zurück zur Metadatenansicht auf dem Dokumentenserver
zurück
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen [ Seite 3 ] zur nächsten Seite zur letzen Seite
Dokument dauerhaft verlinken Dokument im gesamten Band öffnen Metadaten auf dem Dokumentenserver anzeigen

I.

Pilgerfahrten meklenburgischer Regenten

nach dem Orient

im Zeitalter der Kreuzzüge.

Von

Archivar Dr. F. Wigger,


I.

Die Wallfahrt des Obotritenfürsten Pribislav
und des Grafen Gunzel I. von Schwerin
mit Herzog Heinrich dem Löwen.

Der Herzog Heinrich der Löwe von Baiern und Sachsen stand im Jahre 1171 auf dem Gipfel seiner Macht und seines schon von den Zeitgenossen angestaunten Glückes. Nächst dem Kaiser Friedrich I. war er bei weitem der mächtigste Fürst des Reiches; er hatte Baiern gewonnen, das Herzogthum Sachsen bis an die Peene erweitert, seine Gegner zum Schweigen gebracht, mit dem König Waldemar von Dänemark nicht nur Frieden geschlossen, sondern auch eine Familienverbindung verabredet. Sein schwierigstes Werk war die Bezwingung der Wenden und die Einleitung ihrer Bekehrung gewesen; es hatte so recht seinem Charakter zugesagt, in dem sich ein nicht geringer Grad von Herrschsucht und Eigensucht mit kirchlichem Sinn in merkwürdiger Mischung vertrug.

Man konnte die Macht des Wendenthums für gebrochen halten, seitdem Zwantewits Bild auf Arkona gefallen war.

Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 4 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Heinrichs ehemals hartnäckigster Feind, der Wendenfürst Pribislav, war nicht nur besiegt, sondern auch aufrichtig versöhnt; er war des Herzogs Freund und Bewunderer geworden 1 ), und dabei nicht nur ein äußerlicher Bekenner des Christenthums, sondern auch innerlich von dessen Kraft und Wahrheit überzeugt. Wenn dieser Wendenfürst sich seines Volkes kräftig annahm und dessen Ueberreste unter dem Schutze fester Burgen neu sammelte und ansiedelte 2 ), so gründete er doch auch, um demselben die Segnungen der Kirche und christlicher Cultur leichter zu vermitteln, im Frühling 1171 das Kloster zu Althof bei Doberan 3 ); und am 9. Sept. 1171 erschien Pibisav sogar, wie schwer es im gewesen sein mag, auf einer der vornehmsten Burgen seiner Väter einen fremden Grafen walten zu sehen, zu Schwerin, als der Bischof Berno den Dom weihete und Herzog Heinrich, begleitet von manchen seiner Getreuen, gleichsam zum Abschluss seines Wirkens im Wendenlande, die feierliche Stiftung und Ausstattung des jüngsten seiner drei wendischen Bisthümer, zu der vornehmlich Pribislav das Kirchengut beisteuerte, vollzog 4 ).

Eben damals traf der Herzog schon Vorbereitungen zu einer Wallfahrt ins Heilige Land. Es waren nicht politische Beweggründe, die ihn in den fernen Orient trieben, wo sich für seine stets praktische Politik kein Feld fand; auch konnte er dort bei dem blühenden Zustande des Königreiches Jerusalem keine Gelegenheit zu Beweisen seiner Tapferkeit und Aufopferungsfähigkeit für kirchliche Zwecke erwarten. Treffend bemerkt vielmehr sein jüngerer Zeitgenosse Abt Arnold von Lübek 5 ), dem wir unsere Kunde von jener Wallfahrt zumeist verdanken: "Nachdem .. der Friede im Wendenlande befestigt .., der Herzog nun solcher Ruhe theilhaftig geworden und so großen und gefahrvollen Stürmen glücklich entronnen war, glaubte er, fromme es, das Heilige Grab als den Hafen des Heils aufzusuchen, den Herrn dort anzubeten, wo einst seine Füße gestanden." Damit handelte Heinrich ganz im Sinne seiner Zeit, die jede Wallfahrt, und namentlich


1) Arnolds Lubicensis I, 1: Pribizlavus vero, frater Wertizlavi , ex inimico factus est duci amicissimus, sciens, quod nil prevalerent adversus eum suscepta molomina, considerans etiam viri magnificentiam et [quod], quocunque se vertebat, in omnibus fotuna prevallebat.
2) Helmold II. 14
3) Meklenb. Urkunden=Buch I, Nr. 98.
4) Das. Nr. 100.
5) Arnold I, 1.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 5 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

die nach dem Heiligen Lande, als eine Buße oder als ein gottgefälliges Dankopfer ansah. Nebenbei reizte ihn aber wohl auch das Verlangen, den sagen= und wunderreichen Orient überhaupt, und namentlich jene Orte zu sehen, welche durch die Kämpfe und die Siege der Kreuzfahrer berühmt geworden waren, und das Reich zu schauen, welches die Streiter Christi in Palästina mit zahllosen Opfern und unvergleichlicher Hingabe von Gut und Leben geschaffen hatten.

Sein Herzogthum befahl Heinrich für die Dauer seiner Wallfahrt dem Erzbischof Wichmann von Magdeburg, seiner Gemahlin Mechthild zur Seite ließ er zwei tüchtige Ministerialen; eine große Anzahl von seinen geistlichen und weltlichen Herren in Sachsen aber nahm er zu seinen Gefährten. Unter den geistlichen ragten der Bischof Konrad von Lübek und die Aebte Berthold von Lüneburg und Heinrich von Braunschweig (dessen Mittheilungen Arnold von Lübek wiedergiebt 1 ), unter den weltlichen Herren der Obotritenfürst Pribislav, der Graf Gunzel I. von Schwerin, Graf Siegfried von Blankenburg 2 ) u. a. hervor.

Wohl leisteten Pribislav, den der Kaiser Friedrich 1170 unter die Fürften des Reichs aufgenommen hatte 3 , und der Graf Gunzel als des Herzogs Lehnmannen mit solchem Gefolge dem Herzog Heinrich einen schuldigen Ehrendienst. Und wenn auch nicht deutlich genug bezeugt würde, daß Pribislav sein Lehnmann gewesn sei 4 ) (wiewohl die Fürsten von Meklenburg hernach ihre Lande nicht von den Herzogen von Sachsen zu Lehn nahmen): so lag es doch in den gegenseitigen Beziehungen, daß Pribislav, wenn der


1) Heinrich ward hernach Bischof von Lübek. In Arnolds Berichte tritt er in den Vordergrund. - Ein Auszug aus Arnolds Erzählung ging - mit einigen Zusätzen - über in die (jetzt verlornen) Chronica Saxonum aus Welchen Hinricus de Hervordia (p. 158, 159), Detmar (z. J. 1171, 1172) und der Verf. der Historia de duce Hinrico (nach 1283) geschöpft haben. Vgl. Kohlmann in: Quellensammlung der Gesellsch. für schlesw.=Holst.=Lauenb. Gesch. IV, S. 231 flgd. und den Text S. 241 flgd. Die Abweichungen und Zusätze führen wir weiterhin an.
2) Arnold Lub. I. 1 nobiliores terre intineres sui socius fecit, Conradum videlicet episcopum Lubicensem, Heinricum abbatem de Bruneswich, Bertoldum abbatem de Lunenburg et memoratum Pribizlavum regulum Obotritorum et Guncelinum comitem de Zverin de suis viris liberis quam de ministerialibus.
3) Meklenb. Urkunden=Buch I, Nr. 102.
4) S. Jahrb. XXVIII, S. 159, 267.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 6 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Herzog gegen ihn den Wunsch äußerte oder ihm das Anerbieten machte, ihn unter seine Reisebegleiter aufzunehmen, nicht wohl ablehnen konnte. Aber es spricht auch nichts gegen die Annahme, daß des Herzogs geistlicher Beweggrund in dem Herzen des neubekehrten Wendenfürsten einen kräftigen Widerhall fand, und daß sich dieser danach sehnte, dem Erlöser am heiligen Grabe und auf Golgatha seinen Dank darzubringen.

Wie der Herzog seine Gemahlin (die ihrer Entbindung entgegen sah) daheim ließ, so blieb auch Pribislavs Gemahlin, die Fürstin Woizlava, zu Meklenburg, und ebenso die Gräsin Oda zu Schwerin von der langen und anstrengenden Fahrt zurück. Jener standen während der Abwesenheit ihres Gemahls vermuthlich ihr Sohn Burwin, der wohl mindestens 20 Jahre zählte und wahrscheinlich schon mit Mechthild, der Tochter Herzog Heinrichs, vermählt 1 ) war, und ihr Neffe, des unglücklichen Fürsten Wartislav hinterbliebener Sohn Niclot (der spätere Fürst von Rostock), schützend und helfend zur Seite; und eine ähnliche Stütze fand Gunzels Gemahlin, die Gräfin Oda, an ihrem ältesten Sohne Helmold. Wenigstens wird dieser so wenig wie die beiden jungen meklenburgischen Herren unter dem Gefolge des Herzogs erwähnt. Ueberdies hatten die beiden Regentinnen in dem Bischof Berno von Schwerin einen einsichtsvollen Rathgeber.

Die Octave des Festes der Heil. drei Könige (13. Jan.) 1172 2 ) ward noch zu Braunschweig verlebt; dann brach der Herzog mit dem Fürsten Pribislav und dem ganzen zahl=


1) Kirchberg erzählt freilich (Cap. 113), Heinrich Burwin I. Sei erst während dieser Wallfahrt, alfo im Jahre 1172, geboren; aber dies ist unglaubwürdig. Denn dann wäre dieser Fürst, als dessen Todestag der 28. Januar 1227 feststeht (Meklenb. Urk.=Buch Nr 336), in seinem 55. Lebensjahre gestorben und hätte doch schon fast mündige Enkel (Sohneskinder!) hinterlassen. Daß er in seinen letzten Jahren seine Söhne und sogar seine Enkel (Meklenb. Urk.=Buch I, Nr. 321) für sich eintreten läßt, macht es vielmebr sehr wahrscheinlich, daß er ein hohes Alter erreicht hat. Es könnte daher eher Heinrich Burwins I. Sohn, Heinrich (Burwin) II., im Jahre 1172 geboren sein, und Kirchbergs Angabe auf einer Verwechslung des Vaters mit dem in Chroniken (wenn auch nicht in den Urkunden) gleichnamigen Sohn beruhen. Wenigstens war Heinrich (Burwin II.) schon unter den Geiseln, welche sein Vater BurWin I. und sein Oheim Nicolaus von Rostock spätestens 1189 (vgl Meklenb. Urk.=Buch I, Nr. 147 und 148 nebst dem Siegel) nach Arnold III, 4 dem Könige Kanut von Dänemark stellten.
2) Dies Jahr steht trotz Abweichungen bei den Annaliften (Detmar und Histde duce Hinrico 1171) urkundlich fest. S. die Urk. in den Orig. Guelf. III, 515, 516: "D. anno dom. incarn. MCLXXII., (  ...  )
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 7 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

reichen Gefolge von dort auf, zunächst nach Baiern. Zu Regensburg, wo das Marienfest am 2. Februar begangen ward, schlossen sich dem Pilgerzuge noch mehrere bairische Edle an, namentlich die Pfalzgrafen Friedrich und Otto von Wittelsbach 1 ).

Man wollte den damals seit den beiden Kreuzzügen gewöhnlichen Weg nach dem Qrient über Constantinopel einschlagen; Boten des Herzogs an den König Stephan von Ungarn, vielleicht auch an den Kaiser Manuel, eilten dem Zuge voran, um ein freies Geleite durch die Lande zu erbitten.

Zu Kloster=Neuburg begrüßte Herzog Heinrich von Oestreich mit einer großen Schaar von Priestern und Laien seinen Stiefsohn, den Herzog von Sachsen und Baiern, und führte ihn und sein ganzes Gefolge nach Wien.

Dort wurden Schiffe genommen, mit Speise und Wein und allem sonstigen Reisebedarf ausgerüstet, wobei der Herzog von Oestreich eine große Freigebigkeit bewies, und mit einem großen Theil des Reisegepäcks beladen. Denn hier begann Herzog Heinrich mit seinem Gefolge die Donaufahrt. Die Knechte dagegen führten die Rosse zu Lande längs des Stromes weiter, trafen aber am Abend immer wieder mit den dann landenden Schiffen zusammen. Der Abt Heinrich von Braunschweig, der die Pilgerfahrt in der strengsten Form, im härenen Gewande, in unablässigem Fasten und Beten zurücklegte, pflegte während des ganzen Zuges an jedem Abend eine Vigilie und an jedem Morgen vor dem Aufbruche eine Frühmesse zu Ehren des Heilands und der Heil. Jungfrau zu halten 2 ).

Auch der Bischof Konrad von Worms und der Herzog Heinrich von Oestreich gaben von Wien aus der Pilgerschaar das Geleite, der Herzog jedoch nur, um sie seinem Schwager, dem Könige Stephan von Ungarn, zuzuführen. Der Wormser Bischof dagegen ging mit einem vertraulichen Auftrage Kaiser Friedrichs I. nach Constantinopel, um dort für seines Kaisers Sohn um eine Tochter Kaiser Manuels zu werben; daneben aber sollte er auch, so meinte man wenigstens, diesem Pilgerzuge bei dem oströmischen Kaiser eine günstige Aufnahme er=


(  ...  ) gloriosissimi autem Henrici ducis Bauarie et Saxonie anno peregrinationis primo", und daselbst p. 510 die zu Jerusalem 1172 gegebene Urkunde über Heinrichs Stiftung der drei Lampen in der Auferstehungskirche.
1) Cohn, Gött. gel. Anz. 1866, S. 609, und danach Lappenberg zu Arnold I, 2.
2) Arnold I, 7 a. E.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 8 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

wirken, die bekanntlich Barbarossa selbst, freilich nicht ohne eigene Schuld, und König Konrad III. bei demselben Kaiser auf ihrem Kreuzzuge nicht gefunden hatten.

In Mesenburg (jetzt Mosony oder Wieselburg) erwartete die Wallfahrer schon Florenz, König Stephans Abgesandter, um sie durch Ungarn zu geleiten. So ging die Fahrt die Donau hinunter ruhig von Statten, bis am 3. oder 4. März die starke Festung Gran erreicht ward.

Dort überraschte die Pilger aber eine schlimme Kunde; in derselben Nacht nämlich (4. März) starb der König Stephan, wie man meinte an Gift, das ihm sein Bruder Bela, der mit ihm in schweren Zerwürfnissen lebte, hatte reichen lassen. Mit des Königs Tode war aber das sichere Geleite durch Ungarn erloschen. Glücklicher Weise war jedoch der Erzbischof und Primas von Ungarn eben in der Stadt, um die Vorbereitungen zu des Königs Beisetzung zu treffen. An ihn wurden nach gepflogener Berathung der Bischof Konrad von Lübek und die beiden vorhin erwähnten Aebte wegen eines weiteren Geleites abgesandt; und der Erzbischof ging gern auf solchen Wunsch ein, berief die anwesenden Magnaten zu einer Berathung und erwirkte leicht den Beschluß, daß Florenz den Pilgerzug durch ganz Ungarn sicher hindurch führen sollte.

So ward denn die Donaufahrt eine Weile glücklich fortgesetzt, wenigstens, so weit der Strom in südlicher Richtung durch die ungarische Ebene ruhig dahin fließt. Hernach aber ereignete sich ein Unfall, der leicht dem ganzen Unternehmen hätte ein jähes Ende bereiten können. Wo sich dieser zutrug, wird von unserm Gewährsmann nicht berichtet; vielleicht geschah das Unglück dort, wo unterhalb der Einmündung der Drau die sirmische Bergkette (jetzt Werdnik genannt) den Donaustrom zu einer fast östlichen Richtung bis zum Einflusse der Theiß zwingt und die Höhen, wenngleich an sich nicht bedeutend, zum Theil schroff in den Strom hinabfallen; oder es ereignete sich erst auf der Strecke nahe unterhalb Belgrad, wo "zur Rechten abschüssige Felsenhügel mit verfallenen Castellen" erscheinen, wenn dort auch jetzt "kein so gefährlicher, mit Klippen besäeter Engpaß 1 )" hervortritt, wie


1) Die angeführten Worte sind der Erörterung eines ungenannten ("Pf. Sch.") über Arnold I, 3 in den Wiener Jahrb. der Literatur Bd. 42 (1828, 2), S. 32, entnommen. Der ungenannte Verfasser zieht die Strecke längs des Werdnik gar nicht in Betracht - ob mit Recht oder mit Unrecht, könnte nur eine Untersuchung an Ort und Stelle entscheiden -, sondern nimmt ohne Weiteres an, Arnold (  ...  )
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 9 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Arnold ihn schildert. "Ungeheure Klippen", schreibt er, "springen dort Bergen gleich vor, deren eine von einer Burg gekrönt wird; sie hemmten den Lauf des Wassers und erschwerten die Vorüberfahrt aufs Aeußerste; denn die verengten Gewässer bäumen sich und schäumen zuerst hoch empor und stürzen hernach mit großem Getose in die Tiefe. Dennoch kamen nach Gottes Willen alle Schiffe daselbst unverletzt vorüber; nur allein der Herzog litt dort Schiffbruch. Indessen, die auf der Burg waren, warfen sich schnell in einen Nachen und zogen den Herzog ans Land; Gunzel aber und der Truchseß Jordan und die Uebrigen retteten sich durch Schwimmen. Das Schiff ward wieder hergestellt, und so erreichten sie Brandiz, wo bei dem Wassermangel die Schiffe auf dem Trocknen standen", weil, wie ein ortskundiger Mann bemerkt, "der rechte Arm der getheilten Donau hier bei niedrigem Wasserstand schmal und seicht wird."

"Brandiz", das slovenische Branitschewo, das alte römische Viminiacum, heut zuTage unter dem Schutt der weitläufigen Ruinen bei Kostolatz begraben (östlich von Belgrad am südlichen Donauufer), war im Mittelalter oft ein Zankapfel der Griechen und der Ungarn 1 ); damals gehörte es dem Kaiser von Byzanz. Bei dieser Stadt pflegten


(  ...  ) meine den Donaulauf unterbalb Belgrad. Da aber zwischen Belgrad und Branitschewo kein so mit Klippen besäeter Engpaß vorhanden, so ist es ihm "mehr als wahrscheinlich, daß der Herzog die Fahrt auf der Donau bis zu dem ersten Engpaß zwischen Dobra und Poretsch machte, hier Schiffbruch litt, und dann nach Branitschewo zurückkehrte", und daß das von Prokop erwähnte Castell Kampses "aller Wahrscheinlichkeit nach die von Marsigli auf dem Vorgebirge Greben, 2 Stunden oberbalb Poretsch, ganz in der Nähe des Engpasses bemerkte Ruine und dasjenige Castell ist, bei welchem der Herzog Schiffbruch gelitten." Uns dünkt diese Vermuthung, welcher Lappenberg zustimmt, unannehmbar; denn einmal spricht Arnold gar nicht von einer Umkehr, zum andern konnte der Herzog nicht an einem beliebigen Orte landen, da ihn ja nicht überall ein kaiserlicher "legatus" zu freiem Geleite erwartete, und drittens führte, wie unser Anonymus S. 35 selbst zeigt, schon von früher her die Straße nach Constantinopel über Branitschewo ins Thal der Morava. Man wagte sich eben nicht durch das Eiserne Thor bei Orsova. Das deutet auch Arnold an, wenn er schreibt: "Ibi (bei Branitschewo) enim Danubius subterraneo meatu absorptus (? s. die Worte des Anonymus in unserm Text) in amnem parvissimum derivatur et post longa terrarum spacia turgentibus fluctibus ebulliens in Sowam (Anon. liest Irsowam) protrabitur. Relictis igitur navibus etc.
1) Wiener Jahrb. der Lit. 42, S. 30 f. (Abhandlung über den Zug Kaiser Friedrichs I. von Wien bis Constantinopel zur Erläuterung des Ansbertus de expeditione Friderici imperatoris.)
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 10 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

die Reisenden die Donau zu verlassen und den Landweg nach Constantinopel einzuschlagen. Eben diese Absicht hatte auch der Herzog Heinrich. Ein Beamter (legatus) 1 ) Kaiser Manuels empfing die Pilgerschaar und den Bischof von Worms, um sie sicher weiter zu führen.

Ohne Gefahr und Beschwerden ließ sich aber dieser Landweg allerdings auch nicht zurücklegen. Denn zunächst war der verrufene "Bulgerewald" zu passiren, der sich zwischen Branitschewo und Nisch östlich von der Morava ausdehnte, ein Waldrevier, welches sich von den Höhen der Mittelgebirge (Golidsch, Omolje, Golubinje etc .) zu dem sumpfigen Thale der Morava hinabzieht und hie und da von sehr unzuverlässigen Bulgaren und Serben bewohnt ward. Der lange Wagenzug, welcher mit einem Ueberfluß von Lebensmitteln und Bequemlichkeiten aller Art beladen war, mußte auf dem engen, oft nur ein Geleise breiten und dabei, zumal jetzt im Frühling, tiefen Waldwege alle Augenblicke anhalten, so oft nämlich ein Wagen oder ein Karren zerbrach oder die im Schlamm stecken bleibenden Pferde den Dienst versagten.

Doch diesem Uebelstande war noch abzuhelfen. Der Herzog gebot nämlich bald, die Wagen preiszugeben, das Gepäck aber und vom Proviant so viel als möglich auf die Pferde zu laden, alles Andere dagegen zurückzulassen.

Schlimmer als der Verlust, den der Pilgerzug hiedurch erlitt, war es vielleicht noch, daß die Bulgaren und Serben, welche sich der zurückgebliebenen zahlreichen großen Weinfässer und Kisten mit Mehl, Fleisch, Fischen und sonstigen Leckerbissen bemächtigen konnten, durch einen so mühelosen Gewinn zu bösen Absichten verlockt wurden.

Der Obotritenfürst Pribislav mag sich Anfangs gefreut haben, als er hier im Serbenlande eine Sprache vernahm, die seiner wendischen Muttersprache verwandt und


1) Ob man an einen eigens zu diesem Zwecke von Constantinopel abgeordneten Gesandten denken darf, ist zweifelhaft. Wahrscheinlich war allerdings ein Bote, wie an König Stephan vorher und an den Sultan hernach, so auch an Kaiser Manuel zur Anmeldung des Zuges vorausgeschickt, und ein Gesandter empfing den Herzog demgemäß zu Branitschewo, wie früher Florenz beim Eintritt in Ungarn. Ohne Befehl hatte ein Statthalter Kaiser Manuels kaum freies Geleite gewähren können; vielleicht aber empfing eben der Statthalter diesen ausdrücklichen Befehl, und der legatus bekleidete alfo dasselbe Amt zu Branitschewo wie der IV, 9 von Arnold erwähnte "dux de Brandiz."
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 11 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

ihm wenigstens zum Theil wohl verständlich war. Aber er sollte bald erfahren, wie übel seine entfernten Stammesgenossen gegen den Pilgerzug gesinnt waren. Abt Arnold 1 ) kann nicht Worte genug finden, um die Wildheit und die Gier dieser "Belialssöhne" zu beschreiben. Man darf dabei jedoch auch nicht außer Acht lassen, daß die Serden nicht ohne Grund stetes Mißtrauen gegen ihren kaiserlichen Herrn zu Constantinopel hegten, daß sie in früheren Zeiten mit den Kreuzfahrern schon schlimme Erfahrungen gemacht hatten, und daß der Pilgerzug Herzog Heinrichs ein kleines Heer ausmachte, indem er nach Arnolds Angabe 2 ) nicht weniger als 1200 streitbare Männer zählte.

Als nun der byzantinische Geleitsmann, im Moravathal dem Zuge vorauseilend, in der mitten in dieser Waldgegend (12 Meilen von Branitschewo) belegenen kleinen Festung "Ravanelle" (wohl richtiger "Ravanetz" oder "Ravana" 3 ), jetzt Tjuprija, d. h. Brückenstadt, genannt) anlangte, welche den Uebergang über die Ravanitza, einen kleinen Zufluß der Morava, beherrschte, und dort eine ehrenvolle und gastliche Aufnahme für die Pilger begehrte, wie sie sich in des Kaisers Landen zieme: da verweigerten die Serben mißtrauisch jeglichen Einlaß derselben und wiesen sogar den kaiserlichen Sendboten selbst schnöde ab.

Auf eine so unwillkommene Botschaft zog Herzog Heinrich bis nahe an die Festung hinan, schlug dort sein Lager auf und machte nun wiederholt Versuche, die Serben durch freundliche Unterhandlungen umzustimmen; er verlangte von ihnen nur noch einen Geleitsmann und versicherte, mit diesem in Frieden weiterziehen zu wollen. Aber das Mißtrauen der Serben gegen abendländische Pilger und Kreuzfahrer war zu groß, sie ließen sich auf keine Verhandlungen ein.

Da richtete Herzog Heinrich an die seinen eine kräftige Anrede, die wir, wie sie Arnold aufgezeichnet hat, hier wiedergeben. "Als Pilger", sprach er, "hätten wir freilich ruhig und friedfertig unseres Weges ziehen und uns einer Feste des Kaisers, zu dem wir uns hinbegeben, nicht in Kriegsrüstung nahen sollen. Aber da jene Belialssöhne ja nicht


1) Arnold 1, 3.
2) I, 3 Fuit autem numerus virorum educcentium gladium mille ducenti. - Hist. ducis Hinrici erantque in comitatu ducis prefati ad duo milia hominum; und ebenso Detmar: "unde quam to paschen to Conftantinopole mit twee dusent mannen." - Annal. Colon. max. [Pertz, Scr. XVII, p. 785] cum 500 fere mili[ti]bus.
3) Uebrigens nennt sie Arnold IV, 9 gleichfalls castrum Ravanelle.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 12 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

friedlich verfahren, sondern, wie es scheint, Streit mit uns beginnen wollen: so erhebt die Banner! Vorwärts! Der Gott unserer Väter, für dessen Namen wir wallfahren und auf dessen Geheiß wir unsere Brüder, unsere Frauen und Kinder, Haus und Feld verlassen haben, sei mit uns! Hier gilt es unsere Kraft zu zeigen. Kämpfen wir tapfer! Sein Wille geschehe! Denn wir leben oder wir sterben, so sind wir des Herrn."

Mit erhobenen Bannern zogen die Pilger nun an der Festung vorüber und schlugen dann unweit derselben ihr Lager wieder auf, in einem langgestreckten Thal, an einem klaren Bache, auf der einen (östlichen) Seite 1 ) durch Anhöhen, auf der andern durch niedriges, dichtes Gebüsch gedeckt. Sie zündeten große Wachtfeuer an, stellten Posten aus, ließen dem Leibe die nöthige Pflege angedeihen und legten sich dann zur Ruhe.

Um Mitternacht aber wurden die Schläfer sehr unsanft geweckt. Die Serben hatten nun die Größe des Zuges überschlagen können; er mochte ihnen nicht allzu unbezwinglich erscheinen. Die Bevölkerung des ganzen Waldgebirges hatte sich zusammengeschaart und rückte in vier Abtheilungen von verschiedenen Seiten heran. Um die Deutschen zu schrecken und wo möglich zu einer vorschnellen Flucht zu bewegen, wobei eine reiche Beute zu erwarten stand, stimmten die feindlichen Haufen abwechselnd ein furchtbares Schlachtgeheul an.

Sofort erhoben sich die Pilger und rüsteten sich zum Streit. Zum herzoglichen Banner versammelte der Marschall schnell die Ritter, während die Knappen, unter deren Schutze seitwärts die Schlachtrosse und die Packpferde standen, angewiesen wurden, von einem etwanigen Angriffe der Feinde den Rittern sofort Meldung zu thun.

Der Herzog nahm, mit seiner Rüstung angethan, Platz vor einem mächtigen Wachtfeuer, neben ihm saßen der Bischof von Lübek und die beiden Aebte, sein Vertrauter, Graf Gunzel von Schwerin, stand mit andern Tapfern vor ihm; sie besprachen, was zu thun sei, und feuerten gegenseitig ihren Muth an. - Da flog plötzlich ein Pfeil nahe bei ihnen nieder. Und als sie nun alle schnell auffuhren und zu den Waffen griffen, ward auch schon gemeldet, daß das Lager des Wormser


1) "habentes a dextris montana, a sinistris vero rubum pinarum den sissimum", sagt Arnold, indem er sich die Front nach der Festung zurück gewendet denkt. Denn östlich lagen die Vorberge des Golubinja=Gebirges.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 13 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Bischofs angegriffen, ein Ritter dort durch einen Pfeilschuß getödtet und zwei Knechte durch vergiftete Pfeile auf den Tod verwundet seien.

Augenblicklich sandte der Herzog diesem Bischof 20 gepanzerte Ritter zur Hülfe; und diesen gelang es bald die Serben zurückzutreiben, zumal da der feindliche Führer durch einen Schuß aus einem Wurfgeschoß getödtet ward.

Nun wagten die Feinde keinen neuen nächtlichen Ueberfall mehr. Als am nächsten Morgen, nachdem ein dichter Nebel sich endlich zerstreut hatte, die Deutschen ihren Marsch fortsetzten, bemerkten sie freilich den ganzen Tag über noch Serben, welche den Zug in einiger Entfernung auf den Höhen begleiteten, um etwanige Nachzügler abzuschneiden; indessen gaben sie diesen dazu keine Gelegenheit.

Unversehrt gelangten die Pilger, an der bulgarischen Morava bis zum Einflusse der Nissava und dann längs dieser hinaufziehend, nach der Stadt Nisch 1 ), die als seinen Geburtsort Kaiser Constantin einst verschönert, Attila hernach zerstört, Kaiser Justinian aber wieder hergestellt und befestigt hatte. Hier durften sich die Deutschen nach langen Anstrengungen ausruhen; sie fanden hier eine sehr ehrenvolle Aufnahme und wurden auf Kosten Kaiser Manuels bewirthet.

Ohne alle Fährlichkeiten legten sie hierauf den Weg nach Constantinopel auf der bekannten Straße über Sophia, Philippopel und Adrianopel 2 ) zurück. Am Charfreitage (14. April), also volle drei Monate nach der Abreise von Braunschweig, zogen die Pilger in die durch die Erzählungen der Normannen und der Kreuzfahrer auch im nördlichen Europa wegen ihrer Pracht und ihres Reichthums längst als Wunderstadt berühmte Hauptstadt des oströmischen Kaisers Emanuel ein.

Wie anziehend einem Ankömmling aber auch alle Herrlichkeiten Constantinopels erscheinen mochten, der hohe Festtag verbot den Deutschen alle Zerstreuungen. In aller Stille feierten die Pilger die Passion des Herrn, und ebenso begingen sie den heiligen Sonnabend vor Ostern.

Am ersten Ostertage hörten sie schon in aller Frühe die Messe. Aber nach dem Frühmahl stiegen sie endlich zur Kaiserburg hinan. Dorthin hatte Herzog Heinrich seine für


1) Arnold nennt sie (I, 3) irrig Nicäa.
2) Arnold (I, 3): Inde (von Nisch) "deductus est Andernopolim, deinde Vinopolim." Er verwechselt die Reihenfolge; denn Vinopolis ist auch ihm (IV, 9) Philippopel. - Vgl. "Vinipopolin, quae et Philippis" Annal. Colon. max. (Pertz, Scr. XVII, p. 797).
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 14 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

den Kaiser mitgebrachten zahlreichen und kostbaren Geschenke bereits vorausgesandt, die köstlichsten Pferde mit Decken und Sätteln, Panzer, Schwerter, Gewänder von Scharlach und die feinsten Leinenstoffe.

Kaiser Manuel I. stand bei den Deutschen nicht eben im besten Andenken wegen des Haders, den er 25 Jahre früher mit seinem Schwager, dem deutschen Könige Konrad III., bei Geleaenheit des zweiten Kreuzzuges, vornehmlich um die unbesonnene Weise Barbarossas, gehabt hatte. Aber man kannte ohne Zweifel doch auch seine große Vorliebe für das abendländische Ritterthum, wie er denn selbst alle ritterlichen Künste gern und mit Auszeichnung geübt hatte und damals - im Alter von 52 Jahren - vielleicht mitunter noch übte. Wie sollte er also nicht den längst berühmten Herzog von Baiern und Sachsen freundlich bei sich aufnehmen, zumal, wenn er nicht mit einem Kreuzheere, sondern mit einer Schaar friedlicher Pilger erschien, und obenein gerade dessen mächtiger Gönner, Kaiser Friedrich, der den Herzog so warm empfahl, sich mit dem oströmischen Kaiserhause aufs Engste zu verbinden gedachte!

Unter solchen Umständen ließ sich erwarten, daß der prachtliebende Manuel den vollen Glanz des berühmten byzantinischen Ceremoniels entwickeln würde.

Und so geschah es auch. Nur drückt sich unser Berichterstatter, Abt Arnold von Lübek, leider so unbestimmt aus, daß die von ihm bezeichneten Oertlichkeiten sich kaum wiedererkennen lassen.

Aus der östlichen Spitze der Landzunge, welche das Häusermeer Constantinopels bedeckt, erhebt sich die alte Akropolis, auf welcher der Kaiser residirte. Dort lag im Norden der goldene Saal, und an diesen schlossen sich südwärts mehrere Prachtbauten. Dann folgte der freie Platz, auf dem sich die Sophienkirche erhebt, und weiter gelangte man durch "das Thor der Todten" zum Hippodrom. Eine lange Treppe führte vom Hippodrom hinunter zu den Uferbefestigungen.

Eben diese hohe Treppe stiegen vermuthlich die Deutschen zu ihrer feierlichen Audienz beim Kaiser hinan, und gelangten also zunächst in den Hippodrom, wenn anders diese Rennbahn der bei Arnold genannte weite, ebene, ummauerte Jagdhof (curia venationis) ist 1 ). Dorthin hatte Manuel zum feierlichen Empfang der Gäste und zugleich zur Begehung des Osterfestes die sämmtlichen weltlichen Großen seines Hofes und


1) Arnold I, c 4
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 15 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

die höchste Geistlichkeit berufen. Er selbst erschien im kaiserlichen Ornate. Zahllose Zelte von seinen Leinen= oder Baumwollenstoffen und Purpur, mit vergoldeten Spitzen und sonstigem, je nach dem Range und Stande der Inhaber mannigfach abgestuftem Schmuck waren daselbst aufgeschlagen.

Herzog Heinrich ward vom Kaiser zunächst aufs Feierlichste begrüßt; dann begann alsbald die große Procession. Der Weg war belegt mit Purpur, über welchen sich noch ein mit Gold durchwirkter Stoff hinzog, und mit goldenen Lampen und Kränzen geschmückt. Die erste Abtheilung des Zuges bildete die Geistlichkeit; auf diese folgte der Kaiser selbst mit dem Herzoge Heinrich, und die fremden Ritter, darunter also auch der Fürst Pribislav und der Graf Gunzel, schlossen sich ihnen an. So zogen sie hin zu dem "goldenen Zelte", welches von Gemmen und Edelsteinen blitzte. Damit wird der "goldene Saal" gemeint sein; denn es heißt, daß die Procession von hier zur (Sophien=) Kirche zurückkehrte.

In der Kirche nahm der Kaiser Platz aus seinem "hohen" Throne; und wenn einst dem König Ludwig VII. von Frankreich 1147 auf seinem Kreuzzuge bei der bekannten langen Unterredung im kaiserlichen Pallast ein dem kaiserlichen Throne gegenüber stehender, wie die Byzantiner mit Genugthuung behaupten, viel niedrigerer Sessel geboten war, so ward hier für Herzog Heinrich ein, auch vermuthlich niedrigerer, Thron neben dem kaiserlichen aufgestellt. So hörten die deutschen Pilger das Hochamt am ersten Ostertage an; ihre Gedanken, welche durch die ihnen bisher unbekannte Pracht zerstreut und verwirrt waren, wurden nun wieder auf die rechte Pilgerstimmung zurückgeführt.

Der Kaiser Manuel hatte ein lebhaftes Interesse für theologische Fragen. Er war, wie sehr ihm dies die Griechen verdachten, der Union der morgenländischen und der abendländischen Kirche nicht abgeneigt; confessionellen Erörterungen pflegte er mit Spannung zu folgen und fällte gern selbst das Endurtheil. Es wird ihm also ganz willkommen gewesen sein, wenn es nicht gar auf seinen Wunsch geschah, daß 1 ) nach der Tafel, als sich eine freiere Unterhaltung entsponnen hatte, die Bischöfe von Worms und von Lübek ein der Würde des hohen Festtages angemessenes geistliches Gespräch mit den Gelehrtesten unter den Griechen anregten, über einen Hauptunterschied der römischen von der griechischen Kirchenlehre, ob nämlich, wie die Griechen lehren, der Heilige Geist


1) Arnold I, c. 5.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 16 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

nur von Gott dem Vater, oder aber, wie die abendländischen Kirchen bekennen, von Gott dem Vater und von dem Sohne ausgehe. Man stritt hin und her, bis der ebenso beredte und gelehrte als demüthige Abt Heinrich von Braunschweig, indem er nicht nur die einschlagenden Stellen der Heiligen Schrift, sondern auch die Aussprüche der Kirchenväter ihnen entgegen hielt, die griechischen Schriftgelehrten zum Schweigen brachte und damit vor dem Kaiser und dem ganzen Hofe großen Beifall errang. -

Beim Aufbruche schenkte die Kaiserin Maria (die Tochter des Fürsten Raimund von Antiochia) dem Herzoge Heinrich so viel Sammet, daß er sein ganzes ritterliches Gefolge darein kleiden konnte, und jedem Ritter buntes Pelzwerk und einen Zobel.

Die Pilger ließen in Constantinopel ihre Pferde und den ganzen Troß zurück; ein einziges Schiff, das der Kaiser Manuel seinen Gästen zur Verfügung stellte und mit allem Bedarf reich ausstattete 1 ), faßte die Theilnehmer an der Ueberfahrt nach dem Heil. Lande.

Dem Fürsten Pribislav war eine Meerfahrt wohl nichts Unbekanntes; in den zahlreichen Fehden der Wenden mit den Dänen hatte er die Ostsee gewiß oft genug durchkreuzt, der Anblick des Meeres mochte mancherlei Erinnerungen in ihm wach rufen. Die meisten Pilger aber, die sich auf dem Schiffe befanden, waren mit den Gefahren und Schwierigkeiten einer Seefahrt nicht vertraut. Sie geriethen daher in große Todesfurcht, als in der Nacht - wohl noch im Marmorameere - der Wind in einen Sturm ausartete. Aber am andern Morgen gab sich auch die Schiffsmannschaft großer Besorgniß hin, als man das Fahrzeug auf zwei Klippen zutreiben sah; und die Pilger zweifelten schon kaum noch, daß sich das Unglück auf der Donau wiederholen werde. Aber, wie nach Arnolds Angabe eine hehre Jungfrau dem einen der Pilger in der vorigen Nacht im Traumgesicht verkündigt hatte, das Schiff blieb unversehrt. Denn im gefahrvollsten Augenblick entdeckte die Mannschaft zwischen den Felsen noch ein Thor und konnte, da eben der Sturm einhielt, das Fahrzeug unbeschädigt hindurch steuern.

Weitere Unfälle auf der See werden uns nicht verzeichnet. In Akkon 2 ) (Ptolomais) betraten die Wallfahrer den heiligen Boden Palästinas. Die Schönheit und die Sehenswürdigkeiten


1) Arnold I, c 6
2) Arnold I, c. 7.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 17 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

dieser Stadt und der glänzende Empfang, den sie dort fand, konnte die Pilgerschaar nicht zu einem längeren Verbleiben bewegen, ihre Sehnsucht trieb sie zur Eile nach dem endlichen Ziele ihrer Pilgerfahrt an. Den Weg nach Jerusalem legten die Wallfahrer auf Pferden, Maulthieren und Eseln zurück; sie wählten auch nicht den geringen Umweg über Nazareth, sondern die kürzeste Straße, um möglichst schnell die heilige Stadt zu erreichen. Arnold nennt uns auf dieser Strecke keinen einzigen Ort, den sie berührten.

In Jerusalem war die Ankunft des Pilgerzuges bereits gemeldet, und ein festlicher Empfang bereitet. Die Templer und die Johanniter zogen mit großem Gefolge dem Herzog entgegen und geleiteten ihn und seine Gefährten in die heilige Stadt. Dort empfing ihn wiederum die Geistlichkeit, Hymnen und Loblieder auf den Herrn anstimmend.

Der erste Weg wird auch diese Pilger zur Auferstehungskirche hingeführt haben 1 ), die das Hauptziel der Wallfahrt bildete. Seitdem unlängst die Passionskapelle und die Kreuzauffindungskapelle nebst der Krypte der heil. Helena durch einen großen Bau mit der Grabeskirche verbunden waren, fand der Christ in diesem Gebäude die bedeutendsten Heiligthümer vereinigt, Alles, was ihn an des Heilands Leiden und Sterben und an seinen Sieg über den Tod erinnerte.

Wie erwünscht es uns nun sein würde, einen Blick in die Herzen der Pilger zu thun, die jetzt an den heiligen Stätten knieten, und namentlich in Pribislavs Herz, - unser Gewährsmann berichtet uns nur von den prachtvollen Geschenken, welche Herzog Heinrich hier darbrachte, wie er am heiligen Grabe eine große Summe Geldes 2 ) opferte, wie er die Kapelle (basilica), in welcher das heilige Kreuz verwahrt ward, mit musivischer Arbeit schmückte und die Thüren derselben mit gediegenem Silber bekleidete, wie er drei ewige Lampen 3 ), eine vor dem heiligen Kreuze, eine vor der Passion des Herrn auf der Schädelstätte und eine vor dem heiligen


1) Nach d. Chron. Sax. wurden sie sofort von den Templern und Geistlichen dahin geleitet. Hinr. de Hervordia p. 159 "- processerunt Jerusalem. Dux ibi a clero et templariis sollompniter suscipitur cum ramis et laudibus.Ad sepulchrum Domini ducitur." - Hist. dde duce Hinr. p. 242 "Et susceptus est dux solemniter a clero et templariis cum ympnis et laudibus et ductus est ad sepulchrum Domini sanctum."
2) Arnold I, 7: pecuniam multam. Steigernd Hinr. de Hervordia (p. 159) u. Hist. de d. Hinrico: maximam pecuniam.
3) Arnold begnügt sich mit den Worten: Deputavit etiam reditus annuos ad cereos comparandos, iugiter ad sanctum sepulcrum arsuros. (  ...  )
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 18 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Grabe, stiftete - Graf Gunzel von Schwerin diente ihm bei dieser Schenkung als Zeuge -, und wie er endlich den Templern und Johannitern außer andern Geschenken sehr viele Waffen und 1000 Mark Silbers 1 ) zum Ankaufe von Landgütern gab, damit sie daselbst junge Streiter unterhalten möchten, wenn wieder der Krieg begönne.

Diese Zeit war allerdings nicht mehr fern. Der König Amalrich III. von Jerusalem hatte sich durch seine Kriegszüge nach Aegypten wohl hohen Ruhm erworben, durch solche Einmischung in die dortigen Verhältnisse aber auch gewissermaßen den späteren Fall des christlichen Königreiches eingeleitet; und schon zu seiner Zeit begannen die Fehden wiederum. Jetzt aber herrschte Friede, der König war in Jerusalem; und er zeichnete die abendländischen Gäste gar sehr aus, drei Tage lang gab er ihnen Gastmähler in seinem eigenen Palast.

Ueber solchen Festlichkeiten ward aber der Hauptzweck der Wallfahrt nicht aus dem Auge gelassen. Alle heiligen Stätten wurden besucht, das Thal Josaphat, der Oelberg, Bethlehem und Nazareth; und hernach ward unter einer Bedeckung der Templer auch eine Fahrt nach dem Jordan und nach der Wüste, wo Jesus 40 Tage lang versucht war, unternommen. Der religiöse Charakter einer Wallfahrt ward überall gewahrt: Abt Heinrich von Braunschweig war, wiewohl vom Fasten und Wachen ganz erschöpft, stets im Zuge und hielt an jeder heiligen Stätte, die man besuchte, einen angemessenen Gottesdienst.

Zurückgekehrt nach Jerusalem 2 ), ward Herzog Heinrich dort vom patriarchen Amalrich noch zwei Tage 3 ) festgehalten; dann aber traten die Pilger ihre Heimfahrt an.


(  ...  ) Auch die Hist. d. d. Hinrico hat nur die Worte: deputans cereos iugiter arsuros. Hinr. de Hervordia setzt dagegen nach der Stiftungsurkunde (s. Orig. Guelf. III, p. 516, 517 [und danach auch Meklenb. Urk.=Buch I, Nr. 103]) hinzu: Tres etiam (!) lampades perpstuas ad honorem Dei ardentes in ecclesia dominice resurrectionis instituit; quarum unam coram Domini sepulchro, alteram in loco Calvarie, tertiam coram vivinco ligno crucis ardere quingentis bysantiis comparavit.
1) Arn.: Templariis quoque et Hospitalariis dedit dona et arma plurima et mille marcas argenti ad comparanda predia, quibus tyrones teneantur tempore belli. - Dagegen Hinr. de Herv. (u. ebenso fast die Hist. d. d. Hinr.) nur: dona plurima dedit in armis et clenodiis aliis et mille marcas ad comparandos redditus.
2) Arnold I, 8.
3) Arn.: duobus diebus; Hinr. de Herv.: per triduum; Hist. d. d Hinr.: tribus diebus.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 19 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Sie zogen zunächst wieder nach Akkon, wählten aber nicht wieder den Seeweg nach Constantinopel. Man hatte dies sonst um so eher vermuthen dürfen, da vornehmlich die Geistlichen von den Anstrengungen der Reise und von dem Fasten bereits ermattet waren, und eine Landreise durch Syrien und Kleinasien gerade im Juli den an die Sommerhitze des Morgenlandes nicht gewöhnten Deutschen so leicht verderblich werden konnte. Warum dennoch der Herzog sich für den Landweg entschied, meldet Arnold uns nicht; es ist aber kaum zweifelhaft, daß Heinrich sich von dem Wunsche leiten ließ, auf dem Rückwege jene Gegenden kennen zu lernen, durch welche einst Gottfried von Bouillon und seine Mitanführer mit dem ersten Kreuzheer nach dem Heiligen Lande gezogen waren. Wenigstens schlug er, wie wir sehen werden, genau ihre Straße ein.

Er vergönnte seiner Begleitung zu Akkon eine Rast, eilte selbst aber, begleitet von dem Abte Heinrich, unter der Bedeckung einer starken Schutzmannschaft der Templer, die auf dieser nahe an dem Gebiete der Ismailiten (Assassinen) vorüberführenden Straße gewiß nicht überflüssig war, voraus nach Antiochia. Er hatte dem erkrankten Bischof von Lübek, dem Abte Berthold von Lüneburg und andern Herren wohl die Heimfahrt über das Meer freigestellt; aber Bischof Konrad bedauerte es bald, sich von seinem Herzog getrennt zu sehen, er wollte ihn auch um einiger Geschäfte willen sprechen. Er eilte demselben also mit den übrigen Reisegefährten auf einer Barke nach. Doch erreichte er ihn nicht mehr. Kaum gelangte er noch lebend nach Tyrus; er starb, als sie dort eben landeten, am 17. Juli 1 ). Graf Gunzel von Schwerin und die andern Gefährten des Herzogs, welche daselbst zugegen waren, begruben ihn feierlich in jener Stadt. Abt Berthold fühlte sich zu krank, um die Landreise fortzusetzen; er kehrte also nach Akkon zurück, und dort starb er acht Tage nach Konrads Tode, am 24. Juli 2 ).


1) Nekrologium des St. Michaelis=Klosters zu Lüneburg bei Wedekind, Noten III, p. 52. - Auch Hist. d. d. Hinr. anno Domini 1172, 16. kal. Augusti. (Bei Detmar und bei Heinrich v. Herford fehlt das Datum, wie auch bei Arnold). Gleichwohl soll nach dieser Erzählung der Herzog 1171 auf die Wallfahrt gegangen sein.
2) So das Nekrol. des St. Mich.=Klosters p. 54. - Nach Arnold, Heinr. v. Herford, Hist. d. d. Hinr. und Detmar starb er 3 Tage nach seiner Rückkehr zu Akkon. - Detmar z. J. 1172: "kal. Augusti de hertoghe was mit den anderen vore varen; do he vreschede eren dot, he ward des sere bedrovet." Die Beziehung des Datums ist nicht recht klar.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 20 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

In Antiochia scheint das ganze übrige Gefolge sich mit dem Herzog wieder vereinigt zu haben. Fürst Boemund III. gewährte dort seinen deutschen Gästen, die ihm gewiß von seinem Schwager, dem Kaiser Manuel, aufs Beste empfohlen waren, eine glänzende Aufnahme. Den größten Dienst aber leistete er ihnen wahrscheinlich damit, daß er sie vor dem Herrscher von Armenien warnte.

Dieser armenische Prinz Milo (oder wohl richtiger Melih oder Malich genannt) hatte einst dem Templerorden angehört; hernach beherrschte er, während sein Bruder Toros als König das ganze Land Armenien regierte, ein Gebiet am cilicischen Taurus. Hier gewann er bald einen üblen Ruf. Im Jahre 1171 nämlich, als Stephan, der Sohn des Grafen Theobald von der Champagne, seinen Rückweg aus Palästina von Antiochia über Cilicien durch Kleinasien nahm, legte Milo ihm bei Mamistra einen Hinterhalt und ließ ihn vollständig ausplündern; der Graf erlangte nur mit Mühe von den Räubern einen elenden Gaul, um seinen Weg fortsetzen zu können. Als dann bald hernach Toros starb und die Großen des Landes seinen Schwestersohn Thomas auf den Thron erhoben, schloß Milo ein Hülfsbündniß mit dem Sultan Nureddin, und mit dessen Truppen machte er sich zum Herrn von Armenien; er trat nun aber sofort feindselig gegen die Christen auf, trieb die Templer aus Cilicien, verkaufte christliche Gefangene an die Ungläubigen u. s. w. Der Fürst von Antiochia und andere christliche Herren ergriffen sogleich gegen ihn die Waffen. Der König Amalrich versuchte darauf noch erst eine gütliche Vermittelung; als aber solche erfolglos war, fiel er mit den andern christlichen Fürsten in Cilicien ein, mußte sich jedoch mit Verwüstungen des offenen Landes begnügen, da ihn die Nachricht von einer Unternehmung Nureddins gegen die Burg Petra oder Krak in Arabien abrief 1 ). -

Nicht hinlänglich mit diesen Ereignissen und mit dem Charakter des Armeniers bekannt, stürzte Herzog Heinrich der Löwe sich und seine Gefährten in die größte Gefahr, indem er Milo um freies Geleite durch sein Land bat. Der Armenier schickte dem Herzog eine Gesandtschaft von 20 vornehmen Männern entgegen, die ihm versichern sollten, daß der König bereit sei, ihn ehrenvoll und in durchaus ungestörtem Frieden durch sein Land zu geleiten.

Da empfing Heinrich aber in Antiochia noch rechtzeitig die Warnung, sich dem Armenier nicht anzuvertrauen. In


1) Wilhelm v. Tyrus XX, 27, 28.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 21 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

der That möchte sonst auch der Obotritenfürst Pribislav hier ein ähnliches Loos gehabt haben, wie ein Jahrhundert später, wie wir sehen werden, seinen Enkel Heinrich den Pilger in Aegypten traf.

Heinrich gab also die Absicht, seinen Weg durch das Land des Armeniers zu nehmen, auf. Er zog vielmehr mit seiner Begleitung von Antiochia hinab zu dem unweit der Mündung des Orontes belegenen "Simeonshafen" (jetzt Soldu oder Suwadia genannt); dort bestiegen sie die Schiffe, welche der Fürst Boemund ihnen besorgt hatte, und fuhren auf denselben an dem größten Theile der Küste von Cilicien vorüber bis nach der Stadt Tarsus (zu jener Zeit "Torsult", von den Saracenen "Tortun" genannt), die damals entweder noch dem Kaiser von Griechenland gehörte oder schon von diesem an den Fürsten von Antiochia abgetreten war 1 ).

Noch war indessen die Gefahr nicht ganz beseitigt, wenn anders der Weg durch Kleinasien fortgesetzt werden sollte. Denn das Land zwischen Tarsus und dem cilicischen Taurus (dem Bulgar=Dagh) war seit dem erwähnten Streifzuge des christlichen Heeres wieder in der Gewalt des durch Zurückweisung seines früher erbetenen Geleites sehr erzürnten Milo; erst hinter dem Gebirge lag das Gebiet des Sultans Kilidsch Arslan II. Dieser Letztere aber stand zu Milo in keinem besseren Verhältnisse als die christlichen Fürsten in Syrien. Er sandte also dem Herzoge Heinrich auf dessen Anmeldung nach Tarsus eine Bedeckung von 500 schwerbewaffneten Reitern (milites) entgegen, welche den Pilgerzug durch Milos Gebiet geleiten sollten.

Waren somit unsern Wallfahrern also auch die syrischen Pässe, durch welche einst das erste große Kreuzheer nach Antiochia gezogen war, nicht zu Gesichte gekommen, so konnten sie nun doch auf demselben Wege, auf dem einst Tankred den ersten Zug von Heraklea durch die hohen Pässe des


1) "Tarsum primae Ciliciae metropolin, quam (Boemund) a Graecis receperat", sagt Wilhelm von Tyrus XXII, 24 Die Zeit, wann? ist unbekannt, Wilken III, 2, S. 227, Anm. 140, vermuthet, es sei schon bei Manuels Vermählung mit Maria von Antiochia geschehen. Arnold v. Lübek erzählt I, 9, Milo habe hernach Tarsus zur Rache dafür, daß ihm unsere Pilger entkommen waren, sich unterworfen (expugnans sibi subjugavit); dies spricht dafür, daß jene Pilger Tarsus für eine antiochenische Stadt hielten. Uebrigens verkaufte Boemund Tarsus 1183 an den Fürsten Rupin, den Bruder des Fürsten Leo von Cilicien; er muß also wieder in den Besitz derselben gekommen sein, vorausgesetzt, daß Arnolds Angabe Grund hat.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 22 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Taurus nach Tarsus hinabgeführt hatte, zum Hochlande von Kleinasien hinaufsteigen. Sie entgingen glücklich der Rache des Armeniers; aber doch mochte mancher unter ihnen bald über die Wahl des Weges durch Kleinasien murren. Denn, hätten nicht ihre saracenischen Reiter, wohlbekannt mit der "Rumenischen Wüste", schon im Gebirge die Packpferde mit Wasserschläuchen beladen, so wären auf dem dreitägigen Marsche durch die wasserlose Einöde bei glühender Sommerhitze Menschen und Pferde verschmachtet. In "Rakelei" (dem alten Heraklea, jetzt Erekli) erquickten aber die Türken mit großer Freundlichkeit die Pilger, welche sie als ihres Sultans Gäste ansahen.

Den Landesherrn selbst, den Sultan Kilidsch Arslan II., sahen die Deutschen erst auf ihrem weiteren Zuge zu Axarat (jetzt Aktscha=Schehr), wo derselbe zu einem feierlichen Empfange Vorbereitungen getroffen hatte. Da er an den Füßen ganz gelähmt und darum beständig in einem Wagen zu fahren genöthigt war, würde es ihm schwer geworden sein, den Gästen selbst entgegen zu kommen.

Zu Axarat also begrüßte er den Herzog Heinrich mit Kuß und Umarmung - als einen Blutsfreund. Heinrich wußte von dieser Verwandtschaft nichts; der Sultan erzählte ihm aber, daß eine seiner Ahnfrauen, die Gemahlin eines russischen Königs, eine deutsche Edle gewesen sei 1 ). Dann bezeugte er seine große Freude über die glückliche Ankunft seiner Gäste; er dankte Gott, daß sie Milos Händen entkommen seien, da dieser treulose Verräther ihnen sonst nicht nur ihr Gut, sondern auch ihr Leben genommen haben würde. Er selbst erwies den Deutschen eine großartige Gastfreundschaft in orientalischem Stil. Nachdem er dem Herzog Mantel und Untergewand von schönster Seide verehrt hatte (aus denen dieser hernach Priestergewänder anfertigen ließ), wurden 1800 Rosse vorgeführt, von denen sich jeder der "Ritter" des Herzogs eins nach Gefallen auswählen durfte. Der Herzog selbst empfing noch 30 starke Rosse mit silberbeschlagenen Zäumen und mit Sätteln von Elfenbein und Tuch, 6 Filzzelte nebst den 6 Kamelen, die sie tragen sollten, und deren Führern, endlich auch noch 2 Leoparden, die vermuthlich zur Jagd abgerichtet waren, da sie auf Pferden saßen und von Sklaven geleitet wurden.

So schwach der Körper, so regsam war der Geist des Sultans; er ging gern auf ernste Unterhaltungen ein. Der


1) Vgl. Scheidt in Orig. Guelf III. p. 78.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 23 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Herzog berührte bei einem solchen Bespräche auch den Islam und unterließ nicht, seinen Gastfreund zur Annahme des Christenthums zu ermuntern; er erörterte weitläufiger die Lehre der Heiligen Schrift, und namentlich auch, daß Gott Mensch geworden. Da antwortete Kilidsch Arslan, dem dies alles, da seine Mutter eine heimliche Christin war, gewiß keineswegs neu erschien: "Es sei nicht schwer zu glauben, daß Gott, der den ersten Menschen aus einem Erdenkloß gebildet, auch selbst, wenn es sein Wille gewesen sei, von der unbefleckten Jungfrau das Fleisch angenommen habe." In der That scheint jene Unterredung großen Eindruck auf ihn gemacht zu haben. Man schrieb es wenigstens der Vermittelung Herzog Heinrichs zu, daß der Sultan allen Christensklaven in seinem Lande die Freiheit schenkte 1 ). Dieser ward wegen seiner Milde gegen die Christen gerühmt; und als ihm später auf ihrem Todbette die Mutter ihren Glauben bekannte und ihn ermahnte, an Christum zu glauben und die Christen zu lieben, soll er es gelobt, aber hinzugefügt haben, er wage es der Saracenen wegen nicht, seinen Glauben offen zu bekennen 2 ). -

Nachdem sich die Pilger in Aktscha=Schehr bei dem gastfreien Sultan verabschiedet hatten, setzten sie ihre Reise über Ismil und "Cunin" (Iconium, Konieh), des Sultans Hauptstadt, in nordwestlicher Richtung auf Isnik (Nicäa) fort, also auf der Straße des ersten großen Kreuzzuges. Auf diesem Wege gelangten sie demnach über das alte Antiochia (bei Jalobatsch) oder Philomelium (jetzt Akschehr) in die Gegend von Doryläum (jetzt Eskischehr), wo einst durch die heiße Schlacht am 1. Juli 1097 die Kreuzfahrer die Macht des Sultans Kilidsch Arslan I. gebrochen hatten, und wo hernach König Konrad III. auf seinem Kreuzzuge im October 1147 nach dem mühevollen Zuge durch Gebirge und Wüsten bei den Angriffen der leichten türkischen Reiter und der schändlichen Verrätherei der Griechen den größten Theil seines Heeres verloren hatte und mit den Trümmern desselben auf einem Seitenwege durch die Gebirge von Lykaonien nach Nicäa zurückzukehren


1) Annal. Colon. max. (Pertz, Scr. XVII, p. 786): "In reditu vero (Heinrichs) quidam rex paganus eum honorifice suscipiens plura et magnifica dona optulit omnesque capitivos christianos, qui sub regno eius exulabant, interventu ducis absolvit."
2) "Quod ipse spopondit se facturum; sed dixit, quod non auderet aperte cerede in salvatorem propter paganus." Roberti de Monte Chron. 1180. (Pertz, Scr.VI, pag. 531.)
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 24 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

genöthigt war. Nachdem die Pilger einen "Wald" von drei beschwerlichen Tagereisen - den Dumandji=Dagh? -, der das Sultanat von Konieh vom Gebiete des griechischen Kaisers schied, überwunden hatten, sahen sie - schon auf griechischem Gebiete - die "Alemannenburg", von welcher aus einst Gottfried von Bouillon das ganze Saracenenreich erobert haben sollte, und dann erreichten sie die damals noch schön befestigte und ansehnliche Stadt "Anikke" (Nicäa, Isnik), an welche sich so viele Erinnerungen aus den ersten Kreuzzügen knüpften, der Untergang der Schaaren Peters von Amiens und Walters in der Nähe derselben, und die gewaltige Belagerung der Stadt, um deren Früchte schließlich der griechische Kaiser die Pilgerfürsten zu bringen gewußt hatte.

Der kürzeste Weg hätte nun die deutschen Wallfahrer von Nieäa über Nikomedien, Chalcedon und Skutari nach Constantinopel zurückgeführt: das war der Weg der alten Kreuzfahrer. Aber sie wandten sich westlich, dem "St. Georgenarm" (dem Hellespont) zu. Sie setzten über denselben bei der Stadt "Willekume" (Gallipoli) und richteten dann ihren Zug wieder auf Constantinopel, um dort ihren Troß an sich zu nehmen und auf der ihnen schon wohlbekannten Straße durch Ungarn der lange entbehrten Heimath wieder zuzueilen.

Den Kaiser fanden sie in seiner Hauptstadt nicht; er verweilte damals in "Manopolis", dessen Lage nicht sicher ist 1 ). Sie suchten ihn daselbst auf, um von ihm Abschied zu nehmen, und erfuhren von ihm gleiche Gastfreundschaft wie früher. Trotz ihrer Sehnsucht nach der Heimath mußten sie noch einige Tage bei ihm verweilen. Vermuthlich wollte er auch nicht die gute Gelegenheit versäumen, von dem staatsklugen Herzoge über die Zustände in Palästina und Kleinasien, die ihn so lebhaft interessirten, Nachrichten einzuziehen und Urtheile zu vernehmen. Aber seine Zuneigung zu Heinrich scheint doch nicht allein durch politische Rücksichten bestimmt worden zu sein. Bei dem Abschiede überhäufte der Kaiser ihn wieder mit köstlichen Geschenken. Der Herzog lehnte diese indessen in höflichster Form ab und erbat sich dafür - Reliquien, an denen der Kaiser sehr reich war und mit


1) "Manopolis": Arnold (I, 12), der die Namen oft in sehr entstellter Form wiedergiebt. Scheidt (Org. Guelf. III, p. 78) vermuthet in diesem Namen: "Maximianopolis" (ehemals Porsulae), das heutige Gümüldschina, welches südlich von Tajardi nahe dem Archipel (zwischen den Flüssen Karassu und Maritza) liegt.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 25 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

denen er gern vor seinen Gästen zu prunken pflegte. Manuel ging auch auf diesen Wunsch willig ein; er schenkte seinem Gaste nicht nur eine große Zahl von Reliquien, sondern auch köstliche Edelsteine zum Schmuck derselben 1 ).

Die Heimkehr über Nisch, durch den Bulgerewald, durch Ungarn, wo der König Bela freies Geleite und gute Verpflegung gewährte, und durch Oestreich verlief ohne jeglichen Unfall.

Nach der Ankunft in Baiern begrüßte Herzog Heinrich zunächst den Kaiser Friedrich zu Augsburg, wo derselbe 1172 das Weihnachtsfest beging; dann aber eilte er nach Braunschweig, welches er gerade nach Jahresfrist wieder betrat. Seinem Hause war während der Wallfahrt große Freude widerfahren; es war ihm eine Tochter (die Richenza) geschenkt.


1) Nach d. Chron. Saxonam empfing Herzog Heinrich nicht erst auf der Rückkehr, sondern schon auf dem Hinwege, in Constantinopel, die Reliquien. Es heißt bei Hinricus de Hervordia p. 159: Dux ab imperatore Constantmopolitano cum gloria maxima recipitur, sanguine domini nostri Jhesu Cristi et reliquiis aliis donatur. Dost navigio veniunt Accaron. Etwas weitläufiger wird in der Hist. de d. Hinrico berichtet: Sepedictus domnus dux cum sacro sanguine domini nostri Jesu Christi, qui de sacro latere eius effluxerat, cum maximis donariis reliquiarum sanctarum tam regis quam regine onustus dimissus est. Der Grund dieser Abweichung beruht lediglich darin, daß der Auszug aus Arnolds Chronik, welcher hier benutzt ward, von einer zweiten Begegnung des Herzogs mit dem Kaiser nichts mehr enthielt, sondern schon mit der Beschenkung der Pilger durch den Sultan schloß. Unmittelbar nach der Erzählung von dieser Beschenkung berichtet Hinr. de Hervordia kurz weiter: Post perveniunt in patriam. Detmar dagegen hilft sich mit der naiven Bemerkung: "Unde wat eme" (H. Heinrich) "mer uppe der reyse wedervor, daraf is in ander wech vele mer beschreven." In der Hist. de d. Hinrico heißt es gar: Post hec ascendens in navim(!), reversus est cum suo comitatu ad terram propriam, unde venerat. - Arnold macht von den Reliquien keine einzige namhaft, dagegen, wie schon erwähnt, Heinrich von Herford und die Historia die Reliquie des H. Bluts, weil wie diese besonders interessirte. Jener berichtet nämlich p. 159: Post perveniunt in patriam. Et tunc Henricius abbatem sancti Egydii Brunswicensis loco Conradi fecit episcopum Lubicensem, donans ei et Guncelino comiti Swerinensi munera multa, et sanguinem Domini nostri cum tremore et amore dividens, partem uni et partem alteri tribnit. Und ähnlich heißt es in der Historia d. d. Hinr. p. 244. Nec immemor beneficiorum in locum Conradi episcopi - domnum Henricum - promovit, donans ei et Guncelino comiti Swerinensi munera plurima et sanguinem domini nostri Jhesu Christi, quem in duas particulas cum tremore et amore diuidens, partem uni et partem alteri tribuit et ad terras proprias tantis muneribus honoratos et onustos remisit. Weiter wird dann erzählt, daß der Bischof Heinrich seinen Theil der (  ...  )
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 26 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Auch der Graf Gunzel von Schwerin sah, so viel wir wissen, seine zahlreiche Familie ohne Verlust wieder.

Zu solchem Empfange bildete aber die Heimkehr des Fürsten Pribislav einen traurigen Contrast. Der Obotritenfürst fand seine Gemahlin, die Fürstin Woizlava, nicht mehr; sie hatte während seiner Wallfahrt nach den heiligen Stätten ihre irdische Wallfahrt vollendet und in der Klosterkirche zu Althof (bei Doberan) ihre Ruhestätte gefunden 1 ).



(  ...  ) Reliquie an das neue Johanniskloster zu Lübek, das 1245 (nicht, wie die Historia meldet, 1173) nach Cismar versetzt ward, verschenkte, das Kloster Cismar aber 1283 wiederum von diesem Theil einen Theil an das (abgebrannte) Mutterkloster St. Aegidien zu Braunschweig zu dessen Aufhülfe gab. Die ganze Historia ist augenscheinlich nur geschrieben, um die H. Bluts=Reliquie des Aegidienklosters zu beglaubigen. Die Quelle für jenen Bericht ist aber ein Beglaubigungszeugniß des Klosters Cismar an das St. Aegidienkloster vom 20. August 1283, wo es von jener Reliquie heißt: Quem thesaurum olim illustris princeps Hinricus dux Bavarie et Saxonie, de Grecia transtulit et suo familiari fel. record. Hinrico episcopo Lubicensi pro parte contradidit pro suorum exigentia meritorum. (Vgl. oben: immemor beneficiorum!) -Aus diesem "pro parte" ist meines Erachtens die Sage dahin fortgebildet, daß der andere Theil an Gunzel geschenkt sei, da man in Braunschweig eine ungenaue Kunde davon hatte, daß in Schwerin eine aus dem Orient stammende H. Bluts=Reliquie sei. Denn es ist überall nicht wahrscheinlich, daß die Reliquie des Klosters Cismar vom Kaiser Manuel gekommen war (wie sie denn auch der Lübische Bischof Albert von Krummendyk schon für unecht erklärt hat, Quellensammlung IV S. 233). Sollte Arnold, der der erste Abt des Lübischen Johannisklosters war, zu dessen Händen also dies Kloster jenen Schatz (der überdies durch die Gaben der Verehrer unendlich einträglich zu werden versprach) von Bischof Heinrich empfangen haben mußte, hiervon zu reden unterlassen haben, da er doch von des Herzogs Reliquien und Gaben an die Kirchen nach seiner Rückkehr von jener Wallfahrt ausdrücklich spricht? Daß aber Gunzel sollte eine Reliquie des H. Bluts empfangen und an den Dom gegeben haben, ist darum vollends unglaublich, weil von der Verehrung oder von der Existenz derselben gar kein Nachweis zu finden ist. Welche ausgedehnte Verehrung die 1222 vom Grafen Heinrich mitgebrachte Reliquie des H. Bluts zu Schwerin genoß, ist bekannt genug, Heinrich wird deshalb von der Schweriner Geistlichkeit gerühmt, die Reliquie in Inventarien aufgeführt und genau beschrieben; von Gunzel wird aber Gleiches nicht gesagt, seine angebliche Reliquie in Inventarien gar nicht nicht erwähnt! - Nur eine scheinbare Stütze gewinnt jene Erzählung von der Reliquie Gunzels in dem Ablaßbriefe des Papstes Honorius III. vom 29. Juni 1220, wo es schon von der Schweriner Domkirche heißt: in qua a Christi fidelibus sacramentum sanguinis domini nostri Jesu Christi pie creditur esse reconditum. Dieser Ablaßbrief ist aber schon aus andern Gründen der Fälschung verdächtig. S. unten!
1) Kirchberg Cap. 113. [Westph., Mon. ined. IV, p. 757, Cap 111. Westphalen giebt die Capitelzahl von Cap. 100 an um 2 Einheiten zu niedrig.]
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 27 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

II.
Die Kreuzfahrt
des Grafen Heinrich I. von Schwerin.

Erst fünfzehn Jahre waren seit der gemeinsamen Wallfahrt des Fürsten Pribislav und des Grafen Gunzel I. mit Herzog Heinrich verflossen, als die heilige Stadt Jerusalem, wo jene ein christliches Königreich in allem Glanze gesehen hatten, an den großen Sultan Saladin verloren ging. Das Abendland rüstete sich alsbald zur Wiedereroberung der heiligen Stätten, und kein geringerer Mann als der alte Kaiser Friedrich I. stellte sich an die Spitze der zahllosen christlichen Kämpfer.

Pribislav erlebte diese Ereignisse nicht mehr († 1178), und eben so wenig Graf Gunzel I. († um 1185). und man möchte vermuthen, daß das Beispiel ihrer Väter und deren Erzählungen in ihnen wohl eine Vorliebe für das Heilige Land und Begeisterung für dessen Wiedereroberung erweckt hätten. Die Lage Niedersachsens und Meklenburgs war aber allerdings der Art, daß die meklenburgischen Landesherren dem Gedanken an eine Betheiligung bei dem Kreuzzuge nicht wohl Raum geben konnten. Herzog Heinrich, längst seiner Herzogthümer verlustig und voll tiefen Grolls, räumte lieber, als daß er sich dem Kreuzzuge angeschlossen hätte, auf des Kaisers Begehr einstweilen seine Erblande; da aber sein Nachfolger im Herzogthum Sachsen die meklenburgischen Herren und andere innerhalb seines Gebietes nicht hatte zu gewinnen verstanden und des nötigen Ansehens entbehrte, ließ sich kaum vermuthen, daß Herzog Heinrich die Gelegenheit versäumen würde, in des Kaisers Abwesenheit zurückzukehren und seine Macht auszubreiten. Ueberdies war erst vor wenig Jahren ein heidnischer Ausstand in den meklenburgischen Landen unterdrückt; dann waren die meklenburgischen Fürsten Burwin I. und Nicolaus mit einander

Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 28 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

in Fehde gerathen und endlich darüber gar Mannen des Königs von Dänemark geworden!

Mehr Anklang fand in Niedersachsen allerdings der Kreuzzug, den Kaiser Heinrich VI. ins Werk setzte. Unter den Herren, welche 1197 fortzogen, finden wir u. a. den Erzbischof von Bremen, den Bischof von Verden, den Grafen Adolf von Holstein, der schon früher für das Heilige Land gekämpft hatte, genannt, und auch etwa 400 Lübeker nahmen das Kreuz 1 ). Aber daß Meklenburger sich angeschlossen hätten, finden wir nicht überliefert.

Einen neuen Impuls empfingen die Deutschen, als der große Papst Innocenz III., und nach dessen Tode sein Nachfolger Honorius III., und der junge König Friedrich II. mit großem Eifer zu einem Kreuzzuge aufriefen. Die ersten Erfolge waren freilich wenig aufmunternd; der König Andreas von Ungarn, süddeutsche Herren u. s. w. richteten 1217 in Palästina wenig aus. Im Mai 1218 aber setzten die Kreuzfahrer von Akkon nach Aegypten über, um hier die Macht der Saracenen an der Wurzel zu vernichten. Unter der Führung des Königs Johann von Jerusalem, des Herzogs Leopold von Oestreich und vieler anderer weltlicher Herren, sowie des Patriarchen von Jerusalem und zahlreicher Bischöfe, hernach (seit dem Herbste 1218 2 ) vornehmlich unter der Oberleitung des päpstlichen Legaten, Cardinal=Bischofs Pelagius von Albano, belagerten sie die sehr feste Stadt Damiette; und wiewohl der Herrscher von Aegypten, Al=Kâmil, derselben mit großer muhammedanischer Macht zu Hülfe kam, bezwangen sie diesen festen Platz nach unsäglichen Mühen und Kämpfen endlich am 5. Novbr. 3 ) 1219. Die Feste Tanis fiel ihnen ohne Kampf zu.

Wir wissen, daß an der Belagerung von Damiette neben zahlreichen Friesen auch manche Niederdeutsche aus der Bremischen Kirchenprovinz mitgewirkt haben 4 ), aber


1) Arnold V, c. 25.
2) Oliveri scholastici Historia Daminatma (Eccardi, Corp. histor. medii aevi II), p. 1405. - Wir folgen dieser Schrift vornehmlich, da Oliver ein Augenzeuge war und sich durch Treue und Ausführlichkeit auszeichnet.
3) Auch bei Oliver ist p. 1415 statt "Nono Novembris" natürlich "Nonis Nov." zu lesen, da, wie er bemerkt, Damiette "feria tertia" fiel und 1219 der 5. nicht der 9. November, ein Dienstag war. Dies ist Recueil des hist. (occid.) des croisades II, p. 340, n. übersehen.
4) Oliver p. 1401: "VII coggones de provincia Coloniensi cum aliis paucis navibus de provinciis Bremensi et Treverensi."
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 29 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

nicht, ob Pilger von der Ostseeküste unter diesen gewesen sind. Jedenfalls war bis dahin keiner der Regenten aus Meklenburg 1 ) nach Aegypten gezogen.

so wichtig nun ein solcher Erfolg der Kreuzfahrer war, sie benutzten nicht den Schrecken, welcher sich der Aegypter bemächtigt hatte, um sofort tiefer ins Land einzudringen. Vielmehr erwarteten sie in Damiette erst weitere Verstärkungen, und namentlich den König Friedrich II, der immer zögerte, selbst sein Gelübde zu lösen, wohl aber viele Herren zum Ablegen des Gelübdes und zu baldigem Aufbruche antrieb.

Da trat denn im Jahre 1220 2 ) auch Graf Heinrich I. von Schwerin, ein Sohn Gunzels I., seine Kreuzfahrt nach Aegypten an. Ob ihn jedoch des Königs Friedrich II. erwähnte allgemeine Aufmunterung dazu bewogen hat, darf man bezweifeln. Denn die Grafen von Schwerin waren den Welfen, denen sie ihre Grafschaft verdankten, zugethan; Heinrich hatte den Kaiser Otto IV. auf seinem Zuge nach Italien begleitet 3 ), und von ihm ein Privilegium 4 ) erlangt, das nicht nur dem Domcapitel zu Schwerin neue Rechte einräumte, sondern auch der Stadt Schwerin zu Gute kam. Friedrich II. dagegen hatte dem Könige Waldemar II. von Dänemark, der die Grafen Gunzel I. und Heinrich I. von Schwerin gezwungen, ihn als ihren Lehnherrn anzuerkennen 5 ), alle Lande nördlich von der Elbe und Elde förmlich abgetreten 6 ), und die Päpste Innocenz III. und Honorius hatten dem Dänenkönige diesen Besitz bestätigt 7 ). Wie früher Waldemars Hand schwer auf den Grafen gelastet hatte 8 ), so zeigte er hernach, indem er seinen natürlichen Sohn Nicolaus von Halland mit Ida, der Erbtochter des Grafen Gunzelin II. (und Nichte des Grafen Heinrich), vermählte, deutlich genug, daß er wenigstens die eine Hälfte der Graf=


1) Wegen Burwins s. w. unten III. (in der Einleitung).
2) Nicht früher; denn in diesem Jahre finden wir ihn noch beim Pfalzgrafen Heinrich zu Braunschweig (Meklenb. Urk.=Buch I. Nr. 262). In den Jahren 1217-1219 war er daheim. S. Meklenb Urk.=Buch Nr. 230, 231, 235, 241, 242, 245, 240, 252. Am 25. Mai 1220, zu Schwerin, nennt sein Bruder Gunzel ihn in einer Urkunde nicht mehr als Zeugen.
3) Meklenb Urk.=Buch I. Nr. 196, 198, 207, (208, n?), 211.
4) Das. Nr. 189, 202. Es beruht auf der von den Schweriner Domherren gefälschten Urkunde Nr. 100 B.
5) Das. Nr. 217.
6) Das. Nr. 218.
7) Das. Nr. 224 und 232.
8) Vgl. auch Arnold VII, 11.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 30 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

schaft Heinrich I. und seinen Nachkommen zu entziehen suchte 1 ). Immerhin war also die Lage des Grafen Heinrich daheim eine unerquickliche; aber nicht solche Verstimmung kann den klugen und erfahrungsreichen Mann bewogen haben, bei schon herannahendem Alter - er mochte etwa 60 Jahre Zählen 2 ) - auf längere Zeit sein Land zu verlassen, wo, wenn sein älterer Bruder Gunzel II. sterben sollte, sofort jene Besitzergreifung von dänischer Seite zu befürchten stand, da Nicolaus von Halland mit Hinterlassung eines kleinen Sohnes bereits verstorben war. Vielmehr wird es der ritterlicher Sinn und die damit damals noch verbundene Liebe zur Kirche gewesen sein, die trotz aller politischen Bedenken den kühnen, unternehmenden Grafen anspornte, mit einem großen Theile der geistlichen und weltlichen Herren der Christenheit und mit andern zahllosen Gläubigen für das Kreuz Christi in den Kampf zu ziehen. In Gemeinschaft mit seinem Bruder Gunzel II. hatte er nicht nur deutsche Klöster gefördert, sondern vornehmlich den Hospitalbrüdern zu St. Johann in Jerusalem hatten sie ihre Vorliebe zugewandt, der Orden verdankte ihnen erhebliche Schenkungen 3 ). Hatte Heinrich damit sein hohes Interesse für das heilige Land und für die Kreuzfahrer genugsam bewiesen, so lag es ihm nicht fern, jetzt, wo das Haupt der Kirche den Aufruf zum Streit für das Heilige Land so laut ergehen ließ, und die erwartete Führung des Kreuzheeres durch das weltliche Haupt der Christenheit entscheidende Erfolge verhieße auch sein Leben einzusetzen und die den Pilgern verheißene Krone zu erstreben.

Diese hätte ihm aber leicht schon zu Theil werden können, bevor er noch Aegypten erreichte; denn schon unterwegs ward er mit den Saracenen handgemein. Während nämlich die Christen zu Damiette in Unthätigkeit verharrten, unterließ der ägyptische Sultan Kamil nichts, um ihnen Abbruch zu thun. Oberhalb der Stadt Damiette, dort, wo von dem Nilarm, der an dieser Stadt vorüberfließt, sich ein Nebenarm, der Canal von Aschmun, ostwärts abzweigt, erbauete er ein festes Lager (Mansurah), um die muhammedanischen Streitkräfte daselbst zu sammeln; gleichzeitig aber


1) Meklenb. Urk.=Buch Nr. 229, vgl. Nr. 230 und 275.
2) Er kommt schon im J. 1174 als Zeuge in einer Urkunde vor, Mekl. Urk.=Buch I, Nr., 117
3) Goddin mit dem Pfarrgute zu Eixen und das Dorf Sülstorf, s. Meklenb. Urk.=Buch I, Nr. 165, 230. - Im J. 1227 fügte Heinrich noch das Dorf Moraas hinzu. Das. Nr. 340.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 31 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

richtete er auch seine Aufmerksamkeit auf die See, um die Verbindung Damiettes mit Europa, die Zufuhr und die Zuzüge der Pilger zu hemmen. Wohl hatte der Doge von Venedig im Sommer 1220 14 schnellsegelnde Kriegsschiffe 1 ) den Christen in Aegypten zu Hülfe gesandt; sie erreichten den Hafen von Damiette im August, also eben zu der Zeit, wo die zweite Hauptüberfahrt der Kreuzfahrer zu geschehen pflegte (während die erste und bedeutendste Ueberfahrt im Frühling [passagium vernale] stattfand). Aber während diese dort ruhig im Hafen lagen, erschienen auf dem Mittelmeere nicht weniger als 33 von Kâmil ausgerüstete Galeeren, welche den Christen unsäglichen Schaden zufügten, indem sie Handelsschiffe, die Proviant nach Damiette schaffen sollten, sammt der Mannschaft nahmen, die Fahrzeuge plünderten und verbrannten, die Pilger aber gefangen abführten. Solche Kaper griffen denn auch ein großes, von Lastschiffen begleitetes Schiff an, welches den Grafen Heinrich von Schwerin mit andern Edlen aus Deutschland an Bord hatte. Es entspann sich ein heftiger Kampf; die Kreuzfahrer aber vertheidigten sich mannhaft, tödteten und verwundeten viele von jenen Aegyptern und entkamen so glücklich der Gefahr. Sie verloren von ihren Begleitschiffen nur ein dem Deutschen Hause gehöriges Lastschiff, das mit Gerste beladen war, durch griechisches Feuer. Die venetianischen und andere Galeeren liefen zu spät von Damiette aus, als daß sie jenen hätten Hülfe bringen können 2 ).

Als Graf Heinrich nun also im Spätsommer 1220 in Aegypten eintraf, fand er das Kreuzheer noch zu Damiette,


1) galeae, Galeeren; "naves longae, rostratae, geminis remorum instructae ordinibus, bellicis usibus habiliores, quae vulgo galeae dicuntur", erklärt Wilhelm von Tyrus, Hist. XX, 14.
2) Oliver c. 26, p. 1421: "Anno verbi incarnati MCCXX -- ." Dann c. 30, p. 1425: Mense Augusto applicnerunt Damiatam XIV galeae a duce Venetorum transmissae pariter et armatae, quae modicam utilitatem attulerunt Cnristianis. Nam rex Babilonis XXXIII armavit galeas eodem tempore, ouae nobis inaestimabile dampnum intulerunt. Ceperunt enim naves mercatorum cum ipsis hominibus, quae victualia versus Damiatam afferebant, peregrinos etiam captivos duxerunt, naves spoliantes et comburentes. Invaserunt insuper navem magnam, quae comitem Henricum de Zwerin et alios nobiles Teutonicos deferebat ad nos tendentes; sed ipsi viriliter se defenderunt et multis piratis interfectis et sauciatis evaserunt feliciter, perdito scalandro uno de domo Teutonica cum ordeo, quem consumpsit ignis Graecus. - Galeae Venetorum et aliorum invitatae ad accelerandum tardius egressae sunt de portu Damiatae, tendentes versus Ressitum et Alexandriam, postquam descripto modo damnificati sumus a Sarrazenis.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 32 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

welches nun schon seit etwa 10 Monaten in den Händen der Christen war; und noch immer eröffnete sich keine Aussicht, daß man zu einer größeren Unternehmung aufbrechen würde. Viele Streiter waren bereits unmuthig geworden und nach und nach heimgekehrt. Selbst der König Johann von Jerusalem, dem der päpstliche Legat doch Damiette zugestanden hatte, war, mißvergnügt über des Legaten Herrschsucht, abgesegelt; auch viele andere weltliche Herren waren von Pelagius verletzt; und die lange Unthätigkeit entsittlichte, zumal in jenem Klima, einen nicht geringen Theil der Mannschaft. Vergebens hatte der Cardinal die Führer wiederholt zum Aufbruche nach Kairo ermuntert; seine Gegner waren zu stark, er hatte nichts durchgesetzt. Während Kâmil in seinem festen Lager zu Mansurah die muhammedanischen Streitkräfte nach und nach vereinigte, verharrten die Christen auch den ganzen nächsten Winter in ihrer Ruhe. Wiederum hoffte man Friedrich II., nach seinem neuen im November 1220 bei seiner Kaiserkrönung geleisteten Gelöbnisse, im nächsten März zu Damiette zugehen; und darauf setzte man nun alle Hoffnung. Aber er selbst erschien nicht. Als sein Vorbote und Stellvertreter, der Herzog Ludwig von Baiern, im Mai in Aegypten eintraf, regte sich wohl neues Leben in dem Kreuzheere; da aber immer der Kaiser sein Versprechen nicht erfüllte, gelang es dem Legaten endlich durch seine Beredsamkeit, in dem Rathe der Fürsten die großen Bedenken, welche gegen einen Zug nach Kairo erhoben wurden, niederzuschlagen und sie zum Marsche nach dieser Hauptstadt von Aegypten auch ohne den Kaiser zu bestimmen. Ende Juni begann man den Aufbruch aus dem Lager zu Damiette; auch der König Johann von Jerusalem kehrte nun wieder zum Heere zurück. In der That war es jetzt aber zu früh oder zu spät, oder wenigstens die äußerste Zeit, wenn man noch vor der Ueberschwemmung des seit Johannis steigenden Nils das Ziel erreichen wollte. Denn wie schnell man die wenigen Tagemärsche nach Kairo gleich nach der Eroberung von Damiette hätte zurücklegen mögen, jetzt war es nicht mehr abzusehen, wie lange der Sultan die Christen mit seinem Heere in seinem festen Lager aufhalten konnte. Man beeilte sich aber trotzdem keinesweges; erst am 17. Juli verließen die Kreuzfahrer das Lager von Fareskur, das 3 Stunden von Damiette entfernt war.

Wohl mochten sie, unbekannt mit der Stärke, der Umsicht und dem Muthe des Sultans und mit den schwierigen Terrainverhältnissen, sich den frohesten Hoffnungen hingeben. Denn die Zahl ihres Fußvolks betrug, wenn auch nicht

Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 33 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

200,000 Mann, wie ein ägyptischer Schriftsteller 1 ) meint, so doch eine "unzählige" Menge, darunter wohl 4000 Bogenschützen; dazu kamen 1200 Ritter 2 ) mit ihren Knappen und andere Reiter, im Ganzen wohl 4-5000 zu Roß. Eine Flotte von 600 Schiffen, unter denen etwa 300 Koggen und 18 Galeeren, die andern Transportschiffe waren, deckte den rechten Flügel des am östlichen Nilufer hinaufziehenden Heeres, während Infanterie den linken schützte, Cavallerie sich zwischen ihnen ausbreitete, und Pfeilschützen und Lanzenschleuderer den Vortrab bildeten. Wie sollte König Johann von Jerusalem also Gehör finden mit seinem Vorschlag, die Stadt Scharmesah, die der Sultan zerstört hatte, wieder zu befestigen und dort in dem fruchtbaren Lande die Ankunft Kaiser Friedrichs II. abzuwarten! Schon nach einer Woche standen die Kreuzfahrer, da sie unterwegs verhältnißmäßig wenig belästigt waren, den Aegyptern gegenüber aus der Landspitze zwischen dem Nil und dem Kanal von Aschmun, nur durch diesen Kanal vom Feinde getrennt.

Wie wenig aber der Sultan geneigt war, den Christen sein Land ohne den härtesten Kampf zu überlassen, hatten sie schon unterwegs aus den von ihm befohlenen Verwüstungen abnehmen können. Jetzt sahen sie vor sich ein stark befestigtes Lager und zu dessen Seite auf dem Nil eine Flotte von 100 Galeeren 3 ); alle Mannschaft Aegyptens war aufgeboten, an die Muhammedaner in Syrien der Ruf um schleunige Verstärkung ergangen. Den Christen blieb nichts weiter übrig, als ihr Lager zu befestigen und zur Vertheidigung einzurichten. Vier Gefechte fielen zu Gunsten der Muselmänner aus 4 ).

Und doch zeigte Kâmil die besonnenste Mäßigung. Bei den jetzt eingeleiteten Friedensverhandlungen begehrten die Christen für die Herausgabe von Damiette "die Uebergabe von Jerusalem, Askalon, Tiberias, Gabala, Laodicea und der übrigen Städte des Meeresufers, die Saladin Jusuf erobert hatte "sowie "300,000 Dinare als Ersatz für den Schaden, welchen ihnen Al=Muazzam, der Fürst von Da=


1) Makrizi bei R. Röhricht, Beitrag zur Geschichte der Kreuzzüge I. (Berlin, 1874), S. 96 und 106. - Peter von Albencio schätzte das Fußvolk nur auf 40000, die Chronik von Tours giebt 70000 Bewaffnete (praeter vulgus) an. Wilken, Gesch. der Kreuzzüge VI, S. 321, Anm. 15.
2) Oliver, p. 1428, c. 34.
3) Makrizi a. a. O., S. 106.
4) Makrizi S. 107.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 34 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

maskus [Kâmils Bruder], durch Zerstörung der Mauern von Jerusalem [nach dem Falle von Damiette] zugefügt habe"; und alle jene Lande und Plätze gestand ihnen der Sultan für sich und seine Brüder zu, mit Ausnahme der festen Plätze Karak und Saubak (Mont royal) 1 ). Vergebens befürwortete König Johann von Jerusalem - und mit ihm die morgenländischen Herren - die Annahme dieser Bedingungen, womit das Ziel des Kreuzzuges, die Herstellung seines Königreiches, erreicht wäre. Der Cardinal Pelagius, der geprahlt hatte, er hoffe in wenig Tagen in Kairo zu sein, berief sich aus entgegenstehende Verbote des Papstes und des Kaisers, mit den Ungläubigen keinen Frieden zu schließen 2 ) - und er drang durch; die Verhandlungen wurden abgebrochen.

Aber man verharrete in der Unthätigkeit. Während nun im August mehr als 10000 Pilger unmuthig aus dem Lager nach Damiette zurückkehrten, um nach Hause zu fahren, entwickelte der Sultan die größte Tätigkeit. Seine Brüder, der furchtbare Christenfeind Al=Muazzam und Aschraf, sowie andere syrische Fürsten waren herbeigeeilt, so daß seine Reiterei wohl auf 40000 Rosse stieg 3 ); und im Rücken der Christen erschienen seine Kriegsschiffe, die er von Rosette her durch einen vom steigenden Nilwasser schiffbar gewordenen Canal im Delta (Mahalle) gehen ließ, um seinen Gegnern die Zufuhr abzuschneiden. Bald spürten auch die Kreuzfahrer die Schwierigkeiten der Verpflegung, und am 18. August wurde eine Anzahl ihrer Schiffe von den ägyptischen theils genommen, theils versenkt. Aegyptische Reiter gingen über den Canal von Aschmun und sperrten auch den schmalen Landweg nach Damiette, den der steigende Nil noch gelassen hatte.

Die Kreuzfahrer, welche "wie die Vögel ins Garn und die Fische ins Netz" gegangen waren, entschlossen sich jetzt zu dem unvermeidlich gewordenen Rückzug; am Abend des 26. August ward in aller Stille das Lager abgebrochen und verlassen. Aber da die Menge, zum Theil berauscht von dem preisgegebenen Wein, einen Theil der Zelte anzündete oder in Brand gerathen ließ, merkten die Feinde die Flucht und traten die Verfolgung an. In der Dunkelheit der Nacht irrten die Christen in Verwirrung umher, zum Theil


1) Makrizi a. a. S. 107 u. 108.
2) Oliver p. 1434, und die Fortsetzungen des Wilhelm von Tyrus, Recueil II, p. 351.
3) Makrizi a. a. S. 96.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 35 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

in dem Schlamm des ausgetretenen Nils; viele ertranken. Wohl warfen König Johann und die Ordensritter am nächsten Tage die andringenden Reiter tapfer zurück. Aber die Aegypter durchstachen in der nächsten Nacht Nildämme, viele Schläfer ertranken. Die Unmöglichkeit zu entkommen, heftige Angriffe der Aegypter, und auch der treulose Uebergang mancher Christen zum Feinde, veranlaßten die Führer des Kreuzzuges, mit dem Sultan Unterhandlungen anzuknüpfen: "sie baten um Schonung gegen Abtretung von Damiette an die Muslimen". Vergeblich zogen sich indessen zwei Tage die Verhandlungen hin, eine Partei unter den Muhammedanern wollte von Schonung nichts hören. Da jedoch die Christen der bedingungslosen Kriegsgefangenschaft einen ehrenvollen Untergang vorzuziehen erklärten, auch schon ihre Vorbereitungen zu einem verzweifelten Kampfe machten, mit ihrer Vernichtung aber das wohlbesetzte Damiette nicht gewonnen wäre, und da die Aegypter "die Franken auf den Inseln und anderswo fürchteten, welche denen bei Damiette zu Hülfe kommen konnten" 1 ): so kam am 30. August ein Vertrag zu Stande, worin die Christen sich verpflichteten, dem Sultan Damiette und die Burg Tanis herauszugeben, sie dagegen mit allen beweglichen Gütern freien Abzug aus Aegypten haben, alle beiderseitigen Gefangenen frei sein und die Muhammedaner das bei Tiberias erbeutete heilige Kreuz herausgeben sollten. Geisel bürgten von beiden Seiten für die Ausführung dieser Bedingungen.

Sofort ward nun den eingeschlossenen Christen von Seiten des Sultans Zufuhr und ein freundlicher Verkehr gewährt. Er gab seine christlichen Gefangenen noch vor der Ausführung des Vertrages los, ließ eine Brücke über den Nil schlagen, damit die Kreuzfahrer auf trockneren Wegen heimkehren könnten, verbot, sie irgendwie zu beschimpfen u. s. w.

Aber die nach Damiette abgesandten Ordensmeister stießen dort mit dem Begehr, die Stadt zu übergeben, auf heftigen Widerspruch. Die Führer der eben angelangten Flotte Kaiser Friedrichs und die deutschen und italienischen Kreuzfahrer daselbst sträubten sich ebenso heftig gegen die Annahme jenes Friedens, als die Franzosen und Orientalen sie befürworteten. Da man indessen keine Möglichkeit sah, die Stadt lange zu verteidigen, ward Damiette am 7. September (122l) von den Christen geräumt, die Muhammedaner zogen am nächsten Tage ein, und die Kreuzfahrer verließen schnell Aegypten 2 ).


1) Makrizi a. a. O. S. 108.
2) S. Wilken VI, S. 351 f.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 36 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Ueber die persönlichen Erlebnisse des Grafen Heinrich von Schwerin während seines Aufenthaltes in Aegypten finden wir nichts ausdrücklich erwähnt. Aber das darf uns nicht Wunder nehmen; denn selbst in der ausführlichen Erzählung dieses unglücklichen Kreuzzuges, welche wir dem Kölner Scholasticus (und späteren Paderbornschen Bischof) Oliver verdanken, werden uns auch nur die obersten Führer des Zuges genannt, zu denen ja Heinrich nicht gehörte. Wir finden den Grafen jedoch erst am 31. März 1222 wieder in seiner Heimath; und daß er, ohne sich an dem Kampfe zu betheiligen und ohne das übliche volle Jahr dem Kreuze gedient zu haben, aus Aegypten heimgekehrt wäre, widerspricht seinem ganzen Charakter. Endlich erblicken wir eine Hindeutung auf seine Theilnahme an dem unglücklichen Zuge nach Mansurah in den Worten eines Zeitgenossen.

Am 31. März, - am Grünen Donnerstage - des Jahres 1222 beurkundet nämlich zu Schwerin der dortige Bischof Brunward in Anwesenheit nicht nur seiner Domherren und einer Reihe von Schwerinschen Vasallen, sondern auch des Propstes Hermann von Hamburg und des Domherrn Friedrich von Hildesheim, welche beide Brüder des Grafen Heinrich I. von Schwerin waren, sowie des Abtes von Doberan und der Pröpste von Lübek und Neukloster - also in einer großen, feierlichen Versammlung -: "Graf Heinrich von Schwerin habe, als er, um dem Heiligen Lande zu Hülfe zu kommen, gegen die Heiden jenseit des Meeres eine Kreuzfahrt unternommen, mit großen Mühen und Kosten und mit gar vielen gefälligen Dienstleistungen es erlangt (magnis laboribus et expensis et quam pluribus obsequiis obtinuit), daß der Cardinal der heiligen Römischen Kirche, Bischof Pelagius von Albano, da dieser daselbst das Amt eines apostolischen Legaten verwaltete, ihm Blut des Herrn schenkte, das in einem Jaspis verschlossen war", mit der gestrengen Weisung, diesen unvergleichlichen Schatz einer Conventualkirche zu übergeben 1 ), und der Graf habe


1) Meklenb. Urk.=Buch I, Nr. 280. - Unvereinbar sowohl mit dieser Urkunde, wonach der Graf also erst am 31. März 1222 der Domkirche zu Schwerin die auf dem Kreuzzuge in Aegypten erworbene Reliquie des Heil. Bluts darbrachte (representauit), als auch mit der bestimmten Angabe Olivers, wonach Heinrich von Venedig aus, frühestens im August (wahrscheinlich erst im September) 1220 Aegypten erreichte und nun erst mit dem bereits seit dem Herbste 1218 (s. oben S. 28, 2 ) dort Verweilenden Legaten zusammentraf, ist der Ablaßbrief des Papstes Honorius III. zu Gunsten des Schweriner Doms, datirt: "Rome apud sanctam Mriam maiorem, III. kal. (  ...  )
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 37 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

dies H. Blut an diesem Tage, dem Grünen Donnerstage, in dem Schweriner Dom, wo die Gebeine der Seinigen - sowohl seines Vaters als seiner Bruder 1 ) - ruheten, dargebracht, Clerus und Laien hatten dasselbe mit Procession und Gesang empfangen.

Aus der Schenkung dieser kostbaren Reliquie und aus der ausdrücklichen Erwähnung gar vieler gefälliger Dienst=


(  ...  ) Julii pontificatus nostri anno quarto", also vom 29 Juni 1220 (Meklenb. Urk-Buch I, Nr. 267). Hier heißt es nämlich schon von der Schweriner Kirche: "in qua a Christi fidelibus sacramentum sanguinis domini nostri Jesu Christi pie creditur esse reconditum", und der Papst giebt den Ablaßbrief "ad deuotam ac bumilem petitionem nobilis et incliti viri Hinrici comitis Swerinensis, dilecti filii nostri ac sacrosancte Romane ecclesie strenui defensoris." Will man den ersten Passus nicht wörtlich vom Sacrament des heil. Abendmahls verstehen, das ja dieser Kirche nicht allein oder vor andern eigenthümlich war, sondern trotz des dann sehr auffälligen Ausdruckes auf eine Reliquie des heil. Blutes deuten, so haben wir schon oben (S. 26, Anm.) hervorgehoben, daß sich in den Schwerinschen Geschichtsquellen keine Spur von einer andern derartigen Reliquie findet, als von der, welche Graf Heinrich mitbrachte, auch dort nicht, wo man solche er warten mußte. Will man jene Worte aber auf die Reliquie Heinrichs beziehen mit der Aushülfe, daß "vielleicht der Papst dem Grafen den Ablaßbrief schon im Voraus zugleich mit der Anweisung auf das im gelobten Lande zu erwartende Geschenk des Heiligen Blutes gab" (Lisch, Jahrb. XIII, S. 151, 152), so steht dem der Ausdruck "esse reconditum" entgegen, von allen andern Bedenken wider solche Eventualverleihung abgesehen. Da nun bei unbefangener Betrachtung sowohl in jenen Worten als auch in dem Epitheton des Grafen "sacrosancte Romane ecclesie strenui defensoris" eine Hindeutung auf des Grafen Kreuzfahrt nach Aegypten zu liegen scheit, so glaubte ich früher, es mochte in den Copien des Ablaßbriefes (ein Original ist nicht bekannt) vielleicht die Jahreszahl - etwa "pontif nostri a IV." statt a VI." oder "VII."- verschrieben sein. Jetzt aber ersehe ich aus Potthast, Reg pontif Rom. I p 548 seq. 1) daß Papst Honorius III. vom 3. Juni 1220 bis zum 1. October (und namentlich auch am 27. Juni und am 1. Juli) nicht zu Rom, sondern zu Orvieto verweilte, und 2) daß er von fernen zahlreichen späteren Urkunden, die er zu Rom gegeben hat, keine einzige "apud sanctam Mariam maiorem" (sondern nur vom Lateran) datirt hat. Ich halte daher jenen Ablaßbrief vom J.1220, obwohl Papst Sixtus IV. in einem andern Ablaßbriefe vom 16 Juni 1479 (gedruckt im Ordm. eccl. Suerm. fol. † 4) unter andern eines Ablasses des Papstes Honorius gedenkt, für unecht, stimme also Potthast bei, der, vermuthlich durch die falsche Datirung allein bestimmt, zu dem Ablaßbriefe des Honorius anmerkt: "bulla spuria, nec in Honorio III. , nec in Honorio IV. quadrat."
1) Ueber die H. Bluts=Capelle zu Schwerin und die Verehrung des H. Blutes daselbst vgl. die ausführliche Abhandlung von Lisch, Jahrb. XIII, S. 143 - 187.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 38 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

leistungen dürfen wir sicher den Schluß ziehen, daß der Graf sich nicht den Wünschen des Cardinals entgegengestellt und sich nicht von dem Zuge ferngehalten, sondern sich ihm durch Folgsamkeit werth gemacht hat, wie denn auch der Kühnheit des Grafen die thatkräftige und unternehmende, aber leider auch unbesonnene Weise des Cardinals mehr zugesagt haben wird als die bedächtige, aber den rechten Zeitpunct verpassende Art seiner Gegner unter den Kreuzfahrern.

Uebrigens fand der Graf Heinrich sein Land bei seiner Heimkehr in einer recht traurigen Lage wieder. Sein Bruder Gunzel II. war schon zu Ende des Jahres 1220 gestorben, dessen Landestheil vom Grafen Albrecht von Orlamünde, dem Gewalthaber des Königs Waldemar H. von Dänemark in dessen deutschen Gebieten, für dieses Königs und Gunzels oben erwähnten Enkel, den jungen Grafen Nicolaus von Halland, in Besitz genommen. Es liegt nicht mehr in unserer Aufgabe, zu erzählen, durch welch verzweifeltes Mittel Graf Heinrich sich hernach des Königs bemächtigte, und wie die dänische Herrschaft in Norddeutschland gebrochen ward.


Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 39 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

III.
Die Pilgerfahrt
des Fürsten Heinrich I. von Meklenburg.

"Infelix peregrinato et omni
pro Christo morte grauior."
Alb. Krantz.

Man würde irre gehen, wenn man daraus, daß, so viel wir wissen, allein Graf Heinrich I. von Schwerin an dem von den Päpsten Innocenz III. und Honorius III. ausgeschriebenen Kreuzzuge Theil nahm, den Schluß ziehen wollte, daß der Eifer für die Bekämpfung der Feinde des Kreuzes Christi, ein Gedanke, welcher Jahrhunderte lang die abendländische Welt begeisterte, nicht auch in Meklenburg Streiter für die Kirche erweckt hätte. Nur gab der Papst Innocenz III. diesen ein anderes Ziel, indem er durch seine Bulle vom 5. Qctober 1199 die Christen in Westfalen, Sachsen, Nordalbingien und im Wendenlande aufforderte, die jüngst von dem Segeberger Canonicus Meinhard durch seine Predigt und die Stiftung des Bisthums Uexküll gegründete (von dessen Nachfolger schon durch den Tod besiegelte) Kirche in Livland gegen die dortigen Heiden zu schützen, und denen, die das Gelübde einer Wallfahrt nach den heiligen Stätten gethan hatten, gestattete, dafür nach Livland zur Vertheidigung der dortigen Kirche zu ziehen, auch diese Streiter in seinen apostolischen Schutz nahm 1 ). Es ist sicher eine beachtenswerthe Erscheinung, daß in Meklenburg schon, als hier die christliche Kirche kaum eine feste Gestalt und den nöthigen Ausbau gewonnen hatte, auch sofort der Eifer für die Ausbreitung des Christenthums und den Schutz der in Livland und Preußen entstehenden Bisthümer erwachte. Vornehmlich der Bischof Philipp von Ratzeburg († 1215)


1) Meklenb. Urk.=Buch I, Nr. 164.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 40 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

erwarb sich in dieser Beziehung um Livland die größten Verdienste, Jahre lang war er dem Rigischen Bischof Albrecht ein treuer Helfer und Stellvertreter 1 ). Aber auch Bischof Brunward von Schwerin nahm selbst 1219 2 ) an einem Kreuzzuge nach Preußen Theil. Wie Graf Albert (von Orlamünde) von Holstein und Ratzeburg 3 ) 1217, so machte auch Fürst Burwin I. von Meklenburg, wiewohl schon ein Sechziger, 1218-1219 eine Kreuzfahrt nach Livland 4 ). Schon früh unterstützte man die Ritterschaften des Schwertordens und des preußischen Ordens von Dobrin durch Schenkungen meklenburgischer Güter, Söhne des meklenburgischen Adels traten unter die Ordensbrüder; und andere Ritter, welche wir bald zahlreich in Meklenburg antreffen, werden sich eben im Streite gegen die Heiden an der Ostsee ihre Sporen verdient haben. Denn jene Kämpfe wurden auch von der folgenden Generation aufgenommen. Ein Graf von Danneberg ist in Livland gefallen; Graf Gunzel III. von Schwerin hat nicht nur Güter an das Kloster Dünamunde verliehen, sondern erschien selbst in Riga und ward 1267 sogar zum Schirmherrn und Verweser des Erzbisthums ernannt 5 ); und sein Schwager, der Fürst Johann I. von Meklenburg, beschenkte nicht nur die Ordensritter und gab den Rigischen zu Wismar und sonst in seinen Landen gleiche Freiheiten mit den Lübekern 6 ), sondern, wenn man einer späteren Sage bei Kirchberg 7 ) Glauben schenken darf, hat er auch selbst eine Kreuzfahrt nach Livland unternommen.

Keiner unserer Fürsten ging aber lebhafter auf diese Richtung ein, als Johanns I. Sohn und Nachfolger, Fürst Heinrich I. von Meklenburg. Schon mit seinem Vater - und vielleicht mit seinem jung verstorbenen Bruder "Poppo dem Kreuzfahrer" - war er, wie Kirchberg meldet, nach Livland gezogen; und als er hernach zur Regierung gekommen war, unternahm er (vielleicht gleichzeitig mit seinem Oheim, dem Grafen Gunzel III. von Schwerin), begleitet von seiner Gemahlin Anastasia, jene Kreuzfahrt nach


1) Henrici chron. Lyvoniae XV, 2, 12, XVI, 3 cet.
2) Mekl. Urk=Buch I, Nr. 256.
3) Heinr. chron. Lyv. XXI: comes Albertus de Lowenborcb.
4) Heinr. chron. Lyvoniae XXII. - Vgl. hierüber und über die Besitzungen der Ordensritter und der Rigischen Kirche in Meklenburg: Lisch, Jahrb. XIV, S. 1 f.
5) Meklenb. Urk.=Buch II. Nr. 1136.
6) Meklenb. Urk.=Buch I, Nr. 580.
7) Cap. 132 [p. 775].
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 41 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Livland, während welcher ihm zu Riga sein ältester Sohn, Heinrich II., geboren ward, und von welcher er ein kleines Mädchen von heidnischen Eltern, das er im Kampfesgewühl sicherem Verderben entrissen hatte, heimbrachte, um es als seine Adoptivtochter dem Kloster Rehna zu übergeben 1 ).

Gipfelte der ritterliche Sinn jener Zeit in der Liebe zum Herrn und in dem Schutze und der Pflege seiner Kirche, so sehen wir diesen Fürsten Heinrich I. von solcher Gesinnung ganz durchdrungen. Er bewies sie durch reiche Schenkungen an die Kirchen und durch Förderung kirchlicher Wohlthätigkeitsanstalten 2 ), wobei er sich des Rathes und der Unterstützung


1) Diese Uebergabe erfolgte vor dem 8. Juli 1270, da an diesem Tage der Fürst dem Kloster Rehna dafür, zum Unterhalte für diese Adoptivtochter, 4 Hufen in Parber verlieh (Meklenb. Urk.=Buch II. Nr. 1193). Mithin ist der Fürst spätestens 1270 aus Livland heimgekehrt. Steht nun andererseits der Angabe, daß Heinrichs I. ältester Sohn Heinrich II. zu Riga geboren ward (Kirchberg, Cap. 131), kein anderes Zeugniß entgegen, so gewinnen wir hiermit eine genauere Zeitbestimmung für den Zug nach Livland. Denn am 14. April 1266 hatte Heinrich I. nach seiner eigenen Angabe (Mekl. Urk.=Buch II, Nr. 1078: heredum nostrorum, scilicet puerorum, siquos de[us] sua benignitate nobis elargiri dignabitur) noch keine Söhne. Ferner muß Heinrichs I. zweiter Sohn, Johann III., der nach Kirchberg (Cap. 131, p. 782) drei Jahre jünger war als der erste, spätestens 1271 geboren sein, da der Vater in diesem Jahre die Heimath auf lange Zeit verließ; mithin fällt Heinrichs II. Geburt spätestens ins Jahr 1268. Wahrscheinlich ist Johann III. aber, da er sich bereits 1288 vermählte, schon 1270 geboren, mithin Heinrich II. 1267 oder zu Anfang des Jahres 1268. Heinrich I. finden wir am 1. Januar und am 14. Juni 1267 (Meklenb. Urk.=Buch II, Nr. 1107, 1123) noch in Meklenburg thätig, dann aber erst wieder am 1. Mai 1269 (Meklenb. Urk.=Buch II, Nr. 1164). Graf Gunzel verweilte in seiner Grafschaft noch im August 1267 (daselbst Nr. 1128, 1129), zu Riga ohne Zweifel am 21. December 1267 (das. Nr. 1130) und noch am 5. April 1268 (das. Nr. 1145, Amn.). - Nachdem diese Note geschrieben war, kam mir die Anmerkung des Herrn Consistorialraths Böhlau zu seinem Excurs über "die Abwesenheit des Fürsten Heinrich I., des Pilgers, 1271-1298" im Meklenb. Landrecht II, S. 330 zu Gesichte. Daraus, daß "mit d. J. 1280 der geborne Vormund aus den von der Anastasia und deren Söhnen ausgestellten Urkunden verschwinde", und "seit d. J. 1286 Heinrich der Löwe als dominus Magnopolensis allein Urkunden ausstelle", zieht der Herr Verfasser den Schluß, "daß Heinrich II. 1280 zwölf und 1286 achtzehn Jahre alt" gewesen, mithin 1268 geboren sei. So erfreulich mir natürlich dies nahe Zusammentreffen mit meiner Ansicht ist, scheinen mir wenigstens jene beiden Prämissen doch noch nicht über alle Bedenken erhaben zu sein. Davon weiter unten.
2) Meklenb. Urk.=Buch II, Nr. 998, 1040, 1056, 1059, 1107, 1123, 1158, 1163, 1181, 1192, 1193, 1231
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 42 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

der beiden Bischöfe zu Schwerin und Ratzeburg, des Grafen Hermann von Schladen und Ulrich von Blüchers, erfreuete 1 ).

Nach allem diesem versteht man es wohl, wenn der Fürst Heinrich I., nicht zufrieden, gegen die Heiden an der Ostsee für die Ausbreitung der Kirche Christi gestritten zu haben, sich entschloß, sobald sich nur irgend eine Aussicht zur Befreiung des Heiligen Grabes aus den Händen der Ungläubigen eröffnete, zu Christi Ehre eine Kreuzfahrt nach dem Heiligen Lande zu unternehmen. Aus den Händen des Bischofs Ulrich von Ratzeburg empfing er das Kreuz 2 ).

Oder lag dem Fürsten der Gedanke für das Heilige Grab zu streiten fern? Wollte er nur als friedlicher Pilger dahin ziehen, um dort wie seine Vorfahren Herzog Heinrich der Löwe und Pribislav zu beten und durch die Anschauung der heiligen Orte, wo Jesus gelebt und gelitten, sich dessen Gedächtniß um so mehr zu vergegenwärtigen und seinen Glauben zu stärken, ein gottgefälliges, verdienstliches Werk zu thun?

Die letztere Ansicht ist schon von Kirchberg angedeutet 3 ) und neuerdings wieder geltend gemacht 4 ), man hat den Fürsten daher vor andern durch den Beinamen des "Pilgers" ausgezeichnet; früher dagegen, schon seit dem 15. Jahrhundert, faßte


1) S. z. B. Nr. 1059 (venerabilium patrum ac dominorum nostrorum Vlrici Raceburgensis et Hermanni Zwerinensis ecclesiarum episcoporum, quorum patrocinio hec eadem instituimus), Nr. 1158 etc .
2) Korner z. J. 1273 (Eccard II, p. 922): Henricus dominus de Mykelenburg terrae Obotritorum secundum chronicam Obotritorum crucem accipiens ab episcopo Razeburgensi mare transivit in subsidium Terrae Sanctae, sed in manus soldani Damascenorum incidens captus est ab eo et tentus XXVI annis. (Ders. p. 923, z. J. 1274: Dominus de Mykelenburg captus erat a soldano Sarracenorum.)
3) C. 134 [Westph. 132] "her Hinrich, der nam an sich zu synne hard zu Jherusalem eyne vard; her wolde suchin daz heilge grab um synre sunden urhab."
4) Boll in Jahrb. XIV, S. 97, A. 1: "Völlig grundlos ist es, wenn frühere meklenburgische Geschichtschreiber Heinrich eine Art Kreuzzug gegen die Ungläubigen thun lassen; der gleichzeitige Albrecht von Bardewik bezeichnet seine Reise durchaus richtig als eine Pelegrimaze zu Heil. Grabe." A. a. O. steht allerdings, der Fürst sei gefangen "over mere an pelegrimaze uppe deme weghe tho deme heylyghen grave"; aber aus dem Worte pelegrimaze = peregrinatio ist keine Entscheidung zu gewinnen. Denn die Kreuzfahrer heißen sehr gewöhnlich peregrim (Pilger), z. B. bei Oliver oben S. 31, Anm. 2; und Fürst Heinrich selbst nennt seine Kreuzfahrt nach Livland eine peregrinatio, Meklenb. Urk.=Buch II, Nr. 1193.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 43 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

man Heinrichs Fahrt vornehmlich als einen Auszug "zur Unterstützung des Heiligen Landes", als eine Kreuzfahrt, auf.

Versuchen wir nun, uns aus den Quellen ein richtiges Bild von Heinrichs Unternehmen zu entwerfen, so müssen wir vorweg gestehen, daß dieselben leider sehr lückenhaft und sehr mangelhaft sind, und wir, um sicher zu gehen, nicht umhin können, auch die Lage des Heiligen Landes und die Zeitverhältnisse, unter denen der Fürst seinen Entschluß faßte, uns zu vergegenwärtigen.

Wir besitzen freilich in der "Chronik des (Lübischen) Canzlers Albrecht von Bardewik vom Jahre 1298 bis 1301" 1 ) einen zeitgenössischen Bericht über die Rückkehr Heinrichs des Pilgers, geschrieben von einem Lübeker und beruhend auf den Mittheilungen, welche der wenig Jahre früher heimgekehrte Fürst und vielleicht sein Diener Martin Bleyer, wahrscheinlich bei dem Besuche in Lübek selbst, gegeben hatten. Aber so wichtig uns diese Nachrichten sind, so sehr haben wir zu bedauern, daß sie sich vornehmlich nur auf die Heimkehr beschränken, über die früheren Ereignisse aber nur wenige, wenngleich sehr werthvolle, Andeutungen enthalten.

An diesen Bericht reihen sich zunächst die Lübeker Jahrbücher, welche mit 1324 schließen, und die Chronik, welche der Franciscaner=Lesemeister Detmar zu Lübek in den Jahren 1385-1395 schrieb. Denn die Berichte, welche beide 2 ), in verschiedener Ausführlichkeit, von der Heimfahrt im J. 1298 enthalten, sind ersichtlich aus einer Quelle geflossen. Sie gehen ohne Zweifel zurück auf die leider ver=


1) Wir behalten der Kürze Wegen diesen von Grautoff, Chronik Detmars I, S. 411, eingeführten Titel bei, obwohl Albrecht selbst das Urkundencopeibuch, in welches Zeitereignisse eingetragen sind, nur hat schreiben lassen (leyt scryven), nicht selbst geschrieben hat. Koppmann hat (Hans. Geschichtsblätter I, S. 74) die ansprechende Vermuthung aufgestellt, jene chronistischen Aufzeichnungen verdankten wir dem Lübischen Rathscaplan Lüder, der 1300 mit Lübischen Rathsherren nach Livland ging (Grautoff I, S. 149), und weiset aus mancherlei Reimspuren in der Erzählung von der Belagerung der Burg Glaisin überzeugend nach, daß dem Verfasser eine gereimte Erzählung (oder ein Volkslied) vorlag. Aus dieser mag immerhin auch die kurze darin eingeschaltete Angabe auf S. 416: "Hyrunder quam van Rome tho lande de edele man her Hinric" etc. entnommen sein (wenn der einzige Reim in derselben nicht ein zufälliger ist); für den Hauptbericht auf S. 414 dünkt dies mich aber nicht wahrscheinlich.
2) Annal. Lubic. bei Pertz, Scriptores XVI. p. 417, Detmar bei Grautoff I, 172, 173.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 44 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

loren gegangene Lübische Stadtchronik; und namentlich Detmars genaue Angaben über die Begegnung des Fürsten zu Rom mit einem Lübischen Agenten und über den Empfang des Fürsten zu Lübek beweisen, daß die Quelle Detmars alsbald nach diesen Ereignissen, etwa zu Anfang des 14. Jahrhunderts, geschrieben ward.

Aber Detmar beschränkte sich bekanntlich nicht auf Lübische Quellen 1 ). Unter den andern, die er benutzt hat, war auch eine (wenn nicht mehrere) wendische Chronik. Aus dieser entnahm er vermuthlich die Nachricht, welche er zum Schlusse seiner Angaben über das Jahr 1271 bringt:

In deme sulven iare Cristi do untfing dat cruce de erlike her Hinric van Mekelenborch to thende over mer. He loch over unde wart ghevanghen; he wart gheantwordet deme soldan, de hell eme in der vengnisse XXVI iar.

Auf solche "Chronica Obotritorum" beruft sich geradezu Hermann Korner, der bis etwa 1438 geschrieben hat, und zwar zweimal, einmal, wo er des Fürsten Auszug 2 ), und hernach, wo er desselben Heimkehr berührt 3 ). Und wirklich hat er nicht Alles, was er giebt, aus Detmar's Chronik entnommen, namentlich nicht die Nachricht, daß der Fürst das Kreuz vom Bischof von Ratzeburg empfangen habe. Im


1) Vgl. Koppmann in den Hans. Geschichtsbl. I, S. 79 f.
2) Oben S. 42, A. 2.
3) Eccard II, 950: "Secundo anno Alberti, qui est Dn. MCCCI, dominus Henricus de Mykelenburg, quem soldanus Babyloniae XXVIII annis, a tempere videlicet, quo Lodowicus rex Francorum secundario pro liberatione Terrae Sanctae cum exercitu multo mare transfretaverat, (!) et qui diu in terra sua mortuus dictus fuerat, secundum chronicam Obotritorum, cum unico famulo suo Hermanno captivitatem evasit. Servus autem ille Hermannus in captivitate texendi modum et faciendi pannos sericos et deauratos didicerat et cum tali labore et mercede dominum suum nutrierat. De loco ergo captivitatis proficiscentes pervenerunt Romam, ubi dominus Henricus a papa Bonifacio honorifice susceptus est et peccatorum suorum plenariam remissionem consecutus. Ibi quoque dominus Henricus invenit Alexandrum Hunen, protonotarium civitatis Lubicensis, qui in causa dictae civitatis, qua[m] cum episcopo suo et ejus capitulo habebat, curiam visitaverat. Hic in expensis suis dictum dominum Henricum usque Lubeke deduxit, ubi processionaliter clerus et populus ei obviam venientes, cum honore magno ipsum receperunt. At, [i]bi ut refocillatus esset per aliquot dies et recreatus, solenni conductu armatorum ipsum in terram suam perduxerunt, mirantibus cunctis et dicentibus: Qui perierat, inventus est; qui mortuus putabatur, revixit." Das Korner Eigenthümliche ist gesperrt gedruckt.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 45 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Uebrigen aber ist bekannt genug, wie wenig zuverlässig Corner in der Angabe seiner Quelle für jeden einzelnen Fall ist. Das Meiste, was er hier nach der wendischen Chronik giebt, ist ersichtlich aus Detmar's Chronik oder aus dessen Lübischer Quelle entnommen. Dazu kommen Flüchtigkeiten, wenn solche nicht zum Theil auf Rechnung des Abschreibers zu setzen sind; z. B. setzt er die Ausfahrt auf das Jahr 1273, die Heimkehr ins Jahr 1301, dort berechnet er die Dauer der Gefangenschaft auf 26, hier auf 28 Jahre, den Diener des Fürsten nennt er unrichtig Hermann statt Martin, die Verpflegung des Fürsten von Rom bis Lübek soll der Lübische Rathsschreiber getragen haben u. s. w.

Was man übrigens von Korner's "wendischer Chronik" und von seiner Benutzung derselben halten mag, gewiß ist, daß man früh, anscheinend zu Wismar, und zwar in dem Franciscaner=Kloster, welches zum Fürstenhause in nahen Beziehungen stand, Aufzeichnungen über die Pilgerfahrt Heinrichs gemacht hat. Namentlich schreiben wir denselben die drei Hauptdata zu, die, in abgeleiteten Quellen erhalten, durchaus unverdächtig sind. Doch davon hernach mehr.

Eine eigenthümliche Stelle nimmt endlich Ernst von Kirchberg ein, der einzige Schriftsteller des Mittelalters, der es versucht hat, eine einigermaßen zusammenhangende Erzählung von des Fürsten Fahrt nach dem Orient zu geben. Er hat anscheinend keine chronistische Aufzeichnungen benutzt; eben darum entbehrt aber sein Bericht auch der Nüchternheit, welche noch den seines Zeitgenossen Detmar auszeichnet. Gelegentlich beruft sich Kirchberg geradezu auf die umlaufende Sage 1 ); seine meisten Nachrichten aber kann man unbedenklich zurückführen auf jenen Berthold von Weimar, der, bis dahin Chorschüler zu Magdeburg, sich ebendaselbst 1298 dem auf der Heimkehr begriffenen Fürsten anschloß und hernach, wie Kirchberg 2 ) meldet, noch 40 Jahre im Kloster Doberan gelebt hat, also gegen das Jahr 1340 verstorben sein muß. Daß er an Kirchberg noch persönlich Mittheilungen gemacht hätte, deutet Letzterer nirgends an; dieser Schriftsteller, der erst 1378 seine Reimchronik zu schreiben anfing, war auch schwerlich schon 40 Jahre früher zu Doberan. Er hat also seine Nachrichten im besten Falle erst aus zweiter Hand, jedenfalls durch mündliche Ueberlieferung, erfahren. Ueberdies darf man auch zweifeln, ob Berthold von Weimar, der


1) Cap. 134 (Westph. p. 775). ich han horin sprechin.
2) Cap. 135 (Westph. p. 778).
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 46 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

nicht Augenzeuge der Erlebnisse im Orient gewesen war, die Erzählungen, welche er aus dem Munde des Fürsten selbst oder von dem fürstlichen Diener Martin Bleyer vernahm, bei dem Mangel an eigener Anschauung (und vielleicht auch an den erforderlichen geographischen Vorkenntnissen) allemal richtig verstanden, und ob er sie bis ins Alter treu behalten hat. Einer Prüfung des Kirchberg'schen Berichtes aber werden wir uns um so weniger entschlagen dürfen, da derselbe nicht nur die Kreuzfahrt Heinrichs, sondern zugleich die Genealogie des meklenburgischen Fürstenhauses betrifft. Uebrigens, wiewohl Kirchberg verhältnißmäßig ausführlich erzählt, bleibt doch auch dabei noch mancher Punct dunkel. Liest man die erwähnten Berichte aus dem Mittelalter allein, so begreift man kaum des Fürsten Thun und Schicksale, ja seine ganze Fahrt erscheint fast abenteuerlich. Und bezeichnend genug hebt in der Chronik Albrechts der Abschnitt über jene an mit den Worten: "By desen tyden scude och vele wonders in der werlde."

Versuchen wir also unsere einheimischen Aufzeichnungen durch einen Blick auf die Lage des Heiligen Landes zu der Zeit, da der meklenburgische Fürst den Orient aufsuchte, zu ergänzen und zu erläutern.

Im Allgemeinen war man in unsern Gegenden unterrichtet von den Bedrängnissen, in welchen die Christen Palästinas schwebten, seitdem Jerusalem, auf kurze Zeit durch Kaiser Friedrich II. noch einmal der Christenheit wiedergewonnen, durch die grausamen Chowaresmier für den Sultan Ejub von Aegypten wieder besetzt war, der erste Kreuzzug König Ludwigs IX. von Frankreich nach Aegypten einen unglücklichen Verlauf genommen hatte, und die Christen mehr und mehr auf die Seeküste und einzelne feste Plätze im Innern beschränkt waren. Denn, wie wir aus Testamenten 1 ) ersehen, wanderten einzelne Pilger auch aus unsern Gegenden immer noch nach dem Heiligen Lande, und dieser oder jener wird doch auch zurückgekehrt sein. Ueberdies sandten ja die Päpste ihre Boten in alle Lande aus, um unter Darlegung des obwaltenden Nothstandes zu Gaben für das Heilige Land und zu Kreuzfahrten dahin auffordern zu lassen. Endlich standen die Johanniter=Comthureien in


1) "Heinricus domine Windelen ad Terram Sanctam proficiscens" machte sein Testament zu Rostock 1261, "Bolwinus de Cropelin ad Sanctam Terram proficiscens" ebendaselbst 1267. (Meklenb. Urk.=Buch IV, Nr. 2680, II, Nr. 1103.)
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 47 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

beständigem Verkehr mit den Leitern des Ordens und dadurch mit dem Haupthause desselben zu Akkon.

Nach einigen Jahren äußerer Ruhe, welche die morgenländischen Christen durch innere Streitigkeiten ausfüllten, begann für sie mit dem Jahre 1260 eine gar schwere Zeit. Die Ritterschaft des Königreichs Jerusalem erlitt eine furchtbare Niederlage von den von Norden her eindringenden Turkmannen 1 ), welche sehr schwer empfunden ward. Aber noch verhängnißvoller sollte es für sie werden, daß die Mongolen, aufgemuntert vom Könige von Armenien, über Bagdad, wo sie das Chalifat zerstörten, 1260 nach Syrien vordrangen, Haleb, Damaskus und viele andere Plätze einnahmen. Die Christen begrüßten dieses Ereigniß freilich Anfangs als ein höchst erfreuliches; denn gegen sie bezeigten sich diese grausamen Feinde der Muhammedaner, Dank der christlichen Gemahlin des Khans Hulaku, milde und freundlich. Schon verhöhnten jene leichtfertig hie und da die Saracenen. Aber bald entfremdeten sie sich auch die Mongolen und begünstigten den Zug des ägyptischen Sultans Kotuz, als dieser nach Syrien kam, um die Mongolenmacht zu vernichten. Dies gelang Kotuz noch in demselben Jahre durch zwei Siege; aber indem er nun das Sultanat Damaskus mit Aegypten vereinigte, umschloß eine muhammedanische Herrschaft fast ganz die christlichen Gebiete in Palästina; und was das bedeutete, sollten die Christen nur zu bald erfahren. Eben weil Kotuz diesen freundlich gesinnt war, aber auch, weil er den Ehrgeiz seines Mamlukenführers Bibars nicht befriedigte, ward er (wie bereits ein anderer Sultan vor ihm) von Bibars schon auf dem Rückmarsch nach Aegypten ermordet. Der Mörder ward jetzt Sultan; die Muhammedaner priesen ihn, den bewährten Krieger, als den "Vater der Eroberungen", sie rühmten seine Gerechtigkeit und seine unermüdliche Thätigkeit, sie sahen in ihm wegen seiner strengen Beobachtung ihrer Lehren und Gebräuche eine Säule des Islams; die Christen aber sollten bald seine Rohheit, seine Grausamkeit und seinen Fanatismus kennen lernen.

Bibars haßte und verachtete die syrischen Christen; er hat von ihnen gesagt, es hinge nicht von ihm ab, den Untergang der Franken zu hindern, weil sie selbst an ihrem Verderben arbeiteten, und der Kleinste unter ihnen zu zer=


1) Wir folgen hier der quellenmäßigen, ausführlichen Darstellung bei Wilken VII, S. 401 f.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 48 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

stören pflege, was der Größte zu Stande gebracht habe 1 ). In der That fehlte es ihnen an aller Eintracht und an Verständniß ihrer Lage. Genueser und Venetianer führten auch dort ihre Fehden 2 ), Johanniter und Templer lebten nicht selten in Spannung, König Hugo von Cypern, der den auch noch bestrittenen Titel eines Königs von Jerusalem annahm, und der Titularpatriarch von Jerusalem fanden gar wenig Gehorsam. Ward ein Orden oder ein christlicher Fürst von dem Sultan angegriffen, so sahen die andern Christen wohl müssig zu, und Jeder schloß oder brach die Verträge auf eigene Hand. Es fehlte dem Feinde daher nie an einem Vorwande, sich auch seinerseits über die Verträge hinwegzusetzen, wenn es ihm so vortheithaft erschien; und einzelne Christen reizten ihn obenein noch dadurch, daß sie Einverständnisse mit den Mongolen unterhielten.

Sie erlitten unter solchen Verhältnissen die schwersten Verluste. Wegen Verbindungen des Fürsten Boemund mit den Mongolen ließ Bibars 1262 das Gebiet von Antiochia verwüsten. Er verbrannte wegen Verletzung des Waffenstillstandes durch die Ritterschaft zu Ptolomais 1263 die Marienkirche zu Nazareth und die Verklärungskirche auf dem Tabor, er verheerte das Land bis Tripolis und Akkon, ja er bedrohete Akkon selbst 3 ). Dann kam es zu einem Waffenstillstand; aber wieder verletzten Christen diesen, und wieder suchten andere Hülfe bei den Mongolen. Da kehrte der Sultan mit Heeresmacht nach Syrien zurück, zerstörte 1265 Cäsarea und ließ Arsuf von den eigenen Einwohnern der Stadt vernichten. 1266 gewann er die Templerfeste Safed (unweit Bethsaida) und ließ die tapfere Besatzung ermorden. 1268 nahm er auch Joppe ein und zerstörte unter unerhörten Grausamkeiten die Stadt Antiochia, so daß auch Boemund, damals in Tripolis, einen Waffenstillstand


1) Ebn Feratn bei Wilken VII, 528.
2) Wilken VII, 395 f., 464, 471. Joh. Iperii chron. S. Bertini, p. 733 seq. Menconis abb. in Werum chron. [bei Matthaeus, Vet. aevi anal., Pertz, Scr. XXIII, p. 555]: "Vel forte transmarini non fuerunt digni talem recipere coadjutorem et derensorem (Ludwig IX.) propter suas civiles discordias, quia non solum Januenses, qui de Janua civitate venientes Akon civitatem inhabitabant, et Pisam de Pisa civitate invicem discordaverunt, sed etiam illi, qui dicuntur milites dei, videlicet de hospitali sancti Johannis et de domo Teutonica necnon et Templarii, debitam caritatem secundum exigentiam religionis et nomen, qnod dicuntur milites dei, non observant, sed invicem sibi inimicantur.
3) Wilken VII, 456-465.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 49 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

eingehen mußte 1 ). Akkon und Tyrus 2 ) standen nunmehr als die letzten namhaften Seeplätze der christlichen Bevölkerung in Syrien da, und namentlich auf Akkon setzte sie alle ihre Hoffnung.

Auch dieses einzunehmen und die Christen vollends aus Palästina zu vertreiben, war der sehnlichste Wunsch des Sultans Bibars. In Jerusalem flehete er um Muhammeds Segen für seine Waffen; und er erregte nicht nur den Fanatismus seiner Emirs durch die reichlichste Befriedigung ihrer Beutegier, sondern auch den Fanatismus aller Moslim. Willig zahlten sie die "Gottessteuer", die der Sultan ihnen auferlegte, als er 1267 einen neuen Einbruch der Mongolen befürchtete, und schon 1265 hatte sich in Damaskus eine Gesellschaft zum Loskauf muhammedanischer Gefangenen von den Christen gebildet 3 ).

Papst Urban IV., der früher selbst Patriarch von Jerusalem gewesen war, und sein Nachfolger Clemens IV. ließen es nun freilich an Sorge für das Heilige Land nicht fehlen; sie trieben nicht nur Steuern zu dessen Hülfe ein, sondern sie suchten demselben auch Streiter zu erwecken. Aber Europa war gegen solche Mahnungen gleichgültiger geworden; zumal die Deutschen, die von je her im Eifer für die Kreuzzüge es den Romanen nicht gleich gethan hatten, schenkten ihnen wenig Gehör. Des Papstes Clemens Parteinahme für Karl von Anjou, den er nach Neapel gegen die Hohenstaufen gerufen hatte, mußte ihm die Herzen der Deutschen entfremden. Ueberdies war das Reich seit dem Tode König Konrads IV. in Auflösung begriffen; jeder Fürst handelte nach seinem persönlichen Interesse. Der Markgraf Otto von Brandenburg, der im Kampfe gegen die Preußen seinen religiösen Eifer bewiesen hatte, erregte im Papste Clemens die schönsten Hoffnungen; da aber dieser jenem eine zur Kreuzfahrt nach Palästina erbetene Unterstützung abschlug, kam es in Deutschland auch nicht einmal zu einer Rüstung. Wenn also kleinere deutsche Fürsten und Herren wegen eines Gelübdes oder aus dem Drange ihres Herzens den geängstigten syrischen Christen ihren Arm leihen wollten, so blieb es ihnen überlassen, auf eigene Hand, allein oder etwa mit einigen willigen Mannen und Genossen, über das Meer zu ziehen, wie es von Zeit zu Zeit französische Herren und deutsche Pilger thaten, oder


1) Wilken VII, 472-525.
2) Wilhelm von Nangis das. S. 587.
3) Wilken VII, 514-515.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 50 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

aber, wie englische Prinzen, Italiener und Niederländer zu thun gedachten, sich dem großen Kreuzheere anzuschließen, mit dessen Bildung die Könige von Frankreich, Navarra, Aragonien und Neapel schon, als Clemens 1268 starb, eifrig beschäftigt waren. Und wenn auch der päpstliche Stuhl in den nächsten Jahren unbesetzt blieb, so war doch Ludwig der Heilige nicht der Mann, den einmal Gott gelobten Kreuzzug darum aufzugeben; seine Begeisterung und seine und seiner Verbündeten Macht verhießen in der That den Christen einen endlichen großen Erfolg und flößten den Muhammedanern die größten Besorgnisse ein.

Ob nun aber wirklich der Fürst Heinrich von Meklenburg die Absicht gehegt hat, sich dem großen Kreuzzuge der verbündeten Könige von Frankreich, Navarra und Neapel anzuschließen, vermögen wir mit urkundlicher Sicherheit nicht zu bestimmen. Schon Korner hat, wie oben S. 44 erwähnt ist, des Fürsten Pilgerfahrt mit jenem großen Kreuzzuge in Verbindung gebracht; und wenn Heinrich einigermaßen von der Lage des Orients, von dem Kriegszustande, der noch zwischen den Ueberbleibseln des Königreichs Jerusalem und dessen Vasallen und dem Sultan von Aegypten obwaltete, unterrichtet war: so durfte er in der That gar nicht hoffen, Jerusalem als friedlicher Pilger zu erreichen. Wir wissen auch, daß er wenigstens seine Rittergürtel nicht daheim gelassen hat; im härenen Pilgergewande ist er also wohl nicht ausgezogen.

Es spricht auch nicht gegen Korners Auffassung, daß Heinrich erst im Sommer 1271 aufbrach, während die Könige schon im Jahre 1270 ausgezogen waren. Denn nach früheren Erfahrungen waren die Kreuzzüge in einem Jahre nicht zu vollenden; am wenigsten aber durfte man solches von diesem neuen erwarten. Denn, abgesehen von der Macht und der Thatkraft des Aegypters, ließ sich der König Ludwig von Frankreich durch seinen Bruder Karl von Neapel bereden, vorerst 1270 nach Tunis zu ziehen; erst wenn dieses bezwungen sei, wollte man den Orient erobern. Wie bekannt genug ist, starb aber Ludwig IX. vor Tunis am 25. August; zu Ende Octobers schlossen dann die Könige von Navarra und Neapel mit dem Herrscher von Tunis ihren Frieden, im November zog das Kreuzheer aus Afrika ab, zum größten Theil nach Sicilien. Während nun aber die Christenheit von hier den Aufbruch nach dem Morgenlande erwartete, faßten zu Trapani am 25. November die Könige Karl von Neapel und Philipp von Frankreich mit ihren Baronen den

Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 51 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Beschluß, den Kreuzzug nach Palästina auf volle 3 Jahre zu verschieben. Das große Heer zerstreuete sich hierauf. Nur 500 Friesen fuhren schon von Tunis aus im Herbste 1270 nach Akkon, und im nächsten Frühling ging von Sicilien aus der englische Kronprinz Eduard mit seinem tapferen Häuflein eben dorthin. Wie dieser, konnte immerhin auch der Fürst von Meklenburg, - sei es, daß er jenen beschlossenen Aufschub während der Winterzeit, wo Schnee und Kälte den Verkehr zwischen Italien und Deutschland über die Alpen hemmte, gar nicht mehr rechtzeitig und genau und vollständig erfuhr, um danach seinen Entschluß zu ändern, oder daß er in demselben eine Vereitelung des ganzen Unternehmens erkannte, aber die Ausführung seines einmal geleisteten Gelübdes darum nicht verschieben wollte, - mit einem kleinen Gefolge eine Fahrt nach dem Heiligen Lande auf sich nehmen, um an seinem Theile den bedrängten Christen daselbst die gelobte Hülfe zu bringen.

Denn wenn auch der Sultan Bibars sich, so lange ihn das große Kreuzheer bedrohete, ruhig verhalten hatte: so stand doch jetzt, nachdem jene Gefahr mindestens auf einige Jahre hinaus beseitigt war, zu vermuten, daß er wieder irgend einen Vorwand benutzen würde, um sein Vorhaben gegen Akkon auszuführen. Und war auch dieses gefallen und die christliche Ansiedelung in Syrien erst einmal ganz vernichtet, so durfte er eine abermalige Gründung eines christlichen Reiches in Palästina bei der ersichtlichen Abnahme der Begeisterung für die Kreuzzüge kaum noch fürchten. Es galt also, Akkon mit allen Kräften und in kürzester Frist beizuspringen, wollte man nicht das Heilige Land ganz in die Hände des Sultans gerathen lassen.

Recht kurz berichtet, wie wir oben gesehen haben, Detmar zum Jahre 1271, daß Herr Heinrich von Meklenburg das Kreuz empfing, um über das Meer zu ziehen. Viel ausführlichere Kunde giebt uns der gelehrte und fleißige M. Dietrich Schröder 1 ) zum Jahre 1271 aus einer seitdem verloren gegangenen handschriftlichen Chronik von Wismar. Nach dieser ist Heinrich am " 13. Julii" 1271 "mit vielen seiner Ritter und Edelleute, das Heilige Land und die darinnen bedrengte Christen wider die Saracenen verfechten zu helffen, ausgezogen,


1) Papist Meckl. S 729. Er nennt als seine Quelle: "Anton, Chron. Wism. Msct. ad a. c.", obgleich er dabei auch den Latomus (Westphalen, Mon. IV, p. 258) citirt.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 52 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

nachdem er am gemeldetem Tage von Martino, des Wismarischen Franciscaner=Closters damahligem Guardiano, auf de[m] Franciscaner=Kirchhof mit dem H. Creutz bezeichnet und eingeseegnet, und daraus zu einem Feld=Obersten verordnet und bestätiget worden."

Fast mit denselben Worten hatte früher schon Steinmetz (Latomus) dieselbe Nachricht aus einer "Histor. Johannit." gebracht 1 ), nur daß er 1 ), durch Albert Krantz verleitet, irrig hinzufügt, Fürst Heinrich sei ausgezogen "auff Babst Gregorii 10., der damals die gantze Weld beherrschet, ausschreiben" - während Gregors Wahl doch erst am 1. Sept. 1271 geschah, als Heinrich Akkon schon ganz oder fast ganz erreicht hatte, und der Fürst dort den neu erwählten Papst vor dessen Abfahrt nach Italien noch antraf - und daß er als den Tag des Auszuges nicht den 13. Juli, sondern den 13. Juni angiebt. Der Schluß der Erzählung Schröders verräth nun freilich sogleich die sagenhafte Erweiterung einer späteren Zeit; aber wir dürfen darum doch kaum bezweifeln, daß der Kern derselben echt ist und der Hauptinhalt auf eine sehr alte, den Ereignissen beinahe gleichzeitige Aufzeichnung zurückgeht. Dafür bürgt die Nennung eines bestimmten Namens und eines bestimmten Datums. Leider wird uns von dem Jahre 1255 an, wo Bruder Dietrich Guardian der Franciscaner zu Wismar war 2 ), Auch den angegebenen Daten, mag man nun den 13. Juli oder den 13. Juni für einen Schreib= oder Druckfehler halten, steht keine urkundliche Nachricht entgegen; vielmehr sind die letzten uns erhaltenen Urkunden des Fürsten Heinrich vor seiner Wallfahrt im Jahre 1271, am 9. und am 12. Juni, und zwar zu Wismar, ausgestellt 3 ). Wir


1) Westphalen IV p. 238
1) Westphalen IV p. 238
2) Meklenb. Urk.=Buch II, Nr. 744.
3) Das. Nr. 1230 und 1231. - Irrig schloß ich früher (Gesch. der Familie V. Blücher I, S. 93) daraus, daß der Erzbischof Konrad von Magdeburg in seiner Bündnißurkunde vom 1. Mai 1272 (Mekl. Urk.=Buch II, Nr. 1250) auch Heinrich von Meklenburg als seinen Verbündeten gegen Brandenburg nennt, der Fürst müsse seine Fahrt nach Jerusalem erst nach diesem Tage angetreten haben. Ohne (  ...  )
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 53 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

stehen aber nicht an, den 13. Juni (nicht den 13. Juli) für das richtig überlieferte Datum zu erklären. Denn einmal konnte der Fürst, welchen Weg nach dem mittelländischen Meere er auch wählte, kaum noch hoffen, wenn er erst am 13. Juli aus Wismar zog, noch rechtzeitig einen Hafen am Mittelmeer zu erreichen, um mit dem großen Sommerzuge, der spätestens im August nach Akkon abging, dorthin überzufahren; zum andern gewinnt die Urkunde vom 12. Juni, in welcher Heinrich dem Kloster Sonnenkamp (Neukloster) das Eigenthum von 4 Hufen zum Besten des Siechenhauses schenkte, erst ihre rechte Deutung, wenn wir annehmen, daß der Fürst diese Schenkung Angesichts seiner großen und gefahrvollen Fahrt machte.

Zweifelhafter ist aber jene Stelle des Berichts, wonach der Fürst von vielen seiner Ritter und Knappen begleitet gewesen sein soll. Allerdings ist die landläufige Vorstellung, als ob Heinrich allein mit einem Diener (denstknecht, knappe), dem Martin Bleyer, der früher 1 ) als Grundbesitzer zu Wismar im Stadtbuche erscheint, und ohne alles ritterbürtige Gefolge auf die Pilgerfahrt gegangen sei, nicht nur gegen die Sitte jener Zeit, sondern Detmar berichtet auch ausdrücklich, daß dem Fürsten "de sine dar (zu Kairo) alle dot blewen ane en knecht, Mertine"; und ebenso hat auch nach den Lübischen Jahrbüchern Heinrich dort bis auf Martin seine ganze Gefolgschaft oder Dienerschaft verloren (perdita tota sua familia). Immerhin begünstigt aber dieser Ausdruck familia die Ansicht, daß die Zahl der Getreuen, welche dem Fürsten sich anschlossen, eine unerhebliche gewesen ist 2 ). Leider können wir von diesen


(  ...  ) Zweifel findet aber dieser anscheinende Widerspruch gegen alle Ueberlieferungen der verschiedenen chronistischen Quellen eine genügende Lösung in der Annahme, daß Anastasia dem Bunde beigetreten ist im Namen und als Stellvertreterin ihres Gemahls, dessen Heimkehr man nach Ablauf eines Jahres (weil man so lange in der Regel auf der Kreuzfahrt diente) erwarten konnte, und daß dieser deshalb auch selbst genannt ist.
1) Meklenb. Urk.=Buch II, Nr. 889.
2) Der Ausdruck "familia" nöthigt zu dieser Ansicht nicht eben. Vgl. z. B. Meklenb. Urk.=Buch IX, Nr. 6226: "Hainricum de Reyschach, capitaneum nostrum" (des Markgrafen von Brandenburg), "cum nostra familia sibi commissa", die Lübek zu Hülfe kommen sollen. In des Kaisers gleichzeitigem Briefe an die Lübeker (Lüb. Urk.=Buch II, p. 686) ist dafür der Ausdruck gebraucht: "Wizzet ouch, daz wir Heinrichen von Rischach - mit gewappenden lůten zů i w_ring geschicket haben."
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 54 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

keinen einzigen außer Bleyer namhaft machen; nicht einmal die Sage hat uns einen Namen aufbewahrt.

Ueber die Vorbereitungen, welche der Fürst Heinrich traf, um die Angelegenheiten seines Hauses und seines Landes für die Dauer seiner Pilgerfahrt zu regeln, sind wir hinlänglich unterrichtet 1 ). Die Regierung übertrug er seiner weisen und erprobten Gemahlin; tüchtige Räthe und Vögte, wie Heino von Stralendorf, Detwig von Oertzen, Ulrich von Blücher u. s. w., standen ihr zur Seite. Für alle schlimmen Fälle aber bestimmte er, nicht seine Brüder, denen er nach früheren Erfahrungen 2 ) wenig Vertrauen schenken mochte, auch nicht den bereits hochbetagten Oheim Nicolaus von Werle, sondern dessen beide Söhne, die Fürsten Heinrich und Johann, zu Vormündern seiner Gemahlin und seiner 3 Kinder 3 ), der Prinzessin Luitgard, die etwa 14 Jahre zählen mochte 4 ), und der beiden Söhne Heinrich, der kaum 4 Jahre alt war, und Johann, der höchstens erst im zweiten Lebensjahre stand 5 ).

Sowie nun aber der fürstliche Pilger von seinem Hause und von seinen Unterthanen Abschied nimmt, ist er auch unsern Blicken auf lange Zeit entschwunden. Seine Zeitgenossen wenigstens geben uns über den Weg, welchen er nach Palästina einschlug, auch nicht den leisesten Wink.

Anders freilich Kirchberg. Nach diesem 6 ) zog Heinrich aus

mit synen mannen rechte,
        rittir vnd knechte,
- vnd quam gar schon
        in dy stad zu Ackaron,
dy man Akers nennet
        vnd hude noch wol irkennet,
mit geleyde vnd mit synnen
        von Marsilien der konigynnen,
dy syns vatir swestir waz.


1) Vgl. Wigger, Gesch. der Familie v. Blücher I, S. 93 flgd.
2) Meklenb. Urk=Buch II, Nr. 1088.
3) Meklenb. Urk=Buch II, Nr. 1382, S. 529.
4) Sie ward schon 1274 auf den Rath ihres Großvaters, Herzog Barnims von Stettin, von der Mutter mit dem Herzog Przemislav von Gnesen vermählt. S. Detmar I, S. 152.
5) S. oben S. 41, Anm.
6) Cap. 134 (Westphalen p. 774).
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 55 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Die Beurtheilung dieser Angabe ist nicht eben leicht. Freilich die (auch an einer andern Stelle 1 ) von Kirchberg erzählte) Verwandtschaft des Fürsten Heinrich I. von Meklenburg mit der angeblichen Königin von Marsilien (Marseille) und deren Schwester, einer Königin von Cypern, gehört in das Gebiet genealogischer Fabeln; und es gab damals, als Heinrich nach Palästina zog, schon längst keine Herrscherfamilie mehr zu Marseille. Wie man sich aber auch die Entwickelung einer solchen Sage denken mag, wahrscheinlich ist sie daraus entsprungen oder dadurch begünstigt, daß der Fürst auf seiner Fahrt nach Akkon Marseille und Cypern berührt hat.


1) Kirchberg Cap. 120. Johann von Meklenburg (der, als er 1228 zur Regierung kam, noch nicht ganz volljährig war und in den Jahren vorher in meklenburgischen Urkunden oft erscheint) soll in Paris 20 Jahre Theologie studirt haben "mit syns oheymes helfe glich, des koniges von Frangrich". (Vielleicht ist diese Sage auf eine dunkle Kunde von Waldemar, Prisclavs Sohn, der als Mönch zu St. Genovefa in Paris lebte und starb [Meklenb. Urk.=Buch I, 139, 140], zurückzuführen.) Weiter erzählt Kirchberg vom Fürsten Johann, "daz her syne swestir czwo beried zu Paris, e her" [angeblich 1226 oder 1227] "dannen schied; syn eynen swestir gab her schon des koniges von Marsilien son, syne andirn swestir gab her do des koniges son von Czipern so". - In Wirklichkeit vermählte sich Raimund Berengar IV. von der Provence (Alfons' II. und der Gersende Sohn) im Decbr. 1220 mit Beatrix, der Tochter des Grafen Thomas von Savoyen, die 1266 starb. Diese Ehe war mit 4 Töchtern gesegnet, von denen Margarete 1234 mit dem Könige Ludwig IX. von Frankreich, Eleonore 1236 mit König Heinrich III. von England, Sancie 1244 mit Richard von Cornwallis vermählt wurden. Seine Herrschaft vermachte Raimund Berengar († 19. August 1245) seiner vierten Tochter, der Beatrix, und diese brachte die Provence (1245) an ihren Gemahl Karl von Anjou, der Marseille 1257 und namentlich 1262 durch Waffengewalt zum Gehorsam zwang. Seit 1265 war Karl von Anjou auch König von Neapel und Sicilien; dorthin folgte ihm seine Gemahlin Beatrix, die 1267 starb. 1271 war der König (für seine Söhne) noch Herr der Provence; seit 1269 war er wiedervermählt mit Margarete, der Tochter Eudo's von Burgund. - Die Königin von Cypern, welche 1271 lebte, Isabelle, die Gemahlin König Hugo's III. von Cypern und Jerusalem, war aber weder eine Tochter des Grafenhauses von der Provence, noch eine Verwandte des Fürsten Heinrich von Meklenburg, sondern eine Tochter des Guy von Ibelin; ihr Gemahl starb 1284, sie überlebte ihn bis 1327. - Zu seiner angeblichen Tante, der Königin von Cypern, läßt Kirchberg den Fürsten Heinrich auch auf der Rückfahrt 1298 kommen. Hier liegt aber eine ersichtliche Verwechselung der Königin Isabelle von Cypern mit der Fürstin Isabelle von Achaja (Morea) vor, wie wir hernach sehen werden. Diese Letztere, Isabelle von Villehardouin, die von ihrem Vater, dem Fürsten Wilhelm († 1278) das Fürstentum Achaja (als neapolitanisches Lehn) erbte, Stand zum neapolitanischen Königshause aller= (  ...  )
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 56 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Schlug der Fürst den Landweg durch Deutschland ein, so lag ihm allerdings die Richtung auf Venedig am nächsten. Aber wir wissen ja nicht, ob ihn überall noch in der Heimath die Kunde von dem Aufschub des Kreuzzuges erreichte. Wußte er von demselben noch nichts, so war es ganz natürlich, daß er die wichtigste französische Hafenstadt am Mittelmeere aussuchte, um sich dort französischen Kreuzfahrern anzuschließen. Und selbst wenn er rechtzeitig von dem Aufgeben des Kreuzzuges unterrichtet war, konnte auch er immerhin, so gut die Friesen den Seeweg um Spanien herum einzuschlagen pflegten und sich ihrer Flotte 1218 Schiffe aus der Bremischen Kirchenprovinz anschlossen 1 ), etwa in Hamburg oder wohl leichter noch in Bremen ein hanseatisches Schiff besteigen und auf demselben entweder zunächst einen Hafen des südlichen Frankreichs am Atlantischen Ocean erreichen und Marseille dann auf dem Landwege aufsuchen, oder auch dasselbe Schiff direct bis Marseille 2 ) benutzen, um von dort auf einem Orientfahrer nach Akkon zu gelangen. Die Kaufleute und Schiffer von Marseille wetteiferten damals mit den Venetianern, Genuesen und Pisanern in Rechten und Freiheiten im Heiligen


(  ...  ) dings einmal im nächsten Verwandtschaftsverhältniß, indem sie seit 28. Mai 1271 die Gemahlin des 1277 verstorbenen Prinzen Philipp von Neapel, mithin König Karls I. Schwiegertochter gewesen war. Im September 1289 hatte sie sich wiedervermählt mit Florence d'Avesnes von Hennegau, und beide waren zugleich von Karl II. mit Achaja belehnt; aber auch Fürst Florenz war am 23. Januar 1297 gestorben. (Vgl. über Isabelle: Hopf in Ersch und Grubers Encyklopädie, Abth. I, Bd. 85, S. 291 flgd., 332 flgd., 346 flgd.) Erwägt man nun, daß diese Fürstin 1298, als sie den Besuch Heinrichs des Pilgers empfing, also eine verwittwete Fürstin von Hennegau war, die Mutter des Fürsten Heinrich von Meklenburg aber aus dem Hause der Grafen von Henneberg stammte: so wird es vielleicht nicht unwahrscheinlich dünken, daß das genealogische Märchen von der Verwandtschaft dieser Fürstin zunächst sich aus einer Verwechselung der Namen Hennegau und Henneberg entsponnen hatte, dann aber, sagenmäßig in mündlicher Ueberlieferung weiter entwickelt, sich auf Kirchberg vererbte, dieser es historisch faßte und die Tanten des Fürsten auf die väterliche Seite stellte, da er wußte, daß sie unter den Ahnen von mütterlicher Seite keinen Platz fanden.
1) S. oben S. 28, Anm. 4.
2) Auch die Friesen, welche 1270 am Kreuzzuge Theil nahmen, legten in Marseille an, Menko p. 554. - Das südliche Frankreich ward von Meklenburg aus auch sonst besucht; der Wallfahrtsort Rocamadour (Roquemadour) kommt in der Form "Rutsemedune" schon 1272 flgd. im Wismarschen Stadtbuche A. vor. Man pflegte dahin zunächst den Seeweg bis zur französischen Westküste einzuschlagen. Jahrb. VIII, S. 225 flgd.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 57 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Lande und in der Schifffahrt und im Handel nach Akkon, Cypern und Aegypten 1 ).

Cypern aber liefen die Schiffe auf dem Wege nach Akkon ohne Zweifel sehr häufig an. Gegen den Herbst des Jahres 1271 hatten sie dazu indessen um so mehr Grund, weil der Sultan Bibars, nachdem er schon im Juni dorthin eine Flotte von 11 oder 14 Galeeren ausgesandt hatte, und diese an den Klippen vor dem Hafen Limiso gescheitert, 3000 Saracenen 2 ) dabei theils vom Meere verschlungen, theils gefangen genommen waren, sofort daran ging, eine neue, viel stärkere Flotte gegen Cypern auszurüsten. Immerhin rieth die Vorsicht, in einem cyprischen Hafen Erkundigungen über etwa kreuzende ägyptische Galeeren einzuziehen.

Vor dem Herbst 1271 wird Heinrich von Meklenburg, welchen Weg er auch bis an das Mittelmeer eingeschlagen haben mag, Akkon nicht erreicht haben.

Die prachtvoll gebauete Stadt, deren Ausdehnung am Meere die Deutschen an die Lage von Köln erinnerte, ihre gewaltigen Mauern und Burgen machten auf jeden Ankömmling einen tiefen Eindruck; und die bunte und mannigfaltige Bevölkerung, welche in den Straßen wogte, die Zahl der fremden Fürsten und Herren, der Ordensritter und der Milizen, welche alle begierig schienen, sich mit den Moslim zu messen, konnten wohl einen Fremdling zuerst über die Lage der Christen in Syrien täuschen. Bald aber mußte Jedem klar werden, daß diese keineswegs erfreulich war.

Denn so lange der Sultan die Ankunft der abendländischen Könige in Syrien und einen gleichzeitigen Einfall der Mongolen 3 ) zu fürchten hatte, war er nur darauf bedacht gewesen, alle Vorbereitungen zu seiner Vertheidigung zu treffen. Die Mauern Jerusalems hatten die Saracenen freilich längst zerstört; der Sultan brach aber auch ein in der Nähe belegenes Kloster, damit sich auch dort die Christen nicht festsetzen möchten. Aber sowie jene Gefahr für ihn


1) Wilken VII, 365, Anm., u. 608.
2) Fortsetzung zum Wilh. V. Tyrus 1248-75 (Recueil des historiens des Croisades, Hist. occid. II [Paris, 1859, fol.], p. 460; Makrizi [Hist. des Sultans Mamlouks de l'Egypte, trad. par Quatremère, Paris 1837-45] I, 2, p. 87 meldet, daß die erste Flotte noch im Monat Schewal 669 (= 1270, Mai 12 - bis Juni 9) ausgelaufen war.
3) Vgl. Wilken VII, 531.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 58 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

verschwunden war, ging er sofort wieder zum Angriff über 1 ). Die Johanniter in ihrer "Kurdenburg" hatten ihm früher sehr zur Unzeit gedroht; im Frühling 1271 bezwang er dies Schloß. Dann gewährte er den Johannitern und den Templern einen Waffenstillstand, um Boemund von Tripolis für eine angebliche Verbindung mit den Mongolen zu züchtigen. Als er 2 Burgen eingenommen hatte, der Graf aber den Kampf auf Leben und Tod fortzusetzen drohete, ging Bibars auf einen verhältnißmäßig milden Waffenstillstand ein, um so mehr, da er von der Ankunft zahlreicher abendländischer Pilger hörte.

Wir meinen nicht die Friesen, von denen oben die Rede war; diese haben vielmehr das Heilige Land verlassen, ohne zum Kampfe mit den Ungläubigen zu kommen 2 ). Aber am 9. Mai 1271 traf der englische Kronprinz Eduard (I.) 3 ) mit seiner tapfern Schaar in Akkon ein; er führte 1000 auserlesene Männer, darunter 300 Ritter, nach dem Heiligen Lande. Indessen, wie willkommen den Rittern zu Akkon solche Hülfsmannschaft unter der Führung eines Prinzen von wildem Muthe und von unerschütterlicher Standhaftigkeit sein mußte, zumal in einem Augenblick, wo man den Sultan täglich vor den Thoren erwarten durfte: zu einem Vorgehen gegen den Feind fühlten sich die Christen darum doch nicht stark genug. Ja, sie konnten es nicht einmal verhindern, daß Bibars im Juni von Damaskus heranrückte und eine Burg des Deutschordens, Koraïn (Montfort), angriff und am 11. einnahm, hieraus selbst bis nach Akkon streifte und dann Koraïn zerstörte 4 ). Als darauf aber der Sultan, wegen des oben erwähnten gescheiterten Angriffs auf Cypern


1) Die Reihenfolge der Ereignisse des Jahres 1271 ist in der Fortsetzung zum Wilh. v. Tyrus 1248-75 leider ganz verwirrt und auch bei Sanudo nicht hinlänglich durch Daten gestützt. Wir folgen den genauen Daten Makrizis und weichen in Einzelheiten von Wilken VII, 589 flgd. ab.
2) Wilken VII, S. 584, nach Menko, Pertz, Script. XXIII, p. 557.
3) Sanudo [Liber secretorum fidelium crucis III, c. 11]: "IX, die Madii; Hemingford: 15 Tage nach Ostern = 19. April; Makrizi: "dans les derniers jours du mois de Ramadan" (der mit dem 11. Mai Schloß), "ayant avec lui 300 cavaliers, huit navires (botsah), des galères et autres bâtiments, formant un total de 30 embarcations, sans compter ce qui était arrivé précédemment sous la conduite de l'ostadar (majordome) du prince; que le roi" (Eduard) "avait l'intention de faire le pélerinage de Jérusalem".
4) Makrizi I, 2, p. 87. - "s' " (Koraïn) "rendit maître le second jour du mois de Dhoulkadah. [So auch Abulfeda, T. V, p. 29.] Il se mit en marcne et arriva vers le point du jour aux portes d'Akka, accompagné d'un corps de troupes. Voyant que les Francs ne faisaient aucun mouvement, il regagna son campement de Koraïn. Le 24ème jour de Dhou'lkadah (3. Juli) il ordonna la démolition de cette forteresse. Il se rendit ensuite dans le voisinage d'Akka, et vint camper à Ladjoun". Kürzer die Forts. zum Wilh. v. Tyrus (p. 460): - "et prist Monfort des Alemans et l'abati; et d'iqui s'en vint devant Acre, et prist li soudans I chastel du Viel de la Montaigne. - Den gleichzeitigen Zug Eduards nach Nazareth und die Zerstörung dieser Stadt, welche Hemingford (und nach ihm Matthäus von Westminster) behauptet, bestreitet mit Recht Wilken S. 595.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 59 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

nach Aegypten ging, um eine neue Flotte auszurüsten, brach Eduard mit seinen englischen und französischen Pilgern und mit andern Streitern, angeblich mit 7000 Mann, am 12. Juli aus Akkon nach St. Georg (Lydda) auf und zerstörte diese Feste; indessen verlor er auf dem Rückwege viele Leute, die in der glühenden Hitze ihren Durst durch übermäßigen Genuß von Honig und Früchten zu stillen suchten 1 ). Zu größeren Unternehmungen mußte man die Ankunft neuer Pilger mit dem alljährlich spätestens im August aus Europa abgehenden zweiten großen Zuge abwarten. Auch wurden bereits Verbindungen mit den Mongolen angeknüpft, um sie zu einem Einfall in Syrien zu bewegen.

Leider war die Zahl der im September anlangenden Pilger, unter denen wir uns also auch den Fürsten von Meklenburg denken, nicht so groß, als man gehofft hatte; es wird ausdrücklich erwähnt, es sei der englische Prinz Edmund "mit geringer Gesellschaft" in Akkon eingetroffen 2 ). Dennoch hatten, wenn wir der Angabe in einem Briefe des Sultans 3 ) Glauben schenken dürfen, die Christen "schon eiserne Leitern angefertigt und schickten sich an, sich auf Safad und eine andere Feste zu stürzen"; aber sein Erscheinen in der Nähe - er kam unerwartet am 19. Sept. in Damaskus an -, meint er, habe den Franken den Muth genommen.


1) Forts. zu Wilh. von Tyrus: "à XII jours de jugnet sire Odouars et sa gent et cil d'Acre alerent brisier Saint Jorge" etc. - Makrizi p. 89: "On reçut (in Kairo) la nouvelle que les Francs avaient fait une incursion sur le territoire de Schagour, s'etaient emparé de cette place, avaient porté partout la dévastation, et livré les grains aux flammes".
2) Forts. zu Wilh. v. Tyrus p. 461: Et vint en Acre mi sire Heymnes, frere mon seignor Odouart, a poi de compaignie". Aehnlich Sanudo III, 11.
3) Makrizi II, 1, p. 100. - Nach Damaskus kam er am 13. Safar 670 (p. 93).
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 60 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Bibars entwickelte eine große Thätigkeit; er eilte nach Hamah, nach Hems, inspicirte das Kurdenschloß und die Feste Akkar im Gebiete von Tripolis, die er im Frühling gewonnen hatte, Truppen waren zu einem Zuge gegen Akkon schon bestimmt; er erwartete ohne Zweifel einen gleichzeitigen Einmarsch der Christen und der Mongolen. Wirklich fielen die Letzteren auch etwa den 20. October 1 ) in Syrien ein, in den Landschaften von Antiochia, Aleppo, Hamah u. s. w. richteten sie furchtbare Verwüstungen an; aus Damaskus flüchteten sich schon viele Einwohner. Erst als Bibars zu Ansang Novembers Hülfe aus Aegypten erlangte, trieben er und seine Feldherren die Mongolen zurück, welche beutebeladen abzogen.

Unbegreiflich ist es, daß erst jetzt die Christen in Akkon sich rührten. Sie hatten sich lange gerüstet. König Hugo von Cypern und Jerusalem war, sobald die Gefahr wegen einer Landung der Feinde aus Cypern ausgehört hatte, Akkon zu Hülfe geeilt, und Eduard von England wußte hernach auch die cyprische Ritterschaft, die sich lange geweigert hatte ihre Insel zu verlassen, dahin zu bestimmen, daß sie sich zahlreich in Akkon einfand 2 ). Die Templer, die Johanniter und die Deutschordensritter, sämmtliche anwesende Pilger - also vermuthlich auch der Fürst von Meklenburg und seine Begleiter - und die ganze Miliz zu Akkon schlossen sich dem Könige Hugo und den englischen Prinzen an; am 23. Novbr. verließen sie endlich die Stadt.

Indessen nahmen sie auch jetzt nicht die Richtung auf Damaskus oder dem Sultan entgegen, suchten sich auch nicht der muhammedanischen Festungen in der Nähe von Akkon zu bemächtigen, um gleichsam Außenwerke zu gewinnen, sondern sie zogen aus einem uns unbekannten Grunde gegen Süden, über Cäsarea hinaus, um die muhammedanische Feste Kakun 2 )., welche auf dem Wege nach Joppe lag und früher


1) Nach Makrizi I, 2, p. 100 "au milieu du mois de Rebi premier". Der Rebi I, 670 lief vom 6. Oct.-4. Nov. 1271. - Forts. zu Wilh. v. Tyrus, p. 461: "Et revindrent en Acre n message que mi sire Odouart et la Chrestienté avoient envoies as Tartars por querre secors, et firent si bien la besoigne qu'il amenerent les Tartars et corurent toute la terre d'Antioche et de Halape, de Haman et de la Chamele jusques a Cesaire la Grant. Et tuerent ce qu'il trouverent da Sarrazins, et de la s'en retornerent es mares qui sont a l'entrée de Turquie a tot grant gaaing d'esclas et grant bestiail " etc.
2) Forts. des Wilh. v. Tyrus z. J. 1187 (Rec. des hist. [occid.] des Croisades II, p. 39): "covent dou Temple qui estoit à quatre (  ...  )
2) Forts. des Wilh. v. Tyrus z. J. 1187 (Rec. des hist. [occid.] des Croisades II, p. 39): "covent dou Temple qui estoit à quatre milles d'ilec, a une vile qui a nom Caco" Die Herausgeber merken dazu an: "On trouve an sud-est de Césarée, a cinq lieues, le village de Kaoun. (Voy. Jacobs, Notice sur la carte des Croisades, T. I, p. XXXVIII.)." - Wilh. v. Tyrus XII, 21: "locus in campestribus Caesareae, cui nomen Caco." - Unbestimmter Abulfeda T. V, 129: "in litore Palaestinae apud Cacun."
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 61 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

einmal im Besitz der Templer gewesen war, zu erobern und zu brechen.

Aber leider nahm dieser Zug durch die Schuld der Oberanführer einen recht unrühmlichen Ausgang. Die Kreuzfahrer stießen nämlich bei Kakun auf ein großes Zeltlager von Turkmannen, die hier ruhig, die Ankunft des Heeres nicht ahnend, ihre Heerden weideten; sie überfielen diese Hirten, erschlugen ihrer etwa 1000 und erbeuteten von den Heerden 5000 Thiere. Diese große Beute machte die Christen aber lässig in ihrer Absicht auf die Festung. Nach einem Berichte von ihrer Seite hatten sie dieselbe nur schwach angegriffen und wären dann mit ihrer reichen Beute umgekehrt und mit geringem Verluste nach Akkon zurückgelangt 1 ). Nach Makrizi (p. 101) aber griffen sie die Saracenen in der Burg an, ein Emir ward getödtet, ein zweiter verwundet, und der Commandant Bedjka=Alai sah sich genöthigt, den Platz zu räumen. Sobald der Sultan davon Kenntniß erhielt, eilte er von Aleppo nach Damaskus, um dort Vorbereitungen zu einer Expedition nach Kakun zu treffen; er überschätzte diesen Angriff. Denn sowie der Emir Akusch=Schemsi sich den Christen mit Heeresmacht näherte, "ergriffen" (nach Makrizis Erzählung) "die Franken, welche Kakun besetzt hatten (occupaient), sofort die Flucht. Sie wurden von der Armee verfolgt, welche ihrer eine große Menge tödtete, eine Anzahl Turkmannen aus ihren Händen befreiete und eine große Zahl von Feinden niedermachte


(  ...  ) milles d'ilec, a une vile qui a nom Caco" Die Herausgeber merken dazu an: "On trouve an sud-est de Césarée, a cinq lieues, le village de Kaoun. (Voy. Jacobs, Notice sur la carte des Croisades, T. I, p. XXXVIII.)." - Wilh. v. Tyrus XII, 21: "locus in campestribus Caesareae, cui nomen Caco." - Unbestimmter Abulfeda T. V, 129: "in litore Palaestinae apud Cacun."
1) Wir setzen den ganzen Bericht der Forts. 1248-75 (p. 461) über den für uns so wichtigen Zug hierher: "Et a XXIII. jors de novembre (1271) sir Odouart et ses freres et li rois de Chipre et li Templier et li Hospitalier, et li Alemant et tuit li Chiprois et tuit li pelerin et toute la serjanterie a pié chevauchierent la terre de Cesaire per brisier la tor de Quaquo. Et quant il furent la venus, il trouverent plusors herberges de Turquemans, qui la estoient herbergies, et ne savoient riens de lor venue. Por quoi il pristrent lor berberges et tuerent bien M. persones" [Sanudo: usque ad mille quingentos] "et gaaignierent bien V. M." [auch Sanudo, der den Bericht ausschreibt: quinque millia] "bestes, et s'en retornerent sain et sauf en Acre a poi de perte. Mes toutes voies por le grant gaaing qu'il trouverent, demora la tor de Quaquo qu'il ne la saillirent mie."
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 62 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

(égorgea). Die Franken verloren, wie man sicher ermittelte (vérifia), bei dieser Gelegenheit 500 Pferde und Maulthiere."

Mögen diese Angaben Makrizis auch übertrieben sein, dieses ganze Unternehmen brachte den Christen großen Schaden. Daß der Sultan jetzt an der Spitze der Truppen aus Aegypten und Syrien zornig vor Akkon erschien 1 ), war noch der geringste Nachtheil; denn die Umgegend war längst eine Einöde, und Regengüsse nöthigten Bibars noch im December zum Abzuge nach Kairo. Schlimmer war es, daß des Sultans Mißachtung gegen die Christen hiedurch noch erheblich wuchs; er hielt sie fortan für feige. Als Gesandte König Karls von Sicilien und Neapel bei ihm in Kairo erschienen, um ihn zu einem Frieden mit König Hugo zu bewegen, bemerkte Bibars schnöde: "Da so viel Leute sich zu schwach gefühlt hätten ein einziges Haus (Kakun) zu nehmen, so sei es nicht wahrscheinlich, daß sie ein Land erobern möchten wie das Königreich Jerusalem 2 )."

Das Uebelste war jedoch, wenigstens für den Fürsten Heinrich von Meklenburg und für andere Pilger, welche das Heilige Grab zu besuchen gedachten, daß die muhammedanische Bevölkerung Syriens, die ohnehin durch den Einfall der Mongolen schon erbittert genug war, durch den ungeahnten Angriff auf friedliche Hirten aufs Aeußerste erzürnt ward. Man durfte fürchten, daß sie gegen friedlich dahin ziehende Pilger Vergeltung üben würden. Eine Wallfahrt von Akkon nach Jerusalem und den andern heiligen Stätten ward unter diesen Umständen ein höchst gefährliches Unternehmen.


1) Makrizi I, 2, p. 101 über diesen Zug: Le sultan sortit de Damas le 3 jour du mois de Djoumada-premier (= 6. Decbr.), à la tête des troupes de l'Egypte et de la Syrie, pour faire des courses sur le territoire d'Akklâ. Lorsque il fut arrive dans la prairie de Bargout, il éprouva des pluies abondantes, qui allaient toujours en croissant, et arriverent à un point qui dépassait toute expression. Les soldats étaient presque morts, faule d'avoir de quoi se mettre à l'abri. Le prince se bâta de congédier les troupes de Syrie, et se dirigea vers l'Egypte. Il rentra au Château de la Montagne le 23 jour du mois (= 27. Decbr.).
2) Forts. z. Wilh. v. Tyrus p. 461: Il (die Christen) en (Zug nach Kakun) fuerent mains proisies des Sarrazins, et le soudan meismes le dist as messages du roi Charles, qui a lui estoient venus por traitier les trives entre lui et la Crestienté , que, puis que tant de gent avoient failli a prendre une maison, il n'estoit pas semblant qu'il deussent conquerre telle terre, com est le roiaume de Jherusalem. - Ueber diese Gesandtschaft König "Rogers" (!) spricht auch Makrizi p. 102.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 63 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Andererseits aber mußte es dem Fürsten Heinrich bald klar genug geworden sein, daß zu einem ruhmvollen Kampfe gegen die Ungläubigen zur Zeit gar keine Aussicht vorhanden, geschweige denn an einen Siegeseinzug in Jerusalem zu denken war. Wollte er sich also seines Gelübdes in Jerusalem entledigen, und nicht heimkehren, ohne das Heilige Grab besucht zu haben, so mochte es ihm am zweckmäßigsten erscheinen, dorthin noch im Winter zu wallfahren, bevor man den Sultan, dessen Geneigtheit zum Frieden noch recht zweifelhaft erschien, wieder mit Heeresmacht vor Akkon erwarten durfte.

so trat er denn, von den seinen begleitet, im Januar 1272 von Akkon aus die Fahrt nach der Heiligen Stadt an. Vielleicht, um nicht als Kämpfer, sondern als friedlicher Wallbruder zu erscheinen, ließ Heinrich seine Rittergürtel nebst einigen andern Werthsachen zu Akkon im Hause des Deutschen Ordens zurück.

Aber das schlimmste Loos sollte ihm zu Theil werden: er ward am Tage Pauli Bekehrung (am 25. Januar) von Muhammedanern gefangen genommen und dem Sultan zugeführt.

Ueber die Umstände, unter denen sich dies unglückliche Ereigniß vollzog, sind wir nicht näher unterrichtet; ja nicht einmal über den Ort, wo die Gefangennehmung geschah, sind unsere Quellen in Uebereinstimmung. Detmar und die Lübeker Jahrbücher nennen leider den Ort gar nicht; Kirchberg dagegen meldet, daß der Fürst mit seinem Diener Martin Bleyer die Grabeskirche zu Jerusalem besucht habe und dort nach der üblichen Darbringung eines Geschenkes beide von den Heiden gefangen genommen und an den Sultan überliefert seien. Er setzt hinzu:

dy andirn quamen von im alle
        zu lande heym von sulchir walle;
wy sy von dannen quamen doch,
         des kunde ich ny irfarin noch.

Und nur etwas bestimmter berichten die Franciscaner zu Wismar 1 ), der Fürst und seine Edelleute seien "alle gefangen worden van den Saracenen im tempel des hilligen graues am dage conversionis Pauly".


1) Im Kirchenbuch erhaltene Abschrift einer Tafel im Chor der Franciscaner=Kirche: Jahrb VI, S. 100, die auch Latomus meint, wenn er sich für dieselbe Erzählung auf eine "Wism. Urk." beruft. Die Inschrift der Tafel fußt natürlich auf ältere Aufzeichnungen.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 64 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

"De adel auerst des hern Hinrici", heißt es hier weiter, "wurden, wedderumb gefort in dat ehre vaderlandt, da se versamleten eynen schatt" (Schatz) "tho ehres hern verlosinge" (Auslösung). "Wen de here Hinricus wort myt eynem knechte, Martinus Bleyer genomet, in Babylonien gefort".

Aber wenngleich diese Uebereinstimmung zweier von einander unabhängiger Quellen auf den ersten Blick etwas Bestechendes hat, so erkennen wir in ihrer Angabe rücksichtlich des Ortes doch den Einfluß der Volkssage, welche es liebt die Erzählung dramatischer zu gestalten. Denn in der Chronik Albrechts, deren Bericht wir auf des Fürsten eigene Mittheilungen zurückführen zu müssen glauben, heißt es, Heinrich sei auf dem Wege zum Heiligen Grabe gefangen genommen ("over mere an pelegrimaze uppe deme weghe tho deme heylyghen grave").

In völliger Uebereinstimmung melden dann aber alle unsere Quellen weiter, daß der Fürst nach "Babylonien" (oder Kairo) abgeführt und dort in Gefangenschaft gehalten sei. Am genauesten ist auch hier wieder die Chronik Albrechts, wo es heißt, Heinrich sei gefangen gewesen "by Babelonie up eneme torne, de heet Kere."

Denn der alten römischen Militairstation Babylon entsprach etwa die muhammedanische Stadt Fostat am rechten Nilufer. Die Christen pflegten Letztere im 13. Jahrhundert noch Babylon zu nennen; für sie war dies der wichtigste Theil der ganzen "dreifach getheilten und dreieckigen Stadt", wie sie uns der oben mehrfach erwähnte Oliver in seiner Erzählung vom Kreuzzuge nach Damiette in den Jahren 1218-21 beschreibt. "Die Stadt Babylon selbst, am Nil erbauet, dehnt sich" (nach Oliver 1 ) "der Länge und der Breite nach aus, hat gerade Straßen und dichtgedrängte Wohnungen wegen der zahlreichen Bevölkerung. Die Christen haben dort mehrere Kirchen; sie sind sehr zahlreich (numerosa multitudo) und sind dem Landesfürsten dienstbar und tributpflichtig (sub tributo servientium). In dieser Stadt sind die Niederlagen der Kaufleute, welche aus Alemanien" (Armenien?), "Aethiopien, Libyen, Persien und andern Gegenden kommen. Beinahe eine Meile davon, in der Richtung auf Damiette, breitet sich Kairo mit weitläufigen Gebäuden und Straßen aus; es hat prachtvolle Wohnsitze, welche dem Adel des Landes und vor=


1) Eccard, Corp. hist. medii aevi II, p. 1430.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 65 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

nehmeren Bürgern zum Aufenthalt dienen. Diese Stadt erreicht den Nil nicht, wie Babylon, sondern ein mit Schilfwurzeln besäeter Raum" (spatium junceis radicibus consitum) liegt dazwischen. Ferner erblickt man auf einer höheren Warte die aus großen Thürmen bestehende Feste des Sultans (castrum regale). Von der Burg aber zieht sich zu beiden Seiten eine Mauer herab, welche Kairo und Babylonien umschließt. Zwischen diesen drei Stadttheilen aber liegt ein großer sandiger platz, auf welchem ein zahlreiches Heer lagern kann."

Diese Beschreibung wird auch noch für die Zeit gelten, da, ein halbes Jahrhundert später, der meklenburgische Fürst als Gefangener nach Kairo gebracht ward. Er ward also in die bei den arabischen Schriftstellern schlechthin als "die Bergfeste" bezeichnete Citadelle geführt, welche der Sultan Saladin auf einem Abhange des Mokattam aufgeführt hatte, wo auch seine Nachfolger (wie in neuester Zeit die Vicekönige) residirten, und wo jetzt zahllose Reisende von der Terrasse neben der Moschee den entzückten Blick über die zu ihren Füßen ausgebreitete Stadt, die "Perle des Orients", und bis zu den "im Süden sich scharf am Horizont abhebenden Pyramiden" hinschweifen lassen. -

Der traurige Ausgang der Wallfahrt ließ es nun freilich um so mehr bedauern, daß Heinrich der Pilger Akkon so früh verlassen hatte; denn 3 Monate später hätte er seine Fahrt höchst wahrscheinlich ohne alle Gefahr vollenden können. Der Sultan brach wohl auf die Nachricht, daß sich die Mongolen wieder regten, schon am 4. März wieder aus Kairo nach Syrien auf; aber noch unterwegs erschienen bei ihm Gesandte aus Akkon und baten um einen Waffenstillstand 1 ). Wie entschieden auch der Prinz (jetzt König) Eduard


1) Makrizi I, 2, p. 102. Dieser meldet hernach ganz kurz: "Il vint camper dans les plaines de Kaisarieh, et conclut avec les Francs une trève, qui devait durer dix ans, dix mois, [dix jours], dix heures. La population d'Akkâ sortit en foule, pour voir défiler les troupes (auf dem Marsch nach Damaskus, wo der Sultan 2. Schewal = 1. Mai ankam). - Die genaueren Beschränkungen giebt die Fortsetzung zu Wilh. v. Tyrus 1248-75 (und danach Sanudo III, 11): "A. MCC. LXXII., a XXII jors d'avril (Sanudo: XXI. Aprilis), fu faite la trive du roi de Jherusalem et de Chipre, Hugue de Liseignen, et du soudan Bandocdar (Bibars), et n'avoit en la trive que le plain d'Acre sans plus et le chemin de Nazareth." - Anders Menko, Chron. p. 557: "Anno domini 1271 (vielmehr 1272) circa dominicam passionis Domini (10. April 1272) voraus Acon soldanus cum exercitu maximo applicuit. Et sic cives cum magistris trium domorum et consiliariis eorum, qui dicuntur milites, non (  ...  )
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 66 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

von England widersprach, knüpften die Einwohner und die Ritterorden zu Akkon, in der Ueberzeugung keinen genügenden Widerstand leisten zu können und in der Absicht den Untergang Akkons zu verhüten, solche Unterhandlungen an. Bibars sandte drei Beamte zu Friedensverhandlungen nach Akkon voraus; er selbst war bis in die Ebene von Cäsarea und in die Nähe von Akkon mit seinem Heere vorgerückt, als am Charfreitage (22. April) der Friede abgeschlossen ward, auf 10 Jahre 10 Monate 10 Tage und 10 Stunden. Der König Eduard blieb ausgeschlossen; der Vertrag beschränkte sich auf christlicher Seite auf den König Hugo von Jerusalem und Cypern und auf die Ebene von Akkon und den Weg nach Nazareth (mehr gestand der Sultan also dem "König von Jerusalem" von diesem ehemaligen Reiche nicht zu, und von Tripolis war nicht die Rede); hier blieben die Christen von Tribut frei. Uebrigens gestattete Bibars den Christen den ungestörten Besuch seiner Lande und insonderheit auch der heiligen Stätten; wir hören auch in den nächsten Jahren nichts von Gefangennehmung der Pilger. Im Gegentheil berichtet ein christlicher Schriftsteller: "Viele Christen, syrische und fremde, besuchten nun Bethlehem und Nazareth und andere Orte der Heiligen; aber zum Grabe des Herrn wallfahrten nur wenige, weil es bei Strafe des Bannes verboten war, damit nicht durch die Opfer, welche die Christen dort darzubringen pflegten, und durch verschiedene Zölle die Feinde des Kreuzes Christi bereichert würden und die Christen Einbuße erlitten 1 )".

Leider war bei dem Waffenstillstande von einer unentgeltlichen Freilassung gefangener Christen nicht die Rede; und


(  ...  ) valentes nec audentes impetum eius sustinere, et timentes, ne, si bello caperet civitatem, penitus eos omnes deleret, ac sic in partibus illis christianitas deperiret . . , pacem cum ipso inierunt, firmantes treugas usque ad XI annos, hoc interposito: si aliquis rex potens de ecclesia terram illam intraret et per eum bellum fieret, ipsi essent excusati. Et sic soldanus legatos eorum honorifice fecit ad se adduci, et sic ipsa die parasceves (= 22. April) predictas treugas ordinaverunt, ita quod Aconenses cum omnibus eivibus ac religiosis ibidem commorantibus absque tributo et omnibus exactionibus omnia sua possiderent, absque civitatibus et castris et suis attinentiis, quae soldanus jure belli acquisierat. Hiis treugis ordinandis assensit et interfuit rex Cipri. Sed domnus Eduardus, rex Angliae, - graviter tulit - ac ideo statim (?) ordinatis treugis . . non sine indignatione - recessit. Soldanus vero tirmatis treugis legatos Akonensium cum honore fecit reduci. Et liberam dedit omnibus christianis licentiam adeundi omnes terminos regnorum suorum et loea sancta visitandi.
1) Menko a. a. O.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 67 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

wahrscheinlich kannte man in Akkon noch nicht das unglückliche Loos des meklenburgischen Fürsten, und konnte man sich also schon aus diesem Grunde seiner bei den Friedensverhandlungen nicht annehmen.

Denn die spätere Nachricht, daß Heinrichs Begleiter - bis auf den einen Diener Bleyer - sofort frei gegeben seien, um für ihren Herrn ein Lösegeld zu beschaffen, verdient keinen Glauben. Ohne Zweifel ist richtiger, was die Lübeker Jahrbücher 1 ) andeuten und Detmar ausdrücklich berichtet, daß nämlich Heinrichs Begleiter mit ihm nach Kairo abgeführt wurden und dort nach und nach - mit Ausnahme jenes einen Dieners - verstorben sind. Daraus erklärt es sich auch, daß drei Jahre verfließen konnten, bevor man in Meklenburg sicher erfuhr 2 ), daß der Landesherr noch lebe, sich aber in der Haft der Muhammedaner befinde.

Zu Anfang des Jahres 1275 hatte seine Gemahlin endlich gewisse Kunde von dem Unglück ihres Gemahls. Am 20. Januar 1275 vereignete die Fürstin nämlich den Nonnen zu Neukloster das Dorf Arendsee; und sie bemerkt darüber in ihrem Schenkungsbriefe 3 ): "Dies haben wir deshalb gethan, damit Gott, der Herr von unaussprechlicher Barmherzigkeit, der wohl regiert und nichts übereilt, um der


1) Pertz, Scr. XVI, p. 417: "Hinricus -perdita tota familia sua liber dimissus est a soldano cum uno solo famulo suo Martino." - Detmar zum Jahre 1298: "De sine (Heinrichs Leute) dar (in Babylonien) alle dot bleven ane en knecht Mertine".
2) Wir besitzen freilich (Meklenb. Urk.=Buch II, Nr. 1294) eine Inhaltsangabe Clandrians von einer Urkunde, welche "Anastasia, Fraw zu Meklenburgk, mit consens ihres vber See gefangenen Gemahlß h. Heinrichs bruder vnd derer, denen das landt befolen ist", zu Wismar am 29. August 1273 ausgestellt haben soll, und diese ist mir in Schirrmachers Beiträgen (Schildt, Gesch. Wismars S. 96, A. 1) entgegengehalten. Dort ist aber das Wort "bruder" irrig für den Genitiv des Singulars (für: "bruders") genommen und auf den Propst Nicolaus gedeutet, dabei jedoch bemerkt: wer die Uebrigen, denen das Land befohlen gewesen, waren, sei "nicht zu sagen." Vielmehr ist "bruder" für den Plural "brüder" zu nehmen (denn Clandrian schreibt gewöhnlich u für ü, d. h. er bezeichnet den Umlaut noch nicht), es sind die beiden Brüder Johann und Nicolaus gemeint, denen, wie weiter unten gezeigt wird, seit der Fehde vom Jahre 1275 die Vormundschaft zugestanden ward, und die, "denen das Land befohlen" war, sind die ihnen zugeordneten Regentschaftsräthe. Es ist also die Jahreszahl falsch überliefert; Clandrian wird 1273 statt 1275 geschrieben oder vielleicht LXXIII statt LXXVI gelesen haben. Damit erledigt sich auch die a. a. O. in Anm. 2 gegen meine Ansicht aufgeworfene Frage.
3) Meklenb. Urk.=Buch II, Nr. 1353.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 68 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

kräftigen Fürbitte willen dieser Dienerinnen Christi und wegen anderer guter Werke, welche bei ihnen so zahlreich im Schwange sind, unsern geliebten Gemahl Herrn Heinrich von Meklenburg aus den Fesseln der Heiden, in denen er gefangen liegt, unversehrt errette und ihn uns und unsern Kindern und seinen andern Anverwandten, die in tiefer Trauer seiner Heimkehr harren, zu rechtem Troste zurücksende."

Warum aber wurden, so fragt man, von Meklenburg aus jetzt, wo man die Gewißheit hatte, daß der Landesherr nicht todt, sondern Gefangener war, keine Versuche gemacht ihn loszukaufen? Der Friedenszustand zwischen den syrischen Christen und dem Sultan von Aegypten währte bis 1280; es dürfte also doch unschwer der Ort, wo er gefangen lag, aufzufinden, und der Preis für die Freilassung durch die Vermittelung der Lübeker und der Orden nach Aegypten zu befördern gewesen sein.

Die Schuld trägt, so viel man sieht, zum großen Theil des Fürsten Heinrich Bruder, Fürst Johann (II.), der es übel empfand, daß sein Bruder ihn, den nächsten "Schwertmagen" und gebornen Vormund, bei seiner Bestimmung über die Vormundschaft, wie auf S. 54 erwähnt ist, übergangen hatte. Darf man Kirchbergs Erzählung Glauben schenken, so versuchte der Fürst Johann sogar, als seine Schwägerin Anastasia eines Tages mit ihren beiden kleinen Prinzen eine Fahrt nach Ratzeburg zu einem Besuche bei dem herzoglich sächsischen Hofe unternahm, bei Rehna sich gewaltsam seiner beiden Neffen zu bemächtigen, woran er jedoch durch die List der Frauen verhindert ward 1 ).

Die vom Fürsten Heinrich vor seinem Auszuge zu Vormündern eingesetzten beiden werleschen Vettern beriefen nun ihrerseits im Jahre 1275 2 ) die Gesammtheit der Mannen und Rathmänner aus dem Lande des Fürsten Heinrich zu dem ersten uns bekannten Landtage nach Wismar und traten


1) Kirchberg, Cap. 130 [Westph. IV, p. 779]. Die Erzählung zeigt, daß wir uns die Prinzen noch als kleine Knaben zu denken haben.
2) Meklenb. Urk.=Buch II, Nr. 1382. Der Tag ist nicht festzustellen. Am 20. Jan. sagt Anastasia noch von sich: vicem - mariti nostri - gubernantes (Nr. 1353); ihre Söhne sollen mitsiegeln, "cum ad statum maturiorem peruenerint. Vom 2. Febr. 1275 haben wir eine Urkunde (Nr. 1354), die "Hinricus dei gracia dominus Magnopolensis junior" gegeben hat; diese fällt vor die Vormundschaft Johanns, vermuthlich ist sie zur Zeit der werleschen Vormundschaft gegeben.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 69 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

vor diesen ihr vormundschaftliches Amt an; die Wismarschen Burgmannen erklärten sich für sie. Sofort legten aber Fürst Johann und sein Bruder, der Propst Nicolaus, hiergegen Verwahrung ein, unter Berufung auf Fürsten und Herren. Johann wollte sich eher die Fortführung der Regierung in der bisherigen Weise (durch die Fürstin Anastasia) gefallen, als sein näheres Recht auf die Vormundschaft beeinträchtigen lassen. Da die Wismarschen Burgmannen ihn und seinen Bruder Nicolaus in die fürstliche Burg nicht einließen, beklagten sich die beiden Fürsten nicht nur bei ihrem Schwager, dem Grafen Gerhard von Holstein, und bei ihrem Neffen, dem Grafen Helmold von Schwerin, sondern Johann fiel auch mit einer bewaffneten Schaar ins Land ein und verbrannte die Höfe jener Burgmannen. Kaum gelang es dann dem greisen Fürsten Nicolaus von Werle, auf einem neuen Landtage zu Wismar (1275), einen allerseits (auch von den verwandten Fürsten) gebilligten Vergleich zu Stande zu bringen, wonach der Fürst Johann wirklich zum Vormunde der Fürstin Anastasia und ihrer Söhne und des Landes gewählt ward und mit seinem Bruder Nicolaus und der Fürstin unter dem Beistande von sechs erwählten Mannen (Regentschafts= oder Landräthen) die Regierung führen sollte 1 ).

Aber auch jetzt gelangte das Land nicht zu dauerndem Frieden. Der Fürst Johann leistete seinen werleschen Vettern, den vom Fürsten Heinrich hinterlassenen Weisungen folgend, Beistand in einer Fehde mit Brandenburg. Dafür fiel aber der Markgraf Otto im Bunde mit den Grafen von Schwerin und Holstein verheerend in die Herrschaft Meklenburg ein; und diese mußte, als es nach einem halben Jahre zum Frieden kam, noch Kriegskosten im Betrage von 500 Mark Silbers zahlen, die besser zur Befreiung des Landesherrn hätten verwandt werden können. Ja die Unzufriedenheit mit der Vormundschaft, die allerdings die zugeordneten Landräthe nicht immer heranzog 2 ), steigerte sich so, daß der Vogt zu


1) Die erste uns erhaltene Urkunde, welche Anastasia, Johann und Nicolaus (ohne der Räthe zu gedenken) gegeben haben, ist vom 18. Jan. 1276 (Nr. 1385), wenn nicht Nr. 1294 ins Jahr 1275 gehört. - Vgl. auch Nr. 1394. - Die Landräthe finden wir zuerst in Nr. 1431, vom 19. März 1277: "adhibito . . consilio et obtento . . consensu eorundem militum, qui tunc nobiscum statui et negociis terre disponere consueuerunt."
2) Wir finden sie nur in Nr. 1294, 1431 und 1505 (vom 2. Aug. 1279), wo aber nicht consueuerunt, sondern consueuerant steht! -Dagegen in Nr. 1394, 1488 und 1506 ist von ihrem Consens nicht (  ...  )
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 70 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Gadebusch, Ulrich von Blücher, einer jener Regentschaftsräthe, ungeachtet die Fürsten Johann und Nicolaus ihre Verwaltung und Fortführung der Vormundschaft einem Spruche von Fürsten und Herren unterwerfen wollten, im Bunde mit dem Grafen (Helmold) von Schwerin und einem Theil der Ritterschaft die Herren von Werle wieder an die Spitze der Regierung zu bringen suchte. Diese besetzten (1277) Sternberg und Gadebusch, vertrieben den Fürsten Nicolaus aus Grevesmühlen, führten von der Burg Meklenburg aus offene Fehde mit der Regierung zu Wismar und zogen im nächsten Jahre auch noch den Markgrafen Otto von Brandenburg auf ihre Seite. Erst, nachdem es im Herbst 1278 dem Fürsten Johann gelungen war, von den Feinden 80 Mann, Ritter und Knappen, gefangen zu nehmen, vermittelten benachbarte Fürsten einen Frieden, wonach die Fürsten Johann und Nicolaus die Vormünder ihrer Neffen bleiben sollten, bis diese zu ihren Jahren gekommen sein würden 1 ).

Während das Land in jenen Fehden verwüstet ward, gelangte nun nach Wismar das Gerücht, der Landesherr sei in der Gefangenschaft gestorben; und wenn auch keine Bestätigung erfolgte, so mußte jenes doch auf den Eifer für das Werk seiner Befreiung lähmend einwirken. Auch scheint trotz des neuen Vertrages die Einigkeit im Regiment nicht groß gewesen zu sein; wir finden nämlich Urkunden aus den Jahren 1279 und 1280 2 ), in denen der Fürst Johann nicht einmal der Zustimmung seiner Schwägerin gedenkt, auch nicht der ihres ältesten Prinzen, der doch damals bereits zwölfjährig, also vermuthlich schon "zu seinen Jahren" gekommen war 3 ). Wie Anastasia und ihre Söhne sich schließlich dieses


(  ...  ) die Rede, auch nicht in Nr. 1524, welche unsers Erachtens auf Grund des Originale gefälscht und vermuthlich eine Abschrift desselben ist.
1) "tutores esse debenbt puerorum, quousque uenerint ad annos discretionis." (Nr. 1382, Schluß.)
2) Meklenb. Urk.=Buch II, Nr. 1497 und 1546, und namentlich Nr. 1542. Diese eigenmächtige Bestimmung seines Oheims Johann über die Hebung des Lübischen Domcapitels aus Fahrdorf erkannte hernach Fürst Heinrich II. auch nicht an; die Sache ward erst durch einen Vergleich beigelegt. S. Bd. III, Nr. 2082. Böhlau, Landr. II, S. 330 (Anm.) scheint Nr. 1542 und 1546 nicht beachtet zu haben.
3) Nicolaus II. von Werle sagt in seiner Erbverbrüderung mit Heinrich II. von Meklenburg vom 27. Jan. 1302 (Meklenb. Urk.=Buch V, Nr. 2780): "Quamdiu dominus Hinricus Magn. - uixerit, nobis nullum in ipsa ciuitate Wismarie dominium vendicabimus nec iuridicionem; sed si prefatus patruus noster legitimos heredes genuerit -, heredum suorum tutor erimus quousque ad annos discrecionis perueniant, (  ...  )
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 71 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Vormundes entledigt haben, verbirgt sich uns insofern, als aus den Jahren 1281 und 1282 und aus der ersten Hälfte des Jahres 1283 keine einzige Urkunde vorliegt, welche uns einen Einblick in die Regierung verstattete. Nach Kirchberg versuchte Fürst Johann (wohl 1282), freilich vergeblich, Grevesmühlen durch Ueberrumpelung in seine Hand zu bringen; und erst als die mit ihm verbündeten Thüringer, Meißener, Brandenburger, Lüneburger, Lauenburger und Holsteiner bei Grambow am 7. Mai 1283 von dem jungen Fürsten Heinrich unter dem Beistande der Städter aus Wismar und Rostock in die Flucht getrieben waren, sah sich Johann gezwungen, sich zur Ruhe zu begeben 1 ). Er saß fortan zu Gadebusch; schon in dem großen Landfrieden, welchen der Herzog von Sachsen=Lauenburg und die Fürsten, Vasallen und Städte der wendischen Ostseeländer am 13. Juni 1283 zu Rostock abschlossen 2 ), wird der Fürst Johann für sich, und seine beiden Neffen werden gleichfalls für sich ge=


(  ...  ) et a natiuitate ipsorum in (!) anno duodecimo ipsos ad dominium suum restituemus." Wenn man auch zugeben will, daß "in anno duodecimo" nicht "im Laufe des 12. Jahres", sondern "nach Zurücklegung des 12. Jahres" bedeuten soll, so lasse ich doch den Schluß Böhlaus (Landr. II, S. 76, Anm. 24) aus dieser einmaligen Bestimmung: "Im 13. und 14. Jahrhundert galt als hausgesetzlicher Mündigkeits=Termin das zurückgelegte 12. Lebensjahr" - dahingestellt. Der Ausdruck "ad dominium suum restituemus" (hernach heißt es: "si dominius Nicolaus de Rozstok", der dänischer Lehnmann geworden war, "dominio suo restitutus fuerit", d. h. wenn er wieder zu voller Regierungsgewalt kommen sollte) läßt es ungewiß, was nach zurückgelegtem 12. Jahre geschehen sollte. Wenigstens Albrecht II. zählte schon etwa 18 Jahre, als er 1336 von der Vormundschaft der Mannen und Seestädte frei ward und selbstständig die Regierung übernahm (was auch Böhlau nach Lisch hervorhebt); und uns ist kein Fall bekannt, wo ein meklenburgischer Fürst nach vollendetem 12. Jahre ohne Vormundschaft regiert hätte. Uebrigens ist jener Vertrag nicht befolgt; als Heinrich II. am 21. Jan. 1329 (lange nach Nicolaus) verstarb, kamen seine Söhne, deren älterer, Albrecht, anscheinend erst im 12. Jahre stand, nicht unter die Vormundschaft werlescher Vettern, sondern der Vater hatte eine Vormundschaft aus der Ritterschaft und den Seestädten eingesetzt.
1) So nach Kirchberg, Cap. 137 (Westph. p. 780). Kirchberg setzt den Angriff Johanns auf Grevesmühlen ins Jahr 1292, läßt aber im Zusammenhang mit diesem die Schlacht bei Grambow (oder Gadebusch) folgen. Wir vermuthen, daß seine Quelle 1282 gab. Denn sicher fällt die Schlacht bei Grambow vor den 22. Febr. 1284 (Meklenb. Urk.=Buch III, 1719), und, da Korner (p. 934) und Detmar als den Tag der Schlacht den 7. Mai angeben, höchst wahrscheinlich auf den 7. Mai 1283. Wenigstens nennt keine Quelle das Jahr 1282, Korner aber 1283. Eben nach diesem Kampfe wird der Rostocker Landfriede (13. Juni 1283) geschlossen sein.
2) Meklenb. Urk.=Buch III, Nr. 1082.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 72 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

nannt, und fortan 1 ) sehen wir die Fürstin Anastasia mit ihren beiden Söhnen als "domini Magnopolenses" gemeinsam regieren, wobei selbstverständlich Heinrich mehr und mehr an die Spitze trat. Seit dem Tode seines Bruders (1289) führte der Fürst Heinrich II. ganz allein das Regiment, und zwar, da keine gewisse Nachricht von dem Tode des Vaters eingetroffen war, unter dessen Siegel fort.

Uebrigens glaubte Heinrich allerdings im Jahre 1286 schon nicht mehr, daß der Vater noch am Leben sei; er bezeichnet ihn in einer Urkunde vom 26. Juli d. J. geradezu als einen Verstorbenen 2 ). Man hatte also lange keine Kunde mehr von ihm erhalten.

Eben so wenig wird auch dem Gefangenen eine Kunde aus der Heimath zugegangen sein. Denn wenngleich Kairo der Mittelpunkt der muhammedanischen Welt war, so ward doch der Verkehr mit dem Abendlande durch die ägyptischen Seestädte vermittelt; in die Citadelle von Kairo aber gelangte vollends kaum eine Nachricht aus dem Norden Europas.

Die Begleitung des Fürsten starb, wie erwähnt, nach und nach dahin, bis auf den einen treuen Diener Bleyer. Diesem ward, wie es scheint 3 ), eine freiere Bewegung ver=


1) Zuerst 24 Juni 1283 (Meklenb. Urk.=Buch III, Nr. 1680), dann weiter Nr. 1734, 1744, 1769, 1848, 1849. Auch am 26. Juli 1286 (Nr. 1858) sagt Heinrich: "vna cum matre nostra Anastasia et fratre nostro Johanne prefate donacioni gratam voluntatem apponimus et consensum", was Böhlau, Landr. II, S. 331, übersehen hat, wenn er aus dieser Urkunde den Schluß zieht: "Der nunmehr (1286) 18jährige Heinrich II. regiert allein." Auch in Nr. 1870 vom 18. Oct. 1280 und Nr. 2023, welche nach dem 27. Mai 1289 fällt, wo es sich in beiden Fällen weder um ihr Leibgedinge (Pöl) noch um ihre Privatverbindlichkeiten handelt, wird die Zustimmung der Fürstin Anastasia erwähnt. Abgesehen von Nr. 2042 (und 2043) und 2057 (wozu Anastasiens Urkunde Nr. 2059 ergänzend tritt) ist die erste uns erhaltene Urkunde, in welcher Heinrich nicht mehr des Consenses seiner Mutter gedenkt, Nr. 2082, vom 11. Sept. 1290 datirt. Die Regierung für einen Fürsten, der durch Gefangenschaft im Auslande dauernd an der Landesverwaltung behindert ward, war ein außerordentlicher Fall, auf den sich die sonst bei einer Vormundschaft üblichen Normen nicht stricte anwenden ließen. Daraus erklären sich auch die Besorgnisse wegen der Gültigkeit der Regierungshandlungen, welche das Kloster Rehna 1286 (Nr. 1870) und das Domcapitel zu Lübek 1289 (Nr. 2023) bestimmten, Consense der ganzen fürstlichen Familie einzuholen.
2) Meklenb. Urk.=Buch II, Nr. 1858: "Hinrici, patris nostri felicis recordacionis." - In der Urkunde vom 6. Aug. 1279 (Nr. 1506) wird Heinrich unter den verstorbenen Mitgliedern des Fürstenhauses nicht mit aufgeführt.
3) Die Chronik Albrechts meldet: "Desoldan de gafeme" (Heinrich 1298) och weder sinen knapen - Martin Bleyer".
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 73 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

gönnt. Er lernte in Kairo die dort blühende Kunst der Seidenweberei, und mit dem Ertrage seiner Thätigkeit unterstützte er seinen fürstlichen Herrn. Uebrigens war wohl auch Heinrichs Haft keine so strenge, daß er auf den Kerker beschränkt war; denn er ward allmählich unter den Muhammedanern eine sehr bekannte Persönlichkeit; "man sagte überall im Lande, daß er heilig wäre", berichtet uns die Chronik Albrechts. Entlassen ward er freilich ohne Lösegeld doch nicht.

Seiner Befreiung durch Loskauf wären aber, wie schon bemerkt ist, die politischen Verhältnisse im Orient lange Zeit hindurch günstig gewesen. Denn vorübergehende Reibungen abgerechnet, hielten die christlichen Gewalthaber, da ihnen nur schwache Unterstützungen und wenig streitbare Pilger aus dem Abendlande zugingen, und der Sultan, weil ihm die Mongolen zu schaffen machten (und vielleicht auch, weil er den angestrengten Bemühungen des Papstes Gregor X. um einen neuen Kreuzzug keinen Vorschub leisten wollte), den Frieden; über Akkon hätte man wohl des meklenburgischen Fürsten Freilassung erwirken können.

Als Bibars 1277 starb, folgte ihm zunächst sein Sohn Malek as Said Berkeh, ein unbesonnener Jüngling; aber nach zwei Jahren ward er von seinen Emirs in der Citadelle von Kairo belagert und abgesetzt, und wenige Monate später verdrängte den jüngeren Sohn des Bibars, einen Knaben, dessen Atabek, der kühne Emir Saifeddin Kalavun. Noch einmal schien den syrischen Christen die Gelegenheit sich zu erheben günstig. Sie verbanden sich mit den Mongolen. Diese fielen in Syrien ein, und in Damaskus hatte sich ein Gegner Kalavuns zum Sultan aufgeworfen. Aber Kalavun besiegte die Mongolen in einer bedeutenden Schlacht 1281. Da mußten die Christen froh sein, daß er mit ihnen die Verträge erneuerte.

Und doch konnten sie nicht Frieden halten! Die Johanniter reizten den Sultan und verloren dadurch 1285 die starke Feste Markab. Zornig nöthigte er den Fürsten Boemund, der weniger schuldig war, ihm die Seefeste Marakia zerstören zu helfen, und er fand 1287 einen Vorwand diesem sogar die stark befestigte Seestadt Laodicea zu nehmen. Immer deutlicher trat seine Absicht hervor, alle christlichen Plätze in Syrien, wie die Muhammedaner es wünschten, nach und nach in seine Gewalt zu bringen.

Unter solchen Umständen mußte allerdings dem Fürsten von Meklenburg auch die letzte Hoffnung auf Heimkehr

Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 74 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

schwinden. Und doch war um diese Zeit seine Befreiung wahrscheinlicher als je vorher während der 15 Jahre seiner Gefangenschaft.

Nämlich 1287 erhielt seine Gemahlin, wir wissen nicht, auf welchem Wege, sichere Kunde davon, daß Heinrich am Leben und in Kairo sei. Sie und ihre beiden Söhne unterließen nun nichts um ihn zu befreien, und die Nachbarstadt Lübek und der Deutsche Orden Waren zu Diensten gern bereit. Am 10. Decbr. 1287 erschien die Fürstin Anastasia mit ihren beiden Söhnen Heinrich und Johann selbst zu Lübek; sie verpflichteten sich dort urkundlich, den Brüdern vom Deutschen Hause zu Akkon für allen Schaden zu stehen, den diese an 2000 Mark Silbers bis nach der Befreiung ihres Herrn und Vaters und bis zum Eingange dieser Summe in Mecheln erleiden könnten. Und drei Tage später bescheinigte die Stadt Lübek jene Summe empfangen zu haben, unter der Verpflichtung, solche auf Ostern 1288 an den Deutschordensmeister auszuzahlen 1 ).

Also bis Ostern 1288 hoffte man das Befreiungswerk vollführt zu sehen. Aber dies Jahr verstrich vergebens; auch 1289 erschien der Fürst nicht. Und im Spätherbste, während Anastasia noch den Tod ihres am 27. Mai 1289 auf einer Fahrt von Wismar nach Pöl ertrunkenen jüngeren Sohnes betrauerte, lief ein Brief aus Akkon zu Lübek ein, worin unter dem 14. August der Präceptor des Deutschordens, Wirich von Homberg, und das ganze Capitel des Hospitals zu Akkon den Rath der Stadt Lübek anwiesen, der Fürstin Anastasia und ihren Söhnen jene 2000 Mark Silbers zurückzahlen, "weil einstweilen leider keine Hoffnung vorhanden sei, daß der edle Herr Heinrich von Meklenburg aus den Fesseln der Saracenen freigekauft werde, bis es Gott in seiner Barmherzigkeit gefalle, andere Mittel und Wege zu seiner Befreiung zu eröffnen 2 ).

Bald hernach, als Mitte Decembers 1289 der junge Fürst Heinrich II. zu Erfurt den König Rudolf von Habsburg begrüßte, traf er hier, wohl auf Verabredung, den Hochmeister des Deutschordens, Burchard von Schwanden, und empfing von diesem (außer einer neuen Anweisung für die Stadt Lübek, jene 2000 Mark Silbers zurückzuzahlen) als theure Reliquien die Kostbarkeiten, welche der Vater bei dem Antritte der verhängnißvollen Pilgerfahrt zu Akkon im Ordens=


1) Meklenb. Urk.=Buch III, Nr. 1934 u. 1935.
2) Meklenb. Urk.=Buch III, Nr. 2030.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 75 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

hause zurückgelassen hatte: eine goldene Spange, 2 Gürtel, 2 silberne Kannen und einen in 4 Theile zerlegten (silbernen) Becher 1 ). Damals gab der junge Fürst noch der Hoffnung Ausdruck, daß, wenn Gott Gnade gäbe, sein Vater noch einmal wieder aus den Fesseln der Saracenen befreiet werden möchte. späterhin aber begegnen wir ähnlichen Spuren von Hoffnung nicht mehr. In der That nahmen auch die Angelegenheiten der syrischen Christen bald einen Verlauf, der dem Fürsten jede Aussicht auf die Rückkehr seines Vaters raubte.
Wirich von Homberg hatte den oben erwähnten Brief zu Akkon unter dem schmerzlichen Eindruck geschrieben, den Kalavuns letzter Zug nach Syrien hinterlassen mußte. Längst war nämlich dessen Auge auf die schöne und feste Stadt Tripolis gerichtet gewesen, im Frühling 1289 aber lockte ihn ein ungetreuer Diener der Fürstin Lucia selbst herbei. Wiewohl die Christen dieses Mal in richtiger Würdigung der Gefahr einig waren und alle treuen Beistand leisteten, fiel doch nach tapferster Vertheidigung Tripolis am 27. April 1289; es ward von dem Sultan geplündert und dem Erdboden gleich gemacht 2 ). - In diesem Ereigniß ahnten nun Viele nur ein Vorspiel dessen, was Akkon zu erwarten hatte. Schon wanderten fortan manche Christen von hier nach Europa aus; aber nur sehr wenig neue Verteidiger fanden sich in der bedroheten Stadt ein. Dazu kam, daß die Machthaber dort bald wieder uneins wurden und auch nicht die durch die Verhältnisse gebotene Klugheit bewiesen. Als der Sultan für vielleicht von Saracenen provocirte Friedens=


1) Meklenb. Urk.=Buch III, 2042 u. 2043. - Eine sonderbare Entstellung des Sachverhalts finden wir bei Kirchberg Cap. 134 (p. 774). Er schreibt von Heinrich dem Pilger:
         Da (zu Akkon) liez her alle syne ubirmaz
dy her hatte von gelde,
         czwey tusint guldene ich melde,
by eyme creditor zumal,
         dem in dy konigynne beual.
Daz gelt liez holen sidder
         syn son, her Hinrich, widder
vnd virczerte ys uf der vart
         zu Erforte, da her rittir wart,
by czid des Romischen koniges da,
         den man Rudolf nante ja.
- Die Quittungen, welche Heinrich II. am 20. Jan. und Anastasia am 1. Febr. 1290 der Stadt Lübek über die Rückzahlung jener 2000 Mark Silbers ausstellten, s. M. U.=B. Nr. 2057 und 2059.[Absatzende]
2) Wilken VII, S. 699 f.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 76 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Verletzungen Einzelner Genugthuung forderte, schlug man ihm dieselbe ab. Da brach er im October 1290 zur Zerstörung der unglücklichen Stadt aus Kairo aus. Ihn selbst ereilte nun freilich der Tod, noch bevor er die Grenze Aegyptens überschritt; aber sein bereits zu seinem Nachfolger bestimmter Sohn Aschraf, ein Mann von wilder Gemüthsart, brannte vor Begier, des Vaters Plan auszuführen, er wies alle Friedensunterhandlungen zurück. Wohl vertheidigten die Christen in der letzten, höchsten Gefahr Akkon aufs Mannhafteste; aber den gewaltigen Anstrengungen der Muhammedaner konnten sie auf die Dauer nicht widerstehen: nach etwa 6 Wochen ward am 18. Mai 1291 die Stadt des Sultans Beute, und nach 3 Tagen mußten auch die letzten Helden, die sich in eine Burg geworfen hatten, capituliren. Sie wurden, wie die meisten Männer, welche gefangen waren, niedergehauen (70000, nach Andern sogar 105000 Christen fanden in Akkon ihren Tod), die Weiber, die nicht entkommen waren, wurden zu Sklavinnen gemacht, die herrliche Stadt in einen Aschenhaufen verwandelt. Die Christen verließen gleichzeitig Tyrus, bald auch Sidon; ein Emir zerstörte Beirut; aus der Burg Atslits, dem Pilgerschloß und Tortosa entflohen die Christen. Ihre Ansiedelungen in Syrien hatten damit ein Ende.

Nun hörte man, seitdem der Verkehr des Abendlandes mit Syrien abgebrochen war, in Meklenburg nichts mehr von dem gefangenen Landesherrn. Zweimal erfuhr man schreckliche Täuschungen 1 ). Es erschienen nämlich nach einander zwei Betrüger, die sich für den Fürsten Heinrich den Pilger ausgaben. Des Fürsten alte Räthe Detwig von Oertzen und Heinrich von Stralendorf prüften und entlarvten sie jedoch; der eine ward in der Stepenitz bei der Börzower Mühle ersäuft, der andere zu Sternberg verbrannt. Auf die Heimkehr des echten Pilgers rechnete man, seitdem bereits mehr als 20 Jahre verflossen waren, nicht mehr; Heinrich II. führte noch immer des Vaters Siegel und bewies sich dadurch immer noch als dessen Stellvertreter in der Regierung, aber er bezeichnet ihn in einer Urkunde vom 20. Januar 1298 als verstorben 2 ).


1) Kirchberg, Cap. 135 (p. 777).
2) Meklenb. Urk.=Buch IV, Nr. 2480: felicis memorie dominos Hinricum proauum, Johannem auum et Hinricum patrem nostrum Magnopolenses.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 77 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Und doch hatte Gott den unglücklichen Pilger nicht nur erhalten; sondern am 20. Januar 1298 war Heinrich auch bereits in Freiheit gesetzt und aus der Heimkehr ins Vaterland begriffen.

Jedoch nicht Aschraf, dem Zerstörer von Akkon, der die Zahl der Gefangenen noch erheblich mehrte, hatte der meklenburgische Fürst seine Freilassung zu verdanken. Wie Heinrich schon bis dahin in der "Bergfeste" bei Kairo manchen Wechsel im Regimente des Saracenenreiches gesehen hatte, so erfuhr er solche dort auch noch mehrere; er hat in Aegypten noch schreckliche Ereignisse erlebt. Verachtung muhammedanischer Satzungen, unnatürliche Wollust und grausame Behandlung einiger Emirs, welche sich Aschraf zu Schulden kommen ließ, machten es seinem ehrgeizigen höchsten Beamten, dem Emir Baïdara, leicht, eine Verschwörung gegen des Sultans Leben mit mehreren Emirs anzuzetteln; sie ermordeten ihn auf der Jagd im Decbr. 1293. Baïdara und die meisten Mörder traf alsbald die Strafe, sie wurden niedergemacht; Aschrafs Bruder Nâser=Mohamed, noch ein Knabe, ward von den Emirs auf den Thron gesetzt, der Emir Ketboga führte die Regierung. Letzterer aber ließ seine Nebenbuhler ermorden, setzte sich im December 1294 selbst auf den Thron in der "Bergfeste" und sperrte den abgesetzten jungen Sultan daselbst in ein Gefängniß. Die Regierungszeit Ketbogas (Melik=Adel nannte er sich) war aber eine höchst traurige; Aegypten und Syrien wurden zwei Jahre lang von einer furchtbaren Theurung und Hungersnoth heimgesucht; in Kairo überstieg das Elend und die Sterblichkeit alle Vorstellung. (Damals mögen die Ersparnisse Martin Bleyers seinem fürstlichen Herrn sehr zu Statten gekommen sein.) Uebrigens entzweite sich auch Ketboga mit den Emirs; diese bildeten, während er mit seiner Armee auf dem Wege von Damaskus nach Kairo begriffen war, eine Verschwörung gegen ihn. Nur mit Mühe entkam der Sultan aus seinem Zelte nach Damaskus; sein erster Reichsbeamter, Ladjin, ward, nachdem er den Emirs hatte schwören müssen nicht zu ihrem Nachtheil seine Mamluken zu begünstigen, vom Heer als Sultan (Melik=Mansur) anerkannt (Novbr. 1296). An der Seite des Kalifen zog der neue Herrscher in Kairo ein, und an demselben Tage fielen zur Freude der Bevölkerung die Preise der Nahrungsmittel um die Hälfte; die rückständigen Steuern des ganzen Reiches hatte er schon erlassen. Auch Damaskus erkannte Melik=Mansur an; Ketboga mußte sich ergeben. Da er Treue gelobte, verschonte

Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 78 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

ihn Lagdin und Schenkte ihm ein Bergschloß; auch manche gefangene Emirs und Mamluken wurden in Freiheit gesetzt 1 ).

Ladjin war von Kalavun zum Emir erhoben; unter Aschraf war er Anfangs Statthalter zu Damaskus gewesen, aber während der Belagerung von Akkon in Folge von Angeberei unschuldiger Weise vom Sultan verhaftet, hernach freigelassen, späterhin aber, weil sein Schwiegervater in Ungnade fiel, abermals verhaftet und, nachdem dieser getödtet war, strangulirt. Da aber die Bogensehne, mit der die Erdrosselung vollzogen ward, gerissen war, hatte ihn Aschraf auf Fürbitte anderer Emirs begnadigt, weil er hoffte, Ladjin würde an den Folgen der Erdrosselung sterben 2 ). Hernach hatte Ladjin an der Ermordung Aschrafs persönlich Antheil genommen, und dieser Mord peinigte fortan sein Gewissen; er erwartete, daß Mord durch Mord gesühnt werde 3 ). Und wiewohl er eine durch Milde und Gerechtigkeit ausgezeichnete Regierung führte, auch den abgesetzten Sultan Nâser=Muhammed aus der Gefangenschaft auf das Schloß Krak sandte und demselben schwur, ihm, wenn er zu seinen Jahren gekommen sein würde, die Regierung zu übergeben und sich bis dahin nur als dessen Reichsverweser zu betrachten 4 ): ist jene Befürchtung doch eingetroffen. Der Hochmuth seines übrigens thätigen und uneigennützigen ersten Reichsbeamten Mankutimur, dem der Sultan nur allzu viel Gewalt einräumte, erzeugte eine Verschwörung, welcher beide im Jahre 1299 zum Opfer fielen 5 ).

Dieser Sultan Mansur=Ladjin ist es also, unter dessen Regierung der Fürst Heinrich von Meklenburg seine Freiheit wieder gewann; und alle ältesten Berichte stimmen darin überein, daß er sie dem Sultan selbst verdankte 6 ).


1) Makrizi II, 2, p. 41 flgd.
2) Makrizi II, 1, p. 129, 134, 142, 145.
3) Makrizi II, 1, p. 153; II, 2, p. 97, 106.
4) Makrizi II, 2, p. 55.
5) Abulfeda, T. V. Makrizi p. 97: "On ne pouvait lui reprocher d'autre défaut que son excessive soumission à son mamlouk et son naib l'emir Mankoutimour, dont il suivait tous les avis et adoptait toutes les volontés -. Cette conduite causa la mort tragique de l'un et de l'autre; elle amena aussi la dévastation des provinces de l'empire, en suscitant l'invasion de Gazan.
6) Nur Alb. Krantz deutet (Wandal. VII, 45) auch die Vermuthung einer heimlichen Flucht an: "Jam enim veteres captivi minus coeperarnt custodiri. Vnde factum est, ut varia fortuna saepe et multum per itinera delitescens Romam perveniret." Und Kirchbergs Erzählung erachtet er "non tam verisimilem."
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 79 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Ueber die Veranlassung aber giebt nur Kirchberg einen Bericht, und zwar (Cap. 134) ausdrücklich unter Berufung auf die umlaufende Sage.

Nach dieser meklenburgischen Sage war Ladjin ein Renegat und offenbarte sich als solcher dem Fürsten Heinrich, als er am Abend vor Weihnachten (1297) zu demselben in den Kerker trat und ihn fragte, ob er ihn zu Ehren seines Schöpfers an dessen Geburtstag in Freiheit setzen solle. Heinrich lehnte Anfangs solches Geschenk ab, weil er daheim die Seinen doch wohl nicht mehr am Leben und sein Land in fremden Händen finden würde. Der Sultan aber flößte seinem Gefangenen Muth ein, indem er ihm mittheilte, er habe gehört, daß seine Gemahlin noch lebe und sein Sohn regiere. Unter dem Siegel der Verschwiegenheit gab sich darauf Ladjin zu erkennen als ein vormaliger Diener des Fürsten Johann von Meklenburg; noch jung sei er zu Riga dessen Geschützmeister 1 ) gewesen und habe dort auch seinen jetzigen Gefangenen selbst gesehen. Später - so erzählte er weiter - sei er "zu dem keisyr von Tartarye" gezogen, habe sich in dessen Dienst "lange czid" aufgehalten und allmählich emporgeschwungen, und sei nun zuletzt Sultan von Aegypten geworden. Jetzt bat ihn der Gefangene, ihn mit seinem Diener nach Akkon zu entlassen, wo er Kaufleute zu finden hoffe, die sie in ihre Heimath mitnehmen möchten. Am Weihnachtstage ward Heinrich mit reichen Gaben in Gesellschaft Martin Bleyers nach Akkon entsandt.

So die Sage. Der Schluß ist aber ersichtlich unhistorisch; denn Akkon lag ja in Trümmern. Wohl hielten dort 60 bis 80 Söldner Wache, welche gegen deutsche Pilger, die dahin kamen und an ihrem Gange erkannt wurden, sich freundlich betrugen, ihnen sicheres Geleite gaben und mit denselben trotz des Verbotes im Koran Wein tranken 2 ); aber Heinrich konnte dort doch keinen Schuldner mehr finden, bei dem er vor 27 Jahren Geld niedergelegt hatte, und der, wie Kirchberg weiter meldet, sich dessen nicht mehr entsann, aber den Fürsten nun doch gastlich ausnahm und ihm ein Schiff ausrüstete. Wir können auch sofort in das Gebiet der Erfindung verweisen, was die Sage weiter meldet, daß nämlich Heinrich auf dem Meere abermals von Saracenen gefangen genommen und dem Sultan wieder zugeführt, von diesem


1) "Ich waz dyn wergmeystir, da du da weris zu Riga; armburst hantwerk wol ich kunde recht berichten" -.
2) Chron. ord. eq. Teuton., p. 763, bei Wilken VII, 771.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 80 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

aber zum zweiten Male reichlich beschenkt entlassen sei und dann unterwegs seine Tanten, die Königinnen von Cypern und Marsilien, besucht habe.

Indessen, so unglaublich die ganze Sage klingt, dürfen wir uns, da sagen meistens einen historischen Kern bergen, einer Prüfung ihres Inhaltes und der Frage nach ihrer Entstehung nicht entziehen.

Glücklicher Weise hat uns Kirchbergs jüngerer Zeitgenosse, der von uns oft angezogene ägyptische Geschichtschreiber Makrizi (geb. 1364 zu Kairo) 1 ) aus dem Schatze seiner sehr umfänglichen biographischen Forschungen auch genügende Personalien über den Sultan Ladjin mitgetheilt, welche uns in den Stand setzen, jene ganze Sage zu widerlegen.

Ladjin zählte bei seiner Ermordung im J. 1299 erst etwa 50 Jahre 2 ), er ist also um 1249 geboren; und er war schon Mamluk in Aegypten in einem Alter von etwa 10 Jahren. Denn als 1259 der Sultan Melik=Mansur (Sohn des Melik=Moezz=Aïbek) abgesetzt und mit seinem Bruder und seiner Mutter von dem neuen Sultan Kotuz in das griechische Kaiserthum verbannt war, ward unter andern seiner zurückgebliebenen Mamluken der "kleine Ladjin" an den Emir Kalavun verkauft. Der neue Herr gewann "den Kleinen" (assaghir) oder den "Rothkopf" (schukaïr, er hatte röthliches Haar und blaue Augen) lieb, machte ihn Anfangs zu seinem Pagen und ließ ihn in seinem Dienste aufsteigen; und als Kalavun hernach (1277) Sultan geworden war, erhob er Ladjin, wie bereits erzählt ist, zum Emir und zum Gouverneur (naïb) von Damaskus 3 ). Die weiteren Schicksale Ladjins sind schon oben kurz erwähnt. Daß er ein heimlicher Christ gewesen sei oder den Islam vernachlässigt habe, wirft ihm nicht einmal sein entschiedener Gegner Abulfeda vor. In seiner Jugend war er dem Weine ergeben gewesen; später verabscheute er Wein und Spiel, lebte äußerst mäßig, fastete und betete, wie es der Koran vorschreibt, und fand in reichen Spenden von Almosen seine Freude; Gerechtigkeit und Billigkeit erwarben ihm allgemeine Liebe 4 ). Als er nach der oben erwähnten Strangulirung in einer verfallenen Moschee (von


1) S. Quatremère, Vorrede zu seiner Uebersetzung I, 1, p. II flgd.
2) Makrizi II, 2, p. 97: Au moment de sa morte tragique, le prince etait àge d'environ cinquante ans. Il était roux, avait des yeux bleus, le visage marqué de veines. Il était d'une grande taille, avait un aspect imposant.
3) Makrizi II, 2, p. 40.
4) Makrizi II, 2 p. 53, 97, 102, 103, 114.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 81 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Tulun) eine Zuflucht gefunden hatte, gelobte er, sie, wenn er am Leben bliebe, dereinst wieder aufzubauen, und er hat als Sultan das Gelübde erfüllt. Er gründete daneben eine große Akademie, welche fast ausschließlich der Auslegung des Korans und der Traditionen des Propheten, sowie des muhammedanischen Rechts für alle vier orthodoxen Secten dienen sollte, und eine Freischule, wo Waisen den Koran lesen lernten 1 ). Von einer geheimen Hinneigung Ladjins zum Christenthum wissen aber die arabischen Schriftsteller leider nichts.

Entsprang denn jene Sage, welche uns Kirchberg aufgezeichnet hat, aus einer dunklen Kunde von der Milde des Sultans Ladjin? Vielleicht dürften wir aus seinem Charakter, aus seiner Milde und seiner Zuneigung zu tugendhaften Menschen, welche ihm besonders nachgerühmt wird 2 ), ohne Weiteres uns den Gnadenact gegen einen gefangenen Fürsten, den man in Aegypten für einen Heiligen ansah, und von dem auch längst kein Lösegeld mehr zu erwarten war, hinlänglich erklären. Eine Veranlassung dazu war leicht gefunden; wahrscheinlich aber war es folgende.

Der Sultan Mansur=Ladjin verletzte sich im Herbste 1297 schwer die Hand, und mußte daher zwei Monate lang in seinem Palaste verweilen. Als er dann am 21. Tage des Monats Safar (= 7. Decbr.) zum ersten Male aus der Burg auf den Meïdan hinabritt, fand er Kairo und Misr (Fostat) prächtig geschmückt, Häuser und Läden wurden an Schauluftige theuer vermiethet: so groß war die Freude über die Genesung des überaus beliebten Herrschers. "Bei seiner Rückkehr vom Meïdan," erzählt Makrizi, "bekleidete dieser Fürst die Emirs mit Ehrengewändern, theilte Almosen an die Armen aus und setzte mehrere Gefangene in Freiheit 3 )."

Dieser Erzählung des ägyptischen Geschichtschreibers glauben wir eine große Wichtigkeit für unser Thema beilegen zu müssen. Denn wenngleich Makrizi leider die Gefangenen, welche der Sultan mit der Freiheit beschenkte, nicht namhaft macht, so wagen wir doch die Vermuthung, daß sich unter ihnen der, wie wir wissen, in Kairo und weiter wohl bekannte und für heilig gehaltene Fürst von Meklenburg


1) Marai bei Reiske zum Abulfeda V, p. 407; Makrizi II, 2, 46-49.
2) Makrizi II, 2, p. 97: il aimait la iustice, montrait de l'inclination pour tout ce qui était bien, chérissait les hommes vertueux, et était d'un commerce aimable.
3) II, 2, p. 54: et mit en liberté plusieurs prisonniers.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 82 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

befand. Immerhin stimmt die Zeit sehr gut. Die Vorbereitungen zur Reise konnten einige Wochen in Anspruch nehmen, die Abreise von Kairo Weihnachten erfolgen; damit möchte auch die Einmischung dieses Festes in die Sage ihre Erklärung finden.

Allem Ansehen nach hatte der Sultan zu solchem Gnadenacte aber auch noch einen besonderen Beweggrund, den uns eine gelegentliche Aeußerung in der Chronik Albrechts von Bardewik enthüllt.

In dieser wird nämlich zunächst nur die Freilassung mit kurzen Worten berichtet: "Der Sultan gab ihn ledig und los der Gefangenschaft von wegen seiner Trefflichkeit (ghode); denn man sagte im ganzen Lande, daß er (Fürst Heinrich) heilig wäre. Und der Sultan gab ihm auch seinen Knappen wieder, der mit ihm über See gefangen genommen ward, der heißt Martin Bleyer. Der Sultan über See ließ dem Herrn von Meklenburg Guts genug geben." - Hernach aber erfahren wir, daß der Sultan dem Fürsten eine - leider nicht näher bestimmte - Botschaft an den Papst auftrug; und eben hierin ist vielleicht das vornehmste Motiv Ladjins bei der Freilassung seines Gefangenen zu suchen.

Möglicher Weise entsprang aber auch aus der dunklen Kunde von der Botschaft des Sultans an den Papst und an die Ueberlieferung, daß die Reliquie vom Heil. Kreuz, welche der Fürst mit heimgebracht haben soll, ein Geschenk des Sultans gewesen sei, die ganze Sage von Ladjins heimlichem Christenthum, die dann bis auf Kirchbergs Zeit eine sehr ausgebildete Gestalt gewonnen hatte, hernach aber noch dahin erweitert ist, daß der Sultan "eines Müllers Sohn aus Gadebusch" gewesen sei, was selbst David Franck "so gar unglaublich nicht" fand, obwohl er sich im Gegensatz zu Latomus mehr zu Krantzens Meinung von heimliche Flucht hinneigte 1 ). -

Begleiten wir jetzt den Fürsten Heinrich auf seiner Heimfahrt nach etwa 26 und einem halben Jahre, von denen er fast volle 26 Jahre in der Gefangenschaft verlebt hatte!

"De soldan van over mere," so berichtet uns die Chronik des Kanzlers Albrecht, "de leyt gheven deme heren "van Mekelenborch rede ghut. Darmede quam he by "dessyt des meres an de prinsinnen van der Moreyen.


1) Latomus, Genealochron. bei Westph. IV, p. 263. - Franck, A. u. N. M. V, p.135.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 83 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

De leyt eme gheuen somere" (Saumthiere) "unde andere perde, dartho twe bunter cleidere und rede ghut an groten Tornoysen tho pantquerttinghe" (zum Reisebedarf); aldus untfench de prinsinne den edelen man an groter werdicheyt unde myt innygher leve. Darna karde he van dennen und nam orlof van der prinsinnen, unde he quam tho Rome."

Also nicht gerades Weges fuhr der Fürst aus einem ägyptischen Hafen nach Italien, sondern zunächst nach Morea, wo die an der Südküste belegenen venetianischen Seestädte Modon und Korone den Handel nach Aegypten vermittelten. Die Herrschaft über einen großen Theil von Morea aber führte damals, wie wir schon oben S. 55 f. erwähnten, die Erbtochter des Fürsten Wilhelm von Villehardouin, Fürstin Isabelle von Achaja, damals eben Wittwe des Florenz d'Avesnes von Hennegau, die mit ihrer einzigen Tochter, Mathilde von Hennegau, zu Andravida Hof hielt; diese also war die "Prinsinne van der Moreyen", die dem Pilger eine so freundliche Aufnahme und Unterstützung gewährte. Andravida lag Zakynthos gegenüber an der Westküste von Morea, die Ueberfahrt nach einem neapolitanischen Hafen am Ionischen Meere war von dort aus leicht auszuführen. Ob man nun aber aus Kirchbergs verwirrtem Berichte (S. 79 f.) dann weiter entnehmen darf, daß Heinrich der Pilger auf dem Wege nach Rom die damals längst verwittwete Königin Margarete von Neapel noch aufsuchte, das lassen wir dahin gestellt sein.

In Rom gelangte er, wie wir von Detmar und Albrecht hernehmen, mit seinem Diener am Freitage vor Pfingsten (am 23. Mai 1298) an. Dort traf er den Lübeker Stadtschreiber Alexander Hüne, der sich eben in Geschäften seiner Vaterstadt daselbst aufhielt; und von diesem konnte er nun endlich gewisse und ausführliche Kunde über die Schicksale seines fürstlichen Hauses und den Zustand seines Landes erfahren. Wie gespannt mag er auf dessen Mittheilungen gelauscht haben!

Da gab es dann freilich manch betrübendes Ereigniß zu erzählen. Des Fürsten einzige Tochter Liutgard war wenige Jahre nach seiner Abfahrt aus der Heimath mit dem Herzog Przemislav von Gnesen vermählt, aber neun Jahre hernach von ihrem Gemahl einer Buhlerin halber ums Leben gebracht; Heinrichs jüngerer Sohn, Johann III., war 1289 aus einer Fahrt von Wismar nach Pöl ertrunken; Heinrichs Brüder, die beiden Geistlichen Nicolaus und

Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 84 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Hermann, sowie seine Schwester, die Gräfin Elisabeth von Holstein, waren gestorben; auch seine Oheime Nicolaus von Werle und Burwin von Rostock, sowie des Letzteren Söhne waren gleich manchen andern Verwandten längst heimgegangen; sein Vetter Heinrich von Werle, dem er einst die Vormundschaft mit zugedacht hatte, war sogar von seinen Söhnen ermordet! Mancher Krieg hatte das Land durchtobt. Aber des Fürsten Gemahlin Anastasia war noch am Leben; ihr Sohn Heinrich II. führte das Regiment mit kräftiger Hand und lebte seit 6 Jahren in einer glücklichen (wenngleich mit keinem Sohne gesegneten) Ehe mit Beatrix von Brandenburg.

Durch Hünes Beihülfe gelang es auch dem Pilger, schon am ersten Pfingsttage (25. Mai) eine Audienz beim Papste Bonifacius VIII. zu erlangen. Der Papst empfing ihn sehr herzlich, hörte seine Botschaft vom Sultan Ladjin mit Aufmerksamkeit an, verkündete dem frommen Dulder die Vergebung seiner Sünden und entließ ihn mit seinem apostolischen Segen.

Von Rom aus schlug der Fürst von Meklenburg den Landweg über die Alpen nach Deutschland ein; ohne Zweifel ging er über den Brenner durch Baiern, Franken und Thüringen. Denn er besuchte hier (nach Kirchberg) seine mütterlichen Verwandten, die Grafen von Henneberg. Sein weiterer Weg führte ihn nach Magdeburg, wo der Rath ihn gastlich aufnahm. Wollte er von hier aus auf der kürzesten Straße in seine Heimath, nach Wismar, zurück kehren, so hatte er sich nach Dömitz oder Grabow zu wenden, welche Städte damals beide zur Grafschaft Danneberg gehörten 1 ).


1) Nach Detmars Bericht kam Heinrich der Pilger am Bartholomäustage (24. August) 1298 wieder ins Land, und zwar, mit Unterstützung eines Fürsten, zunächst nach Lübek; er Ward hier feierlich empfangen zog nun in sein Land und weiter in das Lager vor Glaisin. Dieser Bericht ist aber unglaubwürdig in sich; Detmar verwechselt die Reihenfolge der Begebenheiten. Den Besuch zu Lübek machte der Fürst nach Albrechts sehr zuverlässiger Chronik erst später (von Wismar aus); davon aber, daß er 1298 zweimal in Lübek gewesen sei, weiß keine Quelle etwas. Kirchbergs Angaben sind mit denen Detmars unvereinbar; denn von Magdeburg aus wird der Fürst doch nicht an Glaisin und an Meklenburg vorüber nach Lübek gezogen sein? Daß er aber Magdeburg berührt hat, kann nicht bezweifelt werden, da Kirchberg von hier an den Angaben eines Augenzeugen folgt, jenes Magdeburgischen Chorschülers Berthold von Weimar, der sich dort eben dem Fürsten anschloß. S. oben S. 45.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 85 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Dort aber, zu Dömitz oder zu Grabow, konnte ihm die Nachricht nicht entgehen, daß die den beiden Städten nahe gelegene Burg Glaisin durch seinen Sohn Heinrich II. und seinen Bruder Johann von Gadebusch, die Herzoge von Sachsen=Lauenburg, brandenburgische und lübische Mannschaften belagert ward; es galt, an den Vertheidigern der Burg, Hermann und Eckhard Rieben und deren Genossen, die Strafe für schweren Landfriedensbruch zu vollstrecken.

In das Lager vor Glaisin sandte also der heimkehrende Fürst die Botschaft von seiner bevorstehenden Ankunft voraus.

Aber durfte man solcher Meldung Glauben schenken, da man schon zweimal so schrecklich getäuscht war? Natürlich erregte die Botschaft am meisten den Sohn des Pilgers, Heinrich II. Dieser hatte, als vor 27 Jahren der Vater von ihm zog, erst drei Jahre gezählt; ihm schwebte, wenn überall noch eine einigermaßen klare Erinnerung von dem Vater, nur das Bild eines Mannes in voller Kraft (von kaum 40 Jahren!) vor; er konnte also nicht selbst die Aufgabe übernehmen, die Echtheit des neuen Ankömmlings zu prüfen. Darum eilte er sofort nach Wismar, setzte die Mutter von dem Vorfall in Kenntniß und brachte die alten Räthe, welche früher die beiden Betrüger entlarvt hatten, Detwig von Oertzen und Heino von Stralendorf, mit sich ins Lager vor Glaisin 1 ). Auch die erkannten an seiner Gestalt ihren alten Herrn nicht wieder, so "verzehrt" war sein Körper; aber aus den Antworten, welcher der Pilger aus ihre Fragen gab, überzeugten sie sich, daß es der alte Fürst Heinrich war. Jetzt erst konnte man sich der vollen Freude hingeben. Die Fürstin Anastasia, hievon benachrichtigt, kam ihrem Gemahl, der den kürzesten Weg nach Wismar durch die Grafschaft Schwerin einschlug, bis an die Grenze der Herrschaft Meklenburg, bis Hohen Vicheln, entgegen. So unkenntlich Andern seine Erscheinung gewesen war, das Auge der Gemahlin erkannte an gewissen Wahrzeichen den Eheherrn sogleich wieder 2 ).

Staunen und Jubel ging durch das Land; Wismar bereitete dem alten Landesherrn einen feierlichen Empfang. Am Tage Pantaleons 3 ), am 28. Juli, traf er dort ein; das


1) Kirchberg, Cap. 135.
2) Kirchberg, Cap. 135; Detmar z. J. 1298.
3) Latomus bei Westphalen, Monum. ined. IV, p. 262: "Desselbigen Jahrs ist auch der 26 Jahr gefangen gehaltene Herr von Meckelnburg Henricus am Tag des Martyrers Pantaleonis, welcher (  ...  )
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 86 zur ersten Seite zur vorherigen Seite

Holz des heiligen Kreuzes, welches er mitgebracht hatte, in den Händen tragend, soll er in großer Procession von den Bürgern und der Geistlichkeit in die Marienkirche zu einem Te Deum geleitet sein und die eine Hälfte der Reliquie an das Franciscaner=Kloster zu Wismar, die andere an das Kloster Doberan geschenkt haben.

Nachdem der Fürst von Allen begrüßt, Alles, was ihm in den 27 Jahren seiner Abwesenheit aus Meklenburg widerfahren war, und Alles, was sich unterdessen daheim ereignet hatte, ausgetauscht, auch die Anstrengungen der Reise einigermaßen überwunden waren: da machte er - am 24. August vermuthlich (dem Datum Detmars) - der Nachbarstadt Lübek, welche sich einst so eifrig, wenngleich erfolglos, um seine Befreiung bemühet hatte, einen Besuch. Sobald sie seine Annäherung vernahmen, ritten ihm Rathsherren und Bürger "mit Schalle" entgegen; sie empfingen ihn mit dem Gesange: "Justum deduxit Dominus" und mit andern Ehren und sandten ihm zum Willkommen reiche Geschenke.

"Während der Herr von Meklenburg zu Lübek verweilte", so schließt die Chronik Albrechts ihren Bericht, "da starb sein treuer Dienstknecht, der mit ihm über Meer gefangen war, Martin Bleyer; und er ist zu Wismar begraben. Also nimmt die Märe ein Ende."

 

Ornament

(  ...  ) ist der 28. tag Julii, wiederumb zur Wismar ankommen, und hat mit grosser stattlicher Procession der Statt und Clerisey, das holtz des heiligen Creutzes, so ihm der Soldan verehret hatte, in den händen getragen. Da haben die Clerici in St. Marien=Kirche, dahin Er geführet, mit großen Freuden gesungen Te Deum laudamus etc. Die helffte des heiligen Creutzholtzes hat Er den Brüdern des Franciscaner=Closters daselbst, die ihn mit den heiligen Creutz für seinem Wegzug gezeichnet, und gesegnet hatten, die andere helffte aber denen zu Dobbran verehret. Wism. Urk." - Latomus bezeichnet mit dem Ausdruck "Wism. Urk." überhaupt eine alte Aufzeichnung in weiterem Sinne (vgl. p. 244 mit Meklenb. Urk.=Buch II, Nr. 1382), und hier ohne Zweifel, wie schon vorher (s. oben S. 63), die abschriftlich im Kirchenbuche des grauen Klosters erhaltene Inschrift auf einer Tafel im Chor; was man schon daraus ersieht, daß er wie diese (Meklenb. Jahrb. VI, S. 100) das unrichtige Jahr 1299 giebt. Man könnte aus Latomus die Abschrift ergänzen. Aus der Tradition, daß der Fürst die Reliquie "vom Sultan", d. h. aus Aegypten "mitgebracht habe", entwickelte sich leicht die Sage, daß er sie vom Sultan selbst zum Geschenk erhalten habe.