wegen Hexerei enthauptet, sein Körper zu Asche verbrannt; ebenso ward 1695 eine 14jährige "Hexe", weil sie noch so jung sei und mit der erlernten Zauberei keinen sonderlichen Schaden gethan, auch nicht mit dem Teufel gebuhlt habe, nicht erwürgt und verbrannt, sondern mit dem Schwerte hingerichtet. -

Ganz exorbitante Qualen, mit welchen der Frohnerknecht auf eigene Hand zur höchsten Mißbilligung der Justiz=Canzlei gegen eine "Hexe" vorgegangen war, hatten dieser kein Geständniß abgedrungen. Deshalb ward auf Landesverweisung erkannt. "Da hat Gott newlich die Gnade gehabt, daß die Inquisitin ein ziembliches und beständiges Bekenntnus gethan". - Decret vom 13. Juli 1696: "Ignis"!

Dagegen ward 1697 eine Angeklagte wegen unzulänglicher Indicien freigelassen.

Daß man jetzt von dem Hexeneifer allmählich abließ, beweisen auch folgende Fälle.

Ein Bürger G. zu Crivitz verklagte im Herbst 1697 seinen Mitbürger, den wohlhabenden Drechsler L., "weil er es seiner Frau angethan", der Satan bliese ihr bisweilen den Leib auf wie eine Pauke. Die Justiz=Canzlei gab G. aber auf, zunächst einen Arzt zu fragen, ob es eine natürliche Krankheit oder "eine wahrhafte Besitzung" sei, auch fleißig selbst zu beten und den Prediger auf der Kanzel für die Frau beten zu lassen. Als G. aber im August des nächsten Jahres abermals über die Besessenheit seiner Frau klagte und mit derselben die Schuld wieder auf L. schob, weil er mit diesem früher einen Streit gehabt, vor 12 Jahren auch eine hernach verbrannte Hexe auf diesen ausgesagt hatte, daß er Teufelei treibe und hexen könne: da befahl die Justiz=Canzlei dem Stadtgericht zu Crivitz, eine Untersuchung anzustellen. Der alte L. antwortete bei der halb inquisitorischen, halb civilistischen Verhandlung höchst verständig, leugnete Alles und bat um Schutz. Als er dennoch verhaftet ward, hob die Justiz=Canzlei die Haft auf, weil er ein mit 2 Häusern angesessener Bürger sei, und erkannte nach geschlossenem Verfahren auf Actenverschickung. Dagegen sträubte sich der Kosten halber das Stadtgericht, während L. darauf bestand, weil er nicht den ihm angethanen Schimpf mit in die Grube nehmen und nicht in der letzten Stunde des Zuspruchs der Geistlichkeit

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entbehren wolle, die sich während des Processes schon weigerte ihn zum Abendmahl zuzulassen. Die Canzlei befahl nun den Geistlichen, dem Angeklagten, da ihm zur Zeit nichts Rechtsbeständiges nachgewiesen sei, auf sein Verlangen das Abendmahl zu reichen. - Und da hierauf die Prediger zu Crivitz am 5. August 1699 baten, die Parteien gütlichst vergleichen zu dürfen, ward ihnen solches von der Canzlei warm empfohlen. Dies gelang ihnen; der Bürgermeister Zedlitz und alle Zeugen, die wider den Angeklagten aufgetreten waren, baten Letzteren um Verzeihung, gaben ihm eine vollständige Ehrenerklärung und bekannten vor der Geistlichkeit in der Kirche öffentlich, daß ihnen das Vorgegangene leid sei. Da nur allein der Denunciant G. sich noch dagegen sträubte, lud ihn die Justiz=Canzlei zum 23. März 1700 vor; und es gelang ihr nach langem und ernstem Zureden, G. zum Widerruf, Abbitte und Kostenersatz zu bewegen. Im Abschied sprach sie L. "der angemaßten Hexerei frei und abolirt".

1705 fragte der Superintendent Leumann an, wie er den Pastor zu Moisall, wo ein Mädchen eine alte Frau der Hexerei beschuldigt hatte, zu instruiren habe. Da erließ am 23. Mai die Justiz=Canzlei einen Befehl an die Beamten zu Warin, jegliche Inquisition zu verhüten, damit die Angeklagte durch die aus Einbildung satanischer Anfechtung bei der offensichtlich gemüthskranken Denunciantin erwachsene, schlecht gegründete injurieuse Muthmaßung und Plauderei nicht an ihrem Leumund ohne Verschulden gekränkt werde, da auf des melancholischen Weibsbildes Aussagen nicht zu fußen sei. Auch sollten die Beamten den Prediger erinnern, von solchen gefährlichen, auf Zauberei abzielenden Fragen zu abstrahiren, da dem Anscheine nach erst seine Frage das Mädchen auf den Gedanken gebracht habe, von selbst auszusagen, daß sie mit dem leidigen Teufel, den sie doch nicht gesehen noch gesprochen, Nachts Unzucht triebe, und solches ihr von der Beschuldigten angethan und beigebracht wäre; denn vor der Hand sei nichts Anderes zu muthmaßen, als daß die besagte Dirne in tiefen Liebesgedanken gesteckt und Gott zweimal täglich um einen Bräutigam angeflehet habe, also in Melancholie und Schwermuth gerathen sei.

Tortur.

Daß die Tortur die Hexenprocesse befördert hat, ist nicht zu leugnen; aber daß sie solche allein verschuldet habe,

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nicht wohl zu behaupten. Leichtere Mittel, "die Wahrheit" zu ermitteln, hatte die damalige Justizverwaltung nicht, die Tortur erschien ihr als das durch das Gesetz sanctionirte, einfachste und passendste. Ausschreitungen bei ihrer Anwendung wurden regelmäßig strenge gerügt. Daß solche vorgekommen sind, ergeben die Untersuchungsacten allerdings vielfach; die anscheinend stets gewissenhaft von zugezogenen Notaren in Beisein zweier oder mehrerer Zeugen, meistens unter Leitung einer Gerichtsperson, über die Vollstreckung geführten Protocolle weisen schaudererregende Fälle nach, welche vielfach in der befangenen Gemüthsbildung der Richter und in der Verirrung ihres religiösen und juristischen Eifers, sowie in der Rohheit der Henker begründet sind. In dem Abschnitt über die Hexenprocesse sind Beispiele von der Grausamkeit mancher Procedur gegeben; solche finden sich aber auch bei Untersuchungen wegen anderer Verbrechen. Z. B. 1622 bei der Untersuchung gegen eine Diebsbande ward Einer derselben, den ein Genosse unter dem Galgen als den Anführer angegeben hatte, gefoltert. Da er auch bei schärferem Anziehen der "Schrauben an den braunschweigischen Stiefeln" nur zwei Pferde gestohlen zu haben bekannte, und dann in einen "Schlaf" verfiel, ward die Marter noch fortgesetzt, bis zur Verwunderung des Henkers die Schrauben mehrmals lossprangen. Der Inquisit starb schon am nächsten Tage, bevor die von der Justiz=Canzlei aufs Neue angeordnete "mäßige" Tortur vollstreckt werden konnte. - 1626 bekannte ein Frauenzimmer auf der Folter vielfache eigene Diebstähle und nannte auch Mitschuldige. Da sie angab, eine Mitschuldige habe ihr früher nur zu bekennen verboten, und nicht widerrief, so ward sie verurtheilt und enthauptet. Bei der Untersuchung gegen ihre Complicen stellte sich hernach ihre Unschuld heraus! - 1629 starb eine der Zauberei und des Diebstahls bezichtigte Frau noch auf der Folterbank. -

1666 verklagten bei der Justiz=Canzlei Geschwister K. Bürgermeister und Rath zu Rostock wegen grausamer Behandlung ihrer Mutter in einer Untersuchungssache. Die Canzlei forderte alsbald die Angeklagten zum Bericht auf, und diese übersandten ihre Rechtfertigung. Danach hatte das Rostocker Gericht die Juristenfacultät zu Gießen um einen Spruch befragt, statt dessen aber, weil die Professoren sich nicht hatten einigen können, die Acten nebst Gründen für und wider zurückerhalten, und nun, da die Inquisitin hartnäckig geleugnet, für rathsam gehalten sie mit der weiteren peinlichen

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Frage zu belegen. Nun folgt der Hauptgrund: "Ob nun zwar die K. die Tortur überstanden und nicht daß geringste bekand, so haben sich dennoch bey und nach der Tortur gar merckliche indicia einer induration erzeuget". Diese werden aufgezählt: das Rufen der Unglücklichen auf der "Peinbank" sei ohne "starkes Geschrei" geschehen, sie habe keinen Angstschweiß und keine Thräne vergossen; "da der Frohnmeister die K. auf der Peinbank mit einem Schuster=Sauel oder Pfriemen hinten in den Nacken eines Daumengliedes lang und dann in beide große Fußzehen biß uff den Knochen hineingestochen, hat sie dasselbe nicht gefühlt, solches auch nicht geblutet, noch geschwollen"; sie habe auch den ihr auf den Leib geträufelten brennenden Schwefel "nicht empfunden", der Schwefel sei nicht eingebrannt, habe sich, wie er kalt geworden, ohne eine Spur zu hinterlassen, vom Frohnmeister wieder abwischen lassen, "welches", ist im Bericht selbst hinzugefügt, "unmöglich scheinet, daß es ein natürlicher Mensch außhalten und leiden konte"; endlich habe die Inquisitin sich nach der Tortur selbst von der Peinbank wieder aufrichten und aus dem "Peinkeller" heraufsteigen können; auch seien ihre Arme nicht geschwollen, "obgleich beide Apffel außgerissen". Von der Juristenfacultät zu Jena sind dann die Rostocker Referenten aber auf ihre Anfrage angewiesen, gegen jene Frau die Tortur und jedes weitere Verfahren einzustellen und dieselbe, "ärgernus zu vermeiden, dahin anzuhalten, daß sie die Stadt reume". - Der Rostocker Rath zweifelt nicht, "E. Durchl. werden - über der Supplicanten große Temerität und unzeitiges andringen ein ungnedigeß mißfallen schöpften". Und wirklich decretirte die Justiz=Canzlei: "Ponatur ad acta absque communicatione", obwohl in dem Facultäts=Erachten fast unumwunden die Ueberzeugung ausgesprochen ist, daß die K. der ihr Schuld gegebenen Verbrechen nicht schuldig sei.

Solche Fälle haben schon gegen das Ende des 17. und in dem 18. Jahrh. vielfache Aeußerungen einzelner Räthe gegen die Tortur herbeigeführt; doch blieben sie mit diesen Ansichten den starren Collegen gegenüber in der Minorität. Unter Leitung der Justiz=Canzlei (der Räthe Amsel zur Nedden und Gutzmer) ist die Tortur zum letzen Mal 1713 vollzogen (in Untersuchung wegen der Ermordung des Parchimschen Apothekers Petersen, die bei Zippendorf verübt war); das Protocoll besagt, "daß Inquisitus kaum 1/4 Stunde die cruciatura empfunden". Auf Tortur erkannt hat die Justiz

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Canzlei aber noch bis zum Jahre 1766, d. h. bis am 8. Jan. 1766 der Herzog Friedrich sie zum Erachten über die Frage der Abschaffung oder Beschränkung der Tortur aufforderte, "da Wir der gnädigsten Neigung geworden, aus Abscheu für die bey unbehutsamer Anwendung der peinlichen Frage möglichen Grausamkeiten die Tortur in U[Fehlstelle!!!]anden der Gestalt abzuschaffen, daß solche nur in dem einzigen Falle erlaubet bleiben soll, da ein seiner Verbrechen schon geständiger oder überführter Inquisit seine den Acten nach habenden Complices nicht anzeigen wolle".

Erst nach fast 11 monatlichen Berathungen und gar vielfachem Hin= und Hervotiren erstattete die Justiz=Canzlei am 31. Jan. 1767 ihr Gutachten; die Majorität der Räthe sprach sich für die Beibehaltung der Tortur aus. Denn wenn ein Bösewicht die Tortur nicht mehr zu fürchten hätte, würde er sich durch bloßes Leugnen der gerechten Strafe entziehen, der Staat auch den Eindruck eines abschreckenden Exempels bei andern Verbrechern verlieren. Die Abschaffung der Tortur würde ihre nachtheiligsten Folgen in den Fällen zeigen, wo die göttliche Majestät selbst Blut und Rache fordere; nicht nur in Rücksicht auf die Sicherheit des Staats, sondern auch, um nicht Blutschuld auf denselben zu laden, sei die Bestrafung der ärgsten Verbrechen, des Hochverraths, Mordes, Raubes etc ., mithin auch die Tortur als das Mittel zu ihrer Entdeckung nothwendig; eine Einschränkung derselben würde doch nur stets den Gerichten als Geheimniß mitzutheilen sein. Die gefährliche und bedenkliche Seite, daß die Tortur in Grausamkeit ausschlagen könne, sei nicht zu verkennen; aber wenn der Richter seine Pflicht thue, schwierig bei ihrer Verfügung und sorgfältig in der Wahl der Torquenten sei und die Ausführung überwache, so fielen die Bedenken hinweg. Wenn aber Gott in seiner unerforschlichen Weisheit zulasse, daß der Richter fehlgreife, so müsse der Mensch in seiner Demuth schweigen, wie auch schon unschuldig gefolterte Delinquenten selbst gestanden hätten, daß sie die Rache Gottes wegen anderer verborgen gebliebener Missethaten verfolge, die den Tod verdienten. Der Bericht empfahl schließlich, die Scharfrichter durch die Polizei Kommission prüfen zu lassen und künftig nur solche anzustellen, die Zeugnisse ihrer Erfahrung und Brauchbarkeit beibrächten; auch könnte man statt der gefährlichen Instrumente ungefährliche einführen.

Die Verfasser dieses Berichts hatten die Schriften für die Aufhebung der Tortur von Thomasius u. s. w. sehr wohl gelesen, waren aber durch dieselben ebenso wenig überzeugt, als

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durch die geistreichen, erhebenden und fast rührenden Vorstellungen ihrer in der Minorität verbliebenen Collegen, von denen namentlich einer das klarste Bild von der Zerrissenheit des Gemüths giebt, von der "Verantwortlichkeit, die durch die bestehenden Grundsätze das Herz eines Richters foltere", der in der Tortur eine Menschensatzung erblicke, die nicht die Wahrheit, sondern höchstens eine Wahrscheinlichkeit erziele, und darum, wenn der Richter daraufhin nach seinen richterlichen Eiden und Pflichten verurtheile, dessen Gewissen beschwere.

Der Landesherr ließ sich durch das Majoritäts=Erachten der Justiz=Canzlei aber nicht beirren; durch ein allerhöchstes Rescript vom 10. Aug. 1767 hob er die Tortur auf, unter den im Edict vom 16. Dec. 1769 enthaltenen Beschränkungen. Seitdem sind in einzelnen Untersuchungen von der Justiz=Canzlei freilich Anträge auf Zulassung der Tortur noch gestellt, aber jedesmal von der Regierung abschläglich beschieden. Z. B. glaubte die Canzlei 1772 in einer Untersuchung gegen eine zu Dömitz inhaftirte Diebesbande auf die Tortur erkennen zu müssen, überließ aber die Entscheidung über die Zulässigkeit derselben in diesem ihres Wissens ersten Falle seit dem Edict von 1769 höherem Ermessen. Die Regierung gab ihr nun zunächst auf, diejenigen Stellen in den Acten zu bezeichnen, aus denen man sich von der Nothwendigkeit der Tortur überzeugen könne; und nachdem dies geschehen war, erging an die Justiz=Canzlei unter dem 9. März 1774 die "gnädigste Resolution, daß Wir es für "sehr unzuverlässig halten, die Wahrheit durch die Tortur herauszubringen; dahero Wir solche nicht gestatten mögen, sondern vielmehr Euch in Gnaden überlassen, nunmehro der Strafe wegen dasjenige zu erkennen, was Ihr den Rechten in Vergleichung mit den bisher aufgenommenen Protocollis und den darin enthaltenen Umständen gemäß findet". - Und ähnlich beschied Herzog Friedrich durch die Regierung schon unter dem 3. Nov. 1773 die Justiz=Canzlei in einer Untersuchung wegen Blutschande: "Da nun aber auch, nach Unserer Denkungs=Art, nach welcher wir ein durch die peinliche Frage erpreßtes Bekenntniß für einen hinlänglichen Beweis anzunehmen Uns nicht zu entschließen vermögen, Wir die Resolution gefaßet haben, an Statt des Erkenntnißes auf die Tortur und der Erwartung deren mißlichen Ausganges lieber sofort zu einer solchen willkührlichen Bestrafung des Mißethäters schreiten zu laßen, welche er nach seiner scandaleusen Lebensart verwürcket

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hat: So überlaßen wir es Euch, daß ihr nach Eurem Gewißen und Pflichten, womit Ihr der Gerechtigkeit verwandt seyd, nunmehr mit einer den Umständen und Acten gemäßen poena extraordinaria den Inquisitum beleget, wobey Ihr von selbsten auf eine solche Art der Strafe verfallen werdet, wodurch Ihr nicht das jetzt beynahe vergessene Andenken der begangenen groben That in den bürgerlichen Gesellschaften von neuem wieder erwecket".

 

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