zurück zur Metadatenansicht auf dem Dokumentenserver
zurück
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen [ Seite 101 ] zur nächsten Seite zur letzen Seite
Dokument dauerhaft verlinken Dokument im gesamten Band öffnen Metadaten auf dem Dokumentenserver anzeigen

XII.

Ueber

Weise Regeln für die Stadtobrigkeiten

in

dem Stadtbuche von Ribnitz.

Von

Dr. G. C. F. Lisch.


In den Jahrbüchern XXVII, S. 278, sind zwölf "Weise Regeln" für die Stadtobrigkeiten in niederdeutschen Reimen mitgetheilt, welche in das bald nach dem großen Brande der Stadt Ribnitz im Jahre 1455 angelegte Stadtbuch sicher gleichzeitig im Jahre 1456 eingetragen sind.

Es ist nun von großem Interesse, daß sich diese Regeln in lateinischen Hexametern auch auf einer Steintafel vom Jahre 1491 im Eingang der oberen Rathhaushalle des Rathhauses zu Bremen über einer der Thüren angebracht finden; diese sind vom Dr. Ehmck in den "Denkmalen der Geschichte und Kunst der freien Hansestadt Bremen", Heft I, 1862, S. 28 flgd. und Taf. III, veröffentlicht.

Ich theile beide Inschriften zur Vergleichung hier mit:

Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 102 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

I. Plattdeutsche Regeln in Ribnitz von 1456.

Bistu Stad Rêghementes man,
Twelff artikel sêe merklik an:

  1. Eyndracht mâek den bo e rgern dyn,
  2. Meyne best schalt erste syn,
  3. Vorhô e ge de wîsen in gûder vârt,
  4. Der stad ingeld sy wol bewârt,
  5. Ke e rt tôm besten an gûder grund,
  6. Dyn nâber sy dyn vnd du syn vrund,
  7. Bescherme dat recht an gûder acht,
  8. De arme sy lyk dem rîken betracht,
  9. Ghût ghesette hold wol by macht,
  10. Legh aff, is ichtswat quâ e ds bedacht,
  11. e d landesheren heren blyuen,
  12. Hold, wat wîse meister beschrîuen:

Welk stad nicht desse stucke hâ e t,
De zelden zunder zorge stâ e t.

II. Lateinische Regeln in Bremen von 1491.

Urbis si fueris rector, duodena notabis:

  1. Unum fac populum, 2. communem respice fructum,
  2. Vim des expertis, 4. serventur redditus urbis,
  3. Crescat et in melius, 6. tibi sit vicinus amicus,
  4. Aequum protege ius, 8. et stet par diis et egenis,
  5. Et statuta bona tene, 10. pravaque repelle,
  6. Et dominum cole, 12. dicta tene sapientum:

Urbsque si caret his, raro fulget sine curis.
Alteram partem audite.
1491.

Es läßt sich nicht bezweifeln, daß beide Texte dem Sinn nach vollkommen übereinstimmen, und daß der eine aus dem andern geflossen sein muß. Nur in der 11. Regel weichen beide wesentlich von einander ab. Der lateinische Text hat: 11. Dominum cole = Verehre den Herrn. Dies soll sich nach den mittelalterlichen Geltungen der Worte ohne Zweifel auf die Verehrung Gottes beziehen, um so sicherer, als die Weisen Regeln ohne die Empfehlung dieser Tugend nicht vollständig sein würden. Die ribnitzer Bearbeitung bezieht diese Worte mit schönem Ausdruck auf die Herrschaft der Landesherren: Lâ e d landesheren heren blyuen, wohl sicher mit Rücksicht auf die demokratischen Bewegungen in den wendischen Hansestädten in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts.

Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 103 zur ersten Seite zur vorherigen Seite

Es ist die Frage, welcher Text die Quelle ist. Der Herr Dr. Ehmck in Bremen hat gegen mich in freundlicher brieflicher Mittheilung die Ansicht ausgesprochen, daß er den ribnitzer plattdeutschen Text für die Quelle und den bremer Text für eine Uebersetzung von jenem halte, da die höchst charakteristische Umwandlung der Verehrung des Landesherrn in die Verehrung Gottes, für eine zur Reichsunmittelbarkeit aufstrebende Stadt, die den Landesherrn vergessen machen wolle, näher liege, als umgekehrt die Umwandlung des allgemein herrschenden und bekannten Ausdrucks für Gottesverehrung (dominum cole) in die Ehrfurcht vor dem Landesherrn. Derselben Ansicht ist auch E. H. Meyer, welcher die bremischen Sprüche in dem Bremischen Jahrbuch für Bremische Geschichte und Alterthümer, Band I, 1864, wiederholt und bespricht.

Ich glaube jedoch, daß der lateinische Text der Urtext ist, da die plattdeutsche Uebersetzung so breit und behaglich ist, daß ein lateinischer Uebersetzer ihn schwerlich so kurz gefaßt haben würde, auch manche Redensarten und Wendungen für einen plattdeutschen Text viel zu steif und gezwungen sind. Die letzte Zeile z. B.: de zelden zunder zorge stâ e t, ist rein und vollständig dem lateinischen Texte Wort für Wort nachgebildet, während ein plattdeutscher Text gewiß ganz anders gefaßt worden wäre; schon die Worte zelden und zunder scheinen nicht rein plattdeutsch, sondern aus dem Hochdeutschen verplattdeutscht zu sein, da noch heute mit hochdeutscher Aussprache selten gesprochen und für zunder (sonder) immer âne (ohne) gebraucht wird u. s. w. Auch die Redensart: desse stucke hat (statt heft) ist durchaus nicht plattdeutsch. Man würde z. B. eher gesagt haben: Welk stad nicht dusse stucke hölt, Jn not un sorgen dicke fölt. Ich glaube daher, daß der lateinische Text ein viel verbreiteter, sehr alter war, welcher in Bremen 1491 nur neu aufgelegt ward. Ist dies richtig, so kann die Zeitfolge nicht entscheidend sein.

Nach einer spätern Mittheilung des Herrn Dr. Pyl zu Greifswald findet sich der lateinische Text auch in einer Aufzeichnung über die Belagerung von Greifswald, 1412 bis 1415, im Archive der Stadt Greifswald. Der Greifswalder Text hat nur geringe Abweichungen von dem Bremer Text, welche vielleicht versehen sind. Jedoch hat der Greifswalder Text: 11. Et dominum terre cole, stimmt hierin also mit dem Ribnitzer Text überein.

 

 

Vignette