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B.

Jahrbücher

für

Alterthumskunde.


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Römische Alterthümer aus den Gräbern von Häven in Meklenburg.
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Römergräber in Meklenburg,

von

Dr. G. C. F. Lisch.

Mit Abbildungen vom Bau=Conducteur Luckow

auf zwei Steindrucktafeln * ).

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I.

Römische Alterthümer von Grabow.


V or dem Jahre 1839 wurden in der Nähe der an dem Elde=Flusse liegenden Stadt Grabow in einer "Sandgrube" mehrere merkwürdige und schöne römische Alterthümer gefunden, namentlich eine (zerbrochene) große "bronzene Vase" mit metallenem Henkel und eingravirten Darstellungen am obern Rande, eine große flache bronzene "Kasserolle" (Schale), eine silberne "Fibula" und Fragmente einer "gläsernen Schale". Diese Alterthümer wurden, wie damals häufig geschah und noch jetzt geschehen mag, im Stillen nach Hamburg geschafft und hier zum Verkaufe


*) Herr Bau=Conducteur Luckow in Schwerin hat in klarer Auffassung der Antike die im Folgenden beschriebenen römischen Alterthümer gezeichnet und die Zeichnungen dem Vereine geschenkt, wodurch die zwei beigegebenen Steindrucktafeln haben gebildet werden können, welche in der Anstalt des Herrn J. G. Tiedemann in Rostock getreu lithographirt sind.
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gestellt, ohne Zweifel wegen des dabei auch gefundenen edlen Metalls. Mein Freund Thomsen, der berühmte Director des königlich Dänischen Alterthums=Museums zu Kopenhagen, fand sie auf einer Reise im Jahre 1839 hier und kaufte sie für das Museum an. Sie sind in dem Accessions=Kataloge zu Kopenhagen folgendermaßen verzeichnet: "1839. Gekauft. Nr. 5179, 5180, 5181 und 5182" (benannt wie oben angegeben). "Nach Angabe sind diese sämmtlichen Sachen vor mehreren Jahren gefunden in einer Sandgrube in der Nähe von Grabow im Meklenburgischen. In Verbindung damit wurde gefunden ein prächtiger Goldring von ungefähr 40 Ducaten Gewicht". Im Jahre 1841 wurden nachträglich aus demselben Funde wieder nach Kopenhagen verkauft, nach dem Accessions=Kataloge: "1841. Gekauft. Nr. 5888. "Zwei Sporen von einer bisher unbekannten Form von Silber. Nr. 5889. Ein Sieb von Bronze, eingesetzt in eine Kasserolle (Kelle), welche auf das genaueste zu dem Siebe paßt. Diese beiden Stücke snd gefunden in der "Nähe von Grabow im Meklenburgischen in einer natürlichen Sandbank, welche in der heidnischen Zeit als Begräbnißstätte (?) benutzt war. In derselben Sandbank wurden 1839 die unter Nr. 5179 bis 5182 aufgeführten ausgezeichneten Gegenstände gefunden." Nr. 5890. "Abguß" eines "massiv goldenen Ringes (wie schon oben angeführt ist), welcher in derselben Sandbank gefunden ist."

Es leidet bei dem gewissenhaften Forschungs= und Verwaltungsgeiste Thomsen's keinen Zweifel, daß alle diese Angaben durchaus zuverlässig sind. In Grabow ist aber nie etwas davon bekannt geworden. Unser forschendes Mitglied Rector Römer, welcher schon zu jener Zeit in Grabow lebte und von je her wissenschaftliche Ereignisse mit scharfem und sicherm Blicke verfolgte, schreibt jetzt aus Grabow in Folge einer Anfrage: "Wenn 1839 hier überall etwas davon bekannt geworden wäre, so hätte ich wohl sicher auch Kunde davon erhalten; jetzt ist eben so sicher keine Aufklärung mehr zu erwarten."

Der Fund ist also in Meklenburg verheimlicht und im Stillen aus dem Lande gebracht, ohne Zweifel des werthvollen Goldringes wegen, von welchem aber glücklicher Weise vorher ein getreuer "Abguß" gemacht und bis jetzt erhalten ist. Es sind vor 30 und mehr Jahren bei Gelegenheit der Wegebauten und Ackermergelungen viele alte goldene Sachen aus Meklenburg nach Hamburg in den Schmelztiegel gegangen,

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wie ich selbst dort gehört habe, daß z. B. daselbst mehrere "goldene Pferdeschuhe" (also Diademe) aus Meklenburg verkauft und eingeschmolzen seien, und auch das Gold des ungewöhnlich großen Ringes von Bresegard im Jahre 1844 (vgl. Jahrb. IX, S. 383) in einen Hamburger Schmelztiegel wanderte, so wie auch der große goldene Ring von Woosten (vgl. Jahrb. XVI, S. 268) im Jahre 1850 erst eine Reise nach Hamburg machen mußte, von wo er aber glücklicher Weise zurückgeholt ward.

Dieser römische Fund von Grabow ward jedoch mit andern ähnlichen in Kopenhagen noch nicht veröffentlicht, wohl aus dem Grunde, um erst tiefere vergleichende Studien zu machen und weil vieles andere für Dänemark Wichtigere gebieterisch den Vorrang forderte.

Nachdem Thomsen am 21. Mai 1865 gestorben war, ward Worsaae Director der berühmten königlich Dänischen Alterthums=Museen. Dieser entschloß sich nun im August 1868 mit "wissenschaftlicher Gewissenhaftigkeit", wie die Meklenburgischen Anzeigen sich ausdrücken, den ganzen werthvollen Fund an das Meklenburgische Alterthums=Museum zu Schwerin, zu welchem er seit vielen Jahren in den engsten Beziehungen steht, als Geschenk zurückzugeben, in der Ansicht, daß ein wichtiger Fund nur in dem Lande seine wissenschaftliche Bedeutung hat, wo er gemacht ist, vorausgesetzt, daß er hier benutzt und bearbeitet wird. Wie sehr Recht Worsaae gehabt und gethan hat, beweiset der unten zur Sprache kommende römische Fund von Häven, welcher wenige Monate nach der Ankunft des Grabowschen Fundes in Schwerin gemacht ward und welcher erst seine rechte Bedeutung und Erläuterung durch diesen erhält, wie der Grabowsche Fund wieder durch den Hävenschen beleuchtet wird.

Ob nun der Fund von Grabow aus einem Begräbnisse 1 ) stammt, wie wohl anzunehmen sein wird, oder nicht, läßt sich durchaus nicht mehr ermitteln, da weiter keine Nachrichten als die oben mitgetheilten vorhanden sind.


1) Unmittelbar vor der Stadt Grabow an der Eisenbahn, namentlich an der rechten Seite von Ludwigslust her, erblickt man in dem Tannen=Gehölze auf dem sandigen Boden viele runde und längliche Hügel. Es ist möglich, daß diese Hügel zusammengewehete Flugsandhaufen, möglich aber auch, daß sie Gräber sind. Dergleichen Erscheinungen täuschen oft sehr. So waren in den Tannen von Slate bei Parchim gleiche Hügel, die man bisher für Sandwehen hielt, wie sie oft in Tannenwäldern vorkommen, die sich aber bei der Untersuchung des Innern als Kegelgräber erwiesen. Vgl. Jahrbücher XXXIII, S. 129.
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Die Alterthümer von Grabow sind nun folgende:

l) Ein großer, "glockenförmiger Krater" 1 ) ("Vase", "Eimer" oder "Kessel") von Bronze, an Größe, Gestalt und Arbeit ganz wie der auf der Steindrucktafel I, Fig. 1, abgebildete, mit bronzenem Eimerhenkel, leider zerbrochen, da die ganze untere Hälfte fehlt, welche, wie andere Gefäße dieser Art, ohne Zweifel einen kleinen Fuß gehabt hat. Der obere Durchmesser dieses Gefäßes ist gegen 10 Zoll, die Höhe wird ungefähr 11 Zoll oder gegen einen Fuß betragen haben. Der obere Rand ist mit einer gravirten Kante von 2 Zoll Breite verziert, auf welcher an jeder Seite 6 laufende wilde Thiere, wie Hirsche, Eber, Bären, Panther, Löwen und Hunde, dargestellt sind, zwischen zwei eigenthümlich, aber sicher stylisirten Bäumen unter jedem Henkelloche und zwischen einzelnen ähnlichen Baumblättern, welche versilbert gewesen zu sein scheinen. Der bronzene, massive, runde Eimerhenkel ist mit Querreifen verziert. Dieses Gefäß ist an Arbeit und Verzierungen einem andern fast gleich, welches bei Himlingöie auf Seeland mit andern römischen Alterthümern gefunden und in Worsaae Nordiske Oldsager (Zweite Auflage, 1859), p. 74, Nr. 302, abgebildet ist, und fast noch mehr den Gefäßen aus dem Funde von Häven gleich, wie unten gezeigt werden wird. Auch in den römischen Funden von Groß=Kelle (Jahresbericht III, B., S. 44, und welche eine glockenförmige, unten abgerundete Gestalt und einen oft sehr geschmackvoll gebildeten, runden Fuß haben, welcher gewöhnlich auf der untern Seite mit Parallelkreisen verziert ist. "Eimer" und "Kesscl", welche den Krateren allerdings nahe stehen, haben mehr senkrechte Wände und einen flachen oder platten Boden.


1) und von Hagenow (vgl. Jahresbericht VIII, B., S. 42, und Abbildung, Fig. 6) findet sich ein großes Bronzegefäß. Ein ganz ähnliches "Bronzegefäß" mit Randverzierung von Thieren ward 1835 bei dem Dorfe Börry an der Weser gefunden und zuerst vom Forstrath Wächter in Brönnenbergs Vaterländischem Archiv, Hannover, Jahrgang 1840, S. 1 flgd., und dann vom Amtsassessor Einfeld in der Zeitschrift des histor. Vereins für Niedersachsen, Jahrg. 1854, Hannover 1856, Lithogr. Fig. 1, S. 11, abgebildet und beschrieben; an beiden Stellen sind noch ähnliche Funde aus dem Hannoverschen aufgezählt.
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2) Eine große "Kasserolle" oder große, flache Schale mit hohem, steilem Rand, aus Bronze, 11 Zoll im Durchmesser und 3 1/2 Zoll hoch, mit flachem Boden, auf der Drehbank nachgedreht, mit vertieften Zirkelschlägen auf dem Boden verziert. Auf einer Stelle des Seitenrandes ist ein Stück ausgebrochen; hier ist wahrscheinlich ein Griff angelöthet gewesen, wie an einer andern "Kasserolle" in dem Funde von Hagenow (vgl. Abbildung a. a. O. Fig. 4). Auch die Funde von Himlingöie und Häven enthalten eine ähnliche große "Kasserolle". - Eine ganz gleiche bronzene Schale ward im Hannoverschen zu Grethem im Amte Ahlden (Lüneburg) neben einem Krater gefunden; vgl. Einfeld a. a. O. S. 30, Litographie Fig. 4.

3) Eine Kelle und

4) ein Sieb von Bronze, welches auf das genaueste in die Kelle paßt, so daß nicht nur die beiden Handgriffe in den Linien übereinstimmen, sondern auch ein Loch in beiden Handgriffen, um beide Geräthe zusammen aufzuhängen, ganz den Geräthen auf der Steindrucktafel I, Fig. 3 und 4 gleich. Auch diese Geräthe sind auf der Drehbank abgedreht und polirt (vgl. auch Worsaae Nordiske Oldsager p. 76, Nr. 309 und 310). Kellen und Siebe, sowohl einzeln, als zusammengehörend, finden sich ebenfalls nicht nur öfter vereinzelt, sondern merkwürdiger Weise fast in jedem größern römischen Funde in den Ostseeländern. Auch in dem dänischen Funde von Himlingöie und in den meklenburgischen Funden von Groß=Kelle und Hagenow wurden sie angetroffen (vgl. Jahresbericht III, S. 45, und VIII, S. 41, und Abbildungen a. a. O.) Ebenso finden sie sich doppelt in dem Funde von Häven (vgl. unten). Die Kellengriffe haben oft Fabrikstempel.

5) Eine Heftel von Silber mit Spiralfeder, von der bekannten Einrichtung der Hefteln der alten Eisenzeit. Diese Heftel hat das besondere Kennzeichen, daß auf dem Ende des Bügels eine kleine runde Platte befestigt ist, welche innerhalb eines niedrigen Randes mit einer farbigen Verzierung von Glas, Kitt oder Stein belegt gewesen sein wird, welche verloren gegangen ist; man kann jedoch noch leise Spuren von einem Befestigungskitt bemerken. Eine gleiche Platte hat oben auf dem Bügel, an der Verbindungsstelle mit der Spiralfeder, gesessen, ist aber verloren gegangen; jedoch sitzt noch der Befestigungsstift in dem Bügel. Aehnliche Hefteln aus den südlichem Gegenden mit einer Scheibe sind in Lindenschmit's Alterthümern, Band II, Heft 6, Taf. 3,

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abgebildet. In dem Funde von Häven (vgl. unten) befinden sich neben 3 Gerippen auch 3 solche Hefteln, abgebildet auf der Steindrucktafel II, Fig. 22, 23 und 24, welche mit der Grabowschen Heftel übereinstimmen. In dem Funde von Hagenow ist eine eiserne Heftel, von gleicher Einrichtung, aber ohne Verzierungsplatte, jedoch an den Rändern mit Silberperlen besetzt.

6) Ein Paar Sporen aus Silber mit Bügeln, abgebildet auf der Steindrucktafel II, Fig. 27 a. und b., eine höchst seltene und werthvolle Erscheinung. Der Sporn besteht aus einem auf der Drehbank abgedreheten, schön geformten Stachel, wie alle alten Sporen aus einem solchen Stachel auf einem kurzen Stuhl, ohne Bügel, bestehen . Die Grabowschen Sporen haben aber einen Bügel, wie gewöhnlich die römischen Sporen. Ganz eigenthümlich ist aber die Einrichtung, daß die Knöpfe zum Anknöpfen des Befestigungsriemens am Ende des Bügels auf der Innern Seite desselben sitzen 1 ). Das hintere Ende über und unter dem Stachel läuft in Blechstreifen aus, mit denen der Sporn am Schuhzeuge wahrscheinlich angenietet oder angenagelt gewesen ist (Fig. 27 b.) Glücklicher Weise hat Lindenschmit zwei eben so construirte Sporen aus Bronze in den Rheinlanden (1 im Museum zu Wiesbaden und 1 von Rheinzabern) erforscht und in seinen Alterthümern Band II, Heft 1, Taf. 7, Fig. 1 und 2, abgebildet und in der Erläuterung für "römische Sporen" erklärt. In den neuesten Zeiten wurden zu Dürrenberg unweit des Saaleufers in einem heidnischen Grabe neben offenbar römischen Geräthen auch zwei silberne Sporen gefunden; der Fund ist nach England gewandert. (Vgl. Anzeiger des German. Museums, 1868, Nr. 4, S. 148.) Die Sammlungen zu Schwerin besitzen auch einen bronzenen Sporn mit Stachel und Bügel aus einem Grabe in Holstein.

7) Ein goldener Ring, abgebildet auf der Steindrucktafel II, Fig. 26, ward in derselben Sandbank bei Grabow gefunden, aber leider eingeschmolzen; jedoch ist er vor dem Einschmelzen noch abgeformt und in Blei abgegossen und vergoldet. Diese getreue Nachbildung befindet sich jetzt


1) Auch die Stachelsporen aus den heimischen Brandgräbern haben die Knöpfe auf der innern Seite des Stuhls, auf dem der Stachel sitzt. Vgl. Jahrb. VI, B., S. 145, mit Holzschnitt und einer Tafel Abbildungen. Vgl. auch den bronzenen Stachelsporn in dem römischen Funde von Hagenow in Jahrb. VIII, B., S. 44, und Lithographie Fig. 14; dieser Sporn könnte auch römisch sein.
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auch im Museum zu Schwerin. Wenn auch das Original verloren ist, so ist es doch von hoher Wichtigkeit, daß der Ring bei den römischen Geräthen gefunden ist. Der Ring hat ursprünglich eine ovale Gestalt gehabt, wie die sogenannten "Eidringe", hat jedoch keine hohlen Halbkugeln an den Enden. Der Ring ist ganz glatt, geöffnet und gegen die stumpf abgeschnittenen Ende etwas dicker auslaufend. Schon beim Auffinden war das eine Ende abgehauen und gegen das andere Ende gebogen. So war der Ring noch "ungefähr 40 Ducaten schwer." Dieser Ring gleicht ganz einem in Ungarn gefundenen goldenen Ringe. In Ungarn bei Céke, Zempliner Comitat, ward im J. 1856 viel eigenthümlicher Goldschmuck gefunden, dessen Formen lebhaft an einen andern Fund von Wulzeshofen in Oesterreich und an den merkwürdigen Fund von Wotenitz in Meklenburg erinnern, in denen sich höchst wahrscheinlich etrurische Schmucksachen befinden. (Vgl. Jahrb. XXVI, S. 161 flgd.) In dem Funde von Céke war auch ein dem Grabowschen ganz gleicher "Ring aus gutem Golde, massiv, 44 1/2 Ducaten schwer, 2" 10'" und 1" 10 1/2'" im Durchmesser, ganz glatt, in der Mitte schwacher, gegen die stumpf abgeschnittenen Enden dicker"; vgl. Kenner, Beiträge zu einer Chronik der archäologischen Funde der österreichischen Monarchie 1862-1863, im Archiv für Kunde österreichischer Geschichts=Quellen, Bd. 33, Wien, 1865, S. 106. Ich halte den goldenen Ring von Grabow für einen "Geldring", da er ganz glatt und ein Ende abgehauen ist. Lindenschmit in seinen Alterthümern theilt Band I, Heft 10, Taf. 1, Nr. 5 auch einen Bronzering von derselben Form (im Museum zu Wiesbaden) mit. Vgl. auch Worsaae Nordiske Oldsager, Taf. 112 Nr. 459.

8) Endlich wurden "Fragmente einer Glasschale gefunden, welche auswendig mit Streifen verziert war, die theils rund herumgingen, theils auf dem untern Theile sich als Blätter um den Fuß sammelten." So berichtet der Kopenhagener Accessions=Katalog. Leider sind diese Bruchstücke aber verlegt und bis jetzt noch nicht wieder aufgefunden. Auch zu Häven ist bei den römischen Geräthen eine Glasschale gefunden (vgl. unten).

Geschrieben zu Schwerin im April 1869.


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II.

Römische Alterthümer von Häven.

Entdeckungsgeschichte.


A m 17. Decbr. 1868 machte der Herr Domanial=Pächter Jenßen bei dem zuständigen Domanial=Amte Warin die Anzeige, daß er auf dem Felde seines Domanial=Pachthofes Häven, in der Nähe von Brüel und Tempzin, beim Sandgraben, ungefähr 5 Fuß tief, mehrere alterthümliche "Kochgeräthschaften" neben menschlichen Gerippen gefunden habe. Das großherzogliche Amt machte mir sogleich die Anzeige von dem Funde und empfahl dem Herrn Jenßen die sorgfältige Aufbewahrung desselben. Da ich nach den ungefähren Benennungen einzelner Fundstücke, z. B. "Kochgeräthschaften, Eimer, Spangen" u. s. w., auf einen seltenen Fund schließen zu können Ursache hatte, so erbat ich mir die Sachen baldmöglichst nach Warin oder Schwerin. Der Herr Geheime Kammerrath Brandes zu Warin hatte die Güte, die Alterthümer durch einen eigenen Wagen nach Warin holen zu lassen und am 24. Decbr. mir nach Schwerin zu übersenden.

Ich erkannte in den Alterthümern sogleich römische Geräthe und ward nicht wenig in Bewegung gesetzt, da erst kurz vorher, am 17. Octbr., der viel besprochene und berühmte große Silberfund bei Hildesheim gemacht war, der nach meiner Ansicht ohne Zweifel römischen Ursprung hatte. Zwar kann sich der Fund von Häven mit dem von Hildesheim an Metallwerth und Kunstarbeit nicht messen; aber der Fund von Häven wird sicher eine große geschichtliche Bedeutung erlangen und hierin den Vorrang vor dem Hildesheimer Fund behaupten können, wie die unten folgende Beschreibung ergeben wird.

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Die Menschengebeine hatte Herr Jenßen 5 Fuß tief vergraben lassen. Bei der durch die Untersuchung zu erwartenden Wichtigkeit des Fundes bat ich den Herrn Jenßen, die Gebeine wieder ausgraben zu lassen und mir baldmöglichst zu übersenden, was denn auch am 4. Januar 1869 geschah. Eine Untersuchung und Nachgrabung durch mich selbst war bei der Ungunst der winterlichen Witterung unthunlich, auch unnöthig, da die Alterthümer schon vollständig ausgegraben und die Gerippe gehoben waren, die Bestattungsweise also an Ort und Stelle nicht mehr beobachtet werden konnte. Ich empfahl aber dem Herrn Jenßen dringend, falls man im Fortschritt der Erdarbeiten wieder auf Begräbnisse stoßen sollte, dieselben mit Erde bedeckt durchaus unangerührt zu lassen, bis ich sie persönlich aufdecken würde.

Ich kann die Aufmerksamkeit, Gewissenhaftigkeit, Sorgfalt und Freundlichkeit des Herrn Jenßen, durch den allein der Fund gerettet und zur Kenntniß gekommen ist, nicht genug rühmen und muß auch die enthaltsame Treue anerkennen, welche er in allen seinen Arbeiten zu erwecken gewußt hat.

Am 25. Februar 1869 meldete mir Herr Jenßen, daß wieder 2 Gerippe, am 1. März, daß mehrere Alterthümer vereinzelt, am 17. März, daß noch 1 Gerippe gefunden sei, welche alle unberührt in der Erde liegend vorhanden seien.

Nachdem nach kurzer Zeit das Wetter günstiger geworden und der Frost sicher aus der Erde gewichen war, reiste ich zum 20. März 1869 nach Häven, um dort, in ununterbrochener Gegenwart und mit Hülfe und Zeugniß des Herrn Pächters Carl Jenßen und seines Herrn Bruders, des Oekonomen Franz Jenßen aus Wismar, so wie meines Sohnes Stud. juris Friedrich Wilhelm Lisch, die Oertlichkeiten und die Gräber genau zu untersuchen und die noch vorhandenen Alterthümer durch Hülfe von drei anstelligen und besonnenen Arbeitern aufzunehmen. Ich bin daher im Stande, ganz genauen und sichern, vollständigen und verbürgten Bericht zu erstatten.

Das jetzige Domanial=Gut Häven 1 ) liegt ungefähr in der Mitte des Landes Meklenburg=Schwerin, 3 Meilen südlich von dem Ostseehafen von Wismar, ungefähr 10 Meilen östlich rechts von der Elbe und ungefähr 8 Meilen


1) Das Gut führt jetzt den plattdeutschen Namen Häven, breit ausgesprochen. Es war im Mittelalter, sicher das 16. Jahrhundert hindurch, ein Lehn der adeligen Familie von Plate, welche auch Jarchow (  ...  )
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nördlich von Grabow, vielleicht an einem alten Landwege von Süden her, in der Nähe des Städtchens Brüel und des ehemaligen Antoniusklosters Tempzin. Das Gut hat fruchtbaren, nicht zu schweren Boden und hat früher ohne Zweifel auch noch Wald gehabt. Der Hof liegt an einem sehr lang gestreckten, schmalen See, dem "Keetzer See" 1 ), dessen mannigfach gestalteten und mit Wald und Feld geschmückten jenseitigen Ufer eine reizende Aussicht von dem Hofe Häven und den Anblick eines großen, schönen Flusses bieten. Die Lage ist daher zu einer Ansiedelung außerordentlich günstig gelegen.

Die Fundstelle läßt sich genau angeben und beschreiben. Sie liegt gerade nördlich von dem Hofe Häven, dicht rechts am Wege nach Langen=Jarchow, nicht weit von der Gutsgrenze und von einer Langen=Jarchowschen Büdnerei, welche schräge gegenüber links an dem Wege steht. Hier ist eine natürliche, niedrige Anhöhe, die in der Mitte eine fast kreisrunde, natürliche, niedrige, flache Erhebung von einigen hundert Fuß Durchmesser hat, welche aus Sand besteht. Da Herr Jenßen zur Trockenlegung, Erhöhung und Besserung einiger Hofstellen und Wege Sand gebrauchte, so ließ er diese Erhöhung abtragen und kam dabei ganz zufällig zu der Entdeckung der Alterthümer.

Die Begräbnißstellen waren weder durch Hügel oder künstliche Erhöhungen, noch durch irgend ein anderes Merkmal bezeichnet. Nach den Berichten alter Leute haben früher Eichen auf dem Platze gestanden.

Jetzt ist dieser Platz wieder geebnet und unter den Pflug gebracht.


(  ...  ) besaßen, mit einem Querbalken im Schilde. Das Gut führt im 15. und 16. Jahrhundert immer und häufig den Namen "to den hôuen" oder " ho e uen" (hôen) und trägt diesen Namen wohl deshalb, weil auf demselben mehrere Höfe lagen, wie z. B. Henneke von Wedel auf Schlagstorf 1413 auch einen Hof "to den houen" und das Kloster Tempzin schon früh Pfandbesitz daselbst hatte. Im Jahre 1504 verkauften die von Plate das Gut an die nahe Antonius=Präceptorei Tempzin und im Jahre 1510 kam der See an dieselbe. Würde das Gut von "Hufen" den Namen haben, so würde dieser mittelalterlich wohl "to den hůuen" gelautet haben, was aber nie der Fall ist.
1) Dem Hofe Häven gerade südlich gegenüber am andern Ufer des Sees liegt das Gut Keetz, in früheren Zeiten lange ein Lehn der adeligen Familie Sperling. Die Lage von Häven wird oft nach diesem Gute bezeichnet: "belegen by Ketze" oder "by deme see to Ketze". Der See kam im Jahre 1510 an das Kloster Tempzin und dadurch zu dem Gute Häven.
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Es sind zwar öfter Funde von vielen und einzelnen, immer ähnlichen Alterthümern in Meklenburg, im Lande Lüneburg und vorzüglich auf den dänischen Inseln gemacht, aber nie, so viel ich weiß, bei menschlichen Gerippen. Die Fundstelle von Häven zeichnet sich also vor allen andern bisher bekannt gewordenen dadurch aus, daß sie ohne Zweifel eine Begräbnißstelle ist und vorzüglich dadurch wichtige Anhaltspunkte darbieten kann.

Die Aufgrabung des Platzes zerfällt selbstverständlich in zwei Abtheilungen, je nachdem entweder Herr Jenßen allein die zuerst gefundenen Gegenstände an sich genommen und abgeliefert, oder in Gemeinschaft mit mir die später gefundenen Leichen aufgenommen hat. Zu der Beschreibung der ersten Aufgrabung hat Herr Jenßen zwar die nöthigen Beobachtungen gemacht und kann jedem einzelnen Begräbnisse die dazu gehörenden Alterthümer nachweisen, es lassen sich aber die Schädel nicht mehr bestimmten Gräbern und Alterthümern zuweiscn. Ich muß daher in der Beschreibung der Gräber den Berichten des Herrn Jenßen folgen.

Beschreibung.

A. Erste Aufgrabung.

Herr Jenßen grub drei Gräber auf. Die einzelnen Leichen waren ohne Leichenbrand 5 bis 6 Fuß tief im Sande in Reihen begraben, ohne irgend eine Spur von Umhüllung. Neben allen Gerippen lagen Alterthümer, welche alle als römische zu erkennen sind. Jede Leiche war in der Tiefe mit einem runden Haufen von Steinen, "Feldsteinen", d. i. Granitfindlingen ungefähr von Menschenkopfgröße, zugedeckt, welche während der zweiten Aufgrabung noch auf dem Platze aufgehäuft lagen. Die einzelnen Gräber waren ungefähr 10 Fuß von einander entfernt.

Die Gerippe sind ziemlich gut erhalten und fest, alle von ausgewachsenen Menschen. Die Schädel, alle drei Langschädel ("dolichocephal"), sind beinahe vollständig. Die Zähne sind vollzählig und meistentheils gesund. Ein Schädel hat eine hohe, gerade Stirn mit stark ausgeprägten Augenbrauenbogen; die Zähne sind schon etwas abgeschliffen. Eine zweite Stirn ist etwas schmaler; die Zähne sind noch

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kräftiger. Eine dritte Stirn ist niedriger, die Schädelbeine sind feiner, die Zähne schon sehr abgeschliffen.

Die Beinknochen sind sehr lang und haben sicher sehr großen Menschen gehört. Zwei gleich lange rechte Oberschenkelknochen (femur), also von zwei Gerippen stammend, sind 21 1/2 Zoll Hamb. Maaß oder 51 Centimetres lang.

Professor His erklärt die beiden ziemlich gut erhaltenen Schädel Nr. 1 und 2 aus der ersten Aufgrabung für "exquisit dolichocephal" von der römischen Form der "Hohberg=Form" und in bemerkenswerther Weise übereinstimmend (vgl. unten die Beurtheilung von His am Ende der Schlußfolgerungen). Der Schädel Nr. 3, welcher nur in der vorderen Hälfte erhalten ist, ähnelt den beiden ersten Schädeln und wird sicher auch dolichocephal sein. Der Schädel Nr. 1 stammt "unzweifelhaft von einem Manne", während der Schädel Nr. 2 "möglicher Weise weiblichen Ursprunges sein kann". Nach den beigegebenen Alterthümern werden aber alle 3 Gräber Nr. 1, 2 und 3 Männergräber sein.

Grab Nr. 1.

In einem Grabe der ersten Aufgrabung wurden folgende Sachen gefunden.

1) Ein großer glockenförmiger "Krater" ("Vase, Eimer oder Kessel"), abgebildet auf der Steindrucktafel 1, Fig. 1 und Fig. 1a. und 1b., von Bronze, mit einem dünnen, breiten, gravirten bronzenen Eimerhenkel, leider in der untern Hälfte zerbrochen 1 ), so daß von dem Boden nur der kleine, schwere, gedrehete und mit eingedreheten Ringen verzierte Fuß vorhanden ist. Die obere Oeffnung des Gefäßes hat 8 1/2 Hamburger Zoll oder genau 20 Centimetres im Durchmesser. Der obere Rand hat eine reich verzierte Kante von 2 Zoll Breite, abgebildet auf der Steindrucktafel I, Fig. 1a. und 1b. Den äußersten Saum bildet ein gravirter Eierstab von ungefähr 1/2 Zoll Breite, in welchem die kleinen, hohlen Eier von sehr dünnem Blech aufgesetzt und vergoldet sind. Den untern Saum dieser Verzierung bildet ein gravirtes gedrehtes Seil von ungefähr 3/8 Zoll Breite. Dazwischen liegt ein Band, welches mit phantastischen Ge=


1) Die römischen Bronze=Krateren sind häufig schon in der Erde fest stehend zerbrochen. Die Wandungen sind nämlich gewöhnlich außerordentlich dünne, dagegen der dicke Rand und der massige Henkel, eben so der Fuß sehr stark und schwer.
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stalten reich gravirt ist. Unter jedem der beiden untern Henkelöhre ist ein kleiner, auf einem Delphin reitender Eros dargestellt. Den übrigen Raum füllen an jeder Seite vier tritonenartige Thiergestalten oder Seeungethüme, von denen je zwei den Eroten, und je zwei einander entgegengekehrt sind. Die tritonenartigen Seeungethüme bestehen im Vordertheil aus vierfüßigen Thieren, welche mit den Vorderbeinen ausschreiten, im Hintertheil aus gewundenen Fischschwänzen, welche sich mit den Schwanzflossen berühren. Alle diese Verzierungen sind, mit Ausnahme der Eier, gravirt und die vertieften Linien scheinen nach einigen leichten Spuren mit Silber ausgelegt gewesen zu sein.

Der Herr Dr. Rolle zu Homburg v. d. H. hat nach der mitgeteilten Lithographie diese Seeungethüme von der naturhistorischen Seite studirt und seine Ansichten im Folgenden mitgetheilt.

Der Delphin, auf dem ein Eros reitet, mit der kugeligen Stirn und der kurzen Schnauze, ist Delphinus Orca (der große Delphin), Butzkopf, den Alten als Orca bekannt und auf Münzen dargestellt. Dieser Delphin ist mehr an den atlantischen Küsten verbreitet, als im Mittelmeer. Dieser Delphin erscheint mit dem Seestier und mit Eroten auch in K. O. Müller's Denkmälern der alten Kunst, I, Taf. 40, Fig. 175.

Die übrigen Gestalten erklärt Herr Dr. Rolle folgendermaßen. Die Seeungethüme des Randes können also erklärt werden:

im obern Streifen der Lithographie des Randes Fig. 1a., von links nach rechts:

See=Pferd, See=Stier; - See=Dachs, See=Wolf,

im untern Streifen der Lithographie des Randes Fig. 1b., von links nach rechts:

See=Hund?, See=Pferd; - See=Biber, See=Greif.

Von diesen Figuren zeigen die mit dem Biberkopf und dem Dachskopf eine gewisse zoologische Treue. Zwei der andern, der Seewolf und das vordere Bild der zweiten Reihe, schweifen wohl stark von der Natur ab und sind vielleicht bloße Phantasiebilder, an deren Entzifferung die Mühe verloren geht.

Der Eber ist fast identisch mit dem Bilde auf einer antiken Münze in K. O. Müller's Denkm. I, Taf. 68, Fig. 881; jedoch ist die Zeichnung bei Müller feiner und zierlicher ausgeführt.

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Das Seepferd mit dem Lotus=Schwanz erscheint bei K. O. Müller II, Taf. 6, Fig. 68, zusammen mit Aphrodite und Eros; es soll eine Münze der Bruttier sein.

Der auf der Kante mehrfach wiederholte Doppelkegel läßt sich mit nichts so sehr vergleichen, als mit der mittelmeerischen Kegelschnecke (Conus Mediterraneus). Diese Art lebt im Mittelmeer, wo sie bis zur Südküste von Portugal reicht; an der atlantischen Küste von Europa fehlt sie.

(Die am Rande der Kante vielfach stehenden gerippten Kegel scheinen Herzmuscheln (Cardium) oder Kammmuscheln (Pecten) darstellen zu sollen.)

Darf man auf Delphinus Orca und Conus Mediterraneus Gewicht legen, so würden diese auf Massilia, wenn auch nicht als Fabricationsstätte, doch als Ursprung des Musters deuten, eine Hypothese, die freilich wenig mehr als ein Fingerzeig ist.

Dieser Krater ist ganz dem bei Grabow gefundenen, oben Nr. 1 beschriebenen gleich und beide deuten auf einen gleichzeitigen, sich unmittelbar berührenden Verkehr.

2) Ein etwas kleinerer, glockenförmiger "Krater" von Bronze, abgebildet auf der Steindrucktafel II, Fig. 17, stärker in den Wänden und vollständig erhalten, 8 Zoll hoch und 8 Zoll im Durchmesser weit, mit einem kleinen gedreheten Fuße, mit einem starken, gegossenen, runden Eimerhenkel, welcher mit feinen doppelten Querlinien verziert ist, in natürlicher Größe an der Stelle und mit der Art und Weise der Einhängung abgebildet auf der Steindrucktafel II, Fig. 17 a.

Am obern Rande und unter dem Fuße sind sehr feine concentrische Kreise eingedrehet, die sich auch sehr häufig auf Gefäßen dieser Art finden. Die untere Seite des gewöhnlich schweren Fußes ist in der Regel mit reichen, abgedreheten Kreisen verziert.

Der hier beschriebene und in natürlicher Stärke abgebildete Kraterhenkel, welcher an großen Bronze=Gefäßen einer gewissen Zeit oft vorkommt, ist für diese Zeit und diese Geräthe ganz bestimmt bezeichnend. Er findet sich ebenso auch an dem Krater von Grabow, oben Grabow Nr. 1, und an den Hävenschen Gefäßen in Grab 2, Nr. 10, und in Grab 6, Nr. 43; im Museum zu Wiesbaden ist ein ganz gleicher Henkel von Heddernheim (vgl. unten) und auch in Hannover und Dänemark haben mehrere Bronzegefäße denselben Henkel. Vgl. Einfeld a. a. O. Lithographie Fig. 2, und Worsaae Nordiske Oldsager, p. 74, Fig. 302.

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Nur der Henkel an dem gravirten Krater von Häven, Grab 1, Nr. 1, hat einen abweichenden, breiten, dünnen Henkel, ähnlich den Henkeln an den hölzernen Eimern in Grab 2, Nr. 14 und 15.

Auffallend ist es, daß der sonst so kunstreich gearbeitete Krater Nr. 1 einen so schlichten Henkel ("Seil", wie man es niederdeutsch nennt) hat. Vielleicht ist dieser aber nur ein Nothhenkel. Es giebt römische "Kessel" und Eimer, welche zwei Henkel haben, wie z. B. der Kessel von Börry im Hannoverschen und das Eimer von Pansdorf (vgl. unten) im Lübeckischen. Man hat die Frage wiederholt erörtert, warum die Römer manchen Krateren zwei Henkel gegeben haben. Ich meine, daß dadurch das Schwanken und Ueberfließen des mit Flüssigkeiten gefüllten Kessels vermieden wird, wenn man ihn an zwei zusammen gefaßten Henkeln trägt und hebt. Die Einrichtung ist also sehr praktisch. Auch mochten die zwei Henkeln, einzeln gefaßt, zum leichtern Tragen und Heben durch zwei Personen dienen können, da ein solcher mit Flüssigkeit gefüllter Kessel doch immer an 40 Pfund schwer sein wird.

Der Hävensche Krater Nr. 1 hat nun auf dem Rande einen aufstehenden starken Lappen, welcher 3 Löcher hat. In dem obern Loche hängt der Henkel. Unter diesem Loche sind auseinander stehend noch 2 Löcher (vgl. Taf. I, Fig. 1 und Fig. 1a.), welche keinen Zweck zu haben scheinen. Aber sicher sind sie dazu bestimmt, auch zwei Henkel aufnehmen zu können. Da diese vielleicht gefehlt haben, oder als überflüssig ausgenommen und anders verwandt sind, so hat man sich damit begnügt einen einzigen einfachem Henkel, wie einen solchen die hölzernen Eimer haben, in das obere Loch einzuhängen. Daher die 3 Löcher.

Dieser "Kessel" Fig. 17 giebt ein klares Bild von der Gestalt der übrigen zerbrochenen "Krateren".

In beiden Kesseln sitzt bis zu ungefähr 2/3 des innern Raumes unten eine dünne Schicht von einer weißlichen, von Grünspan etwas grün gefärbten Masse, welche ein Niederschlag von den dem Todten mitgegebenen Speisen oder Getränken sein mag. Auch auf den dänischen Inseln ist diese Masse in römischen "Kesseln" beobachtet worden.

3) Eine große flache Schale von Bronze, leider zerbrochen, welche 3 bis 3 1/2 Zoll hoch gewesen sein mag und 10 Zoll im Durchmesser hat, mit flachem Boden. Außen

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und innen ist das Gefäß mit feinen eingedreheten Linien verziert. An einer Seite ist eine birnenförmige Löthstelle erkennbar, an welcher sicher ein Griff angelöthet gewesen ist. Eine gleiche Schale ward auch bei Grabow gefunden; vgl. oben S. 103.

4) Eine Kelle von Bronze und

5) ein Sieb von Bronze, welches so genau in die Kelle paßt, daß auch die Umrisse der beiden Griffe vollständig congruiren, abgebildet auf der Steindrucktafel 1, Fig. 3 und 4. Auch haben beide, wie schon die Verschiedenheit des Rostes zeigt, in dem Grabe in einander gestanden. Die Kelle ist 2 1/2 Zoll hoch und 5 Zoll weit im Innern Durchmesser, hat einen abgeflachten Boden und ist an dem Rande und auf dem Boden mit feinen eingedreheten Linien verziert. Das Sieb ist verhältnißmäßig ein wenig kleiner und auf dem Boden mehr abgerundet, so daß das Gefäß, wenn man es allein hinstellt, auf den Griff zurückfällt, wie fast alle in den nordischen Ländern gefundenen römischen Siebe. Die Sieblöcher sind in schönen Figuren geordnet.

Diese Gefäße werden fälschlich "Kasserollen" genannt. "Kasserollen" sind größere und flachere Gefäße mit Griff zum Braten; eher könnte man die unter Nr. 3 aufgeführte flache "Schale" eine "Kasserolle" nennen. Diese hier gefundenen Gefäße sind ohne Zweifel Kellen, und zwar Schöpfkellen, zum Schöpfen von Flüssigkeiten; für Kasserollen würde das stets die Kelle begleitende Sieb ganz überflüssig und unerklärlich sein. Auch in dem Hildesheimer Silberfund sind "Kellen", wie die von mir untersuchten Gypsabgüsse beweisen, aber keine Kasserollen. Schon im J. 1838 habe ich bei der Erklärung der prachtvoll ciselirten silbernen Kelle, welche in Meklenburg auf dem Gute Groß=Kelle bei Röbel mit ähnlichen römischen Geräthen, wie zu Häven, gefunden ward und mit jedem Geräte dieser Art eine Vergleichung aushält, diese Geräthe für "Schöpfkellen" erklärt; vgl. Jahrbücher III, B, S. 46 flgd. - Kellen (auch mit römischen Fabrikstempeln) und Siebe finden sich im Norden in den meisten römischen Funden und gehören zu den sichersten Kennzeichen römischen Ursprunges, da dieselben römische Erfindung zu sein scheinen. (Vgl. Jahrb. XI, S. 397.) Sie werden viel später nicht mehr vorkommen. Schon aus der Auffindung von Kellen konnte man mit Sicherheit schließen, daß der Hildesheimer Fund ein römischer sei.

6) Ein Becher von geschliffenem, "weißem", wasserhellem Glase, in Gestalt und Größe ungefähr einer abgerundeten

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Obertasse, leider zerbrochen, und nur in einer senkrechten Hälfte vorhanden, abgebildet auf der Steindrucktafel II, Fig. 20. Das Gefäß ist ungefähr 2 1/2 Zoll hoch und 4 1/4 Zoll weit und hat einen abgerundeten Boden, so daß es kaum hat stehen können. Die Außenfläche und der Boden sind durch eingeschliffene senkrechte Linien verziert; dazwischen läuft gegen den Bodenrand ein Band von eingeschliffenen Halbkugeln. - Auch in dem römischen Funde von Grabow fand sich ein gläsernes Gefäß. - In den römischen Funden von den dänischen Inseln im Museum zu Kopenhagen finden sich viele Gläser, welche theils an Gestalt, theils an Schleiferei dem Hävenschen Glase gleich sind. Ein Glas von "Lille Varlöse Kro" ist an Form gleich. Gläser in den Funden von Taastrup und Höirup sind mit denselben eingeschliffenen Halbkugeln verziert, welche jedoch ein wenig mehr oval sind. Ein großes becherförmiges Glas ist ganz wie das Hävensche mit auswechselnden Reihen von eingeschliffenen senkrechten Linien und Halbkugeln verziert, welche jedoch nach der Form des Glases größer und in den Halbkugeln ovaler sind. Ein großes becherförmiges Glas ist mit eingeschliffenen sehr großen Halbkugeln verziert. Es ist also nicht zu bezweifeln, daß das Hävensche Glas römischen Ursprunges ist, wenn es auch fast ganz neu und wasserhell erscheint. Auch in Kopenhagen sind in römischen Funden wasserhelle Gläser von derselben Form, während mehrere große geschliffene becherförmige Gläser dunkel angelaufen sind.

Ich bin geneigt, in den hier bisher aufgezählten Geräthen den vollständigen römischen Trinkapparat zu erkennen, den man bei dem eigentlichen "Trinken" ("commissatio") anwandte und den, nach alten Ueberlieferungen, auch die alten Deutschen wohl gerne gebrauchten. Bei den Trinkgelagen ward der Wein gemischt und gewürzt, theils mit Wasser bei den schwereren italiänischen Weinen, theils aber auch gewiß mit Gewürzen, Kräutern und Früchten. Diese Mischung geschah in dem Kessel oder Krater (κρατίρ), "Mischkrug". Dies sind unsere hier gefundenen Bronzekessel. Zu dem Krater gehörte eine Untersatzschale (ίποκρατίριου), theils um den Krater, der in der Regel einen kleinen Fuß hatte, bei der Mischung darauf zu stellen, theils um die nassen Schöpfkellen darauf zu legen. Das Getränk schöpfte man aus dem Krater mit der Kelle und dem Siebe ("siebartigem Trichter", ίδμός, ύλισχτήρ colum, saccus, sacculus) in die Becher, so daß man mit Kelle und Sieb zugleich schöpfte, dann das Sieb mit dem derbem Rückstande

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aus der Kelle nahm und es auf die Schale legte, und dann mit der Kelle in die Becher goß. Auch goß man das Getränk wohl über Eis in dem Siebe. Vgl. Römische Privatalterthümer von J. Marquardt, I, 1861, S. 341 flgd. Es ist dies ganz das heutige Verfahren bei der "Bowle", nur daß uns das Sieb unbekannt ist. - Auch in dem Funde von Grabow befindet sich eine Kelle und ein Sieb, welche ebenfalls genau congruiren und in den Formen fast ganz mit diesen von Häven übereinstimmen; vgl. S. 103.

Zur größern Vervollständigung fand sich in diesem Grabe noch

7) eine Schere von Bronze und

8) ein Messer von Bronze. Bronzene Scheren und Messer kommen fast in allen größern römischen Funden im Norden vor und sind ebenfalls ein ziemlich sicheres Kennzeichen römischen Ursprunges. Bronzene Scheren und Messer sind bei römischen Funden in Meklenburg öfter gefunden, theils einzeln oder mit wenigen Alterthümern, theils in größern römischen Funden, z. B. in dem Funde von Groß=Kelle (Jahrb. III, B, S. 52 und 53, und Abbildung zu Jahrb. V, B, Fig. 5 und 6) und in dem Funde von Hagenow (Jahrb. VIII, B, S. 43, und Abbildung Fig. 7). Die Scheren haben die Gestalt der heutigen Schafscheren, mit einem elastischen Bügel. Wahrscheinlich war die Schere eine neue römische oder doch verhältnißmäßig junge Erfindung und daher wohl ein begehrter Handelsartikel. In der Steinzeit konnte man natürlich noch keine Scheren haben. Auch aus der Bronzezeit, so lange sie ihre Eigenthümlichkeiten bewahrt, ist mir nie eine Schere vorgekommen. Die Schere scheint erst mit den römischen Alterthümern der ältern Kaiserzeit aufzutreten und kommt dann, gewöhnlich von Eisen, seit der altern Eisenzeit im Norden häufig vor. Die Sache verdient allerdings eine gründliche, weit reichende Untersuchung aus Alterthumsfunden.

9) Eine "Heftel" von Silber, oder "Gewandnadel" mit Spiralfeder, von der bekannten Einrichtung, wie sich dergleichen fast in jedem Grabe finden. Diese Heftel, welche nur kurz ist, ähnlich der Heftel auf der Steindrucktafel II, Fig. 22, hat ebenfalls die von den einheimischen Hefteln abweichende Einrichtung, daß am untern Ende des Bügels eine ovale, nicht polirte Platte befestigt ist, welche, wie es auch den Anschein hat, mit farbigem Schmuck belegt

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gewesen 1 ) ist, welcher sich aber nicht erhalten hat. Das obere Ende des Bügels ist mit 2 dünnen Perlenreihen von Gold zwischen 2 silbernen verziert. In fast allen Gräbern dieses Begräbnißplatzes fand sich eine solche Heftel. Auch ward eine solche in dem Funde von Grabow gefunden; vgl. oben S. 103. Diese Art von Hefteln mit den runden Verzierungsplatten scheint ganz römisch zu sein, da dergleichen in den heimischen Gräbern nicht vorkommen.

Grab Nr. 2.

In einem zweiten Grabe der ersten Aufgrabung wurden folgende Sachen gefunden.

10) Ein großer glockenförmiger Krater von Bronze, ähnlich dem Krater auf der Steindrucktafel II, Fig. 17, in der untern Hälfte leider zerbrochen und verbogen, 9 Zoll im Durchmesser weit, mit einem kleinen gedreheten Fuße, mit einem etwas verbogenen und an beiden Enden zerbrochenen, gegossenen, massiven, starken, runden Eimerhenkel, welcher mit feinen doppelten Querlinien verziert ist. Diese Henkel sind ganz charakteristisch und finden sich genau so an Bronzegefäßen im Nassauischen und im Hannoverschen, eben so an den meisten römischen Bronze=Krateren aus römischen Funden von den dänischen Inseln im Museum zu Kopenhagen. Der obere Rand und der Fuß sind mit feinen, eingedreheten Linien verziert. Dieser Krater gleicht also dem kleinen Krater Nr. 2, ist aber viel größer, als dieser.

11) Eine Kelle von Bronze und

12) ein Sieb von Bronze, wie die auf der Steindrucktafel I, Fig. 3 und 4 abgebildeten, sehr dünne und sauber gearbeitet, zusammen gehörend, wenn auch die Umrisse des Siebgriffes nicht ganz genau mit denen des Kellengriffes congruiren, eben so wie die Kelle und das Sieb Nr. 4 und 5, jedoch 4 Zoll weit, und zierlicher. Die Kelle


1) Baron v. Bonstetten bildet 3 ähnliche "römische" ("de forme romaine") Hefteln ab, die am Ende des Bügels ebenfalls eine runde Verzierungsplatte haben, welche mit einer farbigen Glaspaste belegt ist ("rosette en pâte de verre"). Sie stammen aus einem Grabe mit einer "beerdigten" Leiche ("tombe à inhumation") bei Mutenz bei Basel, welches ebenfalls in den Kiessand gegraben und auf dem Erdboden nicht gekennzeichnet war. Das Grab enthielt 8 Hefteln. Vgl. De Bonstetten Supplenent au récueil d'antiquités Suisses, Lausanne, 1860, p. 25 und Planche XVIII, Fig. 7, 8, 9. Vgl. Second Supplement, p. 15 und Planche XII, Fig. 2 et 3.
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ist inwendig und auf dem Boden mit eingedreheten Linien verziert. Die Linien der Sieblöcher sind denen des Siebes Nr. 5 ganz gleich, so daß man annehmen muß, beide seien von demselben Arbeiter gefertigt.

13) Eine Heftel von Bronze mit Spiralfeder, abgebildet auf der Steindrucktafel II, Fig. 23. Der Bügel läuft unten in eine runde Platte aus und ist oben mit einer größern ovalen Platte belegt, welche nach allen Anzeichen mit farbigem Schmuck verziert gewesen ist, wie oben die Heftel Nr. 9 und die Heftel von Grabow. Die Enden der Querstange, um welche sich die Spiralfeder schlingt, sind mit 2 feinen silbernen Perlenrändern verziert.

14) und 15) Zwei gleiche Eimer von Holz 1 ) mit Bronzebeschlag, sehr merkwürdige Alterthümer, abgebildet auf der Steindrucktafel II, Fig. 16. Das braune Holz ist außerordentlich fein an Fasern und sehr dünn und untadelhaft geschickt gearbeitet; es ist unter dem Randbeschlag vollkommen erhalten, in den Seitenwänden und im Boden aber zerbrochen und spurlos verschwunden. Die "Stäbe" sind nur ungefähr 1/8 Zoll oder 1/4 Centimeter dick und regelrecht geglättet, wie polirt. Jedes Eimer ist in der Mündung 8 1/4 Zoll weit im Durchmesser und ist ungefähr 9 Zoll hoch gewesen. Jedes Eimer hat 3 Haupt=Bänder aus Bronze=Blech gehabt, welche 3/4 Zoll breit sind. Jedes Band ist von einem schmalen, 1 /8 Zoll breiten Verzierungsstreifen begleitet, welcher mit getriebenen, runden Buckeln verziert ist. Zwischen je 2 Haupt=Bändern liegt noch ein solcher schmaler Verzierungsstreifen. Der obere Rand des Eimers ist durch ein schmales Bronzeband gehalten, welches an beiden Seiten, über das erste Hauptband und das Holz übergreift. Die Oehren mit Lappen für die hübsch geformten bronzenen Henkel sind auf das obere Hauptband und das Holz fest genietet.

Es ist von Wichtigkeit zu wissen, von welchem Holze die Eimer gemacht sind, schon um daraus vielleicht schließen


1) Auch in Dänemark, wo ähnliche römische Geräte oft gefunden werden, sind in neuern Zeiten zu Thorslunde bei Kopenhagen gefunden: eine Kasserolle, ein Sieb, ein Griff und Bruchstücke von einer Kasserolle, Bruchstücke von einem schwarzen Thongefäß und von einem Holzeimer, bei einigen Knochen; vgl. Aarböger for Nordisk Oldkyndighed, 1868, Heft II, p. 132, Nr. 88. Ein offenbar römisches in Dänemark gefundenes Holzeimer ist abgebildet in Worsaae Nordiske Oldsager, 1859, p. 76, Fig. 311.
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zu können, ob sie hier zu Lande gemacht oder fertig eingeführt seien. Schon aus dem feinen, festen, ebenen Fasergefüge ließ sich vermuthen, daß das Holz ein "edleres" sei und von keinem bekannten nordischen Baume stamme, da auch alle Eigenthümlichkeiten dieser Hölzer fehlen. Mein sicher bewährter Freund Dr. Röper, Professor der Botanik an der Universität zu Rostock, hat nach genauen Untersuchungen und mit Sachkenntniß sichern Aufschluß gegeben. "Eibenholz (Taxus baccata) lieferte die Stäbe zu diesen römischen Eimern; daran ist wegen des eigenthümlichen Baues gar nicht zu zweifeln. Das Kernholz der Eibe ist von Natur fest und so braun, wie das vorliegende Bruchstück; die jüngsten Jahresringe sind fast so hell, wie Buchenholz. Dieser "Splint" ist aber ganz bestimmt zu den Eimern nicht verwandt worden. Von Cedern, Pinien, Zirbeltannen ist das Eimerholz entschieden auch nicht. Es kann nur Eibenholz (Taxus baccata) sein. Wo dieses Holz aber gewachsen ist, läßt sich selbstverständlich nicht entscheiden. Die Eibe ist (als Waldbaum) jetzt in Mittel=Europa überall selten, jedoch war sie in frühern Zeiten auch an der Ostsee häufiger; jedoch ist es nicht gewiß, ob ursprünglich, oder eingeführt. In Meklenburg ist nur noch ein uralter Stamm am Leben in der Rostocker Haide mitten im Walde bei Rövershagen; in Pommern und auf Rügen ist sie auch schon fast ausgestorben; in der Provinz Preußen ist sie noch häufiger. Aber am Harze wird sie bald ausgerottet sein, so wie auch in der Schweiz, wo sie, einzelne Ausnahmen an unerreichbaren Abgründen ausgenommen, den Holzschnitzern erlegen ist 1 )." Auch der Herr Dr. Schwendener, Professor der Botanik an der Universität zu Basel, dem auch ein Stück Holz zur Ansicht vorgelegt ward, urtheilt, daß das "Holz nach mikroskopischer Untersuchung zweifellos Taxusholz" ist. - Es ist daher wohl nicht zu bezweifeln, daß diese Eimer schon zusammengefügt hier eingeführt wurden. Denn theils dürfte es


1) Im Taunus=Lande ist nach Versicherung dortiger Botaniker und Forstmänner auch kein Eibenholz mehr zu finden. Nach alten Berichten standen jedoch noch vor hundert Jahren vor der Saalburg, welche man damals für die Ruinen eines "Schlosses" hielt, "Hecken" von Taxus und Buxbaum und nach alten Archiv=Nachrichten standen, nach Mittheilungen des Herrn Baumeisters Jacobi zu Homburg, auch auf der Höhe des Altkönig Eibenbäume. Diese Bemerkungen mögen für den unten folgenden Abschnitt: "Vergleichungen und Zeitbestimmung" von Werth sein.
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den Verfertigern hier an dem ihnen gewiß wohl bekannten Holze 1 ), theils an den nötigen Geräthen zur Bearbeitung und an den Werkzeugen und dem nöthigen Metall zu dem reichen Bronzebeschlag gefehlt haben. Die Eimer sind also wohl ohne Zweifel aus Eibenholz in den römischen Staaten gemacht und fertig in den Norden eingeführt. Von einheimischen Gefäßen finden sich in diesen Gräbern zur nothdürftigen Aushülfe nur die bekannten grobkörnigen Thongefäße.

Im Museum zu Kopenhagen sind in römischen Funden von den dänischen Inseln ungefähr 6 hölzerne Eimer mit Bronzebeschlag gefunden, welche ziemlich gut erhalten, jedoch von gröberem Holze zu sein scheinen und nicht so reich verziert sind; der Boden ist weiter, als die Oeffnung, während die Hävenschen Beschlagreifen alle gleich weit sind.

Es sind auch sonst in Norddeutschland römische Eimer, zum Theil mit Holzresten, gefunden, wenn man die Gefäße mit senkrechten Wänden und flachem Boden vom Durchmesser des Gefäßes und des Oeffnungsrandes "Eimer" nennt, wogegen die "Krateren" oder Kessel eine glockenförmige Gestalt und einen kleinen, runden, abgedreheten Fuß haben. Bei Luttum im Amte Verden wurden in 3 Grabhügeln in jedem ein bronzenes Eimer gefunden, welche in Form und Arbeit alle gleich und 6 1/4 und 7 Zoll hoch sind, und bei Nienburg an der Weser ward in einem Hügelgrabe ein gleiches Eimer gefunden. Alle waren früher in der Sammlung des Grafen Münster, von demselben ausgegraben, jetzt in den Sammlungen zu Hannover. In den Eimern lagen zerbrannte Menschenknochen und auch kleine bronzene und eiserne Alterthümer. Diese Bronze=Eimer sind dadurch verziert, daß in der Wandung 7 und 8 erhabene halbrunde Reifen oder Wulste von innen nach außen geschlagen oder getrieben, oder "ausgewalzt", und die Enden fest und sauber vernietet sind. Jedes Eimer hat merkwürdiger Weise zwei eiserne Henkel. Der obere Rand des Eimers, von denen einer ziemlich gut erhalten und zu der Zeitschrift des historischen Vereins für Niedersachsen, Jahrgang 1854, Hannover 1856, Lithographie Fig. 5 abgebildet ist, ist von außen nach innen rund eingebogen und


1) Ueber das hohe Alter und die Dicke der Eibenbäume in Britannien vgl. A. v. Humboldt Ansichten der Natur, Bd. II, Stuttgart, 1869, S. 80.
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bildet eine Röhre von fast 1/4 Zoll Durchmesser, in welcher eine mehr als Strohhalm dicke, runde, hölzerne Ruthe steckt, offenbar zn dem Zwecke, daß der Rand nicht so leicht eingedeckt werden kann. Dieses Holz, in den ausgebrochenen Stellen des Randes deutlich zu sehen, ist durch das Kupferoxyd vollkommen und fest erhalten, von blaßgrüner Farbe und anscheinend "Weidenholz". Vgl. Zeitschrift a. a. O. Hannover: Ueber einige im Königreiche Hannover gefundene römische Bronze=Arbeiten, von Einfeld, S. 31 flgd. - Nach der brieflichen Mittheilung des Herrn Studienraths Müller zu Hannover sind im Hannoverschen auch hölzerne "Eimer" mit Bronzebeschlag gefunden, jedoch ist die "hölzerne Futterung" leider "gänzlich verschwunden".

Ein bisher noch nicht bekannt gewordenes, werthvolles, gleiches Eimer, wie die Hannoverschen, ward auch in der Nähe der Ostsee gefunden und ist im Besitze des um die Alterthumsforschung verdienten Lübeker Oberförsters Haug zu Waldhausen bei Lübek, welcher die große Güte gehabt hat, mir genaue Nachrichten und gute Photographien des Eimers einzusenden. Vor ungefähr 20 Jahren untersuchte Herr Haug auf dem Felde des Dorfes Pansdorf, 1 3/4 Meilen nördlich von der Stadt Lübek im Fürstenthume Lübek, hart an der Chaussee von Lübek nach Eutin, mehrere Kegelgräber. In einem damals noch ungefähr 3 Fuß hohen, im Innern mit einem großen Steinringe eingefaßten Hügel dicht vor dem Dorfe fand Herr Haug unter einem wohlgefügten rundlichen Pflaster von faustgroßen Feldsteinen in einer Kiste von flachen rothen Sandsteinen das erwähnte römische Bronzeeimer, zum Theil mit schönem edlen Rost bedeckt, welche mit zerbrannten Knochen, Asche und Sand gefüllt war, worin eine sichelförmige Messerklinge von Eisen lag. Das Eimer, 12 3/8 Zoll hoch und 11 1/2 Zoll im Durchmesser und 5 Pfund 1 Loth schwer, ist aus ziemlich starker, schöner Bronze so "getrieben", daß in der Wandung von innen nach außen 12 erhabene, halbrunde Reifen "geschlagen" oder getrieben und die Enden kunstvoll vernietet sind. Der oberste Reifen oder Rand ist zur Stärkung um einen als Korn dienenden eisernen Reif geschlagen, welcher stark gerostet ist. Das Gefäß hat zwei schlichte, massiv bronzene Henkel von ungefähr 1/4 Zoll Durchmesser, welche in langen Enden in thierkopfartige Verzierungen auslaufen; die Henkelhalter sind sauber angenietet. Der Boden ist außen mit breiten und schmalen erhabenen Reifen abgedreht.

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Es kann immer möglich sein, daß diese Gräber mit bronzenen Eimern, welche als Aschenurnen dienten, Römer=Gräber mit verbrannten Leichen waren.

Grab Nr. 3.

In einem dritten Grabe der ersten Aufgrabung wurden folgende Sachen gefunden.

16) Eine Kelle von Bronze, von Größe, Gestalt und Arbeit, wie die Kelle Nr. 11, jedoch ohne Sieb.

17) Eine Heftel von Bronze, ebenfalls mit 2 runden Verzierungsscheiben auf dem Bügel, fast ganz wie die Heftel Nr. 13. Der Bügel ist mit einem, die Querstange mit drei feinen silbernen Perlenrändern verziert.

Außerordentlich merkwürdig und wichtig ist die Auffindung von 3 thönernen Gefäßen in diesem Grabe, welche wohl sicher einheimische Arbeiten sind; eines dieser Gefäße ist abgebildet auf der Steindrucktafel II, Fig. 18. Sie sind ziemlich gut erhalten, schwarz von Farbe und alle mit Verzierungen geschmückt. Man gelangt durch Hülfe der römischen Alterthümer, mit denen sie zusammen gefunden sind, zu einer ungefähren Zeitbestimmung einer gewisse Art von heimischen Begräbnissen. Auch in einem andern Grabe der zweiten Aufgrabung von Häven fanden sich ähnliche thönerne Urnen. Die Formen sind mehr cylindrisch und die Verzierungen bestehen vorherrschend aus Zickzacklinien. Die Masse ist nach einheimischer heidnischer Weise bereitet, indem sie mit Sand durchknetet und nur am offenen Feuer gedörrt ist, nicht nach römischer Weise gebrannt 1 ). Die Urnen gleichen den Urnen der einheimischen alten Eisenzeit, z. B. den Urnen des reichen, früher sogenannten Wendenkirchhofs von Pritzier, der sich auch durch Glas und Silber auszeichnete (vgl. Jahrb. VIII, B, S. 58 flgd.), welche ich schon 1847 für die "ältern" Urnen der Eisenzeit erklärt habe (vgl. Jahrb. XIII, S. 428). Auch die Urnen aus dem Pfahlbau von Vimfow sind diesen ähnlich (vgl. Jahrb. XXXII, S. 227). Diese Urnen sind ohne Zweifel statt der römischen Bronze=Kessel und Schalen, welche hier ganz fehlen, in das Grab gesetzt.


1) Römische Thongefäße sind in Meklenburg nicht anders gefunden als in dem Grabe von Bibow, Jahrb. II, S. 50 mit Abbildungen; diese sind aber viel älter, als der Fund von Häven, und haben einen ganz andern Character als die römischen Thongefäße im Taunuslande. Das Fehlen römischer Thongefäße ist durch die Zerbrechlichkeit und die weiten Wege leicht zu erklären.
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18) Eine große Urne von Thon, mit engem Halse, und mit einem Fuß, 7 1/2 Zoll hoch, vorherrschend mit horizontalen Parallellinien verziert.

19) Eine mittlere Urne von Thon, abgebildet auf der Steindrucktafel II, Fig. 19, 4 1/2 Zoll hoch, fast ganz so, wie die hieneben abgebildete Urne von Pritzier (vgl. Jahrb. XII, S. 429), auf dem Bauchrande mit einer dreifachen Zickzacklinie und darüber mit einem Bande von Querstrichen verziert. Die Urne hat einen Henkel gehabt, welcher jedoch abgebrochen ist.

Urne

Auch in einem römischen Funde von den dänischen Inseln im Museum zu Kopenhagen ist eine heimische thönerne Urne, welche denselben Charakter an Form und Verzierung und dieselbe Größe hat, wie die Hävensche, wenn auch einzelne kleine Verschiedenheiten auf dänische Fabrication schließen lassen.

20) Eine kleine Urne von Thon, 2 1/2 Zoll hoch, überall reich und eigenthümlich verziert, leider nur noch in einem freilich großen Bruchstück vorhanden.

B. Zweite Aufgrabung.

Nachdem man nach der ersten Aufgrabung wieder auf drei Leichen gestoßen war, welche auf meinen dringenden Wunsch unangerührt in der Tiefe lagen, begab ich mich nach Häven, um diese Gräber selbst aufzudecken und zu erforschen. Die Gräber alle lagen auf der runden Höhe, wie es scheint in einem Kreise umher oder in zwei Reihen. Zwei Gräber lagen in der Nähe der drei zuerst aufgedeckten, das dritte Grab lag diesen gegenüber. Die ziemlich wohl erhaltenen Gerippe lagen 5 Fuß tief ausgestreckt im Sande, die Arme an den Seiten liegend. Die Alterthümer lagen auf verschiedenen Theilen des Gerippes oder standen zu den Füßen. Diese zuletzt aufgedeckten drei Gräber waren nicht mit Steinen zugedeckt, sondern lagen im reinen Sande. Dem Anscheine nach und nach den mitgegebenen Alterthümern waren die Gräber Nr. 5 und 6 Frauengräber. Alle Leichen lagen, ganz abweichend von sonstigen Bestattungs=

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weisen, mit dem Kopfe im Norden, so daß das Gesicht nach Süden (oder höchstens Südsüdwest) schauete.

Münzen sind trotz aller Aufmerksamkeit nicht gefunden. Auch Fabrikstempel und sonstige Zeichen sind nicht beobachtet.

Grab Nr. 4.

In einem Grabe am nördlichen Abhange des Hügels außerhalb der Gräberreihe, an der westlichen Seite der früher aufgedeckten Gräber, am Ende, ward ein gegen Süden gerichtetes Gerippe, jedoch gar nichts weiter gefunden. Der Schädel ist groß und stark und nähert sich stark der brachycephalen Form. Er steht dem "exquisit brachycephalen" Schädel Nr. 5 sehr nahe, ist aber größer und weniger edel in den Linien. Die Zähne sind alle gesund und noch nicht angegriffen, die Arm= und Beinknochen sind nicht stark. Es ist möglich, daß hier ein Sklave begraben ward.

Grab Nr. 5.

In einem andern Grabe an der östlichen Seite der früher aufgedeckten Gräber lag ein ebenfalls gegen Süden gerichtetes Gerippe. Der Schädel ist wohl erhalten und gebildet; die Zähne sind alle gesund, glänzend weiß und noch nicht angegriffen; die Arm= und Beinknochen sind schmächtig. Nach dem Urtheil des Herrn Professor His zu Basel (vgl. unten am Ende der Schlußfolgerungen) ist der sehr klar ausgeprägte Schädel "brachycephal" (Kurzschädel) von der "alemannischen Disentisform" und scheint "nach dem Stand der Näthe und der Beschaffenheit der Zähne einem jungem Individuum anzugehören". Nach den Beigaben zu urtheilen, barg das Grab wohl sicher eine weibliche Leiche.

Gefäße standen in diesem Grabe nicht.

Oben auf der Brust lag

21) eine Heftel von Silber, abgebildet auf der Steindrucktafel II, Fig. 22, ebenfalls mit einer ovalen Schere zur Aufnahme von Verzierungen am Ende des Bügels, die größte von allen auf dem Begräbnißplatze gefundenen Hefteln, gut 1 1/2 Loth schwer.

Auf der Brust entlang lagen 3 runde Knöpfe, welche jedenfalls von Wichtigkeit sind. Diese Knöpfe, welche 1 Zoll

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im Durchmesser haben, bestehen aus einer dünnen, vergoldeten Silberplatte, eingefaßt von einem glatten silbernen Ringe, welcher innen und außen von einem Perlenrande begleitet wird. In die Platte ist von hinten ein Reliefbild gepreßt, welches ziemlich hoch liegt. Es wäre möglich, daß diese Reliefbilder über alte Münzen abgepreßt sind; jedoch sind die Bilder auf den Knöpfen ein wenig höher, als auf Münzen, und von Inschriften ist keine Spur vorfanden.

22) Ein Knopf von vergoldetem Silber mit dem Bilde eines Vogels, welcher auf einem liegenden Fisch steht und mit dem Schnabel den Kopf des Fisches hackt, vollständig erhalten, abgebildet auf der Steindrucktafel I, Fig. 5. Diese Darstellung weiset auf südöstliche Gegenden, auf die Länder des Pontus Euxinus (Schwarze Meer) hin, auf Mösien. Wiberg 1 ) sagt bei der Aufzählung der Funde auf den pontisch=baltischen Handelsstraßen: "Zwenikorodska=Kreis: ein griechischer Bronzehelm, eine vergoldete Platte mit darauf abgebildetem Vogel, der einen Fisch zerreißt, wie man oft auf Münzen von Olbia, Sinope und Istros findet". Ein auf einem Delphin sitzender Vogel (Adler) war das Zeichen für die Stadt Istros in Mösien 2 ) (vgl. Mionnet Déscription I, p. 356). Eben so sehr scheint diese Darstellung auf die Stadt Olbia hinzudeuten. Olbia 3 ) war eine Colonie im Nordwesten des Pontus, wo der "Hypanis" (Bug) und "Borysthenes" (Dnieper) in eine gemeinschaftliche Bucht (Liman) münden, von den Milesiern gegründet. Es giebt kaum einen Ort, der wichtiger für uns wäre, als dieser, von welchem, mit dem Handel zugleich, die aufdämmernde Civilisation ihre Strahlen allmälig über das große sarmatische Tiefland in der Richtung nach dem baltischen Norden ausdehnte." Im Museum des Fürsten Kotschoubey 4 ) finden sich Zeichen von Olbia mit einem Fische, auch eine Münze mit einem Vogel auf

modernisirt dargestellt ist. Die Münze ist abgebildet Vol. I, Tab. IV, No. 4.


1) Vgl. C. F. Wiberg: Der Einfluß der klassischen Völker auf den Norden durch den Handelsverkehr. Aus dem Schwedischen von J. Mestorf. Hamburg, 1867, S. 92.
2) Die 8. Legion, welche eine lange Zeit des Kaiserreichs am Rhein und auf der Saalburg stand, lag bis zum J. 70 in Mösien.
3) Vgl. Wiberg a. a. O. S. 36 flgd.
4) Vgl. das große Werk: "Déscription du Musée de feu le prince de Kotschoubey, par B. de Köhne", St. Petersbourg, 1857, Vol. I.
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einem Fische, "welche vielleicht zwei der Hauptbilder von Olbia vereinigt".

23) Ein Knopf von vergoldetem Silber mit dem Bilde eines laufenden Ebers, abgebildet auf der Steindrucktafel I, Fig. 6. Der Leib des Ebers ist ganz zerdrückt. Kopf, Rücken, Beine und Schwanz sind jedoch gut erhalten; der kurze Schwanz ist nach Schweine Art gekrümmt und deutlich erkennbar. Der Eber erscheint häufig auf gallischen Münzen; vgl. Mionnet Supplément I, p. 186, Nr. 312 - 315, 328, 337, 339 - 349. Professor Holmboe in Christiania hat vor kurzem eine kleine Abhandlung darüber geschrieben in "Videnskabernes Forhandlinger for 1868: "Om Vildsviintypen paa galliske og indiska Mynter". Das Wildschwein kommt aber auch in Mösien vor, z. B. als Feldzeichen; vgl. Dr. Gaedechens: "Eberkopf und Gorgoneion als Amulete" in Jahrbüchern des Vereins der Rheinlande, Bonn, Heft XLVI, S. 26 flgd., und hier unten am Ende der "Vergleichung und Zeitbestimmung".

24) Ein dritter Knopf von vergoldetem Silber ist ganz zerdrückt und nicht mehr erkennbar.

25) Eine auf einen Bronzestreifen genietete kleine runde Bronzeplatte von gleicher Größe läßt keine Bestimmung errathen, eben so wenig

26), eine kleine runde Bronzeplatte von gleicher Größe.

Am Oberleibe lag

27) ein Kamm von Knochen, abgebildet auf der Steindrucktafel II, Fig. 25, Bruchstück, sehr gut gearbeitet, im Ganzen 2 Zoll, in den Zähnen 1 1/4 Zoll hoch, am Griffe auf beiden Seiten durch Bronzeniete mit Elfenbeinplatten belegt, welche mit Punctlinien verziert sind. Auch in den römischen Funden von den dänischen Inseln im Museum zu Kopenhagen finden sich viele Kämme, welche an Form und Arbeit gleich sind.

Ferner lag am Oberleibe

28) eine durchsichtige, rundliche, hellgrüne Glasperle.

Am Gürtel und an der Gegend des Oberschenkels lagen

29) eine Schnalle von Silber ganz glatt, gut 1 Loth schwer, und

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30) eine Schnalle von Bronze, abgebildet auf der Steindrucktafel I, Fig. 7, deren Bügelenden Vogelköpfe darstellen.

Endlich fanden sich zur Seite Streifen von schwärzlichem Moder, welcher theils faserig, theils glatt war, und von Zeug oder Leder, aber auch von Holz sein kann. Dabei lagen 4 silberne Beschläge.

31) Ein Beschlag von Silber, abgebildet auf der Steindrucktafel I, Fig. 8 in der Mitte wie ein Ring gestaltet, welcher nach zwei Seiten hin in breite Lappen ausläuft, von denen der eine 3 Niete am Ende hat. Auf der Rückseite sitzen Stücke von dem schwarzen Moder.

32) und 33) Zwei Streifen Silberblech, 1 3/4 Zoll lang und 1/2 Zoll breit, welche je auf einen gleich großen Streifen Bronzeblech in einem kleinen Abstande genietet sind, so daß irgend ein starker Stoff, vielleicht Leder, zugleich damit festgenietet gewesen ist.

34) Zwei zungenartige, an einem Ende zusammengenietete Silberstreifen, 1 3/4 Zoll lang.

Grab Nr. 6.

In einem andern Grabe, den bisher beschriebenen Gräbern gegenüber, lag, mit dem Gesichte gegen Süden gerichtet, ein Gerippe. Der Schädel war auf die rechte Seite gefallen und an dieser Seite zerbrochen und zum Theil vergangen; innerhalb des Schädels sind grüne Rostflecke, ein Zeichen, daß beim Verwesen bronzene Schmucksachen hineingefallen gewesen sind. Der sonst gut erhaltene Schädel und der Unterkiefer sind sehr klein und schmal, die Stirn ist sehr schmal und niedrig; die Zähne sind klein, die Weisheitszähne so eben im Durchbruch. Die Schädelwände sind sehr dünne, die Schädelnäthe noch nicht fest verwachsen. Die übrigen Knochen waren sehr dünne und stark vergangen.

Hiernach und nach den aufgefundenen Schmucksachen war dies die Leiche eines jungen Frauenzimmers.

Auf der Brust lag

35) eine dünne Heftel von Bronze, wie die Abbildung auf der Steindrucktafel II, Fig. 24, jedoch ohne aufgelegte runde Verzierungsplatten.

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In der Gegend des Oberleibes und Kopfes lag noch

36) ein Ring von Bronze, 1 1/4 Zoll im Durchmesser, welcher in einem Niet oder Haft beweglich hängt, und

37) eine spitze Nadel von Bronze mit einem kleinen Knopfe, 6 1/2 Zoll lang.

Am Halse und am Schädel lag eine große Menge verschiedenartiger Schmuckperlen, welche zum großen Theile aus dem mit Sand vollgeschlämmten Schädel herausgeholt wurden.

38) Mehrere kleine gepreßte Halbkugeln von Bronze, wie kleine Muscheln, abgebildet auf der Steindrucktafel I, Fig. 15, 5/8 Zoll im Durchmesser, auf der Oberfläche ganz mit kleinen Pünctchen besäet, welche von innen herausgetrieben sind. An einem Ende laufen sie in ein schmales Bronzeband aus, durch welches immer zwei solcher Halbkugeln zum Anhängen mit einander verbunden gewesen sind, wie noch ein vollständiges Exemplar aus zwei Hälften beweiset. Es wurden aus diesem Grabe 7 Hälften herausgeholt, jedoch haben sich schon vorher noch mehrere gefunden. Wahrscheinlich dienten diese Bronze=Muscheln zum Halsschmuck.

Ferner fanden sich in der Gegend des Halses und der Brust

39) 10 Halsbandperlen verschiedener Art: 7 runde Perlen von rothem, weißem, schwarzen und blauem undurchsichtigen Glase, zum Theil mosaikartig eingelegt, z. B. eine durchsichtige hochblaue Perle mit weißen Sternblumen, 2 weiße Stangenperlen, 1 bernsteinerne Stangenperle, wie die Abbildungen auf der Steindrucktafel I, Fig. 9 bis 13. Eine grünlich=weiße, undurchsichtige, gereifelte runde Perle ist abgebildet auf der Steindrucktafel I, Fig. 11. Die vielen in dem Begräbnißplatze von Pritzier gefundenen Glassachen sind den Hävenschen gleich (vgl. Jahrb. VIII, B, S. 65 und 73); dies scheint auf einen gleichzeitigen Handelsverkehr zu deuten.

40) Ein großer Knopf von Bernstein, 1 1/8 Zoll im Durchmesser, auf der Oberfläche verwittert.

41) Zwei kleine Knöpfe von (hellbraunem) Bernstein, 3/4 Zoll im Durchmesser, nicht verwittert.

42) Sechs beutelförmige oder birnenförmige Bommeln von (hellerem) Bernstein, abgebildet

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auf der Steindrucktafel I, Fig. 14, 1 Zoll lang, davon 1 vollständig und 2 zerbrochen, 4 auf der Oberfläche verwittert.

In der Nähe des rechten Kniees stand

43) ein großer, glockenförmiger Krater von Bronze, wie der auf der Steindrucktafel II, Fig. 17, 8 1/2 Zoll im Durchmesser weit, mit einem kleinen, starken Fuß und einem gegossenen, schweren Eimerhenkel, welcher mit doppelten Querreifen verziert ist. Als der Krater einigermaßen enthüllt war, stand er in seiner vollen Form noch ganz aufrecht; aber bei der Befreiung von der Erde zeigte sich, daß die ungewöhnlich dünnen Wände überall gänzlich zerbrochen waren. Und so zerfiel das Gefäß denn auch bald durch den Druck der Erde, mit der er gefüllt war, in viele Stücke. Nur der fast zu starke Rand mit dem Henkel und der starke Fuß sind unversehrt geblieben 1 ). Verziert war der Krater, wie gewöhnlich, mit feinen eingedreheten Linien.

Auch in diesem Grabe fanden sich mehrere thönerne Gefäße von einheimischer Fabrik, wie in dem Grabe Nr. 3.

Zunächst dicht an dem Fuße des Bronze=Kraters lag

44) eine kleine schwarze Urne von Thon, 4 Zoll hoch, mit einem hohlen Fuß, wohl schon eine Nachahmung der bronzenen Kraterfüße, vollständig erhalten. Die Verzierungen sind den Verzierungen der zu Nr. 19 abgebildeten Urne äußerst ähnlich.

Zu den Füßen standen zwei größere thönerne Urnen, welche zwar zerbrochen, aber doch zum größten Theil erhalten sind:

45) eine Urne von Thon, 6 Zoll hoch, mit 2 Knoten am Rande und mit Zickzacklinien und Parallellinien verziert;

46) eine Urne von Thon, 4 1/2 Zoll hoch, eben so verziert.

47) Ein Stückchen Eisen, wahrscheinlich Bruchstück eines Messerchens, 1/2 Quadratzoll groß, stark gerostet. Dies ist die einzige Spur von Eisen in dem ganzen Funde. Vgl. Nr. 49.


1) Diese Bronze=Krateren, welche einen sehr starken Rand und Henkel und einen sehr schweren Fuß haben, sind meistentheils in der Seitenwand äußerst dünne und daher gewöhnlich in der untern Hälfte zerbrochen.
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C. Beiläufige Funde.

Außer diesen hier aufgezählten Alterthümern hat Herr Jenßen in der letzten Zeit vor der zweiten Aufgrabung noch mehrere werthvolle Sachen nach und nach gefunden, immer sogleich an sich genommen und mir bei der Aufnehmung der drei letzten Leichen überliefert. Nach Herrn Jenßen's Mittheilung sind sie nach und nach vereinzelt an verschiedenen Stellen auf dem Begräbnißplatze beim Abfahren des Sandes gefunden. Es ist aber auch möglich, entweder daß diese Sachen noch von den Gräbern der ersten Aufgrabung stammen, oder von den Gräbern der zweiten Aufgrabung, deren Umfang man vielleicht zu nahe gekommen ist, wofür manche Stücke zu sprechen scheinen. Zu besondern Gräbern werden diese Sachen nicht gehört haben, da bisher keine anderen Gerippe als die aufgeführten 6 entdeckt sind. Genug, die im folgenden aufgezählten Alterthümer lassen sich keinem bestimmten Grabe zutheilen. Jedoch ist es nicht unwahrscheinlich, daß sie zum größten Theile zu dem Grabe Nr. 6 gehören.

Diese Alterthümer sind folgende.

48) Eine große, runde, gewölbte Schale oder Schüssel von Bronze, abgebildet auf der Steindrucktafel I, Fig. 2, mit sehr geschickt gedrehetem Fuße, 15 Zoll im Durchmesser in der Oeffnung und 5 Zoll hoch. Der Rost im Innern ist sehr verschieden, theils grün, theils blau, an einer großen Stelle fehlt er ganz. Auf dem Boden sind geringe Spuren des weißlichen Bodensatzes. Diese verschiedenen Farben kommen gewiß von Dingen her, die man in der Schüssel beigesetzt hat.

49) Ein kleines Eimer von Holz, ähnlich wie das Eimer auf der Steindrucktafel II, Fig. 16, mit bronzenem, verziertem Eimerhenkel und Beschlagrand und 4 bronzenen Beschlagreifen von 1 1/8 Zoll Breite; sonstige Verzierungen sind nicht vorhanden. Dieses Eimer ist bedeutend kleiner, als die zu dem Grabe Nr. 2 gehörenden, oben unter Nr. 14 und 15 beschriebenen hölzernen Eimer. Der Oeffnungsrand hat nur 5 1/2 Zoll im Durchmesser und das ganze Eimer wird nur ungefähr 6 Zoll hoch gewesen sein. Das Holz ist sehr dünne ausgearbeitet und scheint dickfaseriger zu sein, als das Holz der großen Eimer. An einem Henkelende sitzt etwas Eisenrost; vgl. Nr. 47.

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50) Eine kleine Heftel von Silber, mit einer ganz kleinen ovalen Verzierungsplatte am obern Ende des Bügels.

51) Eine spitze Nadel von Bronze mit rundem Knopf, 4 1/2 Zoll lang.

52) Ein Halsband oder Kopfband von Silber, abgebildet auf der Steindrucktafel II, Fig. 21, mit Haken und Oese an den Enden, vor den Enden 2 Zoll lang mit Silberdrath und Perlenrändern umwunden, gegen 5 Zoll im Durchmesser und gegen 15 Zoll im Umfang, gut 2 Loth schwer.

53) Ein kleiner, starker Ring von Bronze, 2 Zoll im Durchmesser.

54) Ein noch kleinerer, dicker Ring von Bronze, 3/4 Zoll im Durchmesser.

55) Zwei ganz feine, gleiche Ringe von Bronze, eben so groß, vielleicht Ohrringe.

56) 8 kleine gepreßte Halbkugeln, muschelartige Ohrbommmeln?, genau wie die in dem Grabe Nr. 6 unter Nr. 38 aufgeführten Halbkugeln, abgebildet auf der Steindrucktafel I, Fig. 15, und ohne Zweifel dazu gehörend oder aus demselben Vorrath stammend.

57) 15 undurchsichtige Glasperlen, von denen 10 rund, 5 stangenförmig; einige sind einfarbig, z. B. 2 rothe, 2 schwarze, 1 hellblaue runde Perle und 1 weiße Stangenperle, andere sind mosaikartig eingelegt, z. B. rothe Perlen mit gelben Sternblumen, abgebildet auf der Steindrucktafel I, Fig. 10, grüne mit gelben, blaue mit weißen, weiße mit schwarzen Blumen, abgebildet auf der Steindrucktafel I, Fig. 9; zwei weiße Stangenperlen sind mit einem rothen, eine rothe Stangenperle mit einem weißen eingelegten Zickzackbande verziert, abgebildet auf der Steindrucktafel I, Fig. 12 und 13. Die bunten mosaikartigen Einlegungen gehen immer durch die ganze Perle hindurch, wie einige zerbrochene Stücke zeigen. Diese Halsbandperlen sind denen im Grabe Nr. 6 gefundenen, unter Nr. 39 aufgeführten ganz gleich und gehören vielleicht zu denselben.

58) 1 ) Eine kleine Urne von T hon, hellbraun von Farbe, mit engem Halse, 4 Zoll hoch, über dem Bauchrande


1) Dieser Hävensche Fund ist also auch ungefähr eben so groß, wie der Hildesheimer Silberfund, welcher auch, "Größeres und Kleineres zusammengerechnet, über sechzig Stücke" enthält.
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mit horizontalen Parallelreifen und unter demselben mit kleinen, hangenden Halbkreisen verziert, also den übrigen Thongefäßen dieses Begräbnißplatzes ähnlich.

Geschrieben zu Schwerin, im April 1869.


Schlußfolgerungen.

1) Die Fundstellen von Häven sind ohne Zweifel Gräber. Die Leichen waren alle nach einem erkennbaren bestimmten Gebrauche regelmäßig beigesetzt und mit den Bestattungsgebräuchen sichtbar und vollständig vorhanden. Es kann hier also weder von einer vergrabenen Beute oder einem Schatze, noch von einem durch Zerstörung ehemaliger Wohnungen versunkenen Hausrath die Rede sein.

2) Alle den Leichen beigegebenen Sachen sind römische, mit alleiniger Ausnahme der thönernen Töpfe. Von den vielen bronzenen Gefäßen, von den zahlreichen silbernen und bronzenen Schmucksachen, von den gläsernen Perlen und dem gläsernen Becher kann es nach den Formen und nach der Art der Arbeit nicht bezweifelt werden 1 ), daß sie römischen Ursprunges sind, und es bedarf diese Behauptung keiner weitern Begründung. Die Vollkommenheit der römischen Arbeiten dieser Art ist auf den ersten Blick durchaus sicher und klar zu erkennen, da alle andern gleichzeitigen Sachen nicht entfernt einen Vergleich damit aushalten.

Ein Einwand gegen diese Annahme könnte gemacht werden in Beziehung auf die "Hefteln" oder "Gewandnadeln" Nr. 9, 13, 17, 21 und 35 und die Schere Nr. 7.

Die Hefteln, mit einem Bügel mit Scheide und einem quer liegenden, aufgerollten Spiraldrath mit einer Nadel mit Federkraft, die in die Scheide einspringt, (in den neuesten Zeiten in kümmerlicher Weise als "Sicherheitsnadeln" wieder nachgeahmt), sind zu einer gewissen heidnischen Zeit wenigstens in Mittel=Europa ganz allgemein verbreitet gewesen. In Gräbern der eigentlichen Bronzezeit sind sie wohl nie gefunden; hier kommen nur die Gewandnadeln mit zwei


1) Vgl. Jahrb. XI, 1846, S. 397.
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flachen Spiralplatten und einer Nadel ohne Federkraft vor; vgl. Abbildung Jahrb. IX, S. 331. Die Gewandnadeln mit einer "Springfeder" muß ich für eine römische oder hetruskische Erfindung halten, welche sich sehr rasch der allgemeinsten Verbreitung erfreute. Sie sind im nordöstlichen Deutschland sehr zahlreich vorhanden und finden sich fast in jeder Urne der altern Eisenzeit. Aber weil die Construction dieser Hefteln überall dieselbe ist, darf man nicht alle einem bestimmten Volke zuschreiben. Die Nordländer halten alle im Norden gefundenen Hefteln dieser Art gerne für nordländische. Andere halten wieder alle Gewandnadeln dieser Art für römische 1 ). Es wird gerathen sein, je nach den Umgebungen im Funde und nach der Bestattungsweise scharfe Unterschiede zu machen. Es giebt ganz geringe Unterschiede, welche für verschiedene Herkunft reden. Die zu Häven gefundenen Hefteln, abgebildet auf der Steindrucktafel II, Fig. 22, 23 und 24, zeichnen sich nicht nur durch eine größere Schlankheit und gefälligere Form, so wie durch zarte Silberarbeit und Vergoldung aus, sondern vorzüglich dadurch, daß der Bügel mit kleinen ovalen Platten belegt ist, welche nicht polirt sind, vielmehr auf der rauhen Fläche noch geringe Reste von einem schwärzlichen Kitt zeigen, auf welchem ohne Zweifel irgend ein kleiner bildlicher Schmuck gesessen hat. Unter den vielen Hunderten, ja Tausenden von heimischen Gewandnadeln, welche im nordöstlichen Tieflande Deutschlands wohl seit Jahrhunderten ausgegraben und ausgepflügt sind und von denen ein bezeichnender Repräsentant hieneben abgebildet ist, ist noch keine einzige beobachtet, welche diese ovalen Plättchen trüge. Solche Hefteln verrathen einen Ursprung aus einer kunstreichern Werkstätte. Im nordöstlichen Deutschland sind sie nur bei römischen Geräthen gefunden. Lindenschmit giebt sie auch für römische aus (vgl. oben Fund von Grabow Nr. 5) und ich muß ihm ganz beistimmen. Vgl. Nr. 9.

Gewandnadel

1) Noch in den neuesten Zeiten scheinen viele Gewandnadeln dieser Art für römische ausgegeben zu sein, die es vielleicht nicht sind. In den Jahrbüchern des Vereins im Rheinlande, Bonn, Heft XLVI, 1869, S. 45 flgd., werden in einem Aufsatze vom Prof. Dr. Aus'm Werth über (  ...  )
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Ganz ähnlich verhält es sich mit den bronzenen Scheren in Gestalt der "Schafscheren 1 )", welche sich in Meklenburg fast in jedem römischen Funde gezeigt haben. Die Schere ist ebenfalls wohl eine junge römische Erfindung und daher auch wohl gangbarer Handelsartikel geworden. In der Steinzeit konnte es natürlicher Weise keine Scheren geben: man schnitt mit gespaltenen oder geschliffenen Feuersteinen oder mit Spanmessern, und zwar gewiß recht gut. Aus der Bronzezeit ist wohl noch nie eine Schere zum Vorschein gekommen, plötzlich erscheinen die Scheren in der ältern Eisenzeit ziemlich häufig, jedoch in den heimischen Gräbern des Nordens vorherrschend immer aus Eisen, in den verschiedensten Größen. In Meklenburg sind sie grade nicht selten in einheimischen Brandurnen. Von bronzenen Scheren hat sich aber bis jetzt nur ein Exemplar in einem Begräbnißplatze der Eisenzeit gefunden, welches freilich dieselbe Construction hat, wie die römischen Scheren, aber doch einen andern Charakter im Einzelnen. Ich kann daher die bronzenen Scheren, welche mit römischen Alterthümern gefunden werden, auch nur für römische halten.

Die bearbeiteten Bernsteinperlen können auch nicht bestimmt für nordischen Ursprung zeugen, wenn der Ursprung des rohen Bernsteins auch vorzugsweise der Norden sein mag. Ich habe im Museum zu Wiesbaden aus den römischen Ruinen von Heddernheim (vgl. unten) dieselben Bernsteinperlen gefunden, wie in den Gräbern zu Häven.

Endlich sind die hölzernen Eimer Nr. 14 und 15 und Nr. 49 sicher römischen Ursprunges, sowohl nach dem Holze, als nach der Sauberkeit der Arbeit und dem Schmuck des Beschlages.

Es bleiben also nur die thönernen Gefäße in dem Grabe 2, Nr. 18, 19, 20, in dem Grabe 6, Nr. 44, 45, 46, und in den beiläufigen Funden, Nr. 58, übrig, welche für


(  ...  ) "Römische Gewandnadeln", namentlich über diejenigen aus dem Nachlasse des verstorbenen Dr. Fritz Hahn zu Hannover, viele Stücke abgebildet, welche ich nicht ganz sicher für römische ausgeben möchte, namentlich nicht diejenigen, welche im Pyrmonter Brunnen bei der Ausräumung desselben gefunden sind. Solche Hefteln sind in norddeutschen heimischen Gräbern sehr zahlreich verbreitet.
1) Die Schere besteht aus zwei Messern durch einen Bügel zur Handhabung verbunden. Jede römische Scherenklinge gleicht daher ganz einer römischen Messerklinge, welche gewöhnlich neben der Schere gefunden wird.
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einen nordischen Ursprung zeugen könnten. Und allerdings sind diese sicher nordisch, d. h. hier meklenburgisch. Sie sind in Masse, Form und Verzierung ganz den zahlreichen, bekannten, einheimischen Gefäßen gleich, welche in die alte Eisenzeit fallen, und haben nicht die entfernteste Aehnlichkeit mit den zahllosen, bekannten römischen Thongefäßen. Aber diese Beigabe einheimischer Handwerksarbeit läßt sich sicher sehr leicht erklären. Nach der beobachteten Ausstattung der Hävenschen Gräber war ohne Zweifel ein bestimmter Gebrauch Sitte, nach welchem man den Todten außer dem Schmuck eine Anzahl gewisser Geräthe (mit Speise und Trank) mit ins Grab gab, Kessel, Schalen, Kellen, Becher u. s. w. 1 ). So finden wir das Grab Nr. 1 mit bronzenen Gefäßen vollständig ausgestattet. In dem Grabe Nr. 2 sind bronzene Gefäße durch zwei hölzerne Eimer ersetzt. Im Grabe Nr. 3 fanden sich statt aller größern Bronze=Gefäße 3 thönerne Gefäße und eben so im Grabe Nr. 6 neben einem Krater ebenfalls 3 thönerne Gefäße. Die thönernen Gefäße sind also zum Ersatze für die bronzenen Kessel und Schalen und die gläsernen Becher beigesetzt, welche man entweder nicht vorräthig hatte oder nicht weggeben wollte.

Die besondere Wichtigkeit des Hävenschen Fundes besteht vorzüglich darin, daß er vollständige Gräber enthielt, eine Beobachtung, die hier im Norden zum ersten Male gemacht ist. Es sind im deutschen und skandinavischen Norden zwar schon oft römische Funde mit zahlreichen Alterthümern gemacht, zuweilen auch mit "Knochen", aber es ist noch von keinem nachgewiesen, daß er aus einem Grabe stammt. Auch mögen in Gräbern der ältern Eisenzeit, selbst mit begrabenen Leichen, auch römische Sachen gefunden sein, aber diese Gräber enthielten wieder nicht ausschließlich römische Sachen.

3) Die Gräber von Häven sind also Römer=Gräber . Zwar mag dieses Ergebniß der Forschung überraschend und ungewohnt erscheinen, und es ist mir schon vielfach der Einwand gemacht, die Römer seien ja nie in die Ostseeländer gekommen, d. h. die Schrift schweige davon. Aber der Inhalt der Gräber, wie er im Vorstehenden ganz zuverlässig beschrieben ist, läßt sich nicht wegleugnen: die Römer


1) In den sehr häufigen römischen Brandgräbern, wie z. B. im Walde bei der Saalburg viele aufgedeckt sind und offensichtlich noch viele liegen, finden sich auch gewöhnlich zwei größere und einige kleine thönerne Gefäße.
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sind da. Zu der Zeit des römischen Kaiserreichs, d. h. zur Zeit der ältern Eisenperiode, ist in Meklenburg durchaus nur Leichenbrand Sitte, und es ist den Todten, deren Gebeine immer nur in Einer Urne verwahrt sind, nur sehr wenig Geräth oder Schmuck in die eine Aschenurne mitgegeben, meistentheils aus Eisen, wie ein Messer, eine Heftel, ein zusammengebogenes Schwert, ein Schildnabel, ein Paar Sporen ohne Bügel und dgl. Beigesetzte Gefäße, zu Speise und Trank bestimmt, wie sie sich in allen Römergräbern, auch mit verbrannten Leichen, finden, sind in Tausenden von Begräbnissen nie bemerkt worden. Auch hat Niemand im Lande eine unverbrannte Leiche mit Beigaben aus der ältern Eisenzeit in einem Grabe gefunden. Den Einwurf, daß man zwar dergleichen bis jetzt außer zu Häven noch nicht gefunden habe, aber später wohl noch finden könne, kann ich als völlig unbegründet nicht gelten lassen, da ein solcher Satz jede beliebige Annahme begründen könnte, alle Erfahrung aber dagegen spricht. Ueberdies sind die bei den Leichen gefundenen Alterthümer nur römische, und auch die Bestattungsweise ist römisch, da in der spätem Kaiserzeit das Begraben immer mehr Sitte ward und die Mitgaben nach römischer Weise beigesetzt wurden.

Statt eigener Forschungen kann ich nichts Besseres thun, als hier die Darstellungen im Auszuge mittheilen, welche J. Marquard in seinen "Römischen Privatalterthümern" Bd. I, 1864, S. 367 flgd. gegeben hat.

(S. 367.) "Was die Art der Bestattung (bei den Römern) betrifft, so ist der von den Alten selbst bemerklich gemachte Unterschied, daß die Todten bei den Orientalen begraben, bei den Griechen und Römern aber verbrannt wurden, nur von bedingter Richtigkeit. - - - In Rom und Latium ist das Begraben älteste Sitte. - - - Kinder, ehe sie Zähne haben, werden immer begraben, desgleichen arme Leute; und obgleich in den XII Tafeln schon das sepelire und urere neben einander vorkommt, so erhielt sich in vielen Familien die Sitte des Begräbnisses bis in späte Zeit wie z. B. in der gens Cornelia Sulla der erste war, welcher verbrannt, nicht begraben wurde. Wie in Rom, so bestand auch in Italien die zweifache Art der Bestattung: in ein und demselben Grabe finden sich Skelette - - und daneben Aschenurnen. In der späteren Kaiserzeit wird das Begraben immer mehr Sitte, bis endlich das Christenthum das Verbrennen ganz abstellte."

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"Das Grab ist nach der übereinstimmenden Ansicht des (römischen) Alterthums eine Wohnung, in welche der Verstorbene einzieht, um dort eine andere und bessere, aber doch seinem frühern Leben entsprechende Existenz zu beginnen. - - Daher werden dem Todten Kleider, Geld, Schmuck, ein Ameublement, Lebensmittel und Eß= und Trinkgeschirre mitgegeben, dem Krieger seine Waffen, dem Handwerker oder Künstler sein Handwerkszeug, der Frau ihre Toilettengegenstände, dem Kinde sein Spielzeug: die ganze Masse von Gegenständen des häuslichen Lebens, welche unsere Museen bewahren, stammt zum großen Theile aus Gräbern her."

Diese Schilderungen stimmen genau mit den Hävenschen Gräbern überein. Sehr bemerkenswerth ist der Umstand, daß in den Hävenschen Gräbern die Köpfe im Norden, die Füße im Süden lagen, die Leichen also nach Süden, ihrer Heimath, schaueten, eine Bestattungsweise, welche in den baltischen Ländern zu keiner Zeit beobachtet ist. Uebrigens werden die hier begrabenen Menschen Kaufleute gewesen sein, da sich keine Art von Waffe in den Gräbern fand.

Schon vor mehr als 30 Jahren ward in Meklenburg zu Bibow, nur eine halbe Meile nördlich von Häven, ein unzweifelhaft römisches Grab mit römischer Urne, Untersatzschale, Lampe, Glasflasche und mit Münzen gefunden, welche zur Zeit des Kaisers Augustus geprägt sind; vgl. Jahrbücher II, B, S. 50 flgd. Dieses Grab ist jedoch viel älter, als die Gräber von Häven.

Nicht weit von Brüel, so in der Nähe von Häven, ward beim Bau der Chaussee ein Denar des Kaisers Commodus vom J. 183 n. Chr. gefunden; vgl. Jahresbericht VIII, B, S. 87.

Daß in Dänemark viele römische Alterthümer, wie die Hävenschen gefunden sind, ist schon wiederholt erwähnt und in den dänischen Zeitschriften behandelt.

Auch in dein mit Meklenburg benachbarten Lüneburger Tieflande, zwischen Elbe und Weser, wohin die Römer als Sieger in der mittleren Kaiserzeit nicht gekommen sind, sind wiederholt gleiche Sachen gefunden; vgl. Einfeld über einige im Königreiche Hannover gefundene römische Bronzearbeiten, in der Zeitschrift des Histor. Vereins für Niedersachsen, Jahrgang 1854 (Hannover 1856), mit Abbildungen. So sind die Kessel oder Krateren nach den Abbildungen

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Fig. 1, 2, 3 ganz den Hävenschen gleich. Wie die gravirten Kessel von Grabow und Häven ist auch ein zweihenkeliger Kessel von Börry an der Weser am Rande gravirt. Bei Gretheim im Amte Ahlden (im Lüneburgischen) ward beim Abgraben eines Sandhügels (!) ein Bronzekessel und eine Kasserolle gefunden; auch Kellen mit Sieb sind im Lüneburgischen entdeckt: Alles wie die Sachen von Häven.

Am 7. Junii 1869 war ich in Hannover, um die Sachen zu vergleichen. Die Vereinssammlungen in Hannover enthalten aus dem Lande 4 Bronze=Krateren ohne Verzierungen, unter diesen einen aus der nordwärts gelegenen Landdrostei Stade, und 1 Bronze=Krater mit Randverzierungen. Die Krateren ohne gravirten figürlichen Schmuck sind nur mit feinen eingedreheten Linien verziert, wie auch die von Häven. Die Größen sind verschieden. Die massiven Henkel mit den Querreifen sind aber alle den Hävenschen ganz gleich. - Sehr ähnlich an Größe, Form und Verzierung ist der ebenfalls zerbrochene zweihenkelige Krater von Börry. Der gravirte Rand ist im Ganzen ähnlich. Die obere Einfassung durch einen Eierstab, von dem jedoch die Eierplatten abgefallen sind, und die untere Einfassung mit dem gedreheten Seil sind denselben Verzierungen von Häven gleich. Aber die Kante selbst ist reicher und anders gearbeitet, nämlich im "Flach=Relief". Es scheint nämlich, als wenn der Grund ausgegraben und die Figuren stehen geblieben und bearbeitet sind, so daß die Figuren ganz flache, abgerundete Reliefs bilden. Der ganze Charakter und der Rost ist aber dem des Kraters von Häven gleich. - Andere große Bronzegefäße in der Sammlung sind mehr vasen= oder kannenförmig. - Kellen fehlen in den Hannoverschen Sammlungen fast ganz, obgleich sie im Lande öfter gefunden sind. Ich habe nur eine ganz zerbrochene, große Kelle, mit großem Griff, aus der Landdrostei Stade finden können. Siebe habe ich gar nicht bemerkt. - Die Eimer, welche hölzerne Futterung gehabt haben sollen, sind von Bronze und von den Hävenschen verschieden.

In Betrachtung dieser Funde sagt Einfeld, daß die Römer zu keiner Zeit "Niederlassungen" im Hannoverschen gehabt haben und daß ein directer friedlicher Verkehr während eines längern Zeitraums kaum anzunehmen sei, daß er wenigstens keine Beweise dafür habe finden können; er ist vielmehr geneigt zu glauben, daß sehr viele, wenn nicht die meisten der römischen Gegenstände, welche im nördlichen

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Deutschland ausgegraben werden, hierher aus dem Jahrhunderte lang romanisirten England gelangt sind. Er führt jedoch die Stelle des Tacitus Ann. II, 62 an, welcher von römischen Händlern in Germanien zu seiner Zeit erzählt: "ein flüchtiger Jüngling Catualda habe bei den Markomannen Hausirer (lixae) und Kaufleute aus dem römischen Reiche getroffen, welche der Handelsverkehr, dann die Begierde nach Gelderwerb, endlich die Gleichgültigkeit gegen das Vaterland von ihrer Heimat in Feindesland versetzt habe".

Wenn nun auch freilich diese Stelle kein Beweis für die Zeit sein kann, in welche die Hävenschen Alterthümer fallen mögen, so giebt sie doch zu erkennen, daß in allen Zeiten und Umständen ein friedlicher kaufmännischer Verkehr von Feindesland in Feindesland denkbar und möglich ist.

Ich will zwar nicht bestimmt behaupten, aber kann doch nur annehmen, unter Versicherung bereitwilliger Annahme besserer Belehrung, daß der Begräbnißplatz von Häven der Begräbnißplatz einer römischen Handelsniederlassung ist, wenn auch die Händler und Künstler auch gerade nicht aus Rom und Latium, sondern wahrscheinlich nur aus römischen Provinzen kamen.


Auch die in den Hävenschen Gräbern gefundenen Schädel scheinen für römischen Ursprung zu sprechen. Zwar ist es äußerst schwierig und mißlich, "aus den Schädeln alter Grabstätten ohne Weiteres den Typus der betreffenden Völkerstämme zu bestimmen", namentlich bei den römischen Gräbern, da "wir mit Bestimmtheit wissen, daß die Römer schon sehr früh ein Mischvolk gewesen sind, in welchem Elemente völlig verschiedener Art zusammen getroffen sind" 1 ); es lassen sich aber mit Hülfe der Alterthumswissenschaft wohl Ergebnisse finden, welche nicht allzusehr zu unterschätzen sind. Ich sandte daher die drei am Besten erhaltenen und zu Untersuchungen zu gebrauchenden Schädel aus den Gräbern Nr. 1, Nr. 2 und Nr. 5 an die mit Forschungen dieser Art vertrauten


1) Nach Professor His in Basel: "Beschreibung einiger Schädel altschweizerischer Bevölkerung nebst Bemerkungen über die Aufstellung von Schädeltypen", im Archiv für Anthropologie, Bd. I, S. 69 flgd.
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Herren Professoren Rütimeyer und His zu Basel 1 ), um so mehr, da in der Schweiz seit uralter Zeit sehr verschiedene Völkerschaften zusammenstoßen. Eine Vergleichung mit Meklenburg angehörenden Schädeln aus der Eisenzeit war nicht möglich, da in dieser Zeit in Meklenburg allgemein Leichenbrand herrscht und aus derselben noch kein nicht verbranntes Gerippe gefunden ist, trotz der zahlreichen Gräber aus dieser Periode. Herr Professor His hat nun die Güte gehabt, folgende vortreffliche einläßliche Beurtheilung dieser Schädel einzusenden.

"Die Schädel sind bezeichnet: Häven Nr. 1, Nr. 2 und Nr. 5. Von diesen ist Nr. 5 vollständig erhalten. An Nr. 1 und 2 fehlt die Basis des Schädels und das Gesicht; an Nr. 2 fehlen beide Schläfenbeine, an Nr. 1 ein Schläfenbein; an Nr. 2 ist die Gegend zwischen beiden Augenbrauenbogen defect. Zu Nr. 1 gehört ein vollständig erhaltener und mit intactem Gebiß versehener Unterkiefer."

"Sowohl an Nr. 1 als an Nr. 2 ist die äußere Knochenplatte der Schädelknochen angefressen, die Schwammsubstanz theilweise bloßgelegt. An Nr. 5 ist von einer solchen Veränderung der Oberfläche keine Spur zu bemerken."

"Von den 3 Schädeln sind nun Nr. 1. und Nr. 2. auf den ersten Blick von Nr. 5 zu unterscheiden: sie sind exquisit "dolichocephal" (Langschädel), "während Nr. 5 brachycephal (Kurzschädel) ist. Eine weitere Beachtung ergiebt ferner, daß die beiden erst bezeichneten Schädel jener viel verbreiteten Form angehören, welche wir selbst in unsern Crania Helvetica" " Hohbergform " 2 ), Ecker in den "Crania


1) Bekannt durch "Crania Helvetica, Sammlung schweizerischer Schädelformen, in Gemeinschaft mit Ludwig Rütimeyer bearbeitet von Wilhelm "His 1864." Dieses Werk ist nach den Messungen und Benennungen die Grundlage der hier folgenden Untersuchungen.
2) Rütimeyer und His unterscheiden in ihrem Werke über die altschweizerischen Schädel 4 Formen, welche sie "nach beliebigen Fundorten, nach dem "Vorbild der geologischen Schichten=Bezeichnungen, völlig indifferente Namen" beigelegt und nach einer "Uebersichtstafel bei Anlaß eines öffentlichen Vortrages von His zusammengestellt" kurz bestimmt haben.
1)"Sion=Form, von Sitten, Canton Wallis, dolichocephal (althelvetische Form);
2) Hohberg=Form, vom Hohberg bei Solothurn, dolichocephal (römische Form);
3) Belair=Form, von Beiair bei Lausanne, dolichocephal (burgundische Form);
4) Disentis=Form, von Disentis in Graubündten, brachycephal (Alemannische Form)"
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Germaniae merid. occid." "Reihengräberform" genannt haben. Beide Schädel zeichnen sich außer durch bedeutende Länge und Schmalheit durch das schwache Hervortreten der Scheitelhöcker und durch das pyramidenförmig abgesetzte Hinterhaupt aus. In der Ansicht von hinten zeigen beide Schädel parallele seitliche Begrenzungslinien, ja bei Nr. 1 convergiren die beiden Seitenlinien der Occipitalnonn etwas nach oben. Nr. 1 zeigt außerdem den charakteristischen Glabellenwulst unserer Hohberg=Schädel."

"Die Maaße 1 ) bestimmte ich also:

Nr. 1. Nr. 2. Mittelmaaße
unserer Hohberg=Form.
"Länge: 196 mm. 196 mm. 192 mm.
"Größte Breite: 145 " 145 " 135.8 "
"Längen=Breiten=Index: 0.745 " 0.745 " 70.7 "
"Höhe: 140 (?) (?) 140.7 "

"Obwohl Nr. 2 minder kräftige Muskellinien hat, als Nr. 1 und möglicher Weise weiblichen Ursprungs ist, während Nr. 1 unzweifelhaft von einem Manne stammt, so stimmen beide Schädel in ihren Dimensionen doch in bemerkenswerther Weise überein. Die größte Breite übersteigt bei beiden um 9 mm. das Mittelmaaß unserer Hohberg=Köpfe, die Länge um 4 mm."

"Der dritte Schädel, mit Nr. 5 bezeichnet, scheint nach dem Stand der Näthe und der Beschaffenheit der Zähne einem Jüngern Individuum angehört zu haben. Es ist ein kurzer, ziemlich hoher Schädel ( brachycephal ), in seinen Eigenthümlichkeiten unserer Disentis=Form 2 ) entsprechend, mit rasch abgeschnittenem Hinterhaupt, stark ausgeprägten Scheitelhöckern, fast senkrecht abfallender Stirn, sehr mäßigen Augenbrauen=Wulsten, fast quadratischen Augenhöhlen=Oeffnungen, ziemlich fein geschnittener Nase und völlig orthognath."


1) Die Hohbergform charakterisirt His in der "Uebersichtstafel" folgendermaßen: "Sehr langer, schmaler Schädel mit pyramidal vorspringendem, langem Hinterkopf, völlig verstrichenen Scheitelhöckern, starker Sagittalcrista, meist höher als breit, Gesicht lang, schmal, über der Nasenwurzel bilden die zusammenfließenden Augenbrauenbogen einen starken mittlern Wulst, die Augenhöhlenöffnungen sind hoch".
2) Die Disentis=Form charakterisirt His in der "Uebersichts=Tafel" folgendermaßen: "kurzer und breiter, beinahe cubischer Schädel mit senkrecht abfallendem Hinterhaupt, starken Scheitelhöckern und mäßiger Sagittalcrista; Augenbrauenbogen schwach entwickelt, Nasenwurzel weniger eingezogen".
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"Die Maaße sind:

Mittelmaaße
unserer Disentis=Form.
"Länge: 178mm. 170.6mm.
"Größte Breite: 150 " 147.6 "
"Höhe: 151 " 139.6 "
"Längen=Breiten=Index: 0.813 " 0.865 "

"Ueber die Abstammung der Hohberg=Form , zu welcher die beiden Schädel Nr. 1 und Nr. 2 gehören, existirt bereits eine kleine Literatur. Vogt, welcher unsere "Hohberg= Köpfe" Anfangs "Apostel=Köpfe" nannte, glaubte sie den in die Schweiz eingedrungenen irischen Aposteln zuschreiben zu müssen (Vorlesungen über den Menschen, 1863, Bd. 2, S. 167). Ob er diese Behauptung nach aufrecht hält, ist mir unbekannt; sie scheint überhaupt nie ernst gemeint gewesen zu sein. Wir selbst hatten in unsern "Crania Helvetica" (S. 38) die Vermuthung aufgestellt, es sei uns in die Schweiz der Hohberg=Schädel durch die Römer 1 ) importirt worden. Hiefür sprach der Umstand, daß diese Form bei uns erst mit dem Auftreten der Römer erscheint, dann in manchen Grabstätten vorwiegend sich vorfindet, um in späterer Zeit hinter andern Formen wieder mehr zurückzutreten. Unterstützt ward ferner unsere Vermuthung durch die Form=Uebereinstimmung des bekannten Römerschädels der Blumenbachschen Sammlung, so wie durch die eines Herrn Professor Seligmann in Wien angehörigen Römerschädels


1) Rütimeyer und His sagen in den "Crania Helvetica": S. 20: "Fast alle dem Hohberg=Typus zuzählbaren Schädel haben wir aus römischen oder nachrömischen Begräbnißplätzen erhalten und dasselbe gilt auch von den Mischlingen dieser Form mit den andern." - S. 22: "Die Verbreitung der Hohbergform in der Jetztzeit scheint keine bedeutende zu sein." - S. 38: "Der Hohberg=Schädel hat, so viel wir bis jetzt wissen, eine ganz begrenzte Periode des Auftretens. Mit Sicherheit treffen wir seine Vertreter nur in der Periode, die der römischen Colonisation des Landes nachgefolgt ist. In der Fundstätte - - bei Grenchen finden wir die Form neben Disentis= und neben Sion=Köpfen, also bereits in völlig gemischter Gesellschaft. Das Zusammentreffen der neuen Schädelform mit der Beherrschung des Landes durch die Römer läßt die Vermuthung wach werden, daß die von uns nach dem Hohberg benannte Form die Form des eigentlichen Römer=Kopfes gewesen sei. Es ist zwar klar, daß nicht Alles, was während der Kaiserzeit als Römer in die Provinz gegangen war, wirklich italischen Ursprunges sein mußte. Allein - - die Vergleichung mit dem alten Blumenbachschen Römer=Schädel zu Göttingen ist so befriedigend ausgefallen als möglich" u. s. w.
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mit unsern Hohberg=Schädeln. Ferner glaubten wir in den Köpfen mancher altrömischer Münzen mit Bestimmtheit den Hohberg=Kopf wieder zu finden."

"Unsere Vermuthung ist von verschiedenen Seiten angegriffen worden, von Ecker in seinen Crania German. mer. occ. p. 86, von Bonté in Bulletins de la société d'Anthropologie de Paris, Tom. VI, von C. Vogt (Internationaler archäol. Congreß in Neuenburg). In den verschiedenen Entgegnungen wird hervorgehoben, daß in Römergräbern vielfach eine breite, flache Schädelform sich finde, die besonders durch Maggiorani beschrieben worden ist. Ich habe mich über meinen Standpunkt in dieser Frage in einem kleinen Aufsatz 1 ) im Archiv für Anthropologie, Bd. I, so wie in einer Entgegnung auf die confusen Bemerkungen von Bonté in den Bulletins de la soc. d'Anthropol. ausgesprochen, und ich finde keinen Grund, von dem dort eingenommenen Standpunkt abzugehen. Einen Römerschädel giebt es sicherlich nicht, so wenig als es einen deutschen oder einen Schweizerschädel giebt. Unter den Römern als einem notorischen Mischvolke waren sicherlich verschiedene Formen gemengt. Daß aber unter diesen Formen die Hohberg=Form eine der hauptsächlichsten war, das scheint mir nach dem bis jetzt vorliegenden Material völlig unbestreitbar. Ob diese Form in ein Land durch die Römer importirt worden sei, oder ob sie schon in römischen Zeiten von anderer Seite her in dasselbe eingedrungen sei, das kann nicht durch einen einzelnen Grabbefund, sondern nur durch eine eingehende Vergleichung sehr zahlreicher Befunde entschieden werden" 2 ).


1) Das ist die oben S. 139 Note 1 erwähnte Abhandlung.
2) Das System von Rütimeyer und His scheint auch durch den Fund von Häven auf eine glänzende Weise bestätigt zu werden, da hier ein vielfach belegter Fund vorliegt. Die exquisiten Exemplare sind auf den ersten Blick zwingend und stimmen genau zu den beschriebenen Formen. Die beiden gleichen Langschädel werden nach den übrigen Knochen Männern und nach den mitgegebenen Geräthen Römern, vielleicht aus den Grenzen des alten Reichs, angehören; der Kurzschädel gehört nach den übrigen Knochen und den Alterthümern einem jungen weiblichen Wesen, welches wohl aus einer entferntem Provinz oder einem eroberten Lande stammte. So viel ist gewiß, daß neben zwei muthmaßlichen Römerschädeln ein ganz fremdartiger Schädel lag.          G. C. F. Lisch.
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"Was die Abstammung 1 ) der ( brachycephalen ) Distensis=Form , Schädel Nr. 5 , betrifft, so sind darüber die Untersuchungen kaum begonnen, geschweige denn geschlossen. Allem Anscheine nach reicht diese Form wenigstens in Süddeutschland über die römische Zeit zurück." Basel, den 6. Juni 1869. W. His.

Dies ist die eingehende Beurtheilung der drei Schädel durch den scharf und umsichtig blickenden Forscher und Fachmann. Und in der That sind die hervorgehobenen Kennzeichen der verschiedenen Formen im Allgemeinen selbst für einen gebildeten Laien auf den ersten Blick erkennbar und überraschend. Die beiden ersten Schädel Nr. 1 und Nr. 2 sind sehr ausgebildete, einander ganz gleiche Langschädel ("dolichocephal"), während Nr. 5 ein scharf ausgebildeter Kurzschädel ("brachycephal") ist, der in jeder Hinsicht von den beiden andern abweicht. Und hiermit scheinen auch die mitgegebenen Alterthümer übereinzustimmen. Von dem Schädel Nr. 1 meint His daß er "unzweifelhaft von einem Manne" stammt, von dem Schädel Nr. 2 aber, daß er möglicher Weise weiblichen Ursprungs sein könne. Die Alterthümer=Mitgaben der Gräber Nr. 1, 2 und 3 mit den "dolichocephalen" Schädeln der "römischen Hohberg=Form" und den langen Gliedern deuten aber alle auf männliche Leichen. Das Grab Nr. 4 mag einem Sklaven angehören, da ihm nichts mit ins Grab gegeben ist. Die Gräber Nr. 5 und Nr. 6 werden aber nach dem sicher dabei gefundenen reichlichen weiblichen Schmuck weiblichen


1) Rütimeyer und His sagen in den Crania Helvetica S. 28 flgd. hierüber Folgendes: "Wenn die bisher betrachteten drei Schädelformen in früher vergangenen Perioden eine ausgedehntere Verbreitung in unserm Lande gefunden haben mögen, so tritt in der Gegenwart der Disentis=Typus beträchtlich in den Vordergrund - - Eine Sonderstellung hat man in neuerer Zeit geglaubt der Schädelform Graubündtens zuweisen zu müssen und ein allerdings auffällig gebauter Schädel unserer Sammlung hat Retzius veranlaßt, die Rhätier neben Basken und Finnen als Rest einer brachycephalen Urbevölkerung Europas hinzustellen. - - Auch v. Baer glaubt, den Rhätier=Schädel als Typus der Urbevölkerung aufrecht erhalten zu müssen und zwischen ihm und dem Etrusker=Schädel gewisse Beziehungen erkennen zu können - - Ob die Disentis=Form in ganz Graubündten die vorherrschende und ob sie diejenige der alten von den Römern unterjochten Rhätier gewesen sei, das vermögen wir bis jetzt nicht zu sagen; es wird die Beantwortung dieser Frage eine besondere Aufgabe bilden müssen So viel aber ist gewiß, daß alle die Schädel, die man bis dahin als specifische Rhätier angesehen und beschrieben hat, derselben an Form angehören, die über die ganze Schweiz verbreitet vorkommt." - (In der Saalburg stand lange Zeit die 2 Cohorte der Rhätier. G. C. F. Lisch.)
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Leichen gehört haben. Und von diesen hatte die Leiche Nr. 5 einen auffallend klar ausgebildeten Kurzschädel der "brachycephalen alemannischen Disentis=Form", die Leiche Nr. 6 aber einen nicht sehr bestimmt ausgeprägten, leider zerbrochenen Langschädel. Der unschöne Kurzschädel Nr. 4 wird einem Sklaven aus fernen Landen angehört haben.

Es ist daher, um dem Leitfaden der Archäologie zu folgen, ziemlich wahrscheinlich, daß die Schädel in den Gräbern Nr. 1, 2 und 3 Männern aus dem alten, italischen Römerreiche gehörten, die Schädel in den Gräbern Nr. 5 und 6 aber Schädel von Weibern der "alemannischen "Disentis=Form" aus Rhätien oder Graubündten waren. Es werden in Häven also römische Männer mit aus alemannischen oder andern Provinzen stammenden Frauen begraben 1 ) sein.


Vergleichung und Zeitbestimmung.

Diese meine Ansicht, daß die Gräber von Häven die Gräber einer kleinen römischen Handels=Niederlassung oder Wandercolonie seien, habe ich hinterher durch eine merkwürdige, überraschende Entdeckung, wie ich hoffe, vollständig erläutert und bestätigt gefunden, über welche ich etwas weiter auszuholen mich veranlaßt sehe, da sie von der allergrößten Wichtigkeit für die alte Bildungsgeschichte des Nordens werden kann. Hoch berühmt und außerordentlich merkwürdig sind die zahlreichen römischen Alterthümer, welche bei dem Dorfe Heddernheim an der Nidda, zwischen Frankfurt a/M. und Homburg v. d. H. ausgegraben und theils weit zerstreut, zum größten Theile aber für das Alterthums=Museum zu Wiesbaden erworben sind. Hier


1) Vielleicht kann die Bestattungsweise auch noch einen schwachen Anhaltspunct geben. Alle 6 Leichen waren gleich tief, und, wie es scheint, auf gleiche Weise in ebener Erde begraben und es war in der Bestattungsweise kein wesentlicher Unterschied zu bemerken. Aber in den 3 ersten Gräbern, welche wahrscheinlich Männer mit dolichocephalen Schädeln enthielten, waren die Leichen in der Tiefe mit Steinen zugedeckt, während in den 3 letzten Gräbern, welche wahrscheinlich Frauen mit brachycephalen Schädeln enthielten, die Leichen mit bloßer Erde bedeckt waren.
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findet man aus Heddernheim einen großen Reichthum an kleinen Alterthümern, an Inschriften und Altären, unter denen derberühmte, große und schöne Mithras=Altar ein unschätzbares Alterthums=Kleinod ist, besonders aber eine große Fülle von Gefäßen aller Art, von denen der massenhafte Reichthum der wohl erhaltenen gläsernen Gefäße aller Art wahrhaft Staunen erregend ist und wohl kaum seines gleichen findet. Weniger bedeutend und verhältnißmäßig schwach vertreten sind dagegen in diesem Museum von Heddernheim die bronzenen Gefäße.

Um diesen Heddernheimer Schatz näher zu untersuchen, war ich am 10. Mai 1869 im Museum zu Wiesbaden. Ich sah alle Nachrichten über die Ausgrabungen vollkommen bestätigt. Ich fand von Heddernheim einen schönen Bronze=Krater (Kessel), welcher dort 1840 in einer "verschütteten Cisterne" 1 ) gefunden ist, auch einige wenige Kellen und Siebe, ferner Schnallen, Glasperlen, Bernsteinperlen, - alles durchaus den bei Häven gefundenen Gegenständen völlig gleich 2 ). Nachdem ich einen allgemeinen Ueberblick gewonnen hatte, wandte ich mich zur eingehenden Untersuchung dieser nicht zahlreichen Bronzen und brachte den Bronze=Krater näher ans Licht. Groß war allerdings mein Erstaunen und meine Ueberraschung, als ich sah, daß dieser Krater von Heddernheim dem oben unter Nr. 1 beschriebenen und auf der Steindrucktafel I, Fig. 1 abgebildeten gravirten Bronze=Krater von Häven völlig gleich und ein "Gegenstück" dazu ist. Gestalt, Größe und Arbeit sind durchaus gleich, eben so der Rost. Der Rand=Durchmesser des Kraters von Heddernheim beträgt nach der vom Herrn Dr. Kekulé in meiner Gegenwart vorgenommenen Messung gerade 20 Centimetres. Genau denselben Durchmesser hat auch der gravirte Krater von Häven. Beide werden also über dieselbe Form gegossen sein.


1) Nach des jetzigen Museums=Conservators Herrn Dr. Kekulé zu Wiesbaden Mittheilung ist "dieser Krater laut Etikette im J. 1840" und zwar der Tradition zufolge in einem "Brunnen" gefunden. Nach der Versicherung des Herrn Staats=Archivars Dr. Rossel, jetzt zu Idstein, früher auch Conservator am Museum zu Wiesbaden, welcher den Fund und die Entdeckung desselben kennt, ist der Krater vielmehr in einer "verschütteten Cisterne" gefunden. Diese Nachricht bestimmt die Auffindungsweise etwas schärfer.
2) Merkwürdiger Weise fehlen die bronzenen Scheren im Museum zu Wiesbaden ganz. Dagegen sind dort die eisernen Scheren aus der fränkischen und merovingischen Zeit nicht selten.
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Um ganz sicher zu gehen, schickte mir der Herr Bau=Conducteur Luckow zu Schwerin eine Zeichnung des ganzen Verzierungsstreifens, in natürlicher Größe, den ich dem Herrn Conservator Dr. Kekulé zu Wiesbaden zur genauen Vergleichung übersandte, namentlich um zu ermitteln, ob beide Gefäße über eine und dieselbe modellirte Form gegossen sind, oder ob sie Verschiedenheiten im Einzelnen zeigen, also jedes für sich gearbeitet ist. Nach Herrn Dr. Kekulé's genauer Vergleichung und Beschreibung in Grundlage der Zeichnung sind beide Gefäße nicht nach derselben Zeichnung verziert, sondern zeigen allerdings Verschiedenheiten im Einzelnen. Herr Dr. Kekulé berichtet nun: "Die beiden einfassenden Ornamentstreifen oben mit dem Eierstab und unten mit dem Seil sind gleich. In dem mittleren Hauptstreifen sind die Figuren aber nur zum Theil gleich und in anderer Anordnung. Die auf Delphinen reitenden Eroten und die diesen zunächst stehenden Tritonen oder "Meerwunder" (mit dem Elens= und dem Wildschweinskopfe) sind gleich, stehen aber an andern Stellen. Dagegen sind die je zwei Tritonen zwischen den Gruppen mit den Eroten auf dem Heddernheimer Krater nicht vorhanden", sondern die Gruppen mit den Eroten wiederholen sich, so daß 4 Eroten vorhanden sind. Herr Dr. Kekulé schließt mit dem Urtheil: "Das Ganze macht durchaus ähnlichen oder gleichen Eindruck in Art und Zeichnung". Auffallend an dem Krater von Häven ist die ärmliche Ausstattung des (Eimer =)Henkels. Dieser mag aber jüngern Ursprungs sein, denn die andern Krateren von Häven haben rund und voll gegossene, mit Querstreifen verzierte Henkel. Dem Krater von Heddernheim fehlt auch der Henkel; aber neben demselben wird ein runder Henkel aufbewahrt, welcher den übrigen Henkeln von Häven ganz gleich ist und wahrscheinlich zu dem Krater gehört. Eine Abbildung des Heddernheimer Kraters an dieser Stelle ist nicht nöthig, da beide Stücke, wie ich fest versichern kann, in ihrer Erscheinung im Ganzen völlig gleich sind.

Es ist nun nicht anders denkbar, als daß beide Stücke von demselben Künstler 1 ), aus derselben Werkstätte, aus denselben Waarenhandel, aus derselben Zeit herstammen, daß beide jedoch mit selbstständiger künstlerischer Freiheit, nicht fabrikmäßig über eine und dieselbe Form ge=


1) Daß in Heddernheim auch viel Kunstgeschicklichkeit herrschte, beweist der außerordentlich schöne, berühmte Mithras=Altar.
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arbeitet sind. Bestätigend ist der Umstand, daß grade auch die Kellen und Siebe, die Schnallen und Glasperlen, vorzüglich die scheibenförmigen Knöpfe aus Bernstein von Heddernheim mit denselben Gegenständen von Häven übereinstimmen.

In Heddernheim werden wir also für eine gewisse Zeit den Ausgangspunct der römischen Cultur für den Norden suchen müssen. Daß aber alle im Norden gefundenen Alterthümer römischer Arbeit in Heddernheim gemacht wurden, läßt sich nicht nachweisen oder wahrscheinlich machen. Heddernheim mag vielmehr eine Kaufstadt gewesen sein, welche ihre Waaren von Mainz oder weiter her bezog 1 ). Die Bedeutung dieses Punctes veranlaßt mich, eine kurze Untersuchung über diese große römische Niederlassung zu geben 2 ), um so mehr, da übersichtliche Darstellungen noch nicht vorhanden zu sein scheinen.

Als die Römer am Rhein entlang in das Herz Deutschlands vorzudringen strebten, scheint die fruchtbare südliche Tiefebene Nassaus (das "Taunus=Land" oder der "Rheingau"), das Land der Mattiaker, noch mit Wald bedeckt gewesen zu sein, wie noch heute die ganze Gebirgshöhe des Taunus. Erst als Drusus das Castell Mainz gegenüber (Castellum Drusi), noch heute Castel genannt, errichtet und dadurch die Stadt Mainz (Mogontiacum, Civitas Mattiacorum) und die dabei angelegte Brücke über den Main gesichert hatte, begann man, nach und nach eine befestigte militairische Vertheidigungslinie auf dem Kamme des Taunus gegen die Einfälle der nördlich davon wohnenden Germanen, namentlich der wilden Chatten, aufzuführen und die Grenze des eigentlichen römischen Reiches gegen Norden hin festzustellen 3 ).


1) Zu derselben Ansicht ist auch der gelehrte Dr. Friedrich Rolle zu Homburg v. d. H. in Veranlassung der Hävenschen Entdeckung gekommen; vgl. dessen "Neue Aufschlüsse über Handel und Gewerbe am Taunus zur Zeit der römischen Herrschaft", im "Taunusboten", Homburg, 1869, Nr. 38, Junii 27.
2) Dankbar erkenne ich hiebei den Rath und die Unterstützung meines verehrten Freundes und Collegen des Staats=Archivars Dr. Rossel, jetzt zu Idstein, welcher früher auch Conservator des Museums zu Wiesbaden war und oft selbst zu Heddernheim gegraben hat. Dankend muß ich auch die Gefälligkeit des Herrn Stadtbibliothekars Hamel zu Homburg v. d. H. rühmen, welcher mir die nöthige, oft weit zerstreute Literatur herbeischaffte.
3) "Erst vom J. 70 n. Chr. erscheint die Wichtigkeit von Mainz als "römisches Standquartier sich zu datiren." Vgl. Schierenberg, Die Römer im Cheruskerlande, Frankfurt a. M., 1862, S. 8.
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Dies ist der seit langen Zeiten bekannte, berühmte Pfahlgraben oder der "römische Grenzwall" ("Limes Imperii Romani") 1 ). Dies ist ein großer Wall, von beiden Seiten, namentlich an der Außenseite, mit Gräben versehen, welcher auf der Höhe mit Pallisaden und in Zwischenräumen mit kleinen Castellen oder Wachhäusern verschanzt war. Der Pfahlgraben läuft vom Rhein her von Ems über den ganzen Kamm und die Höhen des Taunus=Gebirges, so daß er immer den Nordabfall des Gebirges beherrscht, gegen Osten hin in die fruchtbare Ebene der Wetterau und läßt sich noch heute sehr wohl erkennen, auch sogar nach Bayern hinein bis an die Donau verfolgen. In der Mitte des Taunus auf der Höhe am Pfahlgraben liegt nun die Saalburg 2 ), das Haupt=Castell in der nördlichen Römergrenze, als Schlüssel zum germanischen Gebiete von hoher Bedeutung. Die Saalburg liegt 1304 Fuß hoch, 1 Meile nördlich von Homburg 3 ) vor der Höhe, auf einer weit hin erkennbaren Einsattelung des Gebirges an der noch jetzt gebräuchlichen Straße, der Hauptstraße von Homburg nach Usingen und weiter nach Weilburg, an dem von Mainz und der Taunus=Ebene her allein zugänglichen Uebergangspuncte über den Taunus; die Lage des Castells ist mit großer Ortskenntniß gewählt. Man darf dieses Castell mit größter Wahrscheinlichkeit als das von Drusus (im J. 9 n. Chr.) erbauete und nach der Niederlage des Varus wieder zerstörte Castell ansehen, welches Germanicus (im J. 15 n. Chr.) bei seinem Feldzuge gegen die Chatten auf dem Berge Taunus wieder herstellte (Tac. Ann. I, 56), das Arctaunum des Ptolomäus. Dieses römische Castell der Saalburg hat seitdem so lange bestanden, als hier die römische Herrschaft von Bestand war. Jedoch hat sich bei den Untersuchungen eine fünfmalige, vielleicht in kürzeren Zeiträumen statt gehabte Zerstörung


1) Vgl. auch die Gauen des Taunus und ihre Denkmäler von Professor Dr. Lehne, in den Annalen des Vereins für Nassauische Alterthümer etc. ., Bd.I, 1830, S. 5, 9, 11 flgd.
2) Vgl. "Die Saalburg bei Homburg", von Dr. Jos. v. Hefner, nach handschriftlichen Bemerkungen erschienen zu Homburg im Novbr. 1857, 6 Seiten und 1 Grundplan.
3) Am 21. Mai 1869 war ich zum dritten Male auf der Saalburg, und zwar in der lehrreichen Begleitung des kundigen Staats=Archivars Dr. Rossel aus Idstein, welcher an der Entdeckung und Aufgrabung der römischen Alterthümer im Taunus=Lande vielfach Theil genommen hat.
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des Castells erkennen lassen. In der Saalburg standen 1 ), mit den Hauptsitzen in Mainz, bis in das 3. Jahrh. n. Chr. die 22. Legion ("Legio XXII primigema pia fidelis"), nach der Eroberung von Britannien neu errichtet und seit dem J. 60 zum Schutze der Rhein= und Taunuslinie bestimmt, und die 8. Legion ("Legio VIII Augusta"), von Vespasian aus Mösien um das J. 70 eben dahin berufen; ferner standen hier lange Zeit die 2 Cohorte der Rhätier ("Cohors II Raetorum") und die 4 Cohorte der Vindeliker ("Cohors IV Vindelicorum"), rüstige Gebirgsleute, im Bauen geschickt, wie noch heute, auch die 1 Cohorte der Damascener ("Cohors I Flavia Damascenorum"). "Wenige Cohorten haben so viele Denkmale ihrer Bauthätigkeit am ganzen Taunus entlang hinterlassen, als die 4 Cohorte der Vindeliker." Uebrigens sind in dem Nassauer und Homburger Lande zahllose Ziegel 2 ) mit den Stempeln der genannten Legionen und Cohorten aufgefunden und theils weit verbreitet, vielleicht auch verbraucht, theils in den Museen massenhaft aufgespeichert 3 ).

Der Pfahlgraben und die Saalburg waren zwar schon seit langer Zeit bekannt, aber wenig gewürdigt. Die Saalburg lag früher unbeachtet entfernt vom Wege im dichten Walde, mit Wald bestanden. Man benutzte die Steine viel zu Neubauten, wie in Heddernheim; die Ruinen sollen in frühern Zeiten beträchtlich höher gewesen sein. Noch in neuern Zeiten sind viele Steine zu Neubauten abgefahren, namentlich wohl auch zum Bau der Chaussee nach Usingen, welche jetzt dicht an der Saalburg vorüberführt 4 ). Erst in


1) Vgl. auch: Ein Militair=Diplom Kaiser Trajans im Römercastell zu Wiesbaden. Von Dr. K. Rossel, Bibliothek=Secretair und Conservator zu Wiesbaden. Wiesbaden, 1858, S. 45-62.
2) Die auf der Saalburg gefundenen Münzen, meist silberne, sind von Commodus (180-192) und Septimius Severus (193-211).
3) Noch heute liegen viele dieser Ziegel in den Ruinen der Saalburg und die Umgebungen weit umher werden sicher noch sehr viele ähnliche und andere Alterthümer bergen.
4) Die hier kurz als Resultate vorgetragenen Ansichten über das Taunusland und die einzelnen Oertlichkeiten sind wohl die am meisten verbreiteten und begründeten. Andere, z. B. Schierenberg, in seinem angeführten Buche: Die Römer im Cheruskerlande, verlegen den ganzen Schauplatz der Kämpfe der Römer und Germanen, und den Taunus, weit nördlich nach Westphalen hinein, in die Gegend von Paderborn. Freilich ist der Name Taunus (früher und noch jetzt die "Höhe") für einen bestimmten Gebirgszug sehr jung; aber die Alterthümer scheinen doch dafür zu sprechen, daß das jetzt sogenannte Taunus=Gebirge der Taunus der Römer ist.
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den neuesten Zeiten ward durch die überaus freigebige und bedeutende Unterstützung des Landgrafen Ferdinand von Hessen=Homburg vor ungefähr 20 Jahren eine planmäßige Aufgrabung und Aufräumung der Saalburg veranstaltet, welche der um die Saalburg hochverdiente Archivar Habel zu Schierstein mehrere Jahre hindurch leitete. Zugleich ward bei der Saalburg ein Försterhaus zur Ueberwachung und zu einer Gastwirthschaft für Besucher erbauet, welches einen der angenehmsten Puncte der Gegend bildet. Durch die Aufgrabungen wurden die Fundamente des Castells vollständig und klar bloß gelegt, wie sie noch heute ganz frei liegen. Auch wurden, rechts am Wege nach Usingen, vor der Saalburg, neben dem Försterhause an 50 Gräber in der Nähe aufgedeckt, welche alle Leichenbrand zeigten 1 ). Das Castell selbst ist 704 rheinländ. Fuß lang und 465 Fuß breit und mag zur Zeit immer ungefähr 2 Cohorten gefaßt haben. Neben dem Castell haben sich auch Ueberreste von bürgerlichen Ansiedelungen für Veteranen von sehr großer Ausdehnung gefunden. Alterthümer haben sich in bedeutender Menge gefunden; sie wurden früher im Schlosse zu Homburg aufbewahrt, sind aber seit 1866 nach Darmstadt gebracht, was allerdings zu bedauern ist, da sie in Homburg in der Nähe der Saalburg größere Dienste leisten dürften, als in weiterer Entfernung.

Zu gleicher Zeit wurden die Forschungen zur Wiederauffindung des "Pfahlgrabens" von vielen Seiten her sehr lebhaft betrieben.

Von der Saalburg ging eine große, 10 bis 20 Fuß breite, römische Kunststraße in der graden Richtung durch die Ebene nach Frankfurt hin, nahe bei Homburg vorbei, nach dem nahen Heddernheim, jedenfalls auch nach Mainz, von der sich an mehreren Stellen, namentlich im Walde unmittelbar vor der Saalburg, noch Ueberreste finden.

Eine Meile rückwärts von der Saalburg, in der fruchtbaren Ebene auf der letzten Felskuppe, steht das Schloß Homburg mit dem alten, kleinen Städtchen. Es ist wahrscheinlich, daß der Ort ebenfalls ein römischer Sitz war,


1) Es liegen hier in dem Walde noch heute sehr zahlreiche Gruppen und Reihen von Gräbern, welche noch nicht berührt sind. Eines der aufgedeckten Gräber, welches noch vollständig erhalten und noch nicht berührt ist, ist in Einfassung und unter Verschluß gebracht, um Forschern die an dieser Stelle üblich gewesene Bestattungsweise zeigen zu können.
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wenn sich auch nichts dafür zum Beweise anführen läßt, da die Saalburg doch von der Fruchtebene aus verproviantirt werden mußte. Auch die Salzbrunnen, welche seit ungefähr 1835 bekanntlich als Heilbrunnen gebraucht werden, mögen Veranlassung zu einer uralten Ansiedelung 1 ) gewesen sein. Die Nachrichten über diese Salzquellen reichen bis zum J. 817 unter Kaiser Ludwig I. zurück, wo sie als zur Feldmark Stedti (Oberstedten und Niederstedten bei Homburg) im Nidda=Gau gehörende Brunnen 1 ) aufgeführt werden ("cum fonte ad salem faciendum") 2 ). Aber erst seit 1622 ward der Salzbrunnen gefaßt und ein Salinenwerk dabei angelegt, welches nach völliger Zerstörung durch den dreißigjährigen Krieg im J. 1666 3 ) wieder aufgerichtet, jedoch nach mehrfachen Unterbrechungen und fehlgeschlagenen Untersuchungen wegen der Schwäche der Soole im J. 1740 4 ) ganz aufgegeben 5 ) ward.

Die römische Kunstheerstraße von Heddernheim nach der Saalburg ging dicht bei Homburg und den ganz nahe bei Homburg liegenden Dörfern Dornholzhausen und Kirdorf, der ältesten christlichen Ansiedelung in dieser Gegend, vorüber. Südöstlich von Homburg durchschnitt die Eisenbahn von Homburg nach Frankfurt bei dem ersten Wärterhäuschen die Römerstraße; der Besitzer des Feldes, Herr Ruppel zu Homburg, hat mir mitgetheilt, daß er diese Straßenstrecke auf der Länge seines Feldes erst im J. 1868 habe ausbrechen lassen, um das Feld urbar zu machen. Die Straße war mit größern "Kopfsteinen" gepflastert und mit Kies und Grand beschüttet. Nordwestlich von Homburg durchschnitt die Römerstraße bei dem dicht bei Homburg stehenden "Alleehause" an der großen "Pappelallee" nach dem nahen Dorn=


1) Bei der Fassung des "Stahlbrunnens", nahe bei den alten Salzbrunnen, ist in neuern Zeiten gegen 10 Fuß tief ein schönes römisches Thongefäß gefunden. Auch am "Wingertsberg" in der Nähe der Brunnen sind römische Ziegel beobachtet.
1) Bei der Fassung des "Stahlbrunnens", nahe bei den alten Salzbrunnen, ist in neuern Zeiten gegen 10 Fuß tief ein schönes römisches Thongefäß gefunden. Auch am "Wingertsberg" in der Nähe der Brunnen sind römische Ziegel beobachtet.
2) Vgl. Dr. Rolle Uebersicht der geognostischen Verhältnisse von Homburg v. d. H. und der Umgegend, S. 27, aus den Beilagen zum Amts= und Intelligenz=Blatt für das Amt Homburg. Der kundigen und gelehrten Führung des Herrn Dr. Rolle zu Homburg verdanke ich manche schätzbare Aufklärung und literarische Unterstützung.
3) Nach einer Inschrift in Holz, welche bei der Aufräumung des jetzigen "Kaiserbrunnens" gefunden ist, auf der Homburger Stadt=Bibliothek.
4) Vgl. Rolle a. a. O. und Dr. Pauli: Homburg und seine Heilquellen, 2. Auflage, 1844, S. 137 flgd.
5) Der letzte Salzbrunnen ist noch heute an einer umzäunten Stelle neben einem uralten, mächtigen Weidenstumpf in unmittelbarer Nähe des "Ludwigsbrunnens" erkennbar.
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holzhausen hin die jetzige Chaussee, wie mir Herr Dr. Rossel und kundige Homburger versichert haben. Bei Kirdorf an dem "Rabenstein" und dem Ende des "Burggrabens" und "Burgfeldes" wurden 1868 und 1869 römische Fundamente ausgebrochen, deren letzte Reste ich 1869 noch selbst gesehen habe. Ueberhaupt aber ließen sich früher die alten Römerstraßen durch die Taunus=Ebene noch an vielen Stellen verfolgen.

Noch eine Meile weiter rückwärts gegen Süden gegen Frankfurt a/M. hin liegt in der großen Fruchtebene an der Nidda, welche östlich und südöstlich das Taunusland begrenzt und bei Höchst bei Frankfurt a/M. mündet, das Dorf Heddernheim, wo sich die berühmten, merkwürdigen römischen Ruinen 1 ) fanden. Nach der festen Besetzung von Mainz und der Saalburg mußte irgend eine Sicherung der Niddalinie 2 ) gegen die Wetterau hin eine Hauptsorge der Römer sein, da von dieser so leicht zugänglichen Seite ihre Flanke bloß gestellt und die Hauptfeste Mainz eben so leicht angreifbar war. Aber erst, nachdem der Kaiser Trajan (98-117) das "ehemalige, vom Kaiser Claudius verlassene "Occupations=System wieder annahm, dachte er an die Linie "Nidda" und deren Sicherung und Ausbildung, und unter dem Kaiser Hadrian (117-138) mögen die ersten Anfänge zur Ausführung dieses Gedankens gemacht sein. Jedoch liegen keine Spuren einer so frühen Colonisirung vor und man ist zur Annahme der Colonisirung unter Hadrian nur durch den Namen Heddernheim oder Hädernheim veranlaßt, welchen man durch Hadrians=heim früher fast allgemein erklären zu müssen glaubte. Aber diese Annahme wird durch keine Entdeckung unterstützt und ist bis jetzt nur eine "unsichere Vermuthung". Die Colonie wird aber erst seit dieser Zeit gegründet sein, da sich zu Heddernheim außer dem erwähnten berühmten Mithras=Altar noch mehrere kleinere Mithras=Denkmäler gefunden haben und der Mi=


1) Vgl. vorzüglich: "Die römischen Ruinen bei Heddernheim", von F. G. Habel in Schierstein, in den Annalen des Vereins für Nassauische Alterthumskunde und Geschichtsforschung, Bd. I, Wiesbaden, 1830, S. 45 flgd.
2) "Spuren von römischen Niederlassungen auf der linken Mainseite, Frankfurt gegenüber, sind nicht bekannt, und wenn auch römische Gegenstände gefunden werden, so kamen solche durch den nahen Verkehr in die Hände der Alemannen, sie sind mithin kein Beweis von römischen Niederlassungen." Dr. Römer=Büchner Beiträge zur Geschichte der Stadt Frankfurt a. M., 1853, S. 13.
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thras=Dienst 1 ) erst unter Trajan im J. 101 n. Chr. in Rom eingeführt ward.

"Keine Stelle der ganzen Gegend mochte sich mehr zur Anlegung eines befestigten Vorpostens eignen, als eben diese, auf einer sanften Anhöhe in der Ebene am Flusse liegende, von keinem nähern Berge beherrschte Stelle", welche doch weit umher einen freien Ueberblick gewährt.

"Der jetzige Ort Heddernheim selbst enthält keine Spuren römischer Ueberreste. Dagegen gelangt man 500 Schritte westlich von diesem Dorfe auf dem nach dem nahen Praunheim führenden Vicinalwege" zu einem großen, ringsum abgegrabenen, erhöheten Felde, welches die Landleute das Heidenfeld 2 ) nennen. Es ist ein unregelmäßiges trapezoidisches Viereck, 1200 Schritte lang und 5 bis 700 Schritte breit, und hat einen Flächeninhalt von beinahe 300 Morgen. Wenn auch die Anlage sehr bedeutend war, so war sie doch kein Castell, vielmehr eine bürgerliche Niederlassung, eine Stadt, welche allerdings gegen den ersten Angriff der drohenden Nachbarschaft befestigt war. "Es war eine "Militaircolonie", eine bestigte Municipal=Stadt ("civitas Taunensium"), welche einer großen Masse alter Soldaten, die nach Vollendung ihrer stürmischen Dienstjahre dem bürgerlichen Leben zurückgegeben wurden, Wohnung und Unterhalt gab." Für diese Ansicht zeugt auch der römische Name des Ortes, welcher nach mehrern in den Ruinen gefundenen Steininschriften 3 ) Novus vivus (= Neuheim, Neustadt oder Neuweiler) hieß und offenbar auf eine "bürgerliche Niederlassung hinweiset". Eine bedeutende, vielfach wichtige Inschrift vom J. 230 beginnt:

"In honorem domus divinae. Genium plateae Novi Vici cum aedicula et ara Titi Flavii Sanctinus, miles legionis vicesimae secundae primigeniae Aleyandrinae piae fidens, etc.


1) Vgl. , "Der Mithras=Tempel in den römischen Ruinen bei Heddernheim", von F. G. Habel, in den Annalen, Bd. I, Heft 2 und 3, 1830, S. 161 flgd.
2) Urkunden von 1452 und 1460 geben dem Trümmerfelde den Namen "Heddernburg"; vgl. Mittheilungen des Vereins zu Frankfurt nach Becker im Neujahrsblatt 1868.
3) Vgl. Inscriptiones ducatus Nassoviensis latinae (von Klein und Becker) in den Annalen des Vereins für Nassauische Alterthumskunde etc. ., Bd. IV, Heft 3, Wiesbaden, 1855, p. 485 flgd. (auch im Separat=Abdruck von p. 1 an). Vgl. auch die deutsche Abhandlung: Römische Inschriften in Nassau, von Klein, in Annalen etc. ., Bd. IV, Heft 2, S. 291 flgd.
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Wahrscheinlich ist die Colonie auf einmal entstanden, um genug Mannschaft gegen Ueberfall beisammen zu haben, und aus demselben Grunde vernothwendigte sich auch die baldige Anlegung einer festen Stadtmauer 1 ). Von der Stadtmauer waren früher noch Spuren in den Fundamenten vorhanden. Noch heute läuft ringsherum ein Fahrweg, der in den ältesten Flurbüchern der "Mauerweg" genannt wird.

Dieses "Heidenfeld" ist seit Jahrhunderten in der Gegend bekannt und die "ganze Oberfläche war mit Trümmern zerstörter Gebäude und Gefäße bedeckt. Seit Jahrhunderten dienten diese ausgedehnten Ruinen dem Landmanne als Steinbruch für sein Baubedürfniß; alles Mauerwerk, welches man an Gebäuden in Heddernheim, Praunheim und den Wegen der nächsten Ortschaften wahrnimmt, kommt aus diesem Felde." - Es ist beobachtet, daß die Germanen, als sie siegten, Alles mit unbeschreiblicher Wuth zertrümmert haben müssen.

Gleich nach der Stiftung des Vereins für nassauische Geschichte und Alterthumskunde im Jahre 1823, in Folge dessen das Museum im Jahre 1824 gegründet ward, beschloß der Verein, genaue Untersuchungen an Ort und Stelle vornehmen zu lassen und beauftragte damit den verstorbenen Archivar Habel 2 ), welcher das größte Verdienst um diese Forschung und Sammlung hat: das Heidenfeld ist die wichtigste Fundgrube für das Museum geblieben. Seitdem ist viele Jahre lang gegraben und durch Schenkung und Kauf der reiche Schatz erworben, welcher das Museum zu Wiesbaden ziert.

Ueber die Bedeutung des noch nicht sehr bekannten Ortes Heddernheim (Novus Vicus) giebt es wohl noch keine übersichtlich gehaltene, scharf bestimmende Beurtheilung. Die vorstehende Schilderung habe ich sehr mühsam aus sehr vielen zerstreuten Mittheilungen entwerfen müssen. Erst nach Vollendung derselben kommt mir nun die klar und bündig aufgefaßte Schilderung 3 ) vom Professor J. Becker zu Frankfurt a/M. in die Hände, welche ich wegen ihrer Klarheit und


1) In einer Grenzregulirungs=Urkunde vom J. 1610 werden die "Heddernheimer Burgmauern" erwähnt. Vgl. Becker im Frankfurter Neujahrs=Blatt, 1868, S. 5 Note 1.
2) Vgl. Habel in den angeführten Annalen etc. ., S. 48 flgd.
3) Vgl. J. Becker Grabschrift eines Römischen Panzerritter=Officiers aus Rödelheim, Neujahrs=Blatt des Vereins für Geschichte und Alterthumskunde zu Frankfurt a/M., 1868, S. 5.
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Auctorität hier noch mitzutheilen nicht unterlassen kann. "In dem weiten, reich gesegneten Tiefgrunde, welcher, von der Nidda durchzogen, von den Abhängen des obern Taunus zum Maine sich hinabsenkt, ist bis jetzt kein Ort aufgefunden worden, welcher als Fundstätte von Alterthümern aus römischer Zeit irgend wie mit dem schon lange her und immer noch ergiebigen Trümmerfelde zwischen den Dörfern Heddernheim und Praunheim, eine Wegstunde nordwestlich von Frankfurt a/M., verglichen werden könnte. Die große Menge, reiche Mannigfaltigkeit und nicht zu unterschätzende Bedeutung der auf jener Stätte des einstigen Novus Vicus zu Tage geförderten Denkmäler giebt ein so vollwichtiges Zeugniß von der ehemaligen Blüthe dieses Mittelpunktes des Taunensischen Gemeinwesens (civitas Taunensium), daß alle übrigen Spuren Römischen Anbaues, welche sich der Nidda entlang und weiterhin zwischen ihr und dem Maine verfolgen lassen, nur so zu sagen als Reste vereinzelter Ausläufer des Hauptortes selbst in der Gestalt von kleinen Dörfern (vici) und Gehöften, Landhäusern. Fabrikanlagen. Töpfereien u. a. m. gedacht werden können. Diese Annahme ist sicherlich um so begründeter, als einerseits die ganze Dürftigkeit jener Spuren römischen Anbaues, andererseits die Auffindung zur Seite der nach dem Novus Vicus und weiter nach dem Castelle und der Niederlassung am römischen Grenzwalle (Saalburg) ziehenden Straßen diese untergeordnete Bedeutung bis jetzt wenigstens unverkennbar beurkunden."

Am 15. Mai 1869 besuchte ich Heddernheim. Jetzt ist nicht die geringste Spur von Trümmern auf dem Heidenfelde mehr übrig. Zwar läßt sich das ganze erhöhete, mit einer Obstbaumreihe eingefaßte Plateau der ehemaligen römischen Stadt mit dem noch vorhandenen "Mauerweg" umher noch klar erkennen; aber die ganze Oberfläche ist geebnet, gereinigt und bis auf den äußersten Rand als Ackerland mit Feldfrüchten besetzt. Mitunter werden in der Tiefe, wo noch viel Schutt liegt, von den einzelnen Grundbesitzern bei Grabungen "im Winter" noch einzelne Alterthümer gefunden, welche aber gewöhnlich unter der Hand an Liebhaber verschwinden.

Die Zeit der Anlage der Colonie 1 ) ist, wie gesagt, nicht zu ergründen; aber die Blütezeit derselben wird in


1) "Der Kaiser Caracalla (211-217) gab allen denjenigen, welche sich in den römischen Reichsgrenzen befanden, wozu also auch das (  ...  )
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die Zeit der Kaiser Alexander Severus (222-235) 1 ) und Maximinus (235-238) fallen. Die meisten zu Heddernheim gefundenen Inschriftsteine 2 ), welche sich datiren lassen, fallen in diese Zeit, z. B. in die Jahre 229, 230 n. Chr. Ein sicheres Zeichen, daß sie noch unter der kurzen Regierung des Kaisers Maximin (235-238) blühte, ist die merkwürdige Erscheinung, daß auf 5 nassauischen Inschriftsteinen, von denen 2 aus Heddernheim, der Name Alexander ausgemeißelt ist; nach der Ermordung des Kaisers Alexander Severus ließ sein roher Nachfolger Maximin den Namen Alexander tilgen 3 ), "der wohl die Erinnerung an die veranlaßte Ermordung seines Wohltäters mit dem Namen desselben vertilgen zu können glaubte." In diese Zeit muß also die vollendete Ausbildung fallen, da die Inschriftsteine dieser Zeit angehören. Ein Mithrasstein von Heddernheim ist noch aus der Zeit des Kaisers Gordian (238-244) vom Jahre 241.

Mit Sicherheit läßt sich also der Bestand der Stadt Novus Vicus nur für die Zeit der ersten Hälfte des dritten Jahrhunderts nach Christi Geburt feststellen 4 ).

In oder kurz vor diese Zeit werden denn auch wohl die meisten der zu Heddernheim gefundenen Alterthümer, welche damals verloren gegangen sein werden, und darunter der oben erwähnte gravirte Krater und die Kellen und Siebe, fallen.


(  ...  ) "Taunusland bis an den Pfahlgraben gehörte, das römische Bürgerrecht". (Dig. I, Lib. 5, L. 17.) Dr. Römer=Büchner Beiträge zur Geschichte der Stadt Frankfurt a/M., 1853, S. 16.
1) Zu Kremmin bei Grabow ward eine Kupfermünze von Alexander Severus vom Jahre 227 ausgepflügt; vgl. Jahrb. II, B, S. 52.
2) "Es lassen sich im Museum von Wiesbaden genau zwei Classen von Inschriften unterscheiden: eine frühere, von der Zeit Vespasians oder noch etwas früher hinauf bis auf Hadrian (70-138 n. Chr.), und eine spätere, von Antoninus Pius bis auf Alexander Severus (138-236 n. Chr.). Rossel: Ein Militair=Diplom etc. . a. a. O., S. 56."
3) Vgl. Habel: Die römischen Ruinen bei Heddernheim, in den Annalen etc. ., Bd. I, Wiesbaden, 1830, S. 75. - Inscript. Nass. 1. c. zu Inschrift Nr. 1.
4) "Die erste Erwähnung der cives Taunenses zu Heddernheim ist vom Jahre 230, die letzte vom Jahre 242, und bald nachher, um 250, hören die römischen Inschriften im Taunusgebiet ganz auf". Dr. Römer=Büchner a. a. O. - Vgl. auch Rossel: Ein Militair=Diplom etc. . a. a. O., S. 56.
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Und diese Nachweisung bildet den einzigen Anhaltspunkt für die Zeit, aus welcher die Alterthümer von Häven stammen, welche also in die erste Hälfte des dritten Jahrhunderts n. Chr. fallen werden. Denn die Alterthümer von Heddernheim müssen bei der Zerstörung von Novus Vicus verschüttet worden sein. Nach früheren Beobachtungen stammen die meisten andern römischen Alterthümer im Norden auch aus der Zeit der Antonine (138-161 und 161-180) und deren Nachfolger.

Wann die Stadt Novus Vicus zerstört ist, darüber giebt es gar keine Nachrichten. Die jüngste datirte Inschrift ist die so eben erwähnte vom Jahre 241, und schon vor und nach dem Jahre 250 beginnen die Anfänge der deutschen Einfälle 1 ) und Erhebungen gegen das Römerreich und die fortwährenden Niederlagen der Römer. Die Anlage mag schon im dritten Jahrhundert n. Chr. 2 ) zerstört sein.

Römer=Büchner, Geschichte der Stadt Frankfurt a/M., fügt S. 16 hinzu: "Daß bei der Zerstörung von Novus Vicus sich manche der dortigen Bewohner hier ansiedelten, darf als sehr wahrscheinlich angenommen werden, so wie auch, daß mit dem Ende der Römerherrschaft auf der rechten Mainseite, und nachdem Valentinian I. im Jahre 374 mit Makrian zu Mainz einen Frieden geschlossen, nicht alle Römer von hier sich entfernten, sondern gemischt mit der deutschen Bevölkerung ferner als Römer=Deutsche an ihren Wohnorten verblieben. Selbst in den Personen=Namen, die noch bis heute in hiesiger Stadt und nächster Umgebung vorkommen, finden sich Römer=Namen".

Von Heddernheim mögen also Römer nach Häven gekommen sein.


1) Vgl. Becker: Grabschrift eines römischen Panzerritter=Officiers aus Rödelheim, im Neujahrs=Blatt des Vereins zu Frankfurt a/M. 1868, S. 24 flgd.
2) Eben so war es in Britannien. "Die englischen Museen besitzen mehr denn zwei Dutzend Barren und Würfel von Zinn, die mit den Namen der römischen Kaiser von Claudius bis auf Antoninus und Alexander Severus gestempelt sind. - Die Münzen der Kaiser beweisen, daß der Handel gegen die Regierung von Alexander Severus aufgehört hat. Die jüngsten Münzen stammen von Alexander Severus her." Fr. de Rougemont, L'age du bronze, Paris, 1866, p. 124 sq. Deutsche Uebersetzung von Keerl: Die Bronzezeit, von Fr. de Rougemont, Gütersloh, 1869, S. 119, 120, 143.
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Daß die Römer in Heddernheim auch Handel 1 ) trieben, beweiset ein daselbst gefundener Altar, welcher dem "Händler" oder Handels=Gott Merkur geweihet ist, mit der Inschrift:

I. HONOREM . D D
MER . CV . R . I . O . NEG
O . TI . A . TO . RI.
(In honorem domus divinae.
Mercurio neg-
otiatori.)

Ein anderer Altar ist dem Mercurius Cissonius oder Cesonius geweihet; Cesonius ist ein celtischer Beinamen des Merkur von bis jetzt unbekannter Bedeutung.

Mehr als wahrscheinlich ist nun von den Römern der Taunus=Provinz, namentlich von Heddernheim (Novus Vicus), daß sie Handel nach dem Norden getrieben. Die Wege waren die noch jetzt allein gangbaren alten Heerstraßen und in den neuesten Zeiten von den Eisenbahnen wieder aufgenommenen Wege. Diese gehen theils durch die Thäler der Nidda, Lahn und Fulda 2 ), theils durch die Thäler der Kinzig und Fulda in die Thäler der Weser und der Leine (bei Hildesheim (!) vorbei) in die norddeutschen Tiefebenen bis an das Meer (also ungefähr von Mainz über Heddernheim, Friedberg, Marburg, Cassel, Nordheim, Hildesheim u. s. w.).

Nach den übersichtlichen Aufzählungen der römischen Alterthumsfunde von Wiberg 3 ) sind auch die am meisten


1) Auch Dr. Rolle zu Homburg will in Novus Vicus auf eine "ansehnliche Taunenser Kaufmannschaft" schließen, die aber sich vielleicht nur mit Zwischenhandel befaßte und ihre Fabrikate von Mainz oder noch weiter her bezog". Vgl. Taunusbote, Homburg v. d. H., 1869, Nr. 38, Junii 27.
2) Gräber von Römern oder von römischem Einflusse scheinen auch die bei Ketten "an der Rhön", also nicht weit von der Handelsstraße aufgedeckten Gräber mit ihren vielen Silber=Ringen und Glasperlen zu sein, worüber mir während des Drucks dieses Bogens die "Ausgrabungs=Berichte aus Thüringen von Dr. Klopfleisch, Weimar, 1869", zu Händen kommen. Leider sind in dieser kleinen, an Hypothesen überreichen Schrift die Beschreibungen der Alterthümer so wenig genügend und verglichen, daß man sich keine klare Vorstellung davon machen kann.
3) Vgl. Der Einfluß der klassischen Völker auf den Norden durch den Handelsverkehr, von C. F. Wiberg, Oberlehrer am Gymnasium zu Gefle. Aus dem Schwedischen übersetzt von Johanna Mestorf. Hamburg, 1867. S. 110 flgd. - Auch Bodrag till kännedomen om Grekers och Romares förbindelse med Norden, af C. F. Wiberg, Gefle, 1861.
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bezeichnenden römischen Alterthümer auf dieser Handelsstraße gefunden. Auch Wiberg nimmt eine römische "Lahn=Magdeburger Handelsstraße an, vom Rhein längs der Lahn an die mittlere Elbe" 1 ).

Außer in Kurhessen sind in den braunschweig=lüneburgischen Landen gefunden z. B. bei Ahlden an der Aller eine Kasserolle und eine Urne von Bronze; bei Dornte, Amts Oldenstadt, zwei hübsche Bronzegefäße mit Handhabe; bei Klein=Hesebech, Amts Medingen, ein ähnliches Gefäß; bei Seedorf, Amts Medingen, ein niedriges, rundes, geräumiges Bronze=Gefäß mit Handhabe, geschmückt mit Thier=Figuren, und ein Herkulesbild von schön patinirter Bronze; bei Barskamp, Amts Blekede an der Elbe, ein hübsches Gefäß von Terra sigillata mit dem Bildnisse eines Jägers im Relief bei Sottdorf, Amts Salzhausen an der Elbe, eine römische bronzene Schüssel mit Fabrikstempel; bei Lühmühlen, Amts Salzhausen, ein Bronzedeckel mit einem schönen epheubekränzten weiblichen Kopfe in Relief u. s. w.

Die große Straße scheint sich in Mittel=Hannover verzweigt und auf verschiedenen Wegen an den noch heute benutzten Hafenstellen an der Nord= und Ostsee ausgemündet zu haben: an der Weser (Bremen), wo der Bronze=Krater von Börry gefunden ist (vgl. oben S. 102); an der Elbe (Hamburg), wo in der Landdrostei Stade die Bronze=Kelle gefunden ist (vgl. oben S. 138); an der Trave (Lübek), wo zu Pansdorf bei Lübek auch ein Bronze=Eimer gefunden ist (vgl. oben S. 121);Von den meisten im nördlichen Deutschland entdeckten römischen Gefäßen wird berichtet, daß sie in Grabhügeln gefunden und zu Knochen= und Aschenurnen benutzt gewesen seien. Zu Sottorf bei Salzhausen wurden in mehreren Kegelgräbern außer Bruchstücken von römischen Bronze=Gefäßen auch 6 Gewandnadeln, zum Theil mit silbernen Knöpfen, gefunden, welche nach der Beschreibung römische Arbeit zu sein und den Hefteln von Häven zu gleichen scheinen. Vgl. Einfeld a. a. O., S. 41 flgd. Es dürfte nicht unwahrscheinlich sein, daß alle diese Brandhügel mit römischen Alterthümern ebenfalls Römer=Gräber mit verbrannten Leichen sind, und daß z. B. auch bei Sottorf an der Elbe eine römische Niederlassung war.


1) an dem Meerbusen von Wismar, wohin die römischen Funde von Grabow und Häven gehören.
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Wenn sich auch von diesen hier ausgesprochenen Folgerungen nichts unumstößlich beweisen läßt, so scheint doch manches sehr wahrscheinlich und wenigstens ein Anfang zu weiterer Forschung gemacht zu sein.

Außer den beiden gleichen gravirten Krateren und mehreren kleineren Alterthümern, welche Heddernheim und Häven gemeinsam sind, ziehen noch andere Dinge die Aufmerksamkeit auf sich.

Von Wichtigkeit können die beiden oben unter Nr. 22 und 23 aufgeführten silbernen Relief=Knöpfe sein, dereine mit dem Bilde eines auf einem Fische stehenden Vogels, der andere mit dem Bilde eines Ebers; jener könnte Zeichen der Städte Istros in Mösien oder Olbia sein, dieser deutet zunächst auf Gallien. Außerdem war aber der Eber 1 ) auch ein Feldzeichen in Mösien. Nun aber hatte die VIII. Legion, welche seit dem Jahre 70 sicher bis auf Alexander Severus (222-235) im Taunuslande stand und hier oft vorkommt, vorher in Mösien gestanden.

Doch können solche Anführungen nur gewagte Ansichten sein, welche sich auch für nichts anderes ausgeben wollen.


Weiterführung.

Wenn nun durch die Vergleichung der gleichen Alterthümer von Häven und Heddernheim ein wohl nicht ganz unbegründeter Anhaltspunkt für Herkunft und Zeit derselben gewonnen ist, so läßt sich von denselben nicht unschwer auch auf andere ähnliche Alterthümer schließen.

Es sind in Meklenburg und Dänemark häufig römische Alterthümer, wiederholt in großer Anzahl beisammen, gefunden. Manche dieser Funde scheinen einer andern Zeit anzugehören


1) Vgl. Eberkopf und Gorgoneion als Amulete, von Dr. Rud. Gaedechens in Jena, in Jahrbüchern des Vereins im Rheinlande, Heft XLVI, Bonn, 1869, S. 26 flgd. "Wir finden das Wildschwein auf Reliefen, kleinen Bronzen u. s. w." - Anm. 25: "auf Münzen des Kaisers Caraealla (217) (vgl. Rapp in den Jahrb. XXXV, Taf. III), auf gallischen und celtischen Münzen u. s. w., - Anm. 65: Feldzeichen mit Eber. Nicht anders die Coralli in Nieder=Mösien."
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und einen andern Ursprung zu haben, als der von Häven, z. B. die oben S. 103 erwähnten Funde von Gr.=Kelle, mit der prachtvollen silbernen Kelle, und der Fund von Hagenow, nicht weit von Grabow, mit der schönen Gießkanne, wenn sich in beiden auch Kellen finden. Aber der oben S. 99 flgd. beschriebene Fund von Grabow stimmt durchaus mit dem Funde von Häven überein: hier fand sich auch ein Krater von derselben Form, mit demselben Henkel, mit derselben Technik in der Gravirung geschmückt, wenn auch die Figuren andere sind; hier fand sich auch eine Schale, eine Kelle, ein Sieb, eine Heftel mit einer auf dem Bügel angelötheten Verzierungsplatte, selbst ein Glas. Es laßt sich nicht bezweifeln, daß der Fund von Häven gleichen und gleichzeitigen Ursprung mit dem Funde von Grabow hat.

Gleichen Ursprung wird der oben S. 102 besprochene Fund von Himlingöie auf Seeland haben, dessen Arbeit mit der der hävenschen und heddernheimer Bronzekessel gleich ist. Diese Wahrnehmung wird auf noch mehr römische Funde der Insel Seeland zurück schließen lassen.

Ich bemerke noch besonders, daß sich die hornförmigen Glasgefäße, die bei römischen Alterthümern in Dänemark gefunden sind, sich in vielen Exemplaren auch in dem Funde von Heddernheim im Museum zu Wiesbaden finden.

Es läßt sich aber auch, was sehr merkwürdig und einflußreich zu sein scheint, von dem Funde von Häven weiter auf einheimische Funde der älteren Eisenzeit in Meklenburg zurück schließen. Die vielen großen Begräbnißplätze mit den vielen Aschenurnen unter der ebenen Erdoberfläche enthalten zwar durchaus nur verbrannte Leichen mit Beigabe von wenig Hausgeräth und Schmuck, meistentheils von Eisen, seltener von Bronze, mitunter auch von Silber, welches sonst nicht vorkommt. Aber auf manchen Begräbnißplätzen dieser Art fanden sich doch Sachen, welche gradezu auf die Quellen von Häven und Heddernheim hinweisen. Vor allen andern ist es der oben S. 122 erwähnte Begräbnißplatz von Pritzier, welcher die meiste Aehnlichkeit mit den römischen Gräbern hat. Es ist oben S. 122 und S. 134 nachgewiesen, daß die thönernen Urnen, welche den Römer=Gräbern von Häven zum Ersatz für fehlende Bronze=Kessel und Schalen beigegeben wurden, den einheimischen Urnen von Pritzier völlig gleich sind, diese also mit jenen von gleichem Alter sein müssen. Es giebt aus dem "Kirchhof" von Pritzier aber noch andere Dinge, welche eine Verbindung

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mit dem Hävenschen Funde in Aussicht stellen. Dies sind die zu Pritzier zahlreich gefundenen Glasperlen, welche den oben unter Nr. 39 und 57 aufgeführten römischen Glasperlen von Häven gleich sind. Endlich sind zu Pritzier allein, und sonst nicht, mehrere Glasgefäße gefunden, welche nach Heddernheim weisen. Zwar sind die Glasgefäße von Pritzier durch den Leichenbrand vielfach verbogen, zusammengedrückt und zusammengeschmolzen, und daher oft nicht klar in den Formen zu erkennen; aber das Glas von Pritzier ist dasselbe dünne und weiße, nicht ganz reinliche, etwas grünliche Glas, welches sich in Heddernheim in so großer Menge findet. Es wird daher nicht sehr gewagt sein, zu schließen, daß die römischen Händler von Häven nach Pritzier verkauft haben.

So viel wenigstens scheint mit Sicherheit angenommen werden zu können, daß die ältere Eisenzeit in Meklenburg bis in die erste Hälfte des dritten Jahrhunderts n. Chr. reicht.

Geschrieben zu Homburg v. d. H., im Mai 1869.

 


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Anhang.


Während der Correctur dieser Bogen gelangt in die Schweriner Sammlungen noch ein kleiner römischer Fund, der hier noch eine Stelle finden mag, da er aus ganz zuverlässiger Quelle kommt.

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Römische Münze des Kaisers Hadrian.

Auf dem zu dem Hauptgute Klein=Vielen gehörenden Nebengute Hartwigshof, bei der Stadt Penzlin, an der südöstlichsten Grenze von Meklenburg=Schwerin, ward im Jahre 1869 in der Nähe eines heidnischen Grabes eine wohl erhaltene kleine Bronze=Münze des Kaisers Hadrian (119-127 n. Chr.) gefunden und von dem Gutsbesitzer Herrn Jahn, Mitgliede des Vereins, dem Vereine geschenkt.

V.=S. Der mit Lorbeer bekränzte Kopf des Kaisers; Umschrift:

IMP CAESAR TRAIAN HADRIANUS AVG

R.=S. Eine stehende weibliche Figur mit einer Wage (bilanx) in der rechten Hand und einem Füllhorn im linken Arme; Umschrift:

P M TR P — COS III

G. C. F. Lisch.     

 

Vignette
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Römische Alterthümer aus den Gräbern von Häven und Grabow in Meklenburg.
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II. Zur Baukunde.


Christliches Mittelalter.

Kirchliche Bauwerke.


Die Domkirche zu Güstrow,

von

Dr. G. C. F. Lisch.


Einleitung.

Da die Domkirche zu Güstrow im Mauerwerk baufällig zu werden anfing und das Mobiliar im Innern schlecht und verfallen, auch sehr unkünstlerisch war und engend und störend wirkte, so ward eine gründliche Restauration des Baues beschlossen, welche in der Zeit 1865-1868 unter der Leitung des Landbaumeisters Koch ausgeführt ist, wodurch das Innere der Kirche ein ganz anderes Ansehen als früher bekommen hat. Die Einweihung ward am dritten Advent=Sonntage, 13. December, 1868 unter lebhafter Betheiligung und großer Befriedigung vollzogen. Schon einige Jahre vorher war der Giebel des südlichen Kreuzschiffes so unsicher geworden, daß er umzufallen drohete. Noch etwas früher waren freilich schon einige entstellende und Schaden bringende Anbauten an der Nordseite des Chors, welche zum Wagenschauer für die "Superintendentenkutsche" und zu Vorrathskammern dienten, abgebrochen. Bei der letzten Restauration fielen aber auch an der Südseite des Chors die letzten entstellenden Anbauten, welche zu Kalkschuppen und andern Materialienkammern benutzt wurden.

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Ich habe den Bau schon im J. 1843 in den Jahrb. VIII, S. 97 ausführlich beschrieben und beurtheilt. Im Allgemeinen hat sich meine dort ausgesprochene Ansicht bestätigt. Es sind aber seitdem und während der letzten Restauration, bei der ich ununterbrochen und häufig untersuchend beiräthig gewesen bin, so manche wichtige Entdeckungen gemacht, daß es nöthig ist, dieselben vorzutragen und zu benutzen, und zugleich zu zeigen, wie die Kirche entstand und wuchs, wie sie ursprünglich aussah, wie sie in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts restaurirt, im 17. und 18. Jahrhundert vielfach entstellt ward und wie sie endlich jetzt wieder neu geworden.

1) Der älteste Theil der Kirche ist der mittlere Theil des jetzt stehenden Baues: das ganze Kreuzschiff und die erste Hälfte des Chors daneben. Das Collegiatstift ward am 3. Junii 1226 von dem Fürsten Heinrich Borwin II. auf seinem Sterbebette gegründet. Der Bau dieses Theils der Kirche wird und muß bald darauf ausgeführt sein, denn er ist ganz im Uebergangsstyl und der nördliche Giebel des Kreuzschiffes ist mit Ausnahme der Fenster noch im romanischen Style ausgeführt: die Pforte und die Friese zeigen den Rundbogen und die Wandsäulen im Innern sind noch romanisirend. Die alte Kirche ist mit der des Klosters Neukloster, welcher 1219 gestiftet ward, in gleichem Style. Der alte Altarraum wird im 15. Jahrhundert, als zu beschränkt, abgebrochen sein; er muß ein ganz anderes Ansehen gehabt haben, als jetzt.

2) Das Schiff mit Thurm und Seitenschiffen ist ohne Zweifel im J. 1335 ganz fertig geworden und geweihet. Der Styl ist der altgothische. Man vergleiche den Beweis unten in dem Abschnitt über die Reliquiengruft.

3) Die beiden Kapellenreihen sind nach und nach bald darauf im 14. Jahrhundert fertig geworden. Die jüngste Kapelle an der Nordseite ist 1388 gestiftet und die jüngste Kapelle an der Südseite 1394 fertig geworden. In beiden Jahren stand schon der Thurm. Man vergleiche unten den Abschnitt über die Kapellen an den Seitenschiffen.

4) Der Chor ist wahrscheinlich nach Vollendung des Schiffes im 15. Jahrhundert an der Stelle des abgebrochenen alten Altarraumes, welchem wohl zu beschränkt war, neu angebauet, freilich in nicht sehr festem Mauerwerk. Urkundliche Nachrichten giebt es darüber nicht. Es läßt sich nur nach dem Baustyl urtheilen.

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Das Domstift ward im J. 1552 aufgehoben. Am Mittwoch nach Cantate 1552 schickten die fürstlichen Commissarien die "Kleinodien" der Kirche an die heimgelassenen fürstlichen Räthe ein.

Hierauf stand die Kirche, da das Domherrenstift einem Kloster ähnlich gewesen und die Gemeinde sehr klein war, lange Zeit leer und war ganz verfallen und wüste, so daß sie sogar zum Wagenschauer gebraucht ward. Da faßte die hoch verdiente Herzogin Elisabeth, des Königs Friedrich I. von Dänemark Tochter, des Herzogs Ulrich erste Gemahlin, im J. 1565 den Entschluß, die Kirche restauriren zu lassen, was denn auch in zwei Jahren ausgeführt ward. Die erste protestantische Predigt ward am Sonntage nach Neujahr 1568 in der restaurirten Kirche gehalten.

Darauf schmückte der Herzog Ulrich selbst die Kirche mit vielen prachtvollen Denkmälern, welche zu den bedeutendsten Kunstwerken in Meklenburg gehören. Die wichtigsten dieser Werke sind und waren: das große Epitaphium auf den Fürsten Heinrich Borwin II., den Gründer der Kirche, desselben Sarkophag, die Kanzel, der Taufstein, die großen Epitaphien auf den Herzog Ulrich selbst und seine beiden Gemahlinnen, die fürstliche Empore im südlichen Kreuzschiffe und die Orgel, die beiden letzten bei der jüngsten Restauration abgebrochen.

Die darauf folgende Zeit des 17. und 18. Jahrhunderts hatten der Kirche nur Schaden gebracht und sie vielfach entstellt.

Deshalb war die jetzige Restauration nicht allein angemessen, sondern auch nothwendig. Und diese ist denn auch unter der lebhaftesten Beförderung und Theilnahme Sr. Königlichen Hoheit des Großherzogs Friedrich Franz in der Zeit von 1865 bis 1868, also grade dreihundert Jahre nach der vorletzten Restauration, würdig und stylgemäß ausgeführt. Im J. 1865 ward der baufällige Giebel des südlichen Seitenschiffes neu aufgeführt und das daran stoßende Gewölbe und Dach restaurirt. Pfingsten 1866 begann die Restauration der Wände und Gewölbe, von denen die Gewölbe des Altarraumes ganz neu gebauet werden mußten. In den Jahren 1867 und 1868 wurden der Ausbau und die Decorirung des Innern, die Fußböden und das Gestühle ausgeführt, die Chorfenster gemalt und der alte Altar durchgängig neu vergoldet, bis endlich nach Vollendung der neuen Orgel die Kirche am 13. December 1868 wieder eingeweihet werden konnte.

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Nach diesen geschichtlichen Gesichtspunkten muß die neueste Restauration und überhaupt das ganze Gebäude beurtheilt werden. Genauere Aufklärung und manche tiefere Blicke in die Kunst der alten Zeiten und der Jetztzeit werden, bei Betrachtung des Gebäudes selbst, die folgenden Abschnitte geben.


Der Altar

ist ein großer Flügelaltar mit Doppelflügeln (Diptychon), 8 Fuß hoch, ohne die Krönung, und 26 Fuß breit, in jedem Flügel also 6 1/2 Fuß breit.

Die Vorderseite

ist mit geschnitzten und vergoldeten und bemalten Figuren auf figurirtem Goldgrunde geschmückt, und so fest und dauerhaft gearbeitet, daß der alte Kreidegrund mit wenig Ausnahmen hat erhalten werden können.

Das Mittelstück der Mitteltafel stellt die Kreuzigung Christi in einer großen figurenreichen Gruppe dar. Neben dem Kreuzesstamme knieen 2 kleine betende Figuren: zur Rechten ein Mann in weitem Rock mit langem, lockigem Haar, welcher die Mütze vor sich liegen hat, zur Linken ein ganz in einen Harnisch gekleideter Mann, welcher den Helm vor sich liegen hat. Zwischen beiden steht am Kreuzesstamme das fünfschildige herzogliche Wappen mit dem Helme. Das Wappen ist noch sehr unbeholfen und die Schilde stehen alle verkehrt; die Schilde, welche rechts stehen eilten (für Meklenburg und Stargard), stehen links, und umgekehrt; der Werlesche Stierkopf steht noch grade; der Stargardische Arm ist noch ganz einfach, ohne Aermel und Wolke u. s. w. Dieses Wappen, und also auch der Altar, muß also aus der ersten Zeit nach der Einführung des fünfschildigen Wappens stammen, also in die Zeit 1490-1500. Die beiden knieenden Personen sind daher ohne Zweifel die Schenker, die Herzoge Magnus († 1503) und Balthasar († 1507). Die Kunstarbeit ist also verhältnißmäßig jung, jedoch noch recht gut.

Die ganze Vorderansicht ist durch eine Quertheilung in 2 Abtheilungen von verschiedener Höhe gebracht. Die obere, höhere Abtheilung enthält große, stehende Figuren; die untere Abtheilung, welche ungefähr halb so groß ist wie die obere, enthält kleine, sitzende Figuren. Jede Figur steht unter einem reichen, durchbrochenen Baldachin.

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Die ganze obere Reihe enthält, außer der Kreuzigung, die 12 Apostel (mit Paulus, Philippus fehlt) und 4 Hauptheilige des Domes, die untere Reihe 16 Heilige.

Die Figuren sind gut gezeichnet und geschnitzt. Auf dem figurirten Goldgrunde steht in dem Heiligenscheine eines jeden Heiligen dessen Name. Der Vergolder ist aber sehr ungebildet und ungeschickt gewesen, da er theils viele Namen verunstaltet und verstümmelt, theils mehrere verwechselt und ausgelassen hat. Hinter jedem Namen folgt das Gebet: OR A PRO NOBIS, von welchem aber gewöhnlich nur 1 bis 3 Buchstaben ausgedrückt sind.

Die Figuren sind folgende, mit den buchstäblichen Bezeichnungen in den Heiligenscheinen:

Oberer Reihe.

Mitteltafel.

Die Kreuzigung Christi, im Mittelstück durchgehend.

Zur Rechten:

1) S. Johannes der Täufer: S A NCTVS IOH A NN, der Vorläufer Christi, zeigt mit dem rechten Zeigefinger auf das Lamm, welches er auf einem Buche auf dem linken Arme trägt.

2) S. Cäcilia: S A NCT A S e CILI, die Localheilige des Doms ("Cäcilien=Kirche" vgl. Jahrb. XX, S. 238), gekrönte Jungfrau mit einem offenen Buche in der rechten und einem Lilienstengel in der linken Hand. Auf dem Buche steht in gothischer Minusel aus dem Ende des 15. Jahrhunderts geschrieben:

Buch der S. Cäcilia
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Ein silbernes Bild der H. Cäcilie im Dom hatte nach einem alten Inventarium (bei Thiele Beschr. S. 62) auch "eine vergüldete Ruhte" in der linken Hand.

3) S. Petrus: S A NCTVS P e TRI, ein Schlüssel und Buch.

Zur Linken:

4) S. Paulus: S A NCTVS P A VLVS, Schwert fehlt, ohne Buch.

5) S. Katharina: S A NCT A K A TRN, die Braut Christi, gekrönte Jungfrau, Schwert in der rechten, Rad in der linken Hand.

6) S. Sebastian: S A NCTVS S e B A , an eine Säule gebunden, von Pfeilen durchbohrt.

Rechter Flügel.

7) S. Johannes Ev.: S A NCTVS IOH A , den Kelch segnend.

8) S. Jacobus d. j.: S A NCTVS I A CODV, Walkerbaum fehlt, geschlossenes Buch.

9) S. Thomas: S A NCTVS TOMVS, Lanze fehlt, geschlossenes Buch.

10) S. Jacobus d. ä.: S A NCTVS I A COD, mit Pilgerhut und Tasche, Pilgerstab fehlt, geschlossenes Buch.

11) S. Mathias: S A NCTVS M A TI e , Beil fehlt, geschlossenes Buch.

Linker Flügel.

12) S. Matthäus: S A NCTVS M A T e VS, Hellebarde fehlt, offenes Buch.

13) S. Bartholomäus: S A NCTVS B e RTO e LM, Messer, geschlossenes Buch.

14) S. Andreas: S A NCTVS A NDR e A , Schrägekreuz fehlt, ohne Buch.

15) S. Simon: S A NCTVS SIMON, Säge fehlt, geschlossenes Buch.

16) S. Judas Thaddäus: S A NCTVS IVD e , Keule fehlt, geschlossenes Buch.

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Untere Reihe.

Mitteltafel.

Die Kreuzigung Christi im Mittelstück durchgehend.

Zur Rechten:

1) S. Gregorius: S A NCTVS A VGVSS. Ein Papst mit der dreifachen Krone, Buch in der linken Hand haltend, Stab mit dreifachem Kreuz in der rechten Hand fehlt mit der Hand. Die Umschrift (Sanctus Augustinus), welche in Nr. 6 noch ein Mal vorkommt, ist also falsch. Der Papst kann nur der H. Gregor sein. Bei der Pfarrkirche gab es eine S. Gregorius=Kapelle und eine S. Gregorius= und S. Augustinus=Brüderschaft.

2) S. Margaretha: S A NCT A K A TRIN, gekrönte Jungfrau, mit einem Drachen zu den Füßen und einem offenen Buche in der Rechten; das Schwert in der Linken fehlt. Auch diese Umschrift (Sancta Katharina) ist falsch, da eine gekrönte Jungfrau mit dem Drachen zu Füßen nur die H. Margaretha sein kann, und die H. Katharina schon in der obern Reihe Nr. 5 mit Sicherheit steht.

3) S. Albertus: S A NCTVS A NLB, Bischof mit einem Buche in der rechten und einem Bischofsstabe in der linken Hand. Dies wird nur der H. Albertus (Albertus magnus) sein können.

Zur Linken:

4) S. Hieronymus: S A NCTVS I e RONI, in rundem Cardinalshut, Buch in der Rechten, Kreuzstab mit einfachem Kreuz in der Linken.

5) S. Dorothea: S A NCT A DOROT e , gekrönte Jungfrau, mit einem Korbe in der Rechten, mit der Linken den Mantel haltend.

6) S. Augustinus: S A NCTVS A VGVSS, Bischof, mit dem Stabe in der Rechten und einem Buche in der Linken. Diese Figur stellt ohne Zweifel richtig den Heil. Augustinus dar, und nicht die Figur Nr. 1.

Rechter Flügel.

7) S. Agnes: S A NCT A   A NG e N, gekrönte Jungfrau, ein Buch, auf dem ein Lamm liegt, in der Linken haltend, Dolch in der Rechten fehlt.

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8) S. Laurentius: S A NCTVS L A VV, als Diakon, offenes Buch in der Linken, Rost in der Rechten fehlt.

9) S. Barbara: S A NCT A B e RB e , gekrönte Jungfrau, offenes Buch in der rechten Hand, Thurm im linken Arme.

10) S. Brandanus: S A NCTVS BRND A , in Mönchs= oder Abts=Gewande, mit einer Kappe auf dem Kopfe, in der Linken ein offenes Buch haltend, in der Rechten eine brennende Kerze (mit dreitheiliger Flamme) tragend. Dieser Heilige ist ohne Zweifel der H. Brandanus, Abt. Dies wird auch durch ein handschriftliches Inventarium des Kirchensilbers vom J. 1552, bei der Säcularisirung, bestätigt, in welchem, außer einigen Marienbildern, auch aufgeführt wird: "Ein silbern Brandanus, mit einer silbern Monstrantze, wiget XI marck XII Loth." In einem andern Inventarium, bei Thiele Beschreibung S. 62, werden die Bilder der Hauptheiligen des Doms, aber nicht das des H. Brandanus, aufgeführt. Der H. Brandanus kommt äußerst selten vor; ja er wird in den neuern Ikonographien gar nicht einmal genannt und selbst die Acta Sanctorum lassen über die Deutung des Attributs in der rechten Hand im Stiche. Die meiste Aufklärung giebt das plattdeutsche "Leuent der Hylgen, Basel, 1517, Samerdel, Fol. CCXL" flgd., welches sehr viel, 15 Druckseiten in Folio, von diesem Heiligen mittheilt, jedoch Fol. CCXLVIIb. auch berichtet: "De grote lerer Vincencius, de do vele hystorien beschryfft, de schafft nicht vele van disseme Brandano, men he secht, wo id ein abbet gewest is vnde hofft vele mönnecke vnder fick ghehadt vnde hefft ock vele wandert: men dat yd alle war schal wezen, alze syne hystorien hyr geschreuen ludet, wil he nycht löuen." Das Attribut der Kerze bezieht sich ohne Zweifel auf ein Ereigniß, welches er erlebt haben soll, da in der Lebensbeschreibung kein Stoff zur Deutung eines andern ähnlichen Attributs zu finden ist. Auf seinen Meerfahrten kam Brandanus in ein Kloster auf einer Insel und in die Kirche: "Do quam en vurich schote in eyn vynster vnde entfengede alle de lampen vor den altaren, do vloech dat schoet wedder vth dem vinster. Do fragede sunthe Brandanus: We deyt des morgens de kersen wedder vth? De abbet sede: Kum vnde see dat wunder ghades; see, du süest de kersen bernen, men dat wert nicht vormynret, wente dat is eyn geystlich lycht. Do fragede sunte Brandanus: Wo mach ein geystlik lycht in einem licham bernen? De abbet antworde vnde sprack: Heffstu nicht gelesen, da de

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busk Moysi brande vp dem berge Sinai vnde bleeff doch vngeseriget (Fol. CCXLIIIb). Der fremde Abt erzählt auch: "Wy hebben hyr nicht tho ethende, daer wy vüer tho behouen. Ock schadet vns nicht hette edder kolde, vnde in den ambachten der tyde entfangen sick süluen de lychte, de wy mit vns vth vnsen landen brochten, vnde werden nicht vormynret van der guede ghades (Fol. CCXLIIIa)." - Es ist also außer Zweifel, daß das Attribut des H. Brandanus eine brennende Kerze ist. - Wie der H. Brandanus in den Dom zu Güstrow gekommen ist, läßt sich noch nicht ermitteln; vielleicht ward er durch eine besondere Begebenheit oder Schenkung eingeführt. Von Bedeutung mag es sein, daß auch die Kirche zu Malchin, deren Pfarre seit 1301 mit einer Domherrnstelle in Güstrow vereinigt war, einen "Altar Brandani" hatte, dessen Patronat ganz dem Malchiner Rath gehörte. - Auch im Dome zu Schwerin war ein Altar Brandani.

11) S. Gertrud: S A NCT A G e RDR e V, gekrönte Jungfrau, ein Hospital mit beiden Händen im linken Arme haltend.

Linker Flügel.

12) S. Apollonia: S A NT A   A PLONI, gekrönte Jungfrau, offenes Buch in der Linken, Zange mit Zahn fehlt in der Rechten.

13) S. Michael: S A NCTVS MICH A EL, Jüngling, mit Flügeln, Drache zu den Füßen, Schwert und Lanze fehlen.

14) S. Agathe: S A NCTVS (!) A G A T A , gekrönte Jungfrau, ein Buch mit beiden Händen haltend.

15) S. Mauritius: S A CTVS MOVRISV, Ritter, Mohr, einen rothen Schild mit goldenem Kreuz in der Linken haltend, Fahne in der Rechten fehlt.

16) S. Maria Magdalena: S A NCT A M A RI A , im Schleier, mit der Salbenbüchse.

Erste Doppelflügel.

Wenn die ersten Flügel zugeschlagen und dadurch die geschnitzten Figuren verdeckt werden, so zeigen sich auf der ganzen Ausdehnung auf vier Tafeln Gemälde, welche recht gut gemalt und ausgezeichnet gut erhalten sind. Jede Tafel hat 4 gleich große Gemälde. Die 16 Gemälde im Ganzen

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stellen die Passion Christi dar und wurden früher während der Fastenzeit zur Anschauung gebracht. Die Gemälde sind in der Ansicht von links nach rechts folgende.

Obere Reihe.
Links.
Abendmahl. Oelberg. Judaskuß. Gefangennehmung.
Rechts.
Verspottung. Geißelung. Dornenkrönung. Pilatus.
Untere Reihe.
Links.
Kreuztragung. Kreuzigung. Himmelfahrt. Grablegung.
Rechts.
Auferstehung. Wiedererscheinung. Kreuzabnahme. Ausgießung des Heil. Geistes.

Auf dem Gemälde der Himmelfahrt sind von Christus nur die Füße und der Rocksaum zu sehen. - Auf dem Gemälde der Ausgießung des Heiligen Geistes sitzt Maria, über welcher eine Taube schwebt, mitten unter den Jüngern.

Zweite Doppelflügel.

Wenn die zweiten Flügel zugeschlagen werden, zeigen sich 4 gemalte, große Heiligenfiguren in Lebensgröße, auf jedem Flügel 2 neben einander, welche die Localheiligen der Kirche in guten, aber schon etwas schadhaften Gemälden zeigen. Wenn die Flügel zugeschlagen sind, zeigen sich dem Beschauer folgende Figuren in der Ansicht von links nach rechts:

1) Maria.     2) Johannes Ev.     3) Cäcilia.     4) Katharina.

1) S. Maria, mit dem Christkinde auf dem Arme.

2) S. Johannes Ev., den Kelch mit einer Schlange segnend.

3) S. Cäcilia, gekrönte Jungfrau mit einem offenen Buche in der Linken und einem Lilienscepter in der Rechten.

4) S. Katharina, gekrönte Jungfrau, mit einem offenen Buche in der Rechten, Schwert in der Linken, Rad zu den Füßen.

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Der Dom war, außer der Jungfrau Maria, nach den Stiftungs=Urkunden dem Evangelisten Johannes und der H. Cäcilie geweihet. Die beiden letztern Heiligen führt das Dom=Capitel auch in seinem großen Siegel.

Die Rückseite der Mitteltafel,

welche von vorne nicht zur Anschauung kommen kann, enthält Inschriften aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, über die Restauration der Kirche.

Auf der Rückwand des Hochaltars zu Güstrow stand (nach Thomas Analecta Gustrov. p. 152) folgende Inschrift:

"Nach unsers Herrn und Seligmachers Geburt Anno 1565 hat die Durchl. Fürstin Fraw Elisabeth, gebohrne aus Königlichem Stamme Dännemarck, angefangen diese Thum=Kirche, welche schier gantz verfallen und zu einem wüsten Hause geworden, dem lieben Gotte und seinem heiligen Worte zu Ehren wiederum zu bessern, bauen und renoviren, Und ist die erste Christliche Predigt darin geschehen Anno 1568 Sonntags nach dem Neuen Jahr."

Die Predelle.

Nach Thiele (1726) S. 55 waren auf der Predelle "vorzeiten Bilder einiger Alt=Väter und Bischöfe, welche aber anjetzo bekleidet und anstatt deren die Historie vom Osterlamm nach Exod. 12, v. 11, und die Einsetzung des Heil. Abendmahls mit 1. Cor. 5, v. 7 wieder dahin gebracht worden."

Bei der Abnahme des Altars zur Restauration hat sich unter dem Brette mit den sehr schlechten jungen Darstellungen, welche der Erhaltung nicht werth sind, die alte Predelle wieder gefunden, welche sehr gut gemalt und erhalten ist. Auf grünem Grunde mit goldenen Sternen sind in sehr lebhaften Farben und vortrefflicher Anordnung gemalt die Brustbilder des dornengekrönten Christus (Ecce homo), hinter welchem zwei Engel einen rothen Mantel halten, und der 4 Kirchenväter der lateinischen Kirche, in folgender Ordnung in der Ansicht:

Christus,
S. Ambrosius,   S. Gregorius,   S. Hieronymus,   S. Augustinus  
mit mit mit mit
Bischofsstab. dreifachem  einfachem Bischofsstab.
Kreuzstab. Kreuzstab.
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Die Kirchenväter haben ihr Attribut im Arme und halten Spruchbänder mit folgenden Inschriften:

Inschriften

Das auf dem Spruchbande des H. Augustinus ganz abgestoßene Inschriften hat nach der ganz gleichen Predelle des in den neuesten Zeiten ebenfalls restaurirten Altars von Lübsee bei Güstrow mit Sicherheit ergänzt werden können.


Reliquiengruft und Bau.

Bei der Restauration des Altartisches ward unter der Deckplatte noch die ausgemauerte Reliquiengruft gefunden, in welcher eine große gedrechselte Holzbüchse stand. In derselben lagen mehrere kleine Bruchstücke von Menschengebeinen, namentlich 3 Bruchstücke von Schädeln (also die Reliquien), und ein gebräuntes Siegel von Wachs, welches keine Spur zeigt, daß es an einer Urkunde gehangen hat, da kein Siegelband vorhanden, auch keine Stelle zu finden ist, wo das Siegelband hätte befestigt sein können. Auch war keine Spur von einer Urkunde oder Moder vorhanden. Ein wenig leichter, brauner Staub wird von den seidenen Lappen stammen, in welche die Knochen gewickelt gewesen sein werden. Das Siegel allein soll also eine bestimmte Zeit anzeigen.

Das Siegel ist parabolisch und 2 3/4 Zoll hoch, und hat quer durch auf der Oberfläche einen breiten Riß, der nicht durchgeht; die obere Siegelplatte wird also in jüngerer Zeit restaurirt sein. Es stellt Christum am Kreuze mit Maria und Johannes zu den Seiten unter einem dreigiebeligen Baldachin dar. Unten knieet in einer kleinen Nische eine kleine, rechts gekehrte Bischofsgestalt mit der Bischofsmütze

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auf dem Haupte und den Bischofsstab vor sich haltend. Die Umschrift, welche sich glücklicher Weise, jedoch schwer, noch entziffern ließ, lautet:

Umschrift

(= Inschriftskreuz Sigillum fratris Canonis dei gracia episcopi Magaricensis).

Die Schrift ist eine ausgebildete Majuskel und gehört sicher der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts an, wozu denn auch der Styl des Siegels paßt. Der Bruder Cono oder Conrad, "magaricensischer Bischof", ist nun ohne Zweifel ein Weihbischof (episcopus in partibus infidelium) des Bischofs von Camin, da der Güstrowsche Dom zum Sprengel des Bischofs von Camin gehörte, und ein Mönch, da er sich "frater" nennt. Wo sein "magaricensisches" Bisthum lag, hat sich bis jetzt, selbst von kundigen Gelehrten, nicht erforschen lassen.

Lange Zeit war in den Archiven von diesem Weihbischofe keine Spur zu finden; sogar im Archive zu Stettin war er durchaus unbekannt. Endlich erforschte ich ihn im Archive zu Schwerin in den Urkunden des Klosters Dargun. Am 2. März ("sexto nonas mensis Marcii") 1335 war er nach einer alten Abschrift einer Urkunde als Weihbischof des Bischofs von Camin:

"frater Cono, dei et apostolice sedis gracia Magaricensis ecclesie episcopus, gerens uices reuerendi in Christo patris et domini domini Frederici episcopi Caminensis,"

in dem Kloster Dargun und beglaubigte hier die Abschrift von zwei Urkunden des Fürsten Heinrich von Meklenburg und des Raths der Stadt Gnoyen vom J. 1307 über die Verleihung des höchsten Gerichts zu Walkendorf und andern Dörfern an das Kloster Dargun. Unter den Zeugen war auch ein Mönch Gottfried aus dem Kloster Altenberge bei Cöln ("Gottfridus de Nunnenberch, monachus in Veteri Monte, ordinis Cisterciensis, Coloniensis diocesis"). Also wird auch wohl der Weihbischof Bruder Cono dem Cistercienser=Orden angehört haben.

Am 3. März (tercia die mensis Marcii) 1335 bezeugte zu Dargun der Bischof Cono

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frater Cono, dei et apostolice sedis gracia Magaricensis ecclesie episcopus, vicarius ac g[erens uices reuerendi in] Christo patris ac domini domini Frederici episcopi Caminensis,"

nach einer etwas schadhaften Original=Urkunde, daß er am 17. Februar den Kirchhof und den Kreuzgang ("ambitum"), am 24. Februar drei Altäre, am 25. Februar einen Altar, am 27. Februar einen Altar im Kloster Dargun geweihet habe, und verlieh diesen Altären einen Ablaß. An dieser Urkunde hängt dasselbe Siegel, welches in der Reliquiengruft des Güstrowschen Domes gefunden ist. Es ist klar ausgedrückt, jedoch an den Rändern etwas zerbrochen. Von der Umschrift ist noch zu lesen:

Umschrift

Dieses Siegel stimmt nun nicht zu dem Altarschrein selbst, welcher nach dem Styl und dem Wappen der Donatoren nicht älter als 1490 sein kann (vgl. oben S. 168), über welchen sich aber in dem Altartische keine Nachricht gefunden hat.

Es ist also wohl gewiß, daß das Siegel von der Weihung des Schiffes der Kirche und des frühern Flügelaltars stammt, da der Bau des Schiffes ohne Zweifel in das 14. Jahrhundert gehört und sicher vor 1388 vollendet war; vgl. Jahrb. VIII, B, S. 97 flgd. Man wird also bei der Weihung des noch stehenden Altars das Siegel von der alten Weihungs=Urkunde beschädigt vorgefunden, auf der Rückseite restaurirt und wieder in den Altar gelegt haben.

Die Schachtel mit den Reliquien und dem Siegel ist im J. 1868 wieder in den Altartisch gelegt worden.

Nach allen diesen Zeugnissen ist es denn wohl außer Zweifel, daß der Weihbischof Cono im J. 1335, als er in Dargun war, von hier nach Güstrow reiste, um daselbst nach Vollendung des Schiffes die damit fertige Kirche zu weihen. - Auch das Thurmgebäude wird zugleich mit oder bald nach demselben gebauet sein, da schon 1388 und 1391 zu beiden Seiten die Kapellen angebauet wurden (vgl. unten).

Der Bau ward wahrscheinlich im Anfange des 14. Jahrhunderts begonnen und langsam fortgeführt. Nach einer urkundlichen Nachricht war am 14. April 1293 der Bau der Kirche noch nicht vollendet, sollte aber betrieben

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werden: "ut ecclesia in suis adhuc edificiis incompleta cicius consummetur" (nach Meklenb. Urk.=Buch III, Nr. 2221). Auf die Fortführung des Baues bezieht sich denn auch wohl die alte Regeste einer verloren gegangenen Urkunde im Archive zu Schwerin vom J. 1306 (in vigilia b. Jacobi ap.), nach welcher in einem Vergleiche des Dom=Capitels mit den Bauern zu Dehmen wegen der Wiesen "das Dom=Capitel sich 6 Morgen Wiesen vorbehält zur Futterung der Pferde, weil an der Kirche gebauet werde." Schon am 1. Junii 1303 bestätigte der Bischof Heinrich von Camin ein Statut des Dom=Capitels zu Güstrow, nach welchem der Ertrag der Pfründen im ersten Jahre nach dem Gnadenjahre dem Bau der Kirche zufallen solle ("ecclesie structure et ipsius restaurationi"): Meklenb. Urk.=Buch V, Nr. 2867.

Diese Forschung erhält nun eine glänzende Bestätigung durch eine andere neue Entdeckung im Bau der Kirche. Das östliche Ende des Mittelschiffes, oder eigentlich das ganze Mittelschiff ohne das Thurmgewölbe, enthält zwei Gewölbe, die durch einen breiten Gurtbogen geschieden werden, welcher über den Arkadenbögen auf zwei abgeschrägten Consolen ruht. Bei der Abnahme der Kalktünche zeigte sich nun, daß jede dieser beiden Consolen mit einem Wappenthier bemalt war: die nördliche Console mit einem schreitenden Greifen, grün auf gelb, die südliche Console mit einem schreitenden Leoparden, gelb auf grün, beide vortrefflich componirt und gezeichnet; das letztere Wappenthier ist nach dem heraldischen Sprachgebrauche ein "Leopard" (nicht ein Löwe), da es das ganze Gesicht zeigt, also "en face" dargestellt ist. Beide Bilder sind bei der jüngsten Restauration gewissenhaft restaurirt. Ohne Zweifel enthalten diese Malereien heraldische Anspielungen in Beziehung auf den Bau: der Greif auf das wendische Fürstenhaus überhaupt (hier Werle), da der Stifter des Domes und der Stammhalter des ganzen fürstlichen Hauses noch einen Greifen im Siegel führte, der Leopard auf das Königreich Dänemark. Nun liegt es nahe, beim Anblick dieser Wappenbilder an den Fürsten Nicolaus II. von Werle († 1316) und dessen Gemahlin Rixa von Dänemark zu denken, welche vor dem 27. October 1308 starb. Und dies wird durch eine feierliche Urkunde bestätigt, welche von dem Bau dieser Gewölbe berichtet. Als der genannte hoch verdiente Fürst Nicolaus II. am 27. October 1308 zu Güstrow dem Dom=Capitel zu Güstrow das Eigenthum des

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Dorfes Schweez überließ, versicherte er demselben nicht allein die 30 Mark, welche "seine Gemahlin (Rixa) seliger Gedächtniß auf ihrem Sterbelager den Domherren zu Güstrow durch ihr Testament vermacht habe", ("renunciantes triginta marcis slauicalibus, quas uxor nostra memorie felicis in testamento sui agonis posita canonicis memoriter erogabat"), sondern "schenkte auch die beiden Gewölbe, welche er kraft eines feierlichen Gelübdes" (vielleicht für die Wiederherstellung seiner Gemahlin) "in der Domkirche zu Güstrow hatte bauen lassen", ("renunciantes duabus testudinibus, quas ex ui uoti sollempnis quondam construi nouimus in ecclesia supradicta"), indem er die Bedingung machte, daß für seine Vorfahren und für ihn und "seine Gemahlin Rixa" jährlich am Sonntage vor Mariä Himmelfahrt Gedächtnißfeiern gehalten werden sollten (vgl. Meklenb. Urk.=Buch, Bd. V, Nr. 3248, S. 414). Es scheint außer Zweifel zu sein, daß die beiden Wappenthiere Denkmäler auf den Bau der beiden hier bezeichneten Gewölbe sind. Es konnten auch wohl kaum andere Gewölbe gemeint sein, da die übrigen nach dem Baustil alle damals fertig waren.

Dies stimmt wieder genau damit zusammen, daß nach den oben mitgetheilten urkundlichen Nachrichten im J. 1306 an der Kirche gebauet ward.

Die beiden Gewölbe des Mittelschiffes waren also vor dem 27.October 1308 fertig.


Hauptpforte.

Die Hauptpforte des am Ende der Stadt gelegenen Domes ist wohl immer die einzige nördliche Pforte stadtwärts, in der Giebelwand des nördlichen Kreuzschiffes gewesen. Diese Giebelwand ist, mit Ausnahme der jetzt wieder hergestellten Fenster im Uebergangsstyl, noch ganz im romanischen Baustyl aufgeführt und das älteste Denkmal in der Stadt, aus der Zeit der Stiftung des Domes 1226; diese Pforte ist noch im Rundbogen construirt, während die gegenüber liegende Pforte im Uebergangsstyl schon spitzbogig ist, und die Friese bestehen aus Halbkreisbogen.

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Die große Thür dieser Pforte hatte einen schönen, alten Eisenbeschlag (vgl. Jahrb. XXVII, S. 236), welchem jedoch, da die Thür eine andere Einrichtung erhalten sollte, abgenommen und ins Antiquarium versetzt ist.

Das messingene Schild des Thürringes oder Klopfers an dieser Hauptpforte ist ebenfalls sehr alt und merkwürdig.

Es stellt einen Christuskopf in sehr alten Formen dar, umgeben von einer Weinrebe, mit Blättern und Trauben, alles vorzüglich modellirt und gegossen. Der Ring, dessen rein heidnische Formung ich schon früher (Jahrb. XXVII, S. 236) erwähnt habe, ist unter dem Bart des Christuskopfes angebracht.

Da das Domstift zu Güstrow von dem Bistbum Hildesheim gestiftet ward (vgl. Jahrb. XX, S. 238), in Meklenburg um das J. 1226 aber wohl schon schwerlich eine Werkstätte für dergleichen Kunstwerke war, so wird es leicht möglich sein, daß dieses Thürschild aus dem durch Erzgießereien berühmten Hildesheim gekommen ist.

Dieser Thürring ist bei der letzten Restauration an der Sakristeithür auf der Südseite der Kirche angebracht, wohin er eigentlich nicht gehört.


Wand- und Gewölbe-Malereien.

Die Kirche stand früher in ihren Haupttheilen im Allgemeinen im Rohbau. Wandmalereien haben sich im Chor, Schiff und Kreuzschiff nicht gefunden. Geputzt waren nur die Gewölbe und in den ältern Theilen auch die Fensterbogen und Gurtbogen.

Die Austünchung der Kirche mit Weißkalk wird in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts geschehen sein. Die Wand hinter der Orgel, welche 1590 vollendet ward, war noch nicht getüncht. Dagegen war die Wand hinter dem sehr großen Epitaphium auf den Amtmann und Rentmeister David Schütte an der Südwand des Schiffes, welches 1669 gesetzt ward, schon überkalkt. Die erste Ausweißung der Kirche wird also unter dem Herzoge Johann Albrecht II. während dessen erster Ehe (1611-1616), in welcher auch

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eine große, weiß getünchte Empore neben dem Altare gebauet ward, vorgenommen sein.

Der Altarraum,

der jüngste, junggothische Theil der Kirche, hatte keine Malereien.

Der Mittelbau,

nämlich das ganze Kreuzschiff und ein Gewölbe nach Osten hin, also der älteste romanisirende Theil der Kirche, aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts, zeigte einigen wenigen Schmuck in Farben.

Die Gewölberippen des östlichen Gewölbes trugen einigen Farbenschmuck. Die Rippen waren sehr glänzend roth und abwechselnd mit grauen oder weißen Dreiecken oder halben Scheiben bemalt.

An den Wänden und Pforten hatte man schon beim Bau der Zieggelfarbe nachgeholfen, da gelbliche oder fleckige Ziegel roth übermalt Waren, freilich in einer sehr dünnen, nicht meßbaren Farbenlage.

Die Pilaster unter den Gurtbogen hören in einiger Höhe über den ehemaligen Kirchenstühlen auf und enden auf abgeschrägten Consolen mit gutem Profil, welche ursprünglich geputzt und hellgrau, wie Sandstein, übermalt waren.

Das Hauptschiff

im Westen, altgothischen Styls, welches 1335 geweihet ward, hatte in den Gewölben, welche im Winter 1866/67 von der Kalktünche befreiet wurden, ursprüngliche Malereien.

Die beiden im Jahre 1308 fertig gewordenen Gewölbe des Mittelschiffe waren mit schön gezeichneten, großen Ornamenten auf Kalkgrund bemalt, und zwar so, daß

1) vom Schlußstein aus in jeder Gewölbekappe ein Ornament nach dem Schildbogen und

2) diesem entgegen ein Ornament von dem Schildbogen nach dem Schlußstein hin ging,
ohne daß sich beide entgegenkommende Ornamente berührten.

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Die Ornamente waren vorherrschend Lilien und Weinranken, auch Epheu= und anderes Blattwerk, abwechselnd in gelb (die Lilien) und grün (das Weinlaub). Die Blätter waren in hellen Farben gemalt und mit starken, schwarzen Conturen umzogen.

Der breite Gurtbogen zwischen den beiden Gewölben war nur weiß geputzt und nicht bemalt. Da aber die Pilaster oder die Lissenen unter dem Gurtbogen in der Höhe der Bogen der Seitenschiffe zu Consolen abgeschrägt waren, so waren diese Consolen mit Wappenthieren bemalt:

an der Nordseite mit einem schreitenden Greifen, grün auf gelb,

an der Südseite mit einem schreitenden Leoparden, gelb auf grün,

beide vortrefflich componirt und gezeichnet.

Diese Wappenthiere deuten ohne Zweifel auf den Fürsten Nicolaus II. von Werle und dessen Gemahlin Rixa von Dänemark, unter denen vor dem 27. Octbr. 1308 zwei Gewölbe in der Kirche erbauet waren (vgl. oben über die Reliquiengruft und den Bau).

Dies scheint auf überraschende Weise dadurch bestätigt zu werden, daß der Caminer Weihbischof Cono im J. 1335 ohne Zweifel in der Kirche etwas, wahrscheinlich die ganze, eben fertig gewordene Kirche, geweihet hat, wie oben ausgeführt ist.

Die Gewölbemalereien sind der Uebereinstimmung wegen bei der Restauration etwas verändert. Die Wappenthiere auf den Consolen sind erhalten.


Die Kapellen an den Seitenschiffen.

Das Hauptschiff hat zwei niedrige Seitenschiffe; an jedem Seitenschiffe ist wieder eine Kapellenreihe, je von drei Kapellen oder drei Gewölben, angebauet, so daß der Grundplan des Schiffes jetzt fünfschiffig ist.

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Die nördliche Kapellenreihe

wird, wenigstens in den beiden östlichen Kapellen, zugleich mit dem nördlichen Seitenschiffe gebauet sein, da die Gewölbe beider in der Mitte auf denselben Granitpfeilern ruhen und von einer ursprünglichen Außenwand des Seitenschiffes keine Spur vorhanden ist 1 ). Dies scheint auch zu der Baugeschichte zu stimmen. Da das Mittelschiff nach den oben mitgetheilten Forschungen im J. 1335 geweihet worden ist, so wird das nördliche Seitenschiff mit den Kapellen nicht lange darauf gebauet sein.

Die östliche dieser Kapellen war ursprünglich 2 (Gewölbe lang gewesen, jedoch in neuern Zeiten durch eine dünne Querwand in zwei Räume geschieden; diese Querwand, so wie die nächst folgende, ist jedoch bei der Restauration im J. 1867 weggenommen. - Die Gewölle dieser Kapelle haben 2 schön modellirte Schlußsteine aus gebranntem Thon, östlich mit Lilie, westlich mit Epheu.

Sicher war das nördliche Seitenschiff im J. 1388 fertig. Denn im J. 1388 2 ) ward die Bestimmung getroffen, daß die letzte Kapelle in dieser Reihe, "am Thurm an der Nordseite" (die "Bülowen Kapelle"), gebauet werden solle. Clandrian in seiner Registratur der (verloren gegangenen) Domurkunden sagt nämlich:

"Ghemekini von Bülow, Canonici zu Güstrow, Testament, darin er verordnet: Im Ersten, daß sein Bruder Johannes (1404 Dompropst zu Güstrow) eine Vikarei in der Thumkirche zu Güstrow stiften solle; In dem andern, daß er auf den Fall, da sein Bruder Johannes, der bereits eine Vikarei gestiftet habe, eher sterben würde, er für sich zu einer andern Vikarei 16 Mark jährlicher Hebung verordnet haben wolle. Item giebt er zur Erbauung einer Kapelle an dem Thurm der Thumbkirche an der Norderseite, was die Kirche von seinen und seines Bruders Präbenden einnehmen könne zu Sukow und Demen. Item auf den Fall, da sein Bruder eher sterben würde, giebt er den halben Ziegelhof mit der Scheune. 1388, Sept. 28."


1) Die nördliche Kapellenreihe hat auch über jedem Gewölbe ein besonderes Querdach mit Giebel, abweichend von der südlichen Reihe.
2) In Jahrbüchern VIII, B, S. 100, Z. 3 von oben ist 1338 ein Druckfehler für 1388, wie sich aus Z. 1 ergiebt.
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Die Katzowen Vikarei mit einem "neuen Altar" an der Norderseite in die Ehre Simoms et Judae, 1397, Sept. 10", war wahrscheinlich an einem Pfeiler des nördlichen Seitenschiffes gestiftet, berührt also die Kapellenreihe nicht, beweiset aber, daß das ganze nördliche Seitenschiff damals schon fertig sein mußte.

Die östliche dieser Kapellen, welche zuerst fertig geworden ist, war mit guten Malereien auf weißem Kalkgrund geschmückt, welche jedoch nicht erhalten werden konnten.

Bemalt war die ganze Ost= oder Altarwand, welche durchweg mit kleinen Medaillons sehr gut geschmückt war. Ungefähr in Altarhöhe war in der Mitte ein größeres Gesicht zu erkennen, welches zu liegen schien. Ueber der Mitte dieser Figur, wenn man sie ich ausgestreckt denkt, und in der Mitte der Wand, standen senkrecht kleine Medaillons 1 ), von denen das dritte nach oben Christum am Kreuze mit Maria und Johannes darstellte. Die Darstellung in der Mitte kann also die herkömmliche Darstellung der Wurzel Jesse dargestellt haben.

An jeder Seite der liegenden Figur war ein größeres Medaillon, jedes mit einem männlichen Brustbilde mit einer Kappe und mit einem Spruchbande, wahrscheinlich Propheten.

Darüber waren kleine Medaillons, in denen jedoch nichts zu erkennen war, außer einem Engel mit Flügeln in einem Medaillon.

Alle in der Höhe folgenden Medaillons waren von mittlerer und gleicher Größe.

In der zweiten Reihe war in der Mitte ein Medaillon mit unkenntlichem Darstellung, zur "Wurzel Jesse" gehörend. An jeder Seite waren 3 Medaillons, immer Mann und Frau (nämlich 1 Mann und 2 Frauen - und 2 Männer und 1 Frau), mit Kronen, ohne Heiligenscheine, ohne Spruchbänder, wahrscheinlich Donatoren, Fürsten von Werle.

Dann folgte ein breiter grauer Strich quer durch.

In der dritten Reihe war in der Mitte das oben erwähnte Crucifix und zu jeder Seite 3 Medaillons mit männlichen Brustbildern mit Kappen.


1) Auch die Kapellen am nördlichen Seiten= und Kreuzschiffe des Domes zu Schwerin ist mit kleinen Medaillons bemalt gewesen, wahrscheinlich auch in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts.
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In der vierten Reihe waren an jeder Seite 2 1/2 Medaillons und

in der fünften Reihe 4 Medaillons, alle unkenntlich.

Die westliche Kapelle der nördlichen Kapellenreihe, welche 1388 gebauet werden sollte, hatte Verzierungen am Gurtbogen zwischen Mittelhaupt schiff und Seitenschiff. Der Kalkputz des Bogens geht bis an eine Kante, welche mit Zickzack schwarz und weiß bemalt war.

Die südliche Kapellenreihe.

Aehnlich wie die östliche Kapelle im nördlichen Seitenschiffe war die östliche Kapelle im südlichen Seitenschiffe ausgestattet. Die Kapelle ist wohl die älteste in dieser Kapellenreihe und sicher in der zweiten Hälfte des 14. Jahrh. angebauet; denn die westlichste Kapelle an dieser Seite ward im J. 1394 gestiftet (vgl. Jahrb. VIII, B, S. 100). Diese Kapelle ist ein Gewölbe groß und hat starke Ringmauern, von denen auch die westliche eine im Spitzbogen gewölbte Türöffnung hat. Nach Abnahme der Kalktünche im J. 1868 zeigte es sich, daß die ganze Kapelle auf weißer Kalktünche und an der Ostwand auf weißem Kalkputz bemalt war, welche jedoch theils schon abgefallen, theils nicht mehr zu erhalten war.

Die starken Gewölberippen waren in der Länge eines Ziegels abwechselnd roth und grün bemalt. Die Gewölbekappen waren im Grunde weiß; alle Ränder der Kappen, sowohl an den Rippen, als an den Wänden, waren von einer rothen Linie eingefaßt, auf denen Blumenknospen auf kleinen Stengeln in Roth standen. Vom Schlußsteine des Gewölbes gingen in die Gewölbekappen 4 feine rothe Lilien hinein, denen von den Wandseiten her 4 gleiche Lilien entgegenstrebten.

Die weißen Wände, mit Ausnahme der Ostwand, waren ganz mit feinen rothen Blumenranken bedeckt.

Die geputzte Ostwand war aber ganz mit Figuren bemalt, welche einen guten Styl zeigten. Es ließen sich 3 Reihen von Malereien erkennen.

Oben in der Mitte thront Christus (Gott Sohn) als Weltenrichter, auf dem Regenbogen sitzend, in der para=

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bolischen Glorie (Mandorla, Osterei), mit einem Schwerte an jeder Seite des Mundes, mit erhobenen Händen. An den 4 Ecken standen in Halbkreisen die Symbole der 4 Evangelisten. An jeder Seite Christi knieete anbetend eine größere Figur: zur Linken eine männliche Figur in gelbem Gewande mit Gesicht, Bart und Haar, wie gewöhnlich Christus dargestellt wird; die Figur zur Rechten war fast ganz abgefallen, es war nur noch der untere Theil eines weiten blauen Gewandes vorhanden. Ueber diesen anbetenden Figuren schwebte an jeder Seite ein kleiner Engel, die Posaune des Weltgerichts blasend.

Die beiden andern Streifen der Wand waren in der Mitte, unter der Figur Christi, ohne Malerei, ohne Zweifel für die Stelle eines Altars und einer darauf stehenden Heiligenfigur.

Der mittlere Streifen war ganz mit Figuren bemalt. Der ganze Streifen war wie ein grünes Feld bemalt, in welchem braunrothe Gräber geöffnet waren, aus denen anbetend ganz kleine Figuren, nur in der obern Hälfte sichtbar, hervorstiegen. Die ganze Darstellung versinnbildlicht also das jüngste Gericht und die Auferstehung des Fleisches. Zur Rechten waren als Auferstehende die Geistlichen, zur Linken die Weltlichen dargestellt.

Auf der Seite zur Rechten waren folgende Figuren in der Ansicht zu erkennen:

Papst.
S. Gertrud (?). Cardinal.   
S. Maria Magd.    Bischof.  Abt.
Priester

Die unterste Figurenreihe war nicht mehr zu erkennen. Die hintersten Figuren waren weibliche Heilige: oben S. Gertrud, eine Hospitalkirche auf dem Nacken tragend, unten S. Maria Magdalena mit der Salbenbüchse in den Händen.

Auf der Seite zur Linken war nichts mehr zu erkennen, als die Figur des Kaisers, mit der Kaiserkrone, dem Papst gegenüber.

Die unterste Reihe der Gemälde reichte bis auf den Fußboden hinunter.

Zur Rechten, unter der Auferstehung der Geistlichen, waren die "Leiden Christi" dargestellt. In der Mitte,

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rechts von dem Kreuze, Maria mit dem Leichnam Christi im Schooße. Dahinter Joseph von Arimathia, nur mit Kopf und Brust sichtbar. Zu beiden Seiten waren die Marterwerkzeuge neben einander aufgestellt, anfangend mit dem Judaskuß: Nägel, Essigkanne, Keule, Lanze, Schwert, Kreuz, Leiter, Harnischfaust, Rohr, Schwamm, Strick, Messer, Nägel.

Auf der linken Seite dieses Streifens war Alles abgefallen.

Diese östliche Kapelle ist wohl die Heil. Kreuz=Kapelle, welche als "Capella corporis" oder "crucis Christi" in Clandrians Regesten oft vorkommt.

Die mittlere Kapelle ist wahrscheinlich die "Käselow=Kapelle", welche im J. 1391 1 ) gestiftet ward. Clandrian berichtet in seiner Registratur der Güstrowschen Domkirche:

"Nicolai Koselowen, Burgemeisters zu Güstrow, Testament, darin er untern andern zu Erbauung einer Kapelle (in die Ehre S. Petri et Pauli, item Margaretae et Ottonis) einen silbernen Gürtel giebt, welchen Hermann Zelegen gehört hat, und zur Vikarei derselben Kapelle 300 Mark lüb. Item giebt seinen silbernen Gürtel zu einem Kelch und Missal." "1391, Octbr. 17,"

und:

"Ein Testament Alheidis, Nicolai Koselowen, Burgemeisters zu Güstrow, nachgelassener Wittwe, darin sie zur Stiftung einer neuen Vikarei in ihres seligen Mannes Kapelle in der Thumkirche zu Güstrow verordnet 230 Mark. Item giebt den beiden Vikarien ein Haus. 1393, Jan. 8"

Auch die westliche Kapelle in der südlichen Kapellenreihe, "zunächst dem Thurm gegen Mittag", welche nach der oben mitgetheilten Urkundenangabe im J. 1394 fertig geworden war, ist gemalt gewesen; sie ist jedoch zu sehr verbauet, als daß sich noch ein klarer Zusammenhang erkennen ließe. An jeder Seite des Fenster steht auf weißem Kalk=


1) Im J. 1397 ward der Domherr Berthold im nördlichen Seitenschiffe vor dieser Kapelle begraben; vgl. Jahrb. VIII, S. 101. Dieser Leichenstein ist 1868 in das Thurmgebäude versetzt.
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grunde eine Heiligenfigur in rothen Blumenranken. Jetzt führt innerhalb der Kapelle eine steinerne Treppe hinauf zu dem obem Stockwerk (Archiv). Dies ist die "Güstrow=Kapelle", nach Clandrian:

"Des Capitels zu Güstrow Brief, darin sie approbiren ihres Decani Nicolai von Güstrow Fundation einer Vikarei in der Thumbkirche in seiner Kapelle nächst dem Thurm gegen Mittag. 1391, in die b. Galli et Lulli conf."

Sie hieß auch die Kapelle zu S. Petri und Pauli. Die beiden Heiligenfiguren mögen diese beiden Apostel dargestellt haben.


Die Levitenstühle.

Die Domkirche zu Güstrow hatte noch 2 alte aus Eichenholz geschnitzte Levitenstühle, d. h. Chorstühle mit drei Sitzen für den Meßpriester und seine Diakonen während des Gloria in excelsis, welche zu beiden Seiten des Hochaltars standen; die eigentliche Stelle dieses Levitenstuhls ist die Südseite (Epistelseite) neben dem Hochaltare. Beide waren im gothischen Style ausgeführt und der eine mag älter gewesen sein als der andere. (Auch im Dome zu Ratzeburg stehen noch 2 Levitenstühle, der eine aus dem 13., der andere aus dem 14. Jahrhundert.)

1 Levitenstuhl.

Der Levitenstuhl, welcher früher an der Nordseite des Altars stand, hat 3 Sitze gehabt, hat daher noch 3 Baldachine und ist im rein gothischen Style, ohne Zweifel im 14. Jahrhundert, aus Eichenholz erbauet. Dieser Stuhl ist wahrscheinlich der ältere. Die ungewöhnlich hohen und breiten Seitenlehnen aus einem Stück, von denen leider die Krönungen abgesägt waren, sind auf den Außenseiten sehr reich und in der trefflichsten Arbeit mit figürlichen Darstellungen in Schnitzwerk geschmückt, an jeder Seite 5 Scenen über einander, unter flachen Baldachinen. Die Westliche Seite enthält Mariä Freuden, die östliche Christi

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Leiden und Auferstehung. Die rechte Seitenlehne hat folgende Darstellungen, von unten nach oben, in der Ansicht:

1) Die Verkündigung Mariä (Ave Maria). Ein Engel knieet vor Maria; beide haben Spruchbänder in den Händen.

2) Die Heimsuchung Mariä. Maria und Elisabeth geben sich die Hand.

3) Die Geburt Christi.

Maria im Bette, mit dem Christkinde, vor der Krippe sitzt Joseph schlafend.

4) Die Anbetung der Heil. Drei Könige. Fortsetzung von 5. Die übrigen zwei Könige mit Deckelbechern.

5) Die Anbetung der Heil. Drei Könige. Maria sitzend, mit dem Christkinde auf dem Arme. Ein König reicht ihm knieend einen Deckelbecher; hinter dem Könige steht ein Knabe, der die abgenommene Krone hält.

Die linke Seitenlehne hat folgende Darstellungen, von unten nach oben, in der Ansicht:

1) Das Abendmahl Christi.

2) Die Geißelung Christi.

3) Die Kreuztragung Christi.

4) Die Kreuzigung Christi, Christus am Kreuze, mit Maria und Johannes zu den Seiten.

5) Die Auferstehung Christi.

Dieser Stuhl, einer der schönsten und reichsten im ganzen Lande, ist bei der jüngsten Kirchenrestauration sorgfältig und geschickt wieder hergestellt und an der Südseite des Altars wieder aufgerichtet.

2 Levitenstuhl.

Der zweite Levitenstuhl, welcher in die Südwand neben dem Altare eingemauert war, hatte ebenfalls 3 Sitze gehabt und 3 Baldachine. Auch dieser Stuhl war gothisch construirt, hatte aber keinen bildlichen Schmuck. Er scheint jünger gewesen zu sein, als der erste. Da der Stuhl zerbrochen war und beim Herausnehmen aus der Wand noch mehr zerfiel, so konnte er nicht restaurirt werden. Jedoch sind die gut geschnitzten Baldachine erhalten.

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Fürstenchöre.

Der Dom zu Güstrow war an der Südwand über die Hälfte mit sehr großen Emporen für die Güstrowschen Herzöge und ihren Hof besetzt, welche theils auf Bogen, theils auf hohen Säulen ruhten. Da sie den Bau außerordentlich beeinträchtigten, keinen rechten Zweck mehr hatten und grade keinen Kunstwerth besaßen, so sind sie bei der Restauration im J. 1866 abgebrochen.

1) Die älteste Empore war die des Herzogs Ulrich und seiner ersten Gemahlin Elisabeth von Dänemark, der Restauratoren der Kirche nach langer Entweihung in der Mitte des 16. Jahrhunderts. Dieser Chor füllte den ganzen südlichen Kreuzarm der Kirche, der Kanzel gegenüber, und ruhte auf einem weiten Bogen, unter welchem für Gemeindesitze Platz geblieben war. Auf den verstärkten Pfeilern der Vorderwand waren die beiden sehr großen Wappen des Herzogs und der Herzogin, das meklenburgische und das dänische, angebracht, unter welchen biblische "Historien" in kleinem Maaßstabe standen. Eine Tafel unter jedem Wappen hatte wohl eine gemalte Inschrift enthalten, von welcher jedoch schon im J. 1726 keine Spur mehr vorhanden war. Diese Denkmäler waren in Stuck modellirt, welcher jedoch so weich war, daß sich nichts davon herausnehmen und erhalten ließ. Ohne Zweifel ist diese Empore bei der ersten Restauration des Doms, nach geschichtlichen Nachrichten im J. 1565 1 ), erbauet.

2) Darauf ward die Empore des Herzogs Johann Albrecht II. und seiner ersten Gemahlin Margarethe Elisabeth, geb. Herzogin von Meklenburg (1608 † 1616), erbauet. Diese Empore stand an dem östlichen Ende der Südwand, dem Epitaphium auf den Fürsten Borwin gegenüber und neben der Begräbnißgruft für den Herzog Johann Albrecht II. und dessen Familie. Die steinerne Treppe zu dieser Empore war dicht neben dem Altare. Ueber der Treppenthür standen zwei meklenburgische Wappen aus Sandstein mit folgenden Unterschriften:


1) Diese gut gebauete Empore im Güstrower Dom war also ohne Zweifel von dem Baumeister Franz Pahr erbauet (vgl. Jahrb. V, S. 23). In denselben Tagen, als diese Empore abgebrochen ward, ward auch bei der Restauration des Doms zu Schwerin die von Christoph Pahr im J. 1573 hier erbauete Empore des Herzogs Johann Albrecht I. abgebrochen (vgl. Jahrb. V, S. 25).
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VON GOTTES GNADEN HANS
ALBRECHT HERZOGK ZV MEC-
KELNBVRGK (folgt der volle Titel),

und

VON GOTTES GNADE MARGRETA
ELISABETH GEBORNE VND VOR-
MAELETE HERZOGIN ZV MECKEL-
BVRGK (folgt der volle Titel).

3) Den ganzen Raum zwischen den beiden Emporen der Herzoge Ulrich und Johann Albrecht II., der Kanzel näher als die Empore Johann Albrechts, den Epitaphien Herzogs Ulrich gegenüber, füllte eine Empore, welche auf hohen Säulen stand und mit (Glasfenstern geschlossen war. Diese Empore war, schon nach dem Style und nach Thile's Bericht, im J. 1670 von dem Herzoge Gustav Adolph (1654-1695) erbauet; ein Denkmal auf die Erbauung war nicht vorhanden. Hinter dieser Empore ist in einer angebauten Kapelle die Begräbnißgruft für den Herzog Gustav Adolph und dessen Familie, welche jedoch 1868 ein Gewölbe weiter gegen Westen versetzt ist.


Die Orgel

stand an der Südwand im Westende des Mittelschiffes, also an der Seite, nicht an der Westwand, welche ein großes Fenster im Thurmgebäude hat. Das Gehäuse, welches ganz in reichem Renaissancestil ausgefüllt war, war eine Stiftung des Herzogs Ulrich und seiner zweiten Gemahlin Anna von Pommern. Die Orgel hatte sowohl am Hauptwerk, als am Rückpositiv Flügel oder Klappen, um das Werk, wenn es nicht gebraucht ward, vor Staub zu schützen. Die innern Seiten der Flügel, wenn sie geöffnet waren, waren mit figürlichen Darstellungen bemalt. Namentlich waren die großen Flügel vor dem Hauptwerke in sehr schönen Darstellungen mit biblischen Festzügen mit Musik, deren ich mich aus meiner Jugend klar erinnere, in lebhafter Weise bemalt. Thiele beschreibt diese Gemälde folgendermaßen. "An den obersten Flügeln vor dem vollen "Werk ist auf einer Seite der König Saul, als überfalle ihn eine Ohnmacht, daneben untern andern David mit der Harfe. Auf dem andern Flügel der König Saul zu

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Pferde und David mit dem Haupte Goliaths in der Hand, wie auch die Weiber, welche dem König entgegen kamen. Für dem Rückpositiv sind an den Flügeln musicalische Historien und an der andern Seite einige Bilder, worunter Cecilia, Patronin der Musik, wie man ihr beileget, mit einem Instrument als Orgelpfeifen in der Hand. Alles künstlich und sauber mit Wasserfarbe gemacht." Alle Flügel sind bei der Restauration der Orgel im J. 1839 abgenommen; die großen sind zu Reparaturen im Domschulhause zersägt und vernagelt, die kleinen durch den verstorbenen Dom=Organisten Nöbe gerettet und 1866 nach dessen Tode hinter den Orgelbälgen wieder gefunden. Die Außenseiten der Klappen, wenn sie geschlossen waren, waren im Style des ganzen Gehäuses in rothbraunen Farben mit architektonischen Ornamenten bemalt. Auf den äußern Seiten der Flügel des Rückpositivs standen die gut gemalten Wappen des Herzogs Ulrich (Meklenburg) und der Herzogin Anna (Pommern) mit den Unterschriften:

1) V. G. G. VLRICH . HERTZOG . ZV . MEKLENBVRG u. s. w.

2) V . G . G . ANNA . GEBORNE . HERTZOGIN . ZV . STETTIN . POMMERN . 1590 u. s. w.

(folgen die vollen Titel). In den Füllungen der Chorbrüstungen waren die Wappen der Ahnen gemalt.

Das Orgelgehäuse, dasselbe welches bis 1868 stand, war also im J. 1590 vollendet.

Ungefähr 30 Jahre später muß die Orgel restaurirt worden sein. Denn vor den 3 Gehäusegiebeln des Rückpositivs waren 3 Tafeln angebracht, welche fürstliche Wappen mit Unterschriften enthielten. In der Mitte war das fünfschildige meklenburgische Wappen mit der Unterschrift: Von gottes gnaden Hans Albrecht u. s. w. Zur rechten Seite desselben war wieder das fünf schildige meklenburgische Wappen mit der Unterschrift, so viel sich sehen läßt: Von gottes gnaden Margaretha Elisabeth u. s. w. Zur linken Seite war das hessische Wappen mit der Unterschrift: Von gottes gnaden Elisabeth u. s. w. Diese Tafeln waren nur leicht vorgesetzt und bedeckten die ursprüngliche Architektur dahinter, so daß es klar ist, daß sie nur zum Andenken einer Restauration nachgesetzt waren. Diese Restauration war hiernach ohne Zweifel von dem Herzoge Johann Albrecht II. während des Lebens seiner ersten

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Gemahlin Margarethe Elisabeths Tochter des Herzogs Christoph von Meklenburg (1608, † 16 Novbr. 1616) angefangen und nach seiner zweiten Vermählung mit Elisabeth von Hessen (25. März 1618), also wahrscheinlich im J. 1618, vollendet. Der Herzog Johann Albrecht II. that während des Lebens seiner ersten Gemahlin manches für den Dom, bis er nach seiner zweiten Vermählung zum Calvinismus überging.

Eine jüngere Restauration war unter Herzog Friedrich Wilhelm nach dem Aussterben des güstrowschen Fürstenhauses 1712-1713 ausgeführt. Unten am Rückpositiv waren zwei Wappen mit Namen und Titeln aufgehängt: zur Rechten das siebenschildige meklenburgische Wappen mit dem Namen Friedrich Wilhelm etc. ., zur Linken das siebenschildige hessen=casselsche Wappen mit dem Namen Sophie Charlotte etc. . Darunter stand: Anno 1712.

Da das Orgelwerk nicht die erforderlichen Dienste mehr that, so ist sie im J. 1868 ganz abgebrochen und ist eine neue Orgel im Thurmgebäude, im Westen, gebauet. Alles bessere Schnitzwerk von der alten Orgel im Renaissance=Styl ist in das Antiquarium zu Schwerin versetzt.


Glasmalereien.

In dem viertheiligen Altarfenster waren die beiden auf Glas in bunten Farben gemalten großen Figuren der Jungfrau Maria und des Evangelisten Johannes noch ziemlich gut erhalten; das Crucifix, welches zwischen beiden gestanden haben soll, fehlte. Unter den Figuren standen die Wappen des Herzogs Gustav Adolph und dessen Gemahlin Magdalene Sibylle. Thile S. 64 berichtet über diese und etwaige ältere Malereien: "Nachdem Anno 1694 den 10. Augusti in der Nacht durch einen grausamen Hagel mit starkem Donner und Blitz aus dem Südwest alle süd= und westwärts befindlichen Fenster, gleichwie an dem fürstlichen Schloß und allen Häusern in der Stadt, also auch an den Kirchen zerschmettert worden, so wurden Anno 1695 alle in der Domkirche befindlichen Fenster rings umher gemacht und die ganze Kirche neu verglaset: dessen zum Gedächtniß in den Fenstern über dem Altar unter einem Crucifix

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an einer Seite Maria und an der andern Seite Johannis Bildniß, darunter aber des Herzogs Gustav Adolph und Deroselben Gemahlin Magdalenä Sibyllä Wappen und Namen anstatt des vorigen Herzogs Ulrich und Dero Gemahlin Wappen und Namen sauber und woll gemacht gesetzt worden." Diese Glasmalereien gehören wohl zu den letzten, welche im Lande in bunten Farben ziemlich gut ausgeführt sind, und haben deshalb geschichtlichen Werth. Sie sind jedoch bei der jüngsten Restauration herausgenommen, da die drei Altarfenster bei der letzten Restauration durch den Glasmaler Gillmeister zu Schwerin mit Ornament neu gemalt sind. Das Thurmfenster ist vom Decorationsmaler Greve zu Malchin, der auch den alten Altar restaurirt hat.


Glocken.

Im Dom zu Güstrow war nach G. Thile Beschreibung S. 152 noch eine alte Glocke, "die Marien=Glocke genannt, weil die Marien=Feste damit eingeläutet wurden, auch wohl Seiger=Glocke genannt, weil sie der Uhr zur Stunde dient." Die Inschrift war:

Inschrift

Sie bekam 7. Novbr. 1700 einen großen Riß und ward 22. Juni 1701 umgegossen.


Epitaphien.

Die Domkirche war früher voll gepfropft von vergitterten und befensterten Stühlen, von Emporen und Epitaphien, von denen sehr viele abschreckend schlecht waren. Die vergitterten Stühle aus schlechtem Tannenholz sind schon früher, die Emporen, von denen höchstens die des Herzogs Ulrich (vgl. oben S. 191) einigen architektonischen Werth hatte, bei der letzten Restauration gefallen. Von den Epitaphien sind bei der Restauration viele aus schlechtem, wurmstichigem

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Holze auf jetzt unbekannte Personen zerfallen und vergangen. Was sich jedoch noch retten und erhalten ließ und einigen historischen Werth hatte, ist gepflegt und theils unberührt geblieben, theils wieder angebracht. Die Privat=Epitaphien zeigen recht klar den Charakter der verschiedenen Zeiten. Die Epitaphien aus der Zeit des kunstsinnigen Herzogs Ulrich vor dem dreißigjährigen Kriege, der selbst die größten Epitaphien im Lande setzen ließ, sind kunstreich aus Stein (Marmor, Alabaster, Sandstein), die Epitaphien aus der Zeit des Herzogs Gustav Adolph, nach dem dreißigjährigen Kriege sind aus bemaltem Holz und Blech gearbeitet.

Die bemerkenswerthesten Epitaphien sind ungefähr folgende:

1) Das älteste Epitaphium und wohl eines der ältesten und seltensten im Lande ist ein hölzernes Epitaphium auf Henningh Pogwisch, † 1481. Es saß früher hoch oben neben der alten Orgel auf dem südlichen Pilaster des westlichen Gurtbogens im Schiffe. Oben ist ein großer versilberter (hölzerner) Helm (in natürlicher Größe) befestigt, auf welchem als Helmzier ein kleiner wachsender Wolf saß, der jedoch zerbrochen und verloren gegangen ist. Unter dem Helme hängt frei eine viereckige blaue Tafel mit einem rechts gekehrten, aufgerichteten silbernen Wolf. Dies ist dasselbe Wappen, welches Milde: Siegel des Mittelalters, Heft VI, Taf. 10, Nr. 142, vgl. S. 92, auf Siegeln wahrscheinlich desselben Henning Pogwisch von 1469 und 1470 gefunden hat. Unter dem Wappen ist eine Leiste mit folgender Inschrift in 2 Zeilen:

Inschrift

(Vgl. G. Thiel a. a. O. S. 147.) Dieser Henning Pogwisch kommt nach den Schlesw.=Holstein. Jahrb. für Landeskunde, Bd. IX, 1867, S. 457 flgd., wo auch schon die vorstehende Nachricht aufgenommen ist, 1454-1481 vor. Er saß auf Farve in Holstein und hatte die Vogtei Tondern zu Pfande, beging aber so viele Gewaltthätigkeiten und Willkührlichkeiten, daß seine Güter eingezogen werden und er selbst das Land meiden mußte und mit seiner Familie nach Güstrow ging, wo er auch starb.

Im nördlichen Kreuzschiffe, - denn das südliche Kreuzschiff war durch die Empore des Herzogs Ulrich ganz verbaut, - sind 4 steinerne Epitaphien, welche unangerührt geblieben sind, nämlich auf folgende Personen:

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2) Joachim v. d. Lühe auf Püttelkow und Buschmühlen, Geheimer Rath und Hofmarschall des Herzogs Ulrich, † 1588 (Vgl. Thomas Analecta Gustrov. Catal. Biogr. p. 100 und G. Thiel der Dom=Kirche in Güstrow Fünfhundert=Jähriges Alter, 1726, S. 142), welcher auf dem Platze des frühern werleschen Fürstenhofes seit 1580 ein schönes Haus baute, das Wallenstein 1629 zur Justiz=Canzlei kaufte, welche dort auch blieb, bis das Haus Sitz des Hof= und Landgerichts und endlich in neuern Zeiten Schulhaus ward (vgl. Jahrb. XXIV, S. 50, und oben S. 95).

3) Joachim v. Stralendorf, Kammerherr, und, wie wir jetzt sagen würden, Hausmarschall des Herzogs Ulrich, geb. 1556, † 1601. Vgl. G. Thiel a. a. O. S. 142. Das Epitaphium ward, nach den Acten, von v. Stralendorf's Brüdern Ulrich und Vicke im Jahre 1611 gesetzt.

4) Hans Krüger, fürstlich=meklenburgischer Goldschmied des Herzogs Ulrich und Vorsteher der Domkirche, † 1583, wahrscheinlich ein tüchtiger Künstler, welcher für den gebildeten, kunstliebenden Hof wohl viel kleines Kunstwerk in Gold arbeitete; es sind noch Rechnungen von ihm vorhanden, so auch Nachrichten in den Hofrechnungen, z. B. 1577: "Hanß Kruegernn goldtschmidt auß beuehll m. g. H. "vff Rechnung geben 266 Fl. 16 ßl."

5) Dr. Friedrich Gottlieb Gluck, Herzogs Gustav Adolph von Güstrow Medicinalrath, † 1707 zu Parchim. Vgl. G. Thiel a. a. O. S. 143.

Im nördlichen Kreuzschiffe war hoch an der Wand

6) das Epitaphium auf den hochberühmten Canzler Johann Cothmann, † 1661, eine große, achteckige hölzerne Tafel mit großer Inschrift in Goldstickerei auf schwarzem Sammet (vgl. Thomas An. I. c. p. 80 und G. Thiel a. a. O. S. 143). Im J. 1671 erhielt der Kammerjunker Cothmann die fürstliche Erlaubniß, "seinem seligen Vater Herrn Cantzler Cothmann zu Ehren dieses Epitaphium oben an die Mauer Einganges zur rechten Hand (im nördlichen Kreuzschiffe), da sein Begräbniß ist, setzen zu lassen." Bei der Restauration der Kirche ward es so sehr schadhaft befunden, daß es ganz aus einander fiel, ward jedoch geschickt wieder zusammengesetzt und im südlichen Kreuzschiffe aufgehängt.

Ferner hingen hoch im nördlichen Seitenschiffe noch Schilder von Holz oder Blech, theilweise noch mit Resten

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von schwarzem Tuch und Flor, mehrere durchaus vergangen und unkenntlich. Zu erkennen waren noch zwei kleine achteckige Schilder von Holz mit Wappen und Inschriften:

7) Adam Christoph o. Voß, Oberstallmeister des Herzogs Gustav Adolph, † 1692 (Vgl. Thomas An. I. c. p. 129);

8) Paul Otto v. Vieregge, Hofmarschall des Herzogs Gustav Adolph, † 1671 (vgl. Thomas An. I. c. p. 128).

In den Kapellen am südlichen Seitenschiffe hingen:

9) in der östlichen Kapelle das aus Holz geschnitzte, sehr morsche Wappen des Joachim Friedrich Gans, Gheimen=Raths=Präsidenten des Herzogs Gustav Adolph, † 1700 (vgl. Thomas An. I. c. p. 90);

10) in der mittlern Kapelle das aus Holz geschnitzte Wappen des Andreas v. Pritzbur, Geheimen Rathes des Herzogs Gustav Adolph, † 1667 (vgl. Thomas An. I. c. p. 107).

11) In der westlichen Kapelle hing auf vergangener schwarzer Sammetdecke mit fast ganz erloschenem Wappen der Familie von Barner ein Harnisch mit Degen und Lanzenstangen, deren Fahnentücher vermodert waren.

12) An der Nordwand des Mittelschiffes hing ein kleines, achteckiges, hölzernes Epitaphium auf Jean Roderigo, einen portugiesischen Edelmann, herzoglichen Stallmeister, † 1651 (Vgl. Thomas An. I. c. p. 110).

13) Bekannt ist das Denkmal Günthers Passow, Geheimen Rathes des Herzogs Gustav Adolph, † 1654, welches auf einem Sarkophage die knieend betende, lebensgroße Bildsäule des Verstorbenen aus weißem Marmor enthält; für dieses Denkmal war die westlichste Kapelle im nördlichen Seitenschiffe bestimmt, deren Wände mit Sandstein bekleidet waren, auf denen Inschriften standen (vgl. Thomas An. I. c. p. 107). Da nun der Sandstein sehr verwittert war, so sind die östliche Scheidewand und Sandsteinbekleidung weggenommen, die Inschriften aber in die Wand eingemauert. (Vgl. G. Thiel a. a. O. S. 148 flgd.)

14) Unverdienten Ruhm hatte das Epitaphium auf David Schütze, herzoglich güstrowschen Rentmeister und Amtmann von Schwaan, † 1652, und seine Frau Sophie Arnheim. (Vgl. G. Thiel a. a. O. S. 143.) Das südliche Seitenschiff und die daran stoßende südliche Kapellenreihe waren unter ein Pultdach gebracht, welches sich hoch oben

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an die südliche Sargmauer des Mittelschiffes lehnte. Deshalb hatte man die Fenster in der südlichen Wand des Mittel schiffes zugemauert, wodurch das Mittelschiff sehr dunkel geworden war, um so mehr, da wegen der nördlichen Kapellenreihe ein großer Theil auch der nördlichen Mittelschifffenster vermauert ist; das große Thurmfenster im Westen gewann dagegen zu viel Uebergewicht. Um diesem Uebelstande abzuhelfen, hat das Gebäude der südlichen Kapellenreihe ein eigenes Dach erhalten, das Dach des südlichen Seitenschiffes ist dagegen abgenommen und durch eine flache Asphaltbedeckung ersetzt worden, und so ist die südliche Seitenwand des Schiffes außen frei geworden und haben die Fenster wieder geöffnet werden können. - An dieser Seitenwand oben vor den zugemauerten Fenstern machte sich ein ungethümliches hölzernes Epitaphium breit, das zwischen großen gewundenen Säulen und viel Schnörkelwerk ein großes Oelgemälde enthielt, welches die Kreuzabnahme Christi darstellte. Das Bild hatte früher großen Ruf und man hielt es in allem Ernste wohl für ein Werk "Rembrands", obgleich es so hoch hing, daß der Werth von unten gar nicht zu beurtheilen war. Bei der Abnahme ist nun das Epitaphium, welches aus ungewöhnlich wurmstichigem Holz bestand und völlig werthlos war, ganz zerfallen. Das Bild hat sich als kein Rembrand gezeigt, ist aber doch, da es nicht völlig schlecht war, durch einen Kunstfreund restaurirt und wieder aufgehängt. Auf einer Tafel unter dem Bilde stand folgende Inschrift:

PARENTIBUS OPTIMIS ET CHARISSIMIS
DNO. DAVID SCHUTZEN, SERENISS. DUC.
MECLENBURG.
PRAEEECTO SVANENSI ET QUAESTORI PRO-
VINCIALI
NATO AO. CHRISTI 1598, DENATO ANNO
CHRISTI 1650
EIUSDEMQUE CONIUGI SOPHIAE ARNHEIMBS
NATAE AO. CHR. 1611, DENATAE AO. CHR.
1665. HOC
PIETATIS AC MEMORIAE MONUMENTUM
PONI CURARUNT
LIBERI ET HAEREDES
DIE 27 JULII AO. CHR. 1669.

Es stand wirklich Schutzen (nicht Schulzen) und 1650 da. Der Mann ist in den Acten bekannt. David Schütte, auch Schütze, war Amtmann, auch Hauptmann genannt, von

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Schwaan und zugleich herzoglicher Landrentmeister zu Güstrow, und kommt 1635-1652 vor. Das auf dem Epitaphium angegebene Todesjahr 1650 kann nicht richtig sein. Er selbst kommt noch 1652 lebend vor und im Schwaaner Original=Amts=Protocollbuch steht z. B.: "1651, Jul. 22: "Für vns itzo furstlichen Amptleuten zu Schwaan, Dauit Schütze, Amptman", u. s. w. Auch Thomas (Anal. Gustrov. Catal. Biogr. p. 122) giebt 1651 als sein Todesjahr an. Ferner legte Andreas v. Pritzbuer, Hauptmann zu Schwaan, erst im J. 1653 ein neues Protocollbuch an. Am 19. März 1669 erhielten die Erben die herzogliche Erlaubnis ihrem "sel. Vater und Schwiegervater zum Gedächtniß" dieses Epitaphium aufrichten zu lassen.


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Die Kirche zu Lüssow,

von

Dr. G. C. F. Lisch


Die Kirche zu Lüssow ist ein bemerkenswerther Bau im Uebergangsstyl, wahrscheinlich aus dem ersten Viertheil des 13. Jahrh. stammend und älter als die Domkirche zu Güstrow 1 ). Sie besteht aus einem quadratischen Chor mit einer im Süden vorgebaueten, gleich alten Vorhalle, einem etwas breitern Schiffe von 2 Gewölben Länge und einem breiten Thurme, welcher unten nicht zur Kirche gezogen und vor ungefähr 50 Jahren (in meiner Gegenwart) durch einen Blitzstrahl entzündet und ausgebrannt ist. Die früher sehr hohe, pyramidale Thurmspitze war seitdem durch eine ungewöhnlich häßliche "kuppelartige" Bedachung ersetzt, welche jedoch im J. 1866 wieder zu einer Spitze umgestaltet und um 30 Fuß erhöhet ist. In den letztverflossenen Jahren ist die ganze Kirche restaurirt.

Der Bau ist in allen seinen Theilen ein sehr sorgfältig und stark ausgeführter Feldsteinbau; der Thurm ist etwas jünger, jedoch noch alt. Die Wände sind von sorgfältig gespaltenen, großen Feldsteinen, welche in ungefähr gleich hohen horizontalen Schichten liegen, aufgebaut. Chor und Schiff haben einen behauenen und gegliederten Granitsockel und alle Ecken und alle Thürpfeiler sind von behauenen Granitquadern aufgeführt. Die Fensteröffnungen, die Thürbogen, die schmucklosen Giebel und die jetzt verzierungslosen Dachgesimse sind Ziegelbau. Die Lücken zwischen den dunkelgrauen Feldsteinen an der Außenwand des Chors und


1) Bei der Gründung des Domes zu Güstrow am 3. Junii 1226 war der Priester Gottfried von Lüssow gegenwärtig ("Godefridus sacerdos de Lussowe").
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des Schiffes sind durch festen, glatten, hellgrauen Kalkputz ausgefüllt, in welchen zum Schmuck breite, große Quadern bildende Fugen durch Einreißen nachgebildet und roth bemalt sind. Die Fugen am Thurme sind weiß bemalt.

Der Chor hat in jeder Wand (also auch in der Altarwand) zwei ganz einfache Fenster im Uebergangsstyl (wie die ähnlich gebauete Kirche zu Hohen=Sprenz). Die beiden Altarfenster haben einen Bogen, welcher abwechselnd von rothen und gelblichen Ziegeln in einem sinnigen Muster gebauet ist. Dieser Schmuck ist im J. 1866 verschwunden, da 1865-66 der Chor, da er für die jetzigen Bedürfnisse zu klein war, nach Osten hin durch einen Ziegelbau verlängert und deshalb die Altarwand abgebrochen ist. Der östliche Theil des Schiffes hat an jeder Seite drei neben einander stehende Fenster, von denen das mittlere höher ist als die beiden andern, wie häufig im Uebergangsstyl; der westliche Theil des Schiffes hat nur zwei gleich hohe Fenster neben einander. Der Chor und die beiden Theile des Schiffes sind durch zwei sehr breite und starke Gurtbogen von einander getrennt, von denen der östliche den sogenannten Triumphbogen bildet.

Jede dieser drei Abtheilungen der Kirche ist mit einem starken Gewölbe bedeckt, welches acht Rippen von quadratischem Durchschnitt zeigt. Die Rippen des Chores lehnet sich im Scheitel an einen großen Kreis von gleicher Stärke in der Mitte des Gewölbes; die Rippen der Schiffgewölbe stoßen in einem einfachen Schlußsteine zusammen.

Nach dieser Art der Wölbung und nach aller übrigen Eigenthümlichkeit gehört diese Kirche zu der Gruppe der Kirchen, deren gleichmäßiger Bau schon früher (Jahrb. II, B, S. 87 flgd.) an mehrern Kirchen zwischen Sternberg und Schwaan nachgewiesen ist. Die Kirche zu Lüssow gleicht namentlich, sowohl im Bau, als auch in der Ausschmückung, ganz der Kirche zu Gägelow (vgl. Jahrb. XXIV, S. 336-344).

Alle innern Wände sind geputzt, wie häufig überhaupt die Kirchen im Uebergangsstyl, und zwar mit einem festen, glatten, grauen Kalk, wie stets die Feldsteinkirchen in diesem Styl: es ist überhaupt für die innere Decoration die Farbe des Baumaterials zur Richtschnur genommen. Die Fenster sind zur Einfassung mit einer Kante von rothen und gelben Ziegeln von größerm Format, als die wirklichen Ziegel in der Außenwand, bemalt.

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Es ergab sich aber bei der Restauration, bei der Abnahme der jungen Kalktünche, daß die ganze Kirche im Innern mit Malereien bedeckt war, welche nicht allein sehr alt, sondern auch zum Theil sehr schön und werthvoll waren: wieder ein Beweis, daß die meisten alten Kirchen einen reichen Schmuck an Malerei hatten.

Die Seitenwände unten bis an die Fenstereinfassungen waren mit Teppichen mit rothen Einfassungen bemalt, auf welchen auf dem grauen Putzgrunde Scenen aus der biblischen und Heiligen=Geschichte in kleinen Figuren dargestellt waren. Die Zeichnung war gut, die Färbung lebhaft und reich. Leider waren diese Gemälde nicht mehr klar zu erkennen und auch nicht mehr zu erhalten, da der Kalkputz auf den Granitwänden auch hier, wie gewöhnlich, sehr gelitten und oft eine Ausbesserung erfahren hatte. Aehnliche Malerei fand sich auch in der Kirche zu Gägelow.

Ueber diesen Teppichen war auf die Wandfläche an jeder Seite der Fenster eine Heiligenfigur, fast in Lebensgröße, gemalt. Diese Figuren waren sehr edel und einfach, jedoch durch das Alter und die Uebertünchung so sehr verblichen, daß sie kaum zu erkennen waren.

Die Unterseiten der quadratischen Rippen waren sämmtlich mit rothen Ornamenten auf weißem Grunde bemalt, jede mit einem andern Muster, also grade wie in der Kirche zu Gägelow, nur in umgekehrten Farben.

Von den Gewölben waren das östliche und mittlere mit Lilienranken, welche von den Rippen ausgingen, bemalt.

Der breite östliche Gurtbogen, der Triumphbogen, war mit einem großen Lilienornament in grau bemalt, von dem jedoch nur sehr wenig übrig geblieben war.

Den reichsten Schmuck trug das westliche Gewölbe.

Der breite Gurt bogen war an jeder Seite mit einer riesenmäßigen Figur bemalt; diese Figuren waren so groß wie die ganze Bogenwölbung bis in die Spitze und mögen wohl 10 Fuß hoch sein. Genau dieselbe Art der Bemalung fand sich in der Kirche zu Gägelow, nur daß hier die beiden Figuren andere sind (Jungfrau Maria und Erzengel Michael).

Auf der nördlichein Laibung des Bogens stand der Heil. Christoph der Eingangspforte für die Gemeinde

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gegenüber; dies stimmt zu dem alten Aberglauben, daß man an dem Tage nicht sterben werde, an welchem man den Heil. Christoph sehe; daher ward auch der Heil. Christoph an solchen Stellen und so angebracht, wo er den Gläubigen gleich in die Augen fallen mußte. Ueber der Figur steht in sehr großen Buchstaben des 13. Jahrhunderts c h RIS t OEORVS (ohne Sanctus). Der Heil. Christoph mit dem Stabe (Baum) in der Hand, auf den Schultern das Christkind durch das grünliche Wasser tragend, in welchem rothe und weiße Fische schwimmen. Ob eine unklare, kleine Gestalt auf dem Grunde des Wassers mit einem menschenähnlichen Gesicht ein Meerungeheuer oder der leuchtende Eremit sein sollte, war nicht zu erkennen.

Auf der südlichen Seite des Gurtbogens stand der Heil. Georg, über dem Haupte mit gleichen Schriftzügen mit der Inschrift: S heor S ius; es waren nur noch sicher die 3 Buchstaben S h - S zu erkennen. Der Heilige, im rothen Waffenrock oder Panzer, hatte auf dem Haupte einen ganz antik gestalteten Stülphelm, von der Seite dargestellt, mit heruntergeschlagenem Visir, von der Form, wie die Wappenhelme im 13. und auch noch zum großen Theile im 14. Jahrhundert dargestellt werden. Mit der linken Hand hielt er eine aufgerichtete Lanze; mit der rechten Hand holte er über den Kopf zum Schlagen mit einem Schwerte aus, dessen Klinge in gleicher Linie mit dem Rücken lag; das zweischneidige Schwert war kurz und breit, mit kurzem Griff und grader, einfacher Parierstange, wie die Schwerter des 12. und 13. Jahrhunderts gestaltet sind. Der Drache zu seinen Füßen war nicht mehr erkennbar. Vor ihm knieete eine kleine menschliche Figur, mit ausgestreckten Armen, wahrscheinlich die Jungfrau, welche dem Drachen geopfert werden sollte.

Den vorzüglichsten Schmuck trugen aber die 8 Gewölbekappen des westlichen Gewölbes. Diese stellten Gruppen von je 2 Heiligenfiguren oder Scenen aus der biblischen Geschichte dar, welche so gut gemalt waren und eine so schöne Wirkung machten, wie wohl sicher keine andere alte Malerei im Lande.

Sowohl nach dem Styl, als nach den Buchstaben der Inschriften, der Bekleidung der Figuren und den Waffen müssen alle diese Malereien sicher aus dem 13. Jahrhundert und wahrscheinlich aus der Zeit der Erbauung der Kirche, also aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts stammen.

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Leider ist dieser ganze bildliche Schmuck bei der letzten Restauration 1865 flgd. übertüncht, da die Bedeutung der Malereien nicht überall zu erkennen, das Geld zur Wiederherstellung nicht vorhanden und der Schmuck mit Heiligenbildern nicht mehr passend befunden war.

Der jetzt zurückgesetzte Altar der Kirche ist ein kleiner, unansehnlicher geschnitzter Flügelaltar mit doppelten Flügeln aus dem Anfange des 16. Jahrhunderts. Die geschnitzten Verzierungen sind schon ziemlich modern; die Baldachine fehlen sämmtlich. Auf der Mittel=Tafel ist Maria in der Sonne, auf dem Halbmonde, unter der Krone, im Wolkenkranze dargestellt; in den Wolken sind 4 musicirende, zu ihren Füßen zwei knieende Engel angebracht. Neben dem Marienbilde stehen 4 kleine Heiligenfiguren, unter diesen 3 gekrönte Jungfrauen, die drei Noth=Helferinnen:

S. Katharina. S. Margaretha.
S. Johannes d. T.            S. Barbara.

In den Flügeln stehen die 12 Apostel. Alle Figuren sind klein und mittelmäßig, die Hauptfigur sogar schlecht. Die Gemälde auf den Rückwänden sind zum Theil ganz vergangen. Dieser Altar ist bei der letzten Restauration verworfen.

In der Predelle ist in einer Nische die Maria sitzend mit dem Leichnam des Sohnes auf dem Schoße dargestellt. Dies ist die "Maria tor ladinge" oder die Darstellung der "medelidinge Mariae", deren Dienst sich in den Ostseeländern erst am Ende des 15. Jahrhunderts verbreitete (vgl. Jahrb. I, A, S. 82, Not. 2).

Vor dem Altar liegt ein großer Leichenstein aus Kalkstein. Unter einem gotischen Baldachin steht ein den Kelch segnender Priester, dessen Füße in den untern Inschriftrand hineinragen. An seiner rechten Schulter steht ein Schild mit dem Namen ihc (Jesus) unter einer Krone ihc unter einer Krone . In den vier Ecken stehen die Evangelisten=Symbole.

Die Umschrift lautet, ohne mit dem Worte Anno zu beginnen, folgendermaßen:

Umschrift
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Diese Inschrift bildet drei leoninische Hexameter:

Mille tricenteno sexto simul octuageno. (1386)
post natale dei, fuerant dum festa Mathaei. (Sept. 21),
Hie fit plebanus de Warnemunde Johannes (Lücke).

Diesen Stein hat sich also ein Priester Johannes von Warnemünde, welcher am 21. September 1386 Pfarrer zu Lüssow ward, bei seinen Lebzeiten legen lassen, um einst unter demselben begraben zu werden. Ob dies geschehen ist, läßt sich nicht ermitteln; jedenfalls ist es verabsäumt worden, seinen Tod in das Ende des Inschriftsrandes einzumeißeln.

Nördlich neben dem Altar liegt ein großer Leichenstein mit dem. halb erhabenen Bilde eines betenden Ritters und darüber an der nördlichen Wand unten zwischen den Chorfenstern ist eine kleine Sandstein=Tafel mit dem gut gearbeiteten und erhaltenen Wappen der v. Fineke eingemauert. Der unten etwas abgetretene Leichenstein und die Wappentafel haben dieselbe, nur in einzelnen Selben abweichende Inschrift:

ANNO . 1577 . DEN . 10. MARTY . IS . DER . EDELER . VND . ERENTVESTER . IASPER . FINEKE . THO . KAROW . IN . GOD . SALICH . ENTSLAEEEN .

Außerdem besitzt die Kirche noch mehrere Epitaphien der Familie v. Fineke auf Karow.

Der verstorbene Herr Pastor Kossel zu Tarnow hat eine Inschrift mitgetheilt, welche unter einem alten Bilde in der Kirche zu Lüssow stand.

"Ein Herr von Fienecke.

Anno 1686 ist Er als Rittmeister v. der Hochfürstl. Leib=Güardie bestellet, und Anno 1688 d. 1 Mai mit seiner Compägni und andren Mechlenpürge Troupe nach Ungern gegen den Erbfeind Marchieret, alwo Er in der belagerung der Festung Belgrad Krank worden." -


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Die Kirche von Hohen=Sprenz,

von

Dr. G. C. F. Lisch.


Die Kirche zu Hohen=Sprenz ist ein Gebäude im Uebergangs=Style, bestehend aus einem quadratischen Chor und einem quadratischen Schiffe, jedes ein Gewölbe lang, und einem Thurmgebäude, dessen unterer Raum zur Kirche gezogen ist.

Der quadratische Chor ist von Feldsteinen erbauet und hat eine Südpforte von behauenen Granitblöcken. Die Fenster=Einfassungen und der Ostgiebel sind von Ziegeln aufgeführt. Der Chor hat in jeder Seitenwand 2 Fenster im einfachen Uebergangs=Styl. Im Innern ist der Chor mit einem Gewölbe bedeckt, das 8 Rippen von quadratischem Durchschnitt hat, welche sich im Scheitel an einen großen Kreis von gleicher Construction lehnen. Der Chor gehört also zu der Gruppe der alten Kirchen zwischen Sternberg und Schwaan, deren übereinstimmender Bau schon in den Jahrb. II, B, S. 87 flgd. nachgewiesen ist; namentlich ist der Chor in mehreren Eigenthümlichkeiten ganz dem Chor der angrenzenden Kirche zu Lüssow gleich (vgl. oben S. 202)und hat ohne Zweifel denselben Baumeister: der Bau wird in das erste Viertheil des 13. Jahrb., vor der Zeit der Erbauung der Domkirche zu Güstrow, fallen.

Das Schiff ist ganz von Ziegeln aufgeführt, jedoch auch noch im Uebergangs=Styl. Es ist ein Gewölbe groß und hat an jeder Seite 3 Fenster im Uebergangs=Styl, von denen das mittlere höher ist, als die beiden Fenster zu den Seiten. Die 3 Fenster an der Nordseite sind ganz einfach. Die 3 Fenster an der Südseite, welche die Hauptseite der Kirche bildet, sind von einem Rundstabe eingefaßt. Unter diesen Südfenstern steht eine gut construirte und gearbeitete

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Hauptpforte. Im Innern ist das Schiff von einem Gewölbe bedeckt, welches schon sehr künstlich construirt ist; von jedem Winkel des Vierecks laufen 3 auseinandergehende Rippen in die Höhe, welche sich im Scheitel netzartig verschlingen und vereinen. Das Schiff ist jedenfalls etwas jünger, als der Chor, und wird in die Zeit bald nach der Erbauung des ältesten Mitteltheiles des Domes zu Güstrow (1226) fallen, da es mit diesem viel Aehnlichkeit hat.

Der Thurm ist ein großes, altes Gebäude, welches an jeder Seite eine große Fensternische hat, in welcher 2 Fenster im Uebergangs=Styl stehen. Oben sind an jeder Seite 2 Fenster=Oeffnungen als Luken. Unter dem Dache hat der Thurm ein treppenförmiges Gesims. Ohne Zweifel ist der Thurm alt.

Die Chorpforte hat noch guten, alten eisernen Thürbeschlag.

An Alterthümern besitzt die Kirche nur noch einige Leichensteine.

Der älteste Leichenstein enthält das Andenken an drei Personen. Auf dem großen Steine sind unter drei gothischen Baldachinen 3 Personen stehend dargestellt: in der Mitte eine betende Frau und zu jeder Seite ein den Kelch weihender Priester. Auf den 4 Ecken des Steines stehen die 4 Evangelisten=Symbole. Die Inschrift ist in mehrere Theile zerlegt. Auf dem äußern, großen Inschriftrande steht:

Inschrift

In einer zweiten Reihe unten rechts neben dem rechten Fuße des Priesters zur Rechten steht:

Inschrift

Unten links neben dieser Figur am linken Fuße, also auch zugleich neben dem rechten Fuße der Frau steht:

Inschrift

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In einer zweiten Reihe am Fußende steht:

Inschrift

Neben dem linken Fuße der Frau steht:

Inschrift

Das Ganze lautet also im Zusammenhange:

   Anno domini MCCCXCIII ipso die Bartholomaei (24 Aug.) obiit Ava, vxor Gerhardi Leuwentkoper, civi[s] in Güstrowe.
   Anno domini MCCC (Lücke) obiit dominus Gerhardus Leuwentkoper, rector hujus ecclesiae, filius Aven.
   Hic jacet dominus Nicolaus Rasoris (Scherer), quondam rector hujus ecclesiae.
   Orate pro eis.

Den Stein hat also Gerhard Leuwentkoper 1 ), Pfarrer zu Hohen=Sprenz, legen lassen, da sein Sterbetag nicht ausgefüllt und nachzutragen versäumt ist 2 ). Er ließ den Stein nach der Bestattung seiner hier begrabenen Mutter Ave, Ehefrau des güstrowschen Bürgers Gerhard Leuwentkoper, legen. Zugleich erhielt er auf dem Steine das Andenken eines frühern Sprenzer Pfarrers Nicolaus


1) Die Sprachform Leuwentkoper, d. h. Leinwandhändler, ist sicher. Die Form lowent oder leuwent für Leinwand ist altniederdeutsch nachzuweisen. Ein Rostocker Gewerk=Privilegienbuch enthält mit der Handschrift des 15. Jahrh. auch eine Zunftrolle des "ampts der lowentsnidere ", welche z. B. "lowent bi elen verkopen", dagegen "nye lynnen cledere bleket edder vngebleket verkopen" können. Dagegen heißt die Zunft der Weber: "lynnenwever". Dasselbe Buch enthält auch einen Eid der "lowentstriker (Leinsamenmesser ?) vnde hoppenmeter ofte mekeler", nach welchem diese "eneme iewelken rechtuerdigen strîkken vnde meten" wollen. J. L. Frisch kennt in seinem Wörterbuch die Form Lawend für Leinewand. In einer Klage der Rostocker vom J. 1342 ist von "pannis et telis, que in vulge loywent dicuntur", die Rede, und die Stralsunder führen auch "lewend" auf; vgl. Lübecker Urk.=B. II, S. 710 und 1014. Um das J. 1290 kaufte Meynekin Lewentsnidere zu Rostock eine Präbende im Heil.=Geist.
2) Schröder P.=M. I, S. 1609 nennt ihn Gerhard Levenkow und giebt nach dem "Leichensteine" irrthümlich das Jahr 1393 als sein Sterbejahr an; dies ist aber das Sterbejahr seiner Mutter.
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Scherer, welcher an derselben Stelle begraben lag und ihm vielleicht verwandt war, von welchem aber nichts weiter bekannt ist.

Ein anderer alter Leichenstein ist in zwei Stücke zerbrochen, von denen der eine rechts neben dem Altare, zum Theil unter einem Kirchenstuhle, der andere in der Kirche vor der Chorpforte liegt. Es ist nur noch etwas von der Inschrift, jedoch nichts Vollständiges, zu erkennen:

Inschrift

— Anno domini MCCCCCXVII, in profesto sanctae Ag[netis], [obiit] venerabilis vir dominus — — — — — [cujus anim]a in perpetua pace requiescat. Amen.

Ohne Zweifel stammt der Leichenstein von dem Grabe eines Pfarrers von Hohen=Sprenz, dessen Name leider nicht erhalten ist.

Ein großer Leichenstein enthält die Gestalt eines stehenden betenden Ritters in eingegrabenen Umrissen, mit der Umschrift:

ANNO 1588 │ DEN 24 IANVARY IS DER EDLE VND ERNVES │ CRISTOFER │ DRIBARCH SELICH IN GODT ENTSLAEEEN

An den Ecken stehen die Ahnen=Wappen:

v. Driberg. v. Bülow.
v. Schmeker. v. Linstow.

Ein großer Leichenstein zeigt einen Ritter und eine Frau stehend mit gefallenen Händen, mit der Umschrift:

ANNO 1672 DEN 12 IANVA │ ILSCHE RANTZOW SELICH IN GODT ENTSLAEEEN . │ ANNO 1652 12 AVGVSTI │ CHRISTOFFER DRIEBERCH SEHLICH IN GODT ENTSLAEEEN.

Unter dem Bilde des Ritters steht das Wappen der v. Fineke mit einem gestürzten, kopflosen Adler und der Umschrift VRSEL FVNEKEN, unter dem Bilde der Frau

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das Wappen der v. Blome mit einem laufenden Windspiel und der Umschrift ANNA BLVMEN.

Ein ziemlich großer Leichenstein enthält viele Schnörkeleien und Sprüche und die Wappen der v. Drieberg und v. Vieregge. Unter dem Wappen der v. Drieberg steht in 13 Zeilen:

HIER RUHET DER WEYL. WOLGEB. HERR HERR RUDOLPH FRIEDERICH VON DRIBERG HOCHF. MECHELNB. COMMISSARIUS ERBHERR AUF SPRENTZ, GOLDENITZ, SCWETS UND DOLGEN GEB. GOTTHUN AO. 1655 DEN 30 MARTH GEST. SPENTZ 1706 DEN 24 JAN.

Unter dem Wappen der von Vieregge steht in 12 Zeilen:

IN GOTT DIE AUCH WOLGEB. FRAW FRAW ADELHEIT CHRISTINA VIEREGGE AUS DEM HAUSE ROSSEWITZ GEBOHR. SUBZIEN AO. 1666 DEN 6 FEB. GESTORB. AO. 1747 DEN 26 APRIL ZU SCHWEETZ.

 

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Kunstwerke

in

der Klosterkirche zu Ribnitz,

von

Dr. G. C. F. Lisch.


Fortsetzung von Jahrb. XXVIII, S. 308 flgd.

In den Jahrb. a. a. O. sind einige alte Kunstwerke der Klosterkirche zu Ribnitz, Altardecken und Glasmalereien, zur Sprache gebracht. Die Kirche "sieht jetzt bleich und nüchtern aus"; auf dem obern Damenchor sind freilich noch einige Reste von alten Altären, Figuren, Bildern, Decken u. s. w. vorhanden. Aber nichts, oder doch sehr wenig, scheint zu dem ehemaligen alten

Hauptaltar

des Klosters zu gehören. Dies erklärt sich daraus, daß der calvinistische und bilderstürmerische Herzog Johann Albrecht II. von Güstrow überall, wo er konnte, und auch im Kloster Ribnitz, die alten Bilder abthat. In den Acten über die Streitigkeiten zwischen den Herzogen Adolph Friedrich I. und Johann Albrecht II. heißt es in den "Güstrowschen Contraventionen und Neuerungen von 1632 und 1633:"

"Haben I. F. G. Hertzogk Hanß Albrecht im Kloster Ribnitz Bilder vnd Altar abgethan vnd also den vertregen zuwieder in ceremonialibus enderungen vorgenommen."


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Ueber die genähete Decke in Ribnitz.

In den neuesten Zeiten ist noch eine gestickte oder genähete Altardecke gefunden, welche jedoch lange nicht so alt ist, wie die in Jahrb. XXVIII, S. 308 beschriebene und abgebildete Decke. Die neu aufgefundene Decke ist nur klein, wahrscheinlich für einen Nebenaltar, nur ungefähr 3 1/2 Ellen lang und 1 1/2 Ellen breit. Sie ist in feine, weißer dichte Leinewand vorherrschend roth, gelb und blau genähet und in den Figuren mit Gold erhöhet. Die bunten Fäden sind zum großen Theile ausgefallen und daher ist manches schwer zu erkennen. Die Decke besteht aus 3 zusammengenähten Stücken.

Das mittlere Stück, welches das ältere und sehr sauber genähet ist, enthält in einer gemusterten Kante in der Mitte die Verkündigung Mariä, wie es scheint, in einem viereckigen Inschriftrande, auf welchem oben noch die Worte zu erkennen sind:

A V e M A Rl A G u. s. w.

In den 4 Ecken stehen die 4 Evangelistensymbole mit den Inschriften:

Inschrift

An den 4 breiten Seiten stehen 4 Heiligenfiguren und oben und unten zwischen den Evangelisten und den Heiligen die gekrönten Buchstaben:

I N R I

Nach der durchgehenden Gestalt und dem Charakter der gothischen Majuskel=Buchstaben gehört dieses Stück noch in die erste Hälfte des 14. Jahrh., also in die Zeit der Stiftung und Einrichtung des Klosters. In diesem Stücke sind die Farben auch nur roth, gelb und grün, nicht blau.

Das Stück rechts, welches von einem Inschriftrande in gothischer Minuskel eingefaßt ist, enthält in der Mitte Christum am Kreuze mit Maria und Johannes, eingefaßt von einem viereckigen doppelten Inschriftrande in gothischer Minuskel. In den 4 Ecken stehen die 4 Evangelistensymbole, an den 4 breiten Seiten die gekrönten Buchstaben:

I N R I
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Die gothische Schrift ist in den einzelnen, noch erhaltenen Buchstaben ganz klar, das Ganze ist aber kaum oder gar nicht zu entziffern, da die Fäden vieler Buchstaben ausgefallen sind; aber Einzelnes ist noch überall zu lesen. So z. B. beginnt der äußere Rand mit:

Inschrift

Auf dem innern Inschriftrande ist zu lesen z. B.

Inschrift

und

Inschrift

Ganz klar sind 1 1/2 Zeilen zu lesen:

Inschrift

(Herr, gedenke an mich, wenn du in dein Reich kommst. Marc. 23, 42).

Das dritte Stück ist aus zwei gleich großen und gleich gearbeiteten Hälften zusammengesetzt. Auf der einen Hälfte ist nichts weiter, als ebenfalls Christus am Kreuze mit Maria, der ein Schwert in der Brust steckt, und Johannes; auf der andern Hälfte ist ein Heiliger mit einem Kreuze und vor ihm eine Figur, welche ein Weihrauchfaß schwingt. Beide Stücke sind gleich gearbeitet und von einem gleichen Inschriftrande eingefaßt, welcher ebenfalls in gothischer Minuskel gebildet, aber sehr zerfallen ist; jedoch ist an einer Stelle noch klar zu lesen:

Inschrift

Die beiden Endstücke stammen aus verschiedenen Zeiten des 14. Jahrhunderts.

Diese Beschreibung erscheint darum nothwendig, weil sich in den letzten Jahren das Gerücht verbreitet hat, diese Decke trage arabische Inschriften; dies ist aber ein großer Irrthum, da alle Inschriften augenscheinlich gothisch, theils Majuskel, theils Minuskel, sind, und die Decken sicher im Kloster Ribnitz im 14. und 15. Jahrh. gemacht sein werden.

Uebrigens glaube ich kaum, daß diese Ueberreste ursprünglich zu einer Altardecke bestimmt gewesen, sondern meine, daß es 4 zusammengenähete Kelchtücher sind.

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III. Zur Naturkunde.


Rennthierhorn von Möllenbeck.

Der Kammerherr von Borck auf Möllenbeck bei Neu=Strelitz schenkte am 6. Novbr. 1869 eine auf diesem seinem Gute gefundene, ausgezeichnete Rennthierstange. Das Horn ist vollständig ausgebildet, mit Augensprosse und Eissprießel; es ist freilich zerbrochen, hat sich aber fast vollständig wieder zusammen bringen lassen: es fehlt nur die Krone. Das Horn ist ganz ausgelaugt, ein wenig petrificirt, wie es scheint, und weißgrau von Farbe, gehört also ohne Zweifel der "ersten postdiluvialen Periode" (Jahrb. XXXI, S. 116) oder der sogenannten Rennthierzeit an. Es gleicht ganz den Rennthierhörnern von Güstrow (Jahrb. XXVI, S. 298) und von Wakendorf (Jahrb. XXXI, S. 119). Herr v. Borck giebt über die Auffindung sehr willkommene Nachrichten. An dem einen Ende des größten Sees auf dem Gute Möllenbeck, des sogenannten "Haussees", liegt ein Bruch, das auf der Gutskarte mit dem Namen "Quebbe=Bruch" verzeichnet ist; der Name deutet auf ein Mittelding zwischen Wiese, Bruch und Moor. Je nach dem höhern oder niedern Wasser stande des Sees ist auch in dem anliegenden Bruch mehr oder weniger Wasser. Der Untergrund ist torfig. Die Oberfläche des Bruches ist ganz mit Rohr bestanden. Aus diesen Gründen kann man von dieser Seite her auch nicht unmittelbar an das Ufer des Sees gelangen. Weiter landeinwärts wird die Wiese trockner und hier ist mitunter Torf gestochen, welcher aber schlecht und mit vielen Erdtheilen vermischt war; dabei sind das Rennthierhorn und einige andere Gehörne in einer Tiefe von 5 bis 6 Fuß gefunden. Nach der Aussage einiger Arbeiter sollen hier auch eichene Pfähle zum Vorschein gekommen sein, welche die Arbeiter zu Brennholz mit nach Hause genommen haben. Dieser

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Fund könnte einen Pfahlbau anzeigen, jedoch ist bis jetzt nichts weiter gefunden; das Rennthierhorn ist aber sicher jeden Falls älter, als die pfähle waren, und steht mit diesen in keiner Verbindung.

G. C. F. Lisch.     


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Rennthierhorn von Mellenau bei Boitzenburg.

In Veranlassung dieses Fundes habe ich die willkommene Gelegenheit, über ein anderes Rennthierhorn zu berichten, welches zwar nicht in Meklenburg, aber doch nahe an der Meklenburg=Strelitzischen Grenze, also nicht weit von Möllenbeck, gefunden ist. Vor einiger Zeit schrieb mir der Herr Professor Virchow zu Berlin, daß es ihm endlich gelungen sei, "das erste Rennthiergeweih, aus der Ukermark, zu gewinnen". Darauf theilte mir derselbe den gedruckten "Sitzungs=Bericht der Gesellschaft naturforschender Freunde zu Berlin vom 19. October 1869" mit, aus welchem ich folgende Darstellung, die zugleich eine Uebersicht über den Standpunkt der Forschung gewährt, entnehme.

"Herr Virchow zeigte eine Reihe von Knochen, insbesondere Geweihstücken von vaterländischen Thieren der Vorzeit, insbesondere vom Rennthier, Bär, Elenthier und Edelhirsch. Sämmtliche vorgelegte Stücke zeichnen sich durch die ungewöhnliche Größe aus, zeigen jedoch sonst keine erkennbaren Verschiedenheiten von den noch jetzt lebenden Arten."

"Was die Rennthiere betrifft, so ist die Aufmerksamkeit auf ihr Vorkommen in Norddeutschland hauptsächlich erregt worden durch die verhältnißmäßige Häufigkeit des Auffindens von Rennthiergeweihen in Meklenburg. Lisch (Mekl. Jahrb. 1864, Bd. 29, S. 282) führt 20 verschiedene Fundorte 1 ) der Art auf. Um so auffallender war das Fehlen ähnlicher Nachrichten aus Preußen. - - - Die bisherigen wenigen Nachrichten sind sehr unsichere Angaben, und in der That finden sich in keiner der officiellen preußischen Sammlungen recht beweisende Stücke von inländischem Rennthier. - - - Das gegenwärtig vorgelegte, nur


1) Seitdem sind schon wieder 8 Rennthiergeweihe in Meklenburg gefunden und erkannt: 1 zu Wakendorf (Jahrb. 31, S. 119), 2 zu Petersdorf (das. S. 120), 1 zu Wismar (das. S. 120), 1 zu Grapen=Stieten (das. 33, S. 205), 1 zu Blüssen (das. S. 206), 1 zu Stuer (das. 34, S. 254) und 1 jetzt zu Möllenbeck.
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wenig verletzte, jedoch bis dahin nicht erkannte Geweih traf der Vortragende im Besitze des Herrn Mercker zu Woltersdorf. Nach weiteren Erkundigungen ist es bei Mellenau in der Nähe von Boitzenburg in der Ukermark" (zwischen Prenzlau und der meklenburgischen Grenzstadt Feldberg) "in einem Bruche ausgegraben; es hatte dort 4 Fuß tief in schwarzem, humosem Moder (nicht Torf) über einer schwachen Kalkschicht gelegen, welche wohl den alten Seeboden darstellt. In dem "Moder" waren außerdem einige Birken und Elsen, auch einzelne Eichen enthalten. Es mißt 1,25 Meter in der Länge u. s. w. - - - Auf alle Fälle muß das Geweih einem ungewöhnlich kräftigen und alten Thiere angehört haben. - -- Da Boitzenburg nahe an der meklenburgischen Grenze liegt, so kann man diesen Fund zunächst auch den meklenburgischen anschließen, welche überdies fast sämmtlich in Torfmooren und Brüchen gemacht worden sind. Gerade diese Lagerstätte aber ist insfern von besonderem Interesse, als sie bestimmt zu beweisen scheint, daß die Rennthiere auch in unserm Lande gelebt haben, - ein Punkt, der für die Frage von der Eiszeit eine große Bedeutung hat. Es wird nun darauf ankommen, die Beobachtung zu verschärfen und besonders auch die Flora der tiefsten Torfschichten in solchen Lagerstätten genauer zu studiren, da in Schwaben arktische Moose darin gefunden sind."


Bei dieser Gelegenheit kann ich nicht unterlassen, einen bei der Beschreibung des Rennthierhornes von Güstrow, Jahrb. XXVI, S. 300, geäußerten Irrthum zu berichtigen. Das dort erwähnte, zu Mallin im Moder gefundene, von Menschenhand bearbeitete dreizackige Geräth, zur Aufnahme von drei Keilen und mit einem Schaftloche in der Mitte, ist nicht aus einem Rennthierhorn gearbeitet, sondern sicher aus einem Hirschhorne, welches auf der Oberfläche geebnet und geglättet ist; es lassen sich noch die Spuren der früheren warzigen Oberfläche und der eigenthümlichen Construction des Hirschhornes deutlich erkennen. Ich habe das Geräth zur Erforschung im J. 1869 mit nach Kopenhagen genommen, wo mir der kundige Herr Professor Steenstrup fest versichert und mich auch davon überzeugt hat, daß das Geräth aus Hirschhorn verfertigt ist. Die Schweriner

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Sammlungen besitzen daher kein in Meklenburg gefundenes, von Menschenhand bearbeitetes Geräth aus Rennthierhorn.

G. C. F. Lisch.     

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Elengehörne von Möllenbeck.

In demselben Moor von Möllenbeck bei Neu=Strelitz sind beim Torfgraben bei dem Rennthierhorn und eben so tief auch 4 Elenschaufeln gefunden und ebenfalls von dem Herrn Kammerherrn von Borck geschenkt. Zwei mittlerer Größe gehören zusammen; eines ist etwas größer, ein anderes klein. Diese Elenschaufeln haben dieselbe Farbe und Beschaffenheit, wie das Rennthierhorn, und gehören ohne Zweifel derselben "Rennthierzeit" an. Dieser Fund ist dem von Petersdorf bei Wismar ähnlich (vgl. Quartal=Bericht XXX, 1, S. 11), wo zwei Paar Rennthiergeweihe, eine Elenschaufel und ein Urstierhorn von derselben Farbe 8 Fuß tief in einem Moor neben einander gefunden wurden.

G. C. F. Lisch.     

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Rehbeinknochen von Sülz.

Ein Rehbeinknochen, anscheinend von Menschenhänden angearbeitet, gefunden zu Sülz beim Ausgraben eines Soolbrunnen=Bassins 1819 ungefähr 10 Fuß tief unter der Erdoberfläche, ward geschenkt vom wailand Herrn Geheimen Amtsrath Koch zu Schwerin, früher zu Sülz.

G. C. F. Lisch.     

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Eßbare Muscheln im Meerbusen von Wismar.

Von

Dr. G. C. F. Lisch.

Weit und breit bekannt sind die viel begehrten "Kieler Pfahlmuscheln" (Miesmuschel, Mytilus edulis). In neuern Zeiten ist wiederholt der Vorschlag gemacht, dieselben auch in dem Meerbusen von Wismar, wo sie noch jetzt häufig gefunden und begehrt werden, in größeren Massen zum Verkauf zu ziehen. Dafür läßt sich nun noch sagen, daß sie in frühern Zeiten dort in größerer Menge zur Ausfuhr gewonnen sein werden, da um die Mitte und in der zweiten Hälfte des 16. Jahrh. oft auch "Muscheln" von Wismar an die herzoglichen Höfe geschickt wurden.

Um die Mitte des 16. Jahrh. lebte in Wismar ein angesehener Kaufmann 1 ) Heinrich Alkopff, ein Hof=Lieferant, wie wir jetzt sagen würden, welcher von Wismar aus den herzoglichen Hof zu Schwerin nicht nur mit allen möglichen Gegenständen versorgte, sondern auch zu den vielen Bauten in den ersten Zeiten der Regierung des Herzogs Johann Albrecht Lieferungen von Baumaterialien aller Art zu besorgen hatte (vgl. Jahrb. V, S. 251). Im Jahr 1544, Johannis, kaufte er in Wismar ein Haus, Nr. 2 von der Neustadt zur Faulen Grube in der Lübschen Straße, welches er 1562 wieder verkaufte, und 1557, Scholasticä, das Haus am Markt Südseite Nr. 6, welches sogleich dem Hinrick Dürjahr als Mitgift ("titulo dotis") zugeschrieben ward. (Mittheilungen des Herrn Dr. Crull zu Wismar.) Vom 16. Decbr. 1563 ist noch ein Brief von Alkopff an M. Simon Leupold vorhanden. Im Jahre 1587 wird "Heinrich Ahlkopf, Bürger zu Wismar", als in Verkaufsgeschäften von dem verstorbenen Herzoge Johann Albrecht beauftragt gewesen erwähnt, ob noch am Leben, ist jedoch nicht ersichtlich.


1) Im Siegel führt "Heinrich Alkopff" einen Schild mit einer Hausmarke, welche den verbunden Buchstaben HA ähnlich ist, und darüber die Buchstaben H. A.
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Daß Alkopff ein viel in Anspruch genommener Mann war und eine vielseitige Rolle spielte, geht aus einer undatirten Klage bei dem Herzoge hervor, welche lautet:

"Alkopff czeygt an, s. f. g. habe ime vor drey jaren vmb seins langen trewen dienstes wollen vorschreiben wollen jarlich aus dem Ampt Buckow zu krigen I Oßen, II vetthe schweine, II Drt. roggen vnd aus der kamer ein gut hoffkleyt, hat aber byß an her wydder vorschreybunge ader sunst nichts van deme deputat bekomen, byddet nach vndertheniglichen, ien seines langhe getrewen dienstes wolle geniessen laßen."

Er galt auch sonst im Handel und Wandel als gewiegte Persönlichkeit. Aus dem Wismarschen Zeugenbuche, 1556, theilt Herr Dr. Crull folgende Stelle mit:

"Din olde here Marten Smit trachtet mi na mit aller bosheit vnd secht, ick hebbe vormals Jurgen Oertzen einen suluern dolck gemaket, dat is nein guth suluer gewesen, vnd straffet also dat suluer. Ouerst ick ginck darmede to Heinrich Alkopp, de heff it erkant vor gut suluer, vnd si ock darna to deme muntemeister gegan, de heff den dolck ock vor gut suluer erkant vnd mi vor dat loth XV s. gebaden."

In einer Rechnung vom Jahre 1553 werden nun auch Lieferungen von Muscheln neben Krabben und Seefischen aufgeführt:

   "M. g. h. hertzogk Johanß Albrechte.
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   25 ß vor 20 butte, 4 dorske, 2 laße, 28 krebße, 1/2 thun muscheln vnd krabben na Swerin Sonnabents zu ostern vff m. g. h. schreyben.
12 ß noch vor 3 grune laße, 18 butte, 32 heringe vnd krabben na Swerin Dornstags nach Quasimodogeniti 53 bey dem byldehawer."
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   "20 ß vor 2 grune laß, 14 butte, 1/2 thun muscheln, krabben ich selbst na Schwerin Fritags nach himelfart 53."

"H. Alkopff."     

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Auch an den Hof des Herzogs Ulrich zu Güstrow kamen Muscheln aus Wismar. So heißt es z. B. in der Güstrowschen Hofrechnung vom Jahre 1598:

"Daniel Sandowen zur Wißmar verlegts geldts fur allerlei, so er vf meines g. h. begern gen hofe geschickt, alß weiß Bier, Musseln , Krabben, frischen Dorsch vnd anders, vermuege seiner Vortzeichnuß betzalt den 9 Febr. Anno etc. . 98 : 87 Fl. 4 ß 6 pf.

Daniel Sandowen zur Wißmar verlegts geldts für Musseln , weiß Bier, Krabben vnd ander Seefische, so er zu vnderschiedlichen malen nach Hofe geschickt, vermuege seiner Vortzeichnuß betzalt den 3 Sept. Anno etc. . 98: 38 Fl. 8 ß -"

Die Muschel=Fischerei muß nicht unbedeutend gewesen sein, da auch viele weit verschickt wurden, namentlich an den Brandenburgischen Hof, wie aus dem folgenden Auszuge aus einer Fischrechnung Alkopffs über eine kurze Zeit hervorgeht.

M. g. h. und frawen an fischwerck geschickt Anno 61.

  M. g. h. 1/2 T. Muscheln, 6 Dorske, 8 Krebse, den letzten Octobr. 61 19 ß 6 pf.
  M. g. f. vor I T. Muscheln aus befelch Volrat Priens den 15 Novembr., wolle I. f. g. verschigken 23 ß -
  Vor I T. Muscheln, vff m. g. h. schreiben Kleinsorgen zugestelt 26 Novembr., solle nach dem Berlin 23 ß -
  M. g. h. noch eod. die vor 1/2 T. Muscheln na Güstrow bei Kleinsorgen 11 ß -
  Vor I 1/2 T. Muscheln vff Peter lackeyen fordern, nham ehr mit na Berlin am Abent Lucie 61 35 ß -
  M. g. h. vor 1/2 T. Muscheln na Swerin bey frantz lam, conuersionis Pauli 11 ß -
  Vor I 1/2 T. Muscheln, als 1/2 T. m. g. h. na Güstrow vnd die I wolt m. g. h. na Cechelin schicken, am tage lichtmeße 34 ß -
  Vor II T. außeleßen Muscheln vff m. g. h. schreyben bei peter kleinsorgen, Sontags Esto mi
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  62, I T. solde zum Berlin, die andere nach Cechelin 44 ß -
  M. g. h. vor 32 krebses, 6 dorske, 4 butte, 1 ferndel Muscheln vnd krabben na Swerin am abent visita. Marie 62 13 ß 4 pf.

H. Alkopff.     

Noch jetzt kommt hin und wieder ein Gericht guter "Muscheln" nach Wismar auf den Tisch.

Die bekanntern Seemuscheln des salzigen Meeres, die Auster (Ostrea edulis) und die Herzmuschel (Cardium edule) sind längst aus dem Kattegat und den südlichern Buchten und Meerengen durch Verringerung des Salzgehalts verschwunden, obgleich sie dort vor undenklicher Zeit gelebt haben müssen, wie die ungeheuren Massen von Schalen dieser Muscheln in den dänischen "Kjökkenmöddings" und unterseeische todte Austerbänke beweisen. Nur die "Miesmuschel" hat sich noch selbst im brakischen Wasser gehalten, zugleich ein Beweis, daß das Wasser des wismarschen Meerbusens im Laufe der Zeiten nicht sehr viel süßer geworden sein wird.

 

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Elenthiere und Auerochsen

in

neuern Zeiten

im nordöstlichen Deutschland.

Von

Dr. G. C. F. Lisch.


Am 24. März 1682 schrieb der Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg an die Herzoge Gustav Adolph und Christian Louis von Meklenburg=Güstrow und Schwerin, daß er "jüngsthin, 1681, einige Elends=Hirsche und Thiere "mit großen Kosten aus dem Herzogthum Preußen in die Mark Brandenburg habe bringen und bis dahin in den Thiergärten verwahrlich halten, jetzt aber in die freie Wildniß laufen lassen, in der Meinung, daß sie ins Land fortgesetzt werden und sich mehren sollten", und bat die Herzoge, allen ihren Unterthanen zu befehlen, daß falls diese Elen=Hirsche und Thiere über die Grenze in die Meklenburgischen Lande treten sollten, dieselben zu schonen. Die Herzoge erließen auch die gewünschten Befehle zur Schonung. Am 12. März 1685 schrieb der Kurfürst wieder an die Herzoge, daß dieses Wildpret sich gemehrt habe, und bat um einen nochmaligen Befehl zur Schonung, mit dem Hinzufügen, daß für den Fall der Schonung er wohl noch einige Stück aus Preußen holen lassen werde. Die Herzoge gingen auch auf diesen Wunsch ein und erließen am 7. April 1685, jeder für sich, eine gedruckte Patent=Verordnung über die Schonung der Elen=Hirsche und Thiere, welche von dem Herzoge Christian Louis von Meklenburg= Schwerin an die südlichen meklenburgischen Aemter Neustadt, Lübz, Marnitz, Crivitz, Dömitz, Eldena, Mirow und die Stadt Parchim verschickt ward.

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Am 8. Mai 1689 meldete der Kurfürst Friedrich III., daß auch er nicht allein noch einige Elen=Hirsche und Thiere, sondern auch einige "Auren", welche niemals in diese Länder gekommen, mit großen Kosten aus Preußen nach der Mark habe bringen lassen, und bat den Herzog Christian Louis wieder um einen Befehl zur Schonung, welcher denn auch am 27. Junii 1689 in gedruckter Patentform erlassen und an die südlichen meklenburgischen Aemter Neustadt, Lübz, Marnitz, Crivitz, Dömitz, Eldena und die Stadt Parchim verschickt ward.

Ueber das fernere Schicksal dieser in Norddeutschland wieder ausgestorbenen Thiere findet sich weiter keine Nachricht.

Für die Alterthumskunde ist aber diese Nachricht insoferne von einiger Bedeutung, als sich im nordöstlichen Tief=Deutschland vielleicht einmal Knochen und Gehörne finden könnten, welche von diesen neu eingeführten Thieren stammen und nicht der "Eiszeit" angehören.

 

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Nachtrag.


Römergräber,

von

Dr. G. C. F. Lisch.

Nachtrag zu S. 99 flgd.


Grab von Varpelev auf Seeland.

In meiner oben mitgeteilten Abhandlung über die neu entdeckten "Romergräber in Meklenburg" zu Häven habe ich oft ausgesprochen, daß ähnliche, ja selbst gleiche römische Alterthümer auf den dänischen Inseln oft, jedoch nie in einem Grabe oder mit menschlichen Skeletten zusammen, gefunden seien. Meine forschenden Freunde in Dänemark schreiben diese römischen Geräthe dem von ihnen gewiß richtig festgestellten "ältern Eisenalter" zu und meinen, daß die "Grabfunde" aus diesem Zeitalter "allemal einige römische Sachen aus den ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung" enthalten. Ich meine jetzt aber, daß umgekehrt solche Grabfunde ebenfalls Römergräbern angehören, welche zugleich auch etwas heimisches Geräth aus der ältern Eisenzeit enthalten.

Den vollen Beweis scheint mir der Fund von Varpelev zu geben, der mit den Gräbern von Häven und auch mit den Funden von Grabow, Heddernheim und andern vollkommen übereinstimmt. Der Varpelev=Fund ist schon im J. 1865 bekannt gemacht: "Varpelev Fundet, beskrevet af C. E. Herbst", in den "Annaler for Nordisk Oldkyndighed, 1861, p. 305-322", auch in einem Separat=Abdrucke "Kjöbenhavn, 1865", mit 3 Tafeln Abbildungen. Ich habe diese äußerst wichtige und merkwürdige Abhandlung leider bisher übersehen, beeile mich aber, da ich eine deutsche Uebersetzung gewonnen habe, den Hauptinhalt hier zur Vergleichung nachträglich mitzutheilen.

Im Junii 1861 ging bei dem nordischen Alterthumsmuseum zu Kopenhagen die Nachricht ein, daß auf dem Acker eines Hüfners im Kirchspiel Varpelev auf Seeland, in der Harde Stevens, im Amte Praestö, also südlich von Kopen=

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hagen, nicht weit von dem Meere und der Insel Moen, eine Anzahl merkwürdiger Alterthümer entdeckt, die Fundstelle aber noch nicht ganz aufgedeckt sei. Alsbald eilte der Kammerrath Strunk, Aufseher des Museums, dahin, um den Fund völlig aufzunehmen und nach allen Seiten hin festzustellen, wie der Kammerrath Herbst ihn in der oben angeführten Abhandlung in der richtigen Ansicht beschrieben hat, daß vor allen Dingen nur gesammte und verbürgte Funde der Wissenschaft helfen können. Die Fundstelle zeigte keine Spur von einem Hügel und ward nur dadurch entdeckt, daß man beim Pflügen öfter auf einen Stein gestoßen war, den man jetzt entfernen wollte. Beim völligen Ausgraben zeigte sich, daß in gleicher Höhe 6 Steine auf Kiesaufschüttung lagen, die ein in dem festen Lehmboden ausgegrabenes und mit Kies ausgefülltes Grab deckten, dessen Boden ungefähr 4 Ellen (2, 51 metres) tief unter der Erdoberfläche lag. In diesem Grabe lag das Skelet eines ausgewachsenen, ungewöhnlich hohen Mannes. Neben dem Skelet lagen, zum größten Theile an der rechten Seite, folgende Alterthümer:

1) Ein einfacher Spiralring von dickem Golddrath, von 2 1/2 Windungen (1 3/4 Loth schwer, abgebildet bei Herbst, Taf. III, Fig. 1) correspondirend mit dem dicken Goldringe von Grabow oben S. 105.

2-3) Eine bronzene Schöpfkelle mit einem darein passenden Sieb (abgebildet bei Herbst Taf. III, Fig. 2), genau so wie die Kellen und Siebe von Häven; vgl. oben S. 114 flgd. und Taf. I, Fig. 3 und 4.

4) Ein bronzener Krater ("Bronze=Vase") (abgebildet bei Herbst, Taf. III, Fig. 3), genau dem Krater von Häven S. 112 und Taf. II, Fig. 17, und auch dem charakteristischen Henkel desselben Fig. 17 a. gleich.

5) Der Bronzebeschlag eines hölzernen Eimers (abgebildet bei Herbst, Taf. III, Fig. 4) ganz dem Beschlage der hölzernen Eimer von Häven S. 118 und 130 und Taf. II, Fig. 16, gleich, auch in der Art der Verzierung durch Austreibung kleiner "Puncte" oder Halbkugeln.

6-8) Drei höchst merkwürdige Glasgefäße mit eingebrannten farbigen Figuren auf der Außenfläche (abgebildet bei Herbst, Taf. I und II und Holzschnitt im Texte), vielleicht Kunstwerke ohne gleichen. Auch zu Häven ward ein Becher von weißem Glase von derselben Größe gefunden, vgl. S. 114 und Taf. II, Fig. 20, welcher jedoch mit eingeschliffenen Halbkugeln und Strichen verziert ist, wie die übrigen in Dänemark gefundenen römischen Glasgefäße.

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9) Einige Bruchstücke von einem Gefäße aus gebranntem Thon mit eingeritzten Schrägestrichen verziert, also ähnlich wie zu Häven, S. 122 und 123.

10) Dreizehn Stück runde Steine zum Brettspiel, von verschiedenen Farben, ungefähr 1 Zoll (2, 6 Centim.) im Durchmesser, unten stach, oben schwach gewölbt, also genau so, wie die Steine aus dem merkwürdigen römischen Funde von Gr.=Kelle in Meklenburg, abgebildet in Jahrb. V, Lithogr. Fig. 10.

11) Einige Thierknochen, welche Professor Steenstrup der Graugans und dem Schwein zuschreibt, also wohl Reste der dem Todten mitgegebenen Fleischspeise.

Man sieht aus dieser Beschreibung, daß hier fast genau dasselbe Grab vorliegt, wie die Gräber zu Häven, und daß alle Alterthümer wohl sicher römische sind. Und dazu stimmt auch der bei Herbst in drei verschiedenen Ansichten durch Holzschnitt in dem Text unter Professor Steenstrup's Leitung abgebildete Schädel, welcher den Männerschädeln von Häven (vgl. oben S. 141) völlig gleich, also auch wohl römischen Ursprunges ist. Ich kann daher nicht glauben, daß diese seltenen Kunstwerke der "ältern Eisenzeit hier im Lande gearbeitet" seien, sondern muß annehmen, daß das Grab von Varpelev auch ein Römergrab ist. Ganz ähnlich ist auch der oben oft verglichene schöne römische Fund von Himlingöie, welches "nur eine halbe Meile von Varpelev" liegt.

Ich muß daher zu dem Glauben gelangen, daß die von mir angenommene römische Handelsstraße von Nassau her über die jetzigen Häfen von Lübek, Wismar, Rostock und Stralsund zur See weiter nach dem Sunde an die Ostküste von Seeland ging, um so mehr, da die dänischen Inseln diesen Häfen so sehr nahe sind, indem man z. B. von dem Kreidevorgebirge Arkona die hohen Kreideufer von Moens=Klint mit bloßen Augen sehen kann. Schifffahrt auf kleinen Fahrzeugen ist auf diesem Wege gewiß seit uralter Zeit getrieben, da dieselbe zur heidnischen Zeit der Wenden geschichtlich verbürgt ist, und damals bauete man sicher noch nicht große Schiffe; man wird aber wohl nicht weite Fahrten unternommen, sondern immer nur die nächsten Küsten aufgesucht haben.

 

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