zurück zur Metadatenansicht auf dem Dokumentenserver
zurück
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 192 zur nächsten Seite zur letzen Seite
Dokument dauerhaft verlinken Dokument im gesamten Band öffnen Metadaten auf dem Dokumentenserver anzeigen

Der "Neustädter Altar"

aus der

Jacobi=Kirche zu Lübek

im Antiquarium zu Schwerin.

Von

Dr. G. C. F. Lisch.

Das großherzogliche Antiquarium besitzt einen mittelalterlichen Flügelaltar, welcher zu den vollendetsten und schönsten Kunstschöpfungen des Mittelalters in Norddeutschland gehört und in Vollendung des Styls und Sauberkeit der Arbeit viele der gleichzeitigen berühmten Werke in der Kirche zu Doberan noch übertrifft. Die Geschichte dieses Altars ist sehr bemerkenswerth und schon in den Jahrb. X, 1845, S. 318 berührt; schon damals erklärte ich den Altar für "ein Kunstwerk erster Größe von ausgezeichneter Schönheit und so großer Vollendung, daß er selten seinesgleichen finde" 1 ).

Große Brände verzehrten im J. 1725 die Stadt Grabow und im J. 1728 die Stadt Neustadt und vernichteten zugleich das Innere der Kirchen daselbst. Es ward erlaubt, zur Aufhülfe dieser Städte Geld zu sammeln. Nach Ueberlieferungen schenkten bei dieser Gelegenheit die Lübecker jeder dieser Kirchen einen alten Altar und ließen sich moderne Altäre im Zopfstyl machen. Der an die Kirche zu Neustadt geschenkte Altar ward aber, nach junger Sage, schon weil die Kirche sehr klein ist, nie aufgestellt, sondern in eine Vorhalle der Kirche gesetzt, wo er lange vielen Unbilden ausgesetzt war, aber doch glücklicher Weise in Vergessenheit gerieth. Als die Kirche im J. 1840 restaurirt ward und ich deshalb in Neustadt war, entdeckte ich den Altar, indem mich mein Weg in die damals augenblicklich sonst versperrte Kirche durch die Materialienkammer über den Altar hinweg führte, und im J. 1841 bewirkte ich die Versetzung desselben nach Schwerin, um ihn zu retten. Durch die Fürsorge des Hochseligen Großherzogs Paul Friedrich ward der Maler L. Fischer mit


1) Später hat auch Lübke den Werth dieses Kunstwerkes erkannt. Er sagt: "Im Antiquarium zu Schwerin obenan steht ein Altarwerk "aus der Kirche von Neustadt, das an Schönheit seines Gleichen vielleicht nur in dem Altarwerke von Triebsees hat." (Vgl. auch Meklenburg. Anzeigen, 1869, Nr. 96, Beilage.)
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 193 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

der Restauration beauftragt und um das Jahr 1845 damit beschäftigt, die großen Figuren und einen Theil der Gemälde zu restauriren, starb aber darüber weg. So ist der Altar noch jetzt beschaffen.

Der Altar ist ein einfacher, großer Flügelaltar. Bei der ungewöhnlichen Größe besteht aber die Mitteltafel aus zwei großen, getrennten Stücken, von denen jedes so groß ist, wie ein Flügel; diese beiden Tafeln sind dicht zusammengeschoben gewesen, so daß sie Eine Flache gebildet haben; der Altar besteht daher aus vier gleich großen Stücken und nicht aus drei, wie gewöhnlich. Jedes Stück enthält im Mittelraume 4 ganze Figuren unter sehr reichen Baldachinen. Die beiden mittelsten Figuren, welche die Krönung Mariä darstellen, bilden eine quer über die Zusammenfügung gehende, zusammenhangende Gruppe, indem auf einer Bank rechts Maria anbetend und links Christus segnend sitzt. An jeder Seite stehen zunächst 6 Apostel 1 ), an jedem Ende ein Localheiliger. Da die Figuren und die Baldachine sehr groß sind, so hat der Altar nur eine Reihe von Hauptfiguren in der Mittellinie des Ganzen. Aber so wie oben die hohen Baldachine einen großen Raum wegnehmen, so ist unten ein niedriger Streifen zu kleinen halben Heiligenbildern mit kurzen Baldachinen angewandt. Unter jeder großen ganzen Figur steht eine halbe kleinere, mit der Ausnahme, daß unter dem Mittelstücke mit der Krönung Mariä, welche 2 Figuren hat, 3 halbe Heiligenbilder stehen.

Die Wand ist in Goldgrund ausgeführt. Um das Haupt einer jeden Figur ist ein Heiligenschein, in welchen der Name des Heiligen mit großen, gotischen Buchstaben eingegraben oder eingepreßt ist. Um die Namen und die Anordnung der Figuren zu erhalten, da der Kreidegrund an vielen Stellen, namentlich unten, schon sehr lose und abgefallen ist, so gebe ich hier die Namen, so wie sie im J. 1861 noch sicher zu entziffern waren. Von den halben Figuren sind nur noch 7, welche mit gesperrter Schrift gedruckt sind, vorhanden; die übrigen 10 fehlen. Die in ( ) eingeklammerten Namen sind gänzlich verschwunden;


1) Der Altar der Kirche zu Neustadt vor dem Brande hatte auch die 12 Apostel, welche im J. 1517 geschnitzt waren; der Preis war 40 Gulden. In den Renterei=Rechnungen steht:
"XXX gulden dem Bilde Sznitzer von den XII apostelen, die zu der nyenstad gesnitzt worden, vnde myn g. h. bliben em X gulden schuldich von den apostelen, am sonabende nach fab. et sebast. 1518."
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 194 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

der Name der H. Barbara konnte nach der Figur mit Sicherheit ergänzt werden. An den zwei in der Mitte ergänzten Stellen ist weder Name noch Figur mehr vorhanden; die eine noch erhaltene Stelle hat in dem Heiligenscheine den Namen: Name die beiden fehlenden Figuren waren also wahrscheinlich auch zwei Erzengel. Die Architektur und der Goldgrund der vordem Seite des linken Flügels ist fast ganz zerstört, da diese Seite früher, vor der Ueberführung nach Schwerin, bloß gelegen hat.

Der Altar enthält also folgende Figuren und Namen, welche so stehen, daß die hier oben stehenden Figuren in der Ansicht links, die unten stehenden in der Ansicht rechts stehen, also der H. Valentin zu äußerst links, der H. Laurentius zu äußerst rechts in der Ansicht.

>Links in der Ganze Figuren Halbe Figuren
Ansicht. in der Mitte. unten.
Rechter Valentinus. Agneta.
Flügel. Simon. Ghertrudis.
Mateus. Margareta.
Matias. Aghate.
--------------- ---------------
Rechtes Jacobus major. (Barbara.)
Mittelstück. Johannes. Dorotea.
Petrus. Katerina.
Maria. (Michael.)
--------------- (Rafael.)
Linkes Christus. Ghabriel.
Mittelstück. Paulus. Johannes bapt.
Andreas. Anthonius.
Jacobus minor. Erassmus.
--------------- ---------------
Linker Bartolemeus. Laurencius.
Flügel. Tomas. Stefanus.
Philippus. Olavus.
Laurentius. Georrius.
------------ ------------

Der H. Laurentius ist wirklich zwei Male, oben und unten, vorhanden.

Die beiden Rückwände zeigen, wenn der Altar zugeklappt ist, Gemälde von großem Kunstwerthe: rechts (in der Ansicht links) das Leben Mariä in 4 Abtheilungen (die Verkündigung Mariä, die Geburt Christi, die Flucht nach Aegypten, der Tod Mariä), links (in der Ansicht rechts) die Leiden Christi eben so. Diese Gemälde gehören zu den besten mittelalterlichen Gemälden in Norddeutschland.

Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 195 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Der Altar ist nun ein altes Kunstwerk ersten Ranges, welches eine unübertreffliche Reinheit des Styls zeigt. Namentlich ist die Vorderseite meisterhaft. Die Architektur und das reiche Schnitzwerk, namentlich in den Baldachinen, ist in einer so großen Feinheit und künstlerischen Strenge durchgeführt, daß das Werk von keinem andern übertroffen wird. Besonders schön sind aber die großen Figuren, welche in so richtiger und edler Zeichnung und in so idealer Haltung angeführt sind, daß ihnen vielleicht keine andern gleichkommen. dadurch zeichnet sich eben dieses Meisterwerk vor allen andern aus, daß die Figuren für jede hoch gebildete Zeit richtig und ideal sind, ohne daß ihnen die Schwächen der Zeit der Verfertigung ankleben; sie sind weder zu lang gezogen und verdreht, wie oft die ganz alten Figuren, noch zu kurz, gedrückt und schwerfällig, wie oft die Figuren jüngerer Zeit, viel weniger in dem eckigen, hölzernen Faltenwurf, welcher so oft in der ersten Hälfte des 16. Jahrh. zu Tage tritt. Wir besitzen in dem Lübeker Altare ein Kunstwerk aus der Zeit der höchsten Blüthe und Vollendung der Gothik.

Nicht geringern Werth haben die Gemälde auf den Rückseiten der Flügel. Freilich ist die Zeichnung oft verfehlt, und das Verhältniß unrichtig und die Auffassung etwas naiv, während die geschnitzten Figuren fast vollkommen in der Zeichnung sind, aber das Gefühl und der Ausdruck in der Malerei ist so tief und innig, daß sich kaum etwas Besseres denken läßt. Namentlich ist das Gemälde des Todes der Jungfrau Maria, welches leider etwas gelitten hat, von einer unübertrefflichen Würde und Schönheit. Nicht minder ist die Technik der Malerei außerordentlich schön. Die Malerei ist ohne Zweifel ein ausgezeichnetes Werk der Schule, welche man die alte kölnische Schule zu nennen pflegt.

Die Rückwände der beiden Flügel zeigen, wenn der Altar zugeklappt ist, Gemälde von großem Kunstwerthe. Jeder Flügel ist durch zwei mit Arabesken verzierte Leisten in 4 Theile geteilt.

Der Flügel zur Rechten (in der Ansicht links) stellt Scenen aus dem Leben der Jungfrau Maria dar:

1) Die Geburt Christi. Maria und 4 Engel beten das auf dem Boden in einer Glorie liegende kleine Christkind knieend an; Joseph hält hinter Maria ein brennendes Licht; im Hintergrunde sind die Hirten sichtbar.

2) Die Anbetung der Weisen. Maria sitzt im Bette und hält das Christkind über dem Bette auf dem Arme, in Erwartung, da von den Weisen nichts zu sehen ist, oder

Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 196 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

Maria Reinigung (Purificatio Mariae), in Ruhe. Joseph und eine Frau sind mit Suppenkochen beschäftigt.

3) Die Flucht nach Aegypten; Joseph führt den Esel. 4) Der Tod Maria, von sämmtlichen Aposteln umgeben.

Der Flügel zur Linken (in der Ansicht rechts) stellt Scenen aus den Leiden Christi dar:

1) Christus betet am Oelberge vor dem Kelche.

2) Christus wird von Judas durch einen Kuß verrathen.

3) Christus wird mit Dornen gekrönt.

4) Christus wird verspottet.

Wichtig ist die Bestimmung der Zeit, in welche der Altar fallen kann. Nach der Reinheit des Styls und der vollkommenen, strengen Ausbildung der Gothik, welche noch keine mißverstandenen und übertriebenen Bildungen zeigt, gehört der Altar ohne Zweifel der Mitte der zweiten Hälfte des 14. Jahrh. an und wird um das Jahr 1360 gemacht sein. Er wird aus gleicher Zeit mit den Doberaner Chorstühlen stammen, welche derselben Zeit angehören. Einen ziemlich sichern Beweis giebt der ungewöhnlich reiche Altar in der Kirche zu Grabow 1 ), welcher nach dem Brande der Stadt im J. 1725 ebenfalls von den Lübekern dahin geschenkt ward. Die Mittelgruppe dieses Altars stellt in jüngerer Schnitzerei die Stätte Golgatha dar; hinter dieser Darstellung steht auf dem alten, weißen, nicht vergoldeten Kreidegrunde mit gleichzeitiger Schrift:

Inschrift

Dieser Altar ist aber bei weitem nicht so rein und edel, wie der Neustädter, und zeigt schon die ersten Spuren eines mehr gedrückten Styls. Wenn nun der Grabower Altar sicher im J. 1379 vollendet ist, so wird der Neustädter etwa 20 Jahre älter sein und spätestens in die Zeit 1360-1368 fallen; älter wird er aber auch nicht sein.

Nicht unrichtig ist auch die Beantwortung der Frage, aus welcher Kirche in Lübek der Altar nach Neustadt geschenkt ist. In den Jahrb. X, S. 318, ist die Vermuthung aufgestellt, daß der Altar aus der Marienkirche zu Lübek stamme, weil in der Mitte die Maria dargestellt sei und unter den Heiligenbildern sich das Bild des H. Olav finde, dessen Verehrung durch die Bergenfahrer der Marienkirche eigenthümlich sei. Diese Ansicht wird aber nicht richtig sein können, da sowohl der Hauptaltar dieser Kirche, von ähnlicher Arbeit wie der Neustädter, teilweise noch erhalten ist,


1) Vgl. die folgende Abhandlung.
Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 197 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

als auch der große Altar, welcher in der "Sängerkapelle" dieser Kirche, früher Marienkapelle, gestanden hat. Es ist vielmehr wahrscheinlicher, daß der Altar aus der Jacobikirche stammt, da hier im J. 1715 oder 1716 ein neuer Altar gebauet, also der alte zurückgesetzt ist, welcher den Leuten mit der Zeit im Wege stehen mochte. In der letzten Hälfte des 17. Jahrh. haben übrigens alle Kirchen in Lübek ihre jetzt noch stehenden, neuen Altäre erhalten. In Lübek hat sich keine Nachricht darüber auffinden lassen, wo die alten Altäre geblieben sind, und die Acten des Schweriner Archivs lassen auch gänzlich im Stich.

Hiemit stimmen auch die Heiligen überein, welche sich außerdem in der Jacobikirche fanden. In der Zeitschrift des Vereins für Lübecksche Geschichte, Bd. II, Heft 1, 1863, S. 133 flgd., hat der Herr Archivar Wehrmann zu Lübek das Verzeichniß aller Kirchenschätze abdrucken lassen, welche im J. 1530 bei der Abschaffung des katholischen Gottesdienstes aus allen Kirchen in das Archiv gebracht wurden. In diesem Verzeichnisse sind von allen Kirchen viele silberne Heiligenbilder aufgeführt; aber nur von der Jacobikirche finden sich die Localheiligen, welche auch in dem Altar stehen. Unter den 8 silbernen Heiligenbildern, welche die Jacobikirche besaß, war an 1. Stelle S. Jacobus, 2. S. Laurentius und 5. S. Valentinus, und diese Heiligenbilder finden sich, und zwar in ganzer Figur, nur auf dem Neustädter Altar wieder, auf welchem der H. Laurentius sogar 2 Male, in ganzer Figur und als Brustbild, zu finden ist. Außerdem waren 4 S. Johannes (Bapt.) und 7 S. Barbara, welche in Brustbildern in dem Altare stehen, auch in silbernen Bildern vorhanden. Vorzüglich entscheidend sind aber die Figuren des H. Laurentius und des H. Valentinus, so daß es wohl keinem Zweifel unterliegt, daß der Neustädter Altar aus der Jacobikirche zu Lübek stammt. Hiemit stimmte früher auch der Pastor Klug an der Jacobikirche überein.


Seit dem Jahre 1842 habe ich unablässig nach der Herkunft dieses Altars geforscht, weil seine Geschichte für die norddeutsche Kunstgeschichte wichtig werden kann, namentlich im Verein mit meinen gediegenen und kundigen Lübeker Freunden, habe aber nicht weiter gelangen können, als bis zu dem Ergebniß, welches ich in den vorstehenden Zeilen gefunden und bis auf den letzten Satz im J. 1861 niedergeschrieben habe. Ich bin seitdem nicht müde geworden, nach Nachrichten

Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 198 zur ersten Seite zur vorherigen Seite zur nächsten Seite zur letzen Seite

auszuschauen, jedoch vergeblich, habe aber diesen Aufsatz in Hoffnung auf einen glücklichen Fund neun Jahre zurückgelegt.

Da erschien in den "Meklenburgischen Anzeigen", 1869, Nr. 257, Novbr. 3, ein anonymer Zeitungs=Artikel aus Neustadt über die jüngste Restauration der Kirche, in welchem es auch heißt: "Bei der jetzigen Renovation der Kirche ist vielfach der Wunsch geäußert, es möchte auch das alte Altarblatt, das im J. 1746 (!) aus der Jacobikirche zu Lübek gekauft (!) ward und bei der Errichtung der Orgel im J. 1771 des mangelnden Platzes (!) wegen fortgenommen werden mußte, thunlichst wieder seinen Platz in der hiesigen Kirche erhalten."

Diese Nachricht schien mir in mehreren Theilen nicht zuverlässig zu sein. Die kleine, arme Stadt war durch den Brand von 1728 so sehr heruntergekommen, daß sie, nach den Archiv=Acten, erst in den Jahren 1735-1738 daran denken konnte, die Kirche mit der nothdürftigsten Einrichtung zum Gottesdienst durch fremde Hülfe zu versehen, wozu Erlaubniß zu geringe ausfallenden Collecten im Lande erbeten werden mußten; die Kirche ward nach 1738 noch lange nicht wieder fertig. Es ist durchaus nicht wahrscheinlich, daß die arme Stadt in ihrer Noth ein so großes, werthvolles Kunstwerk hätte kaufen können, dessen Größe außerdem für die kleine Kirche gar nicht paßte. Der Altar ist sicher nicht "gekauft". Dagegen ist mir die Sage, welche ich im J. 1840 von alten Leuten in Neustadt eingezogen habe, viel wahrscheinlicher, daß der Altar von Lübek geschenkt sei, da auch in Lübek für Neustadt collectirt ward.

Die übrigen Nachrichten in den "Meklenburgischen Anzeigen" waren aber zum Theil neu und zum Theil mit Archiv=Acten übereinstimmend, so daß ich die Forschung nach der Quelle dieser Angaben wieder aufnahm. Längere Zeit wollte es mir nicht glücken, diese etwas trübe Quelle zu erforschen. Da wandte ich mich mit der Darstellung der Sachlage an den Herrn Kirchenrath Hane mit der Bitte um Nachforschungen im Kirchen=Archive, und dieser hat denn auch das Glück gehabt, folgende sichere Nachricht nach langem Suchen zu erforschen. Das älteste Neustädter Kirchenbuch, 1675 beginnend, enthält von der Hand des Pastors Frese folgende Nachricht:

"Im Mense Maji 1746 Ward Cantzel völlig mit Verdeck ins Geschick gebracht. Ingleichen das Altar, doch ohne alle Ausputzung (!), und kostet über 35 Rthlr. die itzige Darstellung. Wir

Seite dauerhaft verlinken Seite als Digitalisat öffnen Seite 199 zur ersten Seite zur vorherigen Seite

beyde Prediger Frese und Ratich haben liebreich die Milden Gaben und Monatl. Collecten (ohne Geld aus der Oeconomie zu suchen) dazu angewand. Die Cantzel ist aus Wismar von der Marien=Kirche und der Altar aus Lübek von Jacobs=Kirche. Erstere ließ der Schwartzb. H. Major von Burchstadt neu mit Farben auszieren. Noch größere Liebe hat der H. von Pressentin erzeigt, welcher ao. 1742 die Beichtstühle anmahlen und mit Fenstern versehen lassen."

Dies ist also die ächte, gleichzeitige Quelle. Der Altar ist also sicher aus der Jacobikirche zu Lübek und wahrscheinlich von dort schon in den 30ger Jahren geschenkt, aber erst 1746 aufgestellt. Daß er von Lübek "gekauft" sei, davon steht kein Wort in der Nachricht. Die Aufstellung der Kanzel und des Altars, vielleicht gar mit dem Transport, kostete zusammen 35 Rthlr. Dafür konnte man solche Werke nicht kaufen. Glücklicher Weise blieb der Altar aus Armuth "ohne alle Ausputzung" mit "Farben"; denn sonst würde er sicher mit Oelfarben überschmiert worden sein.

Der Altar ist also wirklich in der Kirche aufgestellt gewesen. Aber darüber, wie er zurückgestellt ist, gaben die "Meklenburgischen Anzeigen" eine willkommene Andeutung, die mit den Archiv=Acten übereinstimmt. Die Anzeigen sagen, daß "das alte Altarbild bei der Errichtung der Orgel im J. 1771 des mangelnden Platzes wegen (!) fortgenommen (?) werden mußte", oder vielmehr weggeworfen ward. Dies stimmt zu den Archiv=Acten. Der Kirche fehlte noch lange eine Orgel und man war oft bemüht, ein altes Werk zu kaufen. Endlich war dazu im J. 1770 Aussicht. Am 28. Mai 1770 ward berichtet, daß ,"zur Anschaffung einer neuen Orgel der Bau eines Orgel=Chors, welches über den Altar gebracht werden soll, unumgänglich nothwendig." Da nun zu der geschmacklosen Aufführung einer Orgel über dem Altare die Kirche wohl viel zu klein ist, so ist leicht anzunehmen, daß der alte Altar mit den "Puppen" im J. 1770 der Orgel mit dem Orgel=Chore hat weichen müssen. Und so hat der Altar 70 Jahre lang ganz unbeachtet bei Seite gelegen.