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Der Münzfund von Roggentin,

von

Dr. G. C. F. Lisch,

mit Erläuterungen

von

G. M. C. Masch.

Im Monat März 1869 ward auf dem Domanialhofe Roggentin bei Rostock beim Ausgraben des Kellerraumes zu einem neuen Wohnhause, als grade der Pächter, Herr Hermes, hinzukam, 4 Fuß tief ein kleiner dreibeiniger Bronze=Grapen, 2 2/3 Pfund schwer, gefunden, in welchem 250 silberne Münzen, in grobe Leinewand gewickelt, lagen. Herr Hermes hatte die Aufmerksamkeit, den Fund sogleich an die großherzoglichen Sammlungen einzusenden.

Die Münzen sind große silberne Bracteaten mit glattem Rande, zum allergrößten Theile mit dem Zeichen des Stierkopfes mit Beizeichen, ohne vom Rost angegriffen zu sein. Die Bracteaten sind stärker im Blech und größer, als gewöhnlich die meklenburgischen zu sein pflegen, und außerordentlich gut geschnitten und geprägt, besser als alle bisher bekannt gewordenen. Durch alles dieses zeichnet sich der Fund vor allen bisher erworbenen aus und vermag die Ehre der meklenburgischen Stempelschneidekunst mit Sicherheit zu retten.

Der ganze Fund besteht aus 250 Stücken und einigen zerschnittenen, welche zusammen 7 1/2 Loth Zollvereinsgewicht schwer sind. 16 Stück wiegen 5 Quentchen oder 1/2 Loth.

Das Zeichen der meisten Münzen ist ein Stierkopf. Dieser weicht jedoch von der Darstellung des Stierkopfes in den verschiedenen landesherrlichen Wappen ab. Der Stierkopf auf den Roggentiner Münzen ist immer ungekrönt, mit geschlossenem Maule, ohne herausgeschlagene Zunge, ohne Halsfell, ohne Hauer; dagegen sind die Nüstern immer stark ausgeprägt. Ganz neu ist die Darstellung dieses Stierkopfes auf vielen (85) Exemplaren dadurch, daß derselbe an jeder Seite unter dem Ohre eine stark geschwungene Haarlocke hat. Andere zahlreiche Exemplare haben aber keine

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Haarlocken. Die meisten Exemplare haben ein Zeichen zwischen den Hörnern, welches sonst meistentheils auf den landesherrlichen Wappen auch nicht vorkommt. Ich kann daher diese Münzen nicht für landesherrliche halten, sondern die Zeichen zwischen den Hörnern nur für Beizeichen gewisser Münzstätten oder Jahrgänge. Am meisten gleicht der Stierkopf dem Stierkopf in dem Siegel der Stadt Rostock, welcher zwar eine Krone, aber Stern und Halbmond zu Beizeichen hat (vgl. Meklb. Urk.=Buch II, Nr. 786 und 847, und Milde, Siegel des Mittelalters, Heft 2, Taf. II, Nr. 24). Der Greif von Rostock erscheint erst etwas später im Raths siegel. Man könnte daher versucht sein, diese Münzen für Münzen der Stadt Rostock 1 zuhalten, welche freilich erst 1323 die landesherrliche Münze daselbst eigenthümlich erworben haben soll (vgl. Evers Mekl. M. V. I, S. 254), obgleich Rostockische Münzen schon viel früher genannt werden. Hiezu würde auch stimmen, daß Roggentin an das Rostocker Stadtgebiet grenzt. Das Dorf Roggentin gehörte dem Kloster Sonnenkamp oder Neukloster seit dessen Stiftung 1219 (vgl. Lisch Mekl. Urk., Band II, Register.)

Die Gepräge der verschiedenen Formen sind alle ziemlich gleich. Jedoch sind einzelne kleine Abweichungen bemerkbar welche sich aber schwer erkennen lassen, jedoch andeuten, daß immer mit mehreren Stempeln derselben Form geschlagen ist.

Die Münzen sind folgende:

1) Stierkopf mit Seitenlocken und einem Ring zwischen den Hörnern 80 Stück,
einige auch mit einem kleinen Punkt zur Seite der linken Haarlocke.
Diese Münzen könnten vielleicht nach Parchim deuten, da der Fürst Pribislav I. von Parchim=Richenberg 1238 einen Stierkopf mit einem Ringe im Siegel führte; vgl. Meklenb. Urk.=Buch I, Nr. 476 und 522, und Milde a. a. O. S. 7. (Auch in Berlin finden sich nach Kretschmers Zeichnungen diese Bracteaten mit Ring zwischen den Hörnern.)

1) In den königlichen und einigen Privat=Münzsammlungen zu Berlin befinden sich einige den Roggentiner Münzen ahnliche Bracteaten, von denen vor vielen Jahren der verstorbene Münz=Cabinets=Gehülfe F. W. Kretschmer, ein treues Mitglied des Vereins, schöne Zeichnungen an diesen geschenkt hat. Er setzt alle diese Münzen unbedenklich in das 13. Jahrhundert.
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2) Stierkopf mit Seitenlocken und einem Ring zwischen Hörnern in einer sechsbogigen Einfassung 1 Stück.
3) Stierkopf mit Seitenlocken und einem nach oben geöffneten Halbmond zwischen den Hörnern 4 Stück.
Der Halbmond unterscheidet sich klar von dem Ringe und ist größer als dieser. Die Seitenlocken sind auf diesen Münzen nur schwach angedeutet. (Auch in Berlin finden sich nach Kretschmers Zeichnungen diese Bracteaten mit Halbmond zwischen den Hörnern.)
4) Stierkopf ohne Seitenlocken, mit einem Kuppelthurm zwischen den Hörnern 59 Stück.
Einige Wenige Exemplare haben einen Punkt an jeder Seite. Diese Münzen lassen sich schwer deuten (Kretschmer, der sie schon kannte, schreibt sie der Stadt Malchin zu. Er hat auch einen jüngern Bracteaten mit gestrahltem Rande und demselben Beizeichen in Zeichnung mitgetheilt. Von demselben besitzt der Verein auch die Zeichnung eines zweiseitigen Pfennigs aus dem Ende des 14. Jahrhunderts mit dem Namen der Stadt Malchin in der Umschrift.)
5) Stierkopf ohne Seitenlocken mit einem Kuppelthurm zwischen den Hörnern in einer sechsbogigen Einfassung 5 Stück.
6) Stierkopf ohne Seitenlocken mit einem Stern zwischen den Hörnern 9 Stück.
Dieses Zeichen könnte auf die Stadt Sternberg deuten, in welcher der Fürst Heinrich der Löwe oft wohnte und starb (Ա 1329), da das alte Siegel dieser Stadt dasselbe Zeichen hat; vgl. Milde a. a. O. Heft 4 Taf. 17, Nr. 40. (Der Münzhändler Weidhas zu Berlin besaß vor vielen Jahren einen gleichen Bracteaten mit einem Stern zwischen den Hörnern.)
7) Stierkopf ohne Seitenlocken, mit einem Stern zwischen den Hörnern, in einer sechsbogigen Einfassung 3 Stück.
8) Stierkopf ohne Seitenlocken, mit einer einstengeligen Pflanze oder Blume zwischen den Hörnern 5 Stück.
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9) Stierkopf ohne Seitenlocken und scheinbar ohne Beizeichen, vielleicht aber mit einem Halbmond zwischen den Hörnern, in einer sechsbogigen Einfassung 1 Stück.
10) Stierkopf ohne Seitenlocken und ohne Beizeichen zwischen den Hörnern, in einer geradlinigen Raute, welche an jeder Seite in der Mitte außen von einem Punkte begleitet ist 52 Stück.
11) Stierkopf ohne Seitenlocken, mit einem Ring zwischen den Hörnern, in einer Raute mit einem Punkte an jeder Seite 5 Stück.
12) Breite Thurmzinne (vielleicht auch Schiffsdeck) mit 5 Kugeln gekrönt, auf welcher eine links wehende Flagge steht und rechts vor derselben auf der Zinnenecke ein Kreuz 7 Stück.
13) Thurmzinne mit Flagge, eben so, ohne Kreuz 3 Stück.
14) Rechts gekehrte Flagge und neben derselben eine kleine Zinne 1 Stück.
Diese Münzen dürften nach Stralsund gehören (vgl. Jahrb. VI, S. 131).
15) Gekrönter Menschenkopf (wie auf der Lithographie zu Jahrb. XVII, Nr. 13 und 14 abgebildet) im geperlten Rande 15 Stück.
Diese Münzen dürften nach Greifswald gehören (vgl. Jahrb. XVII, S. 400).
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250 Stück.
Dazu kommen
6) durchschnittene, halbe Münzen von denen 10 den Stierkopf in der Raute haben.
15 Stück.

Wollte man die Münze nach den Beizeichen bestimmen, so würde man kaum einen genügenden Anhalt in den landesherrlichen Wappen finden. Auch der Stierkopf bietet dafür wenig Anhaltspunkte, da für Meklenburg das aufgerissene Maul und das abgerissene Halsfell, für Werle die ausgeschlagene Zunge, allen aber die Krone fehlt. Ich muß daher auf meine oben ausgesprochene Ansicht zurückkommen, daß die Münzen Rostocker sind, welche zu einer Zeit geschlagen wurden, als noch größere Freiheit in der Wahl der Zeichen herrschte, und noch kein hansischer Münzreceß die Bilder fest bestimmte.

Von Wichtigkeit ist die Bestimmung der Zeit, aus welcher dieser Fund stammt. Der glatte Rand, das starke

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Blech, der größere Durchmesser, die alterthümliche, kräftige Formung der Bilder deuten auf eine ferne Zeit. Gleichzeitig wird der Roggentiner Fund mit dem in Meklenburg einzig dastehenden Bracteaten=Funde von Malchow 1 ) sein, welcher nach andern dabei gefundenen bestimmbaren Münzen ungefähr in das letzte Jahrzehend des 13. Jahrhunderts fällt (vgl. Jahrb. XVII, S. 391 flgd., mit Abbildungen). Aber genau mit den Roggentiner Münzen stimmen die Bracteaten aus dem Funde von Stintenburg überein, welcher ebenfalls in das Ende des 13. Jahrhunderts fallen wird (Vgl. Jahrb. VIII, B, S. 88). Leider sind aus diesem Funde, welcher nur wenig oder gar nichts Meklenburgisches enthalten zu haben scheint, nur wenige Stücke der Wissenschaft zu gute gekommen. Aber von den 12 Stücken, welche der Verein für Meklenburgische Geschichte erhalten hat, sind die 4 Stücke mit dem gekrönten Menschenkopfe im geperlten Rande so genau dieselben, wie in dem Roggentiner Funde, daß sich gar nicht daran zweifeln läßt, daß diese Münzen in beiden Funden aus derselben Zeit und Prägestätte stammen. Auch die Thurmzinnen sind auf Münden in beiden Funden gleichartig mit Kugeln gekrönt, wenn auch die Bilder verschieden sind. Endlich sind die Roggentiner Münzen auch im Allgemeinen den Stintenburgern an Größe, Blech, Rand, Stempelschnitt und Prägeweise vollkommen gleich.

Man wird also nicht fehlgreifen, wenn man die Roggentiner Münzen dem Ende des l 3. Jahrhunderts zuschreibt. (Kretschmar schreibt auch mehrere Münzen dieser Art dem zweiten Viertheil des 13. Jahrhunderts zu.)

G. C. F. Lisch.     


So viel auch die stummen Blechmünzen (Bracteaten), welche aus unsern mannigfachen Funden zur Anschauung gebracht sind, mögen sie nun bestimmt Meklenburgische oder andere Zeichen haben, durchforscht sind, so wenig haben sie die beiden Hauptfragen, aus welcher Zeit und aus


1) Daß in dem Funde von Malchow neben den kleinen Meklenburgischen Bracteaten auch bestimmbare große meißnische Bracteaten und zweiseitige brandenburgische Pfennige vorkommen, laßt sich jetzt wohl dadurch erklären, daß die Münzen beim Aufgange zu der "langen Brücke" von Malchow lagen, in deren Besitz die Stadt schon im Jahre 1292 kam. Das Geld war also sicher allerlei verloren gegangenes Brückengeld, welches von fremden Reisenden, die von Süden her kamen, eingenommen war.
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welcher Münzstätte sie stammen, beantworten können, und auch der gegenwärtige Fund beantwortet beide Fragen nur annähernd.

Anlangend nun die erste Frage nach der Zeit, so steht das fest, daß in der spätem Zeit, also etwa im 14. Jahrhundert (vgl. die Münzstücke von Kolbow, Jahrb. III, 104, VI, 114, 128, und Reinshagen, Jahrb. XVI, 311), die rauhe Mark in viel mehr Stücke ausgebracht ward, als früher; es wurden also in der jüngern Zeit viel leichtere und schlechtere Pfennige geschlagen. Diese sind 14 Millimeter groß, 20 1/2 Stück wiegen 1/2 Loth kölnisch, also 656 vorliegende würden eine rauhe Mark darstellen; es ist aber der Abgang durch Abführung und Reinigung zu berücksichtigen. - Für die früher bei Malchow gefundenen (Jahrb. XVII, S. 391 flgd.) ließe sich durch die damit im Umlauf gewesenen fremden Münzen die letzten Jahrzehnde des 13. Jahrhunderts annehmen; nach der Angabe (a. a. O. S. 399) wurden 458 Stück aus der rauhen Mark geschlagen. Die Größe dieser Münzen war 17 Mm. - An Größe übertreffen die Roggentiner Pfennige die Malchower, denn sie messen 20 Mm.; im Gewichte, das bei den einzelnen zwischen 10 bis 14 Aß wechselt, sind sie jenen im Ganzen gleich, denn da die vorliegenden 16 Stücke 18/32 Loth kölnisch wiegen, so ist die rauhe Mark zu 455 ausgeschrotet. Da nun überdies beide Funde an Feingehalt (Korn) gleich sind, so sind sie beide in gleiche Zeit zu stellen, also ins 13. Jahrhundert, ob etwas früher oder später als die Malchower, muß unentschieden bleiben.

Was nun die andere Frage nach der Prägestätte betrifft, so ergiebt der Augenschein, daß diese Münzen mit jenen nicht aus derselben Stätte hervorgegangen sind; die Fabrik ist eine ganz andere und der Typus ist viel sauberer und bestimmter. Der Ausführung meines Freundes Lisch, daß diese Münzen nicht aus einer landesherrlichen Münze hervor gegangen, trete ich vollständig bei, und lege sie, wie er, Meklenburgischen Städten zu. Wenn man die etwa um ein Jahrhundert jüngern zweiseitigen Münzen (Wittenpfennige) zur Vergleichung heranzieht, so findet sich auf denen von Wismar, Güstrow, Parchim, Neubrandenburg und Friedland der Stierkopf und zwar mit der Bezeichnung, daß sie Meklenburgische oder Werlische Städte sind. Da nun das auf den schriftlosen Münzen nicht ausgesprochen werden konnte, so liegt es nahe anzunehmen, daß man es durch Beizeichen, die man dem Bilde des Landes beifügte, auszudrücken ver=

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suchte, und so läßt sich die Verwendung der Ringe, Sterne, Thürme, Halbmonde ohne großen Zwang deuten.

Es ist nun freilich nicht möglich, allen Bracteaten mit dem Stierkopfe nach diesen Beizeichen bestimmte Prägestätten anzuweisen, jedoch lassen sich, wie auch bereits Lisch gethan hat, Anhaltspunkte finden. So stimme ich ihm ganz bei, wenn er die Münzen mit dem Ringe (Nr. 1, 2, 3) nach Parchim weiset, und stütze diese Annahme durch die Bemerkung, daß auf den Wittenpfennigen der spätern Zeit sich freilich nicht der Ring, wohl aber die Haarlocke findet, und zwar nur auf den Münzen dieser Stadt. - So lasse ich mir auch für Nr. 6 und 7 Sternberg gefallen, obgleich von dieser Stadt keine bestimmten Gepräge bekannt sind, es möchten denn die spätern Bracteaten mit dem Stern (für welche man eigentlich noch keine Stelle gefunden hat) dahin gesetzt werden. Die hier sehr zahlreichen Münzen mit dem Kuppelthurm zwischen den Hörnem des Stierkopfes können allerdings der Stadt Rostock beigelegt werden, denn da sie in größerer Zahl auftreten, stammen sie wohl aus einer großem Stadt; auch möchten Nr. 10 und 11 dahin zu rechnen sein. - Für den Stierkopf mit dem fünfblättrigen Bäumlein zwischen den Hörnern läßt sich keine Stelle finden, wohl aber ist zu bemerken, daß der Kopf eine abweichende, viel schlankere Form hat, als der auf den übrigen.

Ob auf Nr. 12 bis 14 eine Zinne oder ein Schiff gebildet werden sollte, lasse ich unentschieden; die Form spricht wohl für die erstere, die Flagge (offenbar eine Schiffsflagge) für das letztere, und kommt gerade so auf den Münzen von Stralsund vor, wohin also auch diese zu stellen sein werden.

G. M. C. Masch.